Das psychiatrische Telekonsil

Werbung
S 68
© 2008
Schattauer GmbH
Das psychiatrische Telekonsil
R. Meyrer1, M. Scibor2, T. Pickelmann1
1
Klinikum am Europakanal; 2Neurozentrum des Universitätsklinikums Erlangen
Schlüsselwörter
Keywords
Versorgungsforschung, Konsil- und Liaisondienst, Psychiatrie, Telemedizin, Telepsychiatrie
Research into the provision of medical care, consultation
and liaison services, psychiatry, telemedicine, telepsychiatry
Zusammenfassung
Summary
Psychische und psychosomatische Erkrankungen nehmen
zu, etwa 35% aller Deutschen leiden im Laufe ihres Lebens
an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung. 30
bis 50% der Patienten in Allgemeinkrankenhäusern haben
psychische oder psychosomatische Begleiterkrankungen.
Trotzdem werden in der Primärversorgung nur 50% der
psychischen Störungen diagnostiziert und behandelt. Um
die psychiatrische Versorgung zu verbessern wurde das Pilotprojekt „Telepsychiatrische Konsultation in mittelfränkischen Krankenhäusern“ PSYCHKOM begonnen. Zwischen
einer Fachklinik für Psychiatrie und zwei Akutkrankenhäusern ohne psychiatrische Abteilung wurden bidirektionale
audio-visuelle Verbindungen aufgebaut. Patienten mit psychischen Symptomen werden via Telekonsil in der Fachklinik für Psychiatrie vorgestellt.
Psychological and psychosomatic illnesses are increasing.
Approximately 35% of all Germans in the course of their
lives suffer from a psychological problem that requires
treatment. 30 to 50% of the patients in general hospitals
have psychological or psychosomatic symptoms accompanying their primary illnesses. Nevertheless only 50% of
the psychological illnesses are ever diagnosed and treated
in the primary provision of medical care. In order to improve
the provision of psychiatric care, the pilot project “Telepsychiatric consultation in central Franconian hospitals“
PSYCHKOM was started. Two-way, audio-visual links were
established between a specialty clinic for psychiatry and
two acute hospitals without psychiatric wards. Patients with
psychological symptoms were introduced via teleconsultation to the specialty clinic for psychiatry.
Teleconsultations in psychiatry
Nervenheilkunde 2008; 27 (Suppl 1): S68–S69
Telemedizin
Der Fortschritt und die Entwicklung der
letzten Jahre in der Informationstechnologie und der Telekommunikation bieten neue
Anwendungsmöglichkeiten für die medizinische Versorgung. Ein Schlagwort dabei
heißt Telemedizin. Der Begriff Telemedizin
ist dabei wenig differenziert. Er beschreibt
die Übertragung von Daten aller Art mittels
Telekommunikationsmedien zu medizinischen Zwecken (1). Zweckmäßig ist eine
Differenzierung nach Inhalt (z. B. Telediagnostik, Teletherapie, Teleedukation), ärztlichem Fachgebiet (Teleradiologie, -psychiatrie, -neurologie) und Funktion (Telekonsultation, -konferenz, -chirurgie).
Der Vorteil der Telemedizin zeigt sich in
zwei Punkten: Einem räumlichen und einem
zeitlichen Aspekt. Große Entfernungen
können ökonomisch zurückgelegt werden,
so kann man einen Spezialisten mit einem
medizinischen Problem konsultieren, ohne
dass dieser vor Ort anwesend sein muss und
erhält einen Zeitgewinn durch die zeitnahe
(online-)Expertise.
Nach einer Phase in der zunächst telemedizinische Möglichkeiten sehr breit angewendet wurden zeigen sich zunehmend
Schwerpunkte, in denen sich die Telemedizin etabliert. Zum einen Fächer und Anwendungen, in denen Bilddaten, digitalisierte
Patientendaten oder -befunde von externen
Experten beurteilt werden (Teleradiologie,
-kardiologie, -dermatologie), zum anderen
die Möglichkeit von verbalen Interaktionen
z. B. Videokonferenzen oder in neuro-psychiatrischen Fächern in denen die Kommunikation mit dem Patienten in Wort und
Bild im Vordergrund der ärztlichen Tätigkeit steht (Telepsychiatrie, -neurologie).
Telepsychiatrie
Eine häufig gestellte Frage ist: „Lassen sich
Telemedizin und Psychiatrie vereinbaren?“
Zunächst scheint es schwer vorstellbar wie
über einen Monitor auf eine größere Distanz
sich eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung aufbauen soll. Aber gerade die Möglichkeit einer verbal-visuellen Kommunikation und Interaktion zeigen die Chancen der
Telepsychiatrie auf. Besonders Psychiatrie
und Psychotherapie, bei denen das Gespräch im Zentrum diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen steht, sind für die
Telemedizin geeignet. Die Möglichkeit des
Zuhörens, des Redens mit dem Patienten
und die visuelle Kommunikation erlauben
der Telemedizin Gefühlszustand, -regungen
und Symptome zu erfassen und zu übermitteln (2, 3).
Dabei sollte man die Telemedizin nicht
isoliert als Lösung für alle Probleme sehen,
sondern als einen kleinen Baustein einer
umfassenden Patientenversorgung. Telemedizin kann die Patientenversorgung unterstützen, Qualität und Effizienz dieser Versorgung verbessern. In Nordamerika, Australien und in Skandinavien bestehen bereits
gute Erfahrungen mit der Telemedizin bzw.
Telepsychiatrie.
Studien über telepsychiatrische Diagnostik verschiedener psychiatrischer
Krankheitsbilder zeigten eine vergleichbare
Interrater-Reliabilität zwischen zwei Untersuchern direkt vor Ort und der InterraterReliabilität zwischen telepsychiatrischen
Untersuchungen und Untersuchungen (4,
5). Auch die telepsychiatrische Therapie
wies bei Patienten mit Depressionen im Vergleich mit im direkten Therapeutenkontakt
untersuchten Patienten keine signifikanten
Unterschiede auf (6).
Bezüglich der Zufriedenheit mit telepsychiatrischen Untersuchungen zeigen die meisten Untersuchungen eine gute Patientenzufriedenheit, hingegen bevorzugen die Therapeuten den direkten Patientenkontakt (7).
Nervenheilkunde 11a/2008
Downloaded from www.nervenheilkunde-online.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242
For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.
S 69
Meyrer et al.: Telekonsil
Indikationen für die Telepsychiatrie
Ein Hauptanwendungsgebiet der Telepsychiatrie ist die Primärversorgung von Patienten mit psychischen Auffälligkeiten,
wenn kein Spezialist vor Ort zugegen ist.
Der Erstkontakt erfolgt dabei mit dem Ziel
eines Screening auf psychische Auffälligkeiten im Rahmen einer psychiatrischen
Konsultation. Ein psychiatrisch erfahrener
Untersucher kann Akuität und Behandlungsnotwendigkeit einschätzen und das
weitere Procedere empfehlen (Akutpsychiatrie, niedergelassener Nervenarzt,
Hausarzt). Therapeutische Kurzinterventionen sind im Rahmen telepsychiatrischer
Konsultationen möglich. Auch Verlaufsuntersuchungen oder Folgebehandlungen können telepsychiatrisch durchgeführt werden.
Behandlung könnten trotz räumlicher Distanz fortgesetzt werden, ohne den behandelnden Therapeuten wechseln zu müssen
oder die Therapie abzubrechen.
Institutionalisierte Patienten oder eingeschränkt mobile Patienten in Wohn-, Alten-,
oder Pflegeheimen können meist nur unter
erheblichem Aufwand ärztlich versorgt werden. Durch telemedizinische Versorgung
können regelmäßigere, geringer aufwändige Kontrollen und Untersuchungen durchgeführt werden.
In Multicenter-Studien können durch Telemedizin standardisierte Testungen, Einschluss- und Verlaufsuntersuchungen trotz
großer Distanzen vom gleichen Untersucher ohne übermäßigen Aufwand durchgeführt werden.
Psychiatrisches Telekonsil
Ansatz zur Verbesserung der Versorgungssituation psychischer Störungen in
Deutschland bietet unter anderem die unzu-
reichende Vernetzung des medizinischen
Versorgungssystems. Zu einem früheren Erkrankungszeitpunkt erkannt, können psychische Erkrankungen schneller und effektiver behandelt werden. Eine telemedizinisch fachärztlich-psychiatrische Konsultation könnte zukünftig einen wichtigen Beitrag zu einer kurzfristig adäquaten psychiatrischen Versorgung leisten.
Projekt PSYCHKOM
Im August 2006 wurde vom Bayerischen
Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen das Pilotprojekt
„TelePSYCHiatrische KOnsultation in Mittelfränkischen Krankenhäusern – PSYCHKOM“ genehmigt. Ziel des Projektes sind
eine frühzeitige Erfassung und eine schnellere Versorgung von Patienten mit psychischen Erkrankungen in Krankenhäusern
ohne psychiatrische Abteilung.
Projektpartner: Über die Installation von
bidirektionalen audio-visuellen Verbindung
zwischen der Klinik für Psychiatrie, Sucht,
Psychotherapie und Psychosomatik im Klinikum am Europakanal und den medizinischen Kliniken im Waldkrankenhaus St.
Marien in Erlangen und Klinikum Fürth wurden die Projektpartner miteinander telemedizinisch verbunden. Patienten mit psychischer
Symptomatik aus beiden medizinischen Kliniken wurden so via Telekonsultation in der
Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie
und Psychosomatik des Klinikums am Europakanal in Erlangen vorgestellt.
Projektphasen: Das Projekt gliedert sich
in zwei Phasen: Evaluations- und Konsiliarphase. In der Evaluationsphase wurden Patienten, die sich zur primär internistischen
Behandlung im Waldkrankenhaus St. Marien in Erlangen befanden und während des
stationären Aufenthaltes durch psychische
Symptome auffielen oder der Verdacht auf
eine psychiatrische Begleiterkrankung bestand, telemedizinisch einem Facharzt für
Psychiatrie im Klinikum am Europakanal
vorgestellt. Weiter wurde konventionell ein
direktes Gespräch mit einem psychiatrischen Facharzt vor Ort durchgeführt. Die
Ergebnisse der telemedizinisch erhobenen
psychiatrischen Befunde wurden mit den
Ergebnissen der konventionell erhobenen
Befunde verglichen.
In der Konsiliarphase wurden primär internistische Patienten mit psychischen Auffälligkeiten oder Verdacht auf eine psychiatrische Begleiterkrankung in den lokalen
Krankenhäusern (Waldkrankenhaus St. Marien und Klinikum Fürth) telepsychiatrisch
untersucht. Die telepsychiatrischen Konsile
erfolgten ohne zusätzlich konventionelle
Konsile vor Ort.
Projektziele: In der Evaluationsphase
stehen die technische Machbarkeit der telepsychiatrischen Untersuchung (Bild, Tonqualität und Datenbandbreite) und die Validitätsprüfung im Vordergrund. Dabei wird
durch Vergleich mit vor Ort im direkten
Kontakt mit den Patienten erhobenen Befunden (konventionell) die Validität der telemedizinisch erhobenen Befunde überprüft. In der Konsiliarphase wurden die klinische Effektivität (Aufwand, Belastung
und Nutzen) für Patienten und Projektpartner bestimmt. Besonderes Interesse kommt
der Akzeptanz der telepsychiatrischen Konsultation bei Patienten und Ärzten zu.
Literatur bei den Verfassern.
Es besteht kein Interessenkonflikt.
Korrespondenzadresse:
Dr. Robert Meyrer
Klinikum am Europakanal
Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik
Am Europakanal 71, 91054 Erlangen
Nervenheilkunde 11a/2008
Downloaded from www.nervenheilkunde-online.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242
For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen