DerKlimawandelstehtstill

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In den staatlichen Pensionskassen klafft eine bedrohliche Milliardenlücke. Seite 42
22. September 2013
12. Jahrgang | Nr. 38
www.nzz.ch/sonntag
Fr. 5.00 | € 4.30
Der Klimawandel steht still
Forscher rätseln, warum die Durchschnittstemperaturen seit 15 Jahren nicht mehr steigen
Seit 15 Jahren haben sich die glo­
balen Durchschnittstemperatu­
ren nicht mehr erhöht, obwohl
die Konzentration des Treibhaus­
gases CO2 in der Atmosphäre heu­
te so hoch ist wie zuletzt vor 3
Millionen Jahren. Am kommen­
den Freitag wird sich der Weltkli­
marat der Uno (IPCC) unter ande­
rem mit dieser Erwärmungspause
befassen. Zum fünften Mal wer­
den die von Regierungen beauf­
tragten Wissenschafter einen Be­
richt zum Stand der Klimawissen­
schaften publizieren.
Offiziell ist der Inhalt des Be­
richts zwar noch geheim. Aller­
dings sind bereits Ausschnitte
und Daten durchgesickert. Dem­
nach halten es die Wissenschafter
heute für «äusserst wahrschein­
lich», dass der Mensch für die seit
Beginn der Industrialisierung um
Fall Vogel: Berater ist
hoch verschuldet
Der Spielerberater, der im
Zentrum des mutmasslichen
Bestechungsskandals bei YB
Bern steht, hat Geldsorgen.
Lukas Häuptli
Gemeinsam mit Fussballmanager
Erich Vogel befindet sich ein Be­
rater wegen Verdachts auf ver­
suchte Erpressung in Unter­
suchungshaft. Er ist hoch ver­
schuldet. Ein Betreibungsregis­
terauszug zeigt, dass die Betrei­
bungen gegen den 47­jährigen In­
nerschweizer Ende 2012 fast
500 000 Franken betrugen. Die
rund 130 000 Franken, die er
Vogel und seinem ehemaligen
Schwiegervater schuldet, sind
darin nicht enthalten. Kommt
dazu, dass der Spielervermittler
2005 in Konkurs ging; seine offe­
nen Verlustscheine beliefen sich
Ende letzten Jahres auf mehr als
400 000 Franken.
Dem Spielerberater und Vogel
wird vorgeworfen, sie hätten ver­
sucht, YB-Manager Fredy Bickel
mit angeblich belastenden Doku­
menten zu erpressen. So soll der
Berater von Bickel 130 000 Fran­
ken gefordert haben. Die genaue
Rolle Vogels ist noch unklar. Fest
steht immerhin, dass der 74-Jäh­
rige die Dokumente für den Spie­
lervermittler im eigenen Bank­
safe aufbewahrt hat.
allerdings nicht durch eine be­
schleunigte Eisschmelze oder
thermische Ausdehnung des
Meerwassers. Vielmehr erlauben
es bessere Messungen und Simu­
lationen, auch die Dynamik der
grönländischen und antarkti­
schen Gletscherströme zu be­
rücksichtigen. Deren Einfluss hat­
te der IPCC bisher unter den Tisch
fallen lassen.
Die Forscher haben noch keine
Antwort auf die Frage gefunden,
warum die Durchschnittstempe­
raturen auf der Erde stagnieren.
Viele machen natürliche Schwan­
0,8 Grad Celsius gestiegene Tem­
peratur verantwortlich ist. Die
Wahrscheinlichkeit hierfür betra­
ge 95 Prozent, 5 Prozentpunkte
mehr als im letzten Bericht 2007.
Nach oben korrigieren sich die
Forscher beim Ausblick auf die
Höhe des Meeresspiegels: Zwi­
schen 28 und 97 Zentimeter
könnte er bis im Jahr 2100 stei­
gen, zitiert die Zeitschrift «Na­
ture» aus einem geheimen Ent­
wurf des Dokuments. Zu dieser
Steigerung um maximal fast 40
Zentimeter im Vergleich zum vo­
rigen Bericht von 2007 kommt es
kungen dafür verantwortlich,
etwa eine stärkere Wärmeaufnah­
me durch die Ozeane.
Allerdings könnte auch eine
geringere Wirksamkeit des Treib­
hausgases CO2 eine Rolle spielen.
Falls sich dies bewahrheiten soll­
te, würde die Sorge vor der Klima­
erwärmung abgemildert. «Ich will
das nicht ausschliessen», sagt der
Klimaforscher Hans von Storch
im Interview. Derzeit seien die
Messungen zwar noch im Ein­
klang mit den Computersimula­
tionen. Doch wenn die Tempera­
turen noch weitere fünf Jahre sta­
gnierten, wäre dies eine Entwick­
lung, die in den Modellszenarien
nicht vorkomme. Von Storch er­
mahnt seine Kollegen zu mehr
Vorsicht bei Prognosen zum Kli­
mawandel und seinen Ursachen:
«Es wäre fatal, wenn in der Öf­
fentlichkeit der Eindruck ent­
stünde, wir hätten zugunsten ei­
ner ideologischen Linie alles
Mögliche erzählt und die Unsi­
cherheiten der Klimaforschung
heruntergespielt.»
Seite 65
Kommentar Seite 23
Kenya Terroranschlag in Einkaufszentrum
SIMON MAINA / AFP
Der Weltklimarat der Uno
publiziert am Freitag einen
neuen Bericht zum Weltklima.
Die Kernbotschaft des
Papiers ist überraschend.
Andreas Hirstein und
Patrick Imhasly
Seite 56
Bund erforscht Essverhalten
und Bauchumfänge
Seite 11
Maskierte Bewaffnete haben am
Samstag einen Terroranschlag
im beliebten Einkaufszentrum
Westgate in Kenyas Hauptstadt
Nairobi verübt. Mindestens 39
Personen kamen nach Angaben
Arm ist, wer sich
arm fühlt,
ganz offiziell. Dies
ist ein Luxus, den
man sich erst einmal
leisten können muss.
Unser neuer Kolumnist René Scheu über
das Grundeinkommen, das es in der
Schweiz faktisch bereits gibt. Seite 22
KEYSTONE
Hintergrund
der Regierung ums Leben, über
150 wurden verletzt. «Es war
wie im Krieg», sagte ein Augenzeuge. Besucher des Zentrums
flohen in Panik (Bild). Am Abend
bekannte sich die islamistische
Wirtschaft
Traditionsmarken
in Existenznot
Die Käsesorten Emmentaler, Tilsiter
und Sbrinz stecken in der Krise. Jetzt
soll Planwirtschaft helfen. Seite 33
Shabab-Miliz aus Somalia zu
dem Anschlag. Dieser sei «ausgleichende Gerechtigkeit für
Verbrechen, die ihre Armee
verübt hat», heisst es in der
Erklärung. Kenya hatte 2011
Beilage Film-Festival
Superstars zu
Gast in Zürich
Soldaten nach Somalia
geschickt, um den Versuch der
Shabab zu stoppen, im bürgerkriegsgeplagten Land einen
islamistischen Gottesstaat zu
errichten. (zzs.) Seite 3
ILLUSTRATION: ANDRÉ CARRILHO
und die Präventionsprogramme
des Bundes zu verbessern. Genau
das stösst der Wirtschaft sauer
auf. «Die Erhebung bestätigt un­
sere Befürchtung, dass der Staat
die mündigen Bürger immer wie­
der neu bemuttern will», sagt
Gewerbeverbandsdirektor Hans­
Ulrich Bigler. Er fordert den Ab­
bruch der Übung. Das Geld dafür
sei einzusparen. (dli.)
