Leseprobe zum Titel: Empirisch forschen lernen

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Von der Fragestellung zur Untersuchung
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Entscheidung für eine bestimmte Operationalisierung ist letztlich
immer eine normative Entscheidung, die wie die Wahl der Variablen den Raum möglicher Ergebnisse einer Untersuchung definiert.
1.3 Von Daten zu Erkenntnissen
Empirische Untersuchungen werden durchgeführt, um bestimmte
Fragen zu klären – letztendlich dienen sie also dem Erkenntnisgewinn. Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der (wissenschaftlichen) Erkenntnis über die Welt werden im Rahmen der
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie thematisiert. Dabei werden
Fragen diskutiert wie etwa: Was können wir Menschen im Prinzip
über die Welt herausfinden? In welcher Beziehung steht unser Wissen über die Welt zu den Dingen in der Welt? Kommen wir zu „gesicherten“ Erkenntnissen und, wenn ja, wie? Nach welchen Regeln
und Prinzipien „funktioniert“ Wissenschaft?
Wissenschaftsund Erkenntnistheorie
In Bezug auf diese Frage werden eine ganze Reihe unterschiedlicher
Grundpositionen diskutiert. Manche gehen bereits auf die „alten
Griechen“ zurück, zum Beispiel auf Platon (427–347 vor Christus)
und Aristoteles (384–322 vor Christus). Zwei wichtige Paare werden im Folgenden charakterisiert, in der Kürze zwangsläufig stark
vereinfacht und plakativ (vgl. Westermann, 2000).
Grundpositionen
Nach der Position des Realismus gibt es eine von uns unabhängige
Wirklichkeit, die wir durch Wahrnehmung erkennen können. „Die
Dinge sind genau so, wie sie uns erscheinen“, würde man als naiver
Realist sagen; ein kritischer Realist ließe zumindest die genaue
Beziehung zwischen Wirklichkeit und menschlichem Denken offen.
Der Idealismus hingegen vertritt die Position, dass die Wirklichkeit
nicht unabhängig von der geistigen Welt ist: „Alle Dinge, auch
materielle, werden durch nicht-materielle Ideen zur Existenz
gebracht.“
Realismus vs.
Idealismus
Gemäß dem Empirismus leiten Sinneserfahrungen den Erkenntnisprozess und sind wichtigste Erkenntnisquelle. Der Erkenntnisgewinn erfolgt induktiv, das heißt, es wird von beobachteten
Einzelphänomenen auf allgemeine Regeln geschlossen. Bekannte
Vertreter des klassischen Empirismus sind John Locke (1632–1704)
Empirismus vs.
Rationalismus
© 2016 Hogrefe Verlag, Bern
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.
Aus: Sieghard Beller; Empirisch forschen lernen. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage.
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Paradigmen der
Psychologie
Der Behaviorismus
setzte, als Gegenbewegung zum introspektiven Vorgehen
der phänomenologischen Psychologie,
allein auf beobachtbares Verhalten. Mit
der Kognitiven Wende rückten ab den
1950er Jahren dann
wieder mentale Phänomene ins Zentrum
des Interesses. Das
jeweilige Paradigma
bestimmte so Fragestellungen und Forschungsmethoden.
Kapitel 1
und David Hume (1711–1776). Die Gegenposition, der Rationalismus, betont, dass das Denken den Erkenntnisprozess leitet. Ideen
regen Untersuchungen an, bestimmen ihren Zuschnitt und werden
anhand von Beobachtungen „überprüft“. Als Begründer des klassischen Rationalismus gilt René Descartes (1596–1650); ein weiterer
bekannter Vertreter ist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716).
Der wichtigste neuzeitliche Vertreter und Begründer des so genannten kritischen Rationalismus ist der britisch-österreichische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Popper (1902–1994),
dem die Englische Königin 1965 für sein Lebenswerk den Adelstitel
verliehen hat. Ein wichtiges Prinzip bei Popper ist, Theorien zu prüfen, indem man sie zu falsifizieren versucht. Thomas Kuhn (1922–
1996) hingegen stellte fest, dass Forschung diesem Prinzip nicht
streng folgt. Fortschritt ergibt sich eher durch „Revolution“, wenn
ein Forschungsparadigma durch ein neues abgelöst wird.
Weitere Positionen
Einige weitere wichtige Positionen seien zumindest noch kurz
erwähnt: Konstruktivisten betonen, dass Erkenntnis nicht absolut ist,
sondern eine individuelle beziehungsweise soziale Konstruktion
von Wirklichkeit darstellt. Pragmatiker betonen den Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis für die praktische Anwendung, Konventionalisten betonen die oft stillschweigenden Regeln im Wissenschaftsbetrieb etwa darüber, was interessante Forschungsfragen
oder angemessene Methoden sind, und radikale Skeptiker schließlich bezweifeln, dass der Mensch überhaupt zu gesicherten Erkenntnissen gelangen kann.
Reflexion der
eigenen Position
Je nachdem, welche Position man selbst einnimmt, resultiert ein
anderes wissenschaftliches Interesse und Vorgehen. Die Grundposition bestimmt wesentlich, welche Fragestellungen für interessant
erachtet werden, wie man eine Fragestellung in eine konkrete Untersuchung umsetzt und welche Erkenntnisse über die Natur der untersuchten Gegenstände man aus den Ergebnissen gewinnen zu können
glaubt. Personen, die selbst empirisch arbeiten, gehören definitiv
nicht zu den Skeptikern, denn sie gehen davon aus, dass sie durch
empirische Untersuchungen Antworten auf ihre Fragen erhalten
können. Meist wird eine Mischung aus verschiedenen Positionen
vertreten. Es wird davon ausgegangen, dass es eine vom Menschen
unabhängige Realität gibt, in der manche Aspekte systematisch
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Von der Fragestellung zur Untersuchung
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zusammenhängen. Diese Zusammenhänge versucht man in Theorien zu fassen, sodass Ereignisse vorhersagbar werden und die
Wirklichkeit aktiv verändert werden kann. Theorien sind symbolische Repräsentationen dieser Zusammenhänge – zum Beispiel in
Form von mathematischen Formeln – und als solche sind sie vom
Menschen konstruiert. Gebildet, geprüft und modifiziert werden sie
in einem Wechselspiel von induktiven Prozessen wie der Generalisierung von Beobachtungen und deduktiven Prozessen wie der systematischen logischen Ableitung von Vorhersagen aus Theorien.
Theorie
Deduktion
Hypothese
Induktion
Beobachtung
1.4 Der Ablauf einer Untersuchung
Nachdem einige zentrale Begriffe nun geklärt sind, soll zum Schluss
dieses Kapitels der allgemeine Ablauf einer empirischen Untersuchung schematisch dargestellt werden. Verbunden damit ist eine
Übersicht über die nachfolgenden Kapitel. Empirische Untersuchungen bestehen aus einer systematischen Erhebung und Auswertung von Erfahrungsdaten. Dabei lassen sich grob die folgenden
charakteristischen Schritte unterscheiden.
Im Stadium der Vorbereitung einer Untersuchung sollte Klarheit
darüber erzielt werden, welche Fragestellung genau untersucht werden soll. Gibt es bekannte Theorien zu dieser Frage? Liegen bereits
Erkenntnisse aus anderen Untersuchungen vor, die man berücksichtigen muss? Hat man eine konkrete inhaltliche Hypothese? Darüber
hinaus sind aber auch die Rahmenbedingungen zu klären, welche
die praktische Umsetzung der Untersuchung betreffen: Wer ist der
Auftraggeber? Wie sind Verantwortlichkeiten verteilt? Welche
Finanzmittel stehen zur Verfügung? Wie werden Kooperationen
realisiert? Wie sieht der zeitliche Rahmen aus? Oder auch: Wie dürfen potenzielle Ergebnisse verwertet werden?
Allgemeine
Vorbereitung
Sind die allgemeinen Aspekte geklärt, geht es an die konkrete Planung. Die zentrale Frage lautet: Wie ist die Untersuchung zu gestalten, damit die Fragestellung überhaupt sinnvoll beantwortet werden
kann? Hierzu sind eine Reihe ineinandergreifender Festlegungen
notwendig, welche die Variablen, den so genannten Versuchsplan
(oder das Versuchsdesign) und die Stichprobe betreffen.
Spezifische
Planung
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Kapitel 1
Kapitel 1
Fragestellung
Kapitel 7
Kapitel 2
Ergebnisbericht
Erhebungsmethoden
Empirische
Kapitel 6
Kapitel 3
Untersuchung
Deskriptive
Statistik
Designs und
Testverfahren
Kapitel 5
Kapitel 4
Prinzip des
Signifikanztests
Stichprobenwahl
Abbildung 1: Der Kreis der behandelten Themen reicht von der Entwicklung der Fragestellung bis zum Ergebnisbericht.
Variablen
bestimmen
Im Hinblick auf die Variablen ist zu fragen: Welche sind überhaupt
relevant (Selektionsproblem)? Soll die Auswirkung bestimmter
unabhängiger Variablen geprüft werden? Sind Moderatorvariablen
bekannt, die berücksichtigt werden müssen? Welche abhängigen
Variablen sollen erhoben werden? Und wie sollen die Variablen
operationalisiert werden? – In Kapitel 2 werden nach einer genaueren Besprechung des Begriffs der Messung eine Reihe grundlegender Erhebungsverfahren mit ihren Stärken und Schwächen
vorgestellt: Kategoriensysteme zum Beispiel für die Verhaltensbeobachtung, Verfahren zur Erhebung von Einschätzungen, der Einsatz von Interviews und Fragebögen sowie psychologische Tests
mit den Grundzügen der zugrunde liegenden Testtheorie.
Versuchsplan
entwerfen
Bei der Vorbereitung einer Untersuchung muss man sich zudem für
einen konkreten Versuchsplan entscheiden. Will man nur den aktuellen Status einzelner Merkmale beschreiben oder will man Hypo-
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Von der Fragestellung zur Untersuchung
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Freiheit der Forschung und soziale Verantwortung
„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (Art. 5, Abs. 3,
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland). – Forschung soll frei
sein, etwa frei von politischer Einflussnahme und Kontrolle. Diese Freiheit ist formell unbegrenzt und stellt einen Wert für sich dar; sie ist jedoch
beschränkt, sofern Rechte anderer betroffen sind, und eng geknüpft an
die soziale Verantwortung der Forscher. Diese haben natürlich andere
Ziele und Interessen als die „Beforschten“ und die Gesellschaft. Dieses
Spannungsfeld wird in ethischen Richtlinien reflektiert, die von Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) formuliert werden. Sie definieren „gute wissenschaftliche Praxis“ und helfen
dabei, ethische Probleme frühzeitig zu erkennen und konfligierende Interessen gegeneinander abzuwägen.
thesen über Zusammenhänge zwischen Merkmalen oder über die
kausale Wirksamkeit einer unabhängigen Variablen prüfen? Das
Vorgehen bei der ersten Art der Untersuchung wird in Kapitel 4
behandelt. Als Grundlage hypothesenprüfender Untersuchungen
wird in Kapitel 5 das Prinzip des Signifikanztests vorgestellt. In
Kapitel 6 folgen dann verschiedene Versuchsdesigns für diese Art
von Untersuchungen. In diesem Zusammenhang werden auch Möglichkeiten vorgestellt, mit potenziellen Störvariablen umzugehen.
Schließlich ist zu überlegen, welche Stichprobe von Personen untersucht werden soll. In den meisten Fällen wird man aus praktischen
Gründen nur einen Bruchteil der Personen der eigentlichen Zielgruppe („Population“) untersuchen können. Wichtig ist deshalb,
eine repräsentative Auswahl von Personen zu gewinnen. Welche
Arten von Stichproben es gibt, wie man Repräsentativität gewährleistet und wie präzise Ergebnisse aus Stichprobenuntersuchungen
sind, wird ebenfalls in Kapitel 4 besprochen.
Stichprobe
auswählen
Nachdem die Untersuchung durchgeführt wurde und alle relevanten
Variablen erhoben sind, müssen die Daten ausgewertet und in
Bezug auf die Fragestellung interpretiert werden. Deskriptive Statistiken geben einen Überblick über die Merkmalsverteilungen in
der Stichprobe. Wichtige statistische Kennwerte hierfür werden in
Kapitel 3 eingeführt, wo außerdem Fehler und Fallen deskriptiver
Statistiken besprochen werden. Kapitel 6 erklärt die Grundlagen
einiger einfacher statistischer Tests.
Daten
analysieren
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