45/Hooligans (Page 207)

Werbung
Sport
„Bungee-Springen ohne Seil“
Interview mit den Hooligans Kai, Tom und Roy
über verabredete Prügeleien, überforderte Polizisten und
die Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich
sind. Das letzte Treffen spielte sich jedoch
auf freiem Feld ab, und da entscheidet: wer
hat die besseren Einzelkämpfer. Wenn
dann so ’ne Türstehertruppe anrückt, von
denen die meisten kickboxen können,
schaut es eben schlecht aus.
Kai: Der gegnerische Mob jagte uns durch
das ganze Dorf. Wer nicht entkam, wurde
zusammengetreten – die sind total ausgerastet.
SPIEGEL: Was ist daran so ungewöhnlich?
Sie treten Ihre Gegner doch auch zusammen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.
Kai: Es gibt gewisse Regeln: Natürlich soll
mein Gegner was davon merken, wenn ich
mich mit ihm haue. Der soll ruhig eine gebrochene Nase kassieren. Aber wenn er
am Boden liegt, schlage ich ihn nicht besinnungslos. Unser Ehrenkodex besagt:
Wer unten ist, kriegt noch mal einen Tritt,
aber nicht zehn Tritte. Wir wollen niemanden erledigen.
SPIEGEL: Wie kommt man zu so einer pragmatischen Einstellung zur Gewalt?
Roy: Die Leute aus unserer Szene haben
eine andere Moralvorstellung in bezug auf
Gewalt. Niemand hat ein Problem, einem
anderen auf die Fresse zu hauen.
SPIEGEL: Hooligans legen Wert darauf, nicht
mit Straßenschlägern verwechselt zu werden. Was unterscheidet sie?
M. HORACEK / BILDERBERG
SPIEGEL: Roy, woher stammen Ihre Narben
am Hinterkopf?
Roy: Vom Länderspiel Portugal gegen
Deutschland, voriges Jahr in Lissabon. Wir
waren nur zwölf Mann und bekamen Ärger mit einer Streetgang. Die hatten Knüppel dabei, und einer zog mir sein Teil
zweimal ordentlich über den Schädel.
SPIEGEL: So was läuft unter Berufsrisiko?
Kai: Eine gebrochene Hand vom Zuschlagen, eine gebrochene Nase, blaue Augen,
Platzwunden – das gehört dazu. Wir bewerfen uns nicht mit Wattebäuschen.
SPIEGEL: Haben Sie keine Angst vor noch
schlimmeren Folgen? Bei der letzten
großen Schlägerei vor dem Spiel Hansa
Rostock gegen den Hamburger SV mußte
einer Ihrer Kollegen nach einer Wirbelsäulenverletzung mit dem Hubschrauber
abtransportiert werden.
Kai: Die Geschichte war außer Kontrolle
geraten. Normalerweise prügelt man sich
zwei bis drei Minuten, dann ist alles vorbei,
weil die Polizei anrückt. Bei der Schlägerei mit den Rostockern dauerte es 30 Minuten, bis die Polizei kam. So nahm die
Sache kein Ende.
SPIEGEL: Warum haben Sie sich auf den ungleichen Kampf eingelassen?
Roy: Eigentlich reicht unser boxerisches
Vermögen, weil wir in der Gruppe sehr gut
Krawalle und Schlägereien
„gehören einfach zum Fußball“, sagt Betriebswirtschaftsstudent Roy (Mitte), 25. Wie
sein Freund Kai (l.), 28, gelernter Bankkaufmann und heute Türsteher auf St. Pauli,
gehört Roy dem harten Kern der berüchtigten Hooligans des Hamburger SV an. Tom,
27, derzeit arbeitslos, ist vor anderthalb Jahren aus der Szene ausgestiegen.
d e r
s p i e g e l
4 5 / 1 9 9 7
Kai: Für mich ist das Ganze ein hobbymäßiges Kräftemessen mit Gleichgesinnten. Jeder weiß, auf was er sich einläßt.
Roy: Hooliganismus ist nicht ausschließlich
die reine Lust am Prügeln. Man hat auch
eine Sache, für die man sich prügelt. Ich
mache mich stark für meinen Verein, meine Stadt oder mein Land. Frühere Generationen haben deswegen Kriege angezettelt, wir gehen zum Fußball.
SPIEGEL: Offenbar denken etliche mittlerweile anders. Die Hooligan-Szene ist in
den letzten Jahren kleiner geworden. Meldungen über Ausschreitungen werden
seltener.
Roy: Vor einigen Jahren waren noch viele
Mitläufer dabei. Denen reichte es, im Stadion mit Leuchtraketen rumzuschießen.
Mich langweilt das, ich will mich hauen.
Kai: Die Medien berichten auch anders.
Damals beim Länderspiel Polen gegen
Deutschland in Zabrze gab es eine Riesenaufregung, weil ein paar Spinner mit
rechtsradikalen Parolen provozierten. Daß
es vor dem Spiel mehrere Schlägereien mit
polnischen Hools gab, bei denen Steine flogen, war nirgendwo zu lesen.
SPIEGEL: Warum finden die derbsten Krawalle immer öfter abseits der Stadien statt?
Roy: Im Stadion werden wir von Polizeikameras gefilmt, überall rennen szenekundige Beamte rum, die einen identifizieren können.
Tom: Zu viele Leute haben sich in den letzten Jahren Anzeigen eingefangen. Deshalb
trifft man sich lieber irgendwo in Ruhe.
SPIEGEL: Wie werden die Treffen organisiert?
Kai: Man kennt sich in der Szene, man reist
ja gemeinsam zu Länderspielen; dort treten Hooligans ja als Einheit auf und tauschen Telefonnummern aus. Also verabredet man einen Treffpunkt.
SPIEGEL: Hooligans reisen in Gruppen bis
zu 200 Mann. Wie gelangen Sie an einen
Treffpunkt, ohne der Polizei aufzufallen?
Roy: Wenn wir mit dem Auto unterwegs sind,
fahren wir Ablenkungsmanöver, oder wir
kommen aus verschiedenen Richtungen zum
Treffpunkt. Solche Finten gelingen aber nicht
immer: Vor drei Jahren in Nürnberg dachten
wir, wir könnten unerkannt mit der Lufthansa einschweben und uns gleich mit den
Nürnbergern am Flughafen auseinandersetzen. Die warteten dann auch auf uns – aber
leider standen da auch 100 Polizisten.
SPIEGEL: Ende der Dienstreise?
Roy: Nicht ganz. Die Polizei auszutricksen
gehört zum Spiel. In Nürnberg mußte uns
die Polizei über Nacht im Auge behalten,
schließlich ging unser Rückflug erst am anderen Morgen. Also brachte sie uns in die
Fankneipe der Nürnberger. Dort sind wir
durch den Hinterausgang abgehauen.
SPIEGEL: Wie endete das Räuber-und-Gendarm-Spiel?
Roy: Es war eine qualitativ erstklassige Prügelei. Die Nürnberger warteten auf uns
in einem Gewerbegebiet. Wir kamen mit
207
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen