Prävention und Gesundheitsförderung by Perrez (Kapitel 21) 1. Verhinderung von Störung vs. Förderung von Gesundheit Prävention = Vorbeugung und Verhinderung von Störung/ Krankheit Allgemeine Ziele der psych. Prävention: o Abschwächung von Risikoverhalten und intrapersonalen Risikofaktoren o Milderung von Risikofaktoren in der sozialen & physikal. Umwelt o Personinterne protektive Faktoren zu stärken (so die Widerstandskraft erhöhen und gesundes Verhalten fördern) o Förderung gesundheitsunterstützender Umwelten (z.B. Handlungsspielräume schaffen, angemessene Arbeitsplatzgestaltung etc.) o Krisenintervention (wenn pers.& soz. Ressourcen nicht ausreichen und es zu Krise kommt, ist diese zu bearbeiten, bevor sich eine Störung entwickelt) a) primäre Prävention = vor Auftreten der Störung („Prävention“) b) sekundäre Präv. = während der Störung (auch „Behandlung“) c) tertiäre Prävention = nach der Störung (auch „Reha“) 2. Spezifische vs. unspezifische Prävention Ziele der Prävention können .... o ... spezifisch sein = Verminderung spezieller Störungen bei best. Zielgruppen (z.B. Stressprogramme für Herz-Kranke) o ... unspezifisch sein = allgemeinere Ziele, wie die Verbesserung der Lebensbeding. (z.B. Veränderung d. Essgewohnheiten der Gesamtbevölkerung) 2.1 Unspezifische Prävention und Gesundheitsförderung Caplan 1964: Entwicklung und Erhaltung der Gesundheit erfordert Versorgung des Individuums mit wichtigen Grundgütern: o Materielle (Nahrung, Wohnen, Qualitäten des Lebensraumes) o Psychosoziale (Zuwendung, Akzeptierung, Soziale Unterstützung) o Soziokulturelle (Grundrechte wie Werte, Rollen etc.) Nach Caplan gibt es 2 Ursprungsorte für Störungen: o Umwelt o Individuum selbst (Ausmass an Vulnerabilität, Krisen etc.) die Ursprungsorte einer Störung sind bei Caplan gleichzeitig auch pot. Zielbereiche für präventive Maßnahmen Ressourcenkonzept nach Hobfoll 1989: o Vorhandene personinterne & -externe Ressourcen sind zu erhalten o Diese Ressourcen sind auch weiterhin zu fördern (siehe Ottawa Charta of WHO) o Personinterne und –externe Ressourcen interagieren miteinander Becker hat ein Gesundheits-/ Präventionskonzept entwickelt, darin werden schädigende und schützende personinterne und –externe Ressourcen zueinander in Beziehung gesetzt Angeborene Vulnerabilität x Äussere Stressoren Inzidenzformel psych. Störungen = ----------------------------------------------------------Psych. Kompetenz x Förderliche Umweltbed. (diese Formel kann nur als Heuristik dienen, ist noch nicht ausgereift genug) Beispiele für unspezifische Interventionsprogramme o Elternverhaltenstrainings Zusammenfassung von Ruth -1- o Gesundheitstrainings (z.B. zu den 4 Verhaltenspathogenen: Alkohol, Rauchen, TypA-Verhalten, ungesundes Essen) 2.2 Spezifische Präventionsprogramme Sollen umschriebene Störungen in ihrer Inzidenz vermindern Nötig dazu sind Kenntnisse über die Ursache der Störung Beispiele für spezifische Programme sind: o Depressionsprävention o Herz-Kreislauf-Prophylaxe o Nikotin/Alkoholkonsum bei Jugendlichen (Kasten S. 372) o Aids Kampagnen (Kasten S. 371 Schweizer Aids Kampagne) 2.3 Trend zur spezifischen Prävention? 60er Jahre USA: Head-Start Erziehungsprogramme für alle Kinder die unter schädigenden Erziehungsverhalten aufwachsen (gute Wirkung gegen Kriminalität) frühre eher unspezifische Programme 80er Jahre: Gegenbewegung unter Führung des NIMH (National Institute of Mental Health) mit stark biologischer Orientierung, stärkere Konzentration auf neurobiolog. Programme 90er Jahre: Jahrzehnt des Gehirns, kontrollierte Studien die an spezifischen Risikofaktoren des DSM ansetzen Trend, dass allgemeine Gesundheitsforschung in den Hintergrund zu treten hat, gegenwärtige Orientierung = spezifisch & biologisch orientiert ! Gefahr, dass komplexe Wechselbeziehungen der Risikofaktoren zu wenig beachtet 3. Populations- vs. Zielgruppenorientierte Prävention Populationsbezogene Prävention: o Zielt auf (Teile der) Gesamtbevölkerung (ohne Risikofaktorenerheb.) o Beisp.: Aids Aufklärung, Rauchprävention Programme für Zielgruppen mit Risikoverhalten o Zielt auf spezielle Gruppen mit Risikofaktoren für best. Störungen, die durchschnittlich gefährdet sind, aber noch keine Störungen haben o Beisp.: Drogenabhängige, die ungeschützten Sex haben Indizierte Prävention o Zielt auf Personen mit hohem Risiko und mit bereits geringfügigen Symptomen o Beisp.: Personen mit biolog. Markern für best. Störungen die Merkmale spezifisch-unspezifisch und Populationsbezogen-zielgruppenbezogen können unabhängig voneinander variieren Spezifisch Unspezifisch Zielgruppen- Training für Typ-A Personen; Gesundheitstraining für HIV bezogen Aufklärung HIV bei Drogenabhängigen Positive (Spritzenautomaten & Info, siehe S. 375) Populations- Stop-Aids Kampagne der Schweiz Elterntraining bezogen Zigarettensonsum von Schülern Paartraining (Stressbewaltigung) 4. Personenorientierte vs. Systemorientierte (umweltorientierte) Prävention: Interventionsorte / Interventionsebenen In der oben gezeigten Tabelle wären als dritte Spalte noch die Interventionsorte zu ergänzen, dabei kann differenziert werden in: Zusammenfassung von Ruth -2- - Personenorientiert = Veränderungen, die auf Verhalten der Personen selbst abzielen - Systemorientiert/ Umweltorientiert = Veränderungen, die auf räuml., sozaile, ökolog., gesetzl., kulturelle Umwelt der Personen abzielen Beispiele für systemorientierte/ umweltorientierte Veränderungen: o Trinkwasser mit Fluor vesetzen (wäre populationsbezogen, spezifisch, systemorientiert, präventiv) Interventionsebenen können sein: o Personen selbst, interindividuelle Systeme, Gemeinden, Staaten etc. ! alle Ebenen können Adressaten für Interventionen sein 5. Ausgewählte Methoden der Prävention und Gesundheitsförderung 5.1 Für welche Zielgruppen welche Methoden? Optimale Voraussetzungen für personbezogene Interventionen: o Verhaltensveränderung ist möglich o Hat großen & relativ unmittelbar persönlichen Nutzen o Der Aufwand ist eher gering Optimale Voraussetzungen für umweltorientierte Interventionen: o Viele Personen der Bevölkerung vom Risiko betroffen o Risikoverhalten durch öffentliche/ kontrollierbare Bed. beeinflusst o Folgen d. Risikoverhaltens können hohe Kosten für alle sein Verschiedene Risikobegriffe (nach Jeffrey) o Absolutes Risiko = WS, dass ein Individuum in einer definierten Zeitperiode an einer Störung erkrankt /sterben wird, gleichgültig ob die Person Risikofaktoren ausgesetzt ist o Relatives Risiko =WS, dass an best. Störung erkrankt, wenn Person best. Risikofaktoren ausgesetzt ist o Der Exposition zuzuschreibendes Risiko = Zahl der zusätzl. Störungen einer Population, die einem speziellen Risikofaktor zugeschrieben werden können o Risikounterschied = errechnet sich aus dem Unterschied zwischen den Erkrankungshäufigkeitsraten der exponierten (Risiko ausgesetzt) vs. nicht exponierten (Risiko nicht ausgesetzt) hohes relatives Risiko kann unbedeutend sein, wenn abosolutes Risiko gering ist ! Wichtig: Personen setzen auf das absolute UND relative indiv. Risiko, nur wenn beide hoch sind, ist Veränderung wahrscheinlich Modell der Veränderungshierarchien: o 6 verschiedene Ebenen bei Veränderung des Gesundheitsverhaltens: Problembewusstsein / Wissen / Motivation / Fähigkeiten / Ausführung / Aufrechterhalten o Strategien zur Verhaltensänderung (Maccoby & Solomon,1981) Problembewusstsein Fakten, Info, Aufklären Motivation Überzeugung, Beratung Soziale Verstärkung Gruppendiskussion Vermehrt. Verhaltensförderung Verhaltenstraining Umgebungskontrolle Umgebungsveränderung, Gesetze zu wählende Interventionsmethode hängt auch von Veränderungsresistenz ab 5.2 Aufklärung als Methode der Gesundheitsförderung und Prävention Funktion der gesundheitsfördernden Aufklärung Zusammenfassung von Ruth -3- o Verminderung von gesundheitsrelevanten Wissendefiziten o Schaffen von Problembewusstsein Psych. Mittel dazu = Aufklärungskampagnen setzen oft symbolisch kodierte Info ein (als repräsentationsorientierte Methode direkt darauf ausgerichte kogn. Repräsentationen zu verändern) o gut beeinflussbar sind Personen, wenn Risikoverhalten leicht beeinflussbar und Bedrohung groß ist ! nur begrenzte Erfolgsaussichten Risikoverhalten allein durch Aufklärung zu verändern, v.a. wenn veränderungsresistentere Risikogruppen 5.3 Beratung als Methode der Gesundheitsförderung und Prävention Beratung = Hilfestellung, die durch Infovermittlung die Handlungsgrundlage der Beratenen verbessert, an Ratsuchende gerichtet Psych. Mittel dazu = Info, Person des Beraters, Merkmale der Gesprächsgestaltung Beisp: in Schwangerschaftsberatung werden schon Familien selektiert, die als Risikofamilien für Kindesmisshandlung gelten können 5.4 Training als Methode zur Gesundheitsförderung und Prävention Wenn Risikoverhalten bereits hohen Gewohnheitscharakter hat, ist Verhaltens-Training zusätzl. zur Beratung nötig Im Training soll Problembewusstsein, Wissen, Motivation verstärkt werden Psych. Mittel dazu = Wiederholung, Übung, Rollenspiel, Mentales Training, Gestaltung der Aufgaben in kleinen Schritten, extrinsische Belohnungen Beisp.: Freiburger Stresspräventionstraining für Paare (Schweiz) (Hintergrund: Paartherapien sind nur für ca. Hälfte wirksam, viele Paare kommen zu spät, Stresspräventionstraining über ein WE soll früher helfen) Kasten 4, S. 381 liefert Details 5.5 Umgebungsbezogene (systembezogene Interventionen) Umgebungsbezogen = Intervention nimmt auf den Ort bezug (und wird danach definiert) Die Beeinflussungsdimensionen Caplans werden noch mal bemüht: o Maßnahmen, die sich auf soziale Grundgüter beziehen: - Qualität der sozialen Ressourcen von Personen soll verbessert werden - Beispiel: Einrichtung von Beratungsstellen o Maßnahmen, die sich auf materiellen Grundgüter beziehen: - Beisp.: Personen, die unter der Armutsschwelle leben leiden darunter - Förderung wirtsch. & sozialer Strukturen wäre ein Ansatzpunkt deren Gesundheit zu erhöhen o Maßnahmen, die sich auf soziokulturelle Grundgüter beziehen: - Lebensqualität durch die beeinfluss von Normen, Werten, Rollen verbessern - Beisp.: Veränderung feindseliger Einstellungen Ausländern gegenüber 3 Typen von Strategien für präventiv umweltbezogene Interventionen werden unterschieden: 1. Ökonomische Anreize = sollen Risikoverhalten hemmen Rauchen ist schlecht – wird teuer gemacht 2. Aufbau von Umweltbarrieren zwischen Individuen und Situationen Langsamfahren in Wohngebieten durch 30er Zonen/ Spielstrassen 3. Kontrolle der Reklame und der Promotion von ungesunden Produkten/Verhalten keine Werbung für Zigaretten mehr Mittel die zur umgebungsbezogenen Intervention eingesetzt werden Zusammenfassung von Ruth -4- Aufklärung, Beratung, Training, Gesetze, Veränderungen der sozialen/kult./ökonom. Bedingungen 5.6 Krisenintervention Definiert als psychosoziale Hilfestellung bei kritischen Lebensereignissen Kritische Lebensereignisse sind z.B. plötzl. Tod einer nahestehenden Person, Pensionierung, Scheidung, etc. Ziel ist es, Gleichgewicht wieder herzustellen, bevor Problem zu einer dauerhaften Störung wird Kriseninternventionsziele und –mittel o Kriseninterventionsmittel: a) Stabilisierung der Person (Therapeut: Empathie, sicherheitsstiftende Maßnahmen bieten, neue Sichtweisen vermitteln) b) Kompetenzförderung (spezielle Lernziele je nach Vorfall) c) Erschließung von sozialen Ressourcen und soziale Eingliederung (z.B. Nachbarschaft mit einbinden) o Ereignisbezogene Kriseninterventionskonzepte: - Kritische Lebensereignisse wiesen in unserer Gesellschaft eine hohe Häufigkeit auf (z.B. Ehescheidungen) - Spezielle Interventionskonzepte werden dafür entwickelt (z.B. Umgang mit chronischer Krankheit lernen etc.) 6. Wissenschaftliche Fundierung und Evaluation von präventiven und gesundheitsfördernden Interventionsprogrammen 6.1 Fragestellungen Für die Planung wissenschaftlich fundierter Präventionsprogramme ist o a) Ätiologie (durch welche Bed. wird Störung herbeigeführt) o b) Intervention (wie können diese Bed. unterbunden werden) Grundlagenwissen ist die Vorraussetzung für die Planung fund. Interventionsprogramme Spezifische Prävention kann nur in dem Maße fundiert sein, wie ätiolog. & technolog. Wissen zur Verfügung steht Fragestellung hat sich gewandelt von o Weg von Kurativ: wie können Störungen verhindert werden o Hin zu Präventiv: wie kann Gesundheit erhalten/ gefördert werden (Salutogen.) 6.2 Evaluationsziele und -typen Ziel der Evaluation von Interventionsprogrammen o Wirksamkeitsschätzung (wichtigstes Ziel) o Akzeptanz des Programms einschätzen o Kosten-Nutzen Analyse o Prozessevaluation (formativ) o Bewertung des Programms nach ethischen Standards Rossi & Freeman definieren Typen von Evaluationsaufgaben 1. Planungsphase (Ideenentwicklung & Absicherung der Konzepte) 2. Formative Prozess-Evaluation: Evaluation der Implementierung des Programms (soll garantieren, dass vorschriftsmäßig implementiert wird) Siehe Grafik Seite 385: 3 Hauptarten der Evaluation a) vor Intervention Zusammenfassung von Ruth -5- b) während (Form.) c) nach (Sum.Eval) 3. Summative Evaluation: Ergebnisbewertung 6.3 Versuchsplanerische Aspekte Normalfall sind Feldexperimente (vielfältige Störquellen! Sind auszugleichen über gutes Design, oft quasiexp. Designs) Programme geringerer Komplexität (kürzer, klare Ziele, wenig Probleme im Prozess) Metaanalyse über Programme kürzerer Dauer (Hüsler 1995) allgemein: je komplexer und längerfristiger präventive Programme angelegt sind, um so vielfältiger sind die Fehlerquellen; es solle aber auch bei diesen Programmen ein Vergleichsgruppenplan und Mehrfachmessungen und versch. Datenquellen benutzt werden (wer noch mehr davon will: APA hat Programme publiziert mit Modellcharakter) 7. Schlussbetrachtungen Empirische Begründung meist über klassische Evaluationsforschung Wissensch. Fundierung von Präventionsprogrammen ist eine notwendige Vorraussetzung für eine erfolgreiche Vorbeugung & tatsächlich effektive Gesundheitsförderung Auf individueller Ebene stellt Leidensdruck größten Anlass zu Veränderung dar Auf gesellsch. Ebene würden evt. Strukturveränderungen des Versorgungssystems Veränderung hin zu einer Präventionsförderung darstellen (allerdings ist unser Gesundheitsverhalten noch erschreckend „krankheitsorientiert“) Zusammenfassung von Ruth -6-