Chinas langfristige Wirtschaftsperspektiven

Werbung
Allianz Dresdner Economic Research
Working Paper
No.: 96, 23.11.2007
Autoren: George Joseph
Dr. Rainer Schäfer
______________________________________________________________________
Chinas langfristige Wirtschaftsperspektiven
Der lange Marsch nach oben
Die wichtigsten Aussagen im Überblick
Das reale Wirtschaftswachstum erreicht 2007 seinen Höhepunkt, wird aber auch 2008 trotz des Wirtschaftsabschwungs in den USA auf hohem Niveau verbleiben. Eine weiche oder sogar harte „Konjunkturlandung“ ist nicht in Sicht.
Finanzkrisen größeren Ausmaßes sind unwahrscheinlich, nicht zuletzt durch die Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen, die Kapitalflucht nicht zulassen. Die Ineffizienz des Banken- und Finanzmarktes geht
zwar gegenwärtig zulasten des Wirtschaftswachstums. Der Finanzsektor wird aber künftig durch Deregulierung und mehr Wettbewerb einen überproportionalen Wachstumsbeitrag leisten.
In den kommenden 15 Jahren wird China graduell an Wirtschaftsdynamik verlieren. Für die Jahre 20092012 sehen wir im Basisszenario die jahresdurchschnittliche Expansion des realen BIP bei 9 %, für
2013-2022 dagegen bei 7 %. Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines derartigen oder ähnlichen Wachstumspfades liegt bei 90 %.
Sollte das Wirtschaftswachstum auf Werte unter 6 % fallen, drohen ernsthafte soziale Konflikte. Die
Regierung würde hierauf mit einer Einschränkung der wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten reagieren, was die Wirtschaftsdynamik zusätzlich bremst.
In den nächsten 15 Jahren wird China im Rahmen des Basisszenarios zum drittgrößten Wirtschaftsraum
der Welt heran wachsen und fast die Größe des Euro-Raumes erlangen.
Mit dieser Entwicklung werden viele strukturelle Verschiebungen einhergehen: Die Inlandsnachfrage
und hier vor allem der private Verbrauch wird überdurchschnittlich zulegen, während der Export als
Haupttriebkraft der Konjunktur an Bedeutung verliert.
Chinas weiterer Weg in die Marktwirtschaft sowie der Aufbau marktwirtschaftlicher Institutionen und
Rahmenbedingungen wird zu mehr Transparenz im Wirtschaftsleben führen. Dies hilft, die im Ausland
existierenden Ängste vor der ungezügelten chinesischen Wirtschaftsexpansion abzubauen.
Chinas Wirtschaftsdynamik übertrifft regelmäßig auch die optimistischsten Erwartungen. Gleichwohl
dominieren in der Analyse des Wirtschaftsverlaufs sowie der –perspektiven sehr polarisierende Betrachtungen. Während eine Seite den Wirtschaftsboom auch in die längerfristige Zukunft fortschreibt und China danach auf bestem Weg zur größten Volkswirtschaft der Welt ist, sehen andere diesen Weg von herben Rückschlägen geprägt, die auch den bisherigen Wirtschaftserfolg in Frage stellen. Mit fortschreitender Systemtransformation ändern sich natürlich auch die düsteren Prognosen: Sah man noch vor 10 Jahren ein Rückfall in die kommunistische Wirtschaftsordnung als eine durchaus bestehende Gefahr an, so
bestimmen heute Vorhersagen einer harten Konjunkturlandung mit gravierenden sozialen und politischen Konsequenzen den unteren Rand des Prognosespektrums.
Was sind die Ursachen für diese stark divergierende Sicht der künftigen Wirtschaftsentwicklung? An vorderster Stelle ist hier die mangelnde Transparenz zu nennen. Wer letztlich welche wirtschaftspolitischen
Entscheidungen trifft oder auch nur vorbereitet, ist in China wegen der kaum zu überschauenden und
abseits der eigentlichen Regierung stehenden Kommissionen weit weniger als in anderen Schwellenländern ersichtlich. Die politische Entscheidungsgewalt liegt einerseits bei den noch stark vom Sozialismus
geprägten Gremien und Strukturen in dem andererseits wirtschaftlich von einem sehr freien Kapitalismus
geprägten Land. Hinzu kommt die in vielen Bereichen eingeschränkte Aussagekraft der Statistiken. Die
Größe des Landes und der sehr unterschiedliche Entwicklungsstand der einzelnen Landesteile bilden
eine Herausforderung für jede statistische Erfassung und deren Koordination. Und schließlich befindet
sich China permanent in einem raschen Strukturwandel, der es erschwert, vom vergangenen und gegenwärtigen Wirtschaftsverlauf auf künftige Trends zu schließen.
Kann man unter diesen Umständen belastbare Wachstumsaussagen über einen Prognosezeitraum von
10-15 Jahren treffen? Nein, ganz sicher nicht. Wir hegen auch nicht den Anspruch, das Wirtschaftswachstum Chinas in den nächsten 10-15 Jahren punktgenau vorhersagen zu können. Entscheidend ist
aus unserer Sicht, ob sich China die gegenwärtige Wirtschaftsdynamik längerfristig bewahren kann oder
ob stärkere Wachstumseinbußen drohen, mit erheblichen Folgen für die soziale Lage des Landes. Wir
begnügen uns daher mit der Schätzung jahresdurchschnittlicher Zunahmen des realen Bruttoinlandsprodukts für den Projektionszeitraum 2008-2022.
Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren: Kein Hard Landing!
Der Boom in China ist ungebrochen. Im dritten Quartal dieses Jahres lag das reale BIP offiziellen Angaben zufolge um 11,5 % über Vorjahr, nach 11,9 % im 2. Quartal. Insgesamt wuchs die chinesische
Wirtschaft in den ersten neun Monaten um 11,5 %. An diesen Angaben bestehen aber berechtigte Zweifel, welche die chinesische Statistikbehörde durch die auch im internationalen Vergleich sehr rasche Publikation der Produktionsergebnisse unmittelbar nach Quartalsschluss noch nährt, ebenso wie die Tatsache, dass man einmal publizierte Angaben kaum mehr später revidiert. Es nimmt deshalb nicht Wunder,
2
dass Analysten immer wieder andere Indikatoren wie den Elektrizitätsverbrauch oder die Hafenumsätze
betrachten, um Rückschlüsse auf die tatsächliche Wirtschaftsleistung zu erhalten.
Für ein die offiziellen Angaben übersteigendes Bruttoinlandsprodukt spricht, dass sich die Schätzung vor
allem auf Umfragen bei Großunternehmen stützt und kleinere und mittlere Firmen ausschließt. Auf der
anderen Seite sind auch Doppelzählungen z.B. im Bereich der Vorleistungen nicht auszuschließen, was
die Wertschöpfung überhöht ausweisen würde. Auch neigen die Provinzen dazu, die auf ihrem Gebiet
erbrachte Wirtschaftsleitung nach oben zu korrigieren, um in Beijing einen möglichst positiven Eindruck
zu hinterlassen. Diese Aspekte berühren in erster Linie die absolute Höhe der Wertschöpfung, weniger
dagegen die Zuwachsrate, solange zumindest sich das Ausmaß der Unter- bzw. Überschätzung im Zeitablauf nicht ändert. Aber: Auch wenn man Abstriche beim Wirtschaftswachstum vornimmt, überträfe Chinas Wachstumsrate die der anderen größeren Schwellenländer immer noch bei weitem.
Reales Wirtschaftswachstum
17
15
in %
13
11
9
7
5
19
79
19
82
19
85
19
88
19
91
19
94
19
97
20
00
20
03
20
06
3
Quelle: Institute of International Finance (IIF)
Ein Blick in die länger zurückliegende Vergangenheit zeigt, dass sich das Wirtschaftswachstum in den
letzten 10 Jahren auf hohem Niveau verstetigt hat, d.h. die Amplitude des Konjunkturzyklus hat im Zeitablauf abgenommen. Dies ist zum einen auf eine mit wohldosierten Maßnahmen agierende Geld- und
Fiskalpolitik zurückzuführen, zum anderen auf die langfristig deutlich gesunkene Inflationsrate. Zwar zog
in den letzten Monaten die Preissteigerungsrate wieder an. Gegenüber Vorjahr gerechnet stellte sie
sich im August 2007 auf 6,5%, immerhin das doppelte Niveau von März dieses Jahres. Hinter ihrem neuerlichen kräftigen Anstieg steht aber weniger die Geldpolitik, sondern vor allem das hinter der starken
Nachfrage zurück bleibende Angebot an Nahrungsmitteln.
