Der freie Wille zählt!

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PRAXIS
Wenn der gesetzliche Betreuer zum Problem wird, oder:
Wie ich mich gegen die Bevormundung durch einen
Betreuer wehren kann
Der freie Wille zählt!
Michael Ganß
„Ich will in meiner Wohnung bleiben! Auf keinen Fall
ziehe ich zu dir! Wenn es zu Hause nicht mehr geht,
ziehe ich halt in eine Wohngemeinschaft.“ Im Wechsel
zwischen Wut und Verzweiflung äußert Gerda Meyer
dies gegenüber ihrer Tochter Lisa. Gerda Meyer liegt
nach einem Sturz in ihrer Wohnung im Krankenhaus.
Ihre Tochter Lisa Meyer ist gesetzliche Betreuerin ihrer
mit Demenz lebenden Mutter und möchte, dass ihre Mutter nach dem Krankenhausaufenthalt zu ihr zieht, weil es
allein nicht mehr geht, wie sie sagt. Dem Umzug in eine
Wohngemeinschaft will die Tochter nicht zustimmen,
weil das ihrer Mutter nicht entspricht. Hatte sie sich
doch immer wieder abfällig über das Studenten-WGLeben ihres jüngeren Bruders lustig gemacht. Zudem
sei es viel zu teuer, außerdem könne sie das Pflegegeld
gut gebrauchen und habe genügend Zeit, die Mutter
zu unterstützen.
Als Gerda Meyer die Diagnose Demenz erhalten
hat, war die Tochter ihr eine gute seelische Stütze. So
stimmte sie später auch der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung zu. Dass nicht ein Fremder, sondern
ihre Tochter, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, die
Betreuung übernahm, vermittelte ihr ein gutes Gefühl.
Vor gut einem Jahr hat ihre Tochter ihre Arbeit
verloren. Schon wenige Monate danach begann es,
dass Gerda Meyer sich zunehmend von ihrer Tochter
bevormundet fühlte. Hatte sie vorher das Gefühl, ihre
Tochter würde sie in ihrer Lebensführung unterstützen,
so kommt es ihr nun so vor, als müsse sie zunehmend
nach der Pfeife ihrer Tochter tanzen. Spricht sie Lisa
darauf an, bekommt sie zu hören, dass alles aus Sorge
geschehe und sie, die Mutter, manches eben nicht mehr
gut einschätzen könne. Gerda Meyer will nicht, dass ihre
Tochter über sie bestimmt, weil sie sich aus emotionalen
Gerda Meyer fühlt sich von ihrer Tochter gegängelt.
Sie will einen anderen Betreuer. Aber sie weiß nicht,
wie sich das bewerkstelligen lässt.
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Betreuer haben grundsätzlich die Wünsche und
Bedürfnisse des Betreuten zu berücksichtigen und
keinen pädagogischen Auftrag.
Gründen so schwer gegen sie zur Wehr setzen kann.
Da reibt sie sich lieber mit einem ihr fremden Betreuer.
Ihre Tochter will die Betreuung nicht aufgeben und
empfindet den Wunsch ihrer Mutter als widersinnig.
Was sie in ihrer Meinung bestärkt, diese könne nicht
mehr für sich entscheiden.
Gerda Meyer ist hilflos, weil sie nicht weiß, wie sie
einen Betreuerwechsel erwirken kann, wenn ihre Tochter
nicht zustimmt.
Entscheidend ist der freie Wille
der Betroffenen
Ein Grundsatz des Betreuungsgesetzes ist: keine Betreuung gegen den freien Willen. Die Einrichtung einer Betreuung von Amts wegen kann nur unter ganz
bestimmten Bedingungen eingerichtet werden. Der
oder die Betroffene muss an einer Erkrankung oder
Behinderung leiden, die dazu führt, dass er oder sie
den eigenen Willen nicht mehr frei bestimmen kann.
Dies äußert sich beispielsweise darin, dass Einsichten
nicht mehr unbeeinflusst von der Behinderung oder
Krankheit gebildet werden können und entsprechend
gehandelt werden kann. Dabei geht es ausdrücklich
um die Fähigkeit der Willensbildung und nicht um die
Fähigkeit, diese sprachlich artikulieren zu können.
Für die Feststellung, ob die Ablehnung einer Betreuung auf einer freien Willensentscheidung beruht, wird
im Zweifelsfall ein Gutachter hinzugezogen. Wenn der
Betroffene das Gutachten anzweifelt, ist es ihm vorbehalten, einen eigenen Gutachter zu beauftragen.
Eine Betreuung wird immer auf Zeit eingerichtet und
vom Gericht spätestens alle sieben Jahre überprüft. Der
Betreute kann jederzeit einen Antrag auf Überprüfung
der Notwendigkeit einer Betreuung stellen. Möglich ist
ein Antrag auf Überprüfung der grundsätzlichen Notwendigkeit der Betreuung, wie auch die Überprüfung
einzelner Aufgabenbereiche.
Betreuerwechsel erfordert gute
Begründung
Gegen die Einrichtung einer Betreuung kann der Betreute und auch nahe Angehörige Beschwerde einlegen.
Sollte nach Einreichen der Beschwerde das Betreuungsgericht seine Entscheidung nicht abändern, ist die
nächst zuständige Instanz das Landgericht.
Gerda Müller hatte der Einrichtung einer Betreuung
zugestimmt und stellt die Notwendigkeit als solche nicht
infrage. Sie möchte ihrer Tochter, die ihrem Empfinden
nach nicht mehr in ihrem Sinne handelt, die Betreuung
entziehen und auf eine andere Person übertragen.
Der Grundsatz, nicht gegen den Willen des Betreuten,
gilt natürlich auch hier. Zudem steht das gesamte Betreuungsgesetz, einschließlich der Aufgaben des gesetzlichen Betreuers, unter dem Paradigma: Das Wohl und
der Wille des Betroffenen stehen im Vordergrund und
sind leitend. Somit ist das Betreuungsgericht angehalten,
den Wunsch des Betreuten auf Bestellung eines neuen
Betreuers, unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit,
zu berücksichtigen. Das Betreuungsgericht ist dabei
dem Betreuten, nicht aber seinen nahen Angehörigen
gegenüber verpflichtet. Einen Wechsel des Betreuers
auf Wunsch des Betreuten, gegen den Willen des Betreuers, wird ein Gericht allerdings nur vornehmen,
wenn der Betreute aus eigenem Antrieb und aufgrund
eigenständiger Willensbildung einen neuen Betreuer
wünscht. Für einen Wechsel des Betreuers sollten wichtige Gründe vorliegen, die auch nachgewiesen werden
können. Eine kurzzeitige emotionale Verstimmung zwischen Betreutem und Betreuer ist kein Grund für einen
Wechsel. Der Wechsel muss erkennbar auf Dauer und
ernsthaft gewollt sein.
Gerda Meyer müsste beim örtlichen Betreuungsgericht einen Antrag auf Betreuerwechsel stellen und
darlegen, dass sich die Betreuung im Laufe der Zeit
gewandelt hat. Sie müsste darlegen, dass ihre Tochter
Wenn eine vertraute, aber nicht pflegende
Person die gesetzliche Betreuung übernimmt, kann der Angehörige dem Menschen
mit Demenz oft viel konfliktfreier zur Seite
stehen.
heute nicht mehr ihren Wünschen und Bedürfnissen
entsprechend handelt, sondern eher von eigenen Vorstellungen geleitet. Und dass der Betreuerwechsel ihre
freie Willensentscheidung ist.
Grundsätzlich sei noch angemerkt: Die Interessen und
Bedürfnisse von Menschen mit Demenz stimmen häufig
nicht mit denen ihrer nahen Angehörigen überein, nicht
selten sind sie gegensätzlich. Betreuer haben grundsätzlich die Wünsche und Bedürfnisse des Betreuten
zu berücksichtigen und keinen pädagogischen Auftrag.
Angehörige, die gleichzeitig gesetzliche Betreuer sind,
stecken oft in einem Dilemma: Einerseits müssen sie im
Betreuungsalltag auch ihre eigenen Interessen wahren,
um den Alltag mit ihrem zu pflegenden Angehörigen
bewältigen zu können. Andererseits müssen sie als
gesetzliche Betreuer gleichzeitig die Interessen des
Menschen mit Demenz gegen sich selbst vertreten. Das
kann verständlicherweise kaum befriedigend gelingen.
Es kann sehr entlastend sein, wenn eine vertraute, aber
nicht in der Pflegebeziehung stehende Person die Aufgabe der gesetzlichen Betreuung übernimmt. Dann
kann der Angehörige in vielen Fällen konfliktfreier dem
Menschen mit Demenz zur Seite stehen. Sinnvoll ist es
auch, im Vorfeld eine Betreuungsverfügung zu erstellen. In dieser wird festgelegt, wer im Bedarfsfall die
Betreuung übernehmen soll. 
Michael Ganß ist freiberuf­
licher Gerontologe und Kunst­
therapeut, 2. Vorsitzender der
Werkstatt Demenz e. V. und ge­
schäftsführender Herausgeber
von demenz.
Wollen Betreute ihren Betreuer gegen dessen Willen loswerden,
bleibt ihnen ein Gang zum Betreuungsgericht nicht erspart.
demenz DAS MAGAZIN
| 17 · 2013
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