Odysso Informationen zur Sendung vom Wissen entdecken 30. März 2006 SCHUTZLOS IM SONNENSTURM ¾ Vom Rinnsal zum reißenden Fluss ¾ Aktuell: Sonnenfinsternis in der Türkei ¾ Weltraumwetter ¾ Zeitreise: Die Entdeckung der Sonne ¾ Global Dimming Odysso ist eine Sendung des Durch Gasausbrüche auf der Sonnenoberfläche entsteht der Sonnenwind SCHUTZLOS IM SONNENSTURM Die Erde ist den Launen der Sonne ausgesetzt: Wenn es zu einem gewaltigen Gasausbruch auf der Sonnenoberfläche kommt, dann wird besonders starker Sonnenwind durch den Weltraum geschleudert. Trifft er die Erde, erzeugt er nicht nur wunderschöne Polarlichterscheinungen am nächtlichen Himmel, sondern es kann auch das Kommunikationsnetz oder die Energieversorgung einer Region vollkommen zusammenbrechen. Um die Sonneneruptionen in Zukunft vorhersagen zu können, soll die Sonne künftig mit zwei verschiedenen Satelliten in Stereo beobachtet werden. Odysso zeigt, wie wir von der Vorhersage des "Sonnenwetters" profitieren werden. VON AXEL WAGNER: »Vom Rinnsal zum reißenden Fluss« E igentlich ist die Brugga ein friedlicher Gebirgsbach in der Nähe von Freiburg. Doch Forscher der Uni Freiburg kennen auch ihre wilde, unberechenbare Seite. Denn bei Hochwasser wird der harmlose Bach ein reißender Strom. Vor allem durch den plötzlich schmelzenden Schnee verwandeln sich die Schwarzwaldbäche zu einem Quell der Verwüs- tung. Warum und wie dies passieren kann, erforschen die Wissenschafter aus Freiburg. Mit Hilfe einer gelben Flüssigkeit wollen die Experten testen, wie stark das Schmelzwasser im Uferbereich der Brugga den Pegel ansteigen lässt. Deshalb bringen sie die Probeflüssigkeit in das Erdreich ein. Ihre Vermutung: der Boden wirkt für das Wasser zunächst wie ein Schwamm. Ab einer bestimmten Grenze aber kann er kein Wasser mehr speichern und gibt es an Bäche wie die Brugga ab. Die Folge: Hochwasser. Doch wie schnell wird ein harmloser Bach zum tosenden Strom? Um das herauszufinden, wird ein paar Hundert Meter stromabwärts nach der weiter oben eingebrachten Flüssigkeit gefahndet. Die Forscher wollen wissen, wann und in welcher Konzentration die Flüssigkeit, und damit auch das Schmelzwasser, an der Stelle weiter unten ankommt. Wenn Schmelzwasser die Bäche füllt Mit Schläuchen wird das Wasser der Brugga aufgesaugt, um seine Zusammensetzung im Labor genau untersuchen zu können. Tatsächlich lässt sich der gelbe Farbstoff nachweisen. Das Ergebnis: Schon nach wenigen Stunden füllt das erste Schmelzwasser die Schwarzwaldbäche. Und die geben ihr Wasser an den Fluss Dreisam ab. Wenn Dreisam all das Schmelzwasser der Umgebung plötzlich in Richtung Freiburg transportiert, ist die Katastrophe nah. Deshalb haben die Forscher aus Freiburg ein Verfahren entwickelt, auch an der Dreisam zu testen, in- Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken Odysso vom 30. März 2006 wieweit das Tauwetter den Fluss über die Ufer treibt. Dazu untersuchen sie die genaue Zusammensetzung des Wassers, um herauszufinden, wie viel Schneeschmelze darin enthalten ist. "Das Neue hier in Freiburg ist, dass wir die Inhaltsstoffe im Wasser messen. Und daraus Rückschlüsse auf die Prozesse ziehen, die zur Hochwasserbildung führen", erklärt der Hydrologe Dr. Jens Lange. Das Mischungsverhältnis von Quellwasser und Schmelzwasser Im Labor kann das Mischungsverhältnis von Quellwasser und Schmelzwasser analysiert werden. Haben die Bäche viel Tauwasser, die Proben der Dreisam aber wenig, dann ist Hochwasser zu erwarten, denn das Wasser der Bäche fließt in die Dreisam. Und so schätzt Jens Lange die momentane Situation ein: "Es wird immer problematisch, wenn Sie im Einzugsgebiet viel Schnee haben, dann sehr viel Niederschlag, gleichzeitig mit einer sehr starken Temperaturerhöhung. Dann wird alles gleichzeitig mobilisiert und dann kommt es zu den große Hochwassern. Wir hatten aber jetzt schon ein Hochwasser an der Dreisam, da ist ziemlich viel abgegangen und von daher wird es kein sehr großes Hochwasser mehr geben." Der Schwarzwald hatte Glück, denn dieses Frühjahr konnten Bäche wie die Brugga ihr Schmelzwasser über Wochen dosiert zu Tal befördern. VON INGOLF BAUR: »Aktuell: Sonnenfinsternis in der Türkei« F rüher hat man sich vor ihr gefürchtet, heute sind manche vollständig verrückt danach: die Sonnenfinsternis. Mit zweien dieser leidenschaftlichen Sonnenfinsternis-Jäger hat unser Moderator Ingolf Baur die Sonnenfinsternis in der Türkei erlebt: Seite 2 Noch 24 Stunden bis zum Verschwinden der Sonne. Aber was sind schon 24 Stunden, wenn man zwei Jahre auf dieses Ereignis hingelebt hat? Es muss also mehr sein als ein bisschen Dunkelheit. Sternenfieber ist ansteckend. "Süchtig –ja, ich bin süchtig. Es gibt Entzugserscheinung, wenn’s nicht stattfindet. Es ist ein tiefer Wunsch das permanent zu machen", bekennt Gernot Meiser. Der begeisterte Amateur-Astronom und die geborene Französin Pascale Demy sind Jäger der Finsternis. Ein Paar, das die schwarze Sonne bereits 20 mal erlebt hat. Ob Malaysia, Kolumbien oder Sibirien - sobald der Kernschatten des Mondes die Erde trifft, sind Meiser und Demy bereits dort. Wenn der Mondschatten den Tag zur Nacht macht Am Himmel dagegen kein fiebern, keine Aufregung. Dort läuft alles mit unendlicher Präzision ab. Auf Sekundenbruchteile berechenbar wird sich der Mond zwischen Erde und Sonne schieben. Die äußerste Spitze des Mondschattens wird für wenige Minuten den Tag zur Nacht machen. Sichtbar ist die schwarze Sonne aber nur, wenn das Wetter mitspielt. Meiser und Demy suchen daher seit Tagen den optimalen Beobachtungsplatz. Denn der Gegner jedes Finsternisjägers sind die Wolken. Ein Platz auf einer Klippe sieht eigentlich fantastisch aus. Doch der Haken an der Gegend: Gegen die Mittagszeit entwickeln sich Wolken und bleiben leider an den Bergen hängen. Also ab an die Küste. Die diesjährige Finsternis macht es Demy und Meiser einfach: Der Kernschatten berührt die Region um Antalya im Südwesten der Türkei: Leicht zugänglich und traumhaft schön. Exponierte Beobachtungsplätze entlang der Kernschattenlinie gäbe es genug. Doch die beiden suchen mehr: Menschen, Begegnungen, Leidenschaft: Sonnenfinsternisse sind ihr Weg, um in fremde Kulturen einzutauchen, so Pascale Demy: „Das Naturschauspiel ist faszinierend, keine Frage, aber für mich ist mittlerweile das Reisen und die Begegnungen vor Ort praktisch noch wichtiger als das Ereignis selbst. Mit der Zeit wird man praktisch in die Familien mit aufgenommen und dadurch ergeben sich ganz tolle Sachen.“ Die Angst vor dem Beben Im Gegensatz zu den Amateurastronomen bleiben die Türken in den Dörfern sehr gelassen. Noch zumindest. Einzig die Erinnerung an das große Erdbeben nur wenige Tage nach der letzten Finsternis macht manchem Angst. War das wirklich Zufall? Könnte sich das wiederholen? Schließlich haben Meiser und Demy einen Platz gefunden. Die Teleskopstative müssen aufgebaut und eingenordet werden. Und zwar nachts. Denn Meiser braucht den Polarstern. Er wird die Nacht vor der Finsternis mit seinen Geräten am Strand verbringen. Mehr als eine halbe Stunde Schlaf ist nicht drin. 29. März: Der Schatten rast mit über 2.000 Kilometer pro Stunde aus dem Südwesten Afrikas heran. Er macht einen Bogen nach Osten, streift Ägypten und bewegt sich auf die Türkei zu. In der Bucht von Adrasan sind die Astronomen im Rausch: Vorbereitung, Hektik, Herzklopfen. Vier Kameras will Meiser gleichzeitig bedienen. Er ist ein „Sofi“Altmeister. Trotz durchwachter Nacht spult er sein Programm ab. Und dann ist der Moment da. Der Mond berührt die Sonnenscheibe. Keiner kann die Finsternis mehr aufhalten. Die Himmelsmechanik hat die Regie übernommen. Aber so klar das Wetter bisher war, plötzlich ist der freie Blick auf die schwarze Sonne nicht mehr sicher. Es ist wie ein Krimi. Die ganze Zeit war es klar und sonnig, und gerade dann ziehen Wolken auf... Es ist dunkel geworden, gespenstisch, unheimlich. Und dann ist er da, der Moment auf den alle gewartet haben. Und für dreieinhalb Minuten zeigt die Sonne ihr wahres Gesicht: Groß, filigran, erhaben. Auch wenn man weiß, dass es „nur“ Himmelsmechanik ist. Die schwarze Sonne lässt keinen kalt. Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken Odysso vom 30. März 2006 VON HARALD BRENNER: »Weltraumwetter« D ie Sonne schleudert in jeder Sekunde gigantische Mengen geladener Teilchen ins All. Dieser Sonnenwind schwillt immer wieder zu einem wahren Sonnensturm an, der nicht nur Satelliten gefährdet, sondern auf der Erde auch die Telekommunikation massiv stören und sogar zu Stromausfällen führen kann. Die NASA-SatellitenMission "Stereo" soll nun eine verlässliche Vorhersage des "Weltraumwetters" ermöglichen. Brodelndes Plasma, gigantische Gasexplosionen, Temperaturen von mehreren Millionen Grad – ganz normale Zustände auf der Sonne. Millionen Tonnen Materie werden in jeder Sekunde ins All geschleudert. Immer wieder treten dabei auch besonders heftige Eruptionen auf: Der Sonnenwind schwillt dann zum furiosen Sonnensturm an. Dieses Weltraumwetter beeinflusst auch das Leben auf der Erde. Sonnenforscher Volker Bothmer von der Universität Göttingen will die Einflüsse der Sonnenstürme auf unseren Planeten besser verstehen: "Das Spannende ist eben, die Details sichtbar zu machen, verstehen zu lernen, wie diese Dinge die die Erde beeinflussen, von der Sonne zur Erde transportiert werden." Magnetfeld schützt vor gefährlichen Teilchen Rast ein Sonnensturm durchs All, schützt uns normalerweise das Magnetfeld der Erde zuverlässig vor seinen gefährlichen, geladenen Teilchen. Nur an den Polen können sie leichter in die Atmosphäre eindringen, weil sie vom Magnetfeld dorthin gelenkt werden. Sichtbares Zeichen dafür sind faszinierende Leuchterscheinungen – die Polarlichter. Besonders heftige Sonnenstürme allerdings können Satelliten zum Absturz bringen, weil sie die empfindliche Steuerelektronik stören. In der Folge drohen TelekommunikationsAusfälle auf der Erde. Sogar Stromnetze sind dadurch schon zusammengebrochen. Seite 3 Im All, außerhalb des schützenden Erdmagnetfeldes, wird es auch für Menschen gefährlich – wie im August 1972: Völlig überraschend bricht der stärkste je gemessene Sonnensturm los – zum Glück genau zwischen den Apollo-Missionen 16 und 17. Hätte die Materiewolke die Astronauten bei ihrem Mondspaziergang überrascht, wäre die Strahlendosis vermutlich tödlich gewesen. Zukünftige bemannte Weltraumabenteuer, etwa zum Mars, werden wesentlich länger dauern als die Mondflüge. Die Astronauten können nur überleben, wenn man die Sonnenstürme zuverlässig vorhersagen kann. Bisher ist das noch nicht möglich. Zwar liefert das Sonnenobservatorium SOHO schon seit 10 Jahren spektakuläre Bilder von Materieausbrüchen. Der Satellit gibt aber nur vage Hinweise auf solche Sonnenstürme, die direkt auf die Erde zurasen. Selbst die Forscher wie Volker Bothmer werden davon immer wieder überrascht. Schwer zu erkennen: Die Explosionen, die auf die Erde zurasen "Das große Problem ist, dass wir mit den jetzigen Raumsonden auf die Sonne schauen vom Blickwinkel der Erde aus, und damit sehen wir alle Explosionen die links und rechts von der Sonne weg sausen, aber gerade nicht sehr gut die, die auf uns zu sausen und die betreffen uns halt am meisten." Genau die soll nun die NASAMission STEREO sichtbar machen. Zwei Satelliten werden dabei die Sonne aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten. Einer läuft der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne voraus, der andere hinterher. Sie sollen erstmals ein dreidimensionales Bild der Sonnenaktivitäten liefern. Eine Perspektive, bei der Volker Bothmer ins Schwärmen gerät: "Man wird das erste Mal mit den beiden STEREO-Satelliten die Materieausstöße von der Sonnenoberfläche bis zur Erde selbst verfolgen können, einschließlich der durch sie hervorgerufenen Effekte." Wichtige Instrumente der Satelliten sind Made in Germany. Teile der Beobachtungskameras hat Volker Bothmer mit Kollegen am Max Planck Institut für Sonnensystemforschung gebaut und unter Weltraumbedingungen getestet: In Vakuumkammern, bei Temperaturen zwischen minus 190 und plus 150 Grad Celcius. Außerdem mussten mechanische Belastungstests zeigen, ob die Instrumente die Vibrationen beim Start aushalten. Mit den STEREO-Satelliten könnte es endlich verlässliche Vorhersagen des Weltraumwetters geben. Auf ihrer Grundlage kann man dann zum Beispiel GPS- oder FernsehSatelliten rechtzeitig abschalten, um ihre empfindliche Elektronik zu schützen. Es gibt mehr Sicherheit für Astronauten, und selbst die Strahlenbelastung in Passagierflugzeugen wird kalkulierbarer. Ganz neue Perspektiven für die Sonnenforschung. Aber nicht nur Wissenschaftler sollen von dem Projekt profitieren. Im Hamburger Planetarium kann sich künftig jeder live und in 3D die aktuellen Aufnahmen der STEREOSatelliten anschauen. Für das Publikum ein grandioses Fenster zum Weltall, das unser Zentralgestirn näher rücken lässt. Der Start der STEREO-Mission ist für den 22. Juli geplant. Wenn dabei alles gut geht, werden die beiden Satelliten vier Jahre lang zuverlässige Vorhersagen des Weltraumwetters liefern und viele Geheimnisse der Sonnenstürme enträtseln. VON AXEL WAGNER: »Zeitreise: Die Entdeckung der Sonne« D ie Sonne war für die Menschen von jeher von zentraler Bedeutung. Sie wurde als Gottheit verehrt, sie wurde gefürchtet und in Ritualen beschworen. Auch die Wintersonnenwende war für viele Kulturen ein wichtiges Datum. So zeigte etwa bereits in der Jungsteinzeit vor Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken Odysso vom 30. März 2006 7.000 Jahren eine Lücke in den Palisaden des kreisrunden Sonnenobservatoriums von Goseck alljährlich am Morgen des 21. Dezember exakt die Position der Sonne am kürzesten Tag des Jahres an. Denn wer damals die Sonne durch die Vorhersage der Winterwende scheinbar "beherrschte" galt als machtvolle Persönlichkeit. Die alten Ägypter Im alten Ägypten, Tausende Jahre später, war es ähnlich: Jeden Morgen, so glauben damals die Menschen am Nil, wird die Sonne in einer Barke von einer Gottheit an den Horizont gebracht. Die Pharaonen gelten als unangreifbare Herrscher über die Sonnenscheibe und das von ihr erleuchtete Reich, und sie präsentieren sich über Jahrtausende als Gefährten der Götter. Aristarch von Samos Erst rund 1.200 Jahre später wagt es Aristarch von Samos als erster, die Sonne nicht nur als mythisches, sondern auch als reales Himmelsobjekt zu betrachten. Er erkennt, dass die Sonne wesentlich größer als unsere Erde sein muss. Doch zunächst glaubt niemand solch wirre Theorien. Die Erde bleibt bis lange nach der Zeitenwende unumstößlicher Mittelpunkt der Welt. Nicolaus Copernicus Anfang des 16. Jahrhunderts entdeckt Nicolaus Copernicus die Sonne als Zentrum unseres Planetensystems. Doch aus Furcht vor der politischen Sprengkraft seiner Theorie gilt doch die Erde als das Zentrum des Universums - werden noch Jahrzehnte vergehen, bis er seine Berechnungen veröffentlicht. Doch bereits 1610 werden sie von Galileo Galilei bestätigt, der mit seinen Fernrohren die Geburtsstunde der beobachtenden Sonnenforschung einläutet. Schließlich fasst Isaac Newton 50 Jahre später das heliozentrische Weltbild in seinen "mathematischen Prinzipien der Natur" zusammen. Seite 4 Albert Einstein Anfang des 20. Jahrhunderts wird durch die Gleichungen Albert Einsteins erstmals eine Altersbestimmung der Sonne möglich. Ergebnis: seit zehn Milliarden Jahren sendet sie ihre Strahlung ins Weltall. Selbst die Jahrtausende lange Geschichte ihrer Erforschung und Verehrung ist dagegen nur ein Augenblick. VON THOMAS HAUER & RENÉ KIRSCHEY: »Global Dimming« E s wird dunkel auf unserem Planeten. Der Grund: Die Intensität der Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche ist in den letzten 40 Jahren kontinuierlich um rund zehn Prozent zurückgegangen. Dieses Phänomen bezeichnen Klimatologen als "global dimming", als globale Verdunkelung. Über die Ursachen und Auswirkungen des Effekts wissen die Forscher allerdings noch wenig. Der Effekt des "global dimming" wurde 1985 zum ersten Mal beschrieben. Begriffe wie Treibhauseffekt und Klimawandel waren in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt. Weltweit arbeiteten Forscher an den ersten komplexen Klimamodellen. Die These, dass die erhöhte Konzentration von Kohlendioxid zu einer Erwärmung führt, sollte wissenschaftlich untermauert werden. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich verglich zu dieser Zeit der Klimaforscher Atsumu Ohmura die Intensität der Sonneneinstrahlung mit früheren Messergebnissen und machte dabei eine erstaunliche Entdeckung: Die Sonneneinstrahlung auf der Erdoberfläche hatte innerhalb der vergangenen 25 Jahre um fast zehn Prozent abgenommen. Es war schlichtweg dunkler geworden. strahlung innerhalb von wenigen Jahrzehnten verändert hatte. Die Veränderung entsprach nicht Schwankungen innerhalb von Jahrhunderten, sondern die Veränderung war genau in den letzten beiden Jahrzehnten passiert." Doch wie konnte das sein? Die Sonneneinstrahlung galt als Konstante. 170 Watt pro Quadratmeter. Ohmura selbst kamen Zweifel an seinen Ergebnissen. Denn sie bedeuteten, dass es seit 1958 alle zehn Jahre um drei Prozent dunkler wurde. "Zuerst gab es Zweifel an der Genauigkeit der Messwerte, weil bekannt war, dass eine korrekte Strahlenmessung sehr schwierig ist. Außerdem vergisst man oft, dass es große Ungenauigkeiten bei den Messsensoren gibt", so der Klimaforscher. Ohmuras Messstation über den Dächern von Zürich lieferte korrekte Werte, so viel war klar. Aber die Daten, die er untersucht hatte, kamen aus aller Welt. Seit man 1920 in Stockholm die erste Strahlenmessstation eingerichtet hatte, war ihre Anzahl auf 700 Stationen weltweit angewachsen. Prof. Ohmura: "Ich musste mich mit jeder einzelnen Quelle der Messungen befassen und sicherstellen, dass sie richtig kalibriert und überwacht wurden. Und ich musste letztendlich zu dem Schluss kommen, dass die Sonneneinstrahlung in den letzten 25 Jahren tatsächlich abnahm - und zwar auf dem gesamten Kontinent." Die Entdeckung passte nicht in das Bild einer kontinuierlichen Erwärmung "Global dimming" nannte Ohmura den Effekt. Eigentlich eine wissenschaftliche Sensation - aber die Fachwelt ignorierte seine Entdeckung. Sie passte nicht in das Bild einer kontinuierlichen Erwärmung, denn die Konsequenz wäre eine weltweite Abkühlung gewesen. Außerdem widersprach sie der allgemeinen Lehrmeinung. "Es wurde einfach ignoriert, weil die überwiegende Mehrheit meiner Professor Ohmur erinnert sich: Kollegen nicht glaubten wollte, dass "Letztendlich belegten die Aufzeichdie Einstrahlung sich verändern nungen, dass sich die Sonneneinkonnte. Selbst heute noch wird mir von doch ziemlich renommierten Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken Odysso vom 30. März 2006 ziemlich renommierten Wissenschaftlern entgegengehalten, dass solche Schwankungen einfach nicht sein können." Erst Jahre später kamen andere Institute zu den gleichen Ergebnissen. Ein Umdenken hatte eingesetzt. Der Grund: die Klimatologen standen vor einem Rätsel. Der Kohlendioxidanteil der Atmosphäre war zwar stark gestiegen, aber es wurde nicht in dem Maß wärmer, wie es die Modelle vorhergesagt hatten. "Wir wissen, dass die 1970er Jahre eine Periode der Abkühlung waren. Und wir waren alle sehr erstaunt, warum die Temperatur fiel, während der Treibhauseffekt die Temperaturen hätte ansteigen lassen müssen. Diese Abkühlungsperiode wurde tatsächlich durch das global dimming verursacht. - Es war also genauso wichtig für die Klimaentwicklung wie der Treibhauseffekt", sagt Prof. Ohmur. Doch warum wurde es dunkler? Kosmische Phänomene, wie etwa eine geringere Sonnenaktivität, konnten die Wissenschaftler ausschließen. Bis klar wurde: Schuld war der Mensch. Vor 40 Jahren kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Weltbevölkerung, dem Verkehr und der Industrieproduktion. Die Menschheit schleuderte Megatonnen von Asche, Staub und Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Diese Aerosole wirkten wie ein starker Filter, der immer weniger Sonnenlicht passieren ließ. Am Max-Planck-Institut für Meteorologie wird heute über den Einfluss der Aeorosole auf die Klimaentwicklung geforscht. Solar dimming heißt es dort. Aber warum wurde dieser Effekt so lange ignoriert? "Man wusste zwar, dass es diesen Trend gibt, aber man konnte ihn sich nicht erklären. Der Grund ist der, dass dieses solar dimming verursacht wird durch Aerosolteilchen und die gesamte Physik und der Aerosolkreislauf in der Atmosphäre ist sehr komplex, ist weitaus komplizierter als zum Beispiel der Treibhauseffekt, der sehr viel besser untersucht ist", sagt Dr. Johann Feichter vom MaxPlanck-Institut für Meteorologie. Das Schwierige dabei: Aerosole bestehen aus winzigen Teilchen ver- Seite 5 schiedener Stoffe mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften. Manche absorbieren und manche reflektieren das Sonnenlicht. Ausschlaggebend ist, dass sie zu einer verstärkten Wolkenbildung führen, die letztendlich für das solar dimming verantwortlich ist. "Wenn man ein größeres Angebot an Aerosolen hat, also eine größere Anzahl Aerosole, dann bilden sich mehr Wolkentröpfchen. Aber nachdem nicht viel mehr Wolkenwasser da ist, werden sich mehr, aber kleinere Tröpfchen bilden. Und solche Wolken sind heller, die sind weißer - wenn man sie von oben betrachtet -, reflektieren also mehr Sonnenstrahlung zurück in den Weltraum und wirken damit abkühlend", erklärt Johann Feichter. Erst seit kurzem werden die Aerosole in die aktuellen Klimamodelle einbezogen. Ob das solar dimming weiter zurückgeht oder wieder ansteigt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Aber sollte die Sonneneinstrahlung ihren ursprünglichen Wert erreichen, wird der globale Klimawandel wohl noch weitaus schneller voranschreiten als befürchtet. Es gibt natürliche Aerosole wie Wüstensand, Meersalz oder Asche und Schwefeldioxid aus vulkanischen Aktivitäten. Allerdings betragen diese nur ein Drittel der gesamten, in der Atmosphäre vorkommenden Aerosole. Zwei Drittel davon sind auf menschliche Einflüsse zurückzuführen: Verbrennung von Biomasse in Zentralafrika und dem Amazonasbecken oder der Industrie auf der Nordhalbkugel und in Asien. Absoluter Hotspot sind heute asiatische Metropolen. Spitzenreiter ist Hongkong - dort wurde eine Abnahme der Sonnenstrahlung von 30 Prozent gemessen. Es wird wieder heller und dadurch noch wärmer Allerdings hat sich seit Ohmuras Entdeckung der Prozesse im globalen Maßstab umgekehrt. Die Eindämmung der Luftverschmutzung in den Industrieländern hat Wirkung gezeigt. Die aktuellen Messungen bestätigen: Es wird wieder heller und dadurch noch wärmer. "Wir haben zehn der wärmsten Jahre seit Beginn der Beobachtungen in den letzten 15 Jahren gehabt. Das heißt, wir haben bereits jetzt den Effekt, dass das solar dimming zurückgeht, dass der abkühlende Aerosoleffekt zurückgeht und der Treibhauseffekt voll zuschlägt", bestätigt auch Johann Feichter. Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken Odysso vom 30. März 2006 Seite 6 Adressen Dr. Jens Lange Institut für Hydrologie Universität Freiburg Fahnenbergplatz 79098 Freiburg E-Mail: [email protected] www.hydrology.uni-freiburg.de Prof. Atsumu Ohmura Institut f. Atmosphäre und Klima Universitätstrasse 16 ETH-Zentrum, CHN N 12.1 CH-8092 Zürich E-Mail: [email protected] www.env.ethz.ch Dr. Johann Feichter Max-Planck-Institut für Meteorologie Bundesstraße 55 20146 Hamburg E-Mail: [email protected] www.mpimet.mpg.de Links www.abenteuer-sonnenfinsternis.de Die Homepage von Gernot Meiser. stereo.jhuapl.edu Hier geht es zur Homepage der STEREO-Mission. (engl.). www.mpg.de Ein Artikel von Johann Feichter mit dem Titel: "Zur Rolle von Russpartikeln im Klimasystem". www.ethlife.ethz.ch Hier finden Sie die ETH-Studie zur Sonneneinstrahlung mit dem Titel: "Der Trend hat gekehrt". www.mps.mpg.de/de Hier geht es zur Homepage des MaxPlanck-Instituts für Sonnensystemforschung. ds9.ssl.berkeley.edu Die Seite "Sun-Earth-Viewer" bietet umfangreiches Bildmaterial zur Sonne. (engl.) www.planetarium-hamburg.de Hier geht es zur Homepage des Planetariums Hamburg. www.sec.noaa.gov/SWN/ Der US-amerikanische National Weather Service bietet hier Informationen zum aktuellen Weltraumwetter. (engl.) Unsere nächste Sendung kommt am 6. April 2006: Literatur Wolfgang Mattig »Die Sonne« Broschiert - 123 Seiten C.H.Beck, München, 1995 ISBN 3-406-39001-3 K. einsch, R. Beck, H. Hilbrecht »Die Sonne beobachten« Broschiert - 464 Seiten Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1999 ISBN 3-827-41306-0 Preis: 24,50 Euro Kontakt: KAMPF DEM KREBS SÜDWESTRUNDFUNK (SWR) Je früher eine Krebserkrankung entdeckt wird, desto früher kann sie FS-Wissenschaft und Bildung bekämpft werden. Das erhöht die Überlebenschancen des Patienten. Redaktion Odysso Was gut klingt, stimmt aber leider nicht – zumindest nicht generell. 76522 Baden-Baden Obwohl die Früherkennung von vielen Ärzten und Kampagnen beworE-Mail: [email protected] ben wird, ist die Bilanz nur für sehr wenige Untersuchungen tatsächlich positiv. Bei der großen Mehrzahl sind die Risiken für die Patienten Internet: dagegen deutlich größer als der Nutzen. Odysso erklärt, warum das so www.swr.de/odysso/ ist, und welche Krebsvorsorge wirklich sinnvoll ist. Wissensmagazin Odysso – Wissen entdecken