Alles zum 9. Zurich Film Festival, das
am Donnerstag beginnt – unter
anderen mit Hugh Jackman. Seite 85
Kultur
AP
Der Bund will genauer wissen,
was die Schweizer essen und wie
dick sie sind. Nächstes Jahr star­
tet das Bundesamt für Gesund­
heit (BAG) darum die erste «natio­
nale Ernährungserhebung», eine
zwei Millionen Franken teure
Umfrage, die detaillierte und re­
präsentative Daten über das Ess­
und Bewegungsverhalten der Be­
völkerung liefern soll. Die Resul­
tate sollen dazu dienen, bei Be­
darf die Lebensmittelsicherheit
Er polarisierte
und provozierte
Die Publizistin Klara Obermüller
zum Tod ihres langjährigen Freundes
Marcel Reich­Ranicki. Seite 77
NZZ am Sonntag 22. September 2013
Meinungen
23
Chappatte
Iran
Erste Anzeichen von Realismus
in Teheran
Seit der Geiselnahme von US-Botschaftsangehörigen im
November 1979 herrscht zwischen den USA und Iran
diplomatische Eiszeit. Eine Folge davon ist, dass es in
dieser Region nie einen Frieden gab, weil Iran alles
daran setzte, eine mögliche Aussöhnung Israels mit
seinen arabischen Nachbarn zu torpedieren. Wenn jetzt,
nach 34 Jahren, der neugewählte iranische Präsident
Hassan Rohani öffentlich Bereitschaft zum Dialog mit
Washington signalisiert, ist dies eine ausserordentliche
Entwicklung. Man muss vermuten, dass der Wirt­
schaftsboykott des Westens mittlerweile derart gra­
vierende Folgen hat, dass sich Iran die harte Konfron­
tationspolitik nicht mehr leisten kann. Und der Konflikt
in Syrien hat die Stellung Teherans in der Region
geschwächt. Mit seinem Vorstoss will Rohani wohl
aus der Defensive ausbrechen. Kommt es wirklich zu
umfassenden Gesprächen mit den USA, könnte dies der
Hebel sein, mit dem sich die zwei Kernprobleme im
Nahen Osten fundamental angehen lassen: ein Frieden
zwischen Israel und seinen Nachbarn sowie eine Ver­
ständigung zwischen Schiiten und Sunniten. Dass ein
solch grosser Deal Kompromisse von allen erforderte,
ist klar. Wenn sowohl Israel wie Saudiarabien skeptisch
auf die Signale Rohanis reagiert haben, ist dies der
Grund. Sie haben mit dem Status quo gut gelebt. (fem.)
Klimaerwärmung
Durchschnittswerte helfen den
Menschen nicht weiter
Seit 15 Jahren steigen die globalen Durchschnittstempe­
raturen auf der Erde nicht mehr, obwohl die Emissionen
des Treibhausgases CO2 rekordhohe Werte erreichen.
Der Weltklimarat der Uno, der kommende Woche
seinen neuen Bericht zum Stand der Klimaforschung
publiziert, ist noch ratlos. An Erklärungsversuchen ist
kein Mangel, aber eine definitive Antwort könnte Jahre
auf sich warten lassen. Nur die Gegner einer wirksamen
Klimapolitik haben ihre Schlüsse schon gezogen: Der
Klimawandel findet nicht statt, er ist eine Erfindung von
Alarmisten. Es ist der immer gleiche Refrain. Es geht um
etwas anderes als um globale Durchschnittswerte von
Temperatur, Niederschlägen und Meeresspiegel. Für
die Bewohner der Erde zählen regionale und saisonale
Entwicklungen und die Häufigkeit von Extremereignis­
sen. Sie sind für das Schicksal der Menschen vor allem
in den Entwicklungsländern viel wichtiger als das
mathematische Konstrukt eines Durchschnitts. In der
regionalen Vorhersage hat die Klimawissenschaft kaum
praxistaugliche Fortschritte zu verzeichnen – zu
komplex sind die physikalischen Prozesse im Klima­
system. Das sollten sich die Forscher eingestehen und
von Versuchen, eine umfassende Weltmaschine im
Computer nachzubauen, Abstand nehmen. (hir.)
Papst Franziskus
Prioritäten richtig gesetzt
Ein halbes Jahr nach seiner Amtsübernahme meldet
sich Papst Franziskus mit einem Paukenschlag zu Wort.
Die katholische Kirche darf seiner Ansicht nach nicht
besessen sein von den Tabus Verhütung, Abtreibung
und Homosexualität. Es gebe Wichtigeres, den Dienst
an den Armen und den Randständigen. Und man müsse
den Menschen mit Wärme, nicht mit Verurteilung
begegnen. Franziskus setzt nur die Prioritäten neu –
dass er in all den Fragen, die er nun hintanstellt, kein
Problem sieht, sollte man nicht meinen. Doch eine mehr
an Menschlichkeit als an Lehrsätzen und Moralvor­
schriften ausgerichtete Kirche ist zu begrüssen. Der
76­jährige Papst beweist einen Erneuerungswillen und
eine Tatkraft, die diese dringend nötig hat. (vmt.)
US-Präsident Barack Obama in der Defensive.
Der externe Standpunkt
Wer mehr Mobilität konsumiert,
soll auch dafür bezahlen
In Stosszeiten gerät der Verkehr auf Schweizer Strassen und Schienen
allmählich an den Rand des Kollapses. Mobility-Pricing ist ein einfaches
und nützliches Rezept dagegen, meint Daniel Müller-Jentsch
D
ie Schweiz hat ein hochwertiges
Verkehrssystem, das zunehmend
an seine Belastungsgrenzen stösst.
Die Staustunden summieren sich
allein auf den Nationalstrassen auf 20 000
pro Jahr, und auch weite Teile des öffentli­
chen Verkehrs sind in der Stosszeit überlas­
tet. Zudem ist das Schweizer Verkehrssystem
sehr teuer. Laut Transportrechnung des
Bundes betragen die Gesamtkosten des
Strassenverkehrs 70,5 Milliarden Franken
und die des Schienenverkehrs 11,4 Milliarden
Franken – pro Jahr.
Aufgrund falscher Weichenstellungen
befindet sich die Verkehrspolitik in einer
Kostenspirale: Subventionierter Kapazitäts­
ausbau schafft wachsende Mobilitätsbedürf­
nisse, was wiederum subventionierten
Kapazitätsausbau nach sich zieht. So hat die
Mobilität in den letzten Jahren rasant zuge­
nommen: Während zwischen 2000 und 2011
die Bevölkerung um 10 Prozent wuchs und
das Bruttoinlandprodukt um 21 Prozent,
stieg der Verkehr auf den Nationalstrassen
um 41 Prozent und jener auf der Schiene
sogar um 54 Prozent.
An vielen heutigen Verkehrsproblemen
sind drei Strukturfehler schuld: erstens die
massive Subventionierung des Verkehrs mit
Steuergeldern; diese heizt die Nachfrage
zusätzlich an. Zweitens verhindert die
fehlende Differenzierung der Preise eine
gleichmässigere Auslastung der Verkehrs­
systeme. Während die Züge zu den Stoss­
zeiten überfüllt sind, beträgt die durch­
schnittliche Sitzplatzauslastung der SBB im
Regionalverkehr nur 20 Prozent. Höhere
Preise in den Stosszeiten würden die Kapazi­
tät besser auslasten. Drittens führt die
Politisierung der Investitionsentscheide zu
einem Fehleinsatz von Milliardenbeträgen.
Während das Nationalstrassennetz auf den
Hauptarterien überlastet ist, werden auf
Nebenstrecken im Jura und im Oberwallis
Autobahnen durch den Berg getrieben.
Die Lösung für diese Strukturfehler liegt
im Mobility­Pricing, also der Anwendung
marktwirtschaftlicher Preismechanismen im
Verkehr. Konkret bedeutet dies, dass die
Benutzer sich stärker an den Kosten beteili­
gen, dass die Verkehrspreise stärker nach
Zeiten und Strecken differenziert werden
und dass Investitionsentscheide auf Kosten­
Nutzen­Erwägungen und nicht auf ein
föderalistisches Wunschkonzert gestützt
werden. Mobility­Pricing bedeutet in seiner
Essenz möglichst grosse Kostenwahrheit. Die
Folge wären tiefere Kosten, weniger Staus
und bessere Kapazitätsauslastung.
Es gibt bereits viele erfolgreiche Beispiele
für Mobility­Pricing: In Österreich wurden
alpenquerende Tunnel über eine Maut
finanziert. In Stockholm reduzierte eine
City­Maut die Staus und trifft inzwischen auf
breite Zustimmung. In den Niederlanden
Daniel Müller-Jentsch
Daniel Müller-Jentsch, 44, ist promovierter
Ökonom und arbeitet seit 2007 als Projektleiter bei der schweizerischen Denkfabrik
Avenir Suisse, wo er unter anderem für die
Themen Raumplanung und Verkehrspolitik
zuständig ist. Nach seinem Studium in
Grossbritannien und den USA arbeitete er
sieben Jahre bei der Weltbank in Brüssel.
kombiniert ein landesweites E-Ticket den
Komfort des Generalabonnements mit
differenzierteren Preisen. Singapur hat ein
umfassendes Mobility­Pricing für Strasse
und Schiene. In der Schweiz setzt die 2001
eingeführte leistungsabhängige Schwerver­
kehrsabgabe (LSVA) die richtigen Anreize.
Verkehrspolitisch bedeutet die Einfüh­
rung von Mobility­Pricing, dass der Verkehr
nicht vor allem vom Steuerzahler, sondern
vom Konsumenten der Mobilität bezahlt
wird. Diese Umschichtung sollte aufkom­
mensneutral erfolgen, das heisst: Tariferhö­
hungen müssen durch Steuersenkungen
kompensiert werden. Die Einführung des
Mobility­Pricing sollte zudem auf Schiene
und Strasse gleichermassen erfolgen, denn
eine einseitige Belastung hätte eine uner­
wünschte Verkehrsverlagerung zur Folge.
Ein häufiger Einwand ist die Sorge, Mobi­
lity­Pricing sei ungerecht. Aber ist ein Status
quo gerechter, in dem die Verkehrsbenutzer
einen erheblichen Teil der von ihnen verur­
sachten Kosten auf die Allgemeinheit abwäl­
zen? Und in dem pauschale Subventionen
verteilt werden, unabhängig vom Einkom­
men, wie etwa der Rabatt für Rentner beim
Generalabonnement? Richtig ist, dass es im
Gegenzug zu mehr Benutzerfinanzierung
entsprechende Steuersenkungen geben
muss und dass diese so auszugestalten sind,
dass die richtigen Gruppen entlastet werden,
beispielsweise der arbeitende Mittelstand.
Auch gegen zielgerichtete Rabatte, etwa für
Schüler, ist nichts einzuwenden.
Es gibt viele Wege hin zur Kostenwahrheit
im Verkehr, und es kann durchaus schritt­
weise umgesetzt werden. Erste Reformmass­
nahmen in diese Richtung könnten eine
Tunnelgebühr am Gotthard sein, höhere
Preise im öffentlichen Verkehr in Stosszeiten
oder der Ersatz des Generalabonnements für
Rentner durch ein vergünstigtes General­
abonnement, das nur ausserhalb der Stoss­
zeiten gilt. Ziel des Mobility­Pricing ist nicht
ein Systembruch, sondern eine behutsame
Reform der Verkehrsfinanzierung.
28
Hintergrund Handel
NZZ am Sonntag 22. September 2013
Treibeis in der Ostsibirischen See: Auf seiner Jungfernfahrt durch die Nordostpassage muss der chinesische Frachter «Yong Sheng» streckenweise von einem Eisbrecher begleitet werden. (29. August 2013)
S
Abkürzung
durchdieArktis
Die Nordostpassage soll für Schiffe zur Alternativroute von Asien nach Europa
werden, schneller und günstiger als der Suezkanal. Bisher kreuzten vor allem
Eisbrecher und russische Tanker durch die eisigen Gewässer. Doch nun hat China
den ersten Frachter heil durch die Passage geschickt. Von Daniel Meier
ogar der Konsul der chinesischen
Botschaft war gekommen und
das Fernsehen. Kapitän Zhang
Yutian stand letzte Woche im Hafen von Rotterdam vor seinem
Schiff und hielt einen Blumenstrauss in der Hand. «In der Arktis ist die Sicht nicht gut», berichtete Yutian.
«Es ist ganz anders. In der Arktis ist das Eis, im
Suezkanal ist es sonnig.»
Am 8. August lief Kapitän Yutian mit dem
Frachter «Yong Sheng» in der chinesischen
Hafenstadt Dalian aus. Als er das Gelbe Meer
hinter sich hatte, drehte er nicht wie sonst
nach Süden. Stattdessen umfuhr er die koreanische Halbinsel, folgte der russischen Küste,
immer weiter nach Nordosten, bis er endlich
die Beringstrasse erreichte. Am Montag,
26. August, um 23 Uhr 30 passierte er Kap
Deschnjow. Hier beginnt die Nordostpassage.
Seit das Polareis schmilzt, gilt die gefürchtete Route durch die Arktis als Alternative
zum Suezkanal. Ein Schleichweg für die globalen Güterströme. Erstmals schipperten vor
vier Jahren zwei Kähne einer deutschen Reederei heil durch die eisige Passage. Sie sparten
dabei viel Zeit und Geld. Der Durchbruch
schien geschafft.
Danach wurde es wieder still im hohen
Norden, doch die Abkürzung wird tatsächlich
genutzt. Die russische Behörde erteilte in
diesem Jahr bereits 534 Bewilligungen für
Teilstücke. Vorgestern Freitag befanden sich
67 Schiffe irgendwo zwischen Beringstrasse
und Barentssee. Im Sommer 2010 durchfuhren 4 Schiffe die komplette Nordostpassage.
In diesem Jahr waren es bis jetzt 31.
Eines davon war die «Yong Sheng». Kapitän
Yutian steuerte sie zunächst durch die
Tschuktschensee und die Untiefen der DmitriLaptew-Strasse. In der Ostsibirischen See
tauchten Eisbrocken auf. In diesem Abschnitt
fuhr der russische Eisbrecher «50 Let Pobedy»
voraus, atomgetrieben und mit 159 Metern
fast gleich lang wie die «Yong Sheng».
Dort oben kann man dem Klimawandel zuschauen. Nördlich des asiatischen Kontinents
öffnete sich in Küstennähe im Juli 2005 erstmals eine Rinne, mit Treibeis durchsetzt, aber
durchgängig schiffbar. Inzwischen wiederholt
sich der Vorgang jeden Sommer. Der Korridor
wird jedes Mal breiter, die Zeitspanne länger.
D. LOBUSOV / MARINETRAFFIC
29
Nordostpassage verkürzt die Reise von Asien nach Europa
Wichtigste Transportrouten zu Wasser und auf dem Land
Die erste Karawane soll um das Jahr 100 vor Christus
über die Seidenstrasse von China bis ans Mittelmeer
gereist sein und benötigte angeblich dafür drei bis
vier Jahre. Ab Ende des 15. Jahrhunderts wurden die
Waren per Schiff über das Kap der Guten Hoffnung
transportiert. Seit der Eröffnung 1869 dominiert der
Suezkanal die Güterströme zwischen Asien und
Europa. Wegen des Klimawandels eröffnet sich nun
mit der Nordostpassage eine weitere Alternative.
Nordpolarmeer
Rotterdam,
Niederlande
Dalian,
China
Nordpazifik
Die Nordostpassage (rot)
kann von Juli bis Mitte November
befahren werden. Die Route
über den Suezkanal (blau)
ist das ganze Jahr geöffnet.
Indischer
Ozean
Alternative
Tansportrouten
Nordostpassage
Gewinnt derzeit als kommerzielle
Route an Bedeutung, weil sie
viel kürzer ist.
Nordwestpassage
Derzeit nur von Forschungsschiffen
befahren. Könnte langfristig eisfrei und
damit schiffbar werden.
Transsibirische Eisenbahn
Die schnellste Verbindung von
Asien nach Europa. Wird derzeit
stark ausgebaut.
Rotterdam,
Niederlande
Nordamerika
Magellan-Strasse/Kap-Hoorn-Route
Das Kap und auch die Abkürzung
haben seit der Eröffnung
des Panamakanals massiv an
Bedeutung verloren.
Dalian,
China
Euro
Europa
r
Panamakanal-Route
1914 eröffnet, rund
14 000 Durchfahrten
pro Jahr.
Südamerika
Asien
Peking
Afrika
Suezkanal-Route
Mit über 17 000 Durchfahrten
die mit Abstand wichtigste
Verbindung zwischen
Asien und Europa.
Australien
Kap-der-Guten-Hoffnung-Route
Schiffe, die für den Suezkanal zu
gross sind oder Gebühren sparen wollen,
nehmen diesen Umweg.
Transportdauer
im Vergleich
20 200 km
Suezkanal-Route: 48 Tage
15 100 km
Nordostpassage: 33 Tage
10 200 km
Transsibirische Eisenbahn: 15 Tage
Kürzlich meldete ein hoher Beamter nach
Moskau, man könne bald während sechs Monaten im Jahr fahren. Derzeit sind es knapp
fünf, von Juli bis Ende November. Auch auf
den neusten Satellitenbildern zeigt sich die
Passage praktisch eisfrei. Nur bei der Inselgruppe Sewernaja Semlja, etwa in der Mitte
der Strecke, bleibt eine kleine Eisfläche.
Kapitän Yutian erreichte Rotterdam am
10. September, nach 33 Tagen. Die Fahrt durch
Suezkanal und Mittelmeer wäre sonniger gewesen, aber 15 Tage länger. Zeitgewinn: über
30 Prozent. Das ist viel, denn ein Frachter kostet mit Besatzung, Treibstoff und Zinsen mehrere zehntausend Dollar pro Tag. Die komplexen Gebühren für den Suezkanal lassen sich
kaum berechnen, aber bei der «Yong Sheng»
geht man von etwa 400 000 Dollar aus.
Als der Suezkanal vor bald 144 Jahren eröffnet wurde, verkürzte sich die Strecke von
Asien nach Europa ebenfalls um einen Drittel.
Der Verkehr um das Kap der Guten Hoffnung
brach ein. Doch die Geschichte wiederholt
sich nicht. Niemand rechnet damit, dass der
Güterstrom ab sofort durch die Arktis fliesst.
Noch überwiegen die Nachteile. Denn auch
wenn die Temperatur etwas steigt, bleibt es
ein kalter, gefährlicher Weg. An einen Betrieb
nach Fahrplan, wie ihn Containerschiffe kennen, ist auf Jahre hinaus nicht zu denken.
Nach vielen gescheiterten Expeditionen gelang die Durchfahrt erst 1879. Sie ist bis heute
ein Abenteuer. Unterwegs finden sich kaum
moderne Häfen, die Systeme zur Navigation
und Eiserkennung sind veraltet. Zur selben
Zeit wie die «Yong Sheng» durchfuhr der Tanker «Nordvik» die Passage. In der Karasee
rammte er eine Eisscholle und blieb stehen.
Sechs Tage dauerte es, bis Hilfe kam.
Im Kalten Krieg kreuzten in dieser Gegend
allerlei Schiffe. U-Boote tauchten unter dem
Eis und sicherten die Nordgrenze der sowjetischen Supermacht, aber auch Frachtverkehr
gab es schon damals. Die Kähne, angeführt
von Eisbrechern, transportierten die in der
Tundra abgebauten Rohstoffe, etwa Nickel
und Kupfer.
Viele Häfen wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschlossen. Diese
Woche kündigte Wladimir Putin an, man werde die Militärbasis auf den Neusibirischen Inseln wiedereröffnen, samt zugehörigem Flug-
Das Eis
schmilzt weiter.
Je höher die
Schiffe nach
Norden ziehen
können, desto
mehr Zeit
sparen sie. Die
schnellste
Route führt
direkt über
den Pol.
platz. Der Präsident sagte: «Unsere Truppen
sind dort 1993 abgezogen, aber jetzt ist es ein
wichtiger Standort bei der Entwicklung der
Nordostpassage.» Russland hat erkannt, welche Chance sich durch das Tauwetter in der
Arktis bietet. Aber auch China interessiert sich
für die Route, wie die Fahrt der «Yong Sheng»
zeigt. Die staatliche Reederei Cosco inszenierte die ganze Mission, bis hin zum feierlichen
Empfang für Kapitän Yutian in Rotterdam.
Der Ausbau der Infrastruktur entlang der
Passage gilt als wichtigste Voraussetzung dafür, dass die Verkehrsader genutzt wird. Zumindest im Westteil geht es voran. Dort liegen
enorme Öl- und Gasvorkommen. Die Russen,
aber auch Shell, Exxon Mobil und Co. investieren. Sie treiben die umstrittene Förderung in
der Arktis voran – und sorgen damit für viel
Betrieb im westlichen Streckenabschnitt.
«Langfristig hat die Alternative zum Suezkanal durchaus Potenzial», sagt Patrick
Leypoldt. Der Basler Verkehrsexperte hat vor
vier Jahren ein Buch über die Nordostpassage
veröffentlicht. Laut Leypoldt lässt sich auf-
grund der Fahrzeiten und Kosten eine Scheitellinie ziehen: Für die südlich gelegenen Häfen bleibt der Suezkanal die bessere Wahl, von
den nördlichen fährt man via Nordostpassage
besser. Die Trennlinie verläuft von Hongkong
über Indonesien zum australischen Melbourne. «Vor allem für Transporte von Japan,
Nordchina und Südkorea nach Nordeuropa
lohnt sich die Nordostpassage», sagt Leypoldt.
Sein Ansatz ist interessant. Er trifft Annahmen, wo künftig produziert und wo konsumiert wird. Dadurch entsteht eine Weltkarte
mit Gütern und Märkten. Diese kombiniert er
mit den verschiedenen Routen und versucht
dadurch, vorauszusehen, wie die Warenströme bis 2050 verlaufen werden. Zunächst fahren laut Leypoldt vor allem Versorgungsschiffe für die Öl- und Gasförderung sowie weiterhin kleinere Tanker und Rohstoff-Frachter
durch die Nordostpassage. Doch danach steigen die Volumen: «Die Route kann für Massengüter oder auch Maschinenteile genutzt
werden, die kälteunempfindlich sind und
nicht auf den Tag genau ankommen müssen.»
Seefahrt
Barents suchte den Weg nach Osten
Barents’ Schiff friert im August 1596 fest.
Weil die Kap-Routen um Südafrika und Südamerika von
Portugal und Spanien kontrolliert werden, beginnt man im
16. Jahrhundert im Norden nach
anderen Routen nach China und
Indien zu suchen. Die Engländer
hoffen auf die Nordwestpassage.
Etliche Forscher bleiben mit
ihren Booten stecken und
müssen überwintern. Viele
erfrieren oder verhungern.
Der Niederländer Willem Barents
versucht es dagegen in Richtung
Osten. Auch er kommt nicht
weit. Auf der Insel Nowaja Semlja
hält er mit seiner Mannschaft
einen Winter durch. Aus Teilen
ihres Schiffs bauen sie eine
Schutzhütte. Als das Eis ihr
Schiff auch im Frühling nicht
freigibt, versuchen sie mit zwei
kleineren Booten zu entkommen. Die meisten überleben,
aber Barents stirbt im Juni 1597
im Alter von 47 Jahren.
Bis die Nordostpassage
gelingt, dauert es nochmals fast
300 Jahre. Der Schwede Adolf
Erik Nordenskjöld muss ebenfalls überwintern, erreicht aber
im September 1879 schliesslich
Japan. Die erste Durchfahrt ohne
Überwinterung erfolgt 1932 mit
einem russischen Eisbrecher.
Im Sommer 2007 waren Nordost- und Nordwestpassage
erstmals zugleich eisfrei. (dme.)
Der Klimawandel hilft. Mit jedem Grad wird
die Passage attraktiver, weil man weniger Eisbrecher benötigt und auch die Versicherungsprämien sinken. Schrumpft die Eisfläche weiter, werden die Kapitäne noch höher gegen
Norden halten, denn je näher die Route am Pol
verläuft, desto grösser ist der Zeitgewinn. Sobald sich die eisfreie Rinne nicht mehr auf das
seichte Küstengebiet beschränkt, können zudem grössere Frachter eingesetzt werden.
«Auch für Containerschiffe kann die Nordostpassage eine Alternative sein. Aber davon sind
wir noch weit entfernt», sagt Leypoldt.
Die Waren suchen sich immer ihren Weg.
Und zwar den günstigsten. Ändert sich ein
Faktor im System, passen sich die Transporteure an. Steigt der Ölpreis besonders hoch,
fahren die Schiffe plötzlich langsamer, um
Diesel zu sparen. Ist der Treibstoff hingegen
sehr billig, nehmen sie den Umweg um Afrika
in Kauf und meiden den teuren Suezkanal.
Auch die Piraten vor der Küste Somalias sorgten vorübergehend dafür, dass die alte KapRoute wieder mehr genutzt wurde.
Wenn die Bedingungen stimmen, wählen
die Logistikprofis sogar den Landweg. Die
Kosten sind mit rund 1000 Dollar je Container
höher als die 600 Dollar auf einem Schiff. Aber
es geht viel schneller. Im August schaffte ein
Güterzug die Strecke von China nach Deutschland in der neuen Rekordzeit von 15 Tagen.
Das schlägt nur Luftfracht. BMW schickt seit
2011 täglich einen Zug voller Fahrzeugteile auf
den Weg von Leipzig nach Shenyang.
Trotz neuer Konkurrenz bleibt der Suezkanal die dominierende Route. 95 Prozent der
Waren kommen über den Seeweg von Asien
nach Europa, der Grossteil davon durch den
Kanal. Deshalb hält die Weltwirtschaft den
Atem an, wenn das Nadelöhr bedroht ist, zuletzt vor zwei Wochen nach einem gescheiterten Terroranschlag. Doch selbst als Ägypten
im Revolutionschaos versank, blieb der Kanal
immer offen. Einzig nach dem Sechstagekrieg
1967 war er für längere Zeit gesperrt.
Aber was wäre, wenn doch, fragt Verkehrsexperte Leypoldt: «Läuft ein Schiff wie die
‹Costa Concordia› im Suezkanal auf Grund,
müsste sich der Welthandel plötzlich neu organisieren. Ein solches Ereignis könnte den
Verkehr über die Nordostpassage stark beschleunigen.»
NZZ am Sonntag 22. September 2013
Die CO2-Emissionen sind höher als jemals zuvor. Doch die globalen Temperaturen steigen
seit 15 Jahren nicht mehr. Wie sich das Klima weiterentwickelt, verrät der Bericht des
Weltklimarats, der am kommenden Freitag veröffentlicht wird. Von Andreas Hirstein
Klimawandel
macht
einePause
DARRELL GULIN / GETTY IMAGES
Seite 66
Wechseljahre
Fernsehsignale
Männer leiden unter Die Zukunft des
Östrogenmangel 69 Antennen-TV 70
EOS 70D im Test
Eine Kamera mit
Doppelblick 70
Blasenschwäche
Ein Tabu, trotz
guten Therapien 71
66
F
ür manche Wissenschafter ist
es wie Olympia – ein Ereignis,
für das man hart arbeitet
und das nur alle paar Jahre
stattfindet: Am kommenden
Freitag publiziert der Weltklimarat IPCC einen Bericht, in
dem das 1988 gegründete Uno-Gremium den
Stand der Klimawissenschaft zusammenfasst. Im März und April kommenden Jahres
folgen weitere Dokumente, die sich den wirtschaftlichen und ökologischen Folgen der
globalen Erwärmung und ihrer Vermeidung
widmen werden, bevor dann in etwa einem
Jahr ein Synthesebericht erscheint. Es wird
der fünfte in der Geschichte des IPCC sein.
Die grösste Beachtung wird auch bei der
jetzt bevorstehenden Publikationsrunde
der erste Teilbericht von kommender Woche
finden. Er liefert die für die Klimapolitik
wichtigen Zahlen: Wie wird sich die globale
Durchschnittstemperatur verändern, wie
weit der Meeresspiegel ansteigen, und wie
häufig werden Hitzewellen, Wirbelstürme,
Dürreperioden und Hochwasser den Planeten heimsuchen?
