Prof. Dr. Udo R. Mayer, Hamburg Betriebsverfassungs- und tarifvertragsrechtliche Fragen bei grenzüberschreitenden Personaleinsätzen Im Zuge des Zusammenwachsens Europas und der Herausbildung eines europäischen Binnenmarktes haben grenzüberschreitende Personaleinsätze durch Unternehmen erheblich zugenommen. Zunehmend müssen Arbeitnehmer eine grenzüberschreitende Mobilität aufbringen, wenn sie ihre Beschäftigung behalten wollen. Eingestellt z.B. durch ein Unternehmen X mit einem Betrieb etwa in Offenburg, selbst dort wohnhaft, sollen sie künftig in einer Zweigniederlassung des Unternehmens in Staßburg oder Brüssel arbeiten – vorübergehend oder auf Dauer, je nach dem Konzept des Unternehmens. Unabhängig von den persönlichen Auswirkungen auf das soziale Umfeld werfen solche grenzüberschreitenden Arbeitseinsätze eine Fülle arbeitsrechtlicher Fragen auf, die vor allem auf dem Gebiet des Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrechts in der EU bisher nur punktuell harmonisiert worden sind. I. Problemstellung Für grenzüberschreitende Arbeitnehmer gibt es ein europaweites Abkommen über die Anwendung des jeweils einschlägigen Arbeitsvertragsstatuts, falls keine vertraglichen Vereinbarungen bestehen. Weder für die Behandlung von Tarifverträgen noch für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung gibt es jedoch Vergleichbares. Die EU hat zwar mit der Entsenderichtlinie von 1996 eine Kollisionsregel hinsichtlich bestimmter Tarifnormen getroffen für Arbeitnehmer, die für ein Dienstleistungsunternehmen in ein anderes EU-Land entsandt werden. Dies ist immerhin der erste Ansatz eines Tarifstatuts bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen, wobei sich die Frage stellt, inwieweit diese Regelung Vorbildcharakter für ein generelles euroweites Tarifstatut bekommen könnte. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht ist die Lage noch nationalistischer und von übergreifenden Regelungen noch weiter entfernt. Zwar ist 1994 die Richtlinie Europäische Betriebsräte verabschiedet worden. Diese Richtlinie ist inzwischen auch in den meisten Mitgliedsstaaten umgesetzt. Sie führt jedoch nicht zu einem einheitlichen Modell der betrieblichen Interessensvertretung sondern lediglich zu einem institutionalisierten Informationsaustausch in multinationalen Unternehmen auf dem Gebiet der EU. Die EU hat zwar seit den 70er Jahren mehrere Vorschläge ausgearbeitet, die auf eine Harmonisierung von Mitbestimmungsregelungen abzielten. Alle diese Vorschläge wurden auch viele Jahre lang diskutiert, sind aber letztlich an Fragen der Mitbestimmung immer wieder gescheitert. Die Richtlinie Europäische Betriebsräte von 1994 verfolgt deshalb einen anderen Ansatz. Sie bedeutet einen vorläufigen Abschied von jeder euroweiten Harmonisierung der vorhandenen Strukturen betrieblicher Interessenvertretung. Eingeführt wurde statt dessen eine neue Ebene der Kommunikation zwischen betrieblichen Interessenvertretern und Unternehmensleitungen, soweit diese Unternehmen europaweit operieren. Diese Eurobetriebsräte haben jedoch die bisher vorhandenen oder nicht vorhandenen Strukturen einer Betriebsverfassung in den einzelnen Ländern der EU in keiner Weise verändert. II. Tarifrechtliche Behandlung grenzüberschreitender Arbeitsverhältnisse 1. Tarifvertragsgesetz Das deutsche Tarifrecht kennt nur wenige gesetzliche Vorgaben für die Spielregeln bei Tarifverhandlungen und die Wirkung von Tarifvereinbarungen. Die Tarifvertragsfreiheit ist zusammen mit der Koalitionsfreiheit nach dem GG als Menschenrecht ausgestaltet, die Staatsangehörigkeit ist irrelevant. Sie entfaltet sich allerdings nur auf dem Territorium der BRD, d.h. eine französische Gewerkschaft könnte versuchen, in Deutschland Mitglieder zu rekrutieren und Tarifverträge abzuschließen, was jedoch nicht vorkommt. Es gibt in der BRD keine ausländischen Gewerkschaften, die den Abschluß von Tarifverträgen anstreben. Es gibt lediglich Niederlassungen z.B. italienischer Gewerkschaften, die italienischen Arbeitnehmern in der BRD einen Beratungsservice anbieten. Die Wirkung eines Tarifvertrags wird nach dem TVG ausschließlich nach der Tarifbindung der Parteien bestimmt. Sie wird für die Arbeitnehmer durch ihre Mitgliedschaft in der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft begründet (§ 3 TVG). Die Arbeitgeber unterliegen der Tarifbindung, wenn sie selbst den Tarifvertrag abschließen (Firmentarifvertrag) oder wenn sie Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind, der für alle seine Mitglieder Tarifverträge aushandelt (Branchen- und Flächtentarifverträge). Die Gewerkschaften als offene Verbände nehmen alle Arbeitnehmer zu Mitgliedern auf, die es wollen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Die nationalen Gewerkschaften haben deshalb i.d.R. immer einen bestimmten Prozentsatz von Mitgliedern mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die in der BRD beschäftigt sind. Die Gewerkschaftsbewegung hat stets die Linie vertreten, daß die nationalen Gewerkschaftsbünde ihre Aktivitäten auf ihr Territorium konzentrieren sollten. Gegenüber multinationalen Unternehmen sollten also die jeweiligen Gewerkschaften vor Ort aktiv werden. Absprachen über die Grenzen hinweg sollten auf der Ebene der internationalen Gewerkschaftszusammenschlüsse erfolgen, in deren Tradition auch der EGB steht. Im Ergebnis führte dies zu einer nationalen Tarifpolitik und einem nationalen Tarifrecht nach den jeweiligen Spielregeln jedes Landes. Ansätze zu einer Harmonisierung tarifrechtlicher Regelungen in Europa durch die EU sind nicht in Sicht. Und weder von Seiten der Gewerkschaften noch von Seiten der Arbeitgeber wird im Augenblick Harmonisierungsbedarf angemeldet. Kollisionsregeln wie für das Arbeitsvertragsstatut gibt es ebenfalls nicht. Das deutsche EGB-Gesetz hat zwar in Umsetzung zweier europäischer Übereinkommen Kollisionsregeln bei Auslandseinsätzen aufgestellt, welches Land mit seinem Recht bei Streitigkeiten über den Arbeitsvertrag zum Zuge kommt. Tarifverträge sind von diesen Kollisionsregeln jedoch ausgenommen. Trifrechtliche Kollisionsfragen bei grenzüberschreitenden Arbeitseinsätzen tauchen dabei im wesentlichen in zwei Fallkonstellationen auf: Der erste kollisionsrechtliche Fragenkomplex bezieht sich auf die Anwendung von deutschen Tarifverträgen bei Arbeitseinsätzen der Arbeitnehmer im Ausland bzw. bei einem Firmensitz des Arbeitgebers im Ausland. Dabei sind wiederum zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Der erste Fall bezieht sich auf Arbeitnehmer, die im Inland eingestellt worden sind aber für deutsche Einrichtungen im Ausland tätig werden, z.B. bei Auslandsvertretungen oder für die Goethe-Institute. Die für solche Bereiche zuständigen Gewerkschaften ÖTV und DAG haben Tarifverträge abgeschlossen, die auf deutsche entsandte Arbeitnehmer beschränkt sind, auf diese dann aber uneingeschränkt angewandt werden. Der zweite Fall ist typisch für Ortskräfte in Deutschland, die für ausländische Fluggesellschaften arbeiten wie z.B. für KLM, Alitalia, SAS etc. Solche Tarifverträge unterfallen nach der Rechtsprechung deutschem Tarifrecht, da sie auf deutschem Territorium abgeschlossen worden sind. Auf die Staatsangehörigkeit einer Tarifpartei kommt es nicht an. Der zweite, kollisionsrechtliche Fragenkomplex bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kreist um die Anwendung des jeweiligen Rechts. Eine Rechtswahl wie bei Arbeitsverträgen ist bei Tarifverträgen nicht vorgesehen. In diesen Fällen wird vielmehr das Recht angewandt, das für das Arbeitsverhältnis gilt. In der Praxis kommen wiederum im wesentlichen zwei Fallkonstellationen vor: Im einen Fall handelt es sich um Auslandsarbeit eines im Inland eingestellten Arbeitnehmers. Ist für sein Arbeitsverhältnis deutsches Recht vereinbart, dann werden auch die bestehenden deutschen Tarifverträge angewandt, selbst wenn der Betreffende ausschließlich für einen Auslandseinsatz eingestellt worden ist. Umgekehrt gilt für ausländische Arbeitnehmer, die durch ausländische Firmen in der BRD zum Einsatz gebracht werden, nicht der hier gültige Tarifvertrag, selbst wenn er für allgemeinverbindlich erklärt wurde – jedenfalls dann nicht, wenn für ihr Arbeitsverhältnis das Recht eines anderen Staates vereinbart worden ist oder der gewöhnliche Arbeitsschwerpunkt in einem anderen Land liegt (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Grundsätzlich folgt also das Tarifstatut dem jeweiligen Arbeitsstatut, ein Ergebnis, das gerade bei Entsendungsvorgängen durch Bauunternehmen in der EU zu erheblichen Problemen geführt hat. Die Beispiele haben gezeigt, daß der Tarifvertrag eng dem Arbeitsvertrag folgt. Dies verwundert nicht. Denn schließlich ist der zentrale Gegenstand von Tarifverträgen die Regelung von Inhalt, Abschluß und Beendigung von Arbeitsverhältnissen (§ 1 TVG). Zu einem solchen Abschluß wird eine inländische Gewerkschaft jedoch in der Regel nur mit einem Arbeitgeber mit Sitz im Inland kommen, denn nur diesem gegenüber verfügt sie über das Druckmittel von Streiks. 2. Tarifstatut in der EU Die nationale Ausrichtung der Tarifpolitik und des Tarifrechts ist keine deutsche Besonderheit, sondern findet sich in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Es gibt bis heute keine grenzüberschreitenden Tarifverträge, und es gibt keinen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen, der sie erleichtern würde. Über den Sinn und die Wünschbarkeit einer solchen Harmonisierung wird gestritten. Denn die Interessenlage ist ausgesprochen heterogen: während die Gewerkschaften eine Harmonsierung der Sozialkosten in Europa auf einem einheitlich hohen Niveau anstreben, sind die Arbeitgeber mit den bestehenden Unterschieden durchaus zufrieden, da sie sich so Standortvorteile organisieren können. Zwar will die EU solche Disparitäten schrittweise beseitigen, wie es Art. 117 EGV (künftig: Art. 136 EGV) programmatisch verkündet. Auf dem Weg der sozialen Harmonisierung sind dabei auch bereits einige Fortschritte erzielt worden. Sie betreffen im wesentlichen aber nur solche Arbeitsbedingungen, die in der Regel durch die nationalen Gesetzgeber ausgestaltet werden. Ansonsten gibt es lediglich Ansätze einer Kooperation zwischen den europäischen Sozialpartnern, die von der EU-Kommission moderiert werden. Dazu zählt vor allem der sog. soziale Dialog. Dieser Dialog wurde 1987 im EG-Vertrag etabliert, nachdem es bereits zuvor informelle Gesprächsrunden in dem kleinen belgischen Ort Val Duchesse gegeben hat. Diese Gespräche dienten dem Austausch von Standpunkten zu verschiedenen sozialpolitischen Fragestellungen, zu denen die europäischen Spitzenverbände der Sozialverbände von der Kommission eingeladen wurden. Dieser Art von tripartistischen Gesprächen wurde in Art. 189 b EGV eine vertragsrechtliche Grundlage gegeben. In den Maastrichter Verträgen von 1992 wurde diese Form des Dialogs weiter ausgebaut. Im Sozialprotokoll zwischen 11 Mitgliedstaaten fanden sich dazu Regelungen, die von den Sozialparteien im übrigen selbst entworfen worden waren. Danach wurden die Sozialpartner stärker in das Verfahren bei sozialpolitischen Vorhaben eingebaut. Sie sind z.B. vor der formellen Einleitung einer Gesetzesinitiative von der Kommission zu hören. Ein von der Kommission ausgearbeiteter Richtlinienentwurf ist schließlich zunächst mit ihnen zu erörtert, bevor er den europäischen Gremien vorgelegt wird. Der eigentliche Anreiz für die Durchführung des sozialen Dialogs enthielt Art. 4 Abs. 2 Sozialprotokoll. Er räumte den Sozialpartnern die Möglichkeit ein, jederzeit ein sozialpolitisches Verfahren auf den Gebieten an sich ziehen, auf denen die EU nach Art. 2 Sozialprotokoll eine Regelungskompetenz hat. Diese Regelungskompetenzen der EU erstreckten sich zwar auf zahlreiche Fragen allgemeiner Arbeitsbedingungen, nicht jedoch auf Lohnfragen. Hier wurde der EU nach dem Sozialprotokoll sogar ausdrücklich die Kompetenz entzogen – was wiederum auf Vorschlag der Sozialparteien selbst erfolgte. Damit ist der eigentliche Kern klassischer Tarifvertrags-Verhandlungen von einer europäischen Harmonisierung (noch) ausgenommen. In den regelungsfähigen Bereichen haben die Sozialparteien dann acht Monate Zeit, einen eigenen Vorschlag auszuarbeiten und der Kommission zuzuleiten. Davon haben sie bisher allerdings kaum Gebrauch gemacht. Bei der Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten kamen sie auf keinen Konsens, weshalb die Kommission selbst tätig wurde und einen eigenen Regelungsvorschlag erarbeitete, der 1994 verabschiedet wurde. Ergebnisse des sozialen Dialogs waren bisher die Richtlinien zum Elternurlaub sowie zur Teilzeit. Die Regelungen des Sozialprotokolls einschließlich des sozialen Dialogs wurden 1997 auf dem Amsterdamer Gipfeltreffen in den EGV unverändert "heimgeholt", nachdem durch den Regierungswechsel in Großbritannien der bisherige britische Widerstand gegen soziale Kompetenznormen im EGV aufgegeben worden war. Natürlich ist dieser Dialog ein ausbaufähiges Instrumentarium. Im Augenblick hat er jedoch noch nicht dazu geführt, daß z.B. in Grenzregionen auch Detailregelungen über Arbeitsbedingungen in Angriff genommen wurden. Es bestehen zwar in verschiedenen Grenzregionen sogenannte interregionale Räte , z.B. im Drei-LänderEck Basel, Freiburg, Straßburg oder im Aachener Raum. Diese Räte verstehen sich im wesentlichen als Kommunikationsforen und pflegen einen grenzübergreifenden Diskussionsprozesses zwischen den Sozialpartnern. Regelungen zu einzelnen Arbeitsbedingungen haben sie bisher jedoch nicht erzielt. Als Bilanz dieser Entwicklung muß nüchtern festgehalten werden: Eine europäische Tarifpolitik im engeren Sinne gibt es nicht. Der institutionelle Rahmen im EGV sieht lediglich die Förderung eines positiven Gesprächsklimas zwischen den Sozialparteien vor und gibt ihnen zusätzlich die Möglichkeit, bei Richtlinienvorhaben der Kommission selbst einen Regelungsvorschlag machen zu können. 3. Das Entsendegesetz und die Entsenderichtlinie: Vorstufe eines europäischen Tarifstatuts? Eingangs wurde bereits festgestellt, daß in Deutschland der Tarifvertrag dem Arbeitsvertrag folgt und dessen Arbeitsstatut. Das Recht, das für den Arbeitsvertrag gilt, gilt auch für den Tarifvertrag. Bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen bedeutet dies, daß bei vorübergehender Entsendung eines Arbeitnehmers nicht das Recht des Einsatz- und Beschäftigungsortes gilt, sondern das Recht der BRD, wenn hier in Erfüllung des Arbeitsvertrags gewöhnlich die Arbeit verrichtet wird (Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Diese bundesdeutsche Regelung folgt den europäischen Übereinkommen über vertragliche Schuldverhältnisse (EVÜ) und über den Gerichtsstand (EuGVÜ). Diese Regelungen finden sich entsprechend auch in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten. Danach gilt bei vorübergehender Entsendung in der Regel der gewöhnliche Arbeitsort, nicht jedoch der Ort, wohin die Arbeitnehmer entsandt worden sind. 3.1. EU-Binnenmarkt und Dienstleistungsfreiheit Deutschland ist kein typisches Entsendeland, von der Durchführung relativ hoch spezialisierter Tätigkeiten im Ausland einmal abgesehen. Es ist vielmehr seit vielen Jahren ein Land, in das Arbeitskräfte anderer Länder aus wirtschaftlichen Gründen strömen. Dabei wird ein Teil dieser Arbeitskräfte durch Firmen aus EU-Staaten mitgebracht, die ihre vom EGV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit wahrnehmen. In diesem Fall ergeben sich eine Reihe von Problemen, die etwas mit den sozialen Disparitäten in Europa zutun haben. Vor allem Baufirmen aus Portugal und Spanien aber auch aus anderen EU-Mitgliedsstaaten mit einem geringeren Lohnniveau haben darin eine Wettbewerbschance gesehen und sich als Anbieter auf dem bundesdeutschen Baumarkt eingeklinkt. Dies wurde ihnen dadurch erleichtert, daß nach der Vollendung des Binnenmarktes die europaweite Dienstleistungsfreiheit nicht nur auf dem Papier stand, sondern etwa in der Bauwirtschaft auch dadurch noch gefördert wurde, daß Bauvorhaben ab einer bestimmten Größenordnung europaweit ausgeschrieben werden müssen. Im Ergebnis erhielten viele Firmen aus diesen Ländern den Zuschlag, da sie die Arbeitskosten auf dem niedrigeren Lohnniveau ihrer Heimatländer kalkulierten. Wegen des Aufschreis der nationalen Bauwirtschaften geriet die EU in Zugzwang, um dieses praktische Beispiel von Sozialdumping zu beseitigen. Das von der Kommission vorgeschlagene Rezept zur Abhilfe war einfach: Zwingende Mindestlöhne im Einsatzland sollten von ausländischen Wettbewerbern nicht unterschritten werden dürfen. Dazu sollten die Arbeitsbedingungen am Beschäftigungsort auch für die entsandten Arbeitnehmer gelten. Dieses Rezept stieß jedoch auf erbitterten Widerstand der Staaten, die dadurch einen Verlust von Wettbewerbsvorteilen befürchteten. Lange Zeit schien es unklar, ob eine entsprechende Richtlinie zustande kommen würde. Auf Druck der einheimischen Bauwirtschaft unternahmen daraufhin die Bundesrepublik neben Frankreich und Belgien nationale Alleingänge. In der Bundesrepublik geschah dies durch das Entsendegesetz, das am 1.3.1996 in Kraft trat. Dies bewirkte schließlich auch eine Einigung auf der EU-Ebene, so daß Ende 1996 eine Entsenderichtlinie in Kraft treten konnte. Das deutsche Entsendegesetz hat die Grundlinien der Entsenderichtlinie jedoch bereits vorweg genommen. Dies gilt vor allem für die Etablierung eines einheitlichen Arbeits- und Tarifstatuts für entsandte Arbeitnehmer. Sowohl das deutsche Entsendegesetz als auch die europäische Entsenderichtlinie beschränken ein solches Tarifstatut jedoch auf die Baubranche. 3.2. EU-Tarifstatut für die Baubranche Die entscheidende Passage im bundesdeutschen Entsendegesetz lautet: "Die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags des Baugewerbes ... finden auch auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seine im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmers zwingend Anwendung" (§ 1). Damit ist ausgeschlossen, daß die Parteien eine andere Rechtswahl treffen. Mit dieser Regelung ist zum ersten Mal verbindlich ein einheitliches Tarifstatut festgelegt und mit dem Beschäftigungsort verbunden worden. Dies ist an die Voraussetzung geknüpft, daß ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Solche Tarifverträge sind in der BRD bekanntlich eher die Ausnahme als die Regel und werden nur für Bereiche abgeschlossen, in denen der Organisationsgrad von Arbeitnehmern aber auch von Arbeitgebern schwach ist. Man findet solche Vereinbarungen z.B. im Bereich des Handels- und Gaststättengewerbes, des Friseurgewerbes und der Textilindustrie etc. mit einer Größenordnung von ca. 700 Tsd. erfaßten Arbeitnehmern. Auch ein solcher Tarifvertrag braucht zu seiner Entstehung eine Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien. Ein staatliches Tarifdiktat ist ausgeschlossen. Ein solcher Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber der jeweiligen Branche, unabhängig davon, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes sind oder nicht. Der Charakter einer Vereinbarung wird durch die Voraussetzung gewahrt, daß die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sich auf die Inhalte der Arbeitsbedingungen verständigen müssen, die für allgemeinverbindlich erklärt werden sollen. Der Staat, repräsentiert durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, tritt in dem jeweiligen Tarifausschuß nur als Moderator auf, nicht jedoch als Zwangsschlichter. Können sich die Spitzenorganisationen nicht einigen, kann auch keine verbindliche Erklärung getroffen werden. Genau hier setzten nun in der Bundesrepublik die Probleme ein. Die Sozialpartner in der Bauwirtschaft – der zuständige Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft einigten sich zwar relativ rasch auf bestimmte Mindestlöhne. Diese Organisationen sind aber nicht stimmberechtigt im entsprechenden Tarifausschuß, in dem über die Allgemeinverbindlichkeit entschieden wird. Dort sind als Spitzenorganisationen der DGB auf der einen Seite und die BDA auf der anderen Seite vertreten. Die BDA lehnte die von ihrer Mitgliedsorganisation vereinbarte Mindestlohnregelung jedoch als zu hoch ab. Nach längeren Auseinandersetzungen verständigte man sich schließlich auf einen zeitlich befristeten Kompromißvorschlag, der im August 1997 bereits auslief. Bis dahin betrugen die Mindestlöhne in Westdeutschland 17,-- DM und in Ostdeutschland 15,64 DM. Wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Probleme in der Bauwirtschaft wurden die Tarife ab September 1997 auf 16.- DM (West) bzw. 15.14 DM (Ost) gesenkt. Das Entsendegesetz ist auf die Baubranche beschränkt. Dies kann hinsichtlich der tarifrechtlichen Lösung auch nach der Entsenderichtlinie so bestehen bleiben, die ebenfalls nur für die Bauwirtschaft die tarifrechtliche Regelung am Beschäftigungsort verbindlich macht. Lediglich die zeitliche Begrenzung des deutschen Entsendegesetzes wird aufgehoben werden müssen, da eine solche Befristung in der Entsenderichtlinie nicht vorgesehen ist. Der Umsetzungs- und Anpassungsbedarf Deutschlands mit Hinblick auf die Entsenderichtlinie bezieht sich im übrigen auf Punkte, die nichts mit unserer tarifrechtlichen Fragestellung zutun haben. 3.3. Punktuelles Tarifstatut – Keimzelle eines europäischen Tarifrechts? Die Entsenderichtlinie legt also für das Tarifstatut in der Baubranche unter bestimmten Voraussetzungen genau das umgekehrte Prinzip fest (Einsatzort) als die europäischen Übereinkommen zum Vertragsrecht und Gerichtsstand für das Arbeitsstatut (gewöhnlicher Beschäftigungsort). Dadurch wird jedoch nicht ein Mehr an Verhandlungen zwischen den nationalen Interessenverbänden der Gewerkschaften und Arbeitgebern herbeigeführt oder gar ein grenzüberschreitender Dialog zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern verschiedener Länder befördert . Die Entsenderichtlinie wie das Entsendegesetzsehen vielmehr nur die Möglichkeit einer Festschreibung sozialer Mindesstandards in einem Land vor. Von dieser Festschreibung können aber lediglich indirekt Auswirkungen auf das Lohnkostenniveau in einem anderen Land ausgehen. Grenzüberschreitende Verhandlungen zwischen den beteiligten Sozialpartnern bleiben nach wie vor der Ebene des sozialen Dialogs vorbehalten, der auch zwischen den Spitzen von Branchenorganisationen auf europäischer Ebene geführt werden kann und auch geführt wird. Inwieweit diese Dialogform eine Keimzelle für spätere echte Tarifverhandlungen darstellt, muß abgewartet werden. Angesichts der bevorstehenden Währungsunion und des zu ihrem dauerhaften Funktionieren eingerichteten Regimes der Konvergenzkriterien für die nationalstaatliche Haushaltsund Fiskalpolitik wird an einer stärkeren Koordinierung der Tarifpolitik jedoch kein Weg vorbeigehen - ob im Rahmen des sozialen Dialogs oder in neu zu errichtenden Strukturen. III. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen 1. Kollisionsrechtliche Lage Nach wie vor gibt es keine einheitliche europäische Betriebsverfassung. Durch die Richtlinie Europäische Betriebsräte wurde zwar eine besondere Ebene euroweiter Kommunikation zwischen Unternehmensleitungen und gewählten Interessenvertretungen geschaffen. Dadurch blieben jedoch die nationalen Strukturen einer Arbeitnehmer-Beteiligung in den Mitgliedstaaten der EU unberührt. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist das deutsche Betriebsverfassungsrecht nur dann anzuwenden, wenn der betroffene Arbeitnehmer einem Betrieb mit Sitz in der BRD zuzuordnen ist. Für das BetrVG gilt damit noch ausgeprägter als bei Tarifverträgen (die immerhin mit dem Arbeitsstatut mitwandern können) das Territorialitätsprinzip. Konsequenz: das BetrVG gilt nur für Betriebe im Inland. Für Betriebe im Ausland ist kein Betriebsrat zu wählen, selbst wenn der Betrieb in Regie eines deutschen Arbeitgebers geführt wird und das dortige Personal vollständig aus deutschen Arbeitnehmern besteht. Etwas anderes gilt nur bei Dienststellen des Bundes im Ausland. Dort ist kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ein Personalrat zu wählen und zu beteiligen, wenn auch mit gewissen Einschränkungen (§ 91 BPersVG). Die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer haben grundsätzlich auch kein Wahlrecht zum Betriebsrat der in der BRD ansässigen Betriebe, von Fällen der sog. Ausstrahlung abgesehen: bei Auslandsmontagen; hier werden Arbeitnehmer im Ausland innerhalb einer "mitgeführten" organisatorischen Einheit eingesetzt; ihre Bindung an den zurückgebliebenen inländischen Betrieb bleibt erhalten. Sie werden im Ausland nicht in dort bereits vorhandene betriebliche Organisationen eingegliedert (Ausstrahlung des Inlandbetriebs). Bei zeitlich beschränkter, vorübergehender Auslandstätigkeit überwiegen ebenfalls die persönlichen und rechtlichen Bindungen an den inländischen Betrieb (Ausstrahlung des inländischen Arbeitsverhältnisses). Dies hat zur Folge, daß bei Inlandsarbeit ein hier bestehender Betriebsrat für alle Beschäftigten zuständig ist und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Arbeitsstatuts. Wenn das Recht eines anderen Landes für das Arbeitsverhältnis vereinbart worden ist, dann hat dies für die Zuständigkeit des Betriebsrats keine Bedeutung. Das "Betriebsverfassungsstatut" folgt – anders als beim Tarifrecht außerhalb der Baubranche – nicht dem Arbeitsstatut sondern allein dem Territorialitätsprinzip: alle in der BRD befindlichen Betriebe mit ihren Beschäftigten sind dem BetrVG unterworfen, alle außerhalb der BRD errichteten Betriebe nicht. Das BetrVG gilt ferner nicht für solche Arbeitnehmer, die zwar im Inland eingestellt worden sind, aber ausschließlich im Ausland eingesetzt werden. In solchen Fällen wird ein Bezug zum Inlandsbetrieb verneint. Wird jedoch ein Arbeitnehmer zunächst im Inland eingesetzt und erst danach im Ausland, dann soll ein Bezug zum Inlandsbetrieb vorhanden sein und die Zuständigkeit des Betriebsrats erhalten bleiben. 2. Punktueller Regelungsansatz: Europäische Betriebsräte Die kollisionsrechtlichen Fragen in der Betriebsverfassung sind jedoch eher bescheiden angesichts der eigentlichen betriebsverfassungsrechtlichen Probleme bei grenzüberschreitenden Personaleinsätzen und infolge der allgemeinen Globalisierung der Wirtschaft. Selten betreffen heute wirtschaftliche Entscheidungen Arbeitnehmer nur in einem Land. Durch die Verflechtung transnational operierender Unternehmungen sind vielmehr Arbeitnehmer verschiedener Länder betroffen. Zur Illustration nur zwei Beispiele: 1. Szenario: Ein großes Unternehmen mit Sitz in Frankreich hat Betriebe in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die strategischen und operativen Unternehmensentscheidungen werden am Sitz des Unternehmens von den entsprechenden Vorstandsmitgliedern getroffen. Diese Entscheidungen haben Auswirkungen auf verschiedene Betriebe in ganz Europa. 2. Szenario: Ein Betrieb dieses Unternehmens oder auch Unternehmensgruppe befindet sich z.B. in Offenburg. Der Betrieb hat ca. 100 Beschäftigte und einen Betriebsrat. Aus organisatorischen Gründen will das Unternehmen bestimmte Arbeiten, die bisher in einem Betrieb bei Straßburg durchgeführt wurden, dort einstellen und sie in dem Betrieb in Offenburg durchführen lassen. Den betroffenen französischen Arbeitnehmern wird angeboten, künftig in Offenburg eingesetzt zu werden. In dem Betrieb in Straßburg selbst bestünde leider keine weitere Verwendung mehr für sie. Im ersten Szenario bestand bis zur Richtlinie Europäische Betriebsräte ein erhebliches strukturelles Ungleichgewicht zwischen der Unternehmensseite und den Vertretern der Arbeitnehmer. Denn eine grenzübergreifende Informationspflicht bestand für die Unternehmen nicht. Diesen Punkt hat die Richtlinie Europäische Betriebsräte geändert. Sie wurde durch das Europäische Betriebsrätegesetz (EBRG) v. 28.10.96 weitestgehend im Verhältnis 1:1 umgesetzt. Gemeinschaftsweit operierende Unternehmen haben danach unter bestimmten Voraussetzungen eine Kommunikationspflicht mit den Arbeitnehmervertretungen aus allen Ländern, in denen sie eine Niederlassung errichtet haben. Wie dieser Dialog organisiert wird, wird nach der Richtlinie zunächst einmal den Parteien selbst überlassen. Sie sollen ein Verhandlungsgremium etablieren, das dann die Details für diesen Dialog festsetzen soll. Dabei handelt es sich um echte Verhandlungen, an deren Ende eine Art grenzüberschreitende Unternehmensvereinbarung stehen soll. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, dann erst wird ein gesetzlicher EBR gebildet, für den die Richtlinie bestimmte Standards vorsieht. Diese Standards wirken natürlich stark auf den Verhandlungsprozeß ein, denn keine Arbeitnehmervertretung dürfte in Verhandlungen über eine Vereinbarung wohl hinter diese Standards zurückweichen. Eine EU-Studie aus dem Jahre 1995 zählte insgesamt lediglich 51 solcher Vereinbarungen auf. Mittlerweile ist ihre Zahl erheblich angestiegen. Bis zum Stichtag 22.9.96 mußten solche Vereinbarungen die Vorgaben der Richtlinie nicht erfüllen, was die Zahl der Vereinbarungen in der BRD auf 200 ansteigen ließ. Wieviele Vereinbarungen danach unter dem Dach der neuen gesetzlichen Regelung getroffen worden sind, ist allerdings dunkel. Spätestens 1999 wird sich hier jedoch der Nebel lichten, da dann die maximale Verhandlungsfrist für eine freiwillige Vereinbarung abgelaufen ist. Das Interessante an dieser Richtlinie ist nicht so sehr die inhaltliche Vorgabe für den künftigen grenzüberschreitenden Dialogprozeß. Denn dieser Inhalt ist relativ bescheiden. Er beschränkt sich auf eine jährliche Information über bestimmte ökonomische Entwicklungstendenzen des Unternehmens. Bei außergewöhnlichen Umständen, zu denen etwa die Verlegung von Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen gehört, ist der EBR jedoch auch ad hoc zu informieren.Im ersten Ausgangsszenario hätte also die Unternehmensleitung den EBR zusammentrommeln und ihm sein Vorhaben darstellen müssen. Hier liegt nun aber der eigentliche Clou der EBR-Richtlinie. Die Arbeitnehmervertreter haben nach der Richtlinie zwar keine Möglichkeiten, die Umsetzung der Pläne der Unternehmensleitung zu blockieren. Sie können sich anläßlich dieser Unterrichtung jedoch gegenseitig absprechen über ihr weiteres Vorgehen auf der jeweiligen nationalen Ebene. Die eigentliche Bedeutung der Richtlinie besteht also darin, daß Kommunikationsstrukturen auch zwischen den Arbeitnehmervertretungen der einzelnen Mitgliedsstaaten aufgebaut werden, die bei entsprechender Pflege langfristig Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Arbeitnehmervertretungen schaffen, wie sie vorher nicht vorhanden waren. Das kann sich auf der nationalen Ebene dahingehend auswirken, daß die betroffenen Betriebe und ihre Arbeitnehmervertretungen ihr weiteres Vorgehen koordinieren. Im zweiten Fall-Scenario könnte das z.B. konkret bedeuten, daß der Betriebsrat in Offenburg sich mit dem Comité d´entreprise in Straßburg abspricht und beide Vertretungen ihr weiteres Vorgehen aufeinander abstimmen. 3. Fazit Seit 1994 besteht durch die Richtlinie Europäische Betriebsräte zwar ein Kommunikationsstatut für euroweit aktive Unternehmen mit Vertretern der Arbeitnehmer. Dieses Kommunikationsstatut enthält jedoch keinen Konsenszwang über unternehmerische Vorhaben, mögen ihre Auswirkungen noch so gravierend für die Beschäftigten sein. Die Reaktionsmöglichkeiten gegenüber solchen Unternehmensentscheidungen richten sich vielmehr ausschließlich nach den jeweiligen nationalen Betriebsverfassungen, deren Harmonisierung z.Zt. ernsthaft nicht erwogen wird. Insoweit ähnelt die Situation der Lage bei den Tarifsystemen. Die Möglichkeit einer regelmäßigen Zusammenkunft der nationalen Betriebsvertretungen im Rahmen der Unternehmensbesprechungen bietet jedoch die Chance für die Arbeitnehmervertreter, einen grenzüberschreitenden Abstimmungsprozeß zu institutionalisieren und eine Unternehmenspolitik des divide et impera zu unterlaufen.