2012 Weiterbildung zum Spezialisten für Borderlinestörungen im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege Wiener Institut für Pädagogik und Psychotherapie www.wipp.or.at Das Wiener Institut für Pädagogik und Psychotherapie (WIPP) bietet zum ersten Mal eine Weiterbildung zum professionellen Pflegeexperten bei Borderlineerkrankungen. Durch die stetige Zunahme der Persönlichkeitsstörungen bedarf es auch für den Krankenpflegebereich neue Strategien um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein. Einige Erkenntnisse beruhen auf den Ergebnissen der Untersuchungskommission des Wiener Gemeinderates. „Gravierende Missstände in der Versorgung von psychiatrischen Patienten im Verantwortungsbereich der Gemeinde Wien.“ Überlegungen In allgemeinpsychiatrischen Stationen sind schwierige Patienten oft eine große Belastung für die Mitpatienten und für das Personal. Meist haben diese Patienten eine Borderline Persönlichkeitsorganisation in ihrem Wesenszug verankert. Wenn es zu Beschwerden von Seite der Patienten kommt, so steht sehr oft diese Diagnose im Hintergrund. Wenn solche Patienten um eine Spitalsaufnahme ansuchen oder mit der Rettung gebracht werden, so hofft das Pflegepersonal, das kein unerfahrener Arzt die Aufnahme leitet, da dieser sich vom Patienten verführen lassen könnte und ihn nicht von der Station weisen würde. Der Konflikt zwischen Aufnahmearzt und Pflegepersonal scheint hiermit schon vorprogrammiert zu sein. Doch wodurch passiert diese Dynamik und welche Erfahrungen herrschen in den Behandlungsteams bereits vor? Kann der Patient anhand dieser Dynamik eine adäquate Behandlung bekommen? Meist wird der Patient mit der Diagnose einer akuten Krise aufgenommen. Dieser Zustand bessert sich in den nächsten Wochen des Aufenthaltes kaum. Die Entlassung erfolgt meistens unter Druck des Pflegepersonals da der Patient zu viel Unruhe auf die Station bringt und die Konflikte kaum mehr kanalisiert werden können. Es scheint noch sehr schwierig zu sein, hierarchische Strukturen, wie sie in Krankenhäuser vorherrschen, zu hinterfragen bzw. eine andere Wahrnehmung einzuführen. Durch die 2 derzeitigen Behandlungskonzepte werden viele Ressourcen nicht ausgenützt und dem Patienten mehrere Behandlungsparallelwelten angeboten. Diese Formen spiegeln sich in der „Installierung“ von medizinischen und pflegerischen Diagnosen wieder, die ihre eigenen Betreuungs- bzw. Pflegestrategien nach sich ziehen. Patienten, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, stellen im Klinikbetrieb eine große Herausforderung dar. Das stationäre Setting scheint sich für diese Patienten geradezu wie eine Nährlösung für ihre Psychodynamik anzubieten. Speziell für das Pflegepersonal bedeuten diese Patienten eine hohe Belastung. Bei längerem stationärem Aufenthalt stellt das Pflegepersonal für die Patienten die intensivste bzw. die konstanteste durchgehende Beziehung dar. Diese Beziehung beruht nicht auf einer „künstlichen“ psychotherapeutischen Beziehung die sich auf eine Stunde am Tag oder der Woche beschränkt. Die Pflegeperson ist bis zu 13 Stunden durchgehend auf der Abteilung und es ist in diesem Zeitraum unmöglich, sich eine distanzierte und abgeklärte Position zum Patienten zu bewahren. Es erscheint auch nicht sehr zielführend, sich in eine ständige Abwehrposition gegenüber Ab- und Aufwertungen zu stellen. Dieses Verhalten führt zu einer sehr distanzierten Haltung dem Patienten gegenüber. Es ist keine Abstinenz im psychoanalytischem Verständnis, sondern die Vorstufe zum Burn out. Wie weit ist es wichtig, sich auf die Kommunikationsstrukturen dieser Patienten einzulassen? Es stellt eben auch ein wichtiges therapeutisches und diagnostisches Kriterium dar, in die „Übertragung“ des Patienten „hineinzufallen“. Warum? Erst in der Psychodynamik, die sich im Team entwickelt, spiegelt sich die Strategie des Patienten wieder, wie er in seiner Umgebung agiert. Anhand dieser gewonnen Daten kann daran gedacht werden, ein Behandlungskonzept zu erstellen. 3 Die Spaltung von den Vorstellungen über sich selber und die Spaltung der Vorstellung über die Behandlungspersonen sind einer der vorherrschenden Merkmale der BorderlinePersönlichkeitserkrankung. Spaltung betrifft die Vorstellung, sich und andere in gut und böse einzuteilen. Dieses Gute und Böse herrscht in einer so absoluten Form und eben strickt von einander getrennt vor, dass der Patient keine, oder nur geringe, Vorstellungen davon entwickeln kann, dass eine Person gute und schlechte Anteile hat. Fallgeschichte: Eine 20 jährige Patientin berichtet von ihrer Mutter, dass diese ihr mit dem nicht mehr bezahlen der Schulkosten, der Privatmaturaschule bedroht habe, das sie nicht in die Schule gegangen ist, wobei ihr die Tochter vermitteln wollte, das sie heute keinen für sie notwendigen Unterricht habe, das sie bereits in diesen Geständen maturiert hätte. Sie konnte die Mutter durch diese Erklärung nicht besänftigen. Tags darauf ging die Mutter während der Unterrichtszeit mit der Tochter auf eine beliebte Einkaufsstrasse flanieren und kaufte der Tochter viele Bücher. Die Patientin beschrieb dieses Einkaufen als würde sie mit ihrer besten Freundin schulschwänzen. Die Patientin berichtet viele solcher Ereignisse wo die Mutter sehr streng und ihr drohend gegenübertritt oder sie sehr betuend behandelt, was sich speziell auf einer somatischhysterischen Ebene abspielt. Was bedeutet das für die Stationäre Behandlung? Bestimmte Pflegepersonen oder Ärzte werden idealisiert und als gut eingestuft. Diese Idealisierung blendet die Vorstellung aus, dass die Pflegeperson auch negative Seiten besitzen könnte. Diese Idealisierung schwingt in jedem Gespräch mit und verführt die Pflegeperson zu einer idealisierten Figur. Die Pflegeperson verspürt mit der Zeit die drohende Entwertung und den drohenden Sturz aus der Idealisierung. Die Angst in der Pflegeperson lässt gewisse eigene negative Gefühle und Regungen gegenüber dem Patienten wegschieben oder verleugnen. Diese Spaltung lässt sich sehr gut in der Teamdynamik ablesen. Ein Teil des Pflegepersonals identifiziert sich mit der Idealisierung und ein anderer Teil mit der Entwertung. 4 Die Problematik der Idealisierung beginnt dann, wenn diese Idealisierung auf die eigene Bedürftigkeit trifft. Es wäre eine Omnipotenzvorstellung, wenn man davon ausgehen würde, man wäre nie gefährdet gegenüber dieser Idealisierung und sie würde nie auf die eigene Bedürftigkeit treffen. Speziell als Pflegeperson ist der Schutz der Abstinenz über einen Tag nicht vollständig aufrecht zu halten. Es bedarf anderer Schutzmechanismen für das Pflegepersonal, als die der Abstinenz und dem damit später auftretenden Rückzug. Pflegepersonen spüren die „Übertragung“ und die darin enthaltenen Verführungsmechanismen am stärksten und am längsten anhaltend. Allgemeine Lehrziele - Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen psychotherapeutische Erkenntnisse für die pflegerische Beziehungsarbeit verstehen von dynamischen Faktoren (Psychodynamik) Analyse von Beziehungsstrukturen und Umgang mit auffälligen Verhaltensmustern Gegenstrategien: Betreuungskonzept, Schnittstellenmanagement, Konfliktregelung, Abwendung von Gefährdungen, Persönlichkeitsentwicklung Reflexion, Supervision Unterrichtsformen VO, Rollenspiel, Gruppenarbeit, Praxisaufgaben, Bereitstellen von Skripten Zielgruppe Die angebotene Weiterbildung ist für diplomierte Pflegepersonen die im Bereich von psychiatrischen Stationen arbeiten. Die Lehrgangsteilnehmer benötigen für die Teilnahme das Diplom für den gehobenen Dienst in der Gesundheit- und Krankenpflege nach Paragraph 12 GuKG. 5 Dauer Diese universitäre Weiterbildung wird berufsbegleitenden in 16 Blockveranstaltungen mit einem Praxisteil abgehalten. Die Dauer beträgt drei Semester. (600 Lehrveranstaltungen) Kosten 4.990,- € Kursorganisation Johann Steinberger, Angelika Guttenberger, Wolfgang Sieberth 0660/8196656 Beginn Herbst 2012 Kooperationspartner Psychiatrische Krankenpflegeschule im Otto Wagner Spital 6 STUNDENTAFEL SONDERAUSBILDUNG IN DER PFLEGE IM PSYCHIATRIEBEREICH UNTERRICHTSFACH Einführung in die Persönlichkeitsdiagnostik Grundlagen LEHRINHALTE ICD 10, DSM IV NANDA, historische Klassifikation Borderline u. Narzisstische Persönlichkeitsstörung STUNDENUMFANG Persönlichkeitsorganisation und Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen Abwehrmechanismen Objektbeziehungsgestaltung Gegenübertragung Forensisch-psychiatrische Aspekte, Neurobiologie Symptomatologie Affektive Grundlagen, Angst Suizidalität Sucht Essstörungen Paraphilie, Perversion Selbstverletzendes Verhalten Psychotische Syndrome Behandlung/Pflegetechniken Persönlichkeitsentwicklung Praxis Grundlagen der Gesprächsführung Interventionsformen Kunstfehler Krisenintervention Kommunikationsstrategien Pflegeplanung/Therapieplanung Psychohygieneschulung Umsetzung der Planung Vorbereitung, Einzelfallanalyse, Reflexion, Supervision 7 Gruppe/Systeme Angehörigenarbeit Theoretische Konzepte Teamstrukturen, Gruppendynamik, Qualitätsmanagement Beschwerdeprävention Bindungsforschung, Traumatologie, Psychosomatik Interkulturelle Aspekte PRAXISAUFGABE 1. Krankenbeobachtung: Auswahl eines schon bekannten Patientin/Klienten an Ihrer Station (eine Pflegebeziehung besteht bereits). Aus der Krankengeschichte/Dokumentation gibt es Indizien die auf eine Borderlinestörung hinweisen (Beispiele: Störung der Affektregulation, der Identität, der Impulsivität (ggf. mit Aggressivität) sowie interaktionelle Probleme. 2. Analyse der festgestellten Beobachtungsinhalte Sind auch in der Dokumentation die persönlichen Beobachtungen niedergeschrieben? Ist hier auch die Sichtweise des Patienten beschrieben? Bestimmt eher die Sichtweise der Pflegepersonen die Zuordnung zu einem bestimmten Problem? Gibt es dazu gestellte Pflegediagnosen (PD)? Wenn Ja, welche? 3. Zusammenhang: Problem und Ursache Führt die beschriebene Ursache zu "besonderen" Umgangsstrategien mit dem Patienten? Oder ist die Ursache die dahinter stehende Krankheit (also die ärztliche Diagnose)? Sind dazu bereits Pflegediagnosen gestellt (siehe Punkt 5)? 4. Ressourcen (R) bzw. Selbstpflegefähigkeiten (SPF): Fließen die R bzw. die SPF in die Erstellung von Pflegediagnosen ein? Ist bei der Maßnahmenplanung erkennbar, dass der Patient/Bewohner seine R/SPF einbringen kann? 5. Analyse der Pflegediagnosen (PD) die im Zusammenhang mit der Borderlinestörung stehen Klären Sie folgende Fragen im Detail 8 1 . Erfassen Sie die Daten, die zur Stellung der zugeordneten PD geführt haben 2. ist die PD (das Pflegeproblem) ein Problem des Patienten/Klienten, oder ein Problem der Pflegepersonen? 3. fährt die beschriebene Ursache zu den Pflegemaßnahmen 4. versuchen Sie, die genannten PD durch eine andere (patientenbezogene, bzw. praxisrelevante) PD zu ersetzen (mit Begründung) 5. Begründen Sie die weiteren gestellten Pflegediagnosen. Erfassen Sie die anamnestischen Daten, die zur Stellung der folgenden Pflegediagnose als Basis dienten. - Kooperationsbereitschaft, fehlend - Denkprozess, verändert - Verwirrtheit, akut - Verwirrtheit, chronisch 6. Grundannahmen und Zusammenarbeit mit dem Patienten Ausgangslage: - Was macht es uns so schwer, mit diesen Patienten ("Borderlinern") zusammenzuarbeiten? - Wie gehe ich mit dem Wechselbad zwischen Überidealisierung und Entwertung um? - Wie viel Nähe ist ratsam und hilfreich? - Was entlastet mich als Pflegekraft? Treffen folgende Grundannahmen zu? Beschreiben Sie welche davon einlösbar sind und welche nicht! - der Patient gibt sich wirklich Mühe - der Patient will sein Verhalten ändern - der Patient muss noch mehr Anstrengung und Motivation an den Tag legen, um sich zu ändern - der Patient hat nicht alle Schwierigkeiten selbst herbeigeführt, er muss sie aber trotzdem selbst lösen - der Patient muss in allen relevanten Lebensbereichen neue Verhaltensweisen erlernen - der Patient kann in der Therapie nicht versagen - die betreuenden Pflegepersonen brauchen bei diesem Patienten Unterstützung Erstellen Sie eine kurze Fall- und Ergebnisbeschreibung für die Auswertung. (Idee Mag. Otto Schrenk) 9 BESCHWERDEMANAGEMANT Professioneller Umgang mit Beschwerden wird in Zukunft nicht nur ein Qualitäts- sondern auch ein Kostenfaktor sein. Einschlägige Erfahrungen zeigen, dass Fehlkommunikation nicht nur das Ansehen von Institutionen und Berufsgruppen schädigt, sowie Misstrauen, Aggression und auch Verlagerung von Kundenströmen bewirkt, sondern im Prozessfall bis zu 20%ige Kostenerhöhungen nach sich ziehen kann. Eine fachliche Ausbildung ist die Säule eines funktionierenden Beschwerdemanagements. Die Fähigkeit unternehmerische, gesetzliche und normative Vorgaben mit den Kundenwünschen systematisch in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung. Ein/e ausgebildete/r BeschwerdemanagerIn soll in der Lage sein, diese Zusammenhänge zu erarbeiten, zu analysieren und beratend der Unternehmensführung zur Seite zu stehen. Verbesserungspotentiale sollen erkannt werden und mithilfe erlernter Werkzeuge auch umgesetzt werden. Im gleichen Sinn soll ein/e BeschwerdemanagerIn in der Lage sein, auf Kundenwünsche und -anregungen angemessen und richtig zu reagieren. BeschwerdemanagerInnen müssen in der Lage sein ein Gespräch auch in schwierigen Situationen zu führen. Einer Rufschädigung einer Organisation kann somit rechtzeitig vorgebeugt sowie Vorsorgemaßnahmen erarbeitet und getroffen werden. Durch direktes Feedback vom Beschwerdeführer wird Verbesserungspotential erkannt und führt zur verbesserten Kundenorientierung. Professioneller Umgang mit Beschwerden und BeschwerdeführerInnen spart somit Energieverlust auf allen Ebenen - Zeit, Gesundheit, Finanzen und öffentlichem Image. 10