Zeile für Zeile
Eine Kurzzusammenfassung für Politiker soll
diese Fragen beantworten. Dieses wenige
Seiten umfassende Kondensat aus 9200
berücksichtigten Studien wird derzeit bei
einem Treffen von Wissenschaftern und
Vertretern aus 195 Ländern in Stockholm
verabschiedet. «Zeile für Zeile werden wir
über dieses Dokument diskutieren bis
Konsens herrscht», sagt Thomas Stocker,
Professor an der Universität Bern und einer
der beiden Vorsitzenden der zuständigen
Arbeitsgruppe des IPCC. Wissenschafter und
Politiker werden so lange über Adjektive und
Satzzeichen streiten, bis alle zustimmen
können – vom Klimaforscher aus der Schweiz
bis zum Regierungsvertreter aus Peking.
Was im neuen Bericht stehen wird, ist
offiziell zwar noch geheim. Die Nachrichtenagentur Reuters, die «New York Times» und
die Wissenschaftszeitschrift «Nature» haben
aber bereits Auszüge und Daten aus noch
nicht endgültigen Textversionen veröffentlicht. Vom definitiven Bericht unterscheiden
sie sich höchstens in Details.
Demnach halten es die Wissenschafter
jetzt für äusserst wahrscheinlich («extremely
likely»), dass die Klimaerwärmung hauptsächlich durch den Menschen verursacht
wird. In Zahlen beträgt die Wahrscheinlich-
Wissen Klimawandel
keit mindestens 95 Prozent, ein Wert der
2007 noch mit 90 Prozent und 2001 mit
66 Prozent angegeben wurde.
Eine deutliche Korrektur nach oben gibt
es beim Meeresspiegel, der laut «Nature» bis
im Jahr 2100 um 28 bis 97 Zentimeter ansteigen könnte. Im vorherigen Bericht aus dem
Jahr 2007 betrug diese Spanne noch 18 bis 59
Zentimeter. Wegen zu grosser Unsicherheiten hatten die Wissenschafter damals das
dynamische Verhalten der grönländischen
und antarktischen Gletscher noch nicht
berücksichtigt. Bessere, auch satellitengestützte Beobachtungsdaten und Fortschritte
in Computersimulationen ermöglichen es
nun, auch diese gigantischen Eisströme zu
berücksichtigen, was zwangsläufig zu
höheren Prognosewerten führt.
Grundlegend neue Erkenntnisse bringt
der Bericht nicht. Diskussionen auslösen
wird daher ein Thema, das vielen Klimaforschern ungelegen kommt: Seit Beginn der
Industrialisierung sind die globalen Durchschnittstemperaturen um 0,8 Grad gestiegen. Doch seit etwa 15 Jahren stagniert die
Klimaerwärmung (vgl. Interview auf dieser
Doppelseite). Obwohl die Emissionen von
CO2 rekordhohe Werte erreichen und die
Konzentration des Treibhausgases heute um
41 Prozent über seinem vorindustriellen
Wert liegt, weichen gemessene und von den
Klimamodellen der Forscher prognostizierte
Temperaturen immer stärker voneinander ab
(vgl. Grafik rechts). Noch liegt die Diskrepanz
im tolerierbaren Bereich – kürzere Phasen
mit konstanten oder gar rückläufigen Temperaturen sind im Verlauf einer langfristigen
Klimaerwärmung normal. Wenn der derzeitige Trend jedoch weiter anhalten sollte,
müssten die Klimamodelle in einigen Jahren
korrigiert werden. Ein Gutes hat die verzögerte Entwicklung immerhin schon jetzt:
Sie lässt der Menschheit 10 bis 20 Jahre
mehr Zeit, um sich auf den Klimawandel
einzustellen.
Vorläufig aber spekulieren die Wissenschafter noch über die Ursachen der gegenwärtigen Temperaturentwicklung. Mög-
Neuere Studien deuten
auf einen etwas
kleineren Klima-Effekt
des Treibhausgases
Kohlendioxid hin.
NZZ am Sonntag 22. September 2013
licherweise haben die tiefen Ozeane in den
letzten Jahren die fehlende Wärmeenergie
aufgenommen. «Das wäre eine natürliche
Schwankung, die auch innerhalb der Klimamodelle vorhergesagt wird», sagt Reto
Knutti, Professor an der ETH Zürich, der für
das Kapitel über langfristige Klimaänderungen des IPCC-Berichts verantwortlich zeichnet. «Das wäre typisch für das Wetterphänomen La-Niña, wie wir es seit zehn Jahren
vermehrt erleben.»
Ein anderer Faktor könnte die Sonne sein,
die 2009 das Minimum ihres elfjährigen
Zyklus erreicht hat. Auch Wasserdampf und
Aerosole in der Atmosphäre – beispielsweise
aus Vulkanausbrüchen – könnten eine
kühlende Wirkung auf die Oberflächentemperaturen gehabt haben.
Grössere Bandbreite
Für die Forscher und vor allem für die Klimapolitik viel entscheidender wäre aber eine
andere Erklärung, nämlich, dass die Treibhauswirkung von CO2 kleiner ist als bisher
vermutet. Diese sogenannte Klimasensitivität gibt an, wie sich die Temperaturen bei
einer Verdopplung von CO2 in der Atmosphäre verändern. Neuere Studien deuten
auf einen etwas kleineren Effekt des Treibhausgases hin. Möglich erscheint auch, dass
das Klimasystem der Erde einfach mehr Zeit
braucht, um auf den erhöhten CO2-Gehalt zu
reagieren. In diesem Fall müsste die langfristige Prognose nicht korrigiert werden, und
es wäre nur mittelfristig mit einer weniger
deutlichen Temperaturzunahme zu rechnen.
Der neue IPCC-Bericht wird diese Fragen
noch nicht beantworten können und für die
Klimasensitivität eine grössere Bandbreite
von Werten angeben als die Erhebung von
2007. Dieses Mal rechnen die Forscher mit
einer Zunahme zwischen 1,5 und 4,5 Grad
bei einer Verdoppelung von CO2 in der
Atmosphäre – das gleiche Intervall wie schon
in ihrem ersten Assessment im Jahr 1990.
«Die verlangsamte Erwärmung ist ein
höchst interessantes Thema, das wissenschaftlich noch nicht verstanden ist», sagt
Thomas Stocker. In einem eigenen Kapitel
wird sich der IPCC daher erstmals mit den
kurzfristigen Folgen des Klimawandels
befassen. Sie sind es auch, die für politische
Entscheidungsträger – die den Bericht
schliesslich in Auftrag gegeben haben –
unmittelbar relevanter sind als die klimatischen Bedingungen im Jahr 2100 und
darüber hinaus.
«Wirmüssen
zugeben:
Wirhaben
einProblem»
Seit 15 Jahren steigen die globalen Temperaturen allen
Modellen zum Trotz nicht mehr an, niemand weiss, warum.
Daure der Stillstand der Erderwärmung noch 5 Jahre,
werde er nervös, sagt der Klimaforscher Hans von Storch.
Und er rät seinen Kollegen, selbstkritisch zu sein
Malé, die Hauptstadt der Malediven, ist vom Anstieg des Meeresspiegels bedro
NZZ am Sonntag: Die globale Erwärmung
macht seit rund 15 Jahren Pause. Wir freuen
uns darüber, und Sie?
