Triumph und Tragödie

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KAPITEL III
ZWISCHEN DEN WELTEN
Triumph und Tragödie
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RMN-GRAND PALAIS / ART RESOURCE
Das Perserreich war einer der mächtigsten Gegner
von Byzanz. Kaiser Heraklios glückte
der Sieg, doch dann begann die islamische Expansion.
Heraklios unterwirft den Perserkönig Chosrau II.
Vergoldete und emaillierte Kreuz-Plakette 12. Jh., Museum Louvre Paris
Von MARKUS GRILL
anche Kaiser sind
umso beliebter,
je weiter sie
weg
sind.
Phokas beispielsweise scheint die größten
Anhänger im 2000 Kilometer
entfernten Rom gehabt zu haben. Wer heute über das Forum
Romanum spaziert, dem Zentrum der antiken Hauptstadt
Rom, blickt direkt vor der antiken
Rednertribüne gegenüber dem Senatsgebäude noch immer auf eine
einsam stehende hohe Säule. An ihrem Sockel ist eine lateinische Inschrift
angebracht: „Dem höchsten, mildesten
und frömmsten Fürsten, unserem Herrscher Phokas ... als Dank für die unzähligen Wohltaten seiner Barmherzigkeit.“
Aufstellen ließ die Säule samt Inschrift ein gewisser Smaragdus, ehemals
Vorsteher des kaiserlichen Palastes und
vom Kaiser eingesetzter Gebietsherrscher in Italien. Er hatte also allen
Grund, Phokas dankbar zu sein.
Aber nicht nur Smaragdus, auch die
Kirche in Italien war mit Phokas zufrieden. Im Jahr 607 dekretierte der ferne
Kaiser, dass der Papst in Rom das Haupt
aller Kirchen („caput omnium ecclesiarum“) sei. Ein Jahr später schenkte Phokas Papst Bonifatius IV. auch noch das
Pantheon, das dieser in eine Marienkirche umwandeln ließ, was immerhin den
Vorteil hatte, dass der grandiose antike
Rundtempel bis heute erhalten ist und
von Touristen bestaunt werden kann.
Doch weder die papstfreundliche Politik noch die schwülstigen Ehrerbietungen an der Säule waren geeignet, das Ansehen von Kaiser Phokas im byzantinischen Reich wirklich zu bessern.
Phokas war ein Militärkopf, ein Offizier im Rang eines Centurio, der sich
602 gegen den bisherigen Kaiser Maurikios erhoben und in der Armee schnell
Unterstützung gefunden hatte. Das Heer
ernannte ihn zu seinem Anführer; so
marschierte Phokas nach Konstantinopel. Der Kaiser floh, doch Phokas’ Soldaten fassten ihn. Zusammen mit seinen
fünf Söhnen wurde Maurikios brutal verstümmelt und ermordet. Es war das erste Mal in der Geschichte von Byzanz,
M
Solidus mit Bild des Heraklios
dass ein Offizier sich erfolgreich auf den
Thron putschte.
Nun hatte er die Macht, doch Phokas
regierte weiter mit Terror; offensichtlich
fühlte er sich keineswegs sicher in seinem Amt. Er ließ große Teile der Senatoren-Elite hinrichten. Auch Männern
aus dem Volk, die ihn bei den Wettkämpfen im Hippodrom als Säufer verhöhnten, ließ er Kopf, Ohren oder Nase abschneiden. In vielen byzantinischen
Quellen wird Phokas als grausamer Tyrann beschrieben.
Auch der Gebietsherrscher von Karthago, Exarch Heraklios der Ältere – der
Vater des späteren Kaisers – verabscheute den Emporkömmling.
Noch der alte Kaiser Maurikios hatte
ihn zum Exarchen ernannt. Das Amt war
eine byzantische Erfindung: Ein Exarch
wurde vom Kaiser eingesetzt und übte
sowohl die militärische als auch die zivile Verwaltung in einem entfernten Gebiet aus. Und er war ein Machtfaktor im
Reich.
Von Konstantinopel aus gewannen Senatoren ihn für eine Revolte gegen den
neuen Kaiser. Unter den Verschwörern
war sogar Priskos, der Schwiegersohn
des Phokas.
Weshalb Heraklios der Ältere sich der
Verschwörung anschloss, ist nicht überliefert. Sein Sohn sagte später, es sei darum gegangen, den Mord an Maurikios
und seinen Söhnen zu rächen. Vermut-
lich aber war sich Heraklios seines eigenen Lebens nicht mehr sicher,
weil er damit rechnen musste,
selbst einer der innenpolitischen
Mordwellen zum Opfer zu fallen.
Doch das Risiko für Umstürzler war groß. Es muss Heraklios klar gewesen sein, wenn
er scheiterte, dann würde nicht
nur er, sondern seine ganze Familie zum Tode verurteilt und
ihr Vermögen konfisziert.
In seiner „Kurzen Geschichte“
hat Nikephoros I., ein byzantinischer Geschichtsschreiber und Patriarch aus dem 8. Jahrhundert, den Beginn der Machtergreifung so geschildert:
„Zu dieser Zeit regierten zwei Brüder
Nordafrika, Herakleios und Gregorios,
beide wurden von Maurikios in ihre militärischen Ämter berufen. Sie kamen
überein, ihre beiden Söhne nach Byzanz
zu schicken mit dem Auftrag, dass derjenige, der zuerst eintreffen sollte, Besitz
vom Thron ergreifen sollte.“
Aus dem Jahr 608 stammt eine Goldmünze, ein Solidus, die Heraklios’ Anspruch auf den Thron deutlich macht:
Sie zeigt Heraklios den Älteren mit seinem Sohn im Gewand eines Konsuls. Der
Filius sitzt an der linken Seite, die normalerweise dem Kaiser vorbehalten ist.
Dass sich beide auf einer Münze als
Konsuln präsentieren, sollte vermutlich
zeigen: Wir achten altrömische Tradition, während dem Gewaltherrscher Phokas jede Legitimation fehlt.
Heraklios der Jüngere setzt sich 608
mit einer Flotte von Karthago aus in Bewegung, sein Cousin Niketas bricht auf
dem Landweg nach Ägypten auf. Beide
erfahren Zuspruch auf ihrem Vormarsch: In Ägypten zum Beispiel stellt
sich sowohl die mächtige Familie der
Apionen als auch der Patriarch hinter
die Aufständischen.
Ägypten ist aber vor allem strategisch
von Bedeutung: Das Land sorgt für einen
Großteil der Steuereinnahmen von Byzanz und ist der größte Kornlieferant.
Als Niketas weiter vorrückt, versiegen
denn auch die Getreideexporte, was in
der Hauptstadt schnell zu spüren ist und
die Stimmung gegen Phokas verschärft,
zumal dieser zur gleichen Zeit Gefechte
gegen die Perser verliert.
Es war das erste Mal in der Geschichte von Byzanz, dass sich
ein Offizier erfolgreich auf den Thron putschte.
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Heraklios ist unterdessen damit beIm Sommer 610 erreicht Heraklios brachte er die letzten zehn Jahre vor der
das Marmarameer vor Konstantinopel. Machtergreifung an der Seite seines Va- schäftigt, seine Macht abzusichern. Das
Reich befindet sich nach jahrelangen,
Er wartet aber noch bis Oktober, bevor ters in Karthago.
Dass er ein Mädchen aus der afrika- zermürbenden Kriegen gegen die sassaer sich die Macht greift, die ihm ohne
größere Anstrengungen in die Hände nischen Oberschicht zur Frau nimmt, nidischen Perser und auch inneren
zu fallen scheint. Es kommt zwar zu zeigt zumindest: Seine Bindung an die Kämpfen in einem desolaten Zustand.
kleinen Scharmützeln mit den kaiserli- Heimat seiner Eltern ist nicht besonders Doch an Ruhe für den Wiederaufbau ist
chen Truppen, doch danach fällt offen- groß – der Vater stammte vermutlich nicht zu denken. Die Perser bleiben agbar der organisierte Widerstand in sich aus Armenien, die Mutter aus Kappado- gressiv, marschieren in Anatolien ein, besetzen im Jahr 613 Damaskus.
zusammen. Die Elite der Hauptstadt kien im Zentrum Kleinasiens.
Schwerer wiegt jedoch der Verlust
Ein Jahr nach der Hochzeit bringt
läuft in Scharen zu Heraklios über. Der
Geschichtsschreiber Nikephoros berich- Kaiserin Eudokia 611 eine Tochter Epi- von Jerusalem im Jahr darauf. „Zusamtet, dass es sogar zwei Soldaten der Pa- phania zur Welt, ein Jahr später wird men mit vielen anderen Städten wird Jelasttruppe sind, die den Kaiser festneh- der Sohn Konstantin geboren. Drei Mo- rusalem erobert von den Persern, und
men und ihn entkleidet zu Heraklios nate später stirbt sie, so Nikephoros, an in der Stadt wurden viele tausend Priester, Mönche und jungfräuliche Nonnen
Epilepsie.
bringen.
getötet. Das Grab des
Dort entspinnt sich
Herrn wurde niedergelaut Nikephoros ein
brannt ... und, um es
letzter Dialog. „Du
kurz zu machen, alle
Schuft hast den Staat
wertvollen Dinge wurregiert?“, hält Heraden zerstört. Das verklios ihm vor, worauf
ehrte Holz des KreuPhokas geantwortet
zes wurde von den Perhaben soll: „Zweifellos
sern mitgenommen
wirst du es besser maund Patriarch Zacharichen.“ Danach befiehlt
as wurde Gefangener.“
der neue starke Mann,
So steht es in einer
Phokas erst zu verzeitgenössischen Quelstümmeln, dann zu töle, dem um 630 verfassten. Ebenso ergeht es
ten „Chronicon Paweiteren Getreuen des
schale“ in griechischer
bisherigen Kaisers.
Sprache. Der Autor ist
Phokas’ Kopf wird auf
unbekannt, war aber
eine Stange gesteckt
wohl ein Vertrauter
und durch das Zendes Patriarchen Sertrum von Konstantinogios in Konstantinopel,
pel getragen.
der Zugang zu DokuAuch die Kirche
menten hatte. Geleschlägt sich auf Heragentlich wird aus Brieklios’ Seite: Noch am
fen und anderen Ungleichen Tag krönt ihn
terlagen zitiert – für
Patriarch Sergios zum
die Regierungszeit des
neuen Kaiser und
Heraklios ist diese
schließt die Ehe zwiQuelle ein Glücksfall.
schen ihm und Fabia,
Dass eine so wichtider Tochter eines afrige Reliquie wie das
kanischen GrundbesitHolzkreuz, an dem Jezers, die sich von da an
sus gestorben sein soll,
Eudokia nennt.
in die Hand der „unHeraklios ist zu diegläubigen“ Perser gerasem Zeitpunkt schon
ten konnte, war ein
35 Jahre alt, doch von
schwerer Schlag für
seinem früheren Leben
das Selbstbewusstsein
ist so gut wie nichts beder Byzantiner. Zeigkannt. Wo er aufwuchs,
ten die militärischen
welche Sprachen er
Niederlagen den Zorn
sprach, wie und wo er
Gottes? Wollte er Fehzur Schule ging, wer
ler bestrafen? Die
seine Freunde waren,
Grausamkeiten jedenwelche religiösen Erfalls, von denen die
fahrungen er machte.
Bischofsstuhl des Maximianus von Ravenna Elfenbein 6. Jh.
Chronik
berichtet,
Wahrscheinlich ver-
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sind wahrscheinlich nicht einmal übertrieben. Die Sassaniden waren bekannt
für den massenhaften Raub von Menschen, die dann zwangsweise ins Perserreich umgesiedelt wurden.
An einer anderen Front hätte es Heraklios beinahe selbst erwischt: Die von
Norden gegen Byzanz ankämpfenden
Awaren locken den Kaiser in einen Hinterhalt. Sie geben vor, mit ihm verhandeln zu wollen, planen aber seine Entführung. Nikephoros berichtet: Als Heraklios von dem Plan erfährt, legt er seine Kaisergewänder ab, kleidet sich ärmlich wie ein gewöhnlicher Mann und entkommt mit knapper Not in Richtung
Konstantinopel.
Als neue persische Vorstöße die Getreidelieferungen aus Ägypten abermals
unterbrechen, breitet sich in Konstantinopel eine Hungersnot aus, berichtet das
Chronicon Paschale. Erst wird der Preis
von staatlich subventioniertem Brot angehoben, dann die Verteilung vollständig
eingestellt; außerdem grassieren Seu-
BYZANTINISCHE SEIDE
Seidenstoffe waren ein Herrschaftssymbol der oströmischen Kaiser –
und begehrtes Handelsgut. Der
Umgang mit den feinen Textilien
war streng geregelt.
Von einem Fall früher Wirtschaftsspionage berichtet der Historiker Prokop um 550: Mönche aus Indien hätten wenige Jahre zuvor Eier der Seidenraupe aus „Serinda“ (wohl China)
mitgebracht. So mussten die Byzantiner das wertvolle Garn nicht länger
von den persischen Zwischenhändlern kaufen, die bis dahin die Handelsrouten gen Osten kontrollierten.
Was an der Geschichte stimmt und
wie die Seidenspinner tatsächlich
nach Byzanz kamen, ist unklar. Doch
tatsächlich begann spätestens Mitte
des 6. Jahrhunderts die Herstellung
und Verarbeitung einheimischer Rohseide. Zunächst in Syrien, später auch
in Kleinasien wurden Maulbeerbäume
angepflanzt und Seidenraupen gezüchtet; verarbeitet wurden die Garne
in speziellen Werkstätten in Konstantinopel, später auch in Theben und
Korinth.
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Von Anfang an bildete Seide so etwas
wie das Grundgewebe der byzantinischen Reichsidentität: Im Kult, in der
Diplomatie und in der Politik spielten
die kostbaren Tuche eine zentrale
Rolle, sie demonstrierten die imperiale Macht. Stoffe höchster Qualität
waren mit einem Sekret der Purpurschnecke gefärbt, sie waren allein der
kaiserlichen Familie vorbehalten. Bis
ins 10. Jahrhundert durften nur die
kaiserlichen Werkstätten sie produzieren, und selbst auf Kriegszügen
ruhte der Monarch in purpurfarbener
Seidenbettwäsche. Doch auch Hofbedienstete und sogar Soldaten trugen seidene Tuniken, farblich abgestuft in Rang und Zeremoniell. „Da wir
Byzantiner alle anderen Nationen an
Reichtum und Weisheit übertreffen,
ist es nur recht, dass wir sie auch in
unserer Kleidung überbieten“, konstatierte Kaiser Nikephoros II. 968.
Die einheimische Seidenindustrie war
bis ins 12. Jahrhundert die einzige in
Europa. Sie wurde streng kontrolliert:
Handel und Produktion waren bis hin
zu den Gewinnspannen gesetzlich geregelt und auf bestimmte Gilden in
der Hauptstadt beschränkt. Nur Seide
minderer Qualität durfte ausgeführt
werden, den Export reglementierten
Handelsabkommen etwa mit Russland oder Venedig: Seide gab es oft
als Lohn für militärische Allianzen
oder Unterstützung auf See.
Die bunten Stoffe mit eingewebten
Goldfäden und kleinteiligen Blütenoder Tiermustern mit Löwen, Adlern
oder Greifen waren der Inbegriff des
Luxus, nicht nur in Europa, sie wurden
gehandelt wie Gold. Über die Seidenstraße gelangte die byzantinische Seide auch nach Osten, griechische, persische und fernöstliche Muster und
Webtechniken beeinflussten einander.
Die meisten Stoffe sind heute aus
Schatzkammern westlicher Fürsten
überliefert: Sie horteten die Tuche –
oft diplomatische Geschenke – neben
goldenen Kelchen und edelsteinbesetzten Kronen. Eva-Maria Schnurr
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Glänzender Kult
Byzantinisches Seidengewebe 9. Jahrhundert
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chen. „Der Kaiser war überwältigt von Niedergeschlagenheit und Verzweiflung“,
schreibt Nikephoros.
Die Lage ist offenbar so
ernst, dass Heraklios sich
überlegt, die Hauptstadt von
Byzanz nach Nordafrika zu
verlegen. Er habe schon ein
Schiff mit Geld, Gold, Silber
und Edelsteinen vorausgeschickt, schreibt Nikephoros.
Aber der Frachter gerät in einem Sturm; ein Großteil der
Schätze versinkt. Sergios,
der Patriarch von Konstantinopel, verlangt von Heraklios schließlich einen Eid,
dass er die Hauptstadt nicht
aufgeben werde. Fiele Konstantinopel an Perser oder
Awaren, wäre auch die Kirche in Gefahr. Im Jahr 621
lässt der Patriarch das Kirchengold einschmelzen und
stellt es dem Kaiser als Darlehen zur Verfügung, damit
dieser militärisch aufrüsten
kann.
In dieser Lage fasst Heraklios den Entschluss, alles
auf eine Karte zu setzen,
selbst ein Heer zu führen
und die Großmacht Persien
anzugreifen. Über 200 Jahre sind vergangen, seit ein Kaiser persönlich Truppen ins Feld geführt hat. Der Byzantinist
Ralph-Johannes Lilie schreibt: „Wäre
Heraklios’ Armee auch nur ein einziges
Mal ernsthaft geschlagen worden, hätte
dies das Ende von Byzanz bedeutet.“
Vermutlich noch bevor er aufbricht,
schließt Heraklios seine zweite Ehe –
die ihm allerdings wenig Sympathie einbringt. Denn der Kaiser heiratet seine
eigene Nichte Martina – ein Verstoß gegen das Inzestverbot, urteilt Nikephoros.
Sergios habe erfolglos darauf gedrungen,
die Verbindung zu lösen.
Immerhin soll der Kaiser nach den
Quellen mit seiner Nichte mindestens
neun Nachkommen gezeugt haben.
Mehrere freilich sollen behindert gewesen sein: Der Sohn Fabius zum Beispiel
habe einen „gelähmten Nacken“ gehabt,
sein Bruder Theodosius sei taub gewesen.
Martina jedenfalls ist bei den Feldzügen gegen die Perser mit dabei. Dem Kaiser gelingt es tatsächlich bald, die persischen Truppen aus Anatolien und Armenien zu verdrängen und so den Krieg auf
persisches Terrain zu verlegen. Noch
moderne Historiker wie Walter Kaegi
bescheinigen ihm ein großes militärisches Geschick.
och während Heraklios
im Osten erste Erfolge erzielt, gerät die Hauptstadt
Konstantinopel erneut
durch die Awaren unter
Beschuss. Nur dank der massiven Mauern und Befestigungsanlagen kommt die
Metropole davon, 626 geben die Awaren
auf.
„Glaubt nicht, dass ich mich aus Angst
zurückziehe, aber ich bin beschränkt wegen der Vorräte … Aber ich werde zurückkehren mit der Absicht, das an Euch
zu vergelten, was ihr mir angetan habt“,
droht der Anführer der Awaren nach
dem Chronicon Paschale; der Verfasser
hat die Belagerung vermutlich selbst erlebt.
Zwar haben die Awaren bei ihrem
Rückzug ein paar Kirchen in den Vororten von Konstantinopel niedergebrannt,
aber auf lange Sicht konnte man das Jahr
als den „Wendepunkt des Krieges“ feiern. So weist der Historiker Wolfram
Brandes darauf hin, dass „nach dem
grandiosen Sieg im Jahr 626 die awarische Gefahr gebannt war, so dass Heraklios in den folgenden zwei Jahren seine
Heere zum Sieg über die Perser führen
konnte.“
Eine wichtige Voraussetzung dafür
war das Bündnis, das Heraklios mit den
Türken geschlossen hatte. Nikephoros
berichtet, dass der Kaiser ihnen wertvolle Geschenke schickt und sie gebeten
habe, der Allianz gegen die Perser beizutreten. Angeblich zeigt der Kaiser
dem Anführer der Türken auch ein Bild
seiner Tochter Epiphania und verspricht
sie ihm zur Frau, wenn er ihm gegen seine Feinde helfe. Der Deal wird besiegelt;
fortan fechten die Türken an der Seite
des Kaisers gegen die Perser.
D
Schmuckring,
Elfenbeintorso 2. Jh.
(Fundstücke der
Ausgrabungen zum
Istanbuler Bahntunnel
unter dem Bosporus
2007)
Holzkamm,
Bronzegewicht
einer Waage
(entdeckt bei
Resten des
antiken Hafens
bei den Tunnelgrabungen
in Istanbul)
Der Kaiser heiratet seine eigene Nichte
und zeugt mit ihr neun Kinder, ein
Verstoß gegen das Inzestverbot in Byzanz.
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Als Perserkönig Chosrau II. zu ahnen
beginnt, was sich da zusammenbraut,
gibt er seinem noch vor Byzanz kämpfenden General Shahrbaraz Order, sofort
zurück nach Persien zu kommen. Doch
Heraklios gelingt es, den Boten abzufangen. In einem gefälschten Brief erhält
Shahrbaraz nun die Weisung, er solle in
der Nähe von Konstantinopel bleiben.
Der Trick hat offenbar Erfolg: Da
Shahrbaraz mit seinen Truppen nicht
eintrifft, kann Heraklios im Herbst 627
die persische Hauptarmee bei Ninive
besiegen. Der alte Feind ist endlich geschlagen.
Am persischen Hof beginnt daraufhin
eine Revolte. Die Adligen verbünden
sich mit Königssohn Siroe, Chosrau wird
festgenommen und in einem seiner Paläste gefangen gehalten. Statt Nahrung,
so erzählt Nikephoros, hätten ihm die
Aufständischen Gold, Silber und Edelsteine vorgesetzt: „Genieß diese Dinge,
die du so krankhaft geliebt und angehäuft hast.“
Er stirbt einen erbärmlichen Hungertod, und Siroe wird als Kavadh II. zum
neuen Herrscher ausgerufen; der
schickt sogleich Geschenke an Heraklios. „Wir übermitteln größte Freude
dem gnädigsten römischen Kaiser, unserem Bruder“, heißt es im Anschreiben,
das im Chronicon Paschale dokumentiert ist.
Schon die Anrede „Bruder“ war ein
neuer Ton. Erstmals stehen die Regenten einander von gleich zu gleich gegenüber – Chosrau war immer von einer
Überlegenheit der Perser ausgegangen.
Kavadh II. dagegen will „in Frieden
und Liebe“ mit dem oströmischen Kaiser leben und verspricht die Freilassung
aller byzantinischen Gefangenen. Heraklios, nicht weniger entgegenkommend,
nennt Kavadh II. seinen „Sohn“, fragt
nach den Gesandten, die er vor mehr als
zehn Jahren zu Chosrau geschickt hat,
und bittet wohl auch um die Rückgabe
des Heiligen Kreuzes.
Bei Nikephorus ist zu lesen, dass Kavadh II. die Rückgabe verspricht – sofern er das Kreuz finden könne. Danach
jedoch bricht die Kommunikation ab:
Der neue persische König stirbt plötzlich, sein Sohn regiert nur 18 Monate.
Mit dem Interimsherrscher Shahrbaraz kann Heraklios nun einen Frieden
schließen, der Byzanz die Rückgabe
aller Gebiete samt Ägypten und Syrien
zubilligt. Das Reich wird in den Grenzen von 602, also vor Phokas’ Machtergreifung, wiederhergestellt. Für den
Historiker Brandes eine kluge Entscheidung: „Heraklios erkannte sehr wohl,
dass eine umfassende Annexion persischer Gebiete seine Kräfte überstiegen hätte, und begnügte sich deshalb
mit der Wiederherstellung der alten
Grenzen.“
Mit diesem Erfolg ist der Kaiser auf
dem Gipfel seiner Herrschaft angelangt.
Für seinen mehrtägigen Triumphzug
durch Konstantinopel bringt er vier Elefanten mit „und verteilte Großzügigkeit
an jedermann“, wie Nikephoros schreibt.
Und 630 krönt er seinen Erfolg sogar
mit der Rückführung des Heiligen Kreuzes nach Jerusalem.
Doch der Sieg ist teuer erkauft. Die
Perser haben bei ihren Eroberungen alle
verfügbaren Schätze geplündert; dem
Reich geht es wirtschaftlich schlecht. In
den entbehrungsreichen Kriegen sind
die Zentren verarmt – archäologische
Befunde zeigen, dass Städte wie Ephesos, Pergamon, Sardes oder Athen ihren
urbanen Charakter nahezu verloren hatten. Der Kaiser muss sogar Soldaten entlassen und militärisch abrüsten, um seine Schulden bei der Kirche bezahlen zu
können.
Aber inmitten dieser Probleme interessieren ihn noch ganz andere Fragen.
Eine der wichtigsten ist die Aussöhnung
unter den sich schon lange bekämpfenden Strömungen innerhalb des Christentums.
orum geht es? Das
Konzil von Chalkedon hatte schon 451
festgelegt, dass in
Christus göttliche
und menschliche Natur „ungetrennt und
unvermischt“ seien. Doch etliche Theologen verfechten die Ansicht, in Christus
komme nur eine Natur zum Ausdruck.
Sind diese Monophysiten Ketzer?
Heraklios persönlich leitet ab 633 die
Verhandlungen mit dem Patriarchen Sergios und Erzbischof Cyrus von Chalkedon. Eine Kompromissformel lautet, in
Christus wirke nicht eine Natur, sondern
eine Energie (Monenergetismus) – doch
W
Kampf um Antiochia 632
Westeuropäische
Buchmalerei, 14. Jh.
sie wird vom Patriarchen in Jerusalem
sofort abgelehnt.
Schließlich geben Heraklios und
Sergios im Jahr 638 gemeinsam eine
„Ekthesis“ (Erklärung) heraus, die an
der Hagia Sophia in Konstantinopel
aufgehängt wird: Über zwei Energien
zu diskutieren sei von nun an verboten;
in Christus sei ein einziger Wille am
Werk. Doch auch diese Linie des „Monotheletismus“ findet sowohl bei den
chalkedonischen Kirchenmännern wie
auch bei den Monophysiten keine Gnade. Noch weit über Heraklios’ Regierungszeit hinaus bleibt das Problem ungeklärt.
Zu seinem mehrtägigen Triumphzug durch Konstantinopel
ließ der Kaiser vier Elefanten herbeischaffen.
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ERICH LESSING / AKG
Doch während man in Konstantinopel noch hochgelehrt um Christi wahre
Natur ringt, formiert sich weit entfernt
eine religiöse Bewegung, die Byzanz
bald in größte Schwierigkeiten bringen
sollte: der Islam. Schon kurz nach dem
Tod des Propheten Mohammed im Jahr
632 hat unter Kalif Abu Bakr die islamische Expansion begonnen. Sie trifft gleichermaßen Byzanz und Persien, die vom
Dauerkonflikt miteinander erschöpft
waren.
Beängstigend schnell dringen die
Muslime vor: 635 fällt ihnen Damaskus
in die Hände, 637 Jerusalem, 638 Mesopotamien und 641 Ägypten.
Dabei ist es keineswegs so, dass die
Araber überall verhasst wären. Speziell
in Syrien und Ägypten fühlt sich die
mehrheitlich monophysitische Bevölkerung dem orthodoxen Kaiser nicht beson-
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ders verbunden. Zudem hat Heraklios
nach 630 gefordert, dass die Steuern, die
während der persischen Besatzung der
Gebiete fällig geworden waren, auf einen
Schlag zurückgezahlt werden müssen,
was ebenfalls für Unmut sorgt. Was die
Araber verlangen, war weitaus geringer.
Noch ein letztes Mal stellt Heraklios
ein großes Heer zusammen. Doch 636
wird diese byzantinische Streitmacht bei
Jarmuk im heutigen Jordanien vernichtend geschlagen.
Danach geht es dem Kaiser schlecht.
Ihn quält angeblich eine Nervenstörung,
die es ihm unmöglich macht, Flüsse oder
Meerengen zu überqueren, und er leidet
unter Verfolgungswahn. Einem seiner
Söhne und einem Neffen lässt er Nase
und Ohren abschneiden, weil er sie verdächtigt, gegen ihn zu konspirieren. „Seine Herrschaft endet in Konfusion und
politischer und militärischer Unsicherheit“, konstatiert der britische Byzantinist John Haldon.
Als Heraklios am 11. Februar 641
stirbt, versinkt Konstantinopel in monatelangen Wirren. Nach langen, mörderischen Monaten wird im September der
elfjährige Enkel Konstans II. zum neuen
Kaiser gekrönt.
Die allermeisten Gebiete, die nach
636 an die Araber verlorengingen, hat
Byzanz nie wieder zurückgewinnen können. Wohl kaum ein Kaiser hat so dramatische Wechsel von Triumph zu Tragödie erlebt wie Heraklios. Für Wolfram
Brandes waren die drei Jahrzehnte seiner Herrschaft „eine der wichtigsten
Wegscheiden der Weltgeschichte“. In
ihnen vollzog sich das Ende der Antike
und der Beginn des mittelalterlichen
Byzanz.
n
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