Essay06 ÖsterreichischePhilosophieolympiade2017 Thema2 ZumPotentialderVeränderung oderwiederRationalismusmiteinemkleinen,schmückenden„kritisch“versehenwurde. WennmanHansAlbertGlaubenschenkendarf,istunsereArtderWeltauffassungeinesehrsubjektive.Eine These,dieeinemWerkmitdemTitel„PlädoyerfürkritischenRationalismus“entstammt.Dochbeiallem Wohlwollen,dieTatsache,dassunserekognitivenStrukturen,alsounsereVernunft,dieKorrelationenzwischen zahlreichenNeuronen,offenfürVeränderungensindbedeutet,dassunsereWeitsichtziemlichinstabilundvor allemvonaußenbestimmtist.EinsolcherAnsatzklingtehernachkritischalsnachRationalismus.Letzterehat wohlseitseinerBlüteeinigesanObjektivitäteingebüßt.WannistdermenschlicheGeistsoschwankend geworden?ZuZeitendesAristotelesundseinemPeripatoswarherumwandelnschließlichnochmodisch… IndiesemKontextscheintesbeinaheverpflichtend,einebeliebteFehdewiederaufzurollen. Nämlichdie,zwischenRationalismusundEmpirismus,zwischenFranzosenundBriten,ReneDescartesund DavidHume.LautDescartesspieledieVernunftdieentscheidendeRolle,wenneszurErkenntniskommt,ein UrteilsolldurchNachdenkenundKalkül,apriori,gelöstwerden.AlsGegenpositiondazustütztsichHume hingegenaufErfahrung,durchExperimente,ausAfolgtB,gelangemanzuobjektiverErkenntnisaposteriori. KurzumnähertsichHansAlbertsZitataufdemerstenBlickeherdemEmpirismusalsdemRationalismus.Genau genommenwirddieVernunftalsmaßgebendeobjektiveInstanzsogarihresAmtesenthoben.EineRatio,ein kognitiverAufbau,deraufkeinGrundprinzipberuhenkann,beziehungsweisesichständigändert,inwelcher Hinsichtauchimmer,klingtwenigvertrauenswürdig.VerändertwirddieVernunfttatsächlichdurchdas empirischePhänomenderErfahrung,durchEinflussvonaußen.DankdieserWandelbarkeitgehtjedochauch derErfahrungihreObjektivitätverlorenunddieThesekannsichauchmitdemEmpirismusnichtinEinklang bringenlassen. SiehtganzsoausalshättesichAlbertgleichzweiFeindegeschaffen. Dennoch?InwiefernkanndieseSorteRationalismusalsonochalsobjektivbezeichnetwerden?Immerhin geltenineinemGeist,dersichständigimUmbaubefindet,einerWeltauffassung,dieniemalsendgültigist, keinewederrationalenochempirischeRegeln. EineAussageDavidHumesverschlimmertdasDilemmanochweiter.„Thereisnobeautyintheobject“,sprach er.Nichts,daswirsehen,oderdasjeglichesGefühlinunsauslöst,besitzedieseauchtatsächlichalsEigenschaft. EinKunstwerkistnichtvonsichausschön,eslöstvielmehreinGefühlvonSchönheitinunsaus.Äußere EinflüsselösenalsomehroderwenigerwillkürlichEmpfindungeninunsaus,dienachAlbertwiederumEinfluss aufunsereArtzudenkenausüben.DemaufmerksamenLeserdürftederkleineWiderspruchschonaufgefallen sein.WenneinPhänomenwieSchönheitinWirklichkeitgarnichtexistiert,sonderndurchchemischeProzesse inunserenGehirnenzustandekommt,istdieAußenweltgewissermaßenleer,ohnewirklicheQualität.Vorhin habenwirjedochfestgelegt,dassumAlbertsZitatzufolgen,Eindrückevonaußengegebenseinmüssen,um eineWeltsichtüberhauptabzuwandeln.JedochgibtesohneImpressionkeineVerarbeitungundumgekehrt. 1/4 Essay06 ÖsterreichischePhilosophieolympiade2017 Thema2 WennalsoauchderEindruckselbstentbehrlichwird,wasbestimmtdanndieErkenntnisunddenBlickaufdie Welt?Wirwerdenspäterdaraufzurückkommen. InzwischenseiderVerwirrungetwasRaumzurEntfaltunggegeben. DawirnuneinSzenarioderUnsicherheitkreierthaben,dasdemRationalistenderaltenSchuleDescartesmit SicherheiteinigeGeschwürebescherthätte,könnenwirdasGanzegenausogutandieSpitzetreiben.Unsere Weitsichtkannsichnichtbloßändern,sietutesauch,bessergesagthatsiewahrscheinlichniemalsauchnur füreinenMomentstillgestanden.DasentsprichtgewissermaßeneinerromantischenAuffassungvon Erkenntnis.DasUmfeldliefertEindrücke,diewiederumundeterminiertundfreiverarbeitetwerden.Lässtsich unterdiesenUmständennochvonVernunftsbetontheitsprechen?EsbestehtdochdieGefahr,inreinerWillkür zuenden. Istesdemnachüberhauptwünschenswert,derartigoffenfürVeränderungzusein? GenaugenommenverneintAlbertjeglichefixeInstanz,aucheinebeispielsweisemoralische.Nehmenwiran, einfestermoralischerKodexinunsrenKöpfenwärenichtsalsAngriffsflächefürVeränderungenallerArt. NehmenwiranunserGehirn,sowieAlbertesbeschreibt,kannsichnichtanderleiNormenbinden,auchwenn esmöchte.DasskeinKonzeptapriorifixiertistbedeutetimPrinzipnichtsanderes,alsdasskeinesVorranghat. ZwischenMoralundNicht-MoralentscheidetderAugenblick,dieVerfassungdesIndividuums,unddurcheine vermeintlicheKleinigkeitwirddasWeltbildeinesMenschenumgestülpt.ZugegebeneineextremeArtandas Themaheranzugehen,eineArtChaostheoriedermenschlichenPsyche.EinkleinerAuslöserhatunterden richtigenUmständendasPotential,daszarteKonstruktunserergeistigenAusrichtungzuzerbrechenund vollkommenneuwiederaufzubauen.DieseTheorieamBeispielderMoralweitergeführtistrelativ beunruhigend.EsentstehtnämlicheineArtNihilismus,eineVerneinungderMoral,diesichmitFriedrich NietzschesKritikanderselbenin„DieGenealogiederMoral“deckt.NachNietzschewirdjenewillkürlich determiniertnachZeitgeistundgeschichtlichenUmständenundkanndemnachnichtalseinheitlichundgut abstrahiertwerden.EinpessimistischerAnsatz,derbeinähererBetrachtungaufAlbertsZitatdurchauszutrifft. VeränderungdesmanipulierbarenmenschlichenErkenntnisvermögensundderSichtweiseaufdieWeltkann alsodurchausalsetwassehrNegativesinterpretiertwerden.Angstvorzuvieldavon,voreinerregelrechten Massenumpolung,voreinerAufhebungdervermeintlichenVernunft,wiesiebisherwar,zeigtsichan geschichtlichenBeispielen.Verfassungen,dienachdemZweitenWeltkriegkonstituiertwurden,gelten teilweiseheutenochalsdievollständigstenund„besten“,dasieinHinblickaufPräventionverfasstwurden. Manwollteverhindern,dasseinesolchmassiveUmgestaltungdesZeitgeistesundallihrekatastrophalen FolgeneinweiteresMalpassierten.StrenggenommeneineweitereVeränderungimZugederersten,ausder maneineEntwicklungnichtleugnenkann. SobetrachtetläuftdasGanzeaufeineArtteleologischenProzesshinaus. 2/4 Essay06 ÖsterreichischePhilosophieolympiade2017 Thema2 NehmenwirvonobigemPessimismuskurzAbstandundgehendaraufein,dassAlbertsStrukturen möglicherweiseausgutemGrundnichtfixiertundoffensind.Vielleichtsindsiegewissermaßenoffennach oben.UnsereSichtderWeltistimPrinzipnurwandelbar,umihrRaumzurEntwicklungundzurVerbesserung zugeben.SichalspositivBewährteswirdeingehalten,derRestineinemfortwährendenProzessdemBestand angeglichenundausgebessert.DieFähigkeitzurVeränderungkannzweifelsohneauchalsPotentialgesehen werden,eineeigentlichaufdieDauersichereMethode,zumFortschrittaufindividuellerundgesellschaftlicher Ebene.StatistischgesehenmüsstedieMenschheitnurlangegenugbestehen,umdurchtrialanderrorzur VollendungderProzedurzugelangen.DiesentsprichtimnäherenSinneHegelsteleologischemWeltbild,das sichinRichtungeinesabsolutenGeistesentwickelt. MitdemZieleinerGesellschaft,diegarkeinerVeränderungmehrbedarf. NachdemBeispieleinerGesellschaftohnejeglicheMoralvielleichteineInterpretation,diederspontanen WirkungderWorte„kritischerRationalismus“aufdenLeserbesserentspricht.Vielleichtliegtesdaran,anhand voneinemneuzudefinierendenVernunftsprinzipfestzulegen,welcheVeränderungennunförderlichsindund welcheweniger,eineFähigkeitzurSelektion.DochhierzubräuchteeswiederumeinenEinheitskodex,der besagt,welcheArtvonEindrückenundAbwandlungendereigenenkognitivenStrukturenzubefürwortenwäre undwelchenicht.Undwiefestgestelltkönntesichdaranjawiederkeinerhalten. WovonwirdalsounsereWeltsichtaufersterStufedeterminiert?WobleibtderabsoluteGeistbeiAlbert? UmdieJahrhundertwendebeschlossClaudeMonetineinemAnflugvonProvokationseinAtelierzuverlassen undauffreierFlurzumalen.ErmalteeinenSonnenaufgang,bessergesagtdenEindruck,deneraufihnhatte. „Impressionsoleillevant“begründetetdieStilrichtungdesImpressionismus,vertreteninbildenderKunstwie auchinderLiteratur.DieEmpfänglichkeitfürVeränderungschafftnichtnurAnfälligkeitfürManipulationund Nihilismus,sondernauchschöneKunst.DeviationvomGewesenenimpositivstenSinne.UndimFalleMonets eindeutigdeterminiertvomEindruck,derImpressionaufdenKünstler.EsscheintdemMalergelungenzusein, dieobengenannte„Filterung“vonVeränderungdurchzuführen,kurzumwahrzunehmen,wasnunseine kognitiveStrukturbesserbeeinflusseundwasnicht. NachAlbertkommenwirgewissermaßenalstabularasazurWelt,werdengeprägtvonErfahrungund ErkenntniswieWasser,dasmanineinengläserneneinerbestimmtenFormKruggießt.DochderKrugistnoch nichterstarrtistundnochaufderSuchenachseinerwahrenForm.Waswiederumimpliziert,dasseseine endgültigeFormdesmetaphorischenKrugesgibt.ManwendedasbereitserwähnteteleologischePrinzip diesmalnichtaufeineGesellschaftoderdieganzeMenschheit,sondernaufeinIndividuuman.Was unterscheidetbloßClaudeMonet,diesenverdammtgutgeformtenWasserkrug,vondenanderen? WennmandemWortderNeurologenglaubendarf,denkenkünstlerischbegabteMenschen–Musiker gleichermaßenwieLiteraten–aufeineArtundWeise,diesichoftmalsvoneinergewöhnlichen Betrachtungsweiseunterscheidet. 3/4 Essay06 ÖsterreichischePhilosophieolympiade2017 Thema2 AusdieserdifferenziertenWeltanschauungheraussprecheichMonet(alszufälligerVertreterderGattung Künstler)diesewertvolleGabedesFilternszu.ImSchaffensprozessgehteineAuslesevonsich,diezwischen besserenundschlechteren,nützlichenundwenigernützlichenEindrückenauswählt.Schließlichwerdennur diejenigenverarbeitet,diedemIndividuum,imbestenFallederganzenGesellschaft,denbestmöglichen geistigenFortschrittundeineArtVerwirklichungdeseigenenselbstmitsichbringen.DerVorteilliegtim DurchgehendesgesamtenInputsundwiederumscheintunserDenkennichtohneGrundsoanfälligfür Wandel. Vielleichtistesgut,demRationalismusseineObjektivitätzunehmenundsichnichtaufdieeineVernunftzu beschränken. AllerdingsfälltbeirealistischerBetrachtungsofortauf,dasseigentlicheinGroßteilderMenschheitdochganz passabeldazuinderLageist,sichanMaßstäbeundNormenzuhalten.DieRatioselbstscheintalsstabiles, nichtallzuseltenalsunfehlbarangesehenesElement.VielleichtfragenSiesichmittlerweileauchschon,warum siedennimmernochkeinKünstlersind,obwohlSiesehrwohlselbstfiltern,Veränderungenselektieren.Ein ersterSchrittwäreessichdesgroßenGewinns,denderFaiblezurVeränderungmitsichbringt,zuerkennen undsichseinernichtzuunterschätzendenGefahrdennochbewusstzusein.ZugegebenhoheForderungen. Dochwovondieserkomplizierte,VerwirrungstiftendeErkenntnisprozess,wieervonAlbertdargestelltwird, schließlichausgelöstwird,bleibtimmernochimUnklaren.VielleichtistdietreibendeKraftdahintertatsächlich dieFähigkeitzudem,dasHansAlbert„kritischenRationalismus“nennt.EineFähigkeitdiemanhatodereben nicht.UnddasPlädoyerdazuistklar.EsisteinAufrufzumbewusstenWahrnehmenderVeränderungundzur kritischenAuslese.DenngenaudiesesKönnenisttatsächlichausschlaggebenddarüber,wiewirdieWelt beschreibenunderfassen.DieTatsache,dassderRationalismuseinesTagesmiteinemkleinen,schmückenden „kritisch“versehenwurde. DerTag,andemdieMenschheitwandelbarwurde,istgewisskeinSchandmal. 4/4