Hans von Storch: Das hat für mich keine
persönliche Bedeutung. Mich interessiert
diese Entwicklung aus rein professionellen
Gründen. Dass die Temperaturen in der
jüngsten Zeit trotz zunehmenden CO2-Emissionen kaum angestiegen sind, stellt in
meinen Augen eine Überraschung dar – und
für einen Klimaforscher eine schöne Herausforderung. Ich bin einfach mal gespannt, was
da passieren wird.
Die Mehrheit der Klimaforscher gibt sich allerdings besorgt. Wegen des Klimawandels oder
weil ihre Modelle die gegenwärtige Entwicklung nicht sonderlich gut abgebildet haben?
Die Sorgen sind berechtigt. Wenn wir uns
all die möglichen Entwicklungen anschauen,
welche die Klimamodelle für die Zukunft
beschrieben haben, und mit dem vergleichen, was in den letzten 15 Jahren tatsächlich geschehen ist, dann stellen wir fest: Wir
sind am untersten Ende der Szenarien in den
Modellen.
Die Menschen haben jüngst so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wie nie zuvor,
warum sind denn die Temperaturen trotzdem
nicht angestiegen?
Das weiss ich nicht. Darauf eine Antwort
geben zu wollen, ist nötig, aber noch zu früh.
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze,
etwa dass im Pazifik verstärkt negative und
deshalb abkühlende El-Niño-Ereignisse
auftreten oder dass sich mehr Wärme im
tieferen Ozean ansammelt. Das kann alles
stimmen. Wenn eine einigermassen plausible Erklärung vorliegt, sollten wir jetzt aber
nicht sagen: Das ist es. Vielmehr sollten wir
alle denkbaren Hypothesen ordentlich abklären und gegeneinander abwägen. Sich kurzfristig auf eine Erklärung festzulegen, das ist
blosse Abwehr kritischer Nachfragen.
Wie lange darf der Stillstand der Erderwärmung noch anhalten, bis die Forscher sagen
müssen: Wir haben ein grundlegendes
Problem in unserem Verständnis des Klimawandels?
Ich würde sagen fünf Jahre, dann werde
ich definitiv nervös sein. Wenn das noch fünf
Jahre so weitergeht, dann haben wir eine
Entwicklung, die in unseren Modellszenarien überhaupt nicht vorkommt. Was bisher
geschah, ist in den Szenarien noch ganz
selten abgebildet: je nach Temperaturanstieg, den wir aus Beobachtungen ableiten, in weniger als 5 Prozent oder weniger
als 2 Prozent der Fälle. Deshalb müssen wir
Klimaforscher kritisch mit uns selbst sein.
Wie geht die Klimawissenschaft mit dieser
Herausforderung um?
Ich habe den Eindruck, dass die eigentliche Klimaforschung darüber nicht sonderlich beunruhigt ist. In der Wissenschaft ist es
gut und konstruktiv, dass man gelegentlich
aus der Ruhe gebracht wird. Ich befürchte
allerdings, dass manche Leute versuchen,
Diskussionen zu verhindern, indem sie
sagen: Das hat keine Bedeutung für uns, es
ist weiterhin so, dass Klimapolitik unmittelbar aus Klimaforschung folgen soll.
Klimamodelle werden stets komplexer, sie
erfassen immer mehr Einflussfaktoren wie
Bodenbeschaffenheit oder Vegetation, und
trotzdem werden die Unsicherheiten eher
grösser als kleiner – weshalb?
Das muss so sein: Es sind immer mehr
Komponenten dabei, und deshalb nehmen
auch die Unsicherheiten zu. Wenn ich den
Einfluss der Vegetation auf das Klima in ein
Modell einbeziehe, wird die Unsicherheit
zwangsläufig grösser, weil das Modell dann
mehr Freiheitsgrade hat. Hinzu kommt, dass
viele dynamische Prozesse im Gesamtsystem
als statistisches Rauschen wirken. Dieses
Rauschen löst dann ebenfalls langsame Veränderungen aus, die aber nicht von aussen
angestossen werden – sozusagen: Rauch
ohne Feuer.
Wo bestehen die grössten Lücken in unserem
Wissen um das Klimageschehen?
Die grössten Sorgenkinder sind die
Wolken. Man kann sie nicht im Detail in
einem Modell darstellen und ihre Wechselwirkung mit der Sonnenstrahlung ist
komplex: Wolken können kühlen oder
wärmen – sie können alles Mögliche machen.
Wenn Sie 2 Prozent mehr Wolken haben, ist
die Wirkung auf die globale Mitteltemperatur erheblich.
MOHAMeD ABDULLA SHAFeeg / geTTY iMAgeS
67
97
zentimeter
Zwischen 28 und 97 Zentimeter könnte der
Meeresspiegel bis im Jahr 2100 ansteigen.
Unsicher bleibt vor allem das Verhalten der
grossen Gletscherströme in Grönland und
der Antarktis.
41
Prozent
In der Atmosphäre der Erde befinden sich
heute 41% mehr CO2 als vor der Industrialisierung – so viel wie seit 3 Millionen Jahren
nicht mehr.
9200
Studien
Der am kommenden Freitag erscheinende
Klimabericht des Weltklimarats fasst die
Ergebnisse von 9200 wissenschaftlichen
Studien zusammen.
Verlangsamte Erwärmung
Gemessene und prognostizierte
Durchschnittstemperaturen
Abweichungen vom
langjährigen Mittelwert
0,4°
Temperaturmessungen
Temperaturwerte aus
Computersimulationen
0,2°
0°
–0,2°
–0,4°
–0,6°
–0,8°
1950
Der Mathematiker
und Physiker Hans
von Storch, 64, ist
Direktor des Instituts für Materialund Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum
im norddeutschen
Geesthacht. Als
Experte für Computermodelle, die den
Verlauf des Klimas
simulieren, hat er
sich weltweit einen
Namen gemacht.
Gibt es weitere Fragezeichen?
Problematisch sind auch die industriellen
Schwebstoffe, die Aerosole. Wir können zum
Beispiel nicht sagen, wie sich der Rückgang
im Ausstoss von Aerosolen nach dem Zusammenbruch der zentraleuropäischen Industrie
auf die Temperaturen im Ostseeraum ausgewirkt hat. Das ist eigentlich eine Schande.
Was die Bedeutung der Sonne für das Klima
angeht, könnte noch einiges mehr an Forschung reingehen. Schliesslich enthalten die
Ozeanmodelle, die wir zur Darstellung des
Klimageschehens verwenden, kein Wasser
sondern eine Art Senf. Senf bewegt sich zäh
und träge, Wasser hingegen ist ein hoch
turbulentes Medium. Noch können unsere
Ozeanmodelle keine Turbulenz im Ozean
beschreiben, weil die Abmessungen, in
denen diese Bewegungen stattfinden, zu
kleinräumig sind.
Hat die Klimaforschung die Bedeutung des
Kohlendioxids als Klimatreiber überschätzt?
Ich will das nicht ausschliessen. Dass die
Temperaturen derzeit stagnieren, steht aber
keineswegs im Widerspruch dazu, dass die
Treibhausgase eine dominante Rolle spielen.
