Hans Jörg Walter Psychoanalyse und Universität Psychoanalyse und Universität – drei Worte die auf einen spannungsvollen Bedeutungszusammenhang verweisen. Einige davon sollen in diesem Aufsatz erfasst werden. Dabei soll das Institut für Erziehungswissenschaften als Fallbeispiel dienen – ein Institut mit einer ungewöhnlichen Positionierung der Psychoanalyse, die vor allem auch dem Einsatz von Helmwart Hierdeis für die psychoanalytische Sache zu danken ist. Mit dem Verlangen der Psychoanalyse nach der Anerkennung durch die Universität1 will ich beginnen, nicht in einer systematischen Erörterung, sondern mit einer Episode im Leben Sigmund Freuds, in der dieser Wunsch aufleuchtet. Jones erzählt von der Überreichung einer Medaille zu Freuds fünfzigstem Geburtstag: Im Jahre 1906 schenkte ihm die kleine Gruppe seiner Anhänger in Wien zu seinem fünfzigsten Geburtstag eine Medaille, entworfen von Karl Maria Schwerdtner, einem bekannten Bildhauer, das auf der Vorderseite Freuds Profil in Basrelief und auf der Rückseite eine griechische Zeichnung des Ödipus vor der Sphinx zeigt. Diese Zeichnung ist umrahmt von einem Vers aus ‘König Ödipus’ von Sophokles: ‘Der das berühmte Rätsel löste und ein gar mächtiger Mann war...’ Bei der Überreichung der Medaille ereignete sich ein merkwürdiger Zwischenfall. Als Freud die Inschrift las, wurde er blaß, unruhig und fragte mit erstickter Stimme, wer diese Idee gehabt habe. Er benahm sich wie ein Mensch, dem ein Geist erschienen ist, und so war es auch. Nachdem ihm Federn gesagt hatte, er sei es gewesen, enthüllte er ihnen den Grund seines Verhaltens: Als junger Student sei er einmal um die großen Arkaden der Wiener Universität herumgegangen und habe die Büsten früherer berühmter Professoren betrachtet. Damals habe er sich in der Phantasie ausgemalt, daß dort seine künftige Büste stände, was an sich für einen ehrgeizigen Studenten noch nichts Besonderes gewesen wäre - aber auch, daß darunter eben gerade diese Worte graviert seien, die er nun auf der Medaille vor sich sehe. Vor gar nicht langer Zeit konnte ich nun seinen Jugendtraum verwirklichen, als ich der Universität Wien Freuds Büste übergab, die der Bildhauer Königsberger 1921 gemacht hatte 1 Dass umgekehrt auch ein Verlangen der universitären Psychoanalyse nach Anerkennung durch die psychoanalytischen Vereinigungen besteht, will ich hinzufügen. 2 und auf der jene Zeile von Sophokles eingraviert wurde. Die feierliche Enthüllung fand am 4. Februar 1955 statt. Es ist dies ein sehr seltenes Beispiel für einen Fall, bei dem der Tagtraum eines Jünglings sich in allen Einzelheiten verwirklichte, wenn auch achtzig Jahre dazu nötig waren. (Jones 2, 1962, 27f.) Dazu kann auch noch Freuds Wunsch einfallen, „endlich einmal Professor extraordinarius zu werden“, von dem er in der ‘Traumdeutung’ schreibt (St.A.II, 534) oder an die Anrede ‘Herr Professor’, die unter den Psychoanalytikern für Freud dann selbstverständlich war. Aber wenden wir uns den Texten zu, in denen Freud vom Verhältnis der Psychoanalyse zur Universität schreibt. In der Schrift ‘Das Interesse an der Psychoanalyse’ (1913) stellt Freud den interdisziplinären Bezug der Psychoanalyse dar. Dabei betont er, dass es nicht so sehr die Psychoanalyse als Psychotherapie ist, woraus das Interesse anderer Wissenschaften an der Psychoanalyse entstanden ist oder entstehen wird. Mit der ‚Traumdeutung’ hat die Psychoanalyse ein neues Verständnis menschlichen Erlebens, Denkens und Handelns eröffnet, das vor allem für die Psychologie von Bedeutung ist. Im zweiten Teil fasst Freud die anderen Wissenschaften zusammen, für die die Psychoanalyse von Interesse sein kann: die Sprachwissenschaft, die Philosophie, die Biologie, die Evolutionstheorie, die Kulturgeschichte, die Kunstwissenschaft, die Soziologie und die Pädagogik. Für Freud ist es vor allem die psychoanalytische Denkweise, die sich in diesem interdisziplinären Austausch als fruchtbar erweisen kann. „Die psychoanalytische Denkweise benimmt sich dabei wie ein neues Instrument der Forschung“ (G.W.VIII, 414). Ausdrücklich mit dem Bezug von Psychoanalyse und Universität befasst sich Freud dann in einem kurzen Text mit dem Titel ‘Soll die Psychoanalyse an den Universitäten gelehrt werden?’ (1919). Freud schrieb diesen Text wahrscheinlich im Herbst 1918, ungefähr zur Zeit des fünften Internationalen Psychoanalytischen Kongresses in Budapest. Die Budapester Medizinstudenten demonstrierten damals für Aufnahme der Psychoanalyse in den Lehrplan.2 Freud betrachtet die Frage von der Seite der Psychoanalyse und von der Seite der Universität. 2 Auch Ende der 60iger, Anfang der 70iger Jahre waren es die Studenten, die die Aufnahme der Psychoanalyse in die universitäre Lehre und Forschung durchgesetzt haben – und auch heute ist es mancherorts das studentische Interesse, das die Psychoanalyse mit mehr oder weniger Erfolg an der Universität hält. (Vgl. Bickel, N. 2001) 3 Die Aufnahme der Psychoanalyse in den akademischen Lehrplan wertet er positiv, fügt aber gleich hinzu, dass damit keine Abhängigkeit des Psychoanalytikers von der Universität gemeint sei. Er stellt sich offensichtlich vor, dass Psychoanalytiker, die ihre wissenschaftliche Kompetenz am außeruniversitären psychoanalytischen Institut erworben haben, an der Universität lehrend wirken. ‘Keine Abhängigkeit von der Universität’, darin verbergen sich wohl Gedanken über das Verhältnis der universitären Organisation zur Art der Vermittlung und Aneignung der Psychoanalyse, sie werden hier aber von Freud nicht entfaltet. Aber so notwendig scheint die Trennung der Institutionen doch wieder nicht zu sein, denn er sagt dann: Die psychoanalytischen Organisationen ihrerseits verdanken ihre Existenz gerade dem Ausschluß aus dem Universitätsbetrieb und werden fortfahren, eine wichtige Ausbildungsfunktion zu erfüllen, solange dieser Ausschluß bestehen bleibt. (G.W. Nachtrag) „Solange dieser Ausschluß bestehen bleibt“ - wenn die Psychoanalyse an der Universität Anerkennung findet, schwindet dann die Notwendigkeit der Trennung? Bekundet die Universität andererseits Interesse an der Psychoanalyse, fährt Freud fort, dann folgt daraus die weitere Frage, wo in den Studienrichtungen die Psychoanalyse einen Platz erhalten und auf welche Weise sie gelehrt werden soll. Freud knüpft hier bei seinen Erfahrungen mit Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse für Hörer aus verschiedenen Studienrichtungen an. Nach einer Einführung in die Psychoanalyse, so sein Entwurf, folgen spezielle Lehrveranstaltungen, die sich an alle Medizinstudenten, und dann noch besondere, die sich an Ärzte in der psychiatrischen Ausbildung wenden. Da die Psychoanalyse aber nicht auf den Bereich der psychischen Störungen begrenzt ist, kommen in einer Einführung in die Psychoanalyse auch alle die Wissenschaftsfelder zur Sprache, zu denen die Psychoanalyse Erkenntnisse beigetragen hat. Freud erinnert an die psychoanalytischen Studien zur Kunst, zur Philosophie, zur Religion etc. Der Psychoanalytiker als Hochschullehrer repräsentiert so Interdisziplinarität, und dies, meint Freud, kann für die Universität nur von Nutzen sein. Die Lehre der Psychoanalyse an der Universität kann in den bestehenden Verhältnissen nur „in dogmatischer Form vor sich gehen“ (G.W. Nachtrag), sofern nicht psychoanalytischpsychotherapeutische Einrichtungen an der Universität geschaffen werden. Eine volle Ausbildung zum Psychoanalytiker kann sich Freud an der Universität jedoch nicht vorstellen. 4 Neue Ansätze bringt die dritte Schrift, die einen für mich wichtigen Bezugstext darstellt: ‘Die Frage der Laienanalyse’ (1926). Die Distanz von der Universität wird verringert, aus einer einseitigen Befruchtung wird eine wechselseitige Bereicherung, und damit in Verbindung wird der Stellenwert der therapeutischen Psychoanalyse verschoben. Wenn man, was heute noch phantastisch klingen mag, eine psychoanalytische Hochschule zu gründen hätte, so müßte an dieser vieles gelehrt werden, was auch die medizinische Fakultät lehrt: neben der Tiefenpsychologie, die immer das Hauptstück bleiben würde, eine Einführung in die Biologie, in möglichst großem Umfang die Kunde vom Sexualleben, eine Bekanntheit mit den Krankheitsbildern der Psychiatrie. Andererseits würde der analytische Unterricht auch Fächer umfassen, die dem Arzt ferneliegen und mit denen er in seiner Tätigkeit nicht zusammenkommt: Kulturgeschichte, Mythologie, Religionspsychologie und Literaturwissenschaft. Ohne eine gute Orientierung auf diesen Gebieten steht der Analytiker einem großen Teil seines Materials verständnislos gegenüber. Dafür kann er die Hauptmasse dessen, was die medizinische Schule lehrt, für seine Zwecke nicht gebrauchen. (St.A.Erg., 336f.) Wir halten es nämlich gar nicht für wünschenswert, daß die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde und dann ihre endgültige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde, im Kapitel Therapie, neben Verfahren wie hypnotische Suggestion, Autosuggestion, Persuasion, die, aus unserer Unwissenheit geschöpft, ihre kurzlebigen Wirkungen der Trägheit und Feigheit der Menschenmassen danken. Sie verdient ein besseres Schicksal und wird es hoffentlich haben. Als ‘Tiefenpsychologie’, Lehre vom seelisch Unbewußten, kann sie all den Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen. Ich meine, sie hat diesen Wissenschaften schon bis jetzt ansehnliche Hilfe zur Lösung ihrer Probleme geleistet, aber dies sind nur kleine Beiträge im Vergleich zu dem, was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfügung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben. Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen; vielleicht wird die Zukunft zeigen, daß sie nicht die wichtigste ist. (St.A.Erg., 338) Indem die Bedeutung der psychotherapeutischen Psychoanalyse eingeschränkt wird, wird die Aufmerksamkeit auf die sozialwissenschaftliche, literaturwissenschaftliche, religionswissenschaftliche Psychoanalyse und auf die anderen Wissenschaftsdisziplinen 5 gelenkt, in denen eine psychoanalytische Variante dieser Wissenschaften entwickelt werden kann. Für eine solche Entwicklung ist es aber notwendig, „das ... zur Verfügung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben“. Auch wenn die Erfahrung der Psychoanalyse in der „Kur“ einen wichtigen Zugang zur psychoanalytischen Denk- und Erfahrungsweise auch für die Vertreter dieser Wissenschaften darstellt, so werden in der von Freud gewählten Formulierung noch weitere Zugänge zur psychoanalytischen Erfahrung angezeigt, die einen Transfer des psychoanalytischen „Forschungsmittels“ eröffnen. Im Anschluss an Jean Laplanche will ich diese Hinweise Freuds entfalten und mit Bezug zu den am eigenen Institut entwickelten Zugängen erörtern. – Aber zunächst soll die Entwicklung der ‚psychoanalytischen Erziehungswissenschaft’ an diesem Institut beschrieben werden. Auch am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck war es Anfang der 70iger Jahre – so wie an anderen deutschsprachigen Universitäten – dass die Psychoanalyse in das universitäre Programm aufgenommen wurde. In erster Linie war es die Berufung von Horst Rumpf, die die psychoanalytische Tradition an diesem Institut begründet hat – ohne die Hintergrundswirkung der Studentenbewegung in Abrede stellen zu wollen. Mit Rumpf ist jemand an das Institut gekommen, der mit dem Sigmund Freud-Institut in Frankfurt in Verbindung stand, insbesondere mit Klaus Horn – sowohl fachlich als auch persönlich. Horst Rumpf hat ganz selbstverständlich die Psychoanalyse als etwas für die Erziehungswissenschaft Bedeutsames vertreten. Neben Klaus Horn war es dann insbesondere Alfred Lorenzer, dessen Schriften als grundlegend auch für die Erziehungswissenschaft vertreten wurden. Die Akzeptanz der Psychoanalyse zeigte sich in der Lehre und in der Forschung. Sie kam aber auch darin zum Ausdruck, dass Hans Jörg Walter mit der Unterstützung von Horst Rumpf, und auch des zweiten Professors Rudolf Weiss, die Weiterbildung zum Psychoanalytiker begann – und dies gefördert durch ein Stipendium des Wissenschaftsministeriums. Man könnte sagen, dass es zwei Schienen waren, auf denen sich die Psychoanalyse in der Erziehungswissenschaft hier fortbewegt hat: Einmal die Psychoanalytische Pädagogik – eine Wiederaufnahme dieses Zweiges der Psychoanalytischen Bewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die antiautoritären Bewegung im Rahmen der Studentenbewegung hat 6 sicher wesentlich dazu beigetragen. Und dann, im Anschluss an Freuds Programm, die Psychoanalyse jenseits des klinischen Feldes zu entwickeln, und auch auf der Grundlage der Arbeiten von Alfred Lorenzer das Projekt, die Psychoanalyse als Sozialwissenschaft in Theorie und Methode voranzubringen. Die erste Psychoanalyse-Lehrveranstaltung im Sommersemester 1973 war dem Thema „Psychoanalyse und Erziehung“ gewidmet. Nach und nach war es möglich, die Psychoanalyse im Studienplan zu positionieren, die Psychoanalyse als wesentlichen Zweig der Erziehungswissenschaft kenntlich zu machen. Einen Sprung in dieser Entwicklung war dann die Ausbildung von Helmwart Hierdeis zum Psychoanalytiker und der Transfer von Josef Aigner an das Institut. Als Ausdruck dieser wachsenden Verbindung von Psychoanalyse und Erziehungswissenschaft ist es wohl auch zu sehen, dass Hans Jörg Walter 1989 die Lehrbefugnis für ‚Erziehungswissenschaft einschließlich Psychoanalyse’ erteilt wurde. Neben diesen Institutsmitgliedern habe für die Entwicklung der Psychoanalyse am Institut auch besondere Bedeutung Edith Seifert (Berlin), seit Jahren Lehrbeauftragte und auch Gastprofessorin am Institut, Lacan’sche Psychoanalytikerin, Herbert Bickel, der nicht nur in der Lehre, sondern besonders auch in der konzeptuellen Arbeit wesentlich zur Entwicklung beigetragen hat, und Paul Kennedy, der neben anderem regelmäßig eine Einführung in die Analytische Psychologie anbietet. Im Studienplan hat die Psychoanalyse gegenwärtig die folgende Gestalt: Im Rahmen der Einführung in die Grundkonzepte sozial- und kulturwissenschaftlicher Theoriebereiche im 1. Studienabschnitt, wo unter Bezugnahme auf zentrale Konzepte der Analyse sozialer Wirklichkeit wie ‚Geschlecht’, ‚Psyche’, ‚Bewusstsein’, ‚Unbewusstes’, ‚Mythen’, ‚Erziehung’, ‚Entwicklung’, ‚Sozialisation’, ‚Wissen’ usw. in die Grundkonzepte sozial- und kulturwissenschaftlicher Theoriebereiche eingeführt werden soll, wird auch eine Einführung in die Psychoanalyse angeboten3 Zielvorstellung: Die Psychoanalyse Sigmund Freuds stellt für die Human- und Sozialwissenschaften eine unverzichtbare Grundlage dar, wobei in der Geschichte gerade die Pädagogik einen bedeutenden Platz einnahm. Deshalb sollen die Grundlagen der Lehre vom Unbewussten und seiner Bedeutung für die Entwicklung des Einzelnen wie der Gesellschaft, eine sozialkritische Einführung in das Verständnis seelischen Leidens sowie eine 3 die anderen Bereiche sind der gesellschaftstheoretische, der historisch-anthropologische, der feministische, der system- und entwicklungstheoretische und der konstruktivistische und interaktionistische. 7 Auseinandersetzung mit anderen grundlegenden Konzepten der Psychoanalyse bzw. der aus ihr hervorgehenden theoretischen Verzweigungen und Schulen (Triebtheorie, Traumlehre, Kulturtheorie, Selbstpsychologie u.a.m.) vermittelt werden. Diese sozial- und kulturwissenschaftlichen Grundlagen werden unter anwendungsorientierten, erkenntnistheoretischen und intertheoretischen Aspekten weiter entfaltet. In einem weiteren Teil der Studien im ersten Studienabschnitt, den ‚Grundfragen der Wissenschaftsforschung, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftskritik’ sowie der ‚Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten’ wird die psychoanalytische curriculare Linie fortgeführt. Im zweiten Studienabschnitt fächert sich das Studium in Studienzweige auf, einer davon ist die ‚Psychoanalytische Erziehungswissenschaft’.4 Zielvorstellung: Der Studienzweig soll die Möglichkeit bieten, sich intertheoretisch akademischen oder alltagssituativen Frage- und Problemstellungen zu widmen, im Bereich der Universität transdisziplinäre Kooperation zu suchen und zugleich den universitären Diskurs in alltagstauglicher Manier für außeruniversitäre Zielgruppen bzw. interessierte Laien zu öffnen. Zugleich will der Studienzweig Praxismöglichkeiten im Sinne diskursiver Betätigungs- bzw. Trainingsfelder bereitstellen, um nach und nach eine Diskurskultur zu entwickeln und die Idee einer diskursiven Erziehungswissenschaft bzw. einer Psychoanalyse als Diskurs zu forcieren. Die Aneignung grundlegender Kompetenzen im Bereich intertheoretischer transdisziplinärer diskursorientierter Praxis kann durch gemeinsame Planung, Organisation und Koordination von Veranstaltungen erfolgen, die in mehrfacher Weise Grenzen zu überschreiten versuchen: Grenzen zwischen Theorien; zwischen Disziplinen; zwischen Wissenschaft, Kunst und Poesie; zwischen Universität und außeruniversitärer Öffentlichkeit. Psychoanalytische Kompetenz beruht auf erfahrungsgestützten Kenntnissen in folgenden Bereichen: Psychoanalytisches Basiswissen: Grundlagen psychoanalytischer Erkenntnistheorie und psychoanalytischer Theoriebildung; Vokabular der Psychoanalyse; Psychoanalytische Theorie: Kenntnis divergierender psychoanalytischer Positionen; des psychoanalytischen Diskurses; der Eigenart psychoanalytischer Sprache; psychoanalytischer Techniken zur Annäherung an psychoanalytische Theorie; 4 Erziehung – Generation – Lebenslauf, Kritische Geschlechter- und Sozialforschung, Integrative Pädagogik / Psychosoziale Arbeit, Beratung und Grundlagen der Psychotherapie sowie Medienpädagogik und Kommunikationskultur sind die anderen Studienzweige. 8 Psychoanalytische Forschung: Kenntnis unterschiedlicher Konzepte psychoanalytischer Kulturforschung; psychoanalytischer Sozialforschung; ethnopsychoanalytischer Forschung; psychoanalytischer Methodologie; Psychoanalytische Methode: Praxis psychoanalytischer Aufmerksamkeit; psychoanalytischer Wahrnehmung; psychoanalytischen Verstehens; psychoanalytischen Handelns; psychoanalytischer Haltung; Psychoanalytische Publikation: Kenntnis formaler Richtlinien wissenschaftlicher Textproduktion Erfahrung mit poetisch-wissenschaftlicher Textproduktion; Erfahrung psychoanalytisch-wissenschaftlicher Diskurspraxis. Didaktische Arrangements enthalten in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen von Selbsterfahrung und Theorieaneignung. Abgesehen vom Erwerb übergreifender, d.h. sozialer, emotionaler, intellektueller, kreativer Kompetenz und der Aneignung sog. Schlüsselqualifikationen ist an konkrete Berufsperspektiven in folgenden Berufsfeldern zu denken: Akademischer Bereich: Kulturforschung Sozialforschung Forschungssupervision Pädagogischer Bereich: Sozialpädagogische Berufe; Beratung; Coaching; Supervision Kultureller Bereich: Kulturvermittlung; Kulturmanagement Psychotherapeutischer Bereich: Grundlagen der Psychotherapie Der Studienzweig setzt sich aus 5 Modulen zusammen: Modul 1 ist der Einführung gewidmet und hat zum Thema die ,Geschichte und Gegenwart der Psychoanalyse’. Das Modul soll einen grundlegenden Überblick über Psychoanalytische Institutionen und psychoanalytische Konzepte bzw. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte im historischen Längs- und geographischen Querschnitt schaffen. Eine besondere Aufmerksamkeit ist auf die Frage der Orthodoxie und Dissidenz und somit auf jene psychoanalytischen Traditionen gelenkt, die in Vergessenheit geraten sind. Dies trifft auch und in besonderem Maße für die gebrochene Tradition Psychoanalytischer Pädagogik zu, die es unter Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Diskurse und aktueller psychosozialer Probleme fortzusetzen gilt. Im Modul 2 sollen die wissenschaftstheoretischen, erkenntnistheoretischen und methodologischen Grundlagen bearbeitet werden. Des weiteren soll die Möglichkeit geboten werden, sich sowohl im intertheoretischen als auch im transdisziplinären Diskurs mit alltäglichen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen und Problemstellungen zu befassen. 9 Modul 3 greift unter dem Titel ‚Entwicklung, Sozialisation und Differenz’ weitere wesentliche Themen der erziehungswissenschaftlichen Psychoanalyse auf, nämlich die Geschlechter- und Generationendifferenz und die Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Anderen Modul 4 trägt die Bezeichnung ‚Gesellschaft und Neurose’ und soll Raum für eine kritische gesellschafts- und kulturvergleichende Reflexion der Begriffe Pathologie und Therapie schaffen. Seelische Störungen – insbesondere von Kindern und Jugendlichen – sollen im Lichte familialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge verstanden und auf individuelle wie kollektiv heilsamere Lösungen hin befragt werden. Im Rahmen der Erörterung unterschiedlicher Möglichkeiten sowohl therapeutischer als auch politischer und kultureller Aktivität kommt somit der Frage einer psychoanalytischen Haltung besondere Bedeutung zu. Modul 5 schließlich soll das gesamte Spektrum psychoanalytischer und psychoanalytisch orientierter Praxismöglichkeiten nützen, was sich sowohl auf den Bereich wissenschaftlichakademischer Praxis im Sinne psychoanalytischer Kultur- und Sozialforschung bezieht als auch den Bereich therapeutischer und sozialpädagogischer Tätigkeitsfelder umfasst. Es ist ein altes Projekt, das zu realisieren aber bisher noch nicht gelungen ist, eine Einrichtung für psychoanalytische psychosoziale Arbeit zu schaffen, in der insbesondere psychoanalytischpädagogische Erziehungsberatung angeboten wird. Im Hinblick auf die Erkundung neuer Praxisfelder wird auch dem innovativen Konzept einer psychoanalytischen bzw. psychoanalytisch orientierten Kulturarbeit besondere Aufmerksamkeit zuteil. Auf der Ebene der Organisation des Instituts steht die Psychoanalyse im folgenden Zusammenhang seiner Teilbereiche.5 Wissenschafts Anthropologis Gesellschafts- psychoanaly- Behinderten- Medien- theorie, theoretische . tische EW / pädagogik / pädagogik, Methodologie historische EW / Beratung, integrative Medien- und Methoden EW feministische Grundlagen Pädagogik u. kommuni- der EW EW der Schulentwickl kation, Psychothera ung / pie psychosoziale hung 5 che EW / Wissensforsc Die in den Spalten der folgenden Tabelle genannten Teilbereiche der Erziehungswissenschaft können noch um das Feld ‚Weiterbildung / interkulturelle Pädagogik’ ergänzt werden, das für die weitere Entwicklung des Instituts ins Auge gefasst wird. 10 Arbeit Mit der Charakterisierung: Die Psychoanalyse bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Therapie/Beratung und Kulturanalyse, bezogen auf die kulturellen, sozialen, ethnischen und anthropologischen Gegebenheiten; erziehungswissenschaftliche Psychoanalyse ist dabei zentriert um Entwicklungsprozesse im Lebenszyklus. Weitere Kernthemen sind: Individuelles, intersubjektives, kulturelles, ethnisches und gesellschaftliches Unbewusstes, Identität und Differenz: in der Beziehung zwischen Selbst und Anderem, zwischen Generationen und Geschlechtern; Psychoanalytische Kompetenz und die Wege, die zum Analysieren führen - verstanden als erziehungswissenschaftliche Praxis; Psychoanalyse im aktuellen interdisziplinären Zusammenhang: Psychoanalyse und Systemtheorie, Psychoanalyse und Neurowissenschaft, Psychoanalyse und Kognitionswissenschaft.6 Zu erwähnen ist noch die Einrichtung eines virtuellen Instituts – VSFI: Virtuelles Sigmund Freund Institut – mit der Adresse http://vsfi.uibk.ac.at. In enger Verbindung mit dem psychoanalytischen Bereich am Institut für Erziehungswissenschaften steht die Gesellschaft für Psychoanalyse – Sigmund Freud Archiv – ein Zusammenschluss von Psychoanalytikern an der Universität Innsbruck. Die Statuten, die Mitglieder und die Veranstaltungen dieser Gesellschaft sind im VSFI veröffentlicht. Für die Zukunft der Psychoanalyse in einer universitären Institution ist es von entscheidender Bedeutung, ob sie im Studienplan enthalten ist, ob sie zu den Prüfungsfächern gehört, ob psychoanalytische Diplomarbeiten und Dissertationen geschrieben werden können, und – was von ganz entscheidender Bedeutung ist – welche Personen und Dienstposten in dieser Institution dem psychoanalytischen Arbeitsbereich zugeordnet sind. Damit im Zusammenhang ist auch die Ausstattung mit externen Lehrbeauftragten zu sehen. 6 Scheidt C.E. (Freiburg): „ Ich glaube, dass sich das geistige Umfeld in einer Weise geändert hat, die es für die Akzeptanz der Psychoanalyse schwieriger hat werden lassen. Wichtig halte ich deswegen Ansätze, die den Dialog der Psychoanalyse mit angrenzenden Wissenschaften fördern. Hierher gehören die Neurowissenschaften aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften“ Krause R. (Saarbrücken): „Die Situation der Psychoanalyse an der Universität ist schwierig, wobei im Moment die Geisteswissenschaften wie Germanistik, Ethnologie, Kultur- und Kunstgeschichte eher analytisches Gedankengut benutzen als die Heilberufe Medizin und Klinische Psychologie/Psychotherapie.“ (in: N.Bickel 2001) 11 Nicole Bickel hat in ihrer Diplomarbeit, die der Psychoanalyse an den deutschsprachigen Universitäten gewidmet ist (Deutschland, Schweiz und Österreich), erfahren, wie sehr es von solchen Bedingungen abhängt, ob die Psychoanalyse an einer Universität Bestand hat. (N.Bickel 2001)7 So ist die Zuordnung von Planstellen zur Erziehungswissenschaftlichen Psychoanalyse von großer Bedeutung: der Professorenplanstelle von Helmwart Hierdeis und der beiden Dozentenplanstellen von Josef Aigner und Hans Jörg Walter – auch im Falle einer Nachbesetzung einer dieser Planstellen. Hinsichtlich der Gestaltung der universitären Psychoanalyse haben in den letzten Jahren die theoretischen Anschauungen von Jean Laplanche für uns besondere Bedeutung erIangt. Im Zuge der Universitätsreform in Frankreich nach 1968, als eine Wirkung der Studentenbewegung, ist es zur Institutionalisierung der Psychoanalyse an französischen Universitäten gekommen.8 Für die Psychoanalyse an der Universität Paris VII ist Jean Laplanche repräsentativ.9 Er ist im deutschen Sprachraum besonders als Mitautor des ‚Vokabulars der Psychoanalyse’ bekannt geworden. Die Universität Paris VII hat durch ihr Angebot eines Diploms und auch eines Doktorats in Psychoanalyse für Aufregung in psychoanalytischen Kreisen gesorgt, weil befürchtet wurde, dass damit eine Konkurrenz zur Ausbildung in den psychoanalytischen Vereinigungen geschaffen werde. Die Verhältnisse werden von Laplanche in zwei Grafiken wie folgt dargestellt (Laplanche 1987, 147 u. 148): 7 Ein markantes Beispiel ist die Veränderung am Institut für Psychologie der Universität Salzburg, wo nach der Emeritierung von I.A. Caruso durch die Neubesetzung seiner Professur durch einen der Psychoanalyse fernstehenden Psychologen die Psychoanalyse randständig geworden ist. 8 Ausführlich dazu Elisabeth Roudinesco im 2. Band ihrer Geschichte der Psychoanalyse in Frankreich: Histoire de la psychanalyse en France 2, Paris (Seuil 1986): Psychanalyse à l’université, 551 – 583 Immer wieder ist auch heute zu sehen, dass das Interesse an der Psychoanalyse an der Universität von den Studenten kommt und entsprechende Initiativen von ihnen getragen werden. (vgl. N.Bickel 2001) 9 Die Psychoanalyse an der Universität Paris VIII ist bis heute fest in der Hand der Lacanianer - ursprünglich unter der Leitung von Serge Leclair ist dort heute Jacques Alain Miller bestimmend. 12 Was Laplanche mit diesen beiden Abbildungen zeigt, ist die Ausfaltung der Psychoanalyse in verschiedene Zweige, wobei an die Seite der psychoanalytischen „Kur“, der historische Ausgangssituation, die Psychoanalyse des Alltags, der kulturellen Phänomene und andere „Anwendungen“ der Psychoanalyse treten. Ganz im Sinne des Freudschen Projektes, das in ‚Die Frage der Laienanalyse’ entworfen wird, werden Umsetzungen der Psychoanalyse in Theorie und Methode in verschiedene eigenständige Forschungsbereiche vorgezeichnet. Psychoanalyse an der Universität hat Laplanche zufolge nicht die Aufgabe, an der Universität Psychoanalytiker zu bilden, die eine psychoanalytische Kur anbieten bzw. an Patienten arbeiten werden, ihre Aufgabe ist die forschende Psychoanalyse, wodurch eine andere Möglichkeit der Bildung eines Psychoanalytikers ins Spiel kommt, sowohl was die Theoriearbeit als auch die Methode anbelangt. Personen, die diesen Ausbildungsweg gehen, können eine eigene Analyse, im Sinne der „Kur“, jenseits der Mauer der Universität praktizieren – Laplanche verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der extramuralen Psychoanalyse.10 Er tritt dafür weiter dafür ein, dass die Psychoanalyse an der Universität nicht einer universitären Disziplin oder Institution gleichen solle, d.h. er propagiert kein 10 Das Extramurale stellt für Laplanche auch ein wichtiges Moment in der Ausbildung zum Psychoanalytiker dar, wie sie in der Vereinigungen organisiert ist - üblicherweise in der Trias von eigener Analyse (Lehranalyse), Theoriearbeit und psychoanalytischer Praxis unter Supervision. Er vertritt den Standpunkt, dass die sogenannte Didaktische Psychoanalyse – damit meint er die Lehranalyse – der Psychoanalyse in ihrer Eigenart widerspricht. Er vertritt die Auffassung, dass man keine Psychoanalyse praktizieren könne, bei der ein Ziel vorgegeben ist – nämlich das Ziel, Psychoanalytiker zu werden – und wo eine Eingangsvoraussetzung darin besteht, dass man zur Lehranalyse zugelassen wird. Laplanche bezieht sich dabei auf Freud, der sagt, dass eine Psychoanalyse darf nicht auf Ziele hin orientiert sein dürfe – und das gleiche gilt natürlich auch für die psychotherapeutische Psychoanalyse. Sobald Zielvorstellungen eine Rolle spielen, wird das Eigentliche der Psychoanalyse nicht mehr realisiert, weil Psychoanalyse gerade darin besteht, dass Zielvorstellungen auch Thema der Analyse werden. Die Psychoanalytische Institution bilde mit ihren Kommissionen, Lehranalytikern und Listen ein didaktisches Arrangement, das eigentlich im Widerspruch zur Psychoanalyse steht. Laplanche tritt für eine Psychoanalyse ein, die extramural und extraterritorial organisiert ist. Er wendet sich an die Psychoanalytischen Institutionen mit der Forderung, dass psychoanalytische Eigenerfahrung jenseits der Institution stattzufinden habe. 13 eigenes Psychoanalytisches Institut – auch die Organisation der Psychoanalyse an der Universität Paris VIII ist nicht in seinem Sinne – und er plädiert dafür, dass die Psychoanalyse sich mit dem verbinden solle, was an Instituten und Disziplinen vorzufinden ist – im Falle von Paris VII z.B. Biologie und Psychologie. Hier am Institut ist, wie dargestellt, die erziehungswissenschaftliche Psychoanalyse ein Teilbereich unter anderen. Allgemein spricht Laplanche von der Extraterritorialität der Psychoanalyse. Zudem wendet er sich gegen den Terminus Angewandte Psychoanalyse - im Unterschied zur eigentlichen Psychoanalyse. D.h. Laplanche bezieht sich auf Freud, der in manchen Momenten nicht weit davon entfernt ist, die psychoanalytische Kur selbst als eine mögliche Anwendung der Psychoanalyse unter anderen Anwendungen zu verstehen. Laplanche betont, dass die Psychoanalyse als Theorie mit einer psychoanalytischen Methode in Verbindung steht – einem psychoanalytisch methodischen Arbeiten, das in der psychoanalytischen Kur, im alltäglichen Leben und auf kulturelle Phänomene bezogen zur Anwendung kommt – wodurch sich natürlich auch die Gestalt der Psychoanalyse verändert. In der zweiten Variante, die auch auf Texten von Freud beruht, schlägt Laplanche eine „Transposition“, eine Umsetzung vor. Auf dieser Vorstellung von Laplanche beruht das, was mit der Konzeption einer universitären Psychoanalyse verbunden werden kann. Laplanche vertritt die Auffassung, dass ein Analytiker an seiner Arbeit erkannt wird – nicht über ein bestimmtes Curriculum bzw. daran, dass er eine Lehranalyse absolviert hat. Voraussetzung ist lediglich, dass ein Analytiker eine persönliche Analyse macht – irgendwo, wo ein Analytiker und ein Analysand zusammenarbeiten – die schon im Zeichen der Lehre steht – eine sog. Didaktische Analyse, bei der dann eine Kommission darüber befindet, ob diese abgeschlossen ist oder nicht. Hinsichtlich der psychoanalytischen Forschung vertritt Laplanche die Meinung, dass sich psychoanalytische Aussagen v.a. wissenschaftlich zu bewähren, d.h. dem wissenschaftlichen Diskurs standzuhalten haben – wobei auch ein Scheitern in diesem wissenschaftlichen Diskurs möglich sein muss. Hochschuldidaktik ist an einem Institut für Erziehungswissenschaften eine sozusagen selbstverständliche Aufgabe11. Diese Tatsache in Verbindung mit der Aufgabe, eine der Psychoanalyse angemessene Form der Lehre zu finden, hat im Laufe der Jahre zu verschiedenen didaktischen Varianten geführt. Nachzuforschen, wie im institutionellen Rahmen der Universität Psychoanalyse gelehrt und gelernt werden kann, ist eine innovative Aufgabe und regt auch dazu an, über Aneignung und Vermittlung der Psychoanalyse über den institutionellen Rahmen der Universität hinaus nachzudenken. 11 Das Institut für Erziehungswissenschaften hat 1986 den Hochschuldidaktikpreis des Wissenschaftsministeriums erhalten 14 Ein Versuch, die bisherigen Formen von Psychoanalyse-Lehrveranstaltungen zu ordnen, führte zu dem folgenden Schema: Didaktische Arrangements zur Vermittlung der Psychoanalyse an der Universität, die am Institut für Erziehungswissenschaften im Laufe der Jahre entwickelt und erprobt worden sind Selbsterfahrun Themenbezog Praxis g ene mit Erfahrungsbezog Intensive ene Theorievorlesun Theoriesemin gen (Gruppenanaly Selbsterfahrun Supervisi Theorievermittlu are se) g on ng In allen Arrangements ist Selbsterfahrung und Theorievermittlung/-aneignung in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen enthalten. (Ausführliche Überlegungen in: Walter 1989 und in H.Bickel 2001). In den Nouveaux fondements pour la psychanalyse (Paris 1987) unterscheidet Laplanche 4 Orte der psychoanalytischen Erfahrung. Ein privilegierter Ort für diese Erfahrung ist die psychoanalytische Kur, bestimmt durch die Grundregel, den Rahmenbedingungen und Interaktionsformen, wie sie von Freud entdeckt und geschaffen worden ist. Diese Situation korrespondiert der menschlichen Grundsituation le sujet humain est un être théorisant, et théorisant de lui-même, je veux dire qu'il se théorise lui-même, qu'il s'auto-théorise, ou encore, si ce terme de théorie fait trop peur, qu'il s'autosymbolise. La symbolisation qui lui vient dans la cure, interprétation ou auto-interprétation, mouvement de l'interprétation entre l'analyste et l'analysé, cette symbolisation est re-symbolisation sur la base de premières symbolisations, de ces symbolisations originaires à la trace desquelles, nécessairement, nounous mettrons dans cette recherche des fondements. (Laplanche 1987, 14) Ein zweiter Ort der psychoanalytischen Erfahrung ist die Psychoanalyse hors-les-murs. (Den verbreiteten Terminus Angewandte Psychoanalyse vermeidet Laplanche, da der die Verhältnisse verzeichnet.) Quand on songe qu'un cas comme celui de Schreber ou comme celui de Leonard, si centraux pour le progrès de la pensée freudienne, sont de la psychanalyse hors-cure, hors-les-murs ; quand on pense aux études socio-anthropologiques, au Totem et tabou, au Moise, aux études 15 sur l'art, aux études sur la religion, tous écrits qui font une proportion considérable de l'oeuvre freudienne. En aucun cas cette pensée hors-les-murs n'est seconde chez Freud; toujours, elle tire ses résultats de son contact avec son objet. (Laplanche 1987, 15) Diese Arbeiten zeugen von der Fruchtbarkeit einer psychoanalytischen Erfahrung, die sich dem Kontakt mit ihrem Objekt verdankt. In dieser Bewegung, bei der die Bedingungen des Feldes und der Methode jeweils zu definieren sind, unterscheidet Laplanche zwei Aspekte: den interpretativen, theoretischen, auch spekulativen Aspekt und den realen Aspekt einer kulturellen Bewegung, die von der Psychoanalyse (implizit) erfasst ist. Der dritte Ort ist die Theorie als Erfahrung. Im Anschluss an die Vorstellung, dass der Mensch ein auto-symbolisierendes Wesen ist, ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeit mit psychoanalytischer Theorie zugleich eine Erfahrung ist, die den Forschenden mitnimmt. Laplanche nennt den Entwurf einer Psychologie, das 7. Kapitel der Traumdeutung, Jenseits des Lustprinzips, und den unveröffentlichten Text Übersicht der Übertragungsneurosen als Beispiele einer Denkbewegung, die nicht an ein externes Objekt gebunden ist, sondern aus sich heraus erfolgt. Freud spricht von Spekulation, aber es wird bald deutlich, dass diese Spekulation (eine biologische Spekulation in Jenseits des Lustprinzips, eine historischanthropologische in Totem und Tabu) im Fortgang ihrer Ausarbeitung das Gewicht von Erkenntnis bekommt. Der vierte Ort schließlich ist die Geschichte als Erfahrung. Es handelt sich hier um die Geschichte der Psychoanalyse, namentlich um die Geschichte Freuds und des freudschen Denkens. Nicht die Geschichtsforschung als solche hat Laplanche dabei vor Augen, sondern die Geschichte einer Denkbewegung in ihren Verwandlungen durch ihr Objekt oder durch das Begehren des Subjekts, durchsetzt vom Konflikt und von Abwehr. Laplanche erinnert hier an die sogenannte Preisgabe der Verführungstheorie. Mit seiner Allgemeinen Verführungstheorie konzipiert Laplanche, Freuds eingeschränkte Verführungstheorie wiederaufnehmend und weiterführend, das Modell der Grundsituation der Subjektwerdung und der Entstehung des subjektiv Unbewussten in der Beziehung zum Anderen. Dass Laplanche neben der „Kur“ noch andere Orte der psychoanalytischen Erfahrung kennt (und anerkennt) trifft mit den Vorstellungen von der Vermittlung und Aneignung der Psychoanalyse im Rahmen der Universität zusammen, die am Institut im Laufe der Jahre entwickelt wurden. 16 Ein solches Zusammentreffen möchte ich am Ende noch erwähnen. Aus einem Seminar zur Methodologie der Psychoanalyse im Wintersemester 2000/01 haben sich Einfälle zu dem Gedanken verwoben, Theorien als Objekte im Sinne der psychoanalytischen Objektbeziehungsziehungstheorie zu betrachten und nachzuforschen, wie die Beziehung zu Theorien als Objekten erfahren wird. Zwischengedanken hefteten sich an das Übergangsobjekt (Winnicott), an das Eintauchen in eine Theorie oder mit ihr zu gehen (und noch andere Bewegungsformen), an die Beziehung zur Theorie als einem perfekten Objekt – Anlehnung an Objekte, statt die eigenen Fähigkeiten zu besetzen (vgl. Freuds Unterscheidung von Beziehungstypen), an die Bedeutung von unbewussten Überzeugungen, an die sozialen und individuellen Umstände, die zu einer Theoriefixierung führen oder im Sich-finden das Sich-verändern offen lassen. Es war jedenfalls so, dass wir uns mit dem Wort „Theorieerfahrung“ über das Vorhaben ausreichend verständigen konnten – ein Wort, das auf einen der Orte verweist, die Laplanche unterscheidet. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, sodass noch nicht berichtet werden kann, welche Facetten der Beziehung zu psychoanalytischen Theorien erfasst werden konnten. Aber als eine weitere didaktische Möglichkeit der Vermittlung und Aneignung psychoanalytischer Theorie kann es jetzt schon angesehen werden. Literatur Bickel, Herbert: Psychoanalytische Didaktik, unveröff., 2001 Bickel, Nicole: Die Psychoanalyse an der Universität. Eine Studie zur Verbreitung der Psychanalyse an deutschsprachigen Universitäten, Diplomarbeit, Innsbruck 2001 Freud, S. (1900): Die Traumdeutung, Studienausgabe II Freud, S. (1913): Das Interesse an der Psychoanalyse, G.W.VIII Freud, S. (1914): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, G.W. X Freud, S. (1919): Soll die Psychoanalyse an der Universität gelehrt werden?, G.W. Nachtragsband Freud, S. (1925): Selbstdarstellung, G.W. XIV Freud, S. (1926): Die Frage der Laienanalyse, G.W. XIV, Studienausgabe Ergänzungsband Jones, J.: Sigmund Freud. Leben und Werk. Bd.2. dtv, München (dtv) 1984 Laplanche, Jean: Nouveaux fondements pour la psychanalyse, Paris (PUF) 1987 Laplanche, Jean: Problematiques V: le baquet, transcendance du transfert, Paris (PUF) 1987 Roudinesco, E.: Histoire de la psychanalyse en France 2, Paris (Seuil) 1986 Walter HJ.: Erzählen als Methode. Schritte zu einer erziehungswissenschaftlichen Psychoanalyse, Innsbruck 1989