Thomas M an n s Vorarbeiten zu einem Dram a iiber Luthers Hochzeit (1955) von Birger Hassing Nielsen Es ist bekannt, dass Thomas Mann sich unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges zu einem heftigen Kritiker der protestantischen Kultur und Tradition entwickelt hatte, die er als besonders prådisponiert fiir die Dåmonie des Nazismus ansah, und dass er — folglich — die Reformation und nicht zuletzt Luther selbst fiir die deutsche Endkatastrophe mitverantwortlich gemacht hat. In seinem Vortrag »Deutschland und die Deutschen« (1945) und in dem Roman »Doktor Faustus« (1947) stellt er die Reformation als die grosse Wasserscheide in der Geschichte Deutschlands dar: Mit ihr begann die verhångnisvolle deutsche Entwicklung, von der der Nazismus ein letzter hektischer, barbarischer Ausschlag ist. Seiner Auffassung von Luthers monumentaler, aber fataler und ihm selbst durch seinen Grobianstil unsympathischer Person hat er ausserdem in dem Essay »Die drei Gewaltigen« (1948) Ausdruck gegeben. Im Kern stimmt das in den obigen Schriften entworfene Bild der Refor­ mation als solcher im grossen und ganzen mit dem uberein, das Mann bereits in den »Betrachtungen eines Unpolitischen« gegeben hat, doch ist seine personliche Einschåtzung hier diametral entgegengesetzt. In dem Kapitel »Vom Glauben« in diesem personlichen Bekenntnis zur nationalen protestantischen Kultur von 1918 korrigiert Mann die vom Zivilisationsliteraten einseitig vorgenommene Hervorhebung der Reformation als einer europåischen geistig-emanzipatorischen Parallelbewegung zu der fruher von Italien ausgehenden Renaissance und der spåteren aus Frankreich stammenden Revolution, indem er, sich auf Nietzsche und Th. Carlyle berufend, Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 99 betont, dass es in mindestens ebenso hohem Grade erlaubt sei, sie als eine deutsche, reaktionåre, mittelalterliche Bewegung zu betrachten. Aber im Grunde sei beides nach Mann unaufloslich ineinander verwoben. Als guter patriotischer Deutscher soli man Luthers Reformation gerade in dieser Doppeldeutigkeit und als das Werk einer grossen Personlichkeit bewundern, denn in all dem ist sie auch typisch deutsch. Die Reformation als eine solche konservativ-revolutionåre Bewegung bleibt weiterhin das Riickgrat des Mannschen Reformationsbildes. Auch nach seinem politischen Umschwung zur westlichen Demokratie ein paar Jahre spåter bleibt sich die Substanz seiner Reformationskonzeption erstaunenswert gleich. Mit mehr negativen als positiven Akzenten in der Beurteilung und — weiter noch — deutlich beeinflusst von Nietzsches Lutherkritik hebt Mann in seinem Essay von 1929: »Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte« die Reformation und die Romantik mit einer aus Nietzsche geholten Formulierung auf åhnliche Weise als eine echte » Reaktion als Fort- schritt«. hervor im Unterschied zu den zeitgenossischen irrationalen, politi­ schen Stromungen, die trotz des Banners einer konservativen Revolution, unter dem sie dahinziehen, in Wirklichkeit — Mann zufolge — nur reak­ tionåre Tendenzen sind. In den erst spåter unter dem Titel »Leiden an Deutschland« veroffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Manns aus den Jahren 1933 -34 wird die Formulierung » konservative Revolution«, bei deren Prågung mit der Bedeutung eines åsthetischen, humanen Terminus nicht nur Hofmansthal, sondern auch Mann selbst beteiligt gewesen ist, zum erstenmal von Mann wortlich auf die Reformation gemiinzt. Er betrachtet ja auch diese als ein solches progressiv-regressives historisches Phånomen im Gegensatz zu Hof­ mannsthal, der 1927 in dem aufsehenerregenden Vortrag »Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation« in seinem Suchen nach modernen Bindungen auf die Reformation als eine angeblich nur revolutionåre Freiheitsbewegung reagiert. Obgleich Th. Mann in diesen Tagebuchnotizen die Begeisterung vieler seiner Landsleute fiir den Nazismus als eine mythische Wiederholung der Reformation nicht teilen kann, kann er jedoch den Gedanken nicht von der Hand weisen, dass tatsåchlich eine gewisse Verwandtschaft mythischer Art zwischen ihnen besteht. In seinem Essay iiber Goethes Faust (1938) kommt er auf den faustisch-mythischen Charakter der ganzen Reformationszeit zu Birger Hassing Nielsen 100 sprechen. Aber vor allem im »Doktor Faustus«, besonders in der Gestalt Adrian Leverkuhn als einer mythischen Inkarnation des deutschen Wesens, werden die faustische und die lutherische Sphåre aufeinander bezogen. In diesem Roman und in den iibrigen genannten Schriften aus Thomas Manns letzten Jahren wenden sich seine Angriffe vom europåischen Stand­ punkt aus gegen die reaktionåren Elemente der Reformation. Er muss sich nunmehr von der protestantischen Kulturtradition distanzieren, die die Re­ formation in die Wege leitete und deren positivste Schopfungen die deutsche Romantik, die deutsche Musik und die deutsche Philosophie sind. Aber er verleugnet trotz seiner Kritik nicht seine personliche Verbundenheit auf Gedeih und Verderb mit diesem ganzen protestantischen »Verinnerlichungsprozess«. Wie steht es um die historische Richtigkeit und um den relativen Wahrheitsgrad dieser von Mann vertretenen Thesen? In der von seinem Humanismus kaum zu trennenden eigenen vagen Religiositåt hat Mann wenigstens den religiosen Reformator Luther niemals verstanden. Schon von dieser schiefen Perspektive aus ergeben sich viele Verzerrungen seines Lutherbildes. In den Grundziigen zumindest kann die moderne Geschichtsforschung dagegen die von Mann vertretene Auffassung der Reformation als einer konservativen Revolution beståtigen. Auch die heutige liberalistische Geschichtsschreibung hat die friiher verfochtene einseitige Einordnung der Reformation, wie wir sie durch den Zivilisationsliteraten kennenlernten, aufgegeben zugunsten der Mannschen Deutung. Schon in ihrer einseitigen Anlage hochst anfechtbar ist dagegen die von Mann vorgenommene Herleitung der von ihm gemeinten geistigen Prådispositionen des Nazismus aus der protestantischen Geistestradition. Grundsåtzlich iiberbewertet Mann nun sicherlich diese angenommenen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen des Nazismus. Seine Geschichtsdeutung _ ihrerseits stark zeitpolitisch bedingt — wurzelt ferner in einer heute kaum noch aufrechtzuerhaltenden nachromantischen Auffassung des Volkes als eines Organismus mit einem eigenen geschichtlichen Wachstum und mit besonderen Eigenschaften. Ohne ideologische Geschichtsklitterungen låsst sich heute eine Geschichtskonstruktion wie die Mannsche nicht durchfuhren. Dass auch ernste Geschichtsforscher wåhrend des Dritten Reiches und in den Jahren unmit- Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 101 telbar nach seinem Ende sich zu einem åhnlichen geschichtlichen Zerrbild haben versteigen konnen, muss auf dem aktuellen Hintergrunde gesehen werden, dass viele Nazisten, geschichtlich missdeutend so auch hier, den Nazismus als die regelrechte Weiterentwicklung des Geistes der Reformation herausstellen wollten. Genealogisch wenigstens ist der Nazismus im engeren Sinne nicht protestantischen Ursprungs. Andererseits ist er weitgehend katholischen Staatsideologien verpflichtet und hat als totalitåres System vielen Katholiken angesprochen. Die protestantische »bekennende Kirche« hat wåhrend des Dritten Reiches klar gegen die Staatsmacht Stellung genommen nach dem Misslingen des nazistischen Experimentes der »Deutschen Christen« und gerade, indem sie sich auf Luther beriefen. Wenn Mann Luther an der deutschen Katastrophe mitschuldig macht, kompromittiert er auch noch zu Unrecht die protestantische Welt ausserhalb Deutschlands. Fiir das Verståndnis der Verbreitung des Nazismus konnen die Mannschen Thesen nur in beschrånktem Umfange angewendet und nur ganz am Rande und mit den grossten Vorbehalten auf den Protestantismus und dessen Urheber bezogen werden. Thomas Mann hat sich indes nicht nur mit der Reformation als einem kulturgeschichtlichen Problem beschåftigt. Er hat sich auch den grossten Teil seines Lebens hindurch mit novellistischen und dramatischen Gegenstånden abgegeben, die ihr Thema aus dem 16. Jahrhundert nahmen, d. h. aus der Geschichte der spåteren italienischen Renaissance, der deutschen Reformation und der spanischen Gegenreformation. Schon in seiner Schulzeit hatte er, inspiriert durch Schillers »Don Carlos«, die Absicht, ein kritisch angelegtes antiklerikales Drama iiber ein Thema aus der spanischen Gegenreformation zu schreiben, das den Titel »Die Priester« tragen sollte. In »Fiorenza« (1905), dem einzigen abgeschlossenen Drama Manns, nimmt er die italienische Renaissance zum Gegenstand dichterischer Behandlung, auch hier nicht als Verherrlicher, sondern in allem als der Kritiker der behandelten Zeitperiode, wie er sich auf Grund einer Missdeutung veranlasst sieht, in einem »Brief an eine katholische Zeitung« von 1908 zu erklåren. 1. Vgl. »Lebensabriss«, 1930. 2. Vgl. »Sechzehn Jahre. Zur amerikanischen Ausgabe von »Joseph und seine Bruder« in einem Band«, 1948. Birger Hassing Nielsen 102 Nietzsches Åsthetizismus aus der Zeit der Renaissance hat Thomas Mann niemals etwas gesagt, und er hat eine Hervorhebung gerade dieser Seite von Nietzsches Philosophie immer fiir eine oberflåchliche Missdeutung gehalten, sowie ihm die Ausmiinzung der Lehre Nietzsches zugunsten der nazistischen Ideologie hochst tendenzios war. Manns Joseph-Roman war urspriinglich als ein historisches Triptychon geplant,1 wovon nur der erste Teil alttestamentlichs und ågyptische Themen behandeln sollte, die beiden anderen aber — in novellistischer Form2 — die spanische Gegenreformation und die deutsche Reformation. In dem Roman »Doktor Faustus«, der im 20. Jahrhundert spielt, wird durch klug angelegtes historisches Synchronisieren und viele Kunstgriffe die Reformationszeit und ihre Atmosphåre heraufbeschworen, aber zufriedengestellt wurden die fiirs erste aufgegebenen Plane iiber die Reformation durch dieses Werk nicht. In seinen letzten Jahren wandte sich Mann diesen Gegenstånden wieder zu. Im Jahre 1952 hat er, an literarischen Planen so reich wie je in seinem Leben, u. a. Ideen zu einem Erasmus-Roman3 und zwei Jahre spater zu einigen historischen Novellen aus der Reformationszeit, wie wir in einem Brief an Erika Mann von 1954 erfahren: »Alir schwebt etwas vor, wie eine kleine C haraktergalerie aus der Reformationszeit, Momentbilder von Luther, Hutten, Erasmus, Karl V., Leo X., Zwingli, Miinzer, Tilman Riemenschneider, und wie da das Verbindende der Zeitgenossenschaft, und die vollige Verschiedenheit der persdnlichen Blickpunkte, des individuellen Schicksals, bis zur Komik gegeneinanderstehen«.4 Aber Thomas Manns Interesse konzentriert sich immer mehr auf die Gestalt Luthers, und bald werden auch diese Ideen verworfen zugunsten eines Dramas iiber die Heirat des Reformators mit Katharina von Bora im Jahre 1525. Manns literarische Plane in seinem letzten Lebensjahr waren nicht, wie man in der literarischen Welt vermutete, bevor sein Testament veroffentlicht wurde, der Vollendung der Fortsetzung seines Welterfolgs »Felix Krull« (1954) gewidmet, sondern galten diesem geschichtlichen Stoff. Seine historischen Vorarbeiten fiir dieses geplante Drama, die in der Hauptsache aus Exzerpten aus Schriften von und iiber Luther bestehen, werden in dem Thomas Mann-Archiv in Ziirich aufbewahrt. Mit freundlicher 3. Vgl. »Thomas Mann — Karl Kerényi. Gespriich in Briefen«, (1960), S. 178. 4. Vgl. Erika Mann, »Das letzte Jahr. Bericht iiber meinen Vater«, (1956), S. 10. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 103 Genehmigung des Konservators des Archivs, Herrn Dr. H. Wysling, habe ich dieses Material durchsehen diirfen. Es besteht aus 47 handgeschriebenen Oktavseiten, von denen S. 18 in dem unten erwåhnten Buch von Erika Mann photokopiert ist. Die von Thomas Mann benutzte Literatur befindet sich ebenfalls im Archiv. Im wesentlichen handelt es sich um eine Sammlung von historischem Stoff iiber Luther, die sich um seine Hochzeit konzentriert. Dagegen kam Thomas Mann nicht dazu, vor seinem Tode mit dem eigentlichen Drama anzufangen, und es ist fraglich, ob er iiberhaupt zu einem Abschluss seiner Quellenstudien gelangt war. Insofern ist dieses Arbeitsbuch als Dokument seiner eigenen Auffassung von Luther mangelhaft, und fiir eine åsthetische Betrachtung ist es ganz ohne Interesse. Nichtsdestoweniger kann man gewisse Betrachtungen dariiber anstellen, wie sich das vollendete Werk mutmasslich ausgenommen haben wiirde. Doch lasst es sich auf Grund dieses Arbeitsbuches allein nicht mit Sicherheit feststellen, in welche literarische Form Thomas Mann diesen Stoff giessen wollte. Indessen gibt die Tochter Erika Mann in ihrem kleinen Lebensbild vom letzten Jahre ihres Vaters an, dass Thomas Mann sich gedacht habe, das Thema in der Form des Dramas zu realisieren. Sie macht ausserdem verschiedene andere wichtige biographische Angaben, was wir im Folgenden uns zunutze machen wollen. Erika Mann hat mich wissen lassen, dass ihr keine anderen biographischen Sachverhalte bekannt sind als diejenigen, die sie bereits in ihrem Buch mitgeteilt hat, und auch die Witwe Thomas Manns, Frau Katja Mann, kann weiter nichts dariiber berichten. Es liegt in der Natur der Sache, dass man vergeblich nach originalen »Mannschen« Betrachtungen iiber Luther sucht. Nichtsdestoweniger kann man mit einiger Vorsicht Manns eigene Haltung zu Luther und zu den exzerpierten Geschichtsvorgången aus diesen Aufzeichnungen ablesen, und man kann feststellen, dass er wåhrend dieser seiner letzten intensiven Beschåftigung prinzipiell nicht seine Auffassung von Luther und der Refor­ mation geåndert hat. Die Theorie ist wenigstens nicht aufrechtzuerhalten, dass er zuletzt »umgeschlagen« haben sollte. Chronologisch stammen diese Notizen Erika Mann zufolge aus dem letzten Lebensjahr Thomas Manns. Die eigentliche Niederschrift hat er nach seiner Ruckkehr von Chur im Februar (Mårz) 1955 begonnen. Wir mussen also das Friihjahr und den Sommer dieses Jahres als den Zeitraum ansetzen, 104 Birger Hassing Nielsen in dem Mann an diesen Planen arbeitete. Thomas Mann starb am 12. August 1955 an den Folgen einer Thrombose, und seine Arbeit ist nur wegen seines trotz des hohen Alters plotzliehen und unerwarteten Todes nicht weiter vorangekommen. Man kann sich dariiber wundern, dass Thomas Mann, der als der grosse Epiker bekannt ist, daran denken konnte, diesen Lutherstoff in der Form des Dramas Wirklichkeit werden zu lassen. Aber dass er die Romanform verschmåhte, hångt, biographisch gesehen, nicht zuletzt mit dem Wunsch zusammen, etwas Kurzes und Ausfiihrbares zu schreiben. Aus Erfahrung wusste er, dass selbst ein beabsichtigter kurzer Roman wåhrend der Arbeit allmåhlich zu einem Werk von Mammutformat anschwellen konnte. Dass er etwas Kurzes zu schreiben wiinschte, muss wieder auf dem Hintergrund seines hohen Alters gesehen werden. Thomas Mann hat sich auf ein einzelnes Ereignis im Leben Luthers konzentriert. Dass er die Kurzform der Novelle zugunsten der eines nicht allzu umfangreichen Dramas verschmåhte, hångt nicht zuletzt mit den besonderen Qualitåten des gewåhlten Stoffes zusammen. Man muss sagen, dass es ein vorziiglicher Komodienstoff ist. Mann wollte gerade gern etwas Leichtes und Heiteres schreiben. Erika Mann berichtet, wie sprudelnd humorvoll ihr Vater in seiner letzten Zeit war. Als Theaterstuck war »Fiorenza« wenig gelungen gewesen, was Thomas Mann selber erkannt hatte. Nichtsdestoweniger war er zeit seines Lebens von der Welt des Theaters gefesselt. Wir haben von seiner Hand zwei Essays iiber das Theater. In der »Rede iiber das Theater« (1929) bekennt er, in wie tiefer Schuld er selbst als Epiker zum Theater steht. Er hebt die Leidenschaft fiir das Theater als den Schauplatz existentieller Auseinandersetzungen als etwas speziell Deutsches hervor. Aus dem »Versuch iiber das Theater« (1908) geht hervor, dass Wagner, der neben Schopenhauer und Nietzsche Manns »Dreigestirn« bildet, unter dessen Zeichen allererst seine Abrechnung mit der deutschen Tradition steht, fiir ihn der Inbegriff alles dessen ist, was mit dem Theater zu tun hat: »Wer ddchte nicht unausgesetzt an ihn wenn von Theater die Rede ist.« Erika Mann berichtet von der Leidenschaft ihres Vaters fiir das Theater in seiner letzten Zeit: »Wie man ein handfestes Stiick zimmert, — er meinte es endlich zu wissen«.5 5. Erika Mann, »Das letzte Jahr«, S. 11. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 105 Die wesentlichsten Ursachen dafiir, dass Thomas Mann die Kurzform eines Dramas und nicht die einer Novelle fiir seinen Gegenstand wahlte, scheinen mir folgende zu sein: Er hat den Wunsch gehegt, nach seinem als Biihnenspiel missgliickten Renaissancesttick Genugtuung zu erlangen; er hat erkannt, dass der gewåhlte Stoff sich besser fiir eine dramatische als fiir eine novellistische Behandlung eignet; und zuletzt — der Stelle, nicht dem Werte nach: Thomas Mann hat mit Luthers Hochzeit ein Thema aufgenommen, das zu behandeln und auf die Btihne zu bringen Richard Wagner selbst, der grosse Meister des Theaters, einmal geplant hat. Man weiss, dass Richard Wagner im Jahre 1868, also in einem Alter von 55 Jahren, beabsichtigte, ein Musikdrama uber Luthers Hochzeit zu schreiben, ein Stoff. der jedoch verworfen wurde zugunsten eines allerdings wesensverwandten Theaterstiicks iiber ein Thema aus der Reformationszeit, nåmlich »Die Meistersinger«. Dieses Werk ist insofern eine Transformation der urspriinglichen Idee, als es eine Verherrlichung des Deutschlands der Reformationszeit und der ganzen protestantischen deutschen Kultur ist. Uber diese Plane (die nicht mit den Skizzen zu der Oper »Die Hochzeit« verwechselt werden diirfen) liegen åusserst wenige Daten vor, aber dass Thomas Mann sie zumindest gekannt hat, geht aus seiner Rezension einer Ausgabe von Richard Wagners Briefen in »The Burrell Collection« hervor, die erst im Jahre geschrieben worden ist. Darin heisst es: »Aber auf der Reise von Karlsruhe nach Wien hatte er (Wagner) sich vier Tage — ganze vier — in Niirnberg aufgehalten, und dort, nur durch den Anblick des Stadtbildes offenbar, war ein Nebel zum Stem, ein vager Traum zur konkreten Arbeitsidee geworden: Etwas måchtig Deutsches, protestantisch Revolutionåres, volkhaft Kiilmes und Biederes hatte långst gelebt und geschwebt in seiner Phantasie, was eigentlich von »Luthers Hoch­ zeit« hatte handeln sollen, das ging nun ein in die Konzeption der »Meister­ singer von Niirnberg«., und alle Qudlereien, Sorgen, Scherereien wegen des »Tristan«, von so existentieller Wichtigkeit sie waren, bildeten nur die Oberfldche seines Daseins; darunter, in Wahrheit und in der Stille, war all sein Sinnen, Trachten und Hoffen versammelt auf das Neue, auf das, was ein glorioser Ausbruch deutschen Gemutes, deutscher Freiheit und Meisterlichkeit in pomposem C-Dur werden musste,«6 6. Vgl. »Briefe Richard Wagners« (1951). Birger Hassing Nielsen 106 Fiir Thomas Manns eigene Person seheint es so zu sein, dass die Idee, den von Wagner aufgegebenen Stoff der Hochzeit Luthers zu dichterischer Behandlung aufzugreifen, in den folgenden Jahren auf åhnliche Weise von einem vagen Traum immer mehr die Form konkreter Plane angenommen hat. Doch sollte er erst einige Jahre spåter mit den eigentlichen Vorarbeiten fiir diesen Gegenstand beginnen. Moglicherweise geht der Gedanke, ein Stiick iiber Luthers Hochzeit zu schreiben, auch bei ihm weit zuriick, nåmlich in eine Zeit, als er an den »Betrachtungen eines Unpolitischen« arbeitete. Ein Brief an Paul Amann aus dem Jahre 1917 legt diesen Gedanken nahe. Nachdem Tr. Mann von Hans Pfitzners »Palestrina« als einem Werk aus der Wagnerisch-Schopenhauerischen Sphåre gesprochen hat, schreibt er an den Freund: »Auch Sie erzåhlen mir von dramatischen Freuden. Das Stiick meines Bruders (ein Berliner Witzblatt nannte es »Mme Engros«, von wegen der vielen Auffiihrungen) ist zweijellos ein starker Wurf. Die nationale Gegenprobe wåre etwa ein Luther-Drama, heute aufgefiihrt in Paris. Wie wurde sie ausfallen? Womit nichts gegen die Franzosen gesagt sein soli«.7 Als Protest gegen das Theaterstiick seines Bruders »Madame Legros« (1913), das 1917 mit grossem Erfolg in Berlin aufgefiihrt wurde, denkt sich also Mann ein Lutherdrama, das in Paris aufgefiihrt wird. »Madame Legros« handelt von einer franzosischen Burgerin, die wåhrend der heraufziehenden Franzosischen Revolution es durchsetzt, dass ein unschuldig Eingesperrter aus der Bastille freigelassen wird. Das geschieht unter Preisgabe ihrer biirgerlichen Existenz. Mann kann nicht im Zweifel dariiber sein, dass sich Thomas Mann zu diesem Zeitpunkt dieses Drama als eine nationale Verherrlichung des Refor­ mators gedacht hat. Wir befinden uns nicht umsonst in dem Jahr, in dem man das 400-jåhrige Jubilåum der Reformation in Deutschland feiern konnte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Mann — wenn er uberhaupt etwas Konkretes mit der Idee verbunden hat, und es sich nicht nur um einen fltichtigen Einfall handelt — dieses Lutherthema zu der Zeit noch als eine Ver­ herrlichung gerade der Heirat Luthers vorgestellt hat, die eine symbolische Grundlegung der biirgerlichen deutschen Kultur sein sollte. Dieses Luther­ drama denkt er sich als ein nationales Gegenstiick zu dem franzosisch orientierten Stiick des Bruders. Es ist auch insoweit grundlegend mit Wagners 7. Vgl. »Briefe an Paul Amann 1915 -1952« (1959), S. 58. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Lut her-Drama 107 »Meistersingern« verwandt. Sehr håufig in seinen Schriften zitiert Mann Nietzsches lakonische »kritisch-geniale« Charakteristik dieses Stiickes: »Meistersinger gegen die Zivilisation: das Deutsche gegen das Franzosische«. Die ausfiihrlichste Erwåhnung der Plane Wagners zu dem Drama iiber Luther finden wir ubrigens auch bei Nietzsche und zwar in seiner Streitschrift »Zur Genealogie der Moral« (1887). Dass Mann sie gekannt hat, ist nicht zu bezweifeln. Wir wollen spater nåher auf diese kleine Charakteristik des von Wagner geplanten Dramas durch Nietzsche eingehen. Auf der Thomas-Mann-Wanderausstellung, die zur Zeit rundum in Europa gezeigt wird, kann man die Photokopie einer Seite von Manns Exzerpten mit einigen von Richard Wagners privaten, gleichfalls handschriftlichen Aufzeichnungen zu dem Lutherdrama zusammengestellt sehen. Diese Wagnerschen Notizen sind von Martin Gregor-Dellin beigesteuert. Sie stammen aus dem Richard-Wagner-Archiv in Bayreuth. Gregor-Dellin hat mich in einem Brief wissen lassen, dass er es fiir ausgeschlossen hålt, dass Thomas Mann diese privaten Aufzeichnungen gekannt haben kann. Wahrscheinlich ist das aber doch der Fall gewesen, wenn diese ihm auch motivisch keine weiteren oder anderen Anregungen — bzw. »Reaktionen« —- haben vermitteln konnen, als er bereits aus Nietzsches oben erwåhnter Darstellung håtte bekommen konnen. Die Bibliothekarin des Richard-Wagner-Archivs, Frau Gertrud Strobel, hat mir nåmlich auf meine Anfrage mitteilen konnen, dass die betreffenden Notizen Wagners nicht nur veroffentlicht worden sind,8 sondern auch, dass Thomas Mann die betreffende Pub­ likation ohne Zweifel durch einen Freund in Ziirich kennengelernt hat. Es handelt sich bei Richard Wagner wie bei Thomas Mann um rein private Aufzeichnungen, bei Wagner jedoch nicht um Exzerpte aus histori­ schen Quellen, sondern um einige szenische Visionen. Die Notizen stammen vom 19. und 20. August 1868 und sind in Richard Wagners »Braunem Buch« niedergeschrieben. Aus ihnen geht hervor, dass Wagner Luther patriotisch verherrlichend als den grossen Sensualisten hat darstellen wollen, der mit seiner eigenen Ehe als Aufruf zur Nachfolge die asketischen Ideale des Mittelalters durchbricht und symbolisch die ganze protestantische Kultur, Musik und Philosophie begrundet. Sein Drama hat die Apotheose des pro­ testantischen Biirgertums sein sollen. 8. In der kleinen Schrift »Offizieller Bayreuther Festspielfiihrer« von 1937, mit allen bekannten biographischen Daten, zusammengestellt von Dr. Otto Strobel. 108 Birger Hassing Nielsen So weit vorlåufig R. Wagner. Das zusammengetragene historische Material im Arbeitsbuch Thomas Manns besteht, wie erwåhnt, zum grossten Teil aus Zitaten aus Luthers Schriften und Exzerpten und Resumees aus Biographien iiber Luther. Mann gibt nicht an, aus welchen Biichern er sein Material zusammengestellt hat, doch sind wir in der gliicklichen Lage, dass die exzerpierten Stellen — und ausserdem viele andere — in seinen eigenen Exemplaren der betreffenden Werke unterstrichen oder angestrichen sind. Hie und da hat Mann auch fiir sich einige Zusåtze in den Biichern selber gemacht. Das erleichtert naturlich unsere Arbeit, die Quellenstellen herauszufinden, aber andererseits wird dieselbe Arbeit dadurch erschwert, dass Thomas Mann — oft ziemlich unmotiviert — von der einen Quelle zur anderen springt. Durch eine griindliche Gegeniiberstellung ist es mir gelungen, praktisch alle Exzerptstellen quellenmåssig zu belegen und hierdurch mehrere Notizen als Manns eigene Kommentare oder Stichworte auszusondern. Manches hat Mann auch noch blau oder rot unterstrichen. Nicht zuletzt durch solche Vergleiche und Hinweise bin ich zu einem klarer konturierten Bild von Manns eigener Auffassung gekommen, was ich in der folgenden thematischen und dramatischen Charakteristik des von Mann geplanten Werkes auszuwerten versuchen will. Die Quellen, die Mann benutzt hat, sind folgende: 1. »Luther«, ausgewåhlt von Karl Gerhard Steck. Eingeleitet von Helmut Gollwitzer. Fischer Biicherei 1955. 2. Julius Kostlin »Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften«, Bd. I -II, Elberfeld 1875 (Manns Exemplar ist ubrigens friiher im Besitz Franz Overbecks gewesen). 3. Karl August Meissinger, »Der katholische Luther«, Miinchen/Bern 1955. 4. Roland H. Bainton, »Hier stehe ich. Das Leben Martin Luthers«, Gottingen 1952. 5. »Martin Luthers Briefe«, in Auswahl herausgegeben von R. Buchwald, Bd. I -II, Leipzig 1909. Es ist schon an sich interessant, zu sehen, welche Literatur Mann fiir seine geschichtlichen Studien gewiihlt hat: Kostlins Biographie ist die klassische dogmatisch-lutherische Darstellung, Bainton und namentlich Meis­ singer sind kritischer in ihrem Protestantismus. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 109 Bemerkenswert ist es, dass sich Thomas Mann, der nicht zuletzt unter dem Eindruck des Nazismus stark mit dem Katholizismus sympathisieren konnte, nicht an katholischen Darstellungen Luthers orientiert hat — soweit es uns erlaubt ist, diese Schlussfolgerung von den Exzerpten in Manns Arbeitsbuch und von dem Biicherbestand seiner eigenen Bibliothek aus zu ziehen. Es låsst sich auch aus Thomas Manns ganzem Werk nicht verifizieren, dass er jemals mit der katholischen Lutherkritik Bekanntschaft gemacht haben sollte, und auch dieser kleine Umstand scheint gegen die Behauptung zu sprechen, dass Mann an diesem Punkt im »Doktor Faustus«, wie Meissinger — und nicht nur er — vermutet, wenigstens direkt »im Schlepptau einer langverjåhrten katholischen Ideologie« sein sollte. Bezeichnend ist es, dass Zeitbloms Kritik der Reformation von kulturellen, nicht von katholisch-dogmatischen Gesichtspunkten aus erfolgt. Manns heftige Lutherkritik muss in der zeitpolitischen Situation nicht zuletzt als eine Reaktion auf die tendenziose, nationale Verherrlichung Luthers in den Jahren vor 1933 sowie wåhrend des Dritten Reiches ver­ standen werden. Das grosse Reservoir von Manns Reformationskritik ist dagegen Nietz­ sche gewesen. Hier und da in seinen zu Anfang erwåhnten Schriften kann man sogar wortliche Anklånge an Nietzsches Reformationskritik finden. So hat er auch in seinem eigenen Exemplar der Naumanschen Ausgabe der Schriften Nietzsches viele der wichtigsten Stellen iiber die Reformation angemerkt. Thomas Manns Arbeitsbuch zerfållt in zwei Teile: I: Seite 1-12, bestehend aus Exzerpten aus Luthers Schriften in der FischerAusgabe. II: Seite 13-47, bestehend aus Exzerpten aus Kostlins, Meissingers und Baintons Biographien, ferner aus Buchwalds Ausgabe von Luthers Briefen. In der ersten Abteilung (I) hat sich Mann eine Reihe von Lutherzitaten notiert. Verschiedene davon sollten in dem fertigen Drama vermutlich dem Reformator in den Mund gelegt werden. Man konnte insofern von einem »Montagedrama« (wie z. B. Georg Biichners »Dantons Tod«) sprechen. Mann hat diese Zitate zweifellos zusammengestellt, um der Sprache in seinem geplanten Stiick mehr historische Patina zu geben. Er hat auf diese Weise seine Kritik an Luther sicherlich iiberzeugender machen wollen; denn es ist 110 Birger Hassing Nielsen deutlich, dass Mann auf der Suehe nach den fiir Luther am meisten kompromittierenden Åusserungen und Umstånden gewesen ist. Mann greift auch sofort die derbsten und am meisten grobianischen Wendungen Luthers heraus. Auf åhnliche Weise hat er sich ja auch im »Doktor Faustus« mehrere Lutherische Krassheiten notiert, die vor allem Ehrenfried Kumpf, der mythischen Karikatur des Reformators, hier in den Mund gelegt sind. Nichtsdestoweniger hat Mann stets Luthers Bibelubersetzung bewundert und ihre sprachliche Urkraft und geschichtliche Bedeutung fiir die deutsche geistige Tradition geriihmt. Manns Aufzeichnungen konzentrieren sich um Luthers Theologie als Ausdruck fiir seine — angebliche — religiose Radikalitåt und Subjektivitåt sowie um seine politische und soziale Indifferenz und antirevolutionåre Hal­ tung und um seinen Respekt vor der Obrigkeit. Vom zweiten Teil (II) der Aufzeichnungen sind die Seiten 13 - 19 hauptsåchlich Exzerpte aus Bainton (17. Kapitel, S. 244-247) und die Seiten 19-27 besonders solche aus Kostlin (Bd. I, speziell 5. Buch, 12. Kapitel, S. 760 -774); sie befassen sich mit Luthers im Jahre 1525 mit der friiheren Nonne Katharina von Bora geschlossenen Ehe und den Umstånden, die dieses wichtige Ereignis in Luthers Leben herbeifiihren. Die letzten Seiten (28 -47) sind vor allem aus Meissinger und Baintain exzerpiert. Diese in jener Zeit ganz unerhorte Begebenheit, dass ein friiherer Monch sich mit einer sogar von ihm selber entfiihrten Nonne verheiratet, sollte der dramatische Kern in dem geplanten Theaterstiick sein. Mann hat insbesondere Material gesammelt, das teils Luthers Stellung zur Ehe als solcher behandelt und teils die Motive aufzeigt, die ihn selbst bewegen, in den Stand der Ehe zu treten. Der Gang der Handlung in diesen Exzerpten ist folgender (ich versuche, in der Auswahl die besonderen Thomas Mannschen Akzente hervorzuholen und die Geschehnisse in der Weise darzustellen, wie er es wahrscheinlich selbst in seinem Drama getan haben wiirde): Die Begriindung des protestantischen Pfarrhauses — Luthers eigene Ehe — lag urspriinglich nicht in Luthers Intentionen, sondern wurde durch zufållige Umstånde herbeigefiihrt. Im Prinzip war Luther jedoch stets ein Gegner des Zolibats der Monche gewesen, den er als im Widerspruch mit der Ordnung Gottes und der Natur stehend betrachtete; er hatte sich immer Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 111 positiv zur Ehe als Institution gestellt, obgleich er fiir seine eigene Person nicht damit gerechnet hatte, dass die Frage einer Heirat jemals aktuell werden sollte. Dagegen fordert er in seiner Monchszeit seine Freunde eifrig auf, sich zu verheiraten — und indirekt, in Anbetracht seiner ganzen Ichbezogenheit, in gewisser Weise auch sich selbst. Psychisch ist er schwankend und unausgewogen. Bald sucht er Zerstreuung durch Geselligkeit, beim Bier und beim Lautenspiel, bald wird er von Schwermut und Anfechtungen heimgesucht. Er wird im Kloster immer mehr zu einem Befiirworter von Ehen zwischen Monchen und Nonnen, eine Idee, auf die er selbst gekommen ist, und das Unerhorte an diesem Aufruhr schmeichelt seinem religiosen Radikalismus. Dagegen betrachtet er den politisch revolutionåren Bauernaufstand, den er im Grunde durch sein Spotten iiber Fiirsten und Autoritåten selber mit veranlasst hatte, als eine Kompromittierung seiner eigenen religios-revolutionåren Haltung. Ohne einen Hintergedanken, dass er selber bei der Teilung der Beute beteiligt sein soli, ist er einer der Anfiihrer bei der Entfiihrung von neun im Kloster Nimbschen eingesperrten Nonnen, die von seiner evangelischen Lehre ergriffen worden sind. Unter diesen ist eine gewisse Katharina von Bora. Mit Hilfe Leonhard Kopps, eines angesehenen Kaufmanns von Torgau, gelingt es ihm, die heiratslustigen Nonnen in einigen leeren Heringsfåssern herauszuschmuggeln. Luther gibt sich grosse Miihe, fiir jede einzelne ein Heim und einen Ehemann zu finden. Seine Freunde raten ihm, selbst eine von ihnen zu heiraten, aber er verweist darauf — und glaubt, es aus der Heiligen Schrift begrunden zu konnen — , dass einzelne, wozu er sich selber zåhlt, dazu bestimmt sind, keusch zu leben. Obgleich er nicht gern sieht, dass man der Ansicht ist, er sei mus Holz und Stein«, bekennt er, er habe niemals eine Frau beriihrt. Er nimmt bestimmt gegen Karlstadt Stellung, dem es gelungen ist, religios noch radikaler zu sein, als er, Luther, selbst, da Karlstadt eingefiihrt haben will, dass eine eingegangene Ehe die Bedingung sein soli fiir die Erlangung der Wiirde eines Geistlichen. Endlich sind alle Nonnen bis auf die besagte Katharina von Bora versorgt. Auf Luthers Verwendung hin wird sie im Haus des Stadtschreibers Reichenbach aufgenommen. Es dauert denn auch nicht lange, bis einer Feuer fångt. Der junge Patriziersohn Hieronymus Baumgårtner verliebt sich in sie. Er ist Anhånger der Lehre Luthers und stammt aus dem mehr westeuropåisch orientierten Niirnberg. Indessen widersetzen sich die Eltern 112 Birger Hassing Nielsen seinen Planen einer Ehe mit einer fortgelaufenen Nonne. Luthers Bemiihungen, sie miteinander ehelich zu verbinden, sind vergeblich: Hieronymus fugt sich gehorsam dem Verlangen seiner Eltern und heiratet stattdessen ein reiches Mådchen aus Niirnberg. Der Nåchste, der sich einfindet und sie gern haben mochte, ist ein Pfarrer aus Orlamiinde namens Glatz. Leider ist die Zuneigung hier nur einseitig. Katharina verabscheut ihn und wendet sich in ihrer Not klagend an Amsdorf, einen Amtsbruder Luthers; sie bittet ihn, ein gutes Wort fiir sie bei Luther einzulegen. Lieber als Dr. Glatz zu heiraten, beteuert sie, wolle sie Amsdorf nehmen oder, wenn es sein soli, auch Martinus selbst. Sie ergreift also selbst die Initiative und macht sozusagen zwei Månnern zugleich einen Heiratsantrag. Sie bekennt ferner, dass sie sich dadurch gekrånkt fiihlt, dass Luther nicht grosseres Interesse fiir sie als Frau gezeigt hat. Katharina ist die einzige von den entfiihrten Nonnen, die man noch nicht abgesetzt bekommen hat. Sie ist ein einfaches, gesundes Mådchen, keine Schonheit. Sie ist 26 Jahre alt und steht daher im Begriff, iiber das attraktive Alter hinauszukommen. Luther ist 16 Jahre ålter. Amsdorf sagt fein Dankeschon und låsst das Angebot an Luther weitergehen. Dieser ist auch nicht besonders begeistert bei dem Gedanken, Katha­ rina heiraten zu sollen. Er macht kein Hehl daraus, dass sie ihm ausserdem direkt unsympathisch ist. Eher håtte er sich denken konnen, Awe Alemann, eine andere von den Nonnen, zu bekommen, wenn es denn sein miisste. Aber diese ist leider schon abgesetzt und versorgt. In einem Brief an seinen nahen Freund Spalatin, den Sekretår und vertrauten Rat des Kurfursten Friedrich des Weisen, ironisiert er iiber sich selbst, dass er, der soviel iiber die Ehe geschrieben und so vielen Nonnen einen Ehemann verschafft hat, nicht selber eine Frau geworden ist oder mindestens eine Frau geheiratet hat. Aber im Grund ist ihm der Gedanke einer eigenen Heirat fremd. Luther nimmt also erst einmal Kåthes ausgesprochene Werbung nicht besonders ernst. Wåhrend eines Besuchs bei seinen Eltern scherzt er iiber das seltsame Eheangebot. Sein Vater missversteht ihn aber und wiinscht ihm Gliick zu seinem Entschluss zu heiraten. Er hat von Anfang an Bedenken gehabt, seinen Sohn als Monch zu wissen, und wiinscht, dass der Name des Geschlechts weiterbesteht. Martin Luther, der seinen Vater nicht noch mehr verletzen will, und der ausserdem noch ein gut Teil Respekt des Sohnes fiir den Vater hegt, fLigt sich ihm gehorsam. Anfangs hat er jedoch Bedenken wegen des abgegebenen Versprechens, Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Lut her-Drama 113 da er damit rechnet und geradezu darauf hofft, als Ketzer verurteilt zu werden. Das aber ist, bemerkt Mann auf eigene Verantwortung, wenig wahrscheinlich: Er hat Friedrich den Weisen auf seiner Seite und die ganze Nation noch hinter sich. Andererseits wiirde eine solche Heirat, wie Luther erkennt, eine gute Moglichkeit sein, den Geriichten von seinem mangelnden Radikalismus, die aufzukommen beginnen, den Boden zu entziehen. Er wtinscht nicht, als ein »Dr. Sanftleben« angesehen zu werden. Die Schliessung einer Ehe wiirde ja zudem die personliche Konsequenz seiner Lehre sein. Nicht nur der Vater ist fiir seine Ehe, sondern auch die meisten seiner Freunde fordern ihn kraftig dazu auf, sich zu verheiraten. Zuletzt fasst er den endgiiltigen Entschluss, die Ehe einzugehen. Eine leidenschaftliche Liebe herrscht allerdings nicht zwischen den angehenden Eheleuten. Luther gibt selbst drei Griinde fiir seine Wahl an: Er will sich dem Wunsche seines Vaters fiigen, den Teufel und den Papst årgern und seinen Bund vor seinem Martyrium besiegeln. Ein schwerwiegendes Moment ist ferner, dass Katharina eine ehenialige Nonne ist. Es ist offenbar Gottes Wunsch, dass es so sein soli, råsoniert er, und dann ist es wohl besser zu heiraten, bevor er zum Martyrer gemacht wird. Katharina ihrerseits bewundert eher Luther als den grossen Reformator und ist ihm ergeben, weil er sie gerettet hat, mehr denn, dass sie ihn eigentlich liebt. Luthers Bekanntgabe, dass er sich verlobe, erweckt geteilte Meinungen. In den Augen des Volkes steht er als Inbegriff månnlicher Entschlossenheit und Tatkraft da, aber in Wirklichkeit wird er oft von Zweifeln und Anfechtungen heimgesucht. Der Gedanke an die bevorstehende Ehe stort noch mehr sein seelisches Gleichgewicht. Die Bestiirzung nimmt zu. Aber der Spott und die Kritik spornen Luther nur noch mehr an. Auch von katholischer Seite protestiert man voller Emporung. Man betrachtet seine Ehe als Gotteslasterung. Draussen ist der Bauernaufstand auf dem Hohepunkt. Luther mochte die Formalitåten iiberstanden haben, ehe der Mårtyrertod ihm zuteil wird. Er hat, wie Mann bemerkt, kein Verstandnis dafiir, was sein fruher Tod an Kummer fiir Katharina bedeuten wiirde. Er will, dass man seine Heirat als offentlichen reformatorischen Akt auffassen soli, und gibt bekannt, dass die Verlobung am 13. Juni 1525 stattfinden soli. Sowohl weltliche als auch kirchliche Eheschliessungen wurden anerkannt. Luther legt demonstrativ Wert darauf, dass man beide Formen beobachtet und Sitte und Brauch dabei genau einhålt. Mann hat sich sorgfåltig die Birger Hassing Nielsen 114 verschiedenen Formalitåten notiert. Die weltliche Feierlichkeit kulminiert in der »tatsåchlichen Vereinigung von Brant und Bråutigam« auf dem Ehebett im Beisein von Zeugen. Luther ist sorgfåltig bei der Auswahl der Personen, die eingeladen werden sollen. Skandal und Krawall sollen vermieden werden. Das Fest wird in Luthers Heim im Augustinerkloster gefeiert. Nach der kirchlichen Trauung mit Ringwechsel folgt dann » Essen und Beilager«. Die offentliche Vermåhlungszeremonie findet erst am 27. Juni statt. Nach der kirchlichen Feier­ lichkeit wird das Ereignis in gebiihrender Weise gefeiert. Luther fasst seine eigene Ehe beinahe wie ein Martyrium auf, das ihm von Gott selbst auferlegt worden ist, obwohl er anderen verkiindigt, dass die Ehe ein Gottessegen ist; er liebt es, den Anschein zu erwecken, als habe er sich durch seine Ehe in den Augen der Welt veråchtlich und gering gemacht. Das ist gottgefållige Selbsterniedrigung, lautet Manns Kommentar. Wenn die Welt schimpft und schmåht, steht es gut. Nicht zuletzt wegen seines harten Buches gegen den Bauernaufstand hat Luther sich allmåhlich im Volke unpopulår gemacht. Er erwartet nun, im Aufstand bald den Mårtyrertod zu erleiden. Mit dieser trostlichen Hoffnung schliesst er seine Ehe. In Wirklichkeit verhålt es sich eher so, bemerkt Mann, dass viele seiner Anhånger fiir ihre Lutherischen Standpunkte hart bussen mussen, wåhrend er selber dem entgeht. Mehrere werden verbannt. Luther wird nicht Mårtyrer, sondern schafft Mårtyrer. Von der Universitåt zu Wittenberg und vielen anderen Orten stromen die Geschenke zur Hochzeit herein. Das Ehepaar bekommt eine Wohnung im Klostergebåude, wo Luther Monch gewesen ist. Die Entriistung wird auf katholischer Seite immer grosser. Man sieht voraus, dass eine eventuelle Nachkommenschaft ein Monstrum werden wird, vielleicht der Antichrist selbst. Selbst der besonnene Melanchthon wird unter dem Eindruck der aktuellen kritischen Situation hinsichtlich Luthers Handlung bedenklich. Er fiirchtet, dass die Heirat vielmehr Luthers Stellung gerade jetzt schwåchen wird, wo Deutschland mehr als je seiner bedarf. Nach und nach im Lauf der Jahre gewohnt sich Luther an die Ehe, die er als Institution immer als einen heiligen Stand und eine Gabe Gottes gepriesen hat, und er lernt mit der Zeit Katharinas schone menschliche Seiten und hierdurch auch ihre weiblichen Eigenschaften schåtzen. Die Ehe wird trotz der fiir die Zukunft nicht sehr vielversprechenden Momente bei Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Lut her-Drama 115 ihrem Eingehen nichtsdestoweniger fest und von langer Dauer. Uber die grosse Familie und den Haushalt Luthers in den folgenden Jahren hat Mann sich etwas weiter hinten Notizen gemacht. Auf den folgenden letzten Seiten (28 -47) hat sich Mann Aufzeichnungen loserer Art gemacht. Er hat augenscheinlich Material zusammengetragen, das seine eigene Auffassung von der Reformation, die wir zu Anfang kurz skizziert haben, dokumentieren soli. Aus Meissinger hat Mann sich Aufschliisse iiber die zeitgeschichtliche Situation geholt. Besonders hat er sich die Stellen notiert, wo Luthers eigene seelische und geistige Verwurzelung im deutschen Mittelalter und die kon­ servative Mittelalterlichkeit der ganzen Reformationszeit hervorgehoben wer­ den, die Deutschlands Entwicklung verzogern und bewirken sollten, dass es in den unmittelbar folgenden Jahrhunderten in einer mittelalterlichen Atmosphåre stagnierte, wåhrend das iibrige westliche Europa, vor allem Spanien und Portugal, einer kultureli und okonomisch grossen Zeit entgegengingen. Im Wirtschaftswettbewerb wurde die Hansa bald von der iberischen Ozeanschiffahrt geschlagen, gleichzeitig aber entsteht in den grossen deutschen Stad ten ein tatkråf tiger Handelsstand. Trotz seiner Ablehnungen des Friihkapitalismus beschleunigt Luther durch seine Reformation diese Entwicklung. Die biirgerliche protestantische Gesellschaft bahnt sich an. Wie Thomas Mann kann auch Tony Buddenbrook die Geschichte der Familie bis ins 16. Jahrh. zuriickverfolgen. Auch uber die kirchenpolitischen Verhåltnisse hat Mann sich Aufzeich­ nungen gemacht, so z. B. iiber das wirtschaftliche und politische Spiel der Kråfte hinter dem Ablasshandel, das der weltfremde Luther in seiner religiosen »Innerlichkeit« nicht durchschaut. Desgleichen uber die Folgen der strengen Zolibatforderungen der Papstkirche. Hinter der Facade der katho­ lischen Kirche gedeihen allerlei Unzucht und Perversitåten, die insgeheim toleriert und bis zu einem gewissen Grade von oben direkt organisiert wer­ den, damit der Zolibat aufrechterhalten werden kann. Im Jahre 1523 predigt Luther uber den umstrittenen Text im 7. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther und hebt — im diametralen Gegensatz zu der von der katholischen Kirche sanktionierten Auslegung — hervor, dass der Zolibat die Domåne des Teufels und die Ehe der gottliche Stand seien. Er will »des Teufels Keusch- heit« entlarven. Mann hat sich auf der Ruckseite die Miihe gemacht, die betreffende Schriftstelle aufzuzeichnen. Birger Hassing Nielsen 116 Weiterhin finden wir Belege fiir die unpolitische Haltung und den Respekt Luthers vor der Obrigkeit, was beides in seiner Haltung zu den Bauern bzw. den Fiirsten zum Ausdruck kommt. Es ist nicht nur die Auffassung Manns, sondern ein wichtiger Punkt der politischen Lutherkritik der Nachkriegszeit, dass der protestantische Respekt vor der Obrigkeit mit daran beteiligt ist, den Weg fiir die bedingungslose Gehorsamsdisziplin des Staates Preussen und des Nazismus zu bahnen. Ferner hat Mann sich Exzerpte iiber die Musikalitåt Luthers gemacht. Es ist ja seine Uberzeugung, dass Luther durch seine personlichen Bestrebungen als der musikalische Pådagoge seines Volkes in entscheidender Weise die ganze spåtere Entfaltung der deutschen Musikkultur eingeleitet und gefordert hat. Luthers musikalische Neigungen, die in den »Betrachtungen eines Unpolitischen« Manns eigenem Attestat zufolge » eine schone liebliche Gabe Gottes«. waren, sind in dem Vortrag »Deutschland und die Deutschen« — wie die Musik iiberhaupt — »ddmonisches Gebiet«. geworden. Er macht in diesem Vortrag der problematischen Versuch, Luthers musikalische Religiositåt mit seinem Teufelsglauben in Verbind ung zu bringen, und es kann daher nicht wundernehmen, dass er sich fiir sein Luther-Drama auch Beispiele von Luthers Volksaberglauben notiert hat. Ebenso hat Mann die Symptome des korperlichen und seelischen Befindens des Reformators niedergeschrieben. Sicherlich hat er Luther als das maniodepressive, pathologisch disponierte Genie darstellen und versuchen wollen, seine Eheethik und Religiositåt als einen Ausdruck dieser Dispo­ sition zu verstehen und damit zu relativieren. Schliesslich hat Mann noch biographische Daten iiber mehrere von Luthers nåchsten Freunden zusammengestellt; es sind offenbar die Nebenpersonen, mit denen er das Stiick hat ausstatten wollen. Aus meinem hiermit gegebenen Referat diirfte hervorgehen, dass Thomas Mann nicht wie seinerzeit Wagner eine Verherrlichung der Ehe Luthers als der Begriindung der protestantischen Kultur hat schreiben wollen. Er ist vielmehr in allem der Kritiker Luthers und der Reformation. Um Manns Auffassung noch deutlicher herauszustellen, wollen wir kurz die erwåhnte Charakteristik Nietzsches von Wagners Darstellung der Ehe Luthers mit derjenigen vergleichen, die Thomas Mann vermutlich in seinem Drama gegeben haben wiirde. Nietzsche kommt auf die von Wagner aufgegebenen Lutherplåne im 2. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama Kapitel der Abhandlung »Was bedeuten asketische Ideale?« in der Schrift »Zur Genealogie der Moral« (1887) zu sprechen. Die asketischen Ideale sind Nietzsches Todfeinde. Fiir den Kunstler, hebt er hervor, haben sie keinen Wert. Er beklagt es, dass Wagner, der Kiinstler par excellence, auf seine alten Tage in seinen eigenen Gegensatz umschlagen konnte, dass er der asketische Lebensverneiner hat werden und der Keuschheit eine Huldigung hat darbringen konnen (nåmlich in seinem »Parzifal«). Aber so ist es wohlgemerkt nicht immer gewesen. Er lobt den noch sinnlichen Wagner, weil er in der mutigsten Periode seines Lebens Luthers » Mut zu seiner Sinnlichkeit« in dem geplanten Drama iiber Luthers Hochzeit hat zeigen wollen. Wagner hatte bei der Darstellung der Heirat Luthers sowohl der Keuschheit wie der Sinnlichkeit huldigen konnen, denn — konkludiert Nietzsche — beweist nicht Luthers Ehe, dass zwischen diesen beiden Dingen kein absoluter, kein notwendiger Gegensatz besteht, denn: y>Jede gute Ehe, jede eigentliche Herzensliebschaft ist iiber diesen Gegen­ satz hinaus.« Und der fåhrt mit erhobenem Zeigefinger fort: »Wagner hatte, wie mir scheint, wohlgetan, diese angenehme Thatsåchlichkeit seinen Deutschen mit Hulfe einer goldenen und tapferen LutherKomddie wieder einmal zu Gemiithe zu fiihren, denn es giebt und gab unter den Deutschen immer viele Verleumder der Sinnlichkeit; und Luthers Verdienst ist vielleicht in nichts grosser als gerade darin, den Muth zu seiner Sinnlichkeit gehabt zu haben (man hiess sie damals, zart genug, die »evangelische Freiheit« .. . ) ---- «. Das Lutherbild aber, das Mann versucht hat, in seinen Exzerpten herauszustellen, ist in allem eine Widerlegung dieser Wagnerisch-Nietzscheschen Darstellung Luthers. Er hat klar und deutlich gegen dieses heroisch-idealisierte Bild Luthers Stellung genommen. Manns Notizen lassen keinen Zweifel daran, dass er Luthers » Mut zu seiner Sinnlichkeit« als hochst problematisch hat darstellen wollen, da Luthers Plådieren fiir die Ehe als Institution und sein gelegentliches Prahlen mit seiner »unbåndigen Sinnlichkeit« paradoxal mit seiner eigenen Unwilligkeit und Ungeeignetheit, in den Stand der heiligen Ehe einzutreten, kontrastieren. Von diesen beiden Positionen aus hat Mann Luthers Stellung zur Ehe einzukreisen versucht und ihn nicht zuletzt hierdurch der Kritik und der Belustigung ausliefern wollen. Im tiefsten Grunde ist Luther — Manns Deutung zufolge — in manchem 118 Birger Hassing Nielsen stets der asketische, mittelalterliche Monch geblieben, ein Lebensvereiner des Typus, den Nietzsche angreift. Nietzsche wies darauf hin, dass Wagner richtig gehandelt hatte, den Deutschen, unter denen sich so viele »Verleumder der Sinnlichkeit«. finden, Luthers » Mut zu seiner Sinnlichkeit« dadurch zu zeigen, dass er diese furs erste verworfene Idee wiederaufgenommen hatte. Wagner liess sie liegen, aber Mann nimmt sie auf und folgt insofern Nietzsches Intentionen, als er den von Nietzsche sonst gehassten Luther als den lebensverneinenden asketischen Monch entlarven will. Trotz seiner personlichen Aufgeschlossenheit gegeniiber weltlichen Erscheinungen ist Luther noch in vielem — vor allem auf dem personlichen sexuellen Gebiet — tief in der Welt und den Idealen des Mittelalters verankert geblieben. Luther, der so stark fiir die nattirliche Sinnlichkeit des Menschen agitierte und selber »dadurch an der Spitze ging, dass er sich verheiratete«, ist in Wirklichkeit selbst eine Inkarnation der asketischen Ideale der Deutschen. Ihm fehlt Goethes lebensbejahende Sinn­ lichkeit, die Nietzsche ausserdem selber, unmittelbar nachdem er ausnahmsweise Luther gelobt hat, hervorhebt. Nietzsche personlich war fiir Mann selber auch der grosse Asket, wie sehr er auch fur das Recht der Sinnlichkeit des Menschen agitiert hat, ebenso wie er Nietzsche immer als den grossen Moralisten aufgefasst hat. Nietzsche ist sein ganzes Leben hindurch davor zuriickgewichen, sich zu verheiraten. Man konnte hier die Parallele zu Adrian, dem repråsentativen deutschen Protestanten, als Nietzschefigur ziehen, iiber dessen Schicksal ge­ schrieben steht: »Du darfst nicht lieben«. Fiir Mann ist die entscheidende Kritik die gewesen, dass Luther gerade die gesunde, natiirliche Sinnlichkeit auf dem sexuellen Gebiet fehle. Doch ist Mann fiir sich personlich nie ein Anhånger von Nietzsches auf dem Papier vertretener Verherrlichung der tierischen Instinkte des Menschen gewesen. Fiir Mann selbst war Nietzsche in seiner eigenen Geistesform der in der Reformationszeit tief verankerte deutsche Protestant, wie sehr er auch Luther, die Reformation und die ganze protestantische Tradition kritisch angegriffen hat. In seinem Lessingessay vom Jahre 1929 nennt Mann Lessing z. B. den grossten Protestanten im Zeitraum zwischen Luther und Nietzsche. Mann hat sich in seinen eigenen heftigen Angriffen ausdriicklich von der protestantischen Kultur nur kritisch distanziert (wie er es in »Deutschland und die Deutschen« formuliert), zu welcher er sich sein ganzes Leben lang solidarisch Thomas Manns Vorarbeiten z.u einem Luther-Drama 119 bekannt hat. In seiner ethischen Haltung hat er sich stets als Protestant gefiihlt. Es wåre Thomas Mann sehr wenig åhnlich gewesen, wie in einem altmodisch historisierenden Drama Luthers Hochzeit als eine zwar tragikomische und »unerhorte« Begebenheit, aber eine fiir einen modernen Men­ schen im Grunde doch gleichgiiltige Episode in Luthers Leben dargestellt zu haben. Wie angedeutet, hat Luthers Ehe — wir versuchen hier, Manns eigene Motive zu rekonstruieren, weshalb er als ein moderner, kritischer »Protestant von Kultur« gerade dieses Thema wåhlte — sicher transparent sein sollen nicht nur fiir das Familienleben des spåteren protestantischen Pfarrhauses, sondern in letzter Instanz in symbolischer Form fiir die ganze protestantische biirgerliche Kultur, in der die Ehe ein wichtiges Fundament bildet. Wir befinden uns also sozusagen am Geburtsort der biirgerlichen Gesellschaft. Auf diese Weise wird Manns Lutherdrama in symbolischer Form eine Auseinandersetzung mit der ganzen protestantischen Welt, wie es »Doktor Faustus« war, doch mit dem Hauptgewicht auf den humoristischen, nicht auf den tragischen Akzenten. Mann setzt mit seiner kritischen Analyse beim Ausgangspunkt der von ihm gemeinten verhångnisvollen Entwicklung ein, nicht bei ihrem geschichtlichen Resultat. Nicht nur die Eheethik Luthers als solche sollte eine entscheidende Bedeutung fiir die Entwicklung des Familienlebens in der biirgerlichen kapitalistischen Gesellschaft bekommen, sondern auch seine eigene, solide Ehe sollte ein Urbild und Beispiel zur Nachfolge fiir das Familienleben des ganzen protestantischen Pfarrhauses werden, das sich in der folgenden Zeit entfaltete und das dem deutschen Kulturleben das entscheidende Gepråge geben sollte. Einige der bedeutendsten Deutschen sind daraus hervorgegangen, wie z. B. Nietzsche, der aus einem orthodoxen Pfarrhause in Naumburg stammte. In der biirgerlichen protestantischen Welt spielten der Beruf und die Berufspflicht eine wichtige Rolle. Die Forschung hat nachgewiesen, dass dies nicht zuletzt auf Luther zuriickgefiihrt werden kann, der auf åhnliche Weise auch die Ehe als einen Beruf ansah, ebenso wie er eine Såkularisierung der Ehe bewirkt hat, indem er betonte, dass diese der weltlichen Autoritåt untergeordnet sei. — Hiermit ist ein guter Nåhrboden fiir Luthers Lehre von den zwei Reichen, dem weltlichen und dem geistlichen geschaffen. Diese 120 Birger Hassing Nielsen protestantische Doppelmoral ist, wie Max Weber und Ernst Troeltsch es nachgewiesen haben, etwas Konstituierendes auch noch in der modernen biirgerlichen kapitalistischen Gesellschaft. Mehrere Soziologen sind sogar der Auffassung, dass Luther gerade durch die Ausgestaltung des patriarchalischen Familienlebens die grosste Bedeu­ tung fiir die nationale protestantische Kultur gehabt hat. Dass Mann selbst die Ehe als ein besonders protestantisch-biirgerliches Phånomen betrachtete, wird an einer Stelle in seinem Essay »Uber die Ehe« angedeutet, wo es heisst: y>ist sie (die Ehe) nicht wirklich und weit iiber den Sinn der katholischen Kirche hinaus, die kein echtes Sakrament in ihr sieht---- «. Vielleicht hat Mann endlich in dem Drama eine besondere mythische Verwandtschaft zwischen Reformation und Nazismus andeuten wollen, wie er es in åhnlicher Weise im »Doktor Faustus« gemacht hat. Ist nun Manns vermutliche Darstellung der Stellung Luthers zur Ehe in ihrer Theorie und Praxis historisch vertretbar, so wie dieses Bild aus den verschiedensten Stellen in diesen Biographien zusammengestellt ist? Von vornherein lasst es sich nicht abweisen: Manns vermeintliche Auffassung von Luthers Stellung zur Ehe als Institution stimmt jedenfalls mit dem Bilde iiberein, zu dem viele Forscher gekommen sind, und Manns vermut­ liche Darstellung der Motive, die Luther zu seiner eigenen Ehe fuhrten, lasst sich auf Grund der historischen Uberlieferung nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Luthers Auffassung von Sexus und Ehe ist im Laufe der Zeiten hochst verschieden gedeutet und beurteilt worden, und auch in unseren Tagen sind die Gelehrten hochst uneinig. Die Uneinigkeit kann zu einem guten Teil auf Luthers eigene Åusserungen zuriickgefiihrt werden, die nicht zuletzt an diesem Punkt seiner Lehre untereinander hochst widerspruchsvoll sind. So hat man z. B. Luthers Eheethik fiir die moderne freie Liebe in Anspruch nehmen konnen, ebenso wie man gemeint hat, Luther sei in seiner Eheethik noch tief in den mittelalterlichen Begriffen von der Siinde verankert. Sicherlich ist aber Luthers Agitieren fiir die Ehe kein ideologischer Uberbau fiir seine angebliche unbåndige Sinnlichkeit als Monch, wie es oft in der katholischen Lutherkritik dargestellt worden ist, eine Deutung, die Nietzsche, mit umgekehrtem personlichen Vorzeichen, wohl von dort iibernommen hat. Ob man nun dieses Verhåltnis positiv oder negativ beurteilen Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 121 soli, mag hier dahingestellt sein. Luthers Eheethik war primår religios be­ grundet, aber bestimmt ist sie doch auch ein Ausdruck fiir seine bedingungslose Radikalitåt in der Verfechtung seiner eigenen Ideen. Sein Agitieren fiir Ehen zwischen Monchen und Nonnen hångt eher mit seinem Wunsch und BedUrfnis zusammen, religios radikal zu sein, als dass es der Ausschlag einer eigenen Sinnlichkeit ist. Es ist eine Tatsache, dass das Årgernis, das seine Ideen iiber die Ehe hervorriefen, ihn noch mehr in seiner Verkiindigung bestårkten. Wåhrend die Forscher im grossen und ganzen darin einig sind, dass Luther sexuelle Aktivitåt ausserhalb der Ehe als Stinde betrachtete, herrscht bei den Gelehrten Uneinigkeit dariiber, inwieweit der sexuelle Akt in der Ehe fiir Luther siindig ist. Faktisch hat Luther sich mit unglaublicher Verachtung iiber den Sexus auch innerhalb des Rahmens der Ehe åussern kon­ nen. Seine Schrift iiber die Ehe aus dem Jahre 1522 »Vom ehelichen Leben« schliesst mit der Feststellung, dass » keine Ehepflicht ohne Siinde geschieht«. In anderen Åusserungen hebt er dagegen hervor, dass der Ehestand gerade den Geschlechtsakt heiligt. Die Gelehrten sind ferner darin uneinig, inwieweit die Ehe bei Luther nur eine notwendige Konzession an die Siinde ist, oder ob sie einen autonomen Wert als ein heiliger Stand hat. Ich will hier nicht dazu Stellung nehmen, ob Luthers Auffassung des Sexuallebens derjenigen des Mittelalters oder der der Renaissance nåher steht. Aber es kann festgestellt werden, dass Manns vermutliche Auffassung der Eheethik Luthers von vielen Forschern geteilt wird. Wie steht es um Manns Betonung der Motive, die zu Luthers eigener Heirat fiihrten? Vergleicht man mit H. Boehmers guter lutherischer Darstel­ lung der Beweggriinde fiir Luthers Heirat,9 so enthålt diese kein Quellenmaterial, das Manns Auffassung in entscheidender Weise entkråftet. Boehmer fasst die Beweggriinde fiir Luthers eigene Eheschliessung folgendermassen zusammen: »Aber etwas an dieser Ehe, was fiir ihre Beurteilung doch sehr wesentlich ist, vermag auch die Wissenschaft auf keine Weise begreiflich zu machen. Das sind die Motive, welche die beiden Nupturienten zusammengefiihrt haben. Luther heiratet nicht, wie ein normaler Mensch, propter opus, aus Liebe, auch nicht propter opes, um seine Vermogensverhaltnisse zu verbessern, endlich auch nicht propter opem, um sich eine Pflegerin fiir seine alten 9. Vgl. »Luthers Ehe«, Jahrbuch der Luthergesellschaft, Wittenberg 1925, S. 40-76. Birger Hassing Nielsen 122 Tage zu verschaffen, sondern erstens propter patrem, weil sein Vater es wiinscht, zweitens propter conscientiam et religionem, weil sein Gewissen ihn drångt, selber mit der Tat zu bekråftigen, was er andere gelehrt hat, drittens propter diabolum et papam, um den Teufel und die Papisten zu årgern.«. Wie wiirde nun das vollfiihrte Drama iiber das gewåhlte Thema vermutlich ausgefallen sein? In bezug auf Einzelheiten kann man nur mutmassen, wieviel von dem exzerpierten Stoff aufgenommen worden sein sollte, ja Mann hat zu dem Zeitpunkt, als er mit diesen Vorarbeiten beschåftigt war, kaum selbst gewusst, wieviel davon in der endgiiltigen Fassung des Dramas wegfallen musste. Im wesentlichen gibt mein Referat von Manns Exzerpten iiber Luthers Heirat selbst und ihre Vorgeschichte doch wohl den Gang der Handlung in dem geplanten Stiick. Welche weiteren theatertechnischen Effekte Mann in Gedanken parat gehabt hat, konnen wir naturlich nicht wissen, aber nichtsdestoweniger muss es erlaubt sein, sich seine Gedanken iiber die Qualitåten des geschichtlichen Stoffes, wenn er in die Form eines Dramas gegossen wird, zu machen. Manns griindliche Studien der Lustspiele Shaws wåhrend der Arbeit an diesem Sujet machen es wahrscheinlich, dass der gewåhlte geschichtliche Stoff in der Form der Komodie realisiert werden sollte. Das Ereignis der Hochzeit Luthers ist unerhort und das Thema der Stellung Luthers zu Ehe wiirde in Manns Darstellung sicherlich das Jnteresse des grossen Theaterpublikums festhalten konnen. Aus diesem Stoff lasst sich eine Fulle von funkelnder Komik herausschlagen, er schliesst vorziigliche Szenen in sich (Luther im Kloster; die bei Luther im Augustinerkloster installierten Nonnen; Katharinas Werbung; Luther, der dariiber bei seinen Eltern berichtet, usw.). Das Geniale im Griff Thomas Manns besteht nun ferner darin, dass diese Vordergrundshandlung, welche die Ehe Luthers herbeifiihrt, die ja fiir die biirgerliche deutsche Gesellschaft transparent ist, in ihrer Art genau bestimmt mit dem zeitpolitischen Hintergrund synchronisiert ist, vor dem sie sich abspielt. Wir befinden uns in einer Umbruchsperiode der Geschichte, wo anscheinend unbedeutende Ereignisse weitreichende Folgen fiir den weiteren Verlauf der Geschichte bekommen konnen. Gleichzeitig ist der geschichtliche Stoff ein nicht undankbares Objekt fiir viele Aspekte der Mannschen Kritik Luthers und der Reformation, die Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 123 er ohne grosseres Theoretisieren und ohne dass er die geschichtlichen Verhåltnisse wesentlich zu åndern brauchte håtte demonstrieren konnen. Es ist nicht schwer, sich einen Uberblick dariiber zu schaffen, welche kritischen Aspekte Mann hervorgezogen wissen wollte. Erstens gab ihm das Thema von Luthers Stellung zur Ehe keinen schlech­ ten Stoff, um eine beissend wirkende Darstellung von Luther selbst zu geben. Luthers Person war Mann ja unsympathisch. » Ich liebe ihn nicht«, gesteht Mann offen in seinem Vortrag »Deutschland und die Deutschen«, obwohl er nie Luthers monumentales, religidses Format verleugnet hat und sich kaum — auch nicht in seinen letzten Jahren — ganz davon freisprechen kann, dass er diese Grosse aristokratisch bewundert. Das Jahr 1525 ist ein entscheidender Wendepunkt in Luthers Leben. Der gewåhlte Stoff ist biographisch und thematisch klar umrissen und erstreckt sich von dem Zeitpunkt, wo Luther im Kloster seine Eheplåne konzipiert, bis er sich selbst verheiratet. Es besteht eine gute dramatische Konsequenz in der Entwicklung, und die historische Spielzeit wiirde im Drama, wenn notig, bedeutend gestrafft werden konnen. Die Vordergrundshandlung des Dramas ist nun vor allem mit dem gleichzeitigen Bauernaufstand verwoben. In »Deutschland und die Deutschen« hebt Mann hervor, dass Luther personlich fiir den tragischen Ausgang des Bauernaufstandes entscheidend verantwortlich ist. Obgleich dieser Aufstand von Anfang an von seiner eigenen evangelischen Lehre inspiriert ist, riickt er immer mehr davon ab, bis er schliesslich dazu auffordert, die Bauern brutal niederzuschlagen. »Wie tolle Hunde hiess er die Bauern totschlagen und rief den Fiirsten zu, jetzt konne man mit Schlachten und Wurgen von Bauernvieh sich das Himmelreich erwerben«, sagt Mann mit einer Formulierung, die fast wortlich »montiert« ist, d. h. aus einem Brief von Nietzsche an Peter Gast vom 5. Oktober 1879 hergenommen ist.10 Deutschlands Geschichte konnte, heisst es bei Mann weiter, anders und besser geworden sein, wenn die Bauern gesiegt hatten und håtte dem deutschen Volk politische Freiheit geben konnen. Manns Aufzeichnungen lassen uns vermuten, dass er das verhångnisvolle Zusammenspiel zwischen Luther, den Fursten und den Bauern das ganze 10. Vgl. Friedrich Nietzsche, Werke in drei Banden, Hanser-Verlag 1960, Bd. III, S. 1159. Birger Hassing Nielsen 124 Stiick hindurch hat andeuten wollen: Aufstieg des Bauernaufstandes, seine Klimax, Krise und Niederkåmpfung. Wåhrend Luther seine Ehegedanken bekommt, schwelt der Aufstand bereits, er erreicht seinen Hohepunkt gleichzeitig mit Luthers Verlobung und wird schliesslich zu derselben Zeit niedergeschlagen, als Luther sich verheiratet. Doch håtte es Mann wohl aus dramaturgisehen Grunden vermieden, die Diskrepanz zwischen dem tragischen Bauernaufstand und der komddienhaften Handlung der Hochzeit Luthers auf der Biihne zu stark herauszustellen. Luther hofft, durch seine Heirat dem Volke, dessen Abfall von ihm begonnen hat, beweisen zu konnen, dass er kein » Dr. Leisetritt« ist. Thomas Mann hat Luther sicherlich mit starken demagogischen Neigungen darstellen wollen, indem er damit auf die nationale Idealisierung Luthers in den vorausgehenden Jahrhunderten reagiert. Wåhrend der Aufstand draussen rast und auf dem Hohepunkt ist, trifft Luther Vorbereitungen zu seiner Hochzeit, die als ein echt reformatorischer Akt gefeiert wird, Durch seine Eheschliesssung hofft er, das Volk wieder fiir sich gewinnen zu konnen. Vor allem von katholischer Seite wendet man sich gegen ihn. Aber auch innerhalb seiner eigenen Reihen sind mehrere iiber die Art und Weise bestiirzt, wie er sich verhålt. Viele seiner Anhånger raten ihm ausdriicklich ab, sich zu verheiraten, und verschiedene treten sogar auf die Seite der aufståndischen Bauern. In der Darstellung Manns ist Luthers Ehe also insoweit gewissermassen eine Frucht des Bauernaufstandes, ebenso wie dieser wiederum — recht paradoxal — von seiner eigenen Lehre inspiriert ist. Hier bot sich Mann eine giinstige Gelegenheit, die soziale Revolution dem protestantischen Quietismus, kurz »Politik« der »Innerlichkeit« praktisch gegeniiberzustellen. Gleichzeitig damit, dass der Bauernaufstand niedergeschlagen wird, wird sozusagen die Grundlage der protestantischen Kultur in ihrer Ursache und Wirkung gelegt. Es ist fernerhin ein Hauptpunkt der Mannschen Kritik an der prote­ stantischen Kultur, dass sie eine verhångnisvolle Schwåchung der humanistischen Tradition zugunsten der nationalen bedeutete. In ebendiesem Jahr 1525 kam es zu dem entscheidenden Bruch zwischen Luther und Erasmus. In seiner Schrift »Vom unfreien Willen« (1525) bricht Luther definitiv mit dem Humanisten. Uberhaupt hat die Konstellation Luther — Erasmus ihn sehr beschåftigt. In seinen Goethe-Essays liebt er es, diese beiden als Typen der diinnstimmigen humanistischen Bild ung bzw. der nationalen deutschen Volkhaftigkeit dem spåteren Goethe gegeniiberzu- Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 125 stellen, bei dem die harmonische Vereinigung dieser Gegensåtze Mann zufolge wie bei kaum einem anderen Menschen in der Weltgeschichte ge­ lungen ist. Aber auch den Gegensatz zwischen der westlichen fortschrittsfreundlichen weltoffenen und der deutschen konservativen provinziellen Welt hat Mann sicher demonstrieren wollen. Diese Gegensåtze hat er vermutlich in dem Dreiecksverhåltnis Baumgårtner-Kåthe-Luther konkret werden lassen wollen. Baumgårtner ist einer der Anhånger des Reformators, gleichzeitig aber ein Fiirsprecher der westlichen Ideen. Fiir diese Stellen iiber Baumgårtner ist es mir nicht gegliickt, eine bestimmte Quelle nachzuweisen. Mann ist unzweifelhaft selber auf den Gedanken gekommen, diese Umstånde betr. Baumgårtner als den westlich orientierten Protestanten gegeniiber Luther als demjenigen mit provinziell beschrånktem Horizont herauszustellen. Mann notiert an einer Stelle, dass Baumgårtner mit Katharina iiber alle diese neuen Gedanken spricht, die ihn beschåftigen, wåhrend er Luther nicht mit ihnen bekanntmacht. Man ahnt, dass Thomas Mann andeuten will, welche verhångnisvollen Folgen ein solch kleiner Umstand gehabt haben kann. Katharina kann niemals Baumgårtner vergessen, und auch er ist ihr dauernd zugetan. Wie wiirde sich Manns Thema als ausgefiihrtes Drama in die dichterische Literatur iiber Luther eingefiigt haben? Abgesehen von Wagners und Manns unvollendeten Plånen ist Luthers Hochzeit meineswissens nie Gegenstand einer speziellen literarischen Behandlung gewesen. Aber dartiber hinaus hat die Gestalt des Reformators oft zur Wiedergabe im Drama gereizt, eine Tradition, die fast so alt ist wie der Protestantismus selbst. Eine Darstellung des ganzen Lebens Luthers in der Form eines Romans, wie sie Mann vermieden hat, hat sich als wenig vorteilhaft erwiesen und kommt gegeniiber der eigentlichen Biographie zu kurz, da der fiktive Spielraum des Dichters zu klein ist. Mit besserem Resul­ tat hat man eine einzelne Episode in den novellistischen Romanen oder den eigentlichen Novellen herausgegriffen und behandelt. Ein monumentales oder auch nur ein bedeutenderes Drama hat diese nur an Versuchen reiche dramatische Tradition jedoch nicht hervorgebracht. Die meisten von den Dramen sind ausgesprochene Tendenzstiicke gewesen, die, je nach der religiosen Uberzeugung des Autors, den deutschen Refor­ Birger Hassing Nielsen 126 mator — ihn historisch verzeichnend — entweder einseitig verherrlicht oder einseitig kritisiert haben. In der ålteren protestantischen Lutherdramatik des 19. Jahrhunderts bemiihte man sich aus Pietåt gegen Luther als den Urheber des Protestan­ tismus, die Hohepunkte seines Lebens in jedem einzeinen Stiick zu sammeln, was sich dramatisch als wenig giinstig erwies, da hierdurch der schopferischen dichterischen Phantasie nicht viel Spielraum gewåhrt wurde. In den neueren Lutherdramen hat man sich zu ihrem Vorteil auf eine einzelne Episode im Leben Luthers konzentriert, aber auch hier ist der Dichter zu festgelegt, und der geschichtliche Ablauf und Ausfall ist zu bekannt. Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr­ hunderts wurde die nationale Ausnutzung von Gestalt und Werk Luthers immer ausschlaggebender, bis der Untergang des Dritten Reiches dem ein jåhes Ende machte. In den Lutherdramen der Nachkriegszeit merkt man die Reaktion gegen das nationale Lutherbild. Die Verbindung mit Faust bildet das dramatische Thema von W. Herbsts »Luther und Faust« (1950). Die neueste dramatische Behandlung Luthers ist die von John Osborne in »Luther, Dr.« (1961), worin Luther als ein Kata­ lysator des deutschen Wesens und ein Begrunder des modernen Deutschlands dargestellt wird. Abgesehen vor Osborne und Strindberg — letzterer hat in der »Nachtigall von Wittenberg« eine åusserst subjektive Interpretation Luthers als des hasserfiillten Rebellen gegeben — hat sich kein Dramatiker von Rang an den deutschen Reformator herangewagt. Das bekannteste von den vielen dilettantischen Dramen, zu denen Luther den Stoff abgegeben hat, ist wohl Zacharias Werners »Die Weihe der Kraft« (1807), von dem sich Mann selbst ein Exemplar angeschafft und das er moglicherweise wåhrend der Vorarbeiten zu seinem eigenen Stiick gelesen hat. Seine »Weihe der Kraft«, bekommt Luther, der unerschrockene Reformator und gute deutsche Patriot, durch die Liebe zu Katharina. Besonders bekannt ist dieses Stiick nicht zuletzt wohl deshalb geworden, weil Zacharias Werner nach seinem Ubertritt zum Katholizismus eine leidenschaftliche Widerlegung seines eigenen idealisierten Lutherbildes mit dem lyrisch-allegorischen Ge­ dicht »Die Weihe der Unkraft« schrieb. Ein wirklich guter Griff ist nun Manns Gegenstand allein dadurch, dass die gewåhlte Begebenheit, Luthers Hochzeit, nicht bereits Allgemeinbesitz des grossen Theaterpublikums ist. Tatsåchlich weiss man nicht viel von diesem Ereignis. Das historische Material ist geringfiigig. Thomas Manns Vorarbeiten zu einem Luther-Drama 127 Als Drama enthålt Manns geschichtlicher Stoff, wie mir scheint, alle Moglichkeiten fiir ein gutes Theaterstiick im Gegensatz zu »Fiorenza«, das ein ausgesprochenes Lesedrama war. Ob Manns Fåhigkeiten als Dramatiker ausgereicht hatten, dariiber låsst sich auf der Grundlage dieses Quellenmaterials letztlich nichts Sicheres sagen, doch selbst war Mann davon iiberzeugt, dass es ihm endlich gelungen sei, den Meistern des Theaters die Kunst abzulauschen. Ebensowenig konnen wir etwas Konkretre dariiber wissen, welche Triimpfe Mann noch ausgespielt håtte. Bestimmt hat er mehr im Kopf gehabt, als wir aus seinen Exzerpten haben gewinnen konnen; aber gerade das brauchte er bei dem Stoff dieses geschichtlichen Materials nicht auf dem Papier festzuhalten. Wir besitzen ja nicht einmal einen fragmentarischen Anfang, ein »Drehbuch« oder auch nur einige Betrachtungen iiber das Drama als solches. Trotzdem hoffe ich, hiermit einen Eindruck von dem vermittelt zu haben, was wir håtten erwarten konnen, wenn Thomas Mann noch die Zeit gegonnt gewesen wåre, die notig war, um sein Werk vollenden zu konnen. Dass dieses nicht weiter kam als bis zu den geschichtlichen Vorarbeiten, riihrt ja nicht davon her, dass Thomas Mann (wie seinerzeit Richard Wagner) seine Plåne aufgegeben oder verworfen håtte, oder dass andere Arbeit dazwischengekommen wåre. An Ideen war er so reich wie zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens, und trotzdem wurde dieser Gegenstand vorgezogen. Mann hat, solange er noch die Feder fiihren konnte, fieberhaft gearbeitet, um diesen Stoff fertig zu behandeln. Dieser Gegenstand als Thema eines Theaterstiicks hat ihn, wie Erika Mann in ihrem genannten Buch (Seite 64) berichtet, derart in Bann geschlagen, dass er kaum die nåchste Umgebung beachtete. Alles deutet darauf hin, dass wir einem wirklich grossen Drama von Thomas Manns Hand håtten entgegensehen konnen, und es ist insofern bedauerlich, dass er seine Plåne nicht vollfiihren konnte, wenn auch seine Darstellung der Hauptperson des Stiickes Kritik — gewiss auch berechtigte Kritik — hervorgerufen und weitgehend Aufsehen erregt haben wiirde in der Diskussion iiber die Auffassung Luthers, der Reformation und der ganzen deutschen protestantischen Kultur. Aber das ist sicherlich auch seine eigentliche Absicht mit diesem Werk gewesen.