Artikel aus der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 20.11.2013, Seite 29: Was Regulatoren Bauchweh macht Eine Nische im amerikanischen Hypothekarmarkt als Risiko für die Finanzstabilität Eine halbe Billion Dollar ist die Nische gross, die weltweit den Argwohn von Aufsichtsbehörden erweckt. Es handelt sich um «M-Reits», die Hypothekenpapiere von Fannie Mae und Freddie Mac kaufen und diese sehr kurzfristig refinanzieren. Christoph Eisenring, Washington Vor der Krise hatte kaum jemand die Subprime-Hypotheken auf dem Radar. Im Mai 2007 und damit kurz bevor die Probleme damit begannen, machten Subprime-Ausleihungen 14% aller Hypotheken in den USA aus. Es macht deshalb hellhörig, wenn Aufsichtsbehörden eine neue Nische am amerikanischen Hypothekenmarkt ausgemacht haben, die Gefahren für die Finanzstabilität birgt. Die Rede ist von den sogenannten M-Reits. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich eine spezielle Form von «Real Estate Investment Trusts» (Reits): M-Reits investieren in mit Hypotheken unterlegte Wertschriften (MBS). Oft werden diese MBS von Fannie Mae und Freddie Mac verbrieft; dies sind die beiden amerikanischen Hypothekengiganten, die in der Krise vom Steuerzahler aufgefangen wurden. Geld vom Repo-Markt Laut der Federal Reserve Bank von Richmond wuchs das Volumen der M-Reits seit 2006 um 210% auf 443 Mrd. $. Wie andere Investmentgesellschaften sind sie steuerbefreit, sofern sie 90% der Gewinne an die Anleger als Dividenden ausschütten. Die Dividenden werden damit nur einmal, beim Anleger, besteuert. Am enormen Wachstum ist der Staat nicht unschuldig. So garantieren Freddie und Fannie den MBS-Investoren, dass die Hypothekarschuldner Zinsen zahlen und die Schuld amortisieren. Für diese Garantie erhalten sie von den Banken, die ihnen die Hypotheken zur Verbriefung überlassen, eine Entschädigung. Letztlich ist der Garant aber der Staat, da er die Institute kontrolliert. Dazu kommt, dass die amerikanische Notenbank für bisher 1,4 Bio. $ MBS erworben hat, was deren Preise in die Höhe getrieben hat. Schliesslich sind in den USA M-Reits von Verschuldungsgrenzen ausgenommen, die für Investmentfonds gelten. Allein die beiden grössten M-Reits, Annaly Capital Management und American Capital Agency, kamen Ende September zusammen auf ein MBS-Portfolio von 161 Mrd. $. Auf 1 $ Eigenkapital kommen bei M-Reits typischerweise 4 $ bis 9 $ an Fremdkapital. Zum Vergleich: Die streng regulierten Publikumsfonds dürfen auf 1 $ Eigenkapital höchstens 50 Cent Fremdkapital haben. Wie kommt ein M-Reit auf eine solche Hebelung? Er sammelt in einer ersten Runde bei Investoren Geld ein und kauft damit MBS. Auf dem Repo-Markt leiht sich der M-Reit dann zusätzliches Geld, indem er die MBS als Sicherheiten für Kredite hinterlegt. Dabei verlangen Kreditgeber typischerweise einen «Haircut» von 5%: Der Kredit ist 5% niedriger als der Wert der MBS. So hat der Kreditgeber einen Puffer, sollten die MBS an Wert verlieren. Kredite über den Repo-Markt sind kurzfristiger Natur. So beträgt die durchschnittliche Zeit bis zur Fälligkeit bei Annaly 200 Tage, bei American Capital Agency 112 Tage. Am RepoMarkt konnten sich diese Vehikel in den letzten Jahren bei einem Leitzins von nahe null sehr günstig refinanzieren. Die M-Reits verdienen somit Geld, indem sie Schulden auf die kurze Frist aufnehmen und damit lang laufende MBS kaufen - diese enthalten Hypotheken, die über 15 oder 30 Jahre laufen. Eine bedrohliche Spirale Aber weshalb können M-Reits für die Stabilität des Finanzsystems zum Problem werden? Wenn die kurzfristigen Zinsen rasch ansteigen - etwa, weil die Notenbank den Leitzins erhöht -, reduziert dies den Kurs der ausstehenden MBS, weil diese weniger abwerfen als neue, höher verzinsliche Alternativen. Wenn dieser Preisrückgang stark ausfällt, werden die Gegenparteien der M-Reits am Repo-Markt nervös. Und weil M-Reits 90% der Gewinne ausschütten müssen, haben sie nur wenig Reserven, um Stresssituationen zu überstehen. Bei Verlusten schmilzt das Eigenkapital rasch. Ein M-Reit muss dann Wertschriften verkaufen, um den Verschuldungsgrad wieder auf ein Niveau zu senken, mit dem die Gegenparteien am Repo-Markt leben können. Wenn aber viele M-Reits gleichzeitig so handeln, kann dies eine Preisspirale nach unten in Gang setzen. So sitzen plötzlich auch MBS-Investoren wie Banken auf Buchverlusten. Wenn nun auch sie beginnen, MBS zu verkaufen, wird es brenzlig. Staat dominiert Hausmarkt Dass dies kein rein hypothetisches Szenario ist, zeigte sich im Mai und Juni. Damals hatte Ben Bernanke in Aussicht gestellt, dass die Notenbank die Anleihenkäufe gegen Ende Jahr drosseln könnte (was bisher nicht geschah). Gemäss dem Internationalem Währungsfonds (IMF) verkauften damals die grössten M-Reits innerhalb einer Woche MBS für 30 Mrd. $. Diese Verkaufswelle habe den Anstieg der Hypothekarzinsen verstärkt, schreibt der IMF. Er schätzt, dass die Ankündigung einer Zinserhöhung um 100 Basispunkte den Wert eines typischen MBS-Portfolios um 10% senken würde. Die jüngste Episode bot deshalb einen Vorgeschmack darauf, was passieren könnte, wenn das Fed tatsächlich den Leitzins erhöht. Verborgene Risiken Die amerikanische Finanzmarktaufsicht hatte 2011 darüber nachgedacht, M-Reits wie Investmentfonds zu behandeln, womit auch strenge Verschuldungsgrenzen gälten. Entscheide sind bisher aber nicht gefallen. Gewiss, derzeit halten M-Reits laut Richmond-Fed erst 5,6% aller MBS von Freddie und Fannie. Dieser Anteil hat sich seit 2008 indessen fast verdreifacht. Es ist deshalb kein Schaden, wenn die Aufsichtsbehörden diese «Schattenbanken» im Auge behalten, auch wenn ihre Portfolios zuletzt geschrumpft sind. Wichtig wäre aber auch, dass sich der Staat aus dem Hypothekarmarkt zurückzöge. Fannie und Freddie sollten abgewickelt werden, denn staatliche Garantien verschleiern die wahren Risiken von Hypothekenpapieren.