Gedanken zum Forschungs-Konzept der Sektion Medizinische

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Gedanken zum Forschungskonzept der Sektion Medizinische
Organisationspsychologie
Jochen Schweitzer, Julika Zwack und Matthias Ochs
September 2009
Zielsetzung
Die folgenden Überlegungen sollen ein erster Einstieg sein, in gemeinsamer und
kontinuierlicher Diskussion das Forschungskonzept der Sektion möglichst klar zu
formulieren: ihren Forschungsgegenstand, ihre Forschungsziele, ihre
erkenntnistheoretischen Annahmen, ihre Forschungsmethoden. Damit soll unser
Forschungskonzept neuen Kolleginnen und Kollegen schneller nachvollziehbar und
Außenstehenden vermittelt werden können. Langfristig können wichtige Erfahrungen
aus den einzelnen Forschungsprojekten darin integriert werden, und Links auf
einzelne Forschungsmethoden und für uns wichtige Artikel eingefügt werden.
1. Forschungsgegenstand: Die Sektion beforscht in erster Linie soziale
Systeme, insbesondere Organisationen.
An psychischen Systemen (den Gedanken und Gefühlen) und biologischen
Systemen (körperlichen Vorgängen) der Mitglieder dieser Organisationen ist sie
immer nur in deren Bezug zu den Organisationsprozessen interessiert – bes. bei der
Frage, was Menschen befähigt, mit den Herausforderungen in Organisationen gut
umzugehen, und wie die individuellen Motive mächtiger Einzelner (z.B. Vorgesetzter)
oder wie viele ähnliche individuelle Motive von Mitarbeitern wiederum die
Organisation beeinflussen.
2. Erkenntnistheorie: Die Sektion forscht systemisch-sozialkonstruktionistisch
Sie erforscht soziale Systeme sowohl aus der Perspektive einer Kybernetik 1.
Ordnung – d.h. der repetitiven, beobachtbaren Kommunikations- und
Interaktionprozessemustern sozialer Systeme (Information, Mitteilung und Verstehen
und ihre zirkulären Wechsel- und Auswirkungen) als auch aus der Perspektive einer
Kybernetik 2. Ordnung (also wie diese Muster und Prozesse systemintern und –
extern reflektiert werden) und schließlich der Wechselwirkungen zwischen beiden
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(d.h. wie diese Reflektionen auf die Muster und Prozesse rückwirken und neue
Muster und Prozesse bilden).
Sie versteht soziale Wirklichkeiten nicht als etwas „Gegebenes“, sondern als etwas in
Kommunikation erst konstruiertes und folglich auch wieder de-konstruierbares. Dazu
zählt auch die Selbstreflexivität des Forschers: Wie sind wir selbst als Forscher CoProduzenten jener Wirklichkeiten, die wir zu beschreiben meinen? Daher untersucht
sie die vielfältigen und oft widersprüchlichen Perspektiven der verschiedenen Akteure
und deren Passung/ Nichtpassung zueinander (Multiperspektivität) und wie diese
etwas aushandeln, was sie dann für ihre soziale Wirklichkeit halten (Fokus
Konstruktion Sozialer Wirklichkeiten). (Wobei Multiperspektivität nicht mit
Multimethodik verwechselt werden darf: so können etwa die verschiedenen
Perspektiven der Mitarbeiter einer Abteilung mit ein und derselben Interviewmethode
erfasst werden und die Sichtweise eines spezifischen Mitarbeiters mit
unterschiedlichen Methoden, z.B. Interview, Fragebogen, Fokusgruppe).
Ihre Methoden sollen den Merkmalen sozialer Systeme angemessen sein., u.a.
deren
o Dynamik, bes. kritischen Phasenübergängen in Systemprozessen
o Emergenz: was passiert Neues und Anderes auf „größeren“ und „kleineren“
Systemebenen?
o Komplexität: Wie differenziert, vernetzt, zirkulär und nebenwirkungsreich sind
Elemente und Prozesse in sozialen Systemen miteinander?
o Selbstreflexivität: Wie sind wir selbst als Forscher Co-Produzenten jener
Wirklichkeiten, die wir zu beschreiben meinen?
o Kommunikationsprozesse: Information, Mitteilung und Verstehen und ihre
zirkulären Wechsel- und Auswirkungen
o Leitunterscheidungen und deren blinde Flecke: mit welchen Unterscheidungen
werden bestimmte Phänomene betrachtet? Was wird ausgeblendet und wo und
durch wen kommt es ins System wieder hinein?
o Muster der Reproduktion von Phänomenen: wie reproduzieren sich Phänomene
(z.B. Zeitdruck gutes/schlechtes Altern, Gesundheit...) in Organisationen und wer
trägt wie dazu bei? Welche Rolle spielen dabei Entscheidungsprämissen? Wie
wird Unsicherheit reduziert?
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o Gute Gründe, einen Status Quo auch dann beizubehalten, wenn er zunächst
beklagt wird.
3. Die Sektion forscht ideologiekritisch
Sie versucht die Grundannahmen aller Beteiligten (Drittmittelgeber, Auftraggeber in
der Auftragsforschung, Leitungen - Mitarbeiter - Kunde) einschließlich ihrer eigenen
Vorannahmen als Forscher nicht unreflektiert zu übernehmen, sondern insbesondere
zu Beginn (bei der Planung) und am Ende (bei der Interpretation) von
Forschungsprozessen zuweilen infrage zu stellen. Das bedeutet:
-
eine kritische Distanz zu jeweils dominierenden Kