50 BZB Mai 16 Wissenschaft und Fortbildung Erfolgreiche Prophylaxe in Bayern Lebenslanger Zahnerhalt ist das Ziel E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. E l m a r R e i c h , B i b e r a c h In Bayern wird von Zahnärzten bereits seit Jahrzehnten Prophylaxe betrieben. Es gab und gibt viele private Vereinigungen, in denen sich Zahnärzte zusammengeschlossen haben, um Kariesprophylaxe in der Praxis, aber auch in Schulen, Kinderkrippen und Kindertagesstätten durchzuführen. Seit 1983 werden diese Aktivitäten von der Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit (LAGZ) Bayern organisiert. Wie in epidemiologischen Studien (Abb. 1) im Auftrag der LAGZ seit 1989 festgestellt wurde, führten diese Prophylaxe-Aktionen schon in den ersten 15 Jahren zu einem starken Rückgang der Karies. In Kooperation mit der LAGZ, den gesetzlichen Krankenkassen, dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wurde es den Zahnärzten möglich, Kindern in Kindertagesstätten und Schulen – gemeinsam mit ihren Erzieherinnen und Lehrern – die Grundlagen der Prophylaxe zu vermitteln. Auch wird häufig versucht, die Erziehungsberechtigten im Rahmen von Elternabenden und beim Abholen der Kinder aus den Einrichtungen entsprechend zu informieren. Wie in den skandinavischen Ländern und der Schweiz ist das Prophylaxe-Konzept der LAGZ auf vier Säulen aufgebaut: 1. Gesunde Ernährung 2. Gründliches Zähneputzen 3. Regelmäßige Fluoridanwendung 4. Regelmäßige Kontrollen durch den Zahnarzt. Jedes Kind muss erst lernen, wie es sich gesund ernähren kann und wie es seine Zähne pflegen soll, um von den Prophylaxe-Erfolgen der vergangenen 30 Jahre zu profitieren. Aufgrund der enormen Zunahme der Anzahl an Kindertagesstätten und Kinderkrippen seit dem Jahr 2013 ist die Einbindung der Eltern ein elementarer Faktor auf dem Weg zu einem erfolgreichen Prophylaxe-Konzept. Die LAGZ hat schon vor 30 Jahren begonnen, die Erziehungsberechtigten und das Lehrpersonal einzubeziehen sowie bei der Gesundheitserziehung den Fokus auf mehr als nur auf die Zähne zu richten. Wie wir heute wissen, ist dies nicht nur bei Kindern, son- Abb. 1: Entwicklung der Kariesprävalenz von Milchzähnen (dft) bei Sechsjährigen in den ersten 15 Jahren der LAGZ. Kariesfreie Gebisse dft = 0. (Reich/LAGZ 1998) dern auch bei älteren Menschen wichtig, wenn man die Wechselwirkungen von Parodontalerkrankungen und Allgemein- beziehungsweise Herzerkrankungen und Diabetes mellitus betrachtet. Die Unterstützung der Mundgesundheitserziehung durch die Familie stößt leider in sozial schwachen Gruppen und insbesondere auch bei Einwanderern auf große Probleme. Hier sind oftmals nicht nur Sprachbarrieren zu überwinden, sondern auch unterschiedliche Wissensstände und Einstellungen zu Gesundheit und Ernährung sowie die teils mangelnde Kooperation zwischen Zahnärzten und Ärzten und den Kindern und Eltern selbst. Dass dies aber erfolgreich möglich ist, wurde von dänischen Zahnärzten in Nexö auf Bornholm gezeigt. Mittels einer frühzeitigen Prophylaxe, beginnend bei acht Monate alten Kindern, der Verwendung von Fluoridzahnpasten, dem Putzen sowie späteren Nachputzen der Eltern sowie einer gesunden Ernährung konnten die europaweit geringsten Karieswerte bei Zwölfjährigen erreicht werden (DMFS: 0,23). Allerdings kam es, bedingt durch Veränderungen der Bevölkerungsstruktur in den letzten Jahren, auch in Skandinavien in manchen Gruppen zu einem Wiederanstieg der Karies. Prophylaxe-Aktionen der LAGZ Bayern Das bayerische LAGZ-Modell basiert auf einer aufsuchenden Prophylaxe durch Zahnärzte und ihre Wissenschaft und Fortbildung Mitarbeiterinnen, die diese Aktionen neben der Praxis durchführen. In Bayern sind aktuell mehr als 2 700 Zahnärzte über die LAGZ in Kitas und Schulen tätig. Nur in den Städten München, Augsburg und Nürnberg gibt es derzeit zusätzlich Zahnärzte, die als Angestellte des öffentlichen Dienstes in der Prophylaxe tätig sind. Somit profitieren alle Kinder, die Krippen und Kitas besuchen oder in Schulen und Horte gehen, ohne Rücksicht auf ihre soziale, finanzielle oder entwicklungsspezifische Situation von den Prophylaxe-Aktionen. Aktion Seelöwe Schon seit dem Jahr 2002 betreibt die LAGZ mit der Aktion Seelöwe Prophylaxe in Kindergärten. Die Kindertagesstätten sind sehr engagiert, mit allen Kindern die vier Säulen der Prophylaxe einzuüben, wovon alle Kinder unabhängig von ihrem Elternhaus profitieren. Die Eltern werden von den Kitas mitunter spielerisch und auch durch mehrsprachige Elternbriefe über die vier Säulen der Prophylaxe informiert und in die Prophylaxe-Besuche der Zahnärzte mit eingebunden. Die Kinder lernen von den Erzieherinnen und Zahnärzten über zahngesunde Ernährung, gründliches Zähneputzen und sinnvolle Fluoridanwendung. Daneben werden sie in der Kita über die sogenannten Seelöwe-Verweisungskarten angehalten, sich zweimal jährlich von ihrem Hauszahnarzt untersuchen zu lassen. Die Kitas sammeln die abgestempelten Karten und können dadurch Preise der LAGZ gewinnen. Für Kinderkrippen und -tagesstätten hat die LAGZ ein eigenes Abholkonzept entwickelt, um hier vermehrt die Eltern individuell zu erreichen. Um ihnen die Scheu zu nehmen, Fragen zu stellen, baut der LAGZ-Patenzahnarzt einen Informationstisch mit Schnullern, Babyflaschen, Kindertees, Kinderpass, Flyern und der Seelöwe-Handpuppe „Goldie“ auf. Gerade der zahnärztliche Kinderpass der BLZK, der auch in türkischer Sprache erhältlich ist, leistet eine wertvolle Hilfe zur Kontaktaufnahme. Mit diesem Konzept, das 2014 mit dem Wrigley Prophylaxe Preis ausgezeichnet wurde, erreicht diese Prophylaxe-Information gezielt ihr Publikum. Aktion Löwenzahn Seit dem Schuljahr 1997/98 melden Schulkinder mit der Aktion Löwenzahn ihre Kontrollbesuche beim Zahnarzt. Damit wird die Verbindung von in der Schule stattfindenden Informations- und Motivationsveranstaltungen mit der Untersuchung und gegebenenfalls Behandlung durch den Hauszahn- BZB Mai 16 arzt hergestellt. Regelmäßig beteiligen sich drei Viertel der Grundschulen und ein Drittel der Förderschulen an der Aktion. Da Kinder in Förderschulen einen höheren zahnärztlichen Behandlungsbedarf haben, werden seit dem Schuljahr 2007 in Unterfranken (später auch in ganz Bayern) in Förderschulen drei Besuche pro Schuljahr durchgeführt. Dabei werden die Schwerpunkte auf die Mundhygiene, eine gesunde Ernährung und die zahnärztlichen Untersuchungen in der Klasse gelegt. Wenn möglich, wird bei jedem Besuch in der Schule geputzt oder es werden Putzübungen durchgeführt. Das Ziel ist aber, tägliches Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta in der Schule zu etablieren. Ebenso hat die LAGZ bereits vor einigen Jahren Aktionen ins Leben gerufen, die den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in sonderpädagogischen Einrichtungen gerecht werden. Bei diesen Aktionen sind neben Motivation und Instruktion Untersuchung und Fluoridierungsimpulse elementare Bausteine. Eine Verlinkung zwischen der Gruppen- und Individualprophylaxe erfolgt durch entsprechende Seelöwe PLUS- und Löwenzahn PLUSKarten, wodurch eine Verweisung an den Hauszahnarzt stattfindet. Sonderprojekt in Augsburg Darüber hinaus wird zum Beispiel in Augsburg schon seit 2001 durch eine Kooperation des Gesundheitsamts, der Zahnputzstube, den Hauszahnärzten und der LAGZ bei Vorschulkindern mit der Prophylaxe begonnen. Die Untersuchung bei der Einschulung zeigte beispielsweise im Jahr 2009 mit 61,1 Prozent einen höheren Anteil gesunder Milchzähne gegenüber dem bayerischen Durchschnitt von 50,4 Prozent, was auch im bundesdeutschen Mittel einen sehr guten Wert darstellt. Die Karies zeigt eine sehr große Abhängigkeit von sozialen Faktoren, was durch die Gruppenprophylaxe in Kindergärten abgemildert wird. Große Wissensdefizite bezüglich der Zahngesundheit sind jedoch häufig bei Kindern mit Migrationshintergrund vorhanden. Deshalb hat man in Augsburg bereits 2008 begonnen, mit muttersprachlichen Mentoren Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund Kenntnisse in der Ätiologie und Prophylaxe der Karies (vier Säulen) zu vermitteln. In Augsburg wurde schon im Jahr 2009 bei der Einschulung von Kindern mit Migrationshintergrund ein DMFT-Wert von 1,76 gemessen. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund lag dieser Wert 51 52 BZB Mai 16 Wissenschaft und Fortbildung mit 1,99 aber höher. Auch im Jahr 2011 war dieser Wert mit 1,44 bei den Kindern mit Migrationshintergrund niedriger als der Wert von 1,93 bei denjenigen ohne Migrationshintergrund. Allerdings weisen die Kinder mit Migrationshintergrund in allen Untersuchungsjahren einen höheren Therapiebedarf auf, was sich auch in den höheren Anteilen von Kindern mit einem DMFT-Wert > 5 niederschlägt. Diese Kinder werden von ihren Eltern seltener zum Zahnarzt gebracht als Kinder ohne Migrationshintergrund. Es sind auch Unterschiede im Verständnis der Versorgung kariöser Milchzähne aufseiten der Eltern vorhanden. Zu vermuten ist, dass Eltern mit Migrationshintergrund ihren Kindern auch öfter zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten oder Süßigkeiten als Belohnung anbieten. Im Jahr 2011 wurden in Augsburg bei den Jungen ohne Migrationshintergrund deutlich höhere DMFTWerte (2,22) gemessen als bei den Mädchen (1,58). Bei den Jungen mit Migrationshintergrund waren die DMFT-Werte 2008 mit 2,10 deutlich höher als bei den Mädchen mit 1,41. Interessant ist hierbei, dass Jungen von ihren Eltern häufiger die Zähne nachgeputzt bekommen als Mädchen. Allerdings weisen mehr Jungen als Mädchen eine größere Anzahl kariöser Zähne auf (DMFT > 5), was bei den Jungen mit Migrationshintergrund noch ausgeprägter ist. Anhand der Mittelwerte zeigte es sich aber, dass durch eine frühzeitige Prophylaxe-Schulung der Eltern die Kariesprävalenz und das Kariesrisiko bei Kindern mit Migrationshintergrund auf das Niveau der Kinder ohne Migrationshintergrund gesenkt werden konnten. Verstärkte Bemühungen sind aber noch notwendig, um bei allen Kindern den Behandlungsbedarf bei kariösen Milchzähnen zu reduzieren. Mehr als fünf kariöse Milchzähne weisen Kinder mit Migrationshintergrund auf. Durch das beschriebene Modell ist es in Augsburg gelungen, die Unterschiede im Kariesbefall der Milchzähne bei Kindern mit Migrationshintergrund auf das Niveau der Kinder ohne Migrationshintergrund zu verringern. (Zahn-)Gesundheit als Teil des Schulentwicklungsprozesses Seit der Gründung der LAGZ 1983 werden Schülern in den Schulen die vier Säulen der Prophylaxe vermittelt. Hierbei arbeiten Zahnärzte und Lehrer zusammen. An manchen Schulen werden auch Zahnputzübungen mit Fluoridzahnpasten durchgeführt. Wie bereits erwähnt, wird an bayerischen Grundschulen von der LAGZ seit dem Schuljahr 1997/98 jährlich die Aktion Löwenzahn durchgeführt. Ziel ist die zweimalige jährliche Kontrolluntersuchung der Kinder bei ihrem Hauszahnarzt. Da gerade Kinder mit hohem Kariesrisiko von ihren Eltern meist nicht regelmäßig zum Zahnarzt gebracht werden, können auch die kariösen Zähne bei diesen Kindern erst spät therapiert werden, was zu Schmerzen und eventuell einer frühen Extraktion der Milchzähne führen kann. Die Faktoren, die zu dem hohen Kariesrisiko führen, sind den Eltern meist nicht bekannt, weshalb sie ihre Kinder nicht zu präventivem Verhalten anleiten können. Das LAGZ-Prophylaxe-Programm in den Schulen vermittelt den Kindern und ihren Eltern auch hierfür die Grundlagen nach dem Vier-Säulen-Prinzip. Schon seit Beginn der LAGZ-Arbeit an Schulen sprechen die Lehrer die Mundgesundheit im Rahmen der Gesundheitserziehung an. Heute gibt es in bayerischen Schulen zudem das „Landesprogramm für die gute gesunde Schule Bayern“ mit der Intention, die Gesundheitsförderung in den Schulalltag zu integrieren. Ziel ist es, die Gesundheit konsequent in den Dienst des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule zu stellen, um damit zur Verbesserung der Bildungsqualität insgesamt beizutragen. Gesundheit wird damit Teil des Schulentwicklungsprozesses. Die Erfolge in Bezug auf die Zahngesundheit hat die LAGZ in epidemiologischen Begleituntersuchungen bis 1998 nach international anerkannten wissenschaftlichen Vorgaben dokumentiert. Die LAGZ hat bis 1999 in Zusammenarbeit mit Infratest die Auswahl der Schulen nach den gleichen statistischen Kriterien durchgeführt, die auch bei den bundesweiten epidemiologischen Studien (DMS I – V, 1989 bis 2005) gegolten haben, was zu Veränderungen bei der Auswahl der Probanden und auch den Ergebnissen geführt hat (Abb. 2). Abb. 2: Mittelwert des Kariesbefalls in Bayern bei Kindern und Jugendlichen (Milchzähne dft/bleibende Zähne DMFT; Reich/Krämer) Wissenschaft und Fortbildung BZB Mai 16 53 Seit 2004 werden diese epidemiologischen Begleituntersuchungen im Rahmen der bundesweiten DAJ-Studie nach alten WHO-Kriterien aus dem Jahr 1977 durchgeführt. Gruppenprophylaxe als Erfolgsfaktor Bundesweit hat die Gruppenprophylaxe seit der Gründung der LAGen zu einem starken Rückgang der Karies (Abb. 3) und zu einem stark verbesserten Mundgesundheitsbewusstsein von Kindern und Jugendlichen geführt. Alle vier Säulen der Prophylaxe haben zu diesem Rückgang beigetragen. Die Kinder putzen ihre Zähne viel gründlicher als dies vor der Einführung der Gruppenprophylaxe der Fall war. Durch die regelmäßige Fluoridgabe über Zahnpasten – oft noch unterstützt durch wöchentliches Bürsten mit hochkonzentrierten Fluoridgelen – wurde ein wesentlicher Beitrag zum Kariesrückgang geleistet. Auch die in der Praxis erfolgten Fluoridapplikationen (IP 4) reduzierten die Karies weiter. Mehr Karies weisen Kinder auf, die von ihren Eltern zu wenig Anleitung und Unterstützung bei der Prophylaxe bekommen. Daher besteht eine wichtige Aufgabe des gesamten Praxisteams darin, diese Kinder zur täglichen Mundhygiene zu motivieren und sie dazu anzuhalten, süße oder saure Getränke und Zwischenmahlzeiten zu reduzieren. Trotz eines hohen Zuckerkonsums bei Kindern in der gesamten Bevölkerung achten mittlerweile jedoch gerade Familien immer mehr auf eine gesunde Ernährung, die weniger süße Zwischenmahlzeiten enthält. Dazu kommt seit 1991 die Möglichkeit der Individualprophylaxe in den Zahnarztpraxen. Hier können Kinder im Rahmen der Mundgesundheitsaufklärung (IP 2) nochmals über die Entstehung der Karies und deren Vermeidung mithilfe der Kariesprophylaxe informiert werden. Darüber hinaus ist es seit 1991 auch möglich, die Fissuren der bleibenden Zähne zu versiegeln (IP 5). Gerade für die sehr kariesanfälligen 6er und 7er ist dies eine sehr wichtige Form der Prophylaxe. Die heute erreichte Anzahl von bis zu 70 Prozent versiegelter Molarenfissuren ist sicher höher als die Anzahl akut kariesgefährdeter Fissuren. Dennoch werden mit einer guten Versiegelung zumindest die Kauflächen vor Karies geschützt. Nach Axelsson ist aber schon die Versiegelung der sich im Durchbruch befindlichen Molaren indiziert, weil in der Phase bis zum Kontakt mit dem Antagonisten das größte Kariesrisiko besteht. Als Material kann hier wegen der einfacheren Handhabung und sicheren Adhä- Abb. 3: Zeitbezogene Kariesentwicklung (DMFT) in Deutschland bei Zwölfjährigen mit Beginn der Gruppenprophylaxe (Gründung der LAGen 1983) sowie mit Einführung der IP-Maßnahmen (1991) sion in teilweise noch von Gingiva bedeckten Fissuren Glasionomerzement (GIZ) vorteilhaft verwendet werden (Abb. 4a bis f). Schwieriger ist die Kariesprophylaxe bei Teenagern und jungen Erwachsenen, da nach Ausbildung der geschlossenen Zahnreihen die Interdentalflächen das größte Kariesrisiko aufweisen. Wenn nun häufig süße Zwischenmahlzeiten und Getränke aufgenommen werden und keine gründliche Zahnreinigung stattfindet, entsteht Approximalkaries. Deshalb ist es wichtig, auch diese Flächen mechanisch (z. B. mit Zahnseide und professionell in der Praxis) zu reinigen, was auch die Wirkung der Fluoride verbessert. Erst durch das Zusammenwirken von Gruppen- und Individualprophylaxe ist langfristig eine erfolgreiche Kariesprophylaxe möglich. In der Praxis ist eine umfassende Diagnose mittels klinischer und röntgenologischer Befunde inklusive einer Kariesrisikobestimmung die Basis einer präventiven Therapie (Abb. 5a und b). Durch die Reduktion der individuellen Kariesrisikofaktoren kann das Kariesrisiko der Patienten verringert werden. Bundesweite epidemiologische Studien (DMS IV und V) haben gezeigt, dass auch bei Erwachsenen und Senioren das Kariesrisiko bestehen bleibt und sogar zunehmen kann. Faktoren dieses erhöhten Kariesrisikos sind Veränderungen des Speichelflusses durch medikamentöse oder krankheitsbedingte Mundtrockenheit, negative Veränderungen der Ernährung sowie eine Verschlechterung der Mundhygiene. Ab etwa dem 50. Lebensjahr kommen noch Rezessionen der Gingiva bei Parodontitis mit nachfolgender Wurzelkaries hinzu. So bleibt die Karies heute bei einer größeren Zahl von erhaltenen Zähnen und der im Alter zunehmenden Parodontitis der wichtigste und häufigste Grund für Extraktionen (Abb. 6). 54 BZB Mai 16 Wissenschaft und Fortbildung a b c d e f Abb. 4a bis f: Gereinigte Fissur bei noch nicht vollständig durchgetretenem Zahn 37 (a), Applikation von GIZ-Material im Überschuss (b), Aufbeißen auf eine Watterolle bis zur Aushärtung nach circa zwei Minuten (c), das ausgehärtete GIZ-Material (d), Überschussentfernung mit einem Rosenbohrer (trocken) (e) sowie die fertige GIZ-Versiegelung (f) Entscheidend für die Kariesprophylaxe ist eine gute Diagnose der kariösen Läsionen und der kariesauslösenden Faktoren. Neben einer guten klinischen Befundung sind hierfür immer noch Bissflügelröntgenaufnahmen ein wichtiges Hilfsmittel, das in regelmäßigen Abständen eingesetzt werden sollte Abb. 5a: Junge Frau mit Schmelzkaries an den Interdentalräumen der rechten Prämolaren und Molaren, die durch Kariesprophylaxe-Maßnahmen in der Praxis sowie die gute Mitarbeit seitens der Patientin gestoppt wurde. Füllung 14 distal. (vgl. Abb. 5a). Für die Planung einer präventiven Therapie sollten stets die Kariesrisikofaktoren des Patienten identifiziert werden. Die Reduktion dieser Risikofaktoren führt zu einer Senkung des Kariesrisikos und ist unabdingbar für eine erfolgreiche Prophylaxe. Abb. 5b: Befunde, Diagnosen, Kariesrisiko sowie PBI der jungen Patientin von 2011 bis 2015 Wissenschaft und Fortbildung BZB Mai 16 Abb. 6: Ursachen des Zahnverlustes in Deutschland nach Angaben der behandelnden Zahnärzte zwischen 1993 und 2011 (Reich und Hiller, 1993, und Glockmann et al., 1998 und 2011) Lebenslanger Zahnerhalt durch unterstützende Therapien in der Praxis Für die lebenslange Erhaltung der Zähne ist eine unterstützende Therapie in der Praxis, ähnlich wie in der Parodontologie, empfehlenswert. Der kariesauslösende Biofilm kann meist nicht von allen Zahnflächen vom Patienten regelmäßig selbst entfernt werden. Deshalb sollten im Rahmen einer Professionellen Zahnreinigung die kariesanfälligen Zahnzwischenräume, Einziehungen an freiliegenden Wurzeloberflächen et cetera in der Praxis gereinigt werden. Von einer Professionellen Zahnreinigung profitieren Kinder wie Erwachsene, weil beispielsweise bei Kindern mit KFO-Geräten eine deutliche Zunahme der kariesauslösenden Bakterien zu verzeichnen ist und das Kariesrisiko dadurch ansteigt. Die Fluoridgabe allein reicht oft nicht aus, um das erhöhte Kariesrisiko zu reduzieren, weshalb auch die Anwendung von antibakteriellen Spüllösungen oder Gelen geprüft werden sollte. Dennoch stellt die Applikation von hochkonzentrierten Fluoridlacken und -lösungen einen sehr wirksamen Bestandteil der Kariesprophylaxe dar. Bei Kindern hat sich das wöchentliche Zähneputzen mit hochkonzentrierten Fluoridgelen bewährt. Zusätzlich ist es vorteilhaft, in der Zahnarztpraxis bei den IP-Terminen einen konzentrierten Fluoridlack auf die Zahnflächen aufzutragen. Gerade Jugendliche, die nach dem Zahnwechsel eine hohe Kariesanfälligkeit der Approximalflächen aufweisen, sollten zusätzlich zur Reinigung mit Zahnseide ebenfalls wöchentlich ein hochkonzentriertes Fluoridgelee anwenden. Um auch bei Erwachsenen und Senioren die Karies erfolgreich kontrollieren zu können, sind die oben erwähnten Maßnahmen – angepasst an die Kariesrisikofaktoren dieser Altersgruppe – ebenfalls sinnvoll. Wenn bei Erwachsenen zum Beispiel durch Medikamente oder Krankheiten ein reduzierter Speichelfluss auftritt, so erhöht sich in der Folge das Kariesrisiko. Diese Patienten können durch das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi und ballaststoffreiche Nahrung den Speichelfluss wieder etwas erhöhen. Zusätzlich sollten sie aber auch mehrmals pro Woche hochkonzentrierte Fluoridzahnpasten oder -gele zum Zähneputzen verwenden. Bei Untersuchungen und PZR-Sitzungen in der Praxis muss auf neu auftretende Karies im Schmelz und auch an Wurzeln geachtet werden. Es gibt heute gerade für ältere Menschen mit erhöhtem Kariesrisiko neue fluoridhaltige Zahnpasten, die dem Patienten aufgrund ihres erhöhten Fluoridgehalts (z. B. Duraphat) helfen, sein Kariesrisiko zu reduzieren. Auch die Anwendung von Zahnpasten zur Reduktion von Überempfindlichkeiten unterstützt die Compliance bei der Mundhygiene und im Recall. Ein zusätzlicher wichtiger Faktor der Prophylaxe oraler Erkrankungen und lebenslangen Zahnerhaltung ist die Parodontaltherapie mit anschließendem Recall. Die Prävalenz der Parodontitis in 55 56 BZB Mai 16 Wissenschaft und Fortbildung den das Parodontitisrisiko wie auch das Kariesrisiko reduziert. Gerade ältere Patienten profitieren aufgrund ihres erhöhten Erkrankungsrisikos sehr stark von einer UPT (Abb. 7). Es ist damit möglich, die meisten eigenen Zähne ein Leben lang zu erhalten, was in verschiedenen Studien im In- und Ausland nachgewiesen wurde (Abb. 8). Abb. 7: Älterer Patient zehn Jahre nach regelmäßiger gründlicher Professioneller Zahnreinigung und anschließender Fluoridierung (UPT) Deutschland liegt nach dem CPI 4 bei 40-Jährigen bei circa 20 Prozent und steigt bei den 70-Jährigen auf das Doppelte an. Nimmt man auch einfache Parodontalerkrankungen (CPI 3) hinzu, so liegt der Anteil der erkrankten 70-Jährigen sogar bei fast 90 Prozent. Da sich wie bei der Karies der Biofilm als Auslöser der Parodontitis nach dem Scaling rasch wieder bildet und es dadurch zum Wiederauftreten einer akuten Parodontitis kommt, müssen diese Patienten in der Praxis in ein professionelles Recall beziehungsweise eine unterstützende Parodontaltherapie (UPT) eingebunden werden. Durch eine gründliche Professionelle Zahnreinigung und anschließende Fluoridierung wer- Fazit Die Prophylaxe der Karies und Parodontitis hat zu einer deutlichen Verbesserung der Mundgesundheit und Zahnerhaltung geführt. Die frühzeitige Information und Motivation der Kinder stellt die Weichen für eine lebenslange Zahnerhaltung durch Prophylaxe. Uns Zahnärzten stehen heute gute Methoden zur Verfügung, um diese Erkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren und damit sichere und erfolgreiche Therapien durchzuführen. Unabhängig von der Art der Therapie sind aber lebenslang Prophylaxe-Maßnahmen notwendig, um diese chronischen Erkrankungen zu stoppen und einen Zahnverlust zu vermeiden. Darüber müssen wir unsere Patienten kontinuierlich informieren, um sie zu einer lebenslangen Kooperation zu motivieren. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Elmar Reich Rolf-Keller-Platz 1 88400 Biberach [email protected] Literatur beim Verfasser Abb. 8: Fehlende Zähne abhängig vom Lebensalter der Patienten nach DMS IV, Jönköping/Schweden, Praxis Bastendorf und Laurisch, Axelsson nach 15 respektive 30 Jahren sowie der Praxis Reich 2016