Zur Verstetigung des Wirtschaftsverlaufs und der Wirtschaftspolitik hat sicher auch die Wechselkurspolitik beigetragen. Nach wiederholten kräftigen Abwertungen des Renmimbi folgte von 1998 bis Mitte 2005
der feste Wechselkurs gegenüber dem US Dollar, an den sich seither eine moderate Aufwertungsphase
angeschlossen hat.
3
Inflationsrate
(Jahresdurchschnitte)
Wechselkurs:
Renmimbi/US$
10
30
8
25
in %
20
6
15
10
4
5
2
0
2005
2002
1999
1996
1993
1990
1987
1984
2004
2001
1998
1995
1992
1989
1986
Quelle: Institute of International Finance (IIF)
1981
0
-5
Quelle: Bloomberg
Trotz der von mehr Gradualität geprägten Wirtschaftsentwicklung sind deutliche Überhitzungserscheinungen in den letzten Jahren nicht zu verkennen. Vor allem in den Wirtschaftszentren an der Ostküste
hat dies zu Lieferengpässen vor allem in der Bauwirtschaft geführt. Der Bauboom nährt Befürchtungen,
dass sich Spekulationsblasen gebildet haben, deren Platzen die gesamte Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnte. Gegen eine solche düstere Prognose sprechen aber vor allem 3 Aspekte:
•
Die Regierung versucht, mit gezielten Maßnahmen die Bautätigkeit in den betroffenen Zentren zu
bremsen. Hierzu gehören Kreditverbote für Bauprojekte und Mindesthaltefristen für von Privatpersonen erworbene Immobilienobjekte. Auch wenn diese Regelungen oft unterlaufen werden,
haben sie in der Vergangenheit durchaus Wirkung gezeigt.
•
Die Entwicklung der Hauspreise verläuft landesweit nicht einheitlich, wie untenstehendes
Schaubild zeigt. Die ausgeprägtesten Preisschwankungen verzeichnet Schanghai, in anderen
Zentren ist der Anstieg weniger spektakulär ausgefallen. Große Leerstände fallen in China ohnehin nur temporär an, denn die stetige Migration in die Wirtschaftszentren schafft ständig neue
Wohnungsnachfrage. Ähnliches gilt für den gewerblichen Bau.
•
Die Korrektur von Übertreibungen am Immobilienmarkt muss keineswegs in einer gesamtwirtschaftlichen Katastrophe enden, wie sie z.B. Thailand 1997/98 ereilte. In Relation zur Größe der
Gesamtwirtschaft Chinas fällt der Boom in ausgewählten Städten eher gering aus. Ein sicheres
Indiz hierfür ist die Ressourcenbalance des Landes: Während Thailand vor der Krise einen erheblichen Leistungsbilanzfehlbetrag verzeichnete, also Auslandskapital zur Finanzierung der
Immobilien-Hochkonjunktur aufnahm, weist China seit Jahren hohe und steigende Leistungsbilanzüberschüsse auf.
4
Index der Hauspreise
Peking
Schanghai
07
06
05
04
03
02
01
00
99
98
135
130
125
120
115
110
105
100
95
90
85
Dalian
Quelle: National Bureau of Statistics
Trotz vieler Engpässe in der Bauwirtschaft der Wirtschaftszentren erwarten wir daher weder einen Absturz der Baukonjunktur noch eine harte Landung der Wirtschaft. Auf eine weiterhin robuste und stabile
Konjunktur deuten auch die Angaben zur Industrieproduktion hin. Danach haben die Zuwachsraten
nicht mehr weiter zugelegt, wie dies vor allem in der Phase von 2000-2004 der Fall gewesen war, sondern sich auf hohem Niveau stabilisiert. Gleiches gilt auch für den Export, die für die Dynamik der Industrie sicher ausschlaggebende Nachfragekomponente. Für die Ausfuhren liegen die Bestimmungsfaktoren
natürlich auch außerhalb des Landes. Mit Sicherheit hat die eingetrübte US-Konjunktur auch die Zunahme des chinesischen Exports inzwischen deutlich gebremst. Hinzu kommen restriktive geldpolitische Maßnahmen: Die Notenbank hob die Mindestreservepflicht sowie ihre Zinssätze an, um der aus
dem Ruder laufenden Konjunktur Einhalt zu gebieten.
Alles in allem deutet dies für dieses und nächstes Jahr auf einen weiterhin zwar dynamischen, aber keineswegs aus den Fugen laufenden Konjunkturverlauf hin. Wahrscheinlich wird die etwas schwächere
Weltkonjunktur auch zu leichten Abstrichen bei Chinas Wachstumsrate führen. Wir erwarten daher auf
Basis der offiziellen Angaben für 2007 eine Zunahme des realen BIP von knapp 11,5 %, 2008 dürfte sich
eine noch etwas geringere Rate von 10,5 % ergeben.
5
Industrieproduktion und Export
in % Vj. gl 12 Monatsdurchschnitte
21
19
17
15
13
11
9
7
5
40
30
20
10
0
Industrieproduktion linke Skala
2006
2006
2005
2004
2003
2003
2002
2001
2000
2000
1999
1998
1997
1997
-10
Export rechte Skala
Quelle: Institute of International Finance (IIF)
Geldmenge und Bruttoinlandsprodukt
(Änderungsraten, nominal)
50
40
%
30
20
10
Geldmenge M3
2005
2003
2001
1999
1997
1995
1993
1991
1989
1987
1985
1983
1981
0
BIP nominal
Quelle: Internationaler Währungsfonds
Kreditwachstum (in % ggü. Vj)
25
20
10
5
0
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
-5
1999
%
15
Quelle: National Bureau of Statistics
6
Wachstumsfaktoren
Die oben genannten Zusammenhänge können natürlich nur den Wirtschaftsverlauf der nächsten ein bis
zwei Jahre beleuchten. Die interessantere Frage ist aber, ob sich China seine Wachstumsdynamik langfristig bewahren kann. Welche Faktoren sind die Treiber des Wirtschaftswachstums und werden diese
auch längerfristig Bestand haben?.
a. Migration von Arbeit und Kapital
Begonnen hatte Chinas Weg in die Marktwirtschaft 1978 mit der Schaffung sogenannter Sonderwirtschaftszonen, in denen sich Angebot und Nachfrage freier als in den übrigen Landesteilen entfalten konnten. Der Erfolg dieser Zonen beflügelte danach die politische Führung, diese immer weiter auszudehnen.
Während die Marktwirtschaft die Provinzen an der Ostküste bereits weitgehend durchdrungen hat, konzentrieren sich die Entwicklungswellen nunmehr auf die Mandschurei im Norden, die bisher vor allem
die Schwerindustrie beherbergte, sowie die zentralchinesische Jangtse-Region. Die Regierung baut hier
die Infrastruktur stark aus und gewährt zudem Steuervorteile für die Unternehmensansiedelung. Die
Investitionen des Staates sowie der Unternehmen treiben die Wirtschaftserschließung voran und schaffen
Arbeitsplätze in diesen Regionen. Einen ebenfalls wachstumstreibenden Effekt haben die nach wie vor
starken Migrationbewegungen aus den ländlichen Provinzen im Landesinneren in die Wirtschaftszentren im Osten des Landes. Während das BIP die Arbeitsleistung der vormals in der Landwirtschaft oder
von hoher versteckter Arbeitslosigkeit geplagten schwerindustriellen Staatsbetrieben tätigen Erwerbspersonen kaum berücksichtigt hatte, steigen Wertschöpfung und Produktivität der dann auf Baustellen und in
exportorientierten Betrieben arbeitenden Menschen an.
Anteil der Stadt- an der
Gesamtbevölkerung (% )
50
45
40
35
30
25
20
1990
1995
2000
2002
2003
2004
2005
2006
Quelle: National Bureau of Statistics
Gegenwärtig dürfte in etwa nur ein gutes Drittel aller Erwerbspersonen in marktwirtschaftlich geführten
Betrieben arbeiten. Es besteht also noch sehr viel des sich aus Kapitalmobilität und Migration ergebenden Wachstumspotenzials. Über lange Zeiträume gerechnet, wird der Einfluss dieser Faktoren auf
die gesamtwirtschaftliche Produktion sich aber allmählich abflachen, derjenige der Migration wahrscheinlich eher als der Weg des Kapitals zu den Menschen. Schon dieser Aspekt spricht für sich alleine genommen für längerfristig abnehmende Zuwachsraten des realen BIP.
7
b. Demographie, Bildung und Umweltfaktoren
Wie untenstehende Grafik zeigt, nimmt die Wachstumsrate der Bevölkerung seit Jahrzehnten ab. Dieses
ist an sich kein ungewöhnlicher Befund für ein wie China dynamisch wachsendes Schwellenland. Hinzu
kommt, dass die Regierung mit der bis heute verfolgten sogenannten „Ein-Kind-Politik“ die Zunahme
bewusst eindämmte. Die steigende Lebenserwartung sowie abnehmende Geburtenraten werden auch in
China zu einer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zunehmenden Zahl von Pensionären führen. Die
Überalterung der chinesischen Gesellschaft wird sich aber nicht wesentlich schneller als in anderen asiatischen Volkswirtschaften vollziehen. In Relation zur Gesamtbevölkerung wird die Anzahl der Erwerbspersonen 2010 ihren Höhepunkt erreichen1. Der hiervon ausgehende dämpfende Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Produktion wird sich zumindest in den nächsten 15 Jahren in engen Grenzen halten.
Wachstumsrate der Bevölkerung (%)
3
2,5
2
1,5
1
0,5
2005
2000
1995
1990
1985
1980
1975
1970
1965
1960
1955
1950
0
Bevölkerung: Medianalter
(2020 u. 2050 Projektion)
2005
2020
Th
ai
la
nd
In
di
en
Ja
pa
n
Si
ng
ap
ur
A
A
si
en
us
tr
al
ie
n
C
hi
na
H
on
gk
on
g
60
50
40
30
20
10
0
2050
1
S. Dunaway und V. Arora: Pension Reform in China: The Need for a New Approach, IMF Working Paper WP/07/109, May 2007, S. 5
8
Chinas Alphabetisierungsrate liegt im Schnitt leicht über derjenigen vergleichbarer Emerging Markets.
Ausführlichere und international vergleichbare Daten über Ausbildungsstand und -entwicklung sind nicht
verfügbar. Auffallend ist aber, dass der Export technologischer Produkte deutlich zugelegt hat und sich
derzeit in etwa auf 55 % der Gesamtausfuhren beläuft. Alleine IT-Hardware-Ausfuhren machen inzwischen fast ein Drittel der Exporte aus. Diese Angaben könnten den Schluss nahe legen, dass sich China
allmählich von dem Image des Billiglohnproduzenten auf dem Weltmarkt löst. Allerdings erzeugen die
Tochterfirmen ausländischer Unternehmen fast ausschließlich die technologisch anspruchsvolleren Produkte. Deren Export steht aber auch ein wertmäßig entsprechend hoher Import gegenüber; die eigentliche, in China selbst erbrachte Wertschöpfung ist bis auf wenige Ausnahmen niedrig. Mit anderen Worten: Die Firmen führen technologische Produkte ein, assemblieren sie zum Fertigprodukt, das sie anschließend exportieren. Bessere Ausbildung war und ist natürlich auch in China ein wichtiger Wachstumsfaktor und zweifellos wird die in der Volksrepublik erbrachte Wertschöpfung bei Exportgütern weiter
zunehmen2. Für die kommenden 15 Jahre sollte man ihm aber keinen höheren Stellenwert einräumen,
als er in der Vergangenheit hatte.
China produziert zulasten der Umwelt. Das Ausland sowie auch zunehmend die Parteiführung und Regierung mahnen den hohen Ausstoß an Schadstoffen an. Die Entwicklung des Landes ähnelt hier derjenigen Taiwans, das auch am Anfang seiner Industrialisierung wenig Rücksicht auf Umweltfaktoren legte,
mit zunehmender Wirtschaftsleistung diese aber stärker berücksichtigte. Wir erwarten für die Volksrepublik längerfristig zwar einen ähnlichen Weg. Die Politik wird aber größere Wachstumseinbußen zugunsten
einer umweltgerechteren Produktion nicht hinnehmen, weil hohes Wirtschaftswachstum schlicht der beste
Garant des sozialen Friedens darstellt. Größere Einbrüche im Wirtschaftswachstum durch stärkere Umweltauflagen wird es daher nicht geben. Umgekehrt werden sich diese aber auch nicht als eine Stütze
hohen Wirtschaftswachstums, wie beispielsweise in Deutschland, erweisen. Exportierbare Umwelttechnologie besteht in der Regel aus technologischen Spitzenprodukten, deren Erzeugung auf absehbare Zeit
primär noch in den Industriestaaten angesiedelt sein wird.
c. Wirtschaftspolitik
Wie die Erfahrung anderer Schwellenländer zeigt, kann eine sehr ambitionierte Investitions- und
Wechselkurspolitik in gravierenden Finanzkrisen enden, die auch die Realwirtschaft auf Jahre hinaus in
Mitleidenschaft ziehen. Mexiko 1994, Thailand und Südkorea 1997, Russland 1998 sowie die Türkei und
Argentinien (jeweils 2001) gerieten auf diesem Weg in die Krise.
Der graduelle, auf Konsensfindung3 bedachte Ansatz der chinesischen Wirtschaftspolitik hat solche
fatalen Entwicklungen im Falle Chinas in den vergangenen Jahrzehnten verhindert. Kurswechsel in der
Wirtschaftspolitik bleiben wohl dosiert und überraschen in der Regel weder Finanzmarkt noch Gesamtwirtschaft. Das eher behäbige Vorgehen der Wirtschaftspolitik kann zwar dazu führen, dass das Land
sein Wachstumspotenzial nicht voll ausschöpft. Bestes Beispiel ist hier die Wechselkurspolitik, welche die
Flexibilisierung des Renmimbi, wenn überhaupt, nur sehr allmählich vorantreibt. Das von Vorsicht ge2
Auch die OECD beklagt in einer Studie den technologischen Rückstand der meisten Firmen. OECD
Reviews of Innovation Policy. China. Synthesis Report, 2007, hier u.a. S. 59
3
gut beschrieben bei: N. Roubini und B. Setser: China Trip Report, April 2005, www.rgemonitor.com
9
prägte Vorgehen bewahrt aber die Volkswirtschaft andererseits vor gravierend falschen wirtschaftspolitischen Schritten.
Drohen Fehlentwicklungen vollends aus dem Ruder zu laufen, schreckt aber auch die chinesische Führung nicht vor harten Schritten zurück. Als sich beispielsweise die Inflation 1993 in nicht mehr tolerierbare
Höhen schraubte, folgten rigorose, von der Zentralbank verordnete Kreditbeschränkungen. Auch die parallel hierzu verordnete Abwertung des Renmimbi gegenüber dem US Dollar um mehr als 30 % passt in
dieses Bild.
Wird die von Gradualismus geprägte Wirtschaftspolitik auch künftig fortbestehen? Der bisherige Erfolg
dieses Ansatzes spricht zweifellos dafür. Allerdings werden, wie auch in anderen Ländern, ihre Freiheitsgrade mit zunehmender außenwirtschaftlicher Öffnung eher abnehmen. Dies gilt im besonderen Maße
für die Liberalisierung der Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen, die das Land stark von den volatilen
internationalen Kapitalströmen abgeschirmt haben.