Das Dumme ist nur, dass unsere Modelle die
gegenwärtige Entwicklung nicht als Reaktion
auf verändertes Treibhausgasvorkommen
beschreiben können. Das kann ein unwahrscheinlicher Zufall sein, oder vielleicht
stellen die Modelle die natürlichen Schwankungen des Klimas zu schwach dar. Es wäre
aber auch denkbar, dass die Wirkung des CO2
auf die Temperaturen – die sogenannte Klimasensitivität – bisher überschätzt wurde.
Möglicherweise ist ein weiterer Faktor wie
die Sonne im Spiel, die in den Szenarien der
Modelle gar nicht abgebildet ist. Ausser dem
Zufall stellen alle diese Erklärungen keine
besonders guten Nachrichten für die Klimaforschung dar. Deshalb müssen wir zunächst
zugeben: Wir haben ein Problem und wissen
noch nicht, woran es liegt.
Steht die Vorstellung grundsätzlich auf dem
Prüfstand, wonach in erster Linie der Mensch
für den Anstieg der Temperaturen in den
letzten Jahrzehnten verantwortlich ist?
Für mich persönlich nicht. Ich bin davon
überzeugt, dass der überwiegende Anteil der
Erderwärmung menschengemacht ist. Dis-
1970
1980
1990
2000
2010
Quelle: «Nature» vom 29. 8. 2013
oht. Sie liegt nur einen Meter über dem Meeresspiegel.
Hans von
Storch
1960
kussionen um die Wirkung der Sonne oder
das Ausmass der Klimasensitivität könnten
zu gewissen Justierungen führen, aber am
grundsätzlichen Einfluss des Menschen auf
das Klima zweifle ich nicht. Wir sollten allerdings nicht vergessen, auch die politische
und öffentliche Dynamik des Themas zu studieren.
Woran denken Sie?
Es geht darum, wie sich die Wissenschaft
in einer demokratischen Gesellschaft
bewegt. Was mich besonders stört, ist die
angebliche Alternativlosigkeit von Klimapolitik, die von Wissenschaftern so propagiert wird. Diese treten als politische Akteure
auf, ohne die politische Verantwortung zu
übernehmen. Ich würde mir wünschen, dass
der eine oder andere Klimaforscher-Kollege
in Deutschland, aber auch der Schweiz
seinen Kittel auszieht und in die Politik
wechselt.
Das ist kein gutes Zeugnis für Ihre Kollegen.
Einige Klimaforscher sind zu Geiseln des
Guten geworden. Sie stellen sich in den
Dienst einer umfassenden Klimapolitik, der
grossen Transformation, statt dass sie unbefangen sagen würden: Wir haben hier ein
Problem mit dem Klimawandel, dem sich die
Gesellschaft stellen muss. Das Risiko für die
Autorität der Klimawissenschaft ist in dem
Sinne erheblich, dass sie so enden könnte
wie die Waldforschung: Es werden grosse
Dramen erzählt und wilde Forderungen
gestellt, und am Ende war dann nichts. Ob
das in der Klimaforschung – oder auch in der
Waldforschung – tatsächlich so ist, sei dahingestellt. Aber es wäre fatal, wenn in der
Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, wir
hätten zugunsten einer ideologischen Linie
«Ich würde mir
wünschen, dass der
eine oder andere
Klimaforscher-Kollege
seinen Kittel
auszieht und in die
Politik wechselt.»
alles Mögliche erzählt und die Unsicherheiten der Klimaforschung heruntergespielt.
Politik niemanden. Die Diskussionen, an
denen ich beteiligt war, waren harmlos.
Sie haben vor zehn Jahren erklärt: «Wir
müssen den Menschen die Angst vor der Klimaveränderung nehmen» und «Wir werden
das schon wuppen». Sind Sie immer noch derselben Meinung?
Meine Einschätzung ist heute nicht
wesentlich anders. Wir werden das wuppen.
Es ist eine ordentliche Herausforderung, der
wir uns gegenübersehen. Aber wir müssen
unsere Fähigkeiten, auch was Modernisierung und Innovation angeht, neu denken.
Dem Vernehmen nach enthält der IPCC-Bericht wenig Neues, sondern konsolidiert mit
einem gigantischen Aufwand das bestehende
Wissen über den Klimawandel. Braucht es
dieses Gremium überhaupt noch?
Ich habe meine Zweifel, ob das wirklich
was bringt. Das ist ein Uno-Geschäft, gesteuert von einer ziemlich dumpfen Bürokratie.
Man denke an die Unfähigkeit, mit identifizierten Fehlern umzugehen.
Welche Folgen des Klimawandels machen
Ihnen wirklich Sorgen?
In kürzerer Zeit keine, die Veränderungen
bis 2030 können wir in den Griff kriegen. Die
Perspektive, dass der Meeresspiegel später
deutlich schneller und um über einen Meter
ansteigen könnte, muss mich beunruhigen.
Schwierig finde ich auch die Sache mit den
Starkniederschlägen. Dass sich die Klimazonen zum Beispiel in Afrika verschieben
könnten, macht mich ebenfalls nervös. Auf
der andern Seite geschieht das alles vor dem
Hintergrund einer menschlichen Entwicklung – technologischer, politischer und wirtschaftlicher Art. Da sind wir gefordert, neue
Wege zu ersinnen, um mit diesen Problemen
umzugehen.
Der frühere Uno-Klimachef Yvo de Boer hat
gesagt, der jüngste Report des Weltklimarats,
der nächste Woche erscheint, werde «jeden zu
Tode erschrecken». Muss das sein?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass der IPCCBericht der Arbeitsgruppe I über die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels
niemanden zu Tode erschrecken, sondern
ein ordentliches Stück Handwerk sein wird.
Das war schon bei früheren Berichten so. Alle
Fehler, die in Richtung Übertreibung gingen,
geschahen beim Bericht der Arbeitsgruppe II
über den Umgang mit dem Klimawandel.
Dieser Bericht erscheint erst später.
Manch ein Forscher fühlt sich bei der Arbeit
im IPCC im «Sandwich zwischen Wissenschaft
und Politik». Wie ist es Ihnen ergangen?
Ich war dieses Mal nur am Rande dabei.
Was ich gemacht habe, interessiert in der
Wie könnte eine Klimaforschung im Dienste
der Gesellschaft ohne IPCC aussehen?
Lasst uns den IPCC auflösen zugunsten
vieler regionaler Berichte und eines kleineren globalen Reports, der die regionalen
Berichte teilweise zusammenfasst. Wichtig
ist, dass die Berichte aus den regionalen
wissenschaftlichen Gemeinschaften heraus
entstehen.
Warum sollte ein solcher Ansatz besser funktionieren?
Das belege ich Ihnen gerne mit einem
Beispiel. Ich bin an einer Art IPCC für den
Ostseeraum beteiligt, dem BACC. Wir haben
sehr viel regionale Kompetenz. Dadurch
waren wir überhaupt erst in der Lage zu
erkennen, dass die globalen Modelle den Klimawandel in der Ostsee nicht gut beschreiben. Ausserdem haben wir anders als der
IPCC keine Politiker dabei. Diese kommen
erst nach dem Erscheinen des Berichts dazu
und nutzen dann unsere Einschätzungen
für die Politikgestaltung. Wir brauchen viel
mehr solcher Grass-Roots-IPCC.
Interview: Patrick Imhasly
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