KAPITEL III ZWISCHEN DEN WELTEN Triumph und Tragödie 58 RMN-GRAND PALAIS / ART RESOURCE Das Perserreich war einer der mächtigsten Gegner von Byzanz. Kaiser Heraklios glückte der Sieg, doch dann begann die islamische Expansion. Heraklios unterwirft den Perserkönig Chosrau II. Vergoldete und emaillierte Kreuz-Plakette 12. Jh., Museum Louvre Paris Von MARKUS GRILL anche Kaiser sind umso beliebter, je weiter sie weg sind. Phokas beispielsweise scheint die größten Anhänger im 2000 Kilometer entfernten Rom gehabt zu haben. Wer heute über das Forum Romanum spaziert, dem Zentrum der antiken Hauptstadt Rom, blickt direkt vor der antiken Rednertribüne gegenüber dem Senatsgebäude noch immer auf eine einsam stehende hohe Säule. An ihrem Sockel ist eine lateinische Inschrift angebracht: „Dem höchsten, mildesten und frömmsten Fürsten, unserem Herrscher Phokas ... als Dank für die unzähligen Wohltaten seiner Barmherzigkeit.“ Aufstellen ließ die Säule samt Inschrift ein gewisser Smaragdus, ehemals Vorsteher des kaiserlichen Palastes und vom Kaiser eingesetzter Gebietsherrscher in Italien. Er hatte also allen Grund, Phokas dankbar zu sein. Aber nicht nur Smaragdus, auch die Kirche in Italien war mit Phokas zufrieden. Im Jahr 607 dekretierte der ferne Kaiser, dass der Papst in Rom das Haupt aller Kirchen („caput omnium ecclesiarum“) sei. Ein Jahr später schenkte Phokas Papst Bonifatius IV. auch noch das Pantheon, das dieser in eine Marienkirche umwandeln ließ, was immerhin den Vorteil hatte, dass der grandiose antike Rundtempel bis heute erhalten ist und von Touristen bestaunt werden kann. Doch weder die papstfreundliche Politik noch die schwülstigen Ehrerbietungen an der Säule waren geeignet, das Ansehen von Kaiser Phokas im byzantinischen Reich wirklich zu bessern. Phokas war ein Militärkopf, ein Offizier im Rang eines Centurio, der sich 602 gegen den bisherigen Kaiser Maurikios erhoben und in der Armee schnell Unterstützung gefunden hatte. Das Heer ernannte ihn zu seinem Anführer; so marschierte Phokas nach Konstantinopel. Der Kaiser floh, doch Phokas’ Soldaten fassten ihn. Zusammen mit seinen fünf Söhnen wurde Maurikios brutal verstümmelt und ermordet. Es war das erste Mal in der Geschichte von Byzanz, M Solidus mit Bild des Heraklios dass ein Offizier sich erfolgreich auf den Thron putschte. Nun hatte er die Macht, doch Phokas regierte weiter mit Terror; offensichtlich fühlte er sich keineswegs sicher in seinem Amt. Er ließ große Teile der Senatoren-Elite hinrichten. Auch Männern aus dem Volk, die ihn bei den Wettkämpfen im Hippodrom als Säufer verhöhnten, ließ er Kopf, Ohren oder Nase abschneiden. In vielen byzantinischen Quellen wird Phokas als grausamer Tyrann beschrieben. Auch der Gebietsherrscher von Karthago, Exarch Heraklios der Ältere – der Vater des späteren Kaisers – verabscheute den Emporkömmling. Noch der alte Kaiser Maurikios hatte ihn zum Exarchen ernannt. Das Amt war eine byzantische Erfindung: Ein Exarch wurde vom Kaiser eingesetzt und übte sowohl die militärische als auch die zivile Verwaltung in einem entfernten Gebiet aus. Und er war ein Machtfaktor im Reich. Von Konstantinopel aus gewannen Senatoren ihn für eine Revolte gegen den neuen Kaiser. Unter den Verschwörern war sogar Priskos, der Schwiegersohn des Phokas. Weshalb Heraklios der Ältere sich der Verschwörung anschloss, ist nicht überliefert. Sein Sohn sagte später, es sei darum gegangen, den Mord an Maurikios und seinen Söhnen zu rächen. Vermut- lich aber war sich Heraklios seines eigenen Lebens nicht mehr sicher, weil er damit rechnen musste, selbst einer der innenpolitischen Mordwellen zum Opfer zu fallen. Doch das Risiko für Umstürzler war groß. Es muss Heraklios klar gewesen sein, wenn er scheiterte, dann würde nicht nur er, sondern seine ganze Familie zum Tode verurteilt und ihr Vermögen konfisziert. In seiner „Kurzen Geschichte“ hat Nikephoros I., ein byzantinischer Geschichtsschreiber und Patriarch aus dem 8. Jahrhundert, den Beginn der Machtergreifung so geschildert: „Zu dieser Zeit regierten zwei Brüder Nordafrika, Herakleios und Gregorios, beide wurden von Maurikios in ihre militärischen Ämter berufen. Sie kamen überein, ihre beiden Söhne nach Byzanz zu schicken mit dem Auftrag, dass derjenige, der zuerst eintreffen sollte, Besitz vom Thron ergreifen sollte.“ Aus dem Jahr 608 stammt eine Goldmünze, ein Solidus, die Heraklios’ Anspruch auf den Thron deutlich macht: Sie zeigt Heraklios den Älteren mit seinem Sohn im Gewand eines Konsuls. Der Filius sitzt an der linken Seite, die normalerweise dem Kaiser vorbehalten ist. Dass sich beide auf einer Münze als Konsuln präsentieren, sollte vermutlich zeigen: Wir achten altrömische Tradition, während dem Gewaltherrscher Phokas jede Legitimation fehlt. Heraklios der Jüngere setzt sich 608 mit einer Flotte von Karthago aus in Bewegung, sein Cousin Niketas bricht auf dem Landweg nach Ägypten auf. Beide erfahren Zuspruch auf ihrem Vormarsch: In Ägypten zum Beispiel stellt sich sowohl die mächtige Familie der Apionen als auch der Patriarch hinter die Aufständischen. Ägypten ist aber vor allem strategisch von Bedeutung: Das Land sorgt für einen Großteil der Steuereinnahmen von Byzanz und ist der größte Kornlieferant. Als Niketas weiter vorrückt, versiegen denn auch die Getreideexporte, was in der Hauptstadt schnell zu spüren ist und die Stimmung gegen Phokas verschärft, zumal dieser zur gleichen Zeit Gefechte gegen die Perser verliert. Es war das erste Mal in der Geschichte von Byzanz, dass sich ein Offizier erfolgreich auf den Thron putschte. 60 SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 ALAMY / MAURITIUS IMAGES ZWISCHEN DEN WELTEN GETTY IMAGES Heraklios ist unterdessen damit beIm Sommer 610 erreicht Heraklios brachte er die letzten zehn Jahre vor der das Marmarameer vor Konstantinopel. Machtergreifung an der Seite seines Va- schäftigt, seine Macht abzusichern. Das Reich befindet sich nach jahrelangen, Er wartet aber noch bis Oktober, bevor ters in Karthago. Dass er ein Mädchen aus der afrika- zermürbenden Kriegen gegen die sassaer sich die Macht greift, die ihm ohne größere Anstrengungen in die Hände nischen Oberschicht zur Frau nimmt, nidischen Perser und auch inneren zu fallen scheint. Es kommt zwar zu zeigt zumindest: Seine Bindung an die Kämpfen in einem desolaten Zustand. kleinen Scharmützeln mit den kaiserli- Heimat seiner Eltern ist nicht besonders Doch an Ruhe für den Wiederaufbau ist chen Truppen, doch danach fällt offen- groß – der Vater stammte vermutlich nicht zu denken. Die Perser bleiben agbar der organisierte Widerstand in sich aus Armenien, die Mutter aus Kappado- gressiv, marschieren in Anatolien ein, besetzen im Jahr 613 Damaskus. zusammen. Die Elite der Hauptstadt kien im Zentrum Kleinasiens. Schwerer wiegt jedoch der Verlust Ein Jahr nach der Hochzeit bringt läuft in Scharen zu Heraklios über. Der Geschichtsschreiber Nikephoros berich- Kaiserin Eudokia 611 eine Tochter Epi- von Jerusalem im Jahr darauf. „Zusamtet, dass es sogar zwei Soldaten der Pa- phania zur Welt, ein Jahr später wird men mit vielen anderen Städten wird Jelasttruppe sind, die den Kaiser festneh- der Sohn Konstantin geboren. Drei Mo- rusalem erobert von den Persern, und men und ihn entkleidet zu Heraklios nate später stirbt sie, so Nikephoros, an in der Stadt wurden viele tausend Priester, Mönche und jungfräuliche Nonnen Epilepsie. bringen. getötet. Das Grab des Dort entspinnt sich Herrn wurde niedergelaut Nikephoros ein brannt ... und, um es letzter Dialog. „Du kurz zu machen, alle Schuft hast den Staat wertvollen Dinge wurregiert?“, hält Heraden zerstört. Das verklios ihm vor, worauf ehrte Holz des KreuPhokas geantwortet zes wurde von den Perhaben soll: „Zweifellos sern mitgenommen wirst du es besser maund Patriarch Zacharichen.“ Danach befiehlt as wurde Gefangener.“ der neue starke Mann, So steht es in einer Phokas erst zu verzeitgenössischen Quelstümmeln, dann zu töle, dem um 630 verfassten. Ebenso ergeht es ten „Chronicon Paweiteren Getreuen des schale“ in griechischer bisherigen Kaisers. Sprache. Der Autor ist Phokas’ Kopf wird auf unbekannt, war aber eine Stange gesteckt wohl ein Vertrauter und durch das Zendes Patriarchen Sertrum von Konstantinogios in Konstantinopel, pel getragen. der Zugang zu DokuAuch die Kirche menten hatte. Geleschlägt sich auf Heragentlich wird aus Brieklios’ Seite: Noch am fen und anderen Ungleichen Tag krönt ihn terlagen zitiert – für Patriarch Sergios zum die Regierungszeit des neuen Kaiser und Heraklios ist diese schließt die Ehe zwiQuelle ein Glücksfall. schen ihm und Fabia, Dass eine so wichtider Tochter eines afrige Reliquie wie das kanischen GrundbesitHolzkreuz, an dem Jezers, die sich von da an sus gestorben sein soll, Eudokia nennt. in die Hand der „unHeraklios ist zu diegläubigen“ Perser gerasem Zeitpunkt schon ten konnte, war ein 35 Jahre alt, doch von schwerer Schlag für seinem früheren Leben das Selbstbewusstsein ist so gut wie nichts beder Byzantiner. Zeigkannt. Wo er aufwuchs, ten die militärischen welche Sprachen er Niederlagen den Zorn sprach, wie und wo er Gottes? Wollte er Fehzur Schule ging, wer ler bestrafen? Die seine Freunde waren, Grausamkeiten jedenwelche religiösen Erfalls, von denen die fahrungen er machte. Bischofsstuhl des Maximianus von Ravenna Elfenbein 6. Jh. Chronik berichtet, Wahrscheinlich ver- SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 61 ZWISCHEN DEN WELTEN sind wahrscheinlich nicht einmal übertrieben. Die Sassaniden waren bekannt für den massenhaften Raub von Menschen, die dann zwangsweise ins Perserreich umgesiedelt wurden. An einer anderen Front hätte es Heraklios beinahe selbst erwischt: Die von Norden gegen Byzanz ankämpfenden Awaren locken den Kaiser in einen Hinterhalt. Sie geben vor, mit ihm verhandeln zu wollen, planen aber seine Entführung. Nikephoros berichtet: Als Heraklios von dem Plan erfährt, legt er seine Kaisergewänder ab, kleidet sich ärmlich wie ein gewöhnlicher Mann und entkommt mit knapper Not in Richtung Konstantinopel. Als neue persische Vorstöße die Getreidelieferungen aus Ägypten abermals unterbrechen, breitet sich in Konstantinopel eine Hungersnot aus, berichtet das Chronicon Paschale. Erst wird der Preis von staatlich subventioniertem Brot angehoben, dann die Verteilung vollständig eingestellt; außerdem grassieren Seu- BYZANTINISCHE SEIDE Seidenstoffe waren ein Herrschaftssymbol der oströmischen Kaiser – und begehrtes Handelsgut. Der Umgang mit den feinen Textilien war streng geregelt. Von einem Fall früher Wirtschaftsspionage berichtet der Historiker Prokop um 550: Mönche aus Indien hätten wenige Jahre zuvor Eier der Seidenraupe aus „Serinda“ (wohl China) mitgebracht. So mussten die Byzantiner das wertvolle Garn nicht länger von den persischen Zwischenhändlern kaufen, die bis dahin die Handelsrouten gen Osten kontrollierten. Was an der Geschichte stimmt und wie die Seidenspinner tatsächlich nach Byzanz kamen, ist unklar. Doch tatsächlich begann spätestens Mitte des 6. Jahrhunderts die Herstellung und Verarbeitung einheimischer Rohseide. Zunächst in Syrien, später auch in Kleinasien wurden Maulbeerbäume angepflanzt und Seidenraupen gezüchtet; verarbeitet wurden die Garne in speziellen Werkstätten in Konstantinopel, später auch in Theben und Korinth. 62 Von Anfang an bildete Seide so etwas wie das Grundgewebe der byzantinischen Reichsidentität: Im Kult, in der Diplomatie und in der Politik spielten die kostbaren Tuche eine zentrale Rolle, sie demonstrierten die imperiale Macht. Stoffe höchster Qualität waren mit einem Sekret der Purpurschnecke gefärbt, sie waren allein der kaiserlichen Familie vorbehalten. Bis ins 10. Jahrhundert durften nur die kaiserlichen Werkstätten sie produzieren, und selbst auf Kriegszügen ruhte der Monarch in purpurfarbener Seidenbettwäsche. Doch auch Hofbedienstete und sogar Soldaten trugen seidene Tuniken, farblich abgestuft in Rang und Zeremoniell. „Da wir Byzantiner alle anderen Nationen an Reichtum und Weisheit übertreffen, ist es nur recht, dass wir sie auch in unserer Kleidung überbieten“, konstatierte Kaiser Nikephoros II. 968. Die einheimische Seidenindustrie war bis ins 12. Jahrhundert die einzige in Europa. Sie wurde streng kontrolliert: Handel und Produktion waren bis hin zu den Gewinnspannen gesetzlich geregelt und auf bestimmte Gilden in der Hauptstadt beschränkt. Nur Seide minderer Qualität durfte ausgeführt werden, den Export reglementierten Handelsabkommen etwa mit Russland oder Venedig: Seide gab es oft als Lohn für militärische Allianzen oder Unterstützung auf See. Die bunten Stoffe mit eingewebten Goldfäden und kleinteiligen Blütenoder Tiermustern mit Löwen, Adlern oder Greifen waren der Inbegriff des Luxus, nicht nur in Europa, sie wurden gehandelt wie Gold. Über die Seidenstraße gelangte die byzantinische Seide auch nach Osten, griechische, persische und fernöstliche Muster und Webtechniken beeinflussten einander. Die meisten Stoffe sind heute aus Schatzkammern westlicher Fürsten überliefert: Sie horteten die Tuche – oft diplomatische Geschenke – neben goldenen Kelchen und edelsteinbesetzten Kronen. Eva-Maria Schnurr SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 ALAMY / MAURITIUS IMAGES Glänzender Kult Byzantinisches Seidengewebe 9. Jahrhundert SIPA / DDP IMAGES chen. „Der Kaiser war überwältigt von Niedergeschlagenheit und Verzweiflung“, schreibt Nikephoros. Die Lage ist offenbar so ernst, dass Heraklios sich überlegt, die Hauptstadt von Byzanz nach Nordafrika zu verlegen. Er habe schon ein Schiff mit Geld, Gold, Silber und Edelsteinen vorausgeschickt, schreibt Nikephoros. Aber der Frachter gerät in einem Sturm; ein Großteil der Schätze versinkt. Sergios, der Patriarch von Konstantinopel, verlangt von Heraklios schließlich einen Eid, dass er die Hauptstadt nicht aufgeben werde. Fiele Konstantinopel an Perser oder Awaren, wäre auch die Kirche in Gefahr. Im Jahr 621 lässt der Patriarch das Kirchengold einschmelzen und stellt es dem Kaiser als Darlehen zur Verfügung, damit dieser militärisch aufrüsten kann. In dieser Lage fasst Heraklios den Entschluss, alles auf eine Karte zu setzen, selbst ein Heer zu führen und die Großmacht Persien anzugreifen. Über 200 Jahre sind vergangen, seit ein Kaiser persönlich Truppen ins Feld geführt hat. Der Byzantinist Ralph-Johannes Lilie schreibt: „Wäre Heraklios’ Armee auch nur ein einziges Mal ernsthaft geschlagen worden, hätte dies das Ende von Byzanz bedeutet.“ Vermutlich noch bevor er aufbricht, schließt Heraklios seine zweite Ehe – die ihm allerdings wenig Sympathie einbringt. Denn der Kaiser heiratet seine eigene Nichte Martina – ein Verstoß gegen das Inzestverbot, urteilt Nikephoros. Sergios habe erfolglos darauf gedrungen, die Verbindung zu lösen. Immerhin soll der Kaiser nach den Quellen mit seiner Nichte mindestens neun Nachkommen gezeugt haben. Mehrere freilich sollen behindert gewesen sein: Der Sohn Fabius zum Beispiel habe einen „gelähmten Nacken“ gehabt, sein Bruder Theodosius sei taub gewesen. Martina jedenfalls ist bei den Feldzügen gegen die Perser mit dabei. Dem Kaiser gelingt es tatsächlich bald, die persischen Truppen aus Anatolien und Armenien zu verdrängen und so den Krieg auf persisches Terrain zu verlegen. Noch moderne Historiker wie Walter Kaegi bescheinigen ihm ein großes militärisches Geschick. och während Heraklios im Osten erste Erfolge erzielt, gerät die Hauptstadt Konstantinopel erneut durch die Awaren unter Beschuss. Nur dank der massiven Mauern und Befestigungsanlagen kommt die Metropole davon, 626 geben die Awaren auf. „Glaubt nicht, dass ich mich aus Angst zurückziehe, aber ich bin beschränkt wegen der Vorräte … Aber ich werde zurückkehren mit der Absicht, das an Euch zu vergelten, was ihr mir angetan habt“, droht der Anführer der Awaren nach dem Chronicon Paschale; der Verfasser hat die Belagerung vermutlich selbst erlebt. Zwar haben die Awaren bei ihrem Rückzug ein paar Kirchen in den Vororten von Konstantinopel niedergebrannt, aber auf lange Sicht konnte man das Jahr als den „Wendepunkt des Krieges“ feiern. So weist der Historiker Wolfram Brandes darauf hin, dass „nach dem grandiosen Sieg im Jahr 626 die awarische Gefahr gebannt war, so dass Heraklios in den folgenden zwei Jahren seine Heere zum Sieg über die Perser führen konnte.“ Eine wichtige Voraussetzung dafür war das Bündnis, das Heraklios mit den Türken geschlossen hatte. Nikephoros berichtet, dass der Kaiser ihnen wertvolle Geschenke schickt und sie gebeten habe, der Allianz gegen die Perser beizutreten. Angeblich zeigt der Kaiser dem Anführer der Türken auch ein Bild seiner Tochter Epiphania und verspricht sie ihm zur Frau, wenn er ihm gegen seine Feinde helfe. Der Deal wird besiegelt; fortan fechten die Türken an der Seite des Kaisers gegen die Perser. D Schmuckring, Elfenbeintorso 2. Jh. (Fundstücke der Ausgrabungen zum Istanbuler Bahntunnel unter dem Bosporus 2007) Holzkamm, Bronzegewicht einer Waage (entdeckt bei Resten des antiken Hafens bei den Tunnelgrabungen in Istanbul) Der Kaiser heiratet seine eigene Nichte und zeugt mit ihr neun Kinder, ein Verstoß gegen das Inzestverbot in Byzanz. SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 63 ZWISCHEN DEN WELTEN Als Perserkönig Chosrau II. zu ahnen beginnt, was sich da zusammenbraut, gibt er seinem noch vor Byzanz kämpfenden General Shahrbaraz Order, sofort zurück nach Persien zu kommen. Doch Heraklios gelingt es, den Boten abzufangen. In einem gefälschten Brief erhält Shahrbaraz nun die Weisung, er solle in der Nähe von Konstantinopel bleiben. Der Trick hat offenbar Erfolg: Da Shahrbaraz mit seinen Truppen nicht eintrifft, kann Heraklios im Herbst 627 die persische Hauptarmee bei Ninive besiegen. Der alte Feind ist endlich geschlagen. Am persischen Hof beginnt daraufhin eine Revolte. Die Adligen verbünden sich mit Königssohn Siroe, Chosrau wird festgenommen und in einem seiner Paläste gefangen gehalten. Statt Nahrung, so erzählt Nikephoros, hätten ihm die Aufständischen Gold, Silber und Edelsteine vorgesetzt: „Genieß diese Dinge, die du so krankhaft geliebt und angehäuft hast.“ Er stirbt einen erbärmlichen Hungertod, und Siroe wird als Kavadh II. zum neuen Herrscher ausgerufen; der schickt sogleich Geschenke an Heraklios. „Wir übermitteln größte Freude dem gnädigsten römischen Kaiser, unserem Bruder“, heißt es im Anschreiben, das im Chronicon Paschale dokumentiert ist. Schon die Anrede „Bruder“ war ein neuer Ton. Erstmals stehen die Regenten einander von gleich zu gleich gegenüber – Chosrau war immer von einer Überlegenheit der Perser ausgegangen. Kavadh II. dagegen will „in Frieden und Liebe“ mit dem oströmischen Kaiser leben und verspricht die Freilassung aller byzantinischen Gefangenen. Heraklios, nicht weniger entgegenkommend, nennt Kavadh II. seinen „Sohn“, fragt nach den Gesandten, die er vor mehr als zehn Jahren zu Chosrau geschickt hat, und bittet wohl auch um die Rückgabe des Heiligen Kreuzes. Bei Nikephorus ist zu lesen, dass Kavadh II. die Rückgabe verspricht – sofern er das Kreuz finden könne. Danach jedoch bricht die Kommunikation ab: Der neue persische König stirbt plötzlich, sein Sohn regiert nur 18 Monate. Mit dem Interimsherrscher Shahrbaraz kann Heraklios nun einen Frieden schließen, der Byzanz die Rückgabe aller Gebiete samt Ägypten und Syrien zubilligt. Das Reich wird in den Grenzen von 602, also vor Phokas’ Machtergreifung, wiederhergestellt. Für den Historiker Brandes eine kluge Entscheidung: „Heraklios erkannte sehr wohl, dass eine umfassende Annexion persischer Gebiete seine Kräfte überstiegen hätte, und begnügte sich deshalb mit der Wiederherstellung der alten Grenzen.“ Mit diesem Erfolg ist der Kaiser auf dem Gipfel seiner Herrschaft angelangt. Für seinen mehrtägigen Triumphzug durch Konstantinopel bringt er vier Elefanten mit „und verteilte Großzügigkeit an jedermann“, wie Nikephoros schreibt. Und 630 krönt er seinen Erfolg sogar mit der Rückführung des Heiligen Kreuzes nach Jerusalem. Doch der Sieg ist teuer erkauft. Die Perser haben bei ihren Eroberungen alle verfügbaren Schätze geplündert; dem Reich geht es wirtschaftlich schlecht. In den entbehrungsreichen Kriegen sind die Zentren verarmt – archäologische Befunde zeigen, dass Städte wie Ephesos, Pergamon, Sardes oder Athen ihren urbanen Charakter nahezu verloren hatten. Der Kaiser muss sogar Soldaten entlassen und militärisch abrüsten, um seine Schulden bei der Kirche bezahlen zu können. Aber inmitten dieser Probleme interessieren ihn noch ganz andere Fragen. Eine der wichtigsten ist die Aussöhnung unter den sich schon lange bekämpfenden Strömungen innerhalb des Christentums. orum geht es? Das Konzil von Chalkedon hatte schon 451 festgelegt, dass in Christus göttliche und menschliche Natur „ungetrennt und unvermischt“ seien. Doch etliche Theologen verfechten die Ansicht, in Christus komme nur eine Natur zum Ausdruck. Sind diese Monophysiten Ketzer? Heraklios persönlich leitet ab 633 die Verhandlungen mit dem Patriarchen Sergios und Erzbischof Cyrus von Chalkedon. Eine Kompromissformel lautet, in Christus wirke nicht eine Natur, sondern eine Energie (Monenergetismus) – doch W Kampf um Antiochia 632 Westeuropäische Buchmalerei, 14. Jh. sie wird vom Patriarchen in Jerusalem sofort abgelehnt. Schließlich geben Heraklios und Sergios im Jahr 638 gemeinsam eine „Ekthesis“ (Erklärung) heraus, die an der Hagia Sophia in Konstantinopel aufgehängt wird: Über zwei Energien zu diskutieren sei von nun an verboten; in Christus sei ein einziger Wille am Werk. Doch auch diese Linie des „Monotheletismus“ findet sowohl bei den chalkedonischen Kirchenmännern wie auch bei den Monophysiten keine Gnade. Noch weit über Heraklios’ Regierungszeit hinaus bleibt das Problem ungeklärt. Zu seinem mehrtägigen Triumphzug durch Konstantinopel ließ der Kaiser vier Elefanten herbeischaffen. 64 SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 ERICH LESSING / AKG Doch während man in Konstantinopel noch hochgelehrt um Christi wahre Natur ringt, formiert sich weit entfernt eine religiöse Bewegung, die Byzanz bald in größte Schwierigkeiten bringen sollte: der Islam. Schon kurz nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 hat unter Kalif Abu Bakr die islamische Expansion begonnen. Sie trifft gleichermaßen Byzanz und Persien, die vom Dauerkonflikt miteinander erschöpft waren. Beängstigend schnell dringen die Muslime vor: 635 fällt ihnen Damaskus in die Hände, 637 Jerusalem, 638 Mesopotamien und 641 Ägypten. Dabei ist es keineswegs so, dass die Araber überall verhasst wären. Speziell in Syrien und Ägypten fühlt sich die mehrheitlich monophysitische Bevölkerung dem orthodoxen Kaiser nicht beson- SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014 ders verbunden. Zudem hat Heraklios nach 630 gefordert, dass die Steuern, die während der persischen Besatzung der Gebiete fällig geworden waren, auf einen Schlag zurückgezahlt werden müssen, was ebenfalls für Unmut sorgt. Was die Araber verlangen, war weitaus geringer. Noch ein letztes Mal stellt Heraklios ein großes Heer zusammen. Doch 636 wird diese byzantinische Streitmacht bei Jarmuk im heutigen Jordanien vernichtend geschlagen. Danach geht es dem Kaiser schlecht. Ihn quält angeblich eine Nervenstörung, die es ihm unmöglich macht, Flüsse oder Meerengen zu überqueren, und er leidet unter Verfolgungswahn. Einem seiner Söhne und einem Neffen lässt er Nase und Ohren abschneiden, weil er sie verdächtigt, gegen ihn zu konspirieren. „Seine Herrschaft endet in Konfusion und politischer und militärischer Unsicherheit“, konstatiert der britische Byzantinist John Haldon. Als Heraklios am 11. Februar 641 stirbt, versinkt Konstantinopel in monatelangen Wirren. Nach langen, mörderischen Monaten wird im September der elfjährige Enkel Konstans II. zum neuen Kaiser gekrönt. Die allermeisten Gebiete, die nach 636 an die Araber verlorengingen, hat Byzanz nie wieder zurückgewinnen können. Wohl kaum ein Kaiser hat so dramatische Wechsel von Triumph zu Tragödie erlebt wie Heraklios. Für Wolfram Brandes waren die drei Jahrzehnte seiner Herrschaft „eine der wichtigsten Wegscheiden der Weltgeschichte“. In ihnen vollzog sich das Ende der Antike und der Beginn des mittelalterlichen Byzanz. n 65