Analysis für¨Okonomen

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Skript zur Vorlesung
Analysis für Ökonomen
André Thrun
Dieses Skript unterliegt dem Urheberrecht. Die Vervielfältigung ist ohne Zustimc André Thrun 2010
mung des Autors untersagt.
Zur Verwendung dieses Skripts
Liebe Studentin, lieber Student,
erfahrungsgemäß können Studierende dem roten Faden einer Vorlesung umso
besser folgen, je weniger Tafelanschrift sie während des Unterrichts in ihre
Aufzeichnungen übernehmen müssen. Andererseits zeigt sich spätenstens in
der Phase der Prüfungsvorbereitung oft der Wunsch nach textlich umfangreicheren Unterlagen. Diesem Wunsch soll dieses Skript Rechnung tragen.
Zusammen mit den wöchentlichen zum Download bereitgestellten Übungsaufgaben stellt das Skript den verbindlichen inhaltlichen und prüfungsrelevanten Rahmen meiner Lehrveranstaltung dar.
Die Achsen-Skalierungen sämtlicher abgebildeter Funktionsgraphen sind jeweils situativ angepasst: in der Regel sind Abszisse und Ordinate nicht gleich
skaliert.
Da dieses Skript von Semester zu Semester überarbeitet wird, freue ich mich
natürlich über jeden Hinweis zu grammatikalischen, sprachlichen oder rechnerischen Ungereimtheiten.
Der Druck des Skriptes wurde aus Studienbeiträgen finanziert.
Bochum im September 2010
André Thrun
i
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen in Kürze
1
2 Funktionen
7
3 Funktionstypen und Charakteristika univariater Funktionen 10
3.1
Konstante Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
3.2
Lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
3.3
Quadratische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
3.4
Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.5
Gebrochen-rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.6
Exponentialfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.7
Weitere Funktionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4 Ökonomische Modelle I
31
4.1
Grundsätzliches zu mathematisch-ökonomischen Modellen
. . 31
4.2
Das lineare Preis-Absatz-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.3
Umsatzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.4
Kostenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.5
Gewinnfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5 Umkehrbarkeit von Funktionen
37
6 Differentialrechnung einer Veränderlichen
40
6.1
Änderungsraten und Sekantenfunktionen . . . . . . . . . . . . 40
6.2
Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
6.3
Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.4
Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
6.5
Lokale Extrema, Krümmung und Kurvendiskussion . . . . . . 50
6.6
Differentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
6.7
Das Newton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
ii
7 Ökonomische Modelle II: Anwendungen der Differentialrechnung
61
7.1
Zur Grenz-Terminologie in den Wirtschaftswissenschaften . . . 61
7.2
Gewinnmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
7.3
Das erste Gossensche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
7.4
Konsum und Sparen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
7.5
Elastizitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
8 Grundzüge der Integralrechnung
68
8.1
Stammfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
8.2
Flächeninhalte und bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . 70
8.3
Partielle Integration
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
9 Ökonomische Modelle III: Konsumentenrente und Produzentenrente
79
10 Crashkurs Multivariate Differentialrechnung
81
10.1 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
iii
1
Grundlagen in Kürze
Zahlenmengen.
N = {0, 1, 2, 3, . . . , } Menge der natürlichen Zahlen
Z = {0, −1, +1, −2, +2, −3, +3, . . . , } Menge der ganzen Zahlen
Q = ab : a ∈ Z, b ∈ Z und b 6= 0 Menge der rationalen Zahlen
Für diese Zahlenmengen gilt die Teilmengeninklusion N ⊂ Z ⊂ Q, das bedeutet: jede natürliche Zahl ist auch eine ganze
√Zahl, jede
√ ganze Zahl ist auch
eine rationale Zahl. Zahlen wie beispielsweise 2 , π , 3 nennt man irrational, weil sie eben nicht wie die rationalen Zahlen als ein Bruch geschrieben
werden können. Die Vereinigungsmenge der rationalen mit den irrationalen
Zahlen heißt die Menge der reellen Zahlen
R = {x : x ist eine rationale oder eine irrationale Zahl} .
Intervalle.
[a, b] = {x ∈ R : a ≤ x ≤ b}
heißt ein abgeschlossenes Intervall,
(a, b) = {x ∈ R : a < x < b}
heißt ein offenes Intervall,
[a, b) = {x ∈ R : a ≤ x < b}
heißt ein rechts-offenes oder (links-abgeschlossenes) Intervall,
(a, b] = {x ∈ R : a < x ≤ b}
heißt ein links-offenes oder (rechts-abgeschlossenes) Intervall.
Der (Absolut-)Betrag einer Zahl. Für eine beliebige Zahl x ∈ R heißt
x, falls x ≥ 0 ist ,
|x| =
−x, falls x < 0 ist
1
der Betrag (oder der Absolutbetrag) von x. Mit |x| misst man auf der
Zahlengeraden den Abstand einer Zahl zum Nullpunkt. Es ist
|x| = | − x|,
der Betrag ignoriert also ggf. das negative Vorzeichen von x.
Potenzrechenregeln und binomische Formeln. Ein Term der Form
an = |a · a{z
. . . · a}
n mal
heißt eine Potenz, a heißt die Basis, n heißt der Exponent. Potenzen mit
gleicher Basis werden multipliziert (bzw. dividiert), in dem man die Exponenten addiert (bzw. subtrahiert):
an · am = an+m
an
= an−m .
m
a
Außerdem gilt:
a−n =
1
an
und
(an )m = an·m .
Quadratische Ausdrücke für Summenterme (a + b) vereinfacht man mit Hilfe
der binomischen Formeln
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2
(a − b)2 = a2 − 2ab + b2
(a + b)(a − b) = a2 − b2 .
Quadratische und biquadratische Gleichungen. Jede quadratische Gleichung kann auf die Form (Normalform)
x2 + px + q = 0
gebracht werden, wobei p und q geeignete reelle Zahlen sind.
2
Eine solche Gleichung besitzt (Schulmathematik: pq-Formel) entweder
(a) keine Lösung, falls die sogenannte Diskrimminante
p2
D=
−q <0
4
ist,
(b) eine Lösung, nämlich
p
x=− ,
2
falls D = 0 ist,
(c) zwei Lösungen, nämlich
r
p
p2
x1 = − −
−q
2
4
falls D > 0 ist.
p
und x2 = − +
2
r
p2
− q,
4
Im Fall (b) gilt für die beiden Lösungen x1 und x2 der Satz von Vieta:
x1 · x2 = q , x1 + x2 = −p,
mit dessen Hilfe sich quadratische Gleichungen oft durch etwas Kopfrechnen
lösen lassen.
Beispiele:
• In der Gleichung
x2 − 7x + 12 = 0
sind p = −7 und q = 12. Gemäß des Satzes von Vieta sind also zwei
Zahlen x1 , x2 gesucht, deren Produkt 12 und deren Summe 7 ergeben.
Offensichtlich erfüllen x1 = 3 und x2 = 4 diese Bedingungen.
• Die quadratische Gleichung
2x2 + 50 = 20x
hat die Normalform x2 − 10x + 25 = 0, es sind hier also p = −10 und
q = 25. Mit der pq-Formel erhalten wir
r
100 100
−
x1,2 = 5 ∓
4
4
= 5,
die Gleichung besitzt also nur eine Lösung (Diskrimminante D = 0).
3
Eine Vielzahl von Gleichungen höheren Grades kann auf quadratische Gleichungen zurückgeführt werden. Wir betrachten hier biquadratische Gleichungen, die in der Normalform die Gestalt
x4 + px2 + q = 0
haben. Um nun wieder die pq-Formel ins Spiel bringen zu können, ersetzt1
man x2 durch eine neue Variable t. Dies hat zur Folge, dass man für x4 dann
x2 · x 2 = t · t
= t2
schreiben kann. Die Gleichung in der neuen Variablen lautet dann
t2 + pt + q = 0
und hat bei positiver Diskrimminante die Lösungen
r
p
p2
t1,2 = − ∓
− q.
2
4
Dies sind aber Lösungen für t und noch nicht für x! Die Variablensubstitution
muss nun noch via
p
x1,2,3,4 = ∓ t1,2
rückgängig gemacht werden, was natürlich nur für nicht-negative t-Lösungen
möglich ist.
Beispiele:
• Gesucht sind Lösungen der biquadratischen Gleichung
x4 − 29x2 + 100 = 0.
Mit der Substitution t = x2 erhält man
t2 − 29t + 100 = 0
und die pq-Formel liefert t1 = 4, t2 = 25. Da beide t-Lösungen größer
Null sind, hat die ursprüngliche Gleichung also die vier Lösungen
√
√
√
√
x1 = − 4 = −2, x2 = 4 = 2, x3 = − 25 = −5, x4 = 25 = 5.
1
Für dieses Ersetzen hat sich der aus dem Lateinischen abgeleitete Begriff Substitution eingebürgert.
4
• Die Gleichung
2x4 + 14x2 = 36
formt man um zu
x4 + 7x2 − 18 = 0.
Durch die Substitution t = x2 ergibt sich
t2 + 7t − 18 = 0.
Man erhält
t1,2
r
49
7
+ 18
= − ∓
2
4
r
7
121
= − ∓
2
4
7 11
= − ∓ ,
2
2
also t1 = −9 und t2 = 2. Hier √
liefert t1 = −9
√ keine x-Lösung. Die
einzigen x-Lösungen sind x1 = − 2 und x2 = 2.
Logarithmen. Sind a > 0 und b > 0, so heißt die Lösung x der Gleichung
ax = b
der Logarithmus von b zur Basis a, Schreibweise x = loga b. Am einfachsten merkt man sich diese Definition anhand der Gleichung aloga b = b. Für
Logarithmen von Zahlen p, q > 0 zu einer festen Basis a gelten die folgenden
Rechenregeln2 :
loga (p · q) = loga p + loga q
p
= loga p − loga q
loga
q
loga (pq ) = q loga p
1
logp a =
.
loga p
2
Diese Regeln ergeben sich mit ein paar einfachen Überlegungen direkt aus den Rechenregeln für Potenzen.
5
Weil für eine beliebige Basis a0 = 1 ist, ist loga 1 = 0. Taschenrechner sind
oft nur in der Lage, Logarithmen zur Basis 10 (auf der Tastatur meist mit
log bezeichnet) oder zur Basis e = 2.718... (Tastatur: ln; Abkürzung für
logarithmus naturalis) zu berechnen. Wir können mit Hilfe der dritten der
oben aufgeführten Rechenregeln aber eine Formel herleiten, die es erlaubt,
Logarithmen zu beliebigen Basen mit dem Taschenrechner zu ermitteln. Dazu
bilden wir auf beiden Seiten der Gleichung
aloga b = b
den natürlichen Logarithmus (ln) und erhalten so
ln aloga b = ln b.
Mit der dritten Rechenregel können wir die linke Seite dieser Gleichung
schreiben als
ln aloga b = loga b · ln a.
Aus den beiden letzten Gleichungen erhalten wir
loga b =
ln b
,
ln a
also eine Gleichung, bei der auf der linken Seite eine beliebige Basis vorkommt
und auf der rechten Seite nur Logarithmen vorkommen, die per Taschenrechner zu erhalten sind.
Beispiele:
• Gesucht ist die Lösung der Gleichung 5x = 7. Aus der Definition des Logarithmus wissen wir, dass x = log5 7 ist. Per Taschenrechner erhalten
wir
ln 7
ln 5
≈ 1.209.
log5 7 =
• Zu lösen ist die Gleichung 21x = 4·7x . Mittels Division durch 7x erhalten
wir die äquivalente Gleichung 3x = 4. Also ist
x = log3 4
ln 4
=
ln 3
≈ 1.262.
6
Anwendungsbeispiel für Logarithmen:
Der zeitliche Verlauf des Zerfalls von Atomkernen wird in der Physik durch
die Formel
N = N0 · e−λt
beschrieben. Dabei bezeichnen N die zum Zeitpunkt t vorhandenen Atomkerne, N0 die Anzahl der Atomkerne zu Beginn des Zerfallsprozesses und λ
eine sogenannte Zerfallskonstante (die vom jeweils betrachteten radioaktiven
Material abhängt). Die Halbwertszeit tH bei einem Zerfallsprozess gibt nun
an, wie lange es dauert, bis die Anzahl der vorhandenen Atomkerne um die
Hälfte gesunken ist, das heisst, zum Zeitpunkt tH gilt
1
N
= .
N0
2
Wir haben also die Gleichung
1
= e−λtH
2
nach tH aufzulösen. Diese ist gleichbedeutend mit
2 = eλtH
und nach Logarithmierung erhalten wir
tH =
2
ln 2
.
λ
Funktionen
Zu zwei Mengen D und W heißt eine Vorschrift f , die jedem x ∈ D genau
ein y ∈ W zuordnet, eine Funktion. Die Menge D heißt der Definitionsbereich, die Menge W heißt Wertebereich. Wird x ∈ D vermöge f auf
y ∈ W zugeordnet, so schreibt man dafür
y = f (x) oder x 7→ f (x).
Für die Angabe von D, W und f schreibt man
f
D −→ W
oder f : D → W.
7
Sind D und W Teilmengen von R, so nennen wir f eine reelle Funktion.
Formal sind eigentlich zunächst die Mengen D und W anzugeben und dann
die Funktionsvorschrift f . In der Schulmathematik und auch in Teilen der
angewandten Analysis hat es sich aber eingebürgert, zunächst die Funktionsvorschrift f anzugeben und dann zu überlegen, für welche reellen Zahlen
der Funktionsterm überhaupt definiert ist. Auch kann eine Fragestellung aus
den physikalischen oder ökonomischen Anwendungen dazu führen, dass ein
speziell eingeschränkter Definitionsbereich betrachtet wird.
Beispiele.
• Betrachte die Funktion f : Df → R mit f (x) = 2x. Der Term 2x ist
für jede reelle Zahl ist definiert, also ist hier Df = R.
• Durch
1
f (x) = √
x
ist eine Vorschrift erklärt, bei der der Nenner nicht null werden darf
und bei der aus negativem x keine Wurzel gezogen werden kann, es
dürfen für x also nur Zahlen eingesetzt werden, die echt größer sind als
null. Dafür schreibt man
Df = R>0 = {x ∈ R : x > 0}.
Funktionen treten überall dort auf, wo Abhängigkeiten einer Größe von einer
anderen quantitativ beschrieben werden können. Funktionen müssen nicht f
heißen, die unabhängigen Variablen müssen nicht x heißen.
Beispiele:
• In der Physik (und nicht nur dort) bezeichnet man üblicherweise mit
t die Zeit als Funktionsvariable. Um nun z.B. auszudrücken, dass eine
bereits zurückgelegte Wegstrecke s und die aktuelle Geschwindigkeit v
eines Fahrzeugs von der Fahrzeit abhängen, schreibt man
s(t) bzw. v(t).
Im Anwendungsbeispiel für Logarithmen im vorherigen Kapitel können
wir bei gegebenem N0 und λ N als Funktion von t auffassen:
N (t) = N0 · e−λt .
In zeitabhängigen Prozessen ist es üblich, eine bestimmte Zeit, meist
t = 0, als Beginn des Prozesses zu betrachten. So ist beispielsweise für
die Funktion N der sinnvolle Definitionsbereich DN = R≥0 , obwohl der
Term N0 · e−λt für jede reelle Zahl t definiert ist.
8
• In der Volkswirtschaftslehre wird Einkommen mit Y bezeichnet, wobei
man es in der Makroökonomie als das Volkseinkommen und in der Mikroökonomie als das Einkommen eines einzelnen Haushaltes auffasst.
Unter der Annahme, dass der Konsum C ausschließlich vom Einkommen abhängt, betrachtet man Konsumfunktionen
C = C(Y ).
Oft ist die Annahme, dass eine Größe nur von einer einzigen anderen Größe
abhängt, nicht realistisch. Eine Zuordnungsvorschrift die mehreren variablen reellen Zahlen x1 , x2 , . . . xn in eindeutigerweise eine reelle Zahl zuordnet,
heisst eine multivariate Funktion (im Fall von zwei Variablen spricht man
von bivariaten, im Fall von drei Variablen von trivariaten Funktionen).
Man schreibt dann
y = f (x1 , x2 , . . . , xn ).
Formal hat eine multivariate Funktion den Definitionsbereich Rn (bzw. eine
Teilmenge von Rn ) und den Wertebereich R.
Beispiele:
• Bezeichnen x1 die Länge der Grundseite eines Rechtecks und x2 seine
Höhe, dann gibt die Funktion
A = f (x1 , x2 ) = x1 · x2
den Flächenhinhalt A des Rechtecks an.
• Bezeichnen U den Umsatz eines Unternehmens und K seine Produktionskosten, so errechnet man den Gewinn G durch Auswertung der
bivariaten Funktion
G(U, K) = U − K.
Wir werden uns im Rahmen der Lehrveranstaltung erst im letzten Teil mit
multivariaten Funktionen befassen.
9
3
Funktionstypen und Charakteristika univariater Funktionen
Der Graph einer univariaten Funktion ist die Veranschaulichung der Menge
Gf = {(x, f (x)) : x ∈ Df }.
in der x, y-Ebene (im schulüblichen Koordinatensystem). Eine Zahl x∗ ∈ Df
heißt Nullstelle der Funktion f , wenn
f (x∗ ) = 0
ist. Eine Funktion heißt auf dem Intervall [a, b]
• monoton steigend, wenn
f (x1 ) ≤ f (x2 )
• streng monoton steigend, wenn
f (x1 ) < f (x2 )
• monoton fallend, wenn
f (x1 ) ≥ f (x2 )
• streng monoton fallend, wenn
f (x1 ) > f (x2 )
für alle Zahlen x1 , x2 aus [a, b] mit x1 < x2 gilt.
Gelten die jeweiligen Bedingungen für alle Zahlen x1 , x2 aus Df , so lässt
man den Zusatz ”auf dem Intervall” weg. Ist eine Funktion streng monoton
steigend (fallend), so ist sie natürlich auch monoton steigend (fallend). (Gilt
die Umkehrung?)
Strenge Monotonie begegnet uns in allen Bereichen, wo wir es mit Aussagen
der Form
Je mehr . . . , desto mehr [weniger] . . .
zu tun haben. In der Umgangssprache und in den Medien wird leider zur
Beschreibung (streng) monotoner Zusammenhänge oft der Begriff stetig /
Stetigkeit verwendet; in der Mathematik meint Stetigkeit etwas ganz anderes!
Man sollte sich also an die Monotonie-Begriffe gewöhnen.
10
3.1
Konstante Funktionen
Ist c irgendeine fest gewählte reelle Zahl, dann bezeichnet man
f (x) = c
als eine konstante Funktion. Für c 6= 0 ist der Graph Gf eine Parallele zur
x-Achse und f besitzt keine Nullstellen. Für c = 0 fallen Gf und die x-Achse
zusammen und jedes x ∈ R ist eine Nullstelle. Konstante Funktionen können
sowohl als monoton steigend als auch als monoton fallend aufgefasst werden.
3.2
Lineare Funktionen
Funktionen der Form
f (x) = mx + b
wobei m und b feste reelle Zahlen sind, heißen linear. Für m = 0 erhält man
die oben behandelten konstanten Funktionen, wir wollen also im Folgenden
von m 6= 0 ausgehen.
Beispiele:
• Die Funktion f (x) = 3x − 5 ist linear; hier sind m = 3, b = −5. Offensichtlich ist Df = R. Um die Funktion auf Nullstellen zu untersuchen,
müssen wir die Gleichung f (x) = 0 nach x auflösen:
5
3x − 5 = 0 ⇔ x = ,
3
also ist x∗ = 53 eine Nullstelle von f . Da diese Gleichung keine weiteren
Lösungen besitzt, hat f auch keine weiteren Nullstellen. Um f auf
Monotonie zu untersuchen, nehmen wir an, für zwei beliebige Zahlen
x1 , x2 ∈ R gelte x1 < x2 . Dann folgt zunächst, dass auch
3x1 < 3x2
ist. Wenn wir auf beiden Seiten dieser Ungleichung noch 5 subtrahieren,
erhalten wir
3x1 − 5 < 3x2 − 5,
womit wir nachgewiesen haben, dass f streng monoton steigend ist.
11
Der Graph von f hat die Gestalt
• Die Funktion g(x) = 2 − 34 x ist linear (m = − 34 , b = 2). Ihre Nullstelle
liegt bei x∗ = 38 und g ist streng monoton fallend.
Die Graphen linearer Funktionen sind Geraden. Da eine Gerade eindeutig
festgelegt ist durch zwei Punkte, die auf ihr liegen, zeichnet man einfach zwei
Punkte (x1 , f (x1 )) und (x2 , f (x2 )) ins Koordinatensystem ein und skizziert
die durch sie verlaufende Gerade.
Wir wollen die Überlegungen aus den Beispielen für eine allgemeine lineare
Funktion f (x) = mx + b, m 6= 0 führen. Solch eine Funktion besitzt stets
genau eine Nullstelle x∗ = − mb ; dies folgt aus Umstellen der Gleichung
mx + b = 0.
Zur Monotonie. Sind x1 , x2 ∈ R mit x1 < x2 , so ist mx1 < mx2 , falls m > 0
ist und mx1 > mx2 , falls m < 0. Addieren wir in diesen Ungleichungen b, so
folgt insgesamt: Die lineare Funktion
f (x) = mx + b ist
streng monoton steigend, falls m > 0 ist
.
streng monoton fallend, falls m < 0 ist
12
Welche Bedeutung kommt den Größen b und m zu? Für eine beliebige lineare
Funktion ist
f (0) = m · 0 + b
= b,
das bedeutet geometrisch, dass der Graph Gf die y-Achse bei y = b schneidet.
Man bezeichnet daher b als den y-Achsenabschnitt der Funktion (bzw.
ihres Graphen). Wir betrachten nun eine lineare Funktion auf dem Intervall
[x1 , x2 ] und bezeichnen mit ∆x = x2 − x1 die Länge des Intervalls. Mit
∆f = f (x2 )−f (x1 ) bezeichnen wir die absolute Änderung der Funktionswerte
zu den Stellen x1 und x2 . Es ist
∆f = f (x2 ) − f (x1 )
= (mx2 + b) − (mx1 + b)
= m(x2 − x1 ).
Die relative Änderung der Funktionswerte ist dann
∆f
m(x2 − x1 )
=
=m
∆x
x2 − x1
und hängt insbesondere nicht vom Intervall [x1 , x2 ] ab. Da sie betragsmäı̈g
umso größer ausfällt, je größer |m| ist, nennt man m das Steigungsmaß der
Funktion.
Abschließend überlegen wir uns –zunächst an einem Beispiel – wie man durch
Kenntnis zweier auf dem Graphen liegender Punkte die Funktionsgleichung
f (x) einer linearen Funktion ermitteln kann.
Beispiel: Von einer linearen Funktion sei bekannt, dass die Punkte (1, 1) und
(2, 3) auf dem Funktionsgraphen liegen. Aus den vorherigen Überlegungen
wissen wir, dass
3−1
=2
m=
2−1
ist. Da (2, 3) auf der Geraden liegt, erhalten wir
3 = |{z}
2 ·2 + b,
=m
also b = −1. Die gesuchte lineare Funktion ist also f (x) = 2x − 1.
13
Wir überlegen uns, wie diese Vorgehensweise zu verallgemeinern ist. Liegen
(x1 , y1 ) und (x2 , y2 ) auf der Geraden einer linearen Funktion so berechnen
wir zuerst das Steigunsmaß m durch
m=
y2 − y1
.
x2 − x 1
Nun wählen wir einen der beiden Punkte (egal welchen), um b zu berechnen:
aus
y1 = mx1 + b
folgt
b = y1 − mx1
y2 − y1
· x1 .
= y1 −
x2 − x1
Die gesuchte Funktion hat also die Gleichung
y2 − y1
y2 − y1
f (x) =
· x + y1 −
· x1
x2 − x1
x2 − x1
y2 − y1
· (x − x1 ) + y1 .
=
x2 − x1
An dieser Stelle sei vor Formel-Einsetz-Exzessen gewarnt! Sehen Sie die obige
allgemeine Herleitung als einen Beleg dafür an, dass die Vorgehensweise aus
dem Beispiel stets zum Ziel führt, aber bemühen Sie sich nicht, die Gleichung
auswendig zu lernen.
3.3
Quadratische Funktionen
Funktionen der Form
f (x) = ax2 + bx + c
mit a, b, c ∈ R nennt man quadratisch. Für a = 0 erhält man die oben
behandelten linearen Funktionen, für a = 0 = b erhält man die konstanten Funktionen. Die Graphen quadratischer Funktionen bezeichnet man als
Parabeln.
Beispiele:
• Für a = 1, b = 0, c = 0 erhält man die Funktion f (x) = x2 . Ihr
Graph ist die sogenannte Normalparabel. Die einzige Nullstelle von
f liegt bei x∗ = 0. Links von 0 ist f streng mononton fallend, rechts
14
von 0 streng monoton steigend. Für a = −1, b = c = 0 erhält man
die Funktion f (x) = −x2 . Ihr Graph ist die an der y-Achse gespiegelte
Normalparabel.
• Auch die Funktion
f (x) = (x − 3)2
ist quadratisch. Der Graph ist eine um drei Einheiten nach rechts verschobene Normalparabel. Um a, b und c zu bestimmen, multiplizieren
wir den Funktionsterm aus und erhalten
(x − 3)2 = x2 − 6x + 9,
es ist also a = 1, b = −6 und c = 9. Die Nullstelle der Parabel liegt bei
x∗ = 3. Mit a = 1, b = −6 und c = 10 ist
f (x) = x2 − 6x + 10
= (x − 3)2 + 1.
Die Konstante +1 sorgt dafür, dass im Vergleich zur vorher betrachteten Funktion der Graph um eine Einheit im Koordinatensystem nach
oben verschoben ist. Somit kann diese Funktion keine Nullstellen haben.
Das folgende Bild zeigt die Graphen der Parabeln x2 bzw. (x − 3)2 + 1.
15
Den Punkt, an dem eine quadratische Funktion ihr Monotonieverhalten ändert,
nennt man Scheitelpunkt und kürzt ihn üblicherweise mit S ab. In den obigen Beispielen sind die Scheitelpunkte
• S = (0, 0) bei f (x) = x2 (Wechsel von streng monoton fallend zu streng
monoton steigend)
• S = (0, 0) bei f (x) = −x2 (Wechsel von streng monoton steigend zu
streng monoton fallend)
• S = (3, 0) bei f (x) = (x − 3)2 (Wechsel von streng monoton. fallend zu
streng monoton steigend)
• S = (3, 1) bei f (x) = (x − 3)2 + 1.
Das letzte Beispiel lässt folgende Gesetzmäßigkeiten erahnen:
1. Ist Gf der Graph der Funktion f , so erhält man der Graphen der Funktion g mit
g(x) = f (x − α)
in dem man Gf um |α| Einheiten
• nach rechts verschiebt, falls α > 0 ist,
• nach links verschiebt, falls α < 0 ist.
2. Ist
g(x) = f (x) + C,
so erhält man Gg , in dem man Gf um |C| Einheiten
• nach oben verschiebt, falls C > 0 ist,
• nach unten verschiebt, falls C < 0 ist.
3. Der Graph Gg von
g(x) = f (x − α) + C
ist entsprechend der vorgenannten Punkte sowohl nach rechts (bzw.
links) als auch nach oben (bzw. nach unten) verschoben im Vergleich
zum Graphen Gf .
16
Zu einer quadratischen Funktion f (x) = ax2 + bx + c heisst die Darstellung
f (x) = a · (x − α)2 + C
die dazugehörige Scheitelpunktsform – eben weil man an ihr den Parabelscheitel
S = (α, C)
sofort ablesen kann. Bei gegebener Scheitelpunktsform erhält man die a, b, cDarstellung einfach durch Zusammenfassung der Terme, die sich nach Ausmultiplikation des Binoms (x − α)2 ergeben. Um aus der a, b, c-Darstellung
die Scheitelpunktsform zu erhalten, benutzt man einen Trick, der zunächst
an zwei Beispielen erläutert sei.
Beispiele:
• Gesucht ist die Scheitelpunktsform der quadratischen Funktion
f (x) = x2 − 8x + 10.
Wäre der Funktionsterm x2 − 8x + 16, so wäre der Term der Scheitelpunktsform einfach (x − 4)2 . Addieren wir im Funktionsterm 16
und subtrahieren sofort wieder 16, so bleibt der Term algebraisch unverändert, aber wir haben das Binom (x − 4)2 in der Darstellung von
f:
f (x) = x2 − 8x + 10
= x2 − 8x + 16 − 16 + 10
= (x − 4)2 − 6.
Der Scheitel von f liegt also bei S = (4, −6).
• Gesucht ist die Scheitelpunktsform zu f (x) = −3x2 −21x+9. Um obigen
Binom-Bastel-Trick anwenden zu können, klammern wir zunächst −3
aus, gehen dann aber genauso wie im vorherigen Beispiel vor:
f (x) = −3 x2 + 7x − 3
72
7 72
2
= −3 x + 2 · + 2 − 2 − 3
2 2
2
!
2
7
61
= −3 x +
−
2
4
2
7
183
+
.
= −3 x +
2
4
17
Der Scheitelpunkt der Parabel ist also
7 183
S= − ,
.
2 4
Betrachten wir nun den allgemeinen Fall einer quadratischen Funktion. Es
ist
f (x) = ax2 + bx + c
b
c
2
= a x +2· x+
2a
a
b
b2
c
b2
2
= a x +2· x+ 2 − 2 +
2a
4a
4a
a
!
2
4ac
b
b2
= a x2 +
− 2+ 2
2a
4a
4a
!
2
2
4ac
−
b
b
= a x2 +
+
2a
4a2
2
b
4ac − b2
= a x+
+
2a
4a
2
b2
b
+c−
= a x+
.
2a
|{z}
| {z4a}
=−α
=C
Fazit dieser Rechnung: Die Scheitelpunktsform einer allgemeinen quadratischen Funktion lautet
2
b
b2
+c− ,
f (x) = a x +
2a
4a
der Scheitel liegt also bei
S=
b
b2
− , c−
2a
4a
.
Falls a > 0 ist, ist die Parabel nach oben geöffnet, falls a < 0 ist, ist sie
nach unten geöffnet. Die Nullstellen einer quadratischen Funktion lassen sich
18
ebenfalls recht einfach mit dieser Darstellung ermitteln. Es ist f (x∗ ) = 0,
wenn
2
b2
b
c
∗
= 2−
x +
2a
4a
a
ist. Somit sind
x∗1
b
=− −
2a
r
c
b2
−
2
4a
a
und
x∗2
b
=− +
2a
r
c
b2
−
2
4a
a
Nullstellen von f – natürlich nur, wenn der Term unter der Wurzel nicht
negativ wird. Ist die quadratische Funktion in der a, b, c-Darstellung gegeben, so kann man die Nullstellen einfach mit der pq-Formel bestimmen. Wir
halten noch fest, dass eine quadratische Funktion mit zwei Nullstellen eine
Linearfaktordarstellung besitzt, das heißt: sind x∗1 und x∗2 Nullstellen von
f (x) = ax2 + bx + c, so kann man den Funktionsterm schreiben als
f (x) = a · (x − x∗1 ) · (x − x∗2 ).
Die Terme (x − x∗1 ) und (x − x∗2 ) bezeichnet man als Linearfaktoren.
Beispiel: Wir bestimmen die Nullstellen der Funktion
f (x) = 3x2 − 6x − 105.
Zu lösen ist also die Gleichung
3x2 − 6x − 105 = 3 · (x2 − 2x − 35)
= 0.
Mit der pq-Formel und p = −2, q = −35 erhalten wir
r
22
∗
x1,2 = 1 ∓
+ 35
4
= 1 ∓ 6,
also x∗1 = −5 und x∗2 = 7. Die Linearfaktordarstellung von f lautet somit
f (x) = 3 · (x + 5) · (x − 7).
19
3.4
Polynome
Eine Funktion der Gestalt3
p(x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . a1 x + a0
heißt ein Polynom oder auch ganz-rationale Funktion. Die Zahlen a0 ,
a1 , . . . , an nennt man die Koeffizienten des Polynoms. Ist an 6= 0, so nennt
man n den Grad des Polynoms.
Beispiele:
• p(x) = 5x4 −3x3 +4x−5 ist ein Polynom vom Grad 4, die Koeffizienten
sind a4 = 5, a3 = 3, a2 = 0, a1 = 4, a0 = −5.
• q(x) = 12x3 − 4x6 + 12 x − 3x2 ist ein Polynom sechstens Grades. Es sind
a6 = −4, a5 = 0, a4 = 0, a3 = 12, a2 = −3, a1 = 12 und a0 = 0.
Die bisher betrachteten konstanten, linearen und quadratischen Funktionen
können alle als Polynome aufgefasst werden: konstante Funktionen sind Polynome vom Grad 0, lineare Funktionen sind Polynome vom Grad 1, quadratische Funktionen sind Polynome vom Grad 2. Üblicherweise weisen Polynome
ab dem Grad 3 kein direkt aus dem Funktionsterm ablesbares Monotonieverhalten auf. Um die Monotoniebereiche eines allgemeinen Polynoms zu bestimmen, werden wir später Methoden der Differentialrechnung verwenden.
Auch über die Nullstellen eines Polynoms vom Grad ≥ 3 lassen sich keine
allgemeinen Formeln mehr angeben, es gilt aber der Fundamentalsatz der
Algebra:
Ein Polynom n-ten Grades besitzt höchstens n Nullstellen.
Wenn ein Polynom p vom Grad n n verschiedene Nullstellen x∗1 , x∗2 , . . . , x∗n
besitzt, so lässt es sich in einer Linearfaktordarstellung
p(x) = an (x − x∗1 )(x − x∗2 ) . . . (x − x∗n )
aufschreiben. Ist n > 2, lassen sich die Nullstellen eines Polynoms p im
Allgemeinen nicht mehr so einfach ermitteln, wie im Fall n ≤ 2. Aus der
3
Wenn Sie schon mit dem Summenzeichen vertraut sind, können Sie auch
p(x) =
n
X
k=0
schreiben.
20
ak xk
Schulzeit bekannt und in der Regel unbeliebt ist die Polynomdivision, bei der
durch schriftliches Teilen des Polynoms durch einen erratenen Linearfakor ein
Restfaktor von Grad < n ermittelt wird. An dieser Stelle stellen wir anhand
eines Beispiels das Horner-Schema vor, das zum selben Ergebnis führt, wie
die Polynomdivision, aber gerade von Studierenden meist als verständlicher
empfunden wird.
Beispiel: Gesucht sind die (bis zu drei) Nullstellen des Polynoms
p(x) = x3 − 2x2 − x + 2.
Wie bei der Polynomdivision muss auch hier zunächst eine Nullstelle erraten
werden – wobei diese mit x = 1 geradezu ins Auge springt. Man notiert sich
nun die vier Koeffizienten in eine Kopfzeile, die erratene Nullstelle x = 1 in
eine Spalte daneben und rechnet gemäß des folgendes Schemas:
−2
−1
+
+
1 · 1 −1 · 1
1 % −1 % −2 %
1
↓
x=1
2
+
−2 · 1
0
Die Null unten rechts ist gerade p(1). Die Zahlen 1, −1 und −2 geben gerade
die Koeffizienten des quadratischen Restfaktors an. Dieser lautet
1 · x2 + (−1) · x + (−2) · x0 = x2 − x − 2.
Die Nullstellen des Restfaktors lassen sich schnell via pq-Formel ermitteln.
Insgesamt besitzt das Polynom p drei Nullstellen, nämlich
x1 = 1, x2 = 2 und x3 = −1.
Die Linearfaktordarstellung von p ist dann
p(x) = (x − 1) · (x − 2) · (x + 1).
21
3.5
Gebrochen-rationale Funktionen
Sind p und q Polynome, so bezeichnen wir eine Funktion der Form
f (x) =
p(x)
q(x)
als gebrochen-rational.
Beispiele:
• Die einfachste gebrochen-rationale Funktion ist
f (x) =
1
.
x
Das Zählerpolynom ist die konstante Funktion p(x) = 1, das Nennerpolynom ist die lineare Funktion q(x) = x.
• Die Funktion
g(x) =
4x7 − 5x3 + 2x
3x2 + 7
ist gebrochen-rational.
Der Definitionsbereich einer gebrochen-rationalen Funktion umfasst alle reellen Zahlen, außer die Nullstellen der Nennerpolynoms q, die Nullstellen
sind die Nullstellen der Zählerfunktion p. Tritt ein x∗ sowohl als Nullstelle
von p als auch von q auf und besitzen sowohl Zähler– als auch Nennerpolynom eine vollständige Linearfaktorzerlegung, so kann man den Linearfaktor
(x − x∗ ) herauskürzen. Damit die gekürzte Darstellung aber auch tatsächlich
der Ausgangsfunktion entspricht, ist darauf zu achten, den Definitionsbereich
explizit anzugeben. Man sagt dann, dass f bei x∗ eine hebbare Lücke habe. Nullstellen des Nenners, die keine hebbare Lücken darstellen, nennt man
Pole.
Beispiele:
• Betrachten wir die Funktion
f (x) =
22
x
.
x
Hier tritt 0 als Nullstelle sowohl im Zähler als auch im Nenner auf.
Somit ist x = 0 eine hebbare Lücke und mit Df = R6=0 können wir f
dann schreiben als
f (x) = 1.
Die Erwähnung des Definitionsbereichs darf hier nicht außen vorgelassen werden: der gekürzten Darstellung f (x) = 1 sieht man nicht an,
woraus sie entstanden ist – eigentlich dürfte hier ohne Probleme x = 0
eingesetzt werden.
• Die Funktion
f (x) =
x3 − 2x2 − 3x
x2 − 8x + 15
ist auf ihren Definitionsbereich und ihre Nullstellen hin zu untersuchen.
Für welche Zahlen x∗N das Nennerpolynom q(x) = x2 − 8x + 15 Null
wird, ermitteln wir einfach via pq-Formel:
x∗N ;1,2
r
8
64 60
=
∓
−
2
4
4
= 4 ∓ 1,
also sind x∗N ;1 = 3 und x∗N ;2 = 5. Damit ist Df = R\{3, 5} und q besitzt
die Linearfaktordarstellung
q(x) = (x − 3) · (x − 5).
Zur Bestimmung der Nullstellen x∗Z des Zählerpolynoms p(x) = x3 −
2x2 − 3x schreiben wir dieses als
p(x) = x · (x2 − 2x − 3),
woran wir erkennen, dass x∗Z;1 = 0 ist eine Nullstelle. Zur Bestimmung
der anderen Nullstellen lösen wir die quadratische Gleichung
x2 − 2x − 3 = 0.
Die pq-Formel liefert
r
x∗Z;2,3 = 1 ∓
= 1 ∓ 2,
23
4 12
+
4
4
also x∗Z;2 = −1 und x∗Z;3 = 3 Die Linearfaktordarstellung von p ist
p(x) = x · (x − 3) · (x + 1).
Unter Angabe des Definitionsbereichs Df = R\{3, 5} ist also
x · (x − 3) · (x + 1)
(x − 3) · (x − 5)
2
x +x
.
=
x−5
f (x) =
Die Funktion hat an der Stelle x = 3 eine hebbare Lücke.
3.6
Exponentialfunktionen
Einen Entwicklungsprozess, bei dem sich ein Bestand (z.B. ein Kapital oder
die Größe einer Bakterienkultur) innerhalb einer Periode [t, t + 1] um das
a-fache verändert, bezeichnet man als exponentiell. Für a > 1 spricht man
von exponentiellem Wachstum, für 0 < a < 1 von exponentiellem
Zerfall. Bezeichnet man mit y0 den Bestand zum Zeitpunkt t0 = 0, und mit
yn , yn+1 die Bestände zu späteren Zeipunkten tn bzw. tn+1 = tn + 1, so wird
ein exponentieller Prozess durch die Rekursionsgleichung
yn+1 = a · yn
beschrieben. Wegen
y1 = a · y0 ,
y2 = a · y1 = a2 y0 ,
y3 = a · y2 = a3 · y0
usw.
ist also
y n = y 0 · an .
Eine allgemeine Exponentialfunktion hat die Form
f (t) = c0 · at ,
der Definitionsbereich ist formal Df = R, wobei aber aus Modellierungsgründen man oft von Df = R≥0 ausgeht.
24
Zusammen mit den Potenzrechenregeln folgt, dass Exponentialfunktionen die
Funktionalgleichung
f (t + 1) = a · f (t)
erfüllen. Exponentialfunktionen haben keine Nullstellen. Wegen
f (0) = c0 · a0 = c0
enthält der Graph einer Exponentialfunktion stets den Punkt (0, c0 ). Wir
untersuchen formal das Monotonieverhalten einer Exponentialfunktion: Dazu
seien t1 , t2 ∈ R mit t1 < t2 , außerdem sei ∆t = t2 − t1 . Dann ist
f (t2 ) = c0 · at2
= c0 · at1 +∆t
= c0 · at1 · a∆t
| {z }
=f (t1 )
Wir haben nun vier Fälle zu unterscheiden:
1. Fall: c0 > 0 und a > 1. Dann sind a∆t > 1 und c0 at1 > 0, woraus
f (t2 ) > f (t1 )
folgt – f ist also streng monoton steigend.
2. Fall: c0 > 0 und 0 < a < 1. Nun ist a∆t < 1 und damit
f (t2 ) < f (t1 ),
also ist f streng monoton fallend.
Falls c0 < 0 ist, erhält man den Graphen der Funktion durch Spiegelung des
Graphen von |c0 | · at an der y-Achse. Diese Spiegelung bewirkt eine Umkehrung des Monotonieverhaltens.
3. Fall: c0 < 0 und a > 1. Die Exponentialfunktion f (t) = c0 at ist streng
monoton fallend.
4. Fall: c0 < 0 und 0 < a < 1. Die Exponentialfunktion steigt streng
monoton.
25
Beispiele:
• Die Exponentialfunktion f (t) = 5 · 3t ist wegen 5 > 0 und 3 > 1 streng
monoton steigend.
•
1
f (t) = ·
2
t
1
3
ist streng monoton fallend ( 12 > 0, 0 <
1
3
< 1).
• Die Funktion
f (t) = 4−t
t
ist wegen 4−t = 14 ebenfalls als Exponentialfunktion klassifizierbar
und wegen c0 = 1 > 0 und 0 < a = 41 < 1 streng mononton fallend.
Die folgenden Bilder zeigen die zu obigen Funktionen gehörenden Graphen.
26
Bei linearen Funktionen hatten wir gesehen, dass die Kenntnis zweier auf
dem Funktionsgraphen liegender Punkte ausreicht, um die Funktionsvorschrift herleiten zu können. Dies ist auch bei Exponentialfunktionen der Fall.
Beispiel: Von einer Exponentialfunktion f (t) = c0 · at wisse man: f (2) = 50
und f (4) = 1250, also
50 = c0 · a2
1250 = c0 · a4 .
Division der zweiten Gleichung durch die erste liefert a2 = 25. Weil a = −5
nach Voraussetzung nicht als Lösung in Frage kommt, ist a = 5. Löst man
nun noch
50 = c0 · 52
nach c0 auf, so erhält man die Funktionsgleichung
f (t) = 2 · 5t .
Allgemein gilt: Liegen die Punkte (t1 , y1 ) und (t2 , y2 ) auf dem Graphen einer
Exponentialfunktion
f (t) = c0 · at ,
und ist y1 6= 0, so sind4
a=
y2
y1
1
2 −t1
t
und c0 = y1
y2
y1
t t−t
1
1
2
.
Abschließend leiten wir noch eine andere Darstellung für Exponentialfunktionen her, die später in der Differentialrechnung von Nutzen sein wird. Mit
der Identität a = eln a folgt zusammen aus den Rechenregeln für Logarithmen
t
at = eln a
= et·ln a .
Setzen wir λ = ln a, so können wir eine allgemeine Exponentialfunktion in
der Darstellung
f (t) = c0 · eλt
4
Man kann diese Formeln aus den Gleichungen y1 = c0 at1 und y2 = c0 at2 herleiten.
27
notieren. Die letzte Gleichung bezeichnen wir als die natürliche Darstellung einer Exponentialfunktion und λ = ln a als Intensität.
Beispiel: Die Exponentialfunktion f (t) = 3 · 11T hat die natürliche Darstellung
f (t) = 3 · eln 11·t ,
bzw. f (t) = 3 · eλt , mit λ = ln 11.
Bei der Modellierung des zeitlichen Verlauf eines Zerfalls (0 < a < 1) hat
−t
man sich angewöhnt, unter Verwendung der Identität at = (a−1 )
y(t) = y0 · e−λt
mit λ = ln(a−1 ) als natürliche Darstellung zu notieren. In diesem Kontext5
bezeichnet man λ auch als Zerfallskonstante (der Begriff Intensität kann
natürlich auch hier verwandt werden).
3.7
Weitere Funktionstypen
Die Betragsfunktion und die Signumfunktion. Die Funktion
x für x ≥ 0
f (x) = |x| =
−x für x < 0
ist links von 0 streng monoton fallend, bei 0 knickt der Graph und die Funktion steigt streng monoton. Die Vorzeichenfunktion (lies: signum von x) ist
definiert durch

 1 für x > 0
0 für x = 0
sign(x) =

1 für x > 0
Zwischen der Betragsfunktion und der Signumfunktion gilt die Beziehung
|x| = x · sign(x).
Trigonometrische Funktionen. Die Funktionen
sin x
cos x
spielen eine wichtige Rolle bei der Modellierung periodischer Prozesse und
damit insbesondere bei der Untersuchung von Zeitreihen in der Statistik.
f (x) = sin x, g(x) = cos x, h(x) = tan x =
5
vergl. Beispiel zu Halbwertszeiten in Kapitel 1
28
Wurzelfunktionen und Logarithmenfunktionen . . .
im Abschnitt über Umkehrfunktionen betrachten.
werden wir erst
Zusammengesetzte Funktionen und Verkettung von Funktionen.
Alle bislang behandelten Funktionstypen lassen sich natürlich additiv und
multiplikativ zusammensetzen; sind f und g reelle Funktionen so sind
(f + g) (x) = f (x) + g(x)
(f · g) (x) = f (x) · g(x).
Der Definitionsbereich ist dann jeweils die Schnittmenge Df ∩Dg der Definitionsbereiche von f und g. Betrachtet man den Quotienten zweier Funktionen
f (x)
f
(x) =
,
h(x) =
g
g(x)
so müssen bei der Festlegung des Definitionsbereichs von h noch die Nullstellen von g ausgeschlossen werden:
Dh = (Df ∩ Dg ) \ {x : g(x) = 0} .
Beispiel: Der Quotient der Funktionen
f (x) = sin x und g(x) = 2x + 7
ist
sin x
h(x) = √ .
x
Es sind Df = R und Dg = R≥0 , also ist Df ∩ Dg = R≥0 . Die Funktion g ist
für x = 0 durchaus definiert, weil sie aber im Nenner von h auftaucht und
g(0) = 0 ist, muss x = 0 aus dem Definitionsbereich von h ausgeschlossen
werden. Es ist also Dh = R>0 .
Unter der Verkettung zweier Funktionen f und g, versteht man das Nacheinanderausführen von zunächst g und anschließend f . Einer Zahl x ∈ Dg
wird zunächst g(x) zugeordnet und diesem Funktionswert wird ein Funktionswert von f zugeordnet, als Pfeilschaubild:
x 7→ g(x) 7→ f (g(x)) .
Damit der Term f (g(x)) überhaupt erklärt ist, muss g(x) ∈ Df sein. Also
hat die Funktion
h(x) = f (g(x))
29
den Definitionsbereich
Dh = {x ∈ Dg : g(x) ∈ Df } .
Beispiel: Verkettet man die Funktionen g(x) = x − 2 und f (t) =
man
1
f (g(x)) =
.
(x − 2)2
1
,
t2
so erhält
Die jeweiligen Definitionsbereiche sind Dg = R und Df = R6=0 . Für x = 2 ist
g(x) ∈
/ Df . Also ist Dh = R6=2 .
30
4
Ökonomische Modelle I
4.1
Grundsätzliches zu mathematisch-ökonomischen Modellen
Allgemein verstehen wir unter einem Modell eine vereinfachte Abbildung
einer Situation aus der Wirklichkeit. Die Basis eines Modells bilden Grundannahmen, die sogenannten Modellprämissen.
Bei der mathematischen Modellierung ökonomischer Sachverhalte ist es typisch, dass ein Teil der Modellprämissen realitätsnah und sachlogisch einleuchtend ist. Ein anderer Teil der Modellprämissen dient dazu, das Modell für die mathematische Handhabung einfacher zu gestalten. Oft werden
die vereinfachenden Annahmen als Kritikpunkte an einem Modell genannt.
Dabei muss man sich aber stets vor Augen halten, dass ein Modell umso
schwieriger zu handhaben ist, je realitätsnäher es aufgebaut ist. Als gelungener Vergleich wird hier stets die Untauglichkeit einer Landkarte im Maßstab
1:1 genannt.
Die rechnerischen Schlussfolgerungen, die innerhalb eines Modells gezogen,
sind immer korrekt – eben weil sie nur aus den als korrekt angenommenen
Modellprämissen gezogen werden.
In der Ökonomie finden sich auch zahlreiche Modelle, die (zunächst) ohne
einen mathematischen Aspekt auskommen: man denke an die theoretischen
Konstrukte des Homo Oeconomicus oder des Vollkommenen Marktes.
4.2
Das lineare Preis-Absatz-Modell
Wir gehen in diesem Abschnitt von folgenden Modellannahmen aus:
1. Auf der Nachfrageseite herrscht zwischen dem Preis p eines Produktes und der nachgefragten Menge x ein streng monoton fallender und
linearer Zusammenhang:
pN (x) = mN x + bN ,
mN < 0.
2. Für einen monopolistischen Anbieter ist die Abhängigkeit von Preis
und angebotener Menge linear und streng monoton steigend:
pA (x) = mA x + bA ,
31
mA > 0.
Wir nennen pN eine Nachfragefunktion und pA eine Angebotsfunktion.
Allgemein bezeichnet man Funktionen, die eine Abhängigkeit zwischen Preis
und Menge herstellen, als Preis-Absatz-Funktionen. In der Mikroökonomie lernt man, dass die zweite der obigen Annahmen ein Monopol charakterisiert. Den Preis, für den keine Mengeneinheit des Produktes nachgefragt
wird, bezeichnet man als Prohibitivpreis. Wegen
pN (0) = mN · 0 + bN
= bN
ist der Prohibitivpreis der y-Achsenabschnitt der Nachfragefunktion. Die
Nullstelle x = −bN /mN , von pN charakterisiert die sogenannte Sättigungsmenge. Formal sind pN und pA als lineare Funktionen natürlich für alle reellen Zahlen definiert. Aus ökonomischer Sicht ist es aber nur sinnvoll, die
Funktionen auf den Definitionsbereichen
bN
DpN = 0, −
und DpA = R≥0
mN
zu betrachten. Um zu ermitteln, für welche Menge und bei welchem Preis
Angebot und Nachfrage übereinstimmen, setzen wir die Funktionsterme von
pN und pA gleich und lösen nach x auf:
mN x + bN = mA x + bA ⇔ mN x − mA x = bA − bN
bA − bN
.
⇔ x=
mN − mA
Wir bezeichnen xG = (bA − bN )/(mN − mA ) als Gleichgewichtsmenge,
pG = pA (xG )
= pN (xG )
bA − bN
= mN ·
+ bN
mN − mA
mN bA − mA bN
=
mN − mA
als Gleichgewichtspreis und sprechen davon, dass bei (xG , pG ) ein Marktgleichgewicht vorliegt. Wegen der Linearität von pN und pA gibt es keine
weiteren Marktgleichgewichte.
32
Beispiel: Zu berechnen ist das Marktgleichgewicht für die Angebotsfunktion
pA (x) = 2x + 25
und die Nachfragefunktion
1
pN (x) = − x + 100.
2
Der Ansatz pA (x) = pN (x) liefert
1
2x + 25 = − x + 100
2
⇔
5
x = 75,
2
also ist die Gleichgewichtsgewichtsmenge xG = 30, der Gleichgewichtspreis
liegt bei pG = 85 und das Marktgleichgewicht ist
(xG , pG ) = (30, 85).
Der Prohibitivpreis in diesem Beispiel liegt bei 100, die Sättigungsmenge bei
x = 200. Das folgende Bild veranschaulicht die Situation dieses Beispiels,
dabei ist die Nachfragefunktion gestrichelt dargestellt.
33
4.3
Umsatzfunktionen
Mit einer Preis-Absatz-Funktion p erhält man die zugehörige Umsatzfunktion Up einfach durch Multiplikation mit der Mengengröße x:
Up (x) = x · p(x).
Geht man beispielsweise von einer linearen Funktion p(x) = mx + b aus, so
ist der Umsatz gegeben durch die quadratische Funktion
Up (x) = x · (mx + b)
= mx2 + bx.
Beispiel: Zu der Preis-Absatz-Funktion p(x) = − 12 x + 100 gehört die Umsatzfunktionfunktion
1
Up (x) = − x2 + 100x.
2
Da es sich um eine nach unten geöffnete Parabel handelt, charakterisiert ihr
Scheitelpunkt das Umsatzmaximum. Die Scheitelpunktsform von Up ist
1 2
x − 200x
2
1
= − x2 − 2 · 100x + 1002 − 1002
2
1
= − (x − 100)2 − 10000
2
1
= − (x − 100)2 + 5000.
2
Up (x) = −
Also wird der maximale Umsatz von U = 5000 erzielt bei einer Menge x =
100. Unter dem Aspekt der Umsatzmaximierung wird der Anbieter also den
Preis p(100) = 50 wählen.
Durch die Differentialrechnung werden wir elegantere Methoden zur Bestimmung der Maxima von Funktionen kennenlernen.
4.4
Kostenfunktionen
Die Kosten eines Ein-Produkt-Unternehmens zerlegt man in den üblicherweise in
34
• die Fixkosten KFix , die auch bei x = 0 produzierten Mengeneinheiten
anfallen und
• die variablen Kosten Kvar (x), die von x abhängen, wobei Kvar (0) = 0
gilt.
Durch Summierung von fixen und variablen Kosten erhält man die Kostenfunktion
K(x) = KFix + Kvar (x).
Welche Funktionstypen üblicherweise für Kvar gewählt werden, lernt man
ausführlich in der Mikroökonomie oder in den Grundlagenveranstaltungen
zur Betriebswirtschaftslehre.
4.5
Gewinnfunktionen
Sind Up die Umsatzfunktion und K die Kostenfunktion eines Unternehmens,
so bezeichnet
Gp,K (x) = Up (x) − K(x)
= xp(x) − K(x)
die dazugehörige Gewinnfunktion. Aufgrund unserer bisherigen Modellbildung wird der Gewinnverlauf eines Unternehmens vollständig beschrieben
durch die Angabe einer Preis-Absatz-Funktion p und der Kostenfunktion
K. Eine Nullstelle x∗ einer Gewinnfunktion Gp,k bezeichnen wir als BreakEven-Point, wenn x∗ in einem Intervall [a, b] liegt, so dass G auf [a, b] monoton steigend ist. Die Menge
G+
p,K = {x ∈ R≥0 : Gp,K (x) ≥ 0}
nennen wir die Gewinnzone. Je nach Vorgabe von p und K, kann G+
p,K aus
einem Intervall bestehen, aus der Vereinigung mehrerer Intervalle oder sogar
aus unendlich großen Teilmengen von R≥0 . Formal sind auch Kombinationen
von p und K möglich, bei denen es keine Break-Even-Punkte gibt, oder bei
denen Gp,K = R≥0 oder Gp,K = ∅ ist.
Beispiel: Für die aus der Preis-Absatz-Funktion p(x) = − 21 x + 100 resultierende Umsatzfunktion Up (x) = − 12 x2 + 100x und die Kostenfunktion
35
K(x) = 3000 + 0.75x erhalten wir die Gewinnfunktion
1
Gp,K (x) = − x2 + 100x − 0.75x − 3000
2
1
= − x2 + 99.25x − 3000.
2
Anhand der hier nicht hergeleiteten Scheitelpunktsform
1
Gp,K (x) = − (x − 99.25)2 + 1925.28125
2
erkennen wir, dass es sich um eine nach unten geöffnete Parabel handelt,
deren Scheitel S = (99.25 , 1925.28125) oberhalb der x-Achse liegt. Also
ist Gp,K für x < 99.25 streng monoton steigend und für x > 99.25 streng
monoton fallend, x∗1 ≈ 37.2 und x∗2 ≈ 161.3 sind die Nullstellen von Gp,K . Da
Gp,K für jedes a < 99.25 auf dem Intervall [a, 99.25] streng monoton steigt,
ist x∗1 = 37.2 ein Break-Even-Punkt und die Gewinnzone ist
G+
p,K = [37.2, 161.3].
36
5
Umkehrbarkeit von Funktionen
Beispiel: Schon mehrfach ist uns die Preis-Absatz-Funktion
1
p(x) = − x + 100
2
begegnet. Sie drückt aus, wie der Preis p von der Menge x abhängt, die man
als gegeben (als unabängige Variable) betrachtet. Was nun, wenn man den
Preis als unabhängig annehmen möchte, wenn man also einen funktionellen Zusammenhang x = x(p) ausdrücken will? Dazu formen wir einfach die
Gleichung p = − 21 x + 100 nach x um:
1
p − 100 = − x ⇔ −2 · (p − 100) = x
2
⇔ −2p + 200 = x.
also können wir schreiben
x(p) = −2p + 200.
Der Grundgedanke bei der Suche nach Umkehrfunktionen ist immer der gleiche: Kann man die Rollen von abhängiger und unabhängier Variable vertauschen? Anders formuliert: Die Funktionsvorschrift f sagt uns, welches y
zu einem vorgebenem x gehört – gibt es dann auch eine Vorschrift, die uns
sagt, welches x zu einem gegebenem y gehört? Im obigen Beispiel haben wir
einfach die Funktionsgleichung nach der ursprünglich abhängigen Variablen
umgestellt. Dieser Umformungsvorgang tritt stets auf, man muss sich allerdings immer fragen, ob es sich bei der neuen Zuordnungsvorschrift überhaupt
um eine Funktion6 handelt.
Beispiel: Bei der Funktion
f (x) = y = x2
hängt es vom konkreten y ab, wieviele via f dazugehörige x-Werte es gibt.
Zu y = 4 gehören via f sowohl x = 2 als auch x = −2 (sowohl der Punkt
(2, 4) als auch der Punkt (−2, 4) liegen auf dem Funktionsgraphen). Eine
Vorschrift, die die Zuordnungen 4 7→ 2 und 4 7→ −2 gleichzeitig zulässt, ist
keine Funktion! Dieses Problem ist zu beheben, wenn man als Umkehrung
von f die Zuordnung
√
y 7→ y
6
im Sinne der Definition am Anfang von Kapitel 2
37
wählt7 . Hier stellt sich allerdings die Frage nach einem sinnvollen Definitionsbereich, da durch diese Zuordnung für nicht-positive y keine Funktionswerte
existieren. Schränkt man sich also insofern ein, nur nicht-negative y-Werte
zuzulassen, so ist
√
g(y) = y
die Umkehrfunktion von f (x) = x2 .
Allgemein heißt eine Funktion f umkehrbar, wenn es eine Funktion f −1
gibt, so dass für alle x ∈ Df
f −1 (f (x)) = x.
Existiert die Funktion f −1 , so nennen wir sie die Umkehrfunktion von
f . Man überlegt sich leicht, dass strenge Monotonie eine notwendige Voraussetzung für die Umkehrbarkeit einer Funktion ist. Zusätzlich muss man
sich nach der Berechnung des Funktionsterms von f −1 überlegen, für welche
Werte dieser definiert ist.
Beispiel: Die Funktion
f (x) = (x − 5)2
ist für x ≥ 5 streng monoton steigend, wir wählen also Df = R≥5 . Die
Umstellung der Gleichung y = (x − 5)2 führt zu
f −1 (y) = x
√
=
y+5
mit Df −1 = R≥0 . Es ist durchaus
√ erlaubt, die Variablen nun wieder umzuben−1
nen und zu sagen, f (x) = x+5 ist die Umkehrfunktion zu f (x) = (x−5)2 .
Nur sollte man stets überlegen, ob eine Variablenumbenennung inhaltlich
Sinn macht!
Wurzelfunktionen. Eine Funktionen der Form
f (x) = xn
7
Die Wurzel
√
y ist diejenige positive Zahl, die quadriert y ergibt
38
ist für ungerades n, also n = 1, 3, 5, usw., auf ganz R definiert, streng monoton steigend und daher umkehrbar. Ihre Umkehrfunktion
√
f −1 (x) = n x
bezeichnet man als Wurzelfunktion. Für gerades n, also n = 2, 4, 6, usw., ist
f links von Null streng monoton fallend und rechts von Null streng monoton
steigend und weist somit kein global einheitliches Monotonieverhalten auf.
Zur Umkehrung schränkt man daher im vorhinein den Definitionsbereich auf
Df = R≥0 ein.
Logarithmusfunktionen. Eine Exponentialfunktion
f (x) = ax
mit a > 0 ist streng monoton und nimmt ausschließlich positive Werte an.
Der Definitionsbereich der Umkehrfunktion
f −1 (x) = loga x
ist also Df −1 = R>0 .
An ein paar einfachen Beispielen macht man sich klar, dass man den Graphen
der Umkehrfunktion f −1 erhält, in dem man den Graphen von f an der
Winkelhalbierenden y = x spiegelt.
39
6
6.1
Differentialrechnung einer Veränderlichen
Änderungsraten und Sekantenfunktionen
Zur Motivation der folgenden Begrifflichkeiten zunächst ein
Beispiel: Die während des Zeitintervalls [0 s, 10 s] zurückgelegte Wegstrecke s
eines Fahrzeugs (gemessen in Metern m) sei beschrieben durch die Funktion
s(t) =
3m 2
t.
s2
Man beachte hier die in der Physik übliche Konvention, Größen, hier: die
Wegstrecke s, kursiv zu schreiben, Einheiten, hier: die Sekunde s, in Normaldruck zu setzen. Zwischen den Zeitpunkten t1 = 2 s und t2 = 8 s legt das
Fahrzeug die Strecke
∆s = s(8) − s(2)
3m 2
2
·
(8
s)
−
(2
s)
=
s2
= 180 m.
zurück. Während des gesamten Zeitintervalls wird die Strecke
∆s = s(10 s) − s(0)
= 300 m
zurückgelegt. Im Alltag bezeichnen wir als Geschwindigkeit das Verhältnis
Weg
.
Zeit
Über diesen Ansatz erhalten wir für das Intervall [2 s, 8 s]
vmittel = s[2 s,8 s] :=
Weg
180 m
m
=
= 30 .
Zeit
6s
s
Diese Größe bezeichnen wir als mittlere Geschwindigkeit. zwischen den
Zeitpunkten t = 2 s und t = 8 s. Als mittlere Geschwindigkeit zwischen den
Zeitpunkten t = 0 texts und t = 10 s erhält man
s[0,10] =
300 m
m
= 30 .
10 s
s
40
Die mittlere Geschwindigkeit s[2 s,8 s] ist die Steigung der Geraden durch die
Punkte (2 s, s(2 s)) und (8 s, s(8 s)). Diese Gerade hat die Gleichung
m
t − 48 m.
s
y(t) = 30
Die Gerade durch (0, s(0)) , (10, s(10)) hat die Gleichung
y(t) =
30 m
t.
s
Die nachstehende Grafik zeigt die Funktion s(t) sowie die beiden berechneten
Geraden.
Diese Geraden beschreiben näherungsweise das Verhalten der Funktion s(t)
auf den Intervallen [2 s, 8 s] bzw. [0, 10 s], man sagt, die Geraden sind bezogen auf die jeweiligen Intervalle Approximationen an s. Dass die mittleren
Geschwindigkeiten als Geradensteigungen auftauchen lässt sich wie folgt interpretieren: Würde man sich zwischen den Zeitpunkten 2 s und 8 s (bzw. 0
und 10 s) mit der konstanten Geschwindigkeit s[2 s,8 s] (bzw. s0 s,10 s ) bewegen,
so würde man jeweils die gleiche Wegstrecke zurücklegen, die die Funktion
s(t) für diese Zeiträume angibt.
41
Allgemein definieren wir die mittlere Änderungsrate einer Funktion f
bezüglich des Intervalls [x1 , x2 ] durch
f [x1 ,x2 ] =
f (x2 ) − f (x1 )
.
x2 − x1
Die Sekantenfunktion (oder kurz: die Sekante) von f bezüglich des Intervalls ist dann gegeben durch
sf,[x1 ,x2 ] (x) = f [x1 ,x2 ] · x + f (x1 ) − f [x1 ,x2 ] · x1
= f (x1 ) + f [x1 ,x2 ] (x − x1 ).
Mit der mittleren Änderungsrate lässt sich das Monotonieverhalten einer
Funktion beschreiben:
• f ist monoton steigend, wenn für beliebige x1 , x2 ∈ Df stets f [x1 ,x2 ] ≥ 0
ist und streng monoton steigend, wenn f [x1 ,x2 ] > 0 ist.
• f ist monoton fallend, wenn für beliebige x1 , x2 ∈ Df stets f [x1 ,x2 ] ≤ 0
ist und streng monoton fallend, wenn f [x1 ,x2 ] < 0 ist.
Natürlich kann sich dieses Monotoniekriterium als unhandlich erweisen, wenn
man damit das Monotonieverhalten einer konkret gegebenen Funktion untersuchen wollte. Wie soll man die Überprüfung für alle Elemente des Definitionsbereichs führen? Der im folgenden Abschnitt vorgestellte Begriff der
Ableitung wird uns ein nützliches Monotoniekriterium bescheren.
6.2
Differenzierbarkeit
Den Übergang von der Sekantensteigung f [x1 ,x2 ] zur Ableitung einer Funktion an einer festen Stelle kann man sich vorstellen, wie den Übergang von
der –im Prinzip von Hand ausrechenbaren– mittleren Geschwindigkeit eines
Fahrzeugs zu der vom Tachometer angezeigten Momentangeschwindigkeit.
Daher greifen wir auch zunächst das Beispiel des vorherigen Abschnitts auf.
42
Beispiel: Für ein kleines Zeitintervall [t1 , t2 ] der Länge ∆t = t2 − t1 sollte
s[t1 ,t2 ] =
3 sm2 (t22 − t21 )
t2 − t1
eine gute Annäherung an die Tachometeranzeige zum Zeitpunkt t1 sein. Wegen t2 = t1 + ∆t können wir dafür auch
3 sm2 [(t1 + ∆t)2 − t21 ]
2 ∆t
m
3 s2 t1 + 2 · t1 ∆t + (∆t)2 − t21
=
∆t
m
3 s2 2 · t1 ∆t + (∆t)2
=
∆t
m
= (6t1 + 3∆t) 2
s
s[t1 ,t2 ] =
schreiben. Wir stellen uns nun vor, dass das Zeitintervall ∆t immer kleiner wird, seine Länge gegen Null strebt; dafür schreiben wir ∆t → 0 und
bezeichnen 0 als Grenzwert des Terms ∆t. Gleichzeitig strebt strebt dann
v [t1 ,t2 ] gegen 6t1 . Dafür schreiben wir
lim s[t1 ,t2 ] =
∆t→0
=
lim (6t1 + 3∆t) s2
∆t→0
6t1 s2 .
Tatsächlich gibt 6t1 s2 nun die Momentangeschwindigkeit zum Zeitpunkt
t1 an.
Wenn wir die Vorgehensweise aus dem obigen Beispiel verallgemeinern, gelangen wir zu den Begriffen Differenzierbarkeit und Ableitung. Eine Funktion
f heisst an der Stelle x0 ∈ Df differenzierbar, wenn der Grenzwert
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
∆x→0
∆x
lim
eine endliche Zahl ist. In diesem Fall schreibt man f 0 (x0 ) anstelle des Grenzwertausdrucks und nennt f 0 (x0 ) die (erste) Ableitung der Funktion f an
der Stelle x0 . Wenn f an jeder Stelle x des Definitionsbereich differenzierbar
ist, so ist die Zuordnung
x 7→ f 0 (x)
43
selbst wieder eine Funktion. Diese nennen wir dann die (erste) Ableitung
von f oder auch die Ableitungsfunktion.
Beispiele:
• Man sieht leicht, dass lineare Funktionen an allen Stellen ihres Definitionsbereichs differenzierbar sind, denn für
f (x) = mx + b
ist
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
=
∆x→0
∆x
lim
[m · (x0 + ∆x) + b] − [mx0 + b]
∆x→0
∆x
mx0 + m∆x − mx0
= lim
∆x→0
∆x
= m.
lim
Also ist das Steigungsmaß einer linearen Funktion auch gleichzeitig ihre
Ableitung.
• Wir untersuchen die Funktion f (x) = x2 auf ihre Differenzierbarkeit
an einer beliebigen Stelle x0 ∈ R. Es ist
(x0 + ∆x)2 − x20
∆x→0
∆x
x20 + 2x0 ∆x + (∆x)2 − x20
= lim
∆x→0
∆x
= lim (2x0 + ∆x)
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
=
∆x→0
∆x
lim
lim
∆x→0
= 2x0 .
Da x0 beliebig war, können wir sagen, dass
f 0 (x) = 2x
die Ableitung von f (x) = x2 ist.
• Für f (x) = x3 und x0 ∈ R erhalten wir
44
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
∆x→0
∆x
(x0 + ∆x)3 − x30
lim
∆x→0
∆x
(x0 + ∆x)3 − x30
lim
∆x→0
∆x
3
x0 + 3x20 ∆x + 3x0 (∆x)2 + (∆x)3 − x30
lim
∆x→0
∆x lim 3x20 + 3x0 ∆x + (∆x)2
lim
=
=
=
=
=
∆x→0
3x20 .
Weil x0 beliebig war, ist
f 0 (x) = 3x2
die gesuchte Ableitungsfunktion.
Wir überlegen uns nun, welche Gleichung die Tangente im Punkt (x0 , f (x0 ))
an den Graphen einer differenzierbaren Funktion f hat. Die Steigung der
Tangenten ist gerade die Ableitung f 0 (x0 ), also können wir den Achsenabschnitt der Tangenten aus der Gleichung
f (x0 ) = f 0 (x0 ) · x0 + b
ausrechnen. Es ist
b = f (x0 ) − f 0 (x0 ) · x0 .
Hieraus erhalten wir die Tangentengleichung
Tf,x0 (x) = f 0 (x0 ) · x + (f (x0 ) − f 0 (x0 ) · x0 )
= f (x0 ) + f 0 (x0 ) · (x − x0 ).
Wir sind in diesem Abschnitt nicht immer mit schärfster mathematischer
Strenge vorgegangen. Es sei erwähnt, dass es eine große Anzahl von Funktionen gibt, die nicht an allen Stellen ihres Definitionsbereichs differenzierbar
sind (Standardbeispiel: f (x) = |x|.), man kann sogar Funktionen konstruieren, die an keiner Stelle differenzierbar sind!
45
6.3
Ableitungsregeln
Wir gehen bei der nun folgenden Formulierung der wichtigsten Ableitungsregeln der Einfachheit halber davon aus, dass die Funktionen f und g in
allen Punkten ihres gemeinsamen Definitionsbereiches differenzierbar sind.
In diesem Fall gelten die Summenregel
(f (x) + g(x))0 = f 0 (x) + g 0 (x)
und die Produktregel
(f (x) · g(x))0 = f 0 (x) · g(x) + f (x) · g 0 (x).
Zusammen mit der einfachen Überlegung, dass für jedes c ∈ R (c · f )0 = c · f 0
ist, erhält man aus der Summenregel die Linearitätsregel
(c1 · f (x) + c2 · g(x))0 = c1 · f 0 (x) + c2 · g 0 (x).
Eine Funktion der Form f (x) = xn –ein sogenanntes Monom– hat die Ableitung f 0 (x) = n · xn−1 . (Diese Formel funktioniert sowohl für n ∈ N als auch
für n ∈ Q). Gemeinsam mit der Linearitätsregel erhält man die Ableitung
eines Polynoms: für
f (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . . a2 x2 + a1 x + a0
ist
f 0 (x) = nan xn−1 + (n − 1)an−1 xn−2 + 2a2 x + a1 .
Für den Quotienten fg gilt an allen Stellen x mit g(x) 6= 0 die Quotientenregel
0
f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x)
f (x)
=
.
g(x)
g 2 (x)
Schließlich gilt für die Verkettung von f und g die Kettenregel
[f (g(x))]0 = f 0 (g(x)) · g 0 (x).
Die Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis e f (x) = ex stimmt mit der
Funktion selbst übereinein, es ist
f 0 (x) = f (x) = ex .
Für eine allgemeine Exponentialfunktion f (x) = ax greifen wir die in Abschnitt 3.6 besprochene natürliche Darstellung
f (x) = eln a·x
46
auf. Wenden wir darauf die Kettenregel an, so erhalten wir
eln a·x
0
= e|ln{za·x} · ln a
=ax
= ln a · ax .
Es ist also (ax )0 = ln a · ax . Die Ableitung der natürlichen Logarithmusfunktion ist
1
(ln x)0 = .
x
Für eine Logarithmusfunktion zu einer beliebigen Basis a > 0 erhalten wir
wegen
ln x
loga x =
ln a
die Ableitung
(loga x)0 =
1
.
x · ln a
Für die trigonometrischen Funktionen sind die Ableitungen
(sin x)0 = cos x
(cos x)0 = − sin x,
woraus man sofort
(− sin x)0 = − cos x
(− cos x)0 = sin x
erhält.
Mit diesen bisherigen Regeln können wir schon eine Vielzahl von Ableitungen
berechnen.
Beispiele:
• Die Funktion
f (x) = 5x3 + 4x2 + 3x − 4
ist ein Polynom, somit ist
f 0 (x) = 5 · 3 · x2 + 4 · 2 · x + 3
= 15x2 + 8x + 3.
47
• Gesucht sind die Ableitungen der Funktionen
f (x) =
g(x) =
1
x
√
x.
Nach den Potenzrechenregeln können wir f und g schreiben als
f (x) = x−1
1
g(x) = x 2 .
Weil die Regel (xn )0 = n · xn−1 ausdrücklich gebrochene Exponenten
zulässt, erhalten wir
f 0 (x) = −1 · x−1−1
= −x−2
1
= − 2
x
und
1 1 −1
· x2
2
1
x− 2
=
2
1
= √ .
2 x
g 0 (x) =
• Wir wenden die Produktregel an, um die Funktion
f (x) = x2 · sin x
0
abzuleiten. Wegen (x2 ) = 2x und (sin x)0 = cos x ist
f 0 (x) = 2x sin x + x2 cos x.
• Ebenfalls mit der Produktregel erhält man die Ableitung von
f (x) = 5x · x5 .
0
Es sind (5x )0 = ln 5 · 5x und (x5 ) = 5x4 , also ist
f 0 (x) = ln 5 · 5x · x5 + 5x · 5x4
= 5x · ln 5 · x5 + 5x4
= 5x · x4 (x · ln 5 + 5).
48
• Die Ableitung der gebrochen-rationalen Funktion
f (x) =
x2 − 3x + 5
2x + 7
bestimmt man mit der Quotientenregel. Es sind
0
x2 − 3x + 5
= 2x − 3
0
(2x + 7) = 2.
Also ist
(2x − 3) · (2x + 7) − 2(x2 − 3x + 5)
(2x + 7)2
2x2 + 14x − 31
=
4x2 + 28x + 49
f 0 (x) =
• Ebenfalls mit der Quotienregel lässt sich die Ableitung von
sin x
tan x =
cos x
bestimmen. Es ist
(sin x)0 · cos x − sin x · (cos x)0
(tan x)0 =
cos2 x
2
2
cos x + sin x
=
cos2 x
sin2 x
= 1+
cos2 x
= 1 + tan2 x.
• Mit der Kettenregel erhält man schnell die Ableitung von
f (x) = sin(x2 ).
Als sogenannte äußere Funktion wählt man sin t. Diese hat die Ableitung (sin t)0 = cos t. Die Ableitung der inneren Funktion x2 ist 2x.
Somit ist
f 0 (x) = cos(x2 ) · 2x.
• In einer Funktionenschar wie beispielsweise
fn (x) = n · x + sin(n2 x)
wird der Scharparameter n ∈ N einfach als eine Konstante behandelt.
Hier ist
fn (x) = n + n2 cos(n2 x).
49
6.4
Höhere Ableitungen
Ist eine Funktion f auf ihrem kompletten Definitionsbereich differenzierbar,
so kann man sich die Frage nach der Differenzierbarkeit auch für die Ableitungsfunktion f 0 stellen. Ist diese bejahbar, so nennen wir
f 00 (x) = [f 0 (x)]0
die zweite Ableitung von f ; f 00 ist also die (erste) Ableitung der (ersten)
Ableitung. Für n ≥ 2 können wir dann die n-te Ableitung f (n) rekursiv
definieren durch
f n (x) = [f (n−1) (x)]0 ,
wobei man natürlich formal voraussetzen muss, dass die Funktion f (n−1) differenzierbar ist.
6.5
Lokale Extrema, Krümmung und Kurvendiskussion
Lokale Minima und Maxima. Eine Zahl x∗ heisst lokale Minimalstelle einer Funktion f , wenn es ein x∗ enthaltendes Intervall [a, b] gibt, so dass
für alle x ∈ [a, b]
f (x) ≥ f (x∗ )
gilt. Wenn diese Ungleichung sogar für alle x aus dem gesamten Definitionsbereich von f gilt, so nennt man x∗ eine globale Minimalstelle. Den
Funktionswert f (x∗ ) bezeichnet man dann als ein lokales Minimum bzw.
als das globale Minimum. Die Definition der Begriffe lokale Maximalstelle, globale Maximalstelle, lokales Maximum und globales Maximum ist völlig analog, nur ist hier die Ungleichung
f (x) ≤ f (x∗ )
relevant.
Monotonie und das Vorzeichen der Ableitung. In dem Differenzenquotienten
f (x + ∆x) − f (x)
∆x
ist ∆x > 0. Wenn f monoton steigt, so ist
f (x + ∆x) ≥ f (x)
⇔
f (x + ∆x) − f (x) ≥ 0,
50
womit dann auch der Quotient ≥ 0 ist. Ist f monoton fallend, so folgt
f (x + ∆x) − f (x) ≤ 0,
selbiges gilt für den Differenzenquotienten. Diese Vorzeicheneigenschaft bleibt
bei der Grenzwertbildung für ∆x erhalten, so dass wir das folgende Monotoniekriterium erhalten:
Wenn für alle x aus dem Intervall [a, b] f 0 (x) ≥ 0 ist, dann ist f
auf diesem Intervall monoton steigend. Ist analog f 0 (x) ≤ 0, so
ist f monoton fallend. Wenn jeweils die strikte Form der Ungleichung gilt (also > bzw. <), dann folgt sogar die strenge Monotonie
von f .
Skizziert man den Graphen irgendeiner Funktion mit einer lokalen Extremum, so sieht man leicht, dass an der Extremstelle sich das Monotonieverhalten der Funktion ändert. Dies bedeutet aber, dass an einer Extremstelle
x∗ sowohl die Ungleichung f 0 (x∗ ) ≥ 0 als auch die Ungleichung f 0 (x∗ ) ≤ 0
erfüllt sein muss. Wir haben uns damit das notwendige Kriterium für
lokale Extrema überlegt:
Wenn x∗ eine lokale Extremstelle von f ist, dann ist f 0 (x∗ ) = 0.
Dieses Kriterium sagt uns, dass als Kandidaten für Extremstellen von f überhaupt nur Nullstellen der ersten Ableitung in Frage kommen. Diese Nullstellen der ersten Ableitung bezeichnen wir als kritische Stellen von f . Am
(Gegen)Beispiel der Funktion f (x) = x3 macht man sich klar, dass das bloße
Nullwerden der Ableitung nicht hinreichend für eine lokale Extremstelle ist.
Wie findet man nun heraus, ob eine kritische Stelle auch tatsächlich eine Extremstelle ist und ob es sich dann um eine Minimal– oder eine Maximalstelle
handelt? An einer Extremstelle ändern die Tangentensteigungen und damit
die erste Ableitung ihr Vorzeichen und zwar
von + auf − bei einer Maximalstelle, weil f 0 ins Negative fällt und
von − auf + bei einer Minimalstelle, weil f 0 ins Positive steigt.
Falls die Ableitung f 0 selbst wieder differenzierbar ist, so können wir das
obige Monotoniekriterium auf f 0 anwenden:
Wenn f 0 an der kritischen Stelle x∗ monoton fällt, dann ist f 00 (x∗ ) ≤ 0.
Wenn f 0 an der kritischen Stelle x∗ monoton steigt, dann ist f 00 (x∗ ) ≥ 0.
51
In beiden Fällen können wir aus der Information f 00 (x∗ ) = 0 keinen Schluss
auf das Vorliegen einer Extremstelle ziehen und es bleibt nur die Überprüfung
des Vorzeichens der Ableitung f 0 . Wir fassen die Überlegungen zu einem
hinreichenden Kriterium für lokale Extrema zusammen:
Wenn x∗ eine kritische Stelle der zweimal differenzierbaren Funktion f ist und f 00 (x∗ ) 6= 0 ist, so ist x∗ eine Extremstelle.
• Ist f 00 (x∗ ) < 0, so ist x∗ lokale Maximalstelle.
• Ist f 00 (x∗ ) > 0, so ist x∗ lokale Minimalstelle.
Beispiel: Gesucht sind lokale Extrema der Funktion
1
1
f (x) = x4 − x3 − x2 .
4
3
Die erste und zweite Ableitung von f sind
f 0 (x) = x3 − x2 − 2x
f 00 (x) = 3x2 − 2x − 2.
Schreiben wir f 0 als f 0 (x) = x(x2 − x − 2) und berechnen die Nullstellen des
quadratischen Terms, so liefert dies die kritischen Stellen x1 = 0, x2 = −1
und x3 = 2. Es sind
f 00 (−1) = 3 > 0
f 00 (0) = −2 < 0
f 00 (2) = 6 > 0.
5
) ein lokales Minimum, bei (0, 0) ein lokales Maximum
Also liegen bei (−1, − 12
8
und bei (2, − 3 ) ein lokales Minimum. Der Verlauf von f ist im Folgenden
skizziert:
52
Krümmung: Konvexität und Konkavität. Wir nennen eine Funktion
f auf dem Intervall (a, b)
• konvex (oder linksgekrümmt), wenn für alle x1 , x2 ∈ (a, b) die Sekante zwischen den Punkten (x1 , f (x1 )) und (x2 , f (x2 )) oberhalb des
Graphen von f verläuft,
• konkav (oder rechtsgekrümmt), wenn für alle x1 , x2 ∈ (a, b) die
Sekante zwischen den Punkten (x1 , f (x1 )) und (x2 , f (x2 )) unterhalb
des Graphen von f verläuft.
Die linke Grafik zeigt einen konvexen Funktionsverlauf, die rechten einen
konkaven:
Stellt man sich vor, dass man entlang des Graphen einer Funktion Rad fährt,
so leuchtet schnell ein, dass man genau dann überhaupt nicht zu lenken
braucht, wenn man sich auf einer linearen Funktion befindet. Alle nichtlinearen Funktionen weisen aber ein sich üblicherweise intervallweise änderndes Krümmungsverhalten auf. Eine Funktion ist dann linkgsgekrümmt (bzw.
rechtsgekrümmt), wenn wenn bei der Fahrt durch den Graphen der Fahrradlenker in die entsprechende Richtung zeigt.
Eine Stelle xW , bei der sich das Krümmungsverhalten ändert bezeichnen wir
als Wendestelle und (xW , f (xW )) als einen Wendepunkt.
An einer Skizze macht man sich klar, dass bei einer konvexen Funktion die
Tangentensteigungen entlang der x-Achse zunehmen, was bedeutet, dass f 0
53
monoton steigt. Bei einer konkaven Funktion nehmen die Tangentensteigungen entlang der x-Achse ab und das bedeutet, dass f 0 monoton fällt. Wir
können unser Monotoniekriterium also zur Beschreibung der Krümmung anpassen:
Wenn für alle x aus dem Intervall [a, b] f 00 (x) ≥ 0 ist, dann ist
f auf diesem Intervall konvex. Ist analog f 00 (x) ≤ 0, so ist f
konkav.
Damit überlegt man sich leicht:
Die Wendestellen einer Funktion f sind die Extremstellen der
ersten Ableitung f 0 . Also folgt aus f 00 (xW ) = 0 und f 000 (xW ) 6= 0,
dass xW eine Wendestelle von f ist.
Beispiele:
• Wir betrachten eine allgemeine quadratische Funktion
f (x) = ax2 + bx + c.
Es sind
f 0 (x) = 2ax + b
f 00 (x) = 2a.
Also sind quadratische Funktionen mit a > 0 konvex, bzw. konkav, falls
a < 0 ist.
• Für die Funktion
1
1
f (x) = x4 − x3 − x2
4
3
ist
f 00 (x) = 3x2 − 2x − 2.
Die Gleichung x2 − 23 x −
2
3
x1,2
= 0 hat die Nullstellen
r
1
4
2
=
∓
+
3
9·4 3
r
1
7
=
∓
3
9
√
1∓ 7
=
.
3
54
Setzen wir diese in die dritte Ableitung
f 000 (x) = 6x − 2,
so erhalten wir
f 000
f 000
√
√ !
6−6 7
1− 7
=
−2
3
3
√
= 2−2 7−2
√
= −2 7 6= 0
√ !
√
1+ 7
= 2 7 6= 0.
3
Somit sind x1 und x2 beides Wendestellen von f .
Kurvendiskussion. In der Schule ist es üblich, die folgende Aufgabenstellung
• Bestimmung des Definitionsbereichs einer Funktion f
• Berechnung der Nullstellen
• Beschreibung des globalen und lokalen Monotonieverhaltens
• Berechnung lokaler und ggf. globaler Extrema
• Berechnung von Wendepunkten
• Skizzierung des Funktionsgraphen.
unter dem Stichwort Kurvendiskussion zusammenzufassen. Da in unseren
Aufgabenstellungen stets angegeben ist, welche der vorgenannten Punkte zu
untersuchen sind, verzichten wir hier auf eine Vertiefung.
6.6
Differentiale
Aufbauend auf die Notationen aus den Abschnitten 3.2, 6.1 und 6.2 bezeichnen wir für eine positive Änderung ∆x = dx mit
∆f |x=x0 = f (x0 + dx) − f (x0 )
55
die absolute Änderung der Funktion f bezogen auf die Stelle x0 und auf dx.
Ist f differenzierbar, so ist die Tangente im Punkt (x0 , f (x0 )) eine lineare
Approximation (Annäherung) an die Funktion. Für die absolute Änderung der Tangenten bezogen auf x0 und auf dx schreiben wir df |x=x0 . Mit
Erinnerung an die Tangentengleichung
Tf,x0 (x) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 )
erhalten wir
df |x=x0 = Tf,x0 (x0 + dx) − Tf,x0 (x0 )
= [f (x0 ) + f 0 (x0 )(x0 + dx − x0 )] − f (x0 )
= f 0 (x0 ) · dx.
Der Ausdruck
df = f 0 (x) · dx
wird das Differential von f genannt. Das Differential ist hilfreich, wenn
man die Änderungstendenz von f beschreiben möchte. Je kleiner dx ist, desto
besser ist die Näherung
df |x=x0 ≈ ∆f |x=x0 .
Beispiel: Für f (x) = x2 , x0 = 5 und dx = 0.1 sind
∆f |x=5 = 5.12 − 52 = 1.01
und
df |x=5 = |{z}
2 · 5 ·0.1
=f 0 (5)
= 1.
Somit liegt der Näherungsfehler
(∆f − df ) |x=5 = ∆f |x=5 − df |x=5
gerade einmal bei einem Prozent, wenn man die Änderung von f durch die
Änderung der Tangenten prognostiziert. Wir können mit einfachen Mitteln
analysieren, warum die Approximationsgüte in diesem Beispiel so erstaunlich
hoch ist. Hier sind
∆f |x=x0 = (x0 + dx)2 − x20
= x20 + 2x0 dx + (dx)2 − x20
= 2x0 dx + (dx)2
56
df |x=x0 = 2x0 dx,
so dass der Näherungsfehler unabhängig von x0
(∆f − df ) |x=x0 = (dx)2
beträgt. Für dx < 1 ist (dx)2 < dx. Hieraus resultiert der kleine Fehler bei
der Tendenzprognose.
In den Übungsaufgaben werden wir sehen, dass es durchaus Beispiele gibt,
bei der Prognosen mit Hilfe des Differentials von schlechterer Qualität sind.
Abschließend sei vor der suggestiv naheliegenden Umformung
df = f 0 (x)dx
⇔
f 0 (x) =
df
dx
gewarnt! Die Ausdrücke df und dx sind endlich, die Ableitung f 0 entsteht
–wie wir gesehen haben– durch einen Grenzwertprozess bei dem Zähler und
Nenner eines Quotienten infinitesimal klein werden.
57
6.7
Das Newton-Verfahren
Bislang konnten wir Nullstellengleichungen der Form
f (x∗ ) = 0
meist durch elementare Umformungstechniken lösen. Wenn der Funktionsterm f sich komplexer gestaltet, kann dies allerdings sehr aufwendig, teilweise sogar unmöglich werden. Man greift in solchen Situationen dann auf
numerische Verfahren zurück, die eine Folge von Dezimalnäherungen für das
exakte Ergebnis x∗ liefern. Das bekannteste dieser Verfahren soll hier vorgestellt werden.
Man wählt zunächst eine Zahl x0 , für die f (x0 ) nah bei 0 liegt. Durch eine
Skizze macht man sich klar, dass die Hoffnung berechtigt ist, die Nullstelle
der Tangenten
Tf,x0 (x) = f (x0 ) + f 0 (x)(x − x0 )
könne näher als x0 an der Nullstelle x∗ von f liegen. Die Nullstelle von Tf,x0
ist
f (x0 )
.
x 1 = x0 − 0
f (x0 )
Genau die selben Überlegungen führen zu einem nächsten Näherungswert
x2 = x1 −
f (x1 )
f 0 (x1 )
und auf die gleiche Weise lassen sich Näherungswerte x3 , x4 , . . . , erzeugen.
Wir ergänzen ein paar formale Voraussetzungen und beschreiben das NewtonVerfahren wie folgt:
Die Funktion f sei differenzierbar und habe eine Nullstelle x∗ .
Dann wird durch die Vorgabe eines Startwertes x0 und durch die
Iterationsvorschrift
xn+1 = xn −
f (xn )
f 0 (xn )
eine Näherungsfolge für x∗ erzeugt (sofern die Nennerterme ungleich null sind).
58
Beispiele:
• Die Funktion
f (x) = ex + x
hat im Intervall [−1, 0] eine Nullstelle, denn es sind
f (−1) = e−1 − 1 ≈ −0.632 und f (0) = e0 + 0 = 1.
Die Ableitung von f ist
f 0 (x) = ex + 1
und so lautet hier die Iterationsvorschrift des Newton-Verfahrens
xn+1 = xn −
e xn + x n
.
exn + 1
Wir wählen x0 = 0 als Startwert und rechnen mit einer Genauigkeit
von fünf Dezimalstellen, also mit e = 2.71828. Das Newton-Verfahren
erzeugt dann die Näherungen
x1
x2
x3
x4
=
=
=
=
−0.5
−0.56631
−0.56714
−0.56714 .
Wenn wir weitere Näherungswerte x5 , x6 , . . . berechneten, so würden
wir sehen, dass die ersten fünf Nachkommastellen unverändert bleiben.
Einsetzen von x4 in den Funktionsterm von f liefert
f (x4 ) = 0.0000054.
√
• Lässt man durch den Taschenrechner 2 berechnen, so erhält man den
Näherungswert
√
2 ≈ 1.41421.
Diesen Wert kann man auch durch wenige Schritte des Newton-Verfahrens
erhalten. Die Funktion
f (x) = x2 − 2
59
√
hat 2 als Nullstelle im Intervall [0, 2]. Die Iterationsvorschrift des
Newtonverfahrens lautet hier
xn+1 = xn −
x2n − 2
,
2xn
was sich noch vereinfachen lässt zu
xn+1 =
1
1
xn + .
2
xn
Beginnend mit dem Startwert x0 = 2 erhalten wir als Näherungen
x1
x2
x3
x4
=
=
=
=
1.5
1.41667
1.41422
1.41421
und damit bereits nach vier Schritten des Newton-Verfahrens die gleiche
Approximation wie der Taschenrechner.
60
7
7.1
Ökonomische Modelle II: Anwendungen der
Differentialrechnung
Zur Grenz-Terminologie in den Wirtschaftswissenschaften
Sowohl in den betriebswirtschaftlichen Lehrfächern als auch in der Volkswirtschaftslehre hat es sich eingebürgert, die Ableitung einer ökonomischen
Funktion als Grenzfunktion zu bezeichnen.
Beispiele: Die Ableitung einer Umsatzfunktion nennt man den Grenzumsatz,
die Ableitung einer Kostenfunktion bezeichnet man als Grenzkosten, die Ableitung einer Gewinnfunktion als Grenzgewinn.
In ökonomischen Lehrbüchern findet man oft die Behauptung, der Wert einer
Grenzfunktion f 0 (x0 ) gebe an, um wieviele Einheiten sich die Funktion f
verändert, wenn man von x0 zu x0 + 1 übergeht. Unter Berücksichtigung
unserer Kenntnisse über Differentiale, sollte uns klar werden, dass solche
Sätze mit Vorsicht zu genießen sind – genau genommen sind sie für alle
nicht-linearen Funktionen falsch. Richtig ist aber
Der Wert f 0 (x0 ) einer Grenzfunktion gibt näherungsweise an, um
wieviele Einheiten sich die Funktion erhöht (oder mindert), wenn
man x0 um eine Einheit erhöht. Über die Qualität dieser Näherung können im Allgemeinen keine a-priori-Aussagen getroffen
werden.
7.2
Gewinnmaximierung
Es seien p eine Preis-Absatz-Funktion, K eine Kostenfunktion und Gp,K die
dazugehörige Gewinnfunktion. Wenn wir davon ausgehen, dass p und K differenzierbar sind, so ist auch Gp,K = Up − K differenzierbar. Mit dem Wissen
aus Abschnitt 6.5 erhalten wir als notwendige Bedingung für ein Gewinnmaximum G0p,K (x) = 0. Nach der Summenregel ist
G0p,K (x) = (Up (x) − K(x))0
= Up0 (x) − K 0 (x),
61
also
G0p,K (x) = 0
⇔
Up0 (x) = K 0 (x).
Die Überprüfung, ob bei einer kritische Stelle von Gp,K tatsächlich ein Maximum vorliegt, erfolgt mit den Methoden des sechsten Abschnitts. Wir haben
gezeigt:
Im Gewinnmaximum stimmen der Grenzumsatz und die Grenzkosten überein.
Beispiel: Ein Unternehmen stellt seine Gewinnsituation mittels der PreisAbsatz-Funktion
p(x) = −4x + 122
und der Kostenfunktion
K(x) = 50 + 2x
dar. Hieraus erhalten wir die Umsatzfunktion Up (x) = −4x2 + 122x und die
Gewinnfunktion
Gp,K (x) = −4x2 + 122x − (50 + 2x)
= −4x2 + 120x − 50.
Es ist
G0p,K (x) = 0 ⇔ −8x + 120 = 0
⇔ x = 15.
Wegen Gp,K (x) = −8 handelt es sich bei x = 15 um eine Maximalstelle der
Gewinnfunktion. Das dazugehörige Gewinnmaximum liegt dann bei
Gp,K (15) = −4 · 152 + 120 · 15 − 50
= 850.
Im Zusammenhang mit der Gewinnmaximierung trifft man oft auf den Begriff
des Cournotschen Punktes: darunter versteht man den Punkt auf dem
Graphen der Preis-Absatz-Funktion der zur gewinnmaximierenden Menge
gehört, die man dann im Kontext als Cournotsche Menge bezeichnet. Der
dazugehörigen Funktionswert der Preis-Absatz-Funktion heißt dann Cournotscher Preis.
62
Beispiel: Oben ist die Cournotsche Menge gegeben durch die Maximalstelle
x = 15. Der Cournotsche Preis ist dann
p(15) = −4 · 15 + 122
= 62.
Also liegt der Cournotsche Punkt bei (15, 62).
7.3
Das erste Gossensche Gesetz
In den Lehrveranstaltungen zur Volkswirtschaftslehre macht man Bekanntschaft mit der Nutzentheorie. Diese geht davon aus, dass der Nutzen N ,
den ein Kosument der Menge x eine Gutes zuordnet, kontinuierlich messbar
ist und somit als reellwertige Funktion
N (x) mit x > 0
aufgefasst werden kann. Gossen (1810-1858) postulierte für eine Nutzenfunktion die folgenden Eigenschaften:
1. Mit jeder mehr konsumierten Einheit eines Gutes steigt der Nutzen des
Konsumenten.
2. Der Nutzenzuwachs nimmt von jeder konsumierten Einheit zur nächsten
ab.
Die Zusammenfassung dieser beiden Postulate bezeichnet man als erstes
Gossensches Gesetz. Wir wollen die Gossenschen Postulate mit Hilfe unserer Kenntnisse aus dem sechsten Abschnitt formulieren. Das erste Postulat
drückt aus, dass N (x) mononton steigt. Da die Monotonie einer Funktion
sich durch das Vorzeichen der Ableitung ausdrücken lässt, können wir sagen
(1) N 0 (x) ist nicht-negativ, also
N 0 (x) ≥ 0.
Für den Nutzenzuwachs bezogen auf eine beliebige Stelle x0 und auf dx = 1
schreiben wir
∆N |x=x0 = N (x0 + 1) − N (x0 ).
63
Das zweite Postulat besagt, dass ∆N eine monoton fallende Funktion von x
ist. Mit der Näherung
∆N
≈ N 0 (x)
dx
und unter Berücksichtigung, dass das Monotonieverhalten der Ableitungsfunktion durch das Vorzeichen der zweiten Ableitung charakterisiert wird,
formalisieren wir das zweite Postulat wie folgt:
(2) N 00 (x) ist nicht-positiv, also
N 00 (x) ≤ 0.
Eine Funktion mit den Eigenschaften (1) und (2) bezeichnet man als eine
Nutzenfunktion gemäß des ersten Gossenschen Gesetzes.
Beispiel: Wir betrachten die Funktionenschar
Na,b (x) = axb ,
wobei für die Scharparameter a und b die Restriktionen a > 0 und 0 < b < 1
gelten sollen. Es ist
0
Na,b
(x) = abxb−1 .
Aufgrund der Restriktionen ist ab > 0. Für positives x ist xb−1 ebenfalls
positiv. Also ist
0
Na,b
(x) > 0,
womit die Bedingung (1) nachgewiesen ist. Die zweite Ableitung von Na,b ist
00
Na,b
(x) = ab · (b − 1) · xb−2 .
Der Term xb−2 ist wiederum positiv, wenn man einen positiven Definitionsbereich betrachtet. Wegen 0 < b < 1 ist b − 1 < 0 und damit
(ab) · (b − 1) < 0.
|{z} | {z }
>0
<0
Wir erhalten
00
Na,b
(x) < 0
und haben so auch die Bedingung (2) nachgewiesen. Also stellt jede Funktion
vom Typ Na,b mit den oben genannten Einschränkungen an die Parameter a
und b eine Nutzenfunktion gemäß des ersten Gossenschen Gesetzes dar.
64
7.4
Konsum und Sparen
Wir haben früher schon die univariate Modellierung von Konsum– und Sparfunktion C und S kennengelernt. Definitionsgemäß galt dabei
S(Y ) = Y − C(Y ),
wobei Y für das Einkommen steht. Einfaches Umstellen liefert eine Gleichung
Y = C(Y ) + S(Y ),
durch die das Einkommen stets zu rekonstruieren ist. Leiten wir diese Gleichung ab, so ergibt sich
1 = (C(Y ) + S(Y ))0
= C 0 (Y ) + S 0 (Y ).
Nun spricht der Ökonom weniger von Grenzkonsum oder von Grenzsparen
(wie man es eigentlich erwarten dürfte . . . ), sondern nennt C 0 (Y ) die marginale Konsumquote und S 0 (Y ) die marginale Sparquote. Wir haben
also gezeigt:
Die marginale Konsumquote C 0 (Y ) und die marginale Sparquote
S 0 (Y ) addieren sich stets zu 1.
7.5
Elastizitäten
Wir betrachten zunächst noch einmal den Differenzenquotienten
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
.
(x0 + ∆x) − x0
In dieser Schreibweise sehen wir, dass hier die absolute Änderung der Funktionswerte ins Verhältnis gesetzt wird zur absoluten Änderung der x-Werte.
In der Ökonomie ist es häufig von Interesse, in welchem Verhältnis die relative Änderung einer abhängigen und einer unabhängigen Variablen stehen. So
wird beispielsweise eine absolute Preisveränderung von einer Geldeinheit bei
Schokolade einen voraussichtlich größeren Einfluss auf die nachgefragte Menge haben als die selbe absolute Preisveränderung bei einem Mittelkassewagen.
Das Ins-Verhältnis-Setzen relativer Größen führt auf das mathematisch-ökonomische Konzept der Elastizität.
65
Die Änderung der Funktionswerte bezogen auf das Niveau f (x0 ) der Funktion
ist für eine kleine Änderung ∆x
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
,
f (x0 )
die Änderung in den Abszissenwerten bezogen auf x0 ist
∆x
.
x0
Setzt man nun diese beiden Größen wiederum in Relation zueinander und
erinnert sich daran, dass der obige Differenzenquotient eine Näherung für die
Ableitung an der Stelle x0 ist, so ergibt sich
f (x0 + ∆x) − f (x0 ) ∆x
f (x0 + ∆x) − f (x0 ) x0
:
=
·
f (x0 )
x0
f (x0 )
∆x
x0
f (x0 + ∆x) − f (x0 )
·
=
∆x
f (x0 )
x
≈ f 0 (x0 ) ·
.
f (x0 )
Diese Überlegungen münden in die folgende Defintion: Die Elastizität (oder
auch Elastizitätsfunktion) εf einer differenzierbaren Funktion f (bezüglich
x) ist definiert durch
f 0 (x)
· x.
εf (x) :=
f (x)
Der Wert εf (x0 ) der Elastizität gibt näherungsweise an, um wieviel Prozent
sich der Ordinatenwert von f ändert, wenn bezogen auf x0 der Abszissenwert
um ein Prozent erhöht wird.
Beispiel: Wir betrachten die nachgefragte Menge x eines Gutes als lineare
Funktion seines Preises p (vgl. Abschnitte über das lineare Marktmodell und
über Umkehrfunktionen) in Form der konkreten Nachfragefuntkion
x(p) = −2p + 200.
Die Elastizität von x bezüglich p ist dann
x0 (p)
·p
εx (p) =
x(p)
−2
=
·p
−2p + 200
p
.
=
p − 100
66
8
8.1
Grundzüge der Integralrechnung
Stammfunktionen
Zu einer gegebenen Funktion f heisst F eine Stammfunktion, wenn
F 0 (x) = f (x)
für alle x ∈ Df gilt. Die Suche nach einer Stammfunktion bedeutet also,
die Problemstellung des Ableitens umzukehren. Wir wollen uns überlegen,
dass es sinnvoll ist, nicht von der Stammfunktion von f zu sprechen: Ist
F 0 (x) = f (x), so ist für jede Konstante C ∈ R nach der Summenregel
(F (x) + C)0 = F 0 (x) + C 0
= f (x) + 0
= f (x)
und F + C ist eine weitere Stammfunktion von f . Sind andererseits F1 und
F2 beides Stammfunktionen von f , so ist
(F1 (x) − F2 (x))0 = F10 (x) − F20 (x)
= f (x) − f (x)
= 0.
Wenn aber die Differenz F1 −F2 die Ableitung 0 besitzt, so muss F1 (x)−F2 (x)
konstant sein. Mit diesen einfachen Überlegungen haben wir gezeigt:
Wenn eine Funktion eine Stammfunktion besitzt, so besitzt sie
sofort unendlich viele Stammfunktionen, die sich je paarweise nur
um eine additive Konstante unterscheiden.
Die Zusammenfassung aller Stammfunktionen von f nennt man das
R unbestimmte Integral von f und bezeichnet dieses mit dem Symbol f (x) dx.
Kennt man eine konkrete Stammfunktion F , so ist
Z
f (x) dx = F (x) + C,
wobei C jede beliebige reelle Konstante sein kann. In diesem Kontext nennt
man C eine Integrationskonstante.
67
Für einige Funktionen und Funktionstypen kann man sehr einfach Stammfunktionen angeben.
Beispiele:
• Für die Funktion f (x) = 2x ist F (x) = x2 eine Stammfunktion und es
ist
Z
2x dx = x2 + C.
• Wie sieht eine Stammfunktion eines Monoms f (x) = xn mit n ∈ Q
aus? Es ist
0
xn+1 = (n + 1)xn .
Wenn wir also einen korrigierenden Faktor
Also ist
1
· xn+1
n+1
Z
xn dx =
1
n+1
einbringen, erhalten wir
n+1 n
x
n+1
= xn .
=
1
xn+1 + C,
n+1
wobei wir aber n = −1 ausschließen müssen8 . Mit etwas Arbeit –auf
die wir hier verzichten– kann man für n = −1 zeigen
Z
1
= ln x + C.
x
• Wegen (ex )0 = ex ist
Z
ex dx = ex + C.
• Für eine differenzierbare Funktion F ist nach der Kettenregel
0
eF (x) = eF (x) · F 0 (x).
Wenn F eine Stammfunktion von f ist, erhalten wir
Z
f (x) · eF (x) dx = eF (x) + C.
8
Für n = −1 ist der Bruch
1
n+1
nicht definiert
68
• Für die trigonometrischen Funktion sin x und cos x ist
Z
sin x dx = − cos x + C
Z
cos x dx = sin x + C.
Als Linearität des unbestimmten Integrals fasst man die folgenden beiden
Eigenschaften zusammen. Besitzen f und g Stammfunktion F und G, so ist
Z
f (x) + g(x) dx = F (x) + G(x) + C.
Für jede relle Zahl α ist außerdem
Z
α · f (x) dx = α · F (x) + C.
Damit und mit den Beispielen lassen sich –siehe Übungsaufgaben– viele weitere Stammfunktionen bzw. unbestimmte Integrale berechnen.
8.2
Flächeninhalte und bestimmte Integrale
Die Funktion f sei stetig9 und für alle x ∈ [a, b] sei f (x) ≥ 0. Wir befassen
uns in diesem Abschnitt mit der Aufgabe, den Flächeninhalt Aba (f ) zu berechnen, den der Graph von f entlang von [a, b] mit der x-Achse einschließt.
Dazu bezeichnen wir für x ∈ [a, b] mit A(x) die entlang [a, x] eingeschlossene
Fläche. Offensichtlich ist A eine reelle, monoton steigende Funktion und es
sind
A(a) = 0 und A(b) = Aba (f ).
Wir nennen A eine Flächeninhaltsfunktion. Es sei x0 eine feste Stelle in
[a, b]. Als ∆x wählen wir eine Änderung, die gewährleistet, dass f auf dem
Intervall [x0 , x0 + ∆x] monoton ist und für die x0 + ∆x noch in [a, b].
9
Stetigkeit bedeutet, dass der Graph entlang des gesamten Definitionsbereichs gezeichnet werden kann, ohne dass dafür der Stift abgesetzt werden muss.
69
Mit einer Zeichnung überzeugt man sich schnell davon, dass für den Flächenzuwachs
∆A|x=x0 = A(x0 + ∆x) − A(x)
stets eine der beiden Rechtecksabschätzungen
f (x0 ) · ∆x ≤ ∆A|x=x0 ≤ f (x0 + dx) · ∆x
oder
f (x0 + ∆x) · ∆x ≤ ∆A|x=x0 ≤ f (x0 ) · ∆x
richtig ist. Im Fall, dass f auf [x0 , x0 + ∆x] monoton steigt, gilt die obere der
beiden Ungleichungen, auf die wir uns im folgenden konzentrieren10 . Aus ihr
folgt
A(x0 + dx) − A(x)
f (x0 ) ≤
≤ f (x0 + ∆x).
∆x
Der in dieser Ungleichung geschachtelte Ausdruck für ∆A|x=x0 dx ist ein
Differenzenquotient, wie wir ihn in den Abschnitten 6.1 und 6.2 betrachtet
haben. Wir untersuchen das Verhalten aller in dieser Ungleichung auftretenden Terme für dx → 0. Aufgrund der Stetigkeit von f ist
lim f (x0 + ∆x) = f (x0 ),
∆x→0
woraus wir
A(x0 + ∆x) − A(x)
≤ f (x0 )
∆x→0
∆x
f (x0 ) ≤ lim
erhalten. Hieraus folgt, dass A eine in x0 differenzierbare Funktion mit der
Ableitung A0 (x0 ) = f (x0 ) ist. Mit dem Vokabular des vorherigen Abschnitts
bedeutet dies aber:
Die Flächeninhaltsfunktion A ist eine Stammfunktion der auf [a, b]
nicht-negativen Funktion f und zwar diejenige, die an der Stelle
a den Wert 0 hat.
10
Sie sollten zur Übung einmal die analoge Argumentation führen, für den Fall, dass
die zweite Ungleichung gilt. Sie werden sehen, dass dies –hauptsächlich wegen des
Stetigkeitsarguments– zum gleichen Ergebnis führt, wie die hier dargestellten Argumente.
70
Wir wissen aus dem vorherigen Abschnitt, dass eine beliebige Stammfunktion F von f sich von der Flächeninhaltsfunktion A nur um eine additive
Konstante C unterscheidet: F (x) = A(x) + C. Wegen A(a) = 0 ist
A(b) − A(a) =
=
=
=
F (b) + C − (F (a) + C)
F (b) + C − F (a) − C
F (b) − F (a)
Aba (f ).
Wir fassen unsere bisherigen Überlegungen zusammen:
Für eine auf dem Intervall [a, b] stetige und nicht-negative Funktion f ist die Fläche Aba (f ) gegeben durch
Aba (f ) = F (b) − F (a),
wobei F eine Stammfunktion von f ist.
Wie stellt sich das Flächeninhaltsproblem dar, falls der Graph von f entlang
von [a, b] unterhalb der x-Achse verläuft? In diesem Fall verläuft der Graph
von −f oberhalb der x-Achse und wir erhalten11
Aba (f ) = − (F (b) − F (a)) .
Kompakter kann man also formulieren:
Ist f auf [a, b] nicht-negativ oder nicht-positiv, so ist
Aba (f ) = |F (b) − F (a)| .
Geht man von der Forderung nach einem einheitlichen Vorzeichen von f
ab, so nennt man F (b) − F (a) das bestimmte Integral von f entlang des
Intervalls [a, b] und schreibt dafür
Z
b
f (x) dx = [F (x)]ba
a
= F (b) − F (a).
11
vgl. S. 58:
R
R
−f (x) dx = − f (x) dx
71
Beispiele:
• Zu berechnen ist
4
Z
2x dx.
2
Wir haben uns bereits überlegt, dass F (x) = x2 eine Stammfunktion
von f (x) = 2x ist, also ist
Z 4
4
f (x) dx = x2 2
2
= 42 − 22
= 16 − 4
= 12.
Weil f entlang des Intervalls [a, b] strikt positiv verläuft ist
Z 4
2x dx = A42 (f ).
2
• Die drei Integrale
Z
0
3
Z
3
Z
3
3
x dx ,
x dx ,
−3
x3
−3
0
berechnen wir durch Auswertung der Stammfunktion F (x) = 14 x4 . Wir
erhalten
0
Z 0
1 4
3
x dx =
x
4
−3
−3
(−3)4
= 0−
4
81
= − ,
4
Z
3
3
x dx =
0
1 4
x
4
3
0
34
=
−0
4
81
=
,
4
72
3
Z
3
x dx =
−3
1 4
x
4
3
−3
3
(−3)4
=
−
4
4
81 81
−
=
4
4
= 0.
4
Dieses bemerkenswerte Resultat liegt in der Symmetrie des Funktionsgraphen von f (x) = x3 begründet.
• Da die Exponentialfunktion f (x) = ex selbst eine ihrer Stammfunktionen ist, ist
Z 9
ex dx = [ex ]90
0
= e9 − 1
≈ 8102.08.
• Zu berechnen ist
Z
2
3
3x2 · ex dx.
1
Wir bringen das Beispiel
Z
f (x) · eF (x) dx = eF (x) + C.
aus dem vorherigen Abschnitt zur Anwendung: hier sind
f (x) = 3x2
und F (x) = x3 ,
also ist
Z
2
3
3x2 · ex dx =
h 3 i2
ex
1
1
8
= e −e
≈ 2978.24.
• Mit dem selben Trick lässt sich auch das Integral
Z 4 √x
e
√ dx
1 2 x
73
entschärfen. Wir wissen, dass
√ 0
1
x = √
2 x
gilt. Also ist
Z
1
4
√
e x
√ dx =
2 x
Z
4
√
1
√ · e x dx
1 2 x
h √ i4
= e x
1
2
= e −e
≈ 4.67
Additivität des bestimmten Integrals. Man überzeugt sich schnell mittels einer Skizze vom folgenden Sachverhalt. Für eine auf dem Intervall [a, b]
stetige Funktion und für jedes b ∈ [a, c] gilt
Z c
Z b
Z c
f (x) dx.
f (x) dx +
f (x) dx =
a
b
a
Nebenbemerkung zu Integralfunktionen. Gelegentlich findet man die
folgende Variante, eine Funktion Φ zu definieren: man betrachtet ein bestimmtes Integral, lässt aber die obere Integrationsgrenze variabel, also
Z x
Φ(x) =
f (t) dt.
a
Hier ist zu beachten, dass die Funktionsvariable x ist, das Integral aber
bezüglich t ausgewertet wird. Eine Funktion, die auf diese Weise entsteht,
bezeichnet man als eine (durch f induzierte) Integralfunktion. Bemerkenswert ist, dass der Integralausdruck auf der rechten Seite auf natürliche
Weise eine differenzierbare Funktion darstellt! Man sieht dies leicht ein, in
dem man irgendeine Stammfunktion F von f wählt und das Integral auswertet. Es ist
Z
Φ(x) =
x
f (t) dt
a
= F (x) − F (a)
74
und damit
Φ0 (x) = (F (x) − F (a))0
= f (x).
Wir halten fest:
Jede durch eine stetige Funktion f induzierte Integralfunktion ist
auch eine Stammfunktion von f .
Diese Variante der Funktionsdefinition ist in der Statistik sehr wichtig. Außerdem nutzen Mathematiker sie oft, wenn man zu einer Funktion keine
explizit aufschreibbare Stammfunktion finden kann.
Beispiel: Die harmlos aussehende Funktion
f (x) = e−x
2
hat es hinsichtlich der Stammfunktionssuche in sich! Man weiß aufgrund ihrer
Stetigkeit, dass sie eine Stammfunktion haben muss. Diese Existenz-Aussage
hilft aber bei der Frage, wie denn die Funktionsgleichung einer Stammfunktion aussieht, überhaupt nicht weiter. Also behilft man sich mittels einer
Integralfunktion:
Z
x
2
e−t dt
Φ(x) =
1
ist nach unseren obigen Überlegungen eine Stammfunktion von f . Die Wahl
von 1 als untere Integrationsrenze ist dabei willkürlich.
8.3
Partielle Integration
In der Differentialrechnung haben wir die Ableitungsregel
(f · g)0 = f 0 g + f g 0
für das Produkt zweier differenzierbarer Funktionen kennengelernt. Wir bilden auf beiden Seiten das unbestimmte Integral. Da Integration und Differentiation sich gegenseitig aufheben, ist
Z
(f · g)0 dx = f · g + C.
75
Wegen der Linearität des Integrals wird bei der Stammfunktionsbildung die
rechte Seite der Produktregel zu
Z
Z
Z
0
0
0
(f g + f g ) dx = f g dx + f g 0 dx + C.
Bringen wir die beiden letzten Gleichungen zusammen, so erhalten wir
Z
Z
0
f · g = f g dx + f g 0 dx + C
oder nach einem12 der Integrale umgestellt
Z
Z
0
f g dx = f · g − f g 0 dx.
Wir fassen zusammen:
Sind die Funktionen f und g differenzierbar, so gilt für das Produkt f 0 · g
Z
Z
0
f (x)g(x) dx = f (x) · g(x) − f (x)g 0 (x) dx + C
Diese Integrationstechnik bezeichnet man als partielle Integration, weil nur ein Teil des Anfangsintegrals aufgelöst wird und
üblicherweise ein Restintegral verbleibt. Für das bestimmte Integral entlang eines Intervalls [a, b] gilt dann
Z b
Z b
b
0
f (x)g(x) dx = [f (x) · g(x)]a −
f (x)g 0 (x) dx
a
a
Der Clou bei der partiellen Integration besteht nun darin, sich geschickt zu
überlegen, welche Funktion als bereits abgeleitet (als f 0 ) angesehen werden
soll und welche als noch abzuleiten (als g).
Beispiele:
• Gesucht ist
Z
x · ex dx.
Wir wählen f 0 (x) = ex und g(x) = x. Dann ergibt sich
12
die Umstellung
R
f g 0 dx = f g −
R
f 0 g dx ist genauso gut und richtig.
76
Z
x
x
Z
x · e dx = x · e −
ex · 1 dx
= x · ex − ex
= (x − 1) ex ,
wobei wir zur Übersichtlichkeit die Integrationskonstante C weggelassen haben. Beruhigenderweise können wir unser Ergebnis der Ableitungsprobe unterziehen:
{(x − 1) · ex }0 = (x − 1)0 · ex + (x − 1) · (ex )0
= 1 · ex + x · ex − ex
= x · ex .
• Um eine Stammfunktion von ln x zu bestimmen schreibt man die Funktion als
ln x = 1 · ln x
und wählt nun g(x) = ln x und f 0 (x) = 1. Dann ist
Z
Z
1
1 · ln x = x · ln x − x · dx + C
x
Z
= x ln x − 1 dx + C
= x ln x − x + C.
.
Die Ableitungsprobe ergibt
(x ln x − x)0 = (x ln x)0 − 1
1
=
1 · ln x + x ·
−1
x
= ln x.
77
9
Ökonomische Modelle III: Konsumentenrente und Produzentenrente
Wir betrachten in diesem Abschnitt eine stetige13 und monoton steigende
Angebotsfunktion pA und eine stetige und monoton fallende Nachfragefunktion pN . Außerdem nehmen wir an, dass ein Marktgleichgewicht (xG , pG )
existiert, das die tatsächlich gehandelte Menge xG und den zustandegekommenen Marktpreis pG darstellt.
Die Konsumenten (Nachfrager), die bereit gewesen wären, einen höheren
Preis als pG zu entrichten, haben durch das Zustandekommen des Gleichgewichtes einen Vorteil. Den Gesamtbetrag, den alle Konsumenten einsparen,
bezeichnet man als Konsumentenrente. Wir schreiben dafür kurz RN . Diese Konsumenrente wollen wir im folgenden berechnen.
Wenn bereits eine Nachfrage nach x0 Mengeneinheiten des Produktes besteht und weitere ∆x Mengenheiten nachgefragt werden, so ist pN (x0 ) · ∆x
der Maximalbetrag, der von den Konsumenten für ∆x bezahlt wird. Der
Gesamtbetrag, den alle Konsumenten bereit wären auszugeben, ist dann
Z xG
pN (x) dx.
0
Tatsächlich zahlen die Konsumenten aber nur einen Gesamtbetrag von xG ·pG .
Die Differenz dieser beiden Beträge ist die Konsumentenrente
Z xG
RN =
pN (x) dx − xG pG
0
Z xG
pN (x) − pG dx.
=
0
Nun profitieren aber auch die Produzenten vom Zustandekommen des Marktgleichgewichts: einige von ihnen wären ja auch bereit, für einen geringeren
Preis als den Gleichgewichtspreis das Gut anzubieten. Der Gesamtbetrag,
den alle Anbieter mehr umsetzen, heisst Produzentenrente, kurz RA . Beim
Verkauf gemäß der Angebotsfunktion pA würden die Produzenten einen Betrag in Höhe von
Z
xG
pA (x) dx
0
13
Die Stetigkeit fordern wir, damit wir sorglos von dazugehörigen Stammfunktionen
sprechen können
78
umsetzen. Also lässt sich die Produzentenrente berechnen durch
Z xG
RA = pG xxG −
pA (x) dx
0
Z xG
=
pG − pA (x) dx.
0
Beispiel: Wir haben bereits ausgerechnet, dass für die beiden Preis-AbsatzFunktion
1
pN (x) = − x + 100
2
pA (x) = 2x + 25
das Marktgleichgewicht bei (xG , pG ) = (30, 85) liegt. Damit ist
Z 30
1
− x + 100 − 85 dx
RN =
2
Z0 30
1
− x + 15 dx
=
2
0
30
1 2
= − x + 15x
4
0
2
30
= −
+ 15 · 30
4
= 225.
Für die Produzentenrente erhalten wir
Z 30
RA =
85 − 2x + 25 dx
0
Z 30
=
−2x + 60 dx
0
30
= −x2 + 60x 0
= −302 + 60 · 30
= 900.
79
10
Crashkurs Multivariate Differentialrechnung
Für zahlreiche Anwendungen reicht die Annahme, dass eine quantifizierbare
Größe nur von einer anderen quantifizierbaren Größe abhängt, nicht aus.
Daher betrachten wir in diesem Kapitel multivariate Funktionen der Form
f : Rn → R.
Beispiel: In der Volkwirtschaftslehre begegnen einem gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktionen f : R4 → R mit
Y = f (A, B, K, T ),
wobei Y das Sozialprodukt bezeichnet und A, B, K und T die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Kapital und technischer Fortschritt.
10.1
Partielle Ableitungen
Aus Zeitgründen können wir an dieser Stelle nicht formal den Differenzierbarbeitsbegriff für Funktionen mehrerer Veränderlicher eingehen. Für ein intensiveres Studium der Inhalte dieses Kapitels sei auf die Lehrbücher von
Sydsaeter und Hammond bzw. von Arens et. al. verwiesen.
Partielle Ableitungen erster Ordnung. Für eine multivariate Funktion
f : Rn → R definieren für 1 ≤ k ≤ n die k-te partielle Ableitung (erster
Ordnung)
∂
f (x1 , . . . , xk , . . . xn )
∂xk
als die Funktion, bei der der Funktionsterm von f nach xk abgeleitet wird.
Die anderen Variablen x1 , . . . , xk−1 , xk+1 , . . . , xn werden dabei als fixiert betrachtet (was ökonomisch mit der ceteris-paribus-Bedingung korrespondiert).
Beispiele:
• Für die Funktion f : R3 → R mit
2
f (x1 , x2 , x3 ) = x1 · ex2 x3
80
sind die partiellen Ableitungen
2
∂
f (x1 , x2 , x3 ) = ex2 x3
∂x1
2
∂
f (x1 , x2 , x3 ) = 2x1 x2 x3 · ex2 x3
∂x2
2
∂
f (x1 , x2 , x3 ) = x1 x22 · ex2 x3 .
∂x3
• Die partiellen Ableitungen von g : R2 → R mit
g(x, y) = x + x2 + 2y 3
sind
∂
g(x, y) = 1 + 2x
∂x
∂
g(x, y) = 6y 2 .
∂x
Partielle Ableitungen höherer Ordnung. Mit
∂
∂2
∂
f (x1 , . . . , xn ) :=
f (x1 , . . . , xk , . . . xn )
∂xm ∂xk
∂xm ∂xk
bezeichnen wir die partielle Ableitung nach der m-ten Variablen der partiellen
Ableitung nach der k-ten Variablen. Da hier insgesamt zweimal (wenn auch
nach unterschiedlichen Variablen) partiell differenziert wurde, nennen wir
diese Funktion eine partielle Ableitung zweiter Ordnung. Wird zwei
mal nach der selben Variablen xk partiell abgeleitet, so schreibt man dafür
auch
∂2
f (x1 , . . . , xk , . . . xn ).
∂x2k
Partielle Ableitungen höherer Ordnung werden analog definiert.
Beispiel: Für die Funktion g aus dem obigen Beispiel sind die partiellen
81
Ableitungen zweiter Ordnung
∂2
g(x, y)
∂x2
∂2
g(x, y)
∂y 2
∂2
g(x, y)
∂y∂x
∂2
g(x, y)
∂x∂y
= 2
= 12y
= 0
= 0
In diesem Beispiel stimmen die zweiten partiellen Ableitungen
∂ 2g
und
∂y∂x
∂ 2g
trivialerweise überein. Tatsächlich ist dies aber für multivariate Funk∂x∂y
tionen mit hinreichenden Zusatzbedingungen eine Gesetzmäßigkeit.
Die Untersuchung multivariater Funktionen auf Extrema werden im Rahmen
der Übungsaufgaben behandelt.
82
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