Sozialmedizinische Aspekte beim Diabetes mellitus DDG – Kurs Klinische Diabetologie mit Schwerpunkt Pädiatrische Diabetologie München, im Februar 2013 Dr. med. Hermann Finck, Fulda Tel.: 0160 36 18 650 e-mail: [email protected] Die Betreuung von Diabetikern umfasst neben der Schulung und Stoffwechselführung auch die Beratung bei sozialen und sozialmedizinisch relevanten Fragen und Problemen. Im Fortbildungskurs „Klinische Diabetologie“ der DDG mit Schwerpunkt „Pädiatrische Diabetologie“ werden folgende sozialmedizinischen Themen referiert und diskutiert: Diabetes und Schwerbehinderung Diabetes und Führerschein Beim Thema Diabetes und Schwerbehinderung werden die Vorteile sowie auch die Nachteile der Schwerbehinderteneigenschaft dargestellt. Der Diabetologe muss den Patienten mit Diabetes vor der Antragstellung beim Versorgungsamt insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Nachteile (z.B. die Einstellungserschwernis bei der Arbeitsplatzsuche) beraten und auf sog. Bumerang-Effekte hinweisen können. Das Maß der krankheits- oder behinderungsbedingten Beeinträchtigung wird mit dem Grad der Behinderung (0 – 100) ausgedrückt. Schwerbehinderte im Sinne des Gesetzes sind Personen mit einem GdB von wenigstens 50. Gleichgestellte im Sinne des Gesetzes sind Personen mit einem GdB von wenigstens 30. Durch eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen können behinderte Menschen mit einem GdB von 30 oder 40 bestimmte Rechte erhalten, die ansonsten erst ab einem GdB von 50 bestehen. Folgende Nachteilsausgleiche werden aufgrund des Schwerbehindertenstatus gewährt: erhöhter Kündigungsschutz Zusatzurlaub von 5 Tagen Steuerfreibeträge (z.B. € 570.- bei GdB 50) Freistellung von Mehrarbeit Ermäßigungen verschiedener Art Begleitende Hilfen im Arbeitsleben vorgezogenes Altersruhegeld. Diesen Nachteilsausgleichen stehen folgende Nachteile entgegen: Einstellungserschwernis bei Arbeitsplatzsuche Selbstdiskriminierung Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus erhalten bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zusätzlich das Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit) mit folgenden Nachteilsausgleichen: unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr; SGB 9 §§ 145 - 147 Kraftfahrzeugsteuerbefreiung; KraftStG § 3a Abs. 1 (gilt auch für das Kfz. der Eltern) Pauschbetrag als außergewöhnliche Belastung in Höhe von 3.700 € gem. EStG § 33b Der Grad der Behinderung infolge von Krankheit oder Behinderung wird in den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (1) festgelegt, die ab 14. Juli 2010 beim Diabetes aufgrund von krankheitsbedingten Funktionseinschränkungen und Beeinträchtigungen folgenden Grad der Behinderung vorsehen: Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt ...................................................................... 0 Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt …………………….………………………………………………. 20 Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt ………………………...…………………………………… 30 bis 40 Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und die durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt ……………………………………………………….……………. 50 Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdBWerte bedingen. Beim Thema Diabetes und Führerschein werden mögliche Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit und der Fahrtauglichkeit sowie Eignungseinschränkungen beim Führen einzelner Fahrzeugklassen bei Diabetikern dargestellt. Die “Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“ [2] des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr und beim Bundesministerium für Gesundheit werden vorgestellt. Die Leitsätze zum Diabetes weisen Kraftfahrereignungseinschränkungen für Diabetiker mit schweren Stoffwechselentgleisungen mit Hypoglykämien oder Hyperglykämien mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinseinschränkungen sowie vorübergehende nach Stoffwechseldekompensation und Neueinstellung aus. Die im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht überarbeiteten Begutachtungs-Leitlinien enthalten die folgenden Leitsätze für den Diabetes: • • • • • Gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes können Fahrzeuge beider Gruppen sicher führen. (Gruppe 1= Fahrzeugklassen A+B; Gruppe 2= F-Klasse C+D) Therapieregime und Fahrzeugnutzung sind bei der Begutachtung zu berücksichtigen. Die Gefährdung der Verkehrssicherheit geht beim Diabetes mellitus in erster Linie vom Auftreten einer Hypoglykämie mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen aus. Eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung ist Voraussetzung für die Fahreignung. Menschen mit Diabetes mit mehr als einer fremdhilfebedürftigen Hypoglykämie im Wachzustand in den letzten 12 Monaten sind in der Regel zum Führen eines Kraftfahrzeugs solange ungeeignet, bis wieder eine hinreichende Stabilität der Stoffwechsellage sowie eine zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien sichergestellt ist. • Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder wer neu eingestellt wird, darf kein Fahrzeug führen, bis die Einstellphase durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage (incl. der Normalisierung des Sehvermögens) abgeschlossen ist. Für insulinbehandelte Diabetiker bestehen Eignungsbedenken für Kraftfahrzeugführer der Gruppe 2 (LKW-/Omnibus-/Taxi-Fahrer). Bei ausgeglichener Stoffwechsellage sind im Umgang mit der Erkrankung informierte Diabetiker, die mit Diät, oralen Antidiabetika oder mit Insulin behandelt werden, in der Lage, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (Motorräder, PKW) sicher zu führen. Diese Begutachtungs-Leitlinien müssen jedem in der Diabetikerberatung Tätigen bekannt sein, weil das zu erstellende ärztliche Gutachten der Rechtsinstanz – Verwaltungsbehörden (Führerscheinstellen) und Gerichten – begründete Aussagen über das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers ermöglichen soll. Die Veröffentlichung der überarbeiteten Leitlinien sowie der Fahrerlaubnisverordnung wird im Frühjahr 2013 erwartet. Auch für Pädiater haben diese Gesetzesnovellierungen sowie die juristischen Aspekte eine große Relevanz, weil das Thema „Hypoglykämie“ von großer Bedeutung sein wird und weil es auch für Jugendliche mit Diabetes bei der Beantragung der Fahrerlaubnis wichtige Aspekte im Zusammenhang mit dem Diabetes zu beachten gilt, zumal die Qualität der Stoffwechselführung und der Umgang mit dem Diabetes einschließlich der Hypoglykämieproblematik überprüft werden können. In der EU-Richtlinie wird zum Thema der Fahrtauglichkeit folgendes Postulat formuliert: Fahrzeugführer mit Diabetes sollten aufzeigen können, dass sie die mit Hypoglykämie verbundenen Risiken verstehen und ihren Zustand angemessen beherrschen. Bei Zweifeln an der Fahreignung ist in der Regel ein ärztliches Gutachten erstellt von einem Facharzt/Diabetologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei der Verkehrsbehörde vorzulegen, in dem es zu klären gilt: • wie viele fremdhilfebedürftige Hypoglykämien in den vorangegangenen 12 Monaten zu verzeichnen waren, • ob der Patient Unterzuckerungen erkennt und hierauf adäquat reagieren kann, • ob bzw. in welchem Umfang der Patient Selbstkontrollmessungen vornimmt, • ob der Patient über die besonderen Risiken einer Unterzuckerung im Straßenverkehr aufgeklärt und informiert ist, • ob der Patient seinen Stoffwechselverlauf dokumentiert, • ob bzw. durch welche Maßnahmen der Patient im Umgang mit seiner DiabetesErkrankung hinreichend geschult ist. Die Kosten für das ärztliche Gutachten hat der Betroffene selbst zu tragen. Darüber hinaus werden “Ratschläge für insulinbehandelte Kraftfahrer“ [3] vorgestellt. Es wird verdeutlicht, dass in Straßenverkehrsangelegenheiten die Pflicht zur Vorsorge im Hinblick auf die Vermeidung von Verkehrsunfällen der Verkehrsteilnehmer – auch derjenige mit Diabetes mellitus – selbst hat. Dies bedeutet insbesondere für insulinbehandelte Kraftfahrer die Pflicht zur Vorsorge zur Vermeidung von Fahrtauglichkeitseinschränkungen durch Hypoglykämien. Im Falle von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen werden diesbezügliche Schulungskonzepte wie BGAT und HyPOS vorgestellt und diskutiert. Darüber hinaus wird im Rahmen des Kurses zum Thema der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes in Kindergärten und Schulen sowie über die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Integrationshilfen referiert werden. Literaturhinweise 1. Versorgungsmedizinische Grundsätze ab 14.07.2010. Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung in: BGBl. I Nr. 37 vom 21.07.2010. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. 2010 2. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Entwurf 2013 3. Ebert, Oliver: Das Diabetes-Rechtsfragen-Buch. Kirchheim-Verlag Mainz, 2008