Einerseits ist gute und vorhersehbare Wirtschaftspolitik ein wichtiger Wachstumsfaktor. Andererseits ist
sie selbst auch das Resultat der Wirtschaftsentwicklung. Sollte China sich längerfristig seine Wirtschaftsdynamik bewahren können, rechnen wir mit fortschreitender Liberalisierung und außenwirtschaftlicher
Öffnung, was das Wachstumspotenzial erhöht. Auch falls die Wachstumsrate vorübergehend, also nur für
1-2 Jahre, auf unter 7% fallen würde, stünde dieser wirtschaftspolitische Kurs sicher nicht in Frage. Denn
im Falle einer schwachen Investitionskonjunktur kann, wie in den Jahren 2000 bis 2002 geschehen, der
Staat das Wachstum mit Infrastrukturprojekten stützen.
Fällt die Wachstumsrate aber für die Dauer mehrerer Jahre unter die Marke von 6-7% sind Probleme auf
dem Arbeitsmarkt, und damit auch größere soziale Verwerfungen und Unruhen wahrscheinlich nicht zu
vermeiden. Eine weniger ambitiöse Öffnungspolitik, eine wieder stärkere Stellung des Staates in der
Volkswirtschaft und möglicherweise im Vergleich zu heute deutlich eingeschränkte politische Freiheiten
könnten leicht die Folge sein. Eine derartige Wirtschaftspolitik wäre nicht nur die Folge einer Wachstumskrise, sondern würde, umgekehrt, wiederum auch zu Lasten der längerfristigen Wirtschaftsdynamik gehen.
Auch wenn die bisherigen Punkte alles in allem für eine positive Einflussnahme der Wirtschaftspolitik auf
das längerfristige Wirtschaftswachstum sprechen, sollte man einen Faktor nicht übersehen: Einer der
grundlegenden Bestimmungsfaktoren für den chinesischen Wirtschaftserfolg war, dass die Regierung die
Wirtschaft graduell liberalisierte und damit die treibenden Kräfte für den Aufschwung freisetzte. Je höher
der Liberalisierungsgrad einer Volkswirtschaft aber ist, umso geringer wird dieser Effekt ausfallen. Es
besteht gegenwärtig sicher noch viel Spielraum für einen weiteren Rückzug des Staates. Aber dieser
dürfte im Zeitablauf weiter abnehmen und damit werden die damit verbundenen positiven Auswirkungen
auf das Wirtschaftswachstum tendenziell geringer ausfallen.
10
d. Kapitalbildung
Eine Hauptquelle zunehmender Produktivität ist die immens hohe Ersparnisbildung in der Volksrepublik. Immerhin stellte sich die gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung 2006 auf über 50 % des BIP, also einen Wert, den nicht annähernd ein anderes größeres Schwellenland erreicht. Über den hohen Leistungsbilanzüberschuss von gut 10 % des BIP fließt natürlich auch viel chinesisches Kapital ins Ausland. Dennoch verbleibt genügend Ersparnis zur Finanzierung der stark zunehmenden Investitionen. Die damit
verbundene Akkumulation von Realkapital ermöglicht wiederum die rasche Produktionsausweitung.
Wirtschaftswachstum *) und gesamtwirtschaftliche Sparquote *) 2006 (%)
12
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
10
8
6
4
2
si
l
S. ien
A
fr
ik
a
B
ra
K
C
hi
na
or
ea
Th
ai
In l.
di
e
R n
us
sl
.
C
hi
M le
ex
i
U ko
ng
ar
n
Po
le
n
0
Sparquote - linke Skala
Wirtschaftswachstum - rechte Skala
*) jahresdurchschnittl. Werte 2002-2006
Quelle: Institute of International Finance, Internationaler Währungsfonds
Obenstehende Grafik zeigt einen Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlicher Sparquote und realem Wirtschaftswachstum bei Schwellenländern. Gerade in dieser Ländergruppe determiniert das verarbeitende Gewerbe die Wirtschaftsdynamik in weit stärkerem Maße als dies bei Industrieländern der Fall
ist, wo der Dienstleistungssektor in der Regel eine stärkere Rolle spielt. Mit der Dominanz der industriellen Fertigung steigt aber auch der Stellenwert des Realkapitals als Wachstumsfaktor.
Hohe gesamtwirtschaftliche Sparquoten sind alles andere als unüblich im fernöstlichen Wirtschaftsraum.
Auch Japans gesamtwirtschaftliche Sparquote liegt weit über dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Im
Falle Chinas kommen noch weitere Gesichtspunkte hinzu, die die außergewöhnlich hohe Kapitalbildung
stützen:
•
Während der Transformation sind die aus der kommunistischen Phase stammenden sozialen Sicherungssysteme weitgehend auf der Strecke geblieben4. Die herkömmliche Renten- und Krankenversicherung deckt kaum mehr den in der Volksrepublik ohnehin niedrigen Grundbedarf der
Menschen ab. Und neue, kapitalgedeckte Versicherungslösungen sind erst im Aufbau begriffen.
In dieser für den Einzelnen vergleichsweise „rauhen“ Umgebung, in der es auch kaum Arbeitsplatzsicherheit gibt, haben die hohen Ersparnisse Vorsorgecharakter.
4
S. Dunaway und Arora, S. 5
11
•
Primäres Sparmedium der privaten Haushalte sind Bankdepositen, die aber einen nur niedrigen,
oftmals sogar unter der Inflationsrate liegenden Zinssatz aufweisen. Engagements im Ausland
waren bislang kaum erlaubt, so dass außer Bankeinlagen nur der lokale, in den letzten Jahren
jedoch zunehmend überhitzte Aktienmarkt für Engagements übrig blieb. Kurz: Um einen bestimmten Zielkapitalbetrag zu erhalten, muss man eben mehr sparen.
•
Die einbehaltenen Gewinne der Unternehmen sind hoch und durch die vor allem in der Exportwirtschaft vorherrschende günstige Ertragslage der Firmen genährt.
•
Die Haushaltsfehlbeträge der öffentlichen Hand sind in den letzten Jahren deutlich gefallen.
Schätzungen für 2006 gehen von einem Fehlbetrag von nur noch 0,7% des BIP (2002: 2,6%)
aus. Da die Steuereinnahmen aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums reichlich flossen, dürfte
sich die Relation aus den laufenden Staatseinnahmen zu den entsprechenden –ausgaben und
mithin der staatliche Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Sparaufkommen erhöht haben.
Wie wird sich die Sparquote längerfristig entwickeln? Untenstehende Grafik zeigt die entsprechenden
Relationen der bereits weiter fortgeschritteneren asiatischen Schwellenländer Taiwan und Südkorea. Bei
beiden Staaten folgte einem anfänglichen Anstieg die spätere, graduelle Reduktion. Auch wenn deren
Kapitalbildung nie das Niveau der gegenwärtigen Sparrate Chinas erreichte, liegt es nahe, einen ähnlichen längerfristigen Verlauf für China anzunehmen. Mit zunehmendem Aufbau von sozialen Sicherungssystemen dürfte z.B. das „Angstsparen“ der Bevölkerung zurück gehen. Auch die anderen, oben aufgeführten Determinanten für eine hohe Ersparnisbildung, werden sich in ihrer Ausprägung eher „normalisieren“ und sprechen daher dafür, dass sie sich wieder in gemäßigtere Bereiche zurückziehen wird. Eine
niedrigere Kapitalbildung muss natürlich nicht zwangsläufig auf geringere Wachstumsraten hinauslaufen,
zumal sicher auch die Effizienz der Investitionen zunehmen wird. Andererseits gewinnt bei zunehmender
Reife einer Volkswirtschaft erfahrungsgemäß der Dienstleistungssektor, dessen Entwicklung weniger an
die Kapitalbildung gebunden ist, an Bedeutung. Dieser Aspekt unterstützt denn auch die These, dass
China mit einer graduell rückläufigen Sparquote dem Entwicklungsmuster Taiwans und Südkoreas folgen wird.
12
Gesamtwirtschaftliche Sparquoten (%)*)
55
China
50
Südkorea
45
Taiwan
40
35
30
25
20
04
20
06
e
20
02
20
00
19
98
19
96
19
94
19
92
19
90
19
88
19
86
19
84
19
82
19
80
20
*) Gesamtwirtschaftliche Ersparnisbildung in % des BIP
Quelle: Institute of International Finance, Internationaler Währungsfonds,
nationale Statistiken
e. Banken- und Finanzmarkt
Aufgrund der hohen Kapitalbildung kommt den Banken sowie dem Kapitalmarkt eine besonders wichtige
Rolle für die weitere Wirtschaftsentwicklung zu. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass hier die polarisierte, widersprüchliche Betrachtung Chinas mit am stärksten zur Geltung kommt. Unbestritten zählt die Finanzwirtschaft zu den schwächeren Sektoren. Die trotz verbesserter Rechnungslegungsvorschriften
immer noch weit verbreitete Intransparenz nährt daher Spekulationen, dass es – ähnlich wie in anderen
Schwellenländern beobachtet - zu einem Zusammenbruch des Finanzsystems kommen könnte, mit unübersehbaren Folgen für die Realwirtschaft. Andererseits drängen ausländische Großbanken wie in keinem anderen Schwellenland auf den großen, inländischen Markt. Aktienemissionen chinesischer Kreditinstitute sind in aller Regel mehrfach überzeichnet und die „Industrial and Commercial Bank of China
(ICBC)“ ist gemäß ihrer Marktkapitalisierung inzwischen die größte Bank der Welt.
Die Wahrheit zwischen diesen Extremen dürfte auch hier in der Mitte liegen. Wir kommen zu diesem
Schluss aufgrund folgender Aspekte:
•
Die nicht ordnungsgemäß bedienten Kredite (NPLs) sind in den letzten Jahren in Relation
zum ausstehenden gesamten Kreditvolumen kontinuierlich zurückgekommen und belaufen sich
derzeit auf gut 6 %5. Richtig ist, dass vor allem die rasch expandierende Kreditvergabe zu diesem
positiven Ergebnis, nicht aber eine absoluter Rückgang der NPLs beigetragen hat. Vor allem in
den Provinzen laufen nach wie vor problematische Darlehen auf, nicht zuletzt aufgrund direkter
oder indirekter Kreditlenkung durch die lokale Gebietskörperschaft. Hinzu kommt, dass eine besonders großzügige Kreditvergabepraxis zum Beispiel im Immobilienbereich bei einer bevorstehenden Wirtschaftsabkühlung leicht wieder zum sprunghaften Anstieg der NPLs führen kann.
Höhere Relationen der nicht bedienten Kredite als die oben erwähnte beziehen denn auch meistens jene Darlehen mit ein, die im Falle einer gravierenden Wachstumsabschwächung nicht be-
13
dient werden und haben damit eher Prognosecharakter6. Immerhin hat die Regierung in den vergangenen 10 Jahren erhebliche Mittel zur Rekapitalisierung der Kreditinstitute bereitgestellt.
•
Vor allem die in den großen Wirtschaftszentren tätigen Banken bemühen sich mit Erfolg, modernere Praktiken im Risikomanagement7, insbesondere bei der Analyse einzelner Engagements,
einzuführen. Die graduelle Abkühlung der Immobilienmärkte in einigen Großstädten wie Schanghai hilft den Banken, früher leichtfertig ausgereichte Kredite zu verdauen. Eine harte Landung der
Immobilienkonjunktur wäre für die Banken demgegenüber eine weit größere Herausforderung.
•
Der Banken- und Finanzmarkt ist extrem „nach außen“ abgeschottet. Nach wie vor lassen die
Devisen- und Kapitalvorschriften es nicht zu, dass die privaten Haushalte im großen Stil ihr
Kapital ins Ausland transferieren, wenn auch die Regierung mit kleinen Schritten versucht, die
Regelungen etwas zu liberalisieren. So gestattete sie kürzlich privaten Haushalten unter bestimmten Voraussetzungen, ausländische Aktien zu erwerben. Der nach außen abgeriegelte Finanzmarkt sowie staatliche Vorschriften über die Höhe der Depositen- und Kreditzinssätze (Zinsbänder) engen den Wettbewerb ein, zumal der Marktanteil der in China operativen Auslandsbanken insgesamt klein ist. Leidtragende sind die privaten Haushalte, die auf ihre Spareinlagen in
manchen Fällen nur eine negative reale Verzinsung erhalten.
•
Die Banken sind zudem das Opfer der Wechselkurspolitik. Um die Aufwertung des Renmimbi
zu bremsen, interveniert die Notenbank am Devisenmarkt und schöpft die dabei geschaffene inländische Liquidität durch die Emission sogenannter „Sterilisationspapiere“ wieder ab. Diese
niedrig verzinslichen Anleihen landen in den Bilanzen der Banken und engen ihre Kreditvergabe
an private Unternehmen ein.
•
Auch der chinesische Aktienmarkt befindet sich alles andere als im Gleichgewicht. Das mit derzeit über 50 extrem hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis am A-Share-Markt, der den Engagements inländischer Anleger vorbehalten ist, repräsentiert gewissermaßen den Anlagenotstand im Land.
Um einen höheren Ertrag als aus Bankdepositen zu erzielen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, Aktien von am A-Share-Markt notierten Firmen zu erwerben, trotz der dort unzureichenden Transparenz der gelisteten Firmen. Eine sehr hohe Nachfrage trifft hier auf ein sehr eingeschränktes
Angebot, da sich ein erheblicher Teil des Aktienkapitals der gelisteten Firmen noch in den Händen des Staates befindet. Die Devisenkontrollen bewirken, dass sich die Kurse am A-ShareMarkt jeglichem Zusammenhang mit den Notierungen an internationalen Börsen entziehen.
•
Bankenkrisen sind in Fernost keine Seltenheit. Sie werfen, Japan bildet hier sicher die Ausnahme, aber nicht notgedrungen die gesamte Volkswirtschaft aus der Bahn. Spekulationsblasen im
5
z.B.: Standard&Poors: Bank Industry Risk Analysis: China’s Banks Benefit From Strong Economic Conditions, But Corporate Governance Remains Weak, Oktober 2007, hier S. 2, www.ratingsdirect.com
6
Näheres hierzu: R. Podpiera: Progress in China’s Banking Sector Reform: Has Bank Behavior
Changed? IMF Working Paper, WP/06/71, S. 9ff
14
Aktien- und Immobilienbereich sind keine notwendige Voraussetzung für Bankprobleme. Beispielsweise waren es in Südkorea zu Anfang dieser Dekade vor allem über Kreditkarten ausgereichte Konsumentendarlehen, welche die Kreditinstitute in Schwierigkeiten brachten.
Depositen- und Kreditzinsen,
Inflationsrate (% )
Depositen
Kredite
07
05
03
01
99
97
95
93
91
89
87
30
25
20
15
10
5
0
-5
Inflationsrate
Quelle: Internationaler Währungsfonds
Kursentwicklung: Schanghai A-Share
und MSCI World
6000
5000
4000
3000
2000
1000
A-Share-Markt
07
06
05
04
03
02
01
00
99
98
97
0
MSCI World
Quelle: Bloomberg
Die Abschottung hat den Vorteil, dass es keine Kapitalflucht geben kann und damit auch systemischen
Finanzkrisen enge Grenzen gezogen sind. Ihr Nachteil ist eine mangelnde Effizienz des Finanzsystems,
die zulasten des Wirtschaftswachstums geht. Die Regierung dürfte die Devisenvorschriften und das gesamte Finanzsystem schrittweise, d.h. in den kommenden 5 bis 10 Jahren liberalisieren.
Eine in Relation zum verfügbaren Einkommen künftig wahrscheinlich rückläufige Ersparnisbildung der
privaten Haushalte könnte den Schluss nahe legen, dass auch in der längerfristigen Zukunft der Finanzsektor einen eher unterdurchschnittlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet. Allerdings gehörte
der Finanzbereich traditionell zu den am stärksten regulierten Branchen. Eine Liberalisierung, wie sie
bereits in Gang gekommen ist, sowie der mit ihr verbundene stärkere Wettbewerb kann hier besonders
starke Wachstumskräfte freisetzen, was folgende Aspekte untermauern:
15
•
Mehr Finanzinstrumente werden helfen, den gegenwärtigen Anlagenotstand zu entschärfen.
Dies wird die Wertschöpfung der Banken steigern.
•
Die Kreditvergabe wird mit der Implementierung moderner Methoden im Risikomanagement
künftig rationaleren Kriterien als in der Vergangenheit folgen.
•
Der Rückzug des Staates aus den sozialen Sicherungssystemen wird weiter anhalten. Private
Instrumente werden diese Lücke füllen. Besonderes Gewicht erhält die private Altersvorsorge,
auch wegen der ungünstigen demographischen Entwicklung.
Diese Argumente legen einen starken, überproportionalen Wachstumsbeitrag der Finanzwirtschaft
nahe. Er dürfte am kräftigsten innerhalb der nächsten 5-10 Jahren ausfallen und sich danach proportional
zum Wirtschaftswachstum entwickeln.
f. Weltmarkt
Mit einem Außenhandelsvolumen von über 2000 Mrd. US$ ist China derzeit die drittgrößte Handelsnation der Welt. Chinas Exportdynamik schlägt immer größere Wellen. Trotz des großen Binnenmarktes
sind die Exporte von 16 % 1990 auf knapp 40 % des BIP 2006 angestiegen. Dies spiegelt sich auch in
dem während dieser Phase von 2 auf 8 % gestiegenen Anteil des Landes am Welthandel wider. Bei diesem Tempo könnte China schon im nächstem Jahr die deutsche Wirtschaft als weltgrößten Exporteur
ablösen. Handels- und Leistungsbilanz weisen seit einigen Jahren sehr hohe Überschüsse auf. In diesem Jahr dürfte sich der Aktivsaldo in der Leistungsbilanz auf über 10 % des BIP belaufen. Hohe Leistungsbilanzüberschüsse und Kapitalzuflüsse der letzten Jahre führten zu einer deutlichen Aufstockung
der Devisenreserven. Mittlerweile besitzt das Land mit über 1300 Mrd. US$ die weltweit höchsten Währungsreserven.
Außenhandel in Mrd. US$
Export
2006
2004
2002
2000
1998
1996
1994
1992
1990
1300
1200
1100
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
Import
Quelle: Dresdner Bank, Institute of International Finance (IIF)
Hinter dem chinesischen Exportwunder stehen sicher viele Faktoren. Zu Anfang waren es ausschließlich
vor allem die niedrigen Löhne, welche eine kostengünstige Produktion arbeitsintensiver Erzeugnisse
16
ermöglichten. Bis Mitte der 90er Jahre beinhaltete das Exportsortiment überwiegend Textil- und Spielwaren sowie qualitativ wenig anspruchvolle elektrotechnische Erzeugnisse. In den letzten zehn Jahren profitierte die chinesische Exportindustrie von den hohen Investitionen multinationaler Firmen aus den
Nachbarländern, die zur Ausweitung der Exportkapazität vor allem für elektronische Güter führten. Dies
führte zwar zu einem verbreiterten Exportsortiment, die Wertschöpfungstiefe blieb allerdings in der Regel, wie bereits weiter oben beschrieben, niedrig. Zudem ermöglicht der umfangreiche Ausbau der Infrastruktur die Erschließung des Hinterlandes für die Exportindustrie.
Mehr als zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen kommen aus den asiatischen Nachbarländern,
was nicht nur die Export-, sondern auch die Importstruktur prägt. Immerhin stammten 2006 über 50 %
aller Importe Chinas aus den stärker industrialisierten fernöstlichen Volkswirtschaften.
Welthandelsanteile ( %)
14
12
10
8
6
4
2
0
1980
USA
1985
1990
Japan
1995
2000
2005
Deutschland
2006
2007s
China
Quelle: Internationaler Währungsfonds
Der bereits oben beschriebene typische Produktionsvorgang, also der Import von hochtechnologischen
Komponenten, deren Montage in China zum Gesamtprodukt sowie der anschließende Export prägt entscheidend die Regionalstruktur des Außenhandels. Im bilateralen Warenaustausch mit den Nachbarstaaten verzeichnet die Volksrepublik Defizite, mit den USA und Europa dagegen Überschüsse.
17
Exportdestination (in % des Gesamtexports)
100
80
60
40
20
0
1990
EU
1992
USA
1994
Asien
1996
1998
2000
2002
2004
2006
Rest
Quelle: Internationaler Währungsfonds
Seit 2000 verbucht China im Schnitt ein Exportwachstum von knapp 25 % pro Jahr. Wird diese hohe Exportdynamik künftig fortbestehen?
Die praktisch unbegrenzte Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte mit guter Arbeitsmoral macht China nach
wie vor zu einem günstigen Produktionsstandort. So beträgt der durchschnittliche Stundenlohn im
chinesischen Verarbeitenden Gewerbe (ca. 1,20 EUR) z.B. nur ein Zehntel desjenigen von Korea oder
Taiwan sowie ein Zwanzigstel desjenigen in Japan. Zwar steigen die Löhne zweistellig pro Jahr, aber die
Arbeitsproduktivität wächst ebenso schnell, sodass die chinesischen Hersteller die steigenden Arbeitskosten hierdurch auffangen können.
Importdestination (in % des Gesamtimports)
100
80
60
40
20
0
1990
EU
1992
USA
1994
Asien
1996
1998
2000
2002
2004
2006
Rest
Quelle: Internationaler Währungsfonds
18
Für die Regierung ist die Wechselkurspolitik ein entscheidendes Mittel, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft zu sichern. Der Renmimbi hat sich seit der offiziellen Aufgabe der Wechselkursbindung an den US-Dollar im Juli 2005 um 7 % gegenüber dem US-Dollar aufgewertet. Eine noch
deutlichere Höherbewertung der Währung verhinderte die Zentralbank durch massive Devisenmarktinterventionen. Allerdings wird der Druck aus den USA aufgrund des hohen Handelsbilanzüberschusses
Chinas weitererhalten bleiben. Auch die EU dürfte gegen das chinesische Wechselkursdumping künftig
entschiedener vorgehen. Protektionistische Maßnahmen, wie sie gegenwärtig bei Stahlimporten diskutiert werden, würden die chinesische Wirtschaft hart treffen. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen,
dass China in den kommenden Jahren eine stärkere Aufwertung seiner Währung zulässt. Dies wird aber
nur graduell vonstatten gehen. Ferner hat die chinesische Regierung bereits begonnen, die Steuervorteile
und sonstigen Begünstigungen für Exporteure abzubauen.
In der Vergangenheit fingen die Produzenten gestiegene Kosten auch durch niedrigere Gewinnmargen
auf, was die hohen Erträge auch gut zuließen. Der Exportpreis blieb damit unverändert und beeinträchtigte nicht das Exportvolumen. Nach jahrelanger Stagnation sind die Exportpreise seit letztem Jahr wieder
gestiegen. Sie befinden sich aber immer noch unter dem Niveau von 2003. Zudem können die Exportfirmen ihre Fabriken ins Hinterland verlegen, wo die Löhne im Vergleich zu den Küstenregionen deutlich
niedriger sind. Diese Flexibilität spricht dafür, dass die Exportwirtschaft zumindest in den kommenden
Jahren keine wettbewerblichen Einbußen hinnehmen muss. Längerfristig wird aber das Niedriglohnsegment der Exportwirtschaft teilweise nach Vietnam, Indonesien oder Indien abwandern.
Hinzu kommt, dass ausländische Direktinvestitionen in der Volksrepublik, die in den vergangenen
Jahrzehnten die Haupttriebfeder der chinesischen Exportwirtschaft darstellten, künftig an Dynamik verlieren werden. Schon seit geraumer Zeit sinken die Engagements in Relation zu BIP und Warenexport.
Stattdessen investieren chinesische Firmen nun verstärkt im Ausland, sicher auch ein Ergebnis des immens hohen Devisenüberschusses in China. In erster Linie sollen sie helfen, die Rohstoffe für die rasch
expandierende Wirtschaft zu sichern. Generell dienen chinesische Auslandsinvestitionen, weit stärker
als dies in anderen Ländern der Fall ist, strategischen Entwicklungszielen der gesamten Volkswirtschaft.
Alles in allem gehen wir zwar von zweistelligen jahresdurchschnittlichen Zuwachsraten der chinesischen
Exporte für die nächsten 15 Jahre aus. Die Export wird aber seine Katalysatorfunktion für das Wirtschaftswachstum zunehmend einbüßen. Diese Perspektive steht auch im Einklang mit der Strategie der
Regierung, den privaten Verbrauch zu fördern, um längerfristig ein zwischen Binnen- und Auslandsnachfrage besser ausbalanciertes Wirtschaftswachstum zu generieren.
19
Direktinvestitionen (in Mio. US$)
19
82
19
84
19
86
19
88
19
90
19
92
19
94
19
96
19
98
20
00
20
02
20
04
20
06
100000
80000
60000
40000
20000
0
-20000
-40000
Direktinv. in China (+)
chin. Direktinv. im Ausl. (-)
Ausländische Direktinvestitionen in China
in Rel. BIP (%)
06
20
04
02
20
00
20
98
20
96
19
94
19
92
19
90
19
88
19
86
19
19
84
19
19
82
35
30
25
20
15
10
5
0
in Rel. Warenexport (%)
Basisszenario: hohes, aber langsam sinkendes Wirtschaftswachstum
Das Wirtschaftswachstum in Asien folgt Entwicklungswellen. Die erste Welle ritt bekanntlich Japan,
dass mit extrem hoher Wachstumsdynamik in den 50 und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in die
Gruppe der Industrienationen vorstieß. Japans Erfolg veranlasste die sogenannten Tigerstaaten, die
Südkorea, Taiwan sowie Hongkong und Singapur umfassen, 2 Jahrzehnte später diesem Entwicklungsmuster zu folgen. Und schließlich machten sich nach einer weiteren Dekade Malaysia, Thailand und vor
allem China auf, die dritte Entwicklungswelle zu formieren. Die Erfolgsstory dieser Wellen gründet sich
trotz erheblicher struktureller Unterschiede der Volkswirtschaften immer auf eine starke Betonung der
Industrie, der Weltmarktorientierung sowie auf zunächst arbeitsintensive Produktionsprozesse, bei denen
die Staaten ihren Lohnkostenvorteil ausspielen können. Später nimmt dann mit steigenden Löhnen die
Kapitalintensität zu, der vor allem auch die hohe Kapitalbildung zugute kommt.
Untenstehendes Schaubild zeigt zunächst sehr hohe Wachstumsraten sowohl bei Japan, als auch im
Falle Taiwans und Südkoreas. Bei allen drei Ländern fällt aber die Wirtschaftsdynamik im Zeitverlauf, bei
Japan mit Abstand am stärksten, vor allem im Zuge der Immobilien- und Bankenkrise in der vergangenen
Dekade.
20
Reales Wirtschaftswachstum (in %, gl.
Fünfschahresdurchschn.)
14
Südkorea
12
Taiwan
Japan
10
8
6
4
2
06
04
02
00
98
96
94
92
90
88
86
84
82
80
78
76
74
72
70
68
66
0
Quelle: Internationaler Währungsfonds, nationale Statistiken
Kann man für China einen ähnlichen langfristigen Wirtschaftsverlauf unterstellen? Zunächst fügt sich
China gut in das Wellenmuster ein, nur dass hier mehrere Entwicklungswellen gleichzeitig laufen. In
den urbanen Zentren an der Ostküste, welche die Keimzelle des chinesischen Aufschwungs präsentieren, ist die Umstellung auf kapitalintensive Produktion entweder bereits geschafft oder noch in vollem
Gang. Die arbeitsintensive Produktion rückt daher – wie auch schon weiter oben beschrieben - in die
Zentren der noch weniger entwickelten Regionen, also in die Mandschurei sowie nach Zentralchina vor.
Eine dritte Welle wird wahrscheinlich die mehr ländlich strukturierten, gegenwärtig noch stark von der
Agrarwirtschaft dominierten Provinzen künftig erfassen. Der sehr wachstumsfördernde Prozess, dass
man immer mehr Menschen in die Marktwirtschaft einbezieht, dürfte also China aufgrund seiner Größe
länger als beispielsweise Südkorea und Taiwan erhalten bleiben.
Gleichwohl werden künftige Entwicklungswellen zunehmend weniger wachstumsintensiv verlaufen, als
jene, welche die Volksrepublik bereits durchlaufen hat oder gegenwärtig durchläuft. Hohe Wachstumsraten beobachtet man praktisch in allen Schwellenländern vor allem in urbanen Zentren, die aber auch in
China zumindest größtenteils schon marktwirtschaftlich erschlossen sind. In den ländlichen Regionen
werden die Wachstumsbeiträge künftig eher niedriger ausfallen, auch deshalb weil durch die Wanderarbeiter zumindest ein Teil des dortigen Erwerbspersonenpotenzials bereits heute in Fabriken und Baustellen der boomenden Zentren arbeitet. Dies spricht für zunächst hohes, gegen Ende der Projektionsperiode
aber etwas abflachendes Wirtschaftswachstum.
Auch die anderen, im vorderen Teil der Studie behandelten Wachstumsfaktoren sprechen für ein derartiges Szenario: Untenstehende Tabelle zeigt klar, dass hiervon in den nächsten 5 Jahren eher positive
Impulse auf das reale Wirtschaftswachstum ausgehen werden. Für die sich daran anschließende Phase
von 2013 bis 2022 dürften sich die Faktoren negativ oder neutral auswirken. Lediglich die Bildung wird
mit den ihr verbundenen Produktivitätsschüben, isoliert betrachtet, das Wachstumspotenzial in die Höhe
schrauben.
21
Basisszenario: Langfristprognose reales
Wachstumsfaktoren
Auswirkungen auf die Zunahme des realen BIP (+: positive, -: negative Einflußnahme, O: neutral)
2008-2012
2013-2022
Migration Arbeit und Kapital - Entwicklungswellen
+
-
Kapitalbildung
+
-
Wirtschaftspolitik
+
O
Demographie
O
-
Bildung
+
+
Umwelt
O
-
Banken/Finanzmarkt
+
O
Weltmarkt
O
-
Wirtschaftswachstum China in %
Ist-Wert 2006
11,1
Schätzung 2007
11,5
Prognose 2008
10,5
Prognose 2009-2012 jahresdurchschn.
9,0
Prognose 2013-2022 jahresdurchschn.
7,0
Innerhalb des oben skizzierten Szenarios gehen wir also von weiterhin hohen, aber doch abnehmenden
Zuwachsraten des realen BIPs aus. Je weiter die Wirtschaftsentwicklung voranschreitet, umso verhaltener fällt die Produktionsausweitung aus. Die Angaben für die Jahre 2009 bis 2012 und von 2013 bis
2022 spiegeln jahresdurchschnittliche Raten, also gewissermaßen das Trendwachstum wider. Kräftige
Schwankungen in der Wachstumsdynamik innerhalb dieser Zeitphasen kann man natürlich nicht ausschließen.
Legt man die BIP-Prognose des Basisszenario zugrunde, so wird unter den unten beschriebenen Annahmen der Projektion die Volksrepublik ihr Bruttoinlandsprodukt zu laufenden Preisen und Wechselkursen berechnet, bis 2022 gegenüber 2006 um mehr als das 7-fache steigern. China wird am Ende des
Projektionszeitraumes fast die Wirtschaftsleistung des Euro-Raums erreichen und vor Japan die größte fernöstliche Wirtschaftsmacht darstellen. Nach wie vor wird freilich das Pro-Kopf-Einkommen nur
ein Bruchteil von demjenigen der großen Wirtschaftsblöcke der entwickelten Volkswirtschaften ausmachen.
22
Bruttoinlandsprodukt (nominal, in Mrd. US $)
30000
25000
20000
15000
10000
5000
0
China
2006
USA
EWU
Japan
2022 Projektion
Basisszenario: Annahmen
China: In die Projektion des in US-Dollar ausgedrückten nominalen Bruttoinlandsproduktes fließen außer
der realen Wachstumsrate noch andere Parameter ein. Als Deflator haben wir für 2007 und 2008 unsere
Schätzung der Inflationsrate aus den laufenden Publikationen von Allianz Dresdner Economic Research
in Höhe von 4 bzw. 3,5 % verwendet. Dieses Vorgehen halten wir in Anbetracht des engen Zusammenhangs von Konsumentenpreiszunahme und Deflator des Bruttoinlandsprodukts in der Vergangenheit für
gerechtfertigt. Für 2007 gehen wir zudem von einer jahresdurchschnittlichen Aufwertung des Renmimbi
gegenüber dem US-Dollar von 5 %, für 2008 von 4,6 % aus. Die relativ starke Wechselkursbewegung
ergibt sich teilweise auch aus der Aufwertung des Euro und Yen, die sich ebenfalls im Währungskorb der
chinesischen Währung befinden, gegenüber dem US-Dollar. Für die sich anschließende Phase 20092022 haben wir einen jahresdurchschnittlichen Deflator von 3 % in die Projektion eingestellt. Zum Vergleich: in den Jahren 1992 bis 2006 stiegen die Preise pro Jahr im Schnitt um 5,5 %. Diese sehr hohe
Rate war aber auch das Resultat der zu Anfang der 90er Jahre noch sehr hohen Inflationsraten gewesen.
In den Jahren 2009 bis 2012 dürfte der Renmimbi um 3 % p.a. und danach, bis 2022 um 2% p.a. gegenüber dem US-Dollar aufwerten. Hieraus resultiert zwar eine nicht unbeträchtliche reale Aufwertung der
chinesischen Währung. Die hohen Produktivitätszunahmen dürften aber die damit verbundenen Einbußen an internationaler Wettbewerbsfähigkeit in engen Grenzen halten bzw. kompensieren.
USA: Für die gesamte Phase von 2007 bis 2012 unterstellen wir ein reales Wirtschaftswachstum von 2,4
% pro Jahr. Dies fällt um einen dreiviertel Prozentpunkt niedriger aus als die vergleichbare Zunahme in
der Phase 1992-2006, die aber auch eine im historischen Vergleich außerordentlich starke Boomperiode
war. Die Zunahme des realen BIP nährt sich auch durch die jährliche Expansion des Erwerbspersonenpotenzials um ungefähr 1 %. Als jahresdurchschnittlichen Deflator haben wir für 2007-2022 eine Rate von
2,5 % eingestellt, die leicht über dem entsprechenden Wert der vergangenen 15 Jahre (2,2 %) liegt.
EWU: Künftige Erweiterungen der Wirtschafts- und Währungsunion bleiben in der Projektion unberücksichtigt. Für 2007 bis 2022 gehen wir von einem jahresdurchschnittlichen realen Wirtschaftswachstum
von 2 % (1992-2006: 1,8 %) sowie einem entsprechenden Deflator von 2,5 % (1998-2006: 2,6 %) aus.
Wir haben in die Projektionen einen stabilen Wechselkurs des Euro zum US-Dollar eingestellt.
Japan: Wir gehen hier von einem jahresdurchschnittlichen realen Wirtschaftswachstum von 2 % sowie
einen entsprechenden Deflator von 1 % aus. Auch hier unterstellen wir einen konstanten Wechselkurs
des Yen zum US-Dollar über die Projektionsphase
23
Wir messen dem Basisszenario eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 80 % bei. Daneben gibt es natürlich noch viele andere Möglichkeiten, wie sich die chinesische Volkswirtschaft langfristig entwickeln kann.
Die Wahrscheinlichkeit eines signifikant höheren Wirtschaftswachstums ist unseres Erachtens geringer
ausfallen, als jene einer deutlichen Wachstumsreduktion. Das „downside risk“ überwiegt demnach das
„upside potential“. Gegen externe Schocks, wie eine Rezession in den USA, ist auch China nicht gefeit.
Ebenso können aber auch sozioökonomische Verwerfungen in dem von erheblichen Gegensätzen geprägten Land die Wirtschaftsentwicklung nachhaltig beeinträchtigen.
Sollte das Wirtschaftswachstum für mehrere, aufeinander folgende Jahre auf Werte unter 6-7 % fallen,
wäre China von einer Massenarbeitslosigkeit bedroht. Denn dann könnte die boomende exportorientierte
Industrie nicht mehr die in den staatseigenen Betrieben und der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte
aufnehmen, was zu zunehmender Erwerbslosigkeit auch in den urbanen Zentren, weit verbreiteten Protesten bis hin zu massiven Unruhen führen kann. Wie in der Vergangenheit würde die Regierung hierauf
zunächst mit zusätzlichen Investitionsausgaben, bei ausbleibender Wirkung aber mit politischer Härte
und einer Einschränkung der Freiheiten reagieren. Die damit verbundene größere internationale Isolation
würde es dem Land dann noch zusätzlich erschweren, zur Wachstumsdynamik vergangener Jahre zurückzukehren.
Aber so weit muss und wird es auch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kommen. Mit dem in unserem
Szenario dargelegten Wachstumspfad dürften viele strukturelle Änderungen in China einher gehen.
Der Private Verbrauch wird mehr als die Investitionen und der Export zulegen können, so dass die Binnennachfrage an Dynamik gewinnen dürfte. Mit anziehendem Konsum werden aber auch die Importe
kräftiger steigen und der hohe Überschuss in der Leistungsbilanz langsam abschmelzen. Da gleichzeitig
die Investitionen Chinas im Ausland Auftrieb erhalten, ist es auch naheliegend, dass sich die gegenwärtig
exorbitant hohen Devisenreserven in Relation zum Import und anderen Schlüsselfaktoren auf ein normaleres Maß zurück bilden. Von der Verankerung stabiler Rahmenbedingungen, z.B. von Corporate Governance Prinzipien, wird u.a. der Finanzmarkt profitieren und an internationaler Wettbewerbsfähigkeit
gewinnen. Dieses wird es wiederum der Regierung ermöglichen, die strengen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen zu liberalisieren. Die außenwirtschaftliche Öffnung des Landes, die sich bislang vor allem
auf den Warenhandel sowie die Direktinvestitionen erstreckte, wird damit auch den Kapitalverkehr mit
dem Ausland erfassen.
Bedroht der Aufstieg Chinas zur drittstärksten Wirtschaftsmacht die Menschen in den Industrieländern?
Nicht notwendigerweise. Schon heute sind die mit dem Aufstieg Chinas verbundenen Ängste oft überzeichnet. Man befürchtet in den entwickelten Staaten eine Erosion der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, eine Abwanderung ganzer Industriezweige sowie einen damit verbundenen Verlust an Arbeitsplätzen. Zudem sieht man die Volksrepublik zunehmend als Konkurrent bei der Nachfrage nach Rohwaren
bzw. als Treiber von Rohstoffpreisen. Man übersieht dabei, dass gerade die Konsumenten in den Industriestaaten durch die preiswerten in China gefertigten Waren erhebliche Wohlstandsgewinne verbuchen.
24
Diese sind Ausdruck der internationalen Arbeitsteilung, die Chinas Aufstieg weiter voran treiben wird und
von der schließlich alle profitieren können. Ängste, wie auch die eingangs erwähnte polarisierte Betrachtung des Landes, sind vor allem aber auch das Ergebnis von Intransparenz, die es im Wirtschaftsleben
der Volksrepublik in nicht zu knapper Form gegeben hat und immer noch gibt. Sie spiegelt das duale
Wirtschaftssystem wider, bei dem man oft nicht abschätzen kann, ob nun die alte Planwirtschaft, also die
Politik, oder aber marktwirtschaftliche Prinzipien die Marschrichtung vorgeben. Auch wenn uns diese
Problematik in der noch ferneren Zukunft begleiten wird, so ist doch anzunehmen, dass China auf dem
marktwirtschaftlichem Weg weiter voranschreitet, die Intransparenz zurück geht und sich damit die mit ihr
verbundenen Ängste im Ausland etwas abbauen dürften. In die gleiche Richtung wirkt der Aufbau von
zunehmend politisch unabhängigen, stabilen marktwirtschaftlichen Institutionen und Rahmenbedingungen in der Volksrepublik, an denen die Regierung schon seit längerem arbeitet sowie die steigenden Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen im Ausland. Die zunehmende Kapitalverflechtung sorgt für
mehr gleichgerichtete Interessen von Kapitalgebern und der Wirtschaft des Empfängerlandes. Sie wirkt
damit politischen Alleingängen und einer Isolation Chinas entgegen.
25
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen