Geschlecht als soziales Konstrukt der Gesellschaft

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Bachelorarbeit
Geschlecht als soziales Konstrukt der Gesellschaft
Ist die Zweigeschlechtlichkeit unserer Gesellschaft nur eine Illusion?
von
Lena Groß
Erstauflage
Geschlecht als soziales Konstrukt der Gesellschaft – Groß
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Thematische Gliederung:
Sozialethnologie: Familie, Gender, Soziale Gruppen
Diplomica Verlag 2014
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 95684 340 2
Leseprobe
Textprobe:
Kapitel 2.2, Konstruktivistische Sichtweise:
Die selbstverständliche Hypothese, die tief in den Köpfen der westlichen Gesellschaftsmitglieder
verankert ist, kontrahiert mit den konstruktivistischen Theorieansätzen über das Geschlecht als
soziales Konstrukt. Die Theorie der Geschlechterkonstruktion beinhaltet nämlich, dass diese
Konstitution der Zweigeschlechtlichkeit selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht wird (vgl.
Meuser 2008: 633). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Unterscheidung von sex und
gender, wie sie eingangs dieser Arbeit beschrieben wurde, in der aktuellen
Geschlechtersoziologie nur noch rar verwendet wird (vgl. Küppers 2012). Dies liegt darin
begründet, dass sich die Unterscheidung von sex und gender als zu undifferenziert und damit als
Nachteil entpuppte, weil die Geschlechterunterschiede nach wie vor auf den biologischen
Unterschied reduziert wurden. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Biologie, wie im
Verlauf dieser Arbeit aufgeklärt werden soll, selbst uneindeutiger und komplexer ist, als ‘in der
Lesart des Alltagsverständnisses’ (Küppers 2012) und selbst die Biologie eine gesellschaftliche
Unternehmung ist. Konstruktivistische Theorien betrachten also nicht mehr nur die sozialen
Folgen, die das biologische Geschlecht mit sich bringt, als soziales Konstrukt, sondern die
Geschlechterdifferenzierung selbst. Aus dem besagten Grund wird, anders als in den Ansätzen
der zuvor erwähnten Frauen- und Geschlechterforschung, auch das biologische Geschlecht der
Menschen historisiert und als Effekt sozialer Praxis und nicht als Grundlage dessen verstanden
(vgl. Hirschauer 1989: 101). Die soziale Wirklichkeit zweier Geschlechter wird diesem Konzept
zufolge in unserer Gesellschaft als Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse und ‘einer
fortlaufenden sozialen Praxis, die immer neu auch zur Reproduktion der Alltagstheorie der
Zweigeschlechtlichkeit beiträgt’ (Wetterer 2010: 126) begriffen.
Obwohl sich konstruktivistische Ansätze teilweise enorm unterscheiden, teilen sie diesen
gemeinsamen erkenntnistheoretisch begründeten Ausgangspunkt, indem sie ‘die Unterscheidung
von Natur und Kultur rsp. von [s]ex und [g]ender nicht ihrerseits fortschreiben, sondern als
Bestandteil einer reflexiven sozialen Praxis begreifen, die beides zugleich hervorbringt’ (Wetterer
2010: 126). In Theorien der sozialen Konstruktion des Geschlechts existieren ‘keine
außerkulturelle Basis sozialen Handelns, keine vorsoziale Grundlage oder Anschlussstelle
sozialer Differenzierungs- und Klassifikationsprozesse [und] keine der Geschichte vorgelagerte
‚Natur des Menschen (mehr)‘‘ (Wetterer 2010: 126), die die Gegenwart vorformen. Natur und
Kultur werden wie sex und gender als gleichursprünglich verstanden und bedingen sich
wechselseitig (vgl. Gildemeister/ Wetterer 1992: 210). Dies liegt nach Douglas darin begründet,
dass eine natürliche und von der Soziologie unabhängige Betrachtung und Wahrnehmung des
menschlichen Körpers gar nicht existieren kann (vgl. Douglas 1974: 106). So kommt man in
Theorien der Geschlechterkonstruktion zu dem Schluss, dass es ‘keine notwendige, naturhaft
vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen
von Geschlecht’ (Hagemann-White 1988: zit. n. Wetterer 2010: 126).
Um die Sichtweise verständlicher zu machen, dass der Körper eines Individuums als ein Effekt
sozialer Prozesse und nicht als Basis dessen erfasst wird, werden nun diesbezüglich die
aussagekräftigsten Argumente von Hirschauer komprimiert angeführt (vgl. Hirschauer 1989: 101103). Zunächst einmal stellt sich in der konstruktivistischen Kulturanthropologie die Frage, die
sonst überall vorausgesetzt wird; die Frage nach dem, was Männer und Frauen eigentlich sind.
Dabei kommt Pomata zu der Erkenntnis, dass ‘Frau’ kein natürliches Symbol ist, ‘es hat keine
wesentliche und universale Bedeutung’ (Pomata 1983: zit. n. Hirschauer 1989: 101). Weiterhin
führt Hirschauer Cucchiaris’ Feststellung an, dass Genitalien nicht aufgrund ihrer Gestalt
Geschlechtszeichen sind, sondern ihre Unterscheidung führt nur wegen einer entsprechenden
geburtlichen Zuschreibungspraxis und einer ‘präkonstruierten Zeichenhaftigkeit der Genitalien’
(Hirschauer 1989: 101) zur Klassifikation von Personen und nicht automatisch dazu (vgl.
Cucchiaris 1981: zit. n. Hirschauer 1989: 101). Hirschauer betont an dieser Stelle:
Die Vorstellung einer Initialunterscheidung trägt nur unter dieser Voraussetzung und nur für die
Geschlechtskennzeichnung eines Individuums. Die kulturelle Wirklichkeit zweier Geschlechter
kann nicht aus einem Unterschied der Genitalien ‚folgen’, da sie Geschlechtszeichen nur im
bereits bestehenden Kontext dieser Wirklichkeit sind (Hirschauer 1989: 101).
Zudem führt Hirschauer an, dass die Biologie vorsätzlich nach Eigenschaften und Unterschieden
zweier Geschlechter sucht, da sie zweifelsfrei an die oben aufgeführte kulturell etablierte
Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit anknüpft. Dabei nutzt die Biologie ganz einfach
Alltagsmethoden der Geschlechtszuschreibung, weil sich somit ihr Untersuchungsgegenstand
identifizieren lässt, ‘denn zur Feststellung von ‚Geschlechtsunterschieden’ und (biologischen)
‚Geschlechtsmerkmalen’ müssen immer bereits ‚Geschlechter’ unterschieden sein’ (Hirschauer
1989: 102). Die Beschreibung des Geschlechts ist also kein direktes Abbild der Natur, sondern
eine von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägte soziale Praxis (vgl. Küppers 2012). Bei
Unterscheidungen, die sich auf das biologische Geschlecht des Menschen zur Unterscheidung
zweier Geschlechter berufen, ist völlig außer Acht gelassen worden, dass die Biologie selbst eine
gesellschaftliche Unternehmung ist (vgl. Küppers 2012).
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