Sport „Bungee-Springen ohne Seil“ Interview mit den Hooligans Kai, Tom und Roy über verabredete Prügeleien, überforderte Polizisten und die Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich sind. Das letzte Treffen spielte sich jedoch auf freiem Feld ab, und da entscheidet: wer hat die besseren Einzelkämpfer. Wenn dann so ’ne Türstehertruppe anrückt, von denen die meisten kickboxen können, schaut es eben schlecht aus. Kai: Der gegnerische Mob jagte uns durch das ganze Dorf. Wer nicht entkam, wurde zusammengetreten – die sind total ausgerastet. SPIEGEL: Was ist daran so ungewöhnlich? Sie treten Ihre Gegner doch auch zusammen, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Kai: Es gibt gewisse Regeln: Natürlich soll mein Gegner was davon merken, wenn ich mich mit ihm haue. Der soll ruhig eine gebrochene Nase kassieren. Aber wenn er am Boden liegt, schlage ich ihn nicht besinnungslos. Unser Ehrenkodex besagt: Wer unten ist, kriegt noch mal einen Tritt, aber nicht zehn Tritte. Wir wollen niemanden erledigen. SPIEGEL: Wie kommt man zu so einer pragmatischen Einstellung zur Gewalt? Roy: Die Leute aus unserer Szene haben eine andere Moralvorstellung in bezug auf Gewalt. Niemand hat ein Problem, einem anderen auf die Fresse zu hauen. SPIEGEL: Hooligans legen Wert darauf, nicht mit Straßenschlägern verwechselt zu werden. Was unterscheidet sie? M. HORACEK / BILDERBERG SPIEGEL: Roy, woher stammen Ihre Narben am Hinterkopf? Roy: Vom Länderspiel Portugal gegen Deutschland, voriges Jahr in Lissabon. Wir waren nur zwölf Mann und bekamen Ärger mit einer Streetgang. Die hatten Knüppel dabei, und einer zog mir sein Teil zweimal ordentlich über den Schädel. SPIEGEL: So was läuft unter Berufsrisiko? Kai: Eine gebrochene Hand vom Zuschlagen, eine gebrochene Nase, blaue Augen, Platzwunden – das gehört dazu. Wir bewerfen uns nicht mit Wattebäuschen. SPIEGEL: Haben Sie keine Angst vor noch schlimmeren Folgen? Bei der letzten großen Schlägerei vor dem Spiel Hansa Rostock gegen den Hamburger SV mußte einer Ihrer Kollegen nach einer Wirbelsäulenverletzung mit dem Hubschrauber abtransportiert werden. Kai: Die Geschichte war außer Kontrolle geraten. Normalerweise prügelt man sich zwei bis drei Minuten, dann ist alles vorbei, weil die Polizei anrückt. Bei der Schlägerei mit den Rostockern dauerte es 30 Minuten, bis die Polizei kam. So nahm die Sache kein Ende. SPIEGEL: Warum haben Sie sich auf den ungleichen Kampf eingelassen? Roy: Eigentlich reicht unser boxerisches Vermögen, weil wir in der Gruppe sehr gut Krawalle und Schlägereien „gehören einfach zum Fußball“, sagt Betriebswirtschaftsstudent Roy (Mitte), 25. Wie sein Freund Kai (l.), 28, gelernter Bankkaufmann und heute Türsteher auf St. Pauli, gehört Roy dem harten Kern der berüchtigten Hooligans des Hamburger SV an. Tom, 27, derzeit arbeitslos, ist vor anderthalb Jahren aus der Szene ausgestiegen. d e r s p i e g e l 4 5 / 1 9 9 7 Kai: Für mich ist das Ganze ein hobbymäßiges Kräftemessen mit Gleichgesinnten. Jeder weiß, auf was er sich einläßt. Roy: Hooliganismus ist nicht ausschließlich die reine Lust am Prügeln. Man hat auch eine Sache, für die man sich prügelt. Ich mache mich stark für meinen Verein, meine Stadt oder mein Land. Frühere Generationen haben deswegen Kriege angezettelt, wir gehen zum Fußball. SPIEGEL: Offenbar denken etliche mittlerweile anders. Die Hooligan-Szene ist in den letzten Jahren kleiner geworden. Meldungen über Ausschreitungen werden seltener. Roy: Vor einigen Jahren waren noch viele Mitläufer dabei. Denen reichte es, im Stadion mit Leuchtraketen rumzuschießen. Mich langweilt das, ich will mich hauen. Kai: Die Medien berichten auch anders. Damals beim Länderspiel Polen gegen Deutschland in Zabrze gab es eine Riesenaufregung, weil ein paar Spinner mit rechtsradikalen Parolen provozierten. Daß es vor dem Spiel mehrere Schlägereien mit polnischen Hools gab, bei denen Steine flogen, war nirgendwo zu lesen. SPIEGEL: Warum finden die derbsten Krawalle immer öfter abseits der Stadien statt? Roy: Im Stadion werden wir von Polizeikameras gefilmt, überall rennen szenekundige Beamte rum, die einen identifizieren können. Tom: Zu viele Leute haben sich in den letzten Jahren Anzeigen eingefangen. Deshalb trifft man sich lieber irgendwo in Ruhe. SPIEGEL: Wie werden die Treffen organisiert? Kai: Man kennt sich in der Szene, man reist ja gemeinsam zu Länderspielen; dort treten Hooligans ja als Einheit auf und tauschen Telefonnummern aus. Also verabredet man einen Treffpunkt. SPIEGEL: Hooligans reisen in Gruppen bis zu 200 Mann. Wie gelangen Sie an einen Treffpunkt, ohne der Polizei aufzufallen? Roy: Wenn wir mit dem Auto unterwegs sind, fahren wir Ablenkungsmanöver, oder wir kommen aus verschiedenen Richtungen zum Treffpunkt. Solche Finten gelingen aber nicht immer: Vor drei Jahren in Nürnberg dachten wir, wir könnten unerkannt mit der Lufthansa einschweben und uns gleich mit den Nürnbergern am Flughafen auseinandersetzen. Die warteten dann auch auf uns – aber leider standen da auch 100 Polizisten. SPIEGEL: Ende der Dienstreise? Roy: Nicht ganz. Die Polizei auszutricksen gehört zum Spiel. In Nürnberg mußte uns die Polizei über Nacht im Auge behalten, schließlich ging unser Rückflug erst am anderen Morgen. Also brachte sie uns in die Fankneipe der Nürnberger. Dort sind wir durch den Hinterausgang abgehauen. SPIEGEL: Wie endete das Räuber-und-Gendarm-Spiel? Roy: Es war eine qualitativ erstklassige Prügelei. Die Nürnberger warteten auf uns in einem Gewerbegebiet. Wir kamen mit 207