Am Geld scheiden sich die Geister

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Am Geld scheiden sich die Geister
Reutlingen kann sich eine neue Stadthalle
leisten, darin sind sich die Oberbürgermeisterin und die meisten Ratsfraktionen
einig. Nur die Grünen und Unabhängigen
machen aus Kostengründen massiv mobil
gegen das Projekt. Die GEA-Redakteure
Andrea Glitz und Roland Hauser haben
Finanzbürgermeister Peter Rist und Stadtkämmerer Frank Pilz zum Streitgespräch
mit den Grünen-Vertretern Dr. Edith
Ailinger und Rainer Buck gebeten.
GEA: Frau Dr. Ailinger, Herr Buck Hauptargument
der
Grünen
und
Unabhängigen gegen einen StadthallenAuch Zahlen sind interpretierbar und interpretationsbedürftig. Im munteren
Streitgespräch über Rücklagen, Schuldzinsen und Finanzspielräume fanden die
Neubau sind die rund 120 Millionen Euro
Beteiligten keinen Konsens (von links): Stadtkämmerer Frank Pilz mit
städtischen Schulden. Wozu würden Sie die
Finanzbürgermeister Peter Rist gegen Rainer Buck und Dr. Edith Ailinger von
41,8 Millionen Euro Stadthallen-Rücklagen
den Grünen und Unabhängigen. FOTO: TRINKHAUS
denn lieber verwenden?
Rainer Buck: Wir halten den Bau einer Stadthalle für ein wünschenswertes Ziel. Angesichts der
anstehenden Aufgaben im sozialen und kulturellen Bereich sowie im öffentlichen Personennahverkehr
können wir uns eine Stadthalle aber nicht leisten. Stattdessen sollte der Großteil dieser so genannten
Rücklagen zur Schuldenrückführung verwendet werden. Denn sie sind keine Rücklagen im klassischen
Sinne.
Wie meinen Sie das?
Rainer Buck: Man hat früher Kredite aufgenommen und diese politisch zu Geld erklärt, das für den Bau
einer Stadthalle zur Verfügung steht. Das ist, wie wenn Sie als Privatperson einen Kredit in Höhe von 10
000 Euro aufnehmen, das Geld aufs Sparkonto legen, um davon eine Weltreise zu machen, und ganz
vergessen, dass Sie irgendwann auch diese 10 000 Euro zurückzahlen müssen.
Sieht die Finanzverwaltung das genauso?
Frank Pilz: Definitiv falsch ist die Aussage, dass die Rücklagen nur auf Kredit gebildet worden seien.
Vielmehr hat man die Haushaltspläne aufgestellt, und nur, wenn das Rechnungsergebnis am Jahresende
besser war, hat man seit Mitte der 80er Jahre aus den Überschüssen diese Rücklagen gebildet. Weitere
Teile davon wurden aus Vermögenserlösen gebildet.
Peter Rist: Ich weiß nicht, ob das ernst gemeint ist, wenn die Grünen die hohe Verschuldung als Grund
gegen den Neubau einer Stadthalle anführen. In Ihrem eigenen Faltblatt monieren Sie, dass die Stadt von
der Substanz lebe, und machen gleichzeitig den Vorschlag, das für die Halle angesparte Geld in
bestehende Kulturinitiativen zu investieren - und zwar nicht nur in Gebäude, sondern vor allem in laufende
Zuschüsse. Das ist widersprüchlich.
Da müssen Sie sich schon entscheiden, Herr Buck: Schulden tilgen oder das Geld in andere
Projekte stecken?
Rainer Buck: Wenn wir jene rund 30 Millionen Euro Rücklagen, die nicht in Bausparverträgen stecken,
zurückführen würden, hätte dies den Vorteil, dass wir einen sehr großen Spielraum gewinnen würden, weil
wir weniger Schuldzinsen bezahlen müssten. Diesen Gewinn - nach unseren Berechnungen zwischen 500
000 und 600 000 Euro - könnten wir in die soziale und kulturelle Infrastruktur stecken.
Wie verhält sich das mit den Schuldzinsen, die durch eine Sondertilgung einzusparen wären, Herr
Pilz?
Frank Pilz: Wir bekommen für die Rücklagen, soweit der Gemeinderat nicht von einer Verzinsung absieht,
eine Durchschnittsverzinsung von 4,5 Prozent. Dem steht gegenüber, dass wir in den vergangenen Jahren
immer günstigere Kredite aufnehmen konnten. Zuletzt haben wir 3,7 Prozent gezahlt, und die aktuellen
Kreditkonditionen bewegen sich nach wie vor in diesem Bereich. So lange die Stadt aber günstiger Kredite
aufnehmen kann, um den städtischen Haushalt auszugleichen, ist es absolut unsinnig, höher verzinsliche
Rücklagen aufzulösen und dann zu hoffen, dass, wenn wir die Stadthalle einmal bauen, die Zinsen immer
noch so niedrig sind.
Dr. Edith Ailinger: Wenn wir uns auf das Stadthallen-Projekt einlassen, werden wir im Reutlinger
Gesamthaushalt weniger Geld haben - zum Beispiel werden die 1,4 Millionen Euro fehlen, die wir derzeit im
Verwaltungshaushalt eingeplant haben. Wir werden für die Sportvereine, für die Schulen, für soziale
Investionen oder auch für kulturelle Förderung weniger Geld haben. Die Grünen und Unabhängigen wollen
kein Luxusgut fördern. Es geht um die Basisversorgung einer Stadt.
Stimmt das mit den 1,4 Millionen Euro, Herr Pilz?
Frank Pilz: Die 1,4 Millionen Euro Zinserträge, die wir momentan aus allen Stadthallen-Rücklagen
erwirtschaften und die auf Beschluss des Gemeinderats jährlich im Haushalt belassen werden, werden
definitiv fehlen, wenn die Stadthalle gebaut und in Betrieb gegangen ist, das stimmt. Doch dazu ein
Vergleich: In den Jahren 1995 bis 2004 hat sich der Zuschussbedarf für Schulen, Kultur, soziale Sicherung,
Kinderbetreuung, Jugend- und Seniorenförderung sowie Sport um 10,3 Millionen Euro erhöht. Der
städtische Haushalt hat diesen erhöhten Zuschussbedarf aufgefangen - und deshalb gehe ich davon aus,
dass wir es schaffen, in den nächsten fünf Jahren auch einen weiteren Posten von 1,4 Millionen Euro
aufzufangen.
Peter Rist: Bei diesen 10,3 Millionen fragt kein Menschen danach, wie wir sie schultern. Warum wird bei
der neuen Stadthalle diese Rechnung aufgemacht, sonst aber nie?
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Rainer Buck: Die Stadthalle ist ein großes Projekt. Es gibt kein anderes Projekt, das so große
Auswirkungen hat. Und weil, wir bleiben dabei, alles aus Schulden finanziert wird, thematisieren wir die
Zinssituation. Reutlingen liegt bei der Verschuldung über dem Schnitt vergleichbarer Städte. Keine hat in
den letzten vier bis fünf Jahren ihre Schulden um das Dreifache erhöht. Das halten wir für
verantwortungslos. Wir haben die Sorge, dass wegen des Stadthallen-Projekts alles andere den Bach
runtergeht.
Peter Rist: Es stimmt, in den letzten Jahren hat die Verschuldung zugenommen. Aber vor vier Jahren war
die Stadthallen-Rücklage schon in dieser Höhe angespart. Insofern stimmt es einfach nicht, dass man
Schulden gemacht hat, um die Rücklagen zu finanzieren.
Frank Pilz: Schulden haben kommt von Schulden machen. Ich habe die zehn wichtigsten Investitionen der
letzten Jahre zusammengestellt, von der neuen Feuerwache über Schulhauserweiterungen, Kindergärten
und das Kreuzeichestadion bis hin zum Baugebiet Unterm Georgenberg. Allein diese Investitionen kosteten
zusammen 84 Millionen Euro. Der Schuldenstand der Stadt stieg im gleichen Zeitraum um 78 Millionen. Die
entsprechenden Baubeschlüsse hat der Gemeinderat überwiegend einstimmig gefasst.
Die beiden Gemeinderäte können das bestätigen?
Dr. Edith Ailinger: Ja genau, wir haben 84 Millionen Bauinvestitionen auf Pump gemacht, um die
Rücklagen zu halten. Das ist, wie wenn ich das Geld für ein ganz teures Auto spare und den täglichen
Aufwand für den Haushalt über Kredite finanziere. Man fragt sich, warum die Stadt nicht auch für andere
Dinge Rücklagen anlegt - zum Beispiel für den städtischen Beitrag zur Renovierung des Krankenhauses,
für eine Stadtbahn oder für die Sanierung von Sporthallen wie etwa der Carl-Diem-Halle.
Peter Rist: Ihre Argumentation ist einfach nicht glaubwürdig. Sie haben in den letzten zwei, drei Jahren im
Gemeinderat immer Anträge für dieses oder jenes gestellt - und zur Finanzierung die Stadthallen-Rücklage
vorgeschlagen. Wenn man alles zusammenzählt, den Spaß haben wir uns mal gemacht, ist sie weg, bei
gleichem Schuldenstand. Ihnen geht es nicht um die Schuldenrückführung. Sie sind der Meinung, dass
Reutlingen keine Stadthalle braucht.
Rainer Buck: Ich bedauere, dass jetzt mit Unterstellungen über unsere Motivlage gearbeitet wird. Uns
geht's sehr wohl um die Schulden. Wir sehen es als hohen Wert an, für die nachfolgenden Generationen
eine verantwortungsvolle Politik zu betreiben. Wir haben einfach eine andere Prioritätensetzung. Wir sagen,
wir sollten das pflegen und weiterentwickeln, was wir haben. Sie sagen: »Wir setzen jetzt alles auf eine
Karte, nämlich auf dieses große Projekt, und das andere machen wir so nebenbei.«
Wären Sie denn auch so vehement für die Schuldentilgung, wenn die Rücklagen für die Stadtbahn
eingesetzt würden?
Rainer Buck: Auch dann müsste die Schuldenrückführung Vorrang haben. Bei jedem Projekt ist es
ökonomisch sinnvoller, den Kredit zu dem Zeitpunkt aufzunehmen, wenn er notwendig ist und nicht vorab,
weil Sie normalerweise mehr Sollzinsen zahlen als Sie Habenzinsen bekommen. Wäre es anders, wäre es
die Goldesel-Theorie und wir müssten fordern, dass die Stadt möglichst viele Kredite aufnimmt.
Herr Rist, welche Rolle spielen denn die Schäden an den städtischen Hallen bei Ihrer
Finanzplanung?
Peter Rist: Natürlich kann da bei der einen oder anderen Halle etwas auf uns zukommen, und dann wird
sich die Frage nach der Kosten-Nutzen-Relation stellen. Genau dieselbe Frage stellen wir uns bei der
Listhalle: Wir sagen, Reutlingen braucht eine adäquate Veranstaltungshalle - nichts Überzogenes, aber
etwas Passendes. Wir gehen davon aus, dass wir mit rund 28 Millionen Euro für einen Neubau hinkommen
und den Betrieb über den aus den restlichen Stadthallenrücklagen zu bildenden Kapitalfonds finanzieren
müssen. Aber man darf auch nicht, wie die Grünen, bei der Stadthalle nur die Kosten sehen, sondern muss
wie bei allen anderen Projekten den Kosten auch den Nutzen gegenüberstellen.
Dr. Edith Ailinger: Die Finanzempfehlungen, die wir von der Stadt bekommen haben, waren nicht immer
zu unserem Vorteil. Auch das Kreuzeichestadion ist damals gegen unseren erbitterten Willen
durchgegangen. Uns war von Anfang an klar, dass das ein sehr schlechtes Geschäft sein würde. Eine
ähnliche Kategorie wird das jetzt auch wieder werden, mit einem schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Apropos Kosten-Nutzen: Wäre es nicht günstiger, den städtischen Theatersaal, den die »Tonne« am
liebsten in der Planie 22 gefestigt sähe, in den Stadthallen-Neubau zu integrieren?
Frank Pilz: Es wurde untersucht, was es kosten würde, das Theater in der neuen Stadthalle
unterzubringen. Das wäre erheblich teurer geworden. Wir wollten auch nicht das Projekt Stadthalle
nochmals aufblähen, wie damals beim Kultur- und Kongresszentrum.
Die Miete, die Vereine für die Nutzung der neuen Stadthalle zahlen müssten, soll erschwinglich
bleiben, hat die Oberbürgermeisterin versichert. Gibt es schon Berechnungen?
Peter Rist: Wir haben ja für die neue Halle höhere Folgekosten kalkuliert. Die sind unter anderem deshalb
höher angesetzt, weil die Vereine gleich viel zahlen wie bisher in der Listhalle. Für Vereine wird es nur die
üblichen Gebührenanpassungen geben. Und sie dürfen weiterhin einmal im Jahr mietfrei einen städtischen
Saal nutzen.
Was haben die vorbereitenden Planungen bisher gekostet?
Frank Pilz: Ich schätze mal 50 000 Euro.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen für die regionale Bauwirtschaft ein, wenn der Neubau kommt?
Peter Rist: Natürlich nehmen wir auf regionale Unternehmer Rücksicht, aber letztendlich erhält der
günstigste Anbieter den Zuschlag. Wir gehen davon aus, dass unsere Betriebe wettbewerbsfähig sind, und
wir sind erpicht darauf, dass sie auch zum Zug kommen. Je kleiner und handlicher man die einzelnen
Gewerke macht, desto größer ist selbst bei einer europaweiten Ausschreibung die Wahrscheinlichkeit, dass
sich regionale Unternehmen am Wettbewerb beteiligen. (GEA)
Reutlinger General-Anzeiger vom 21.03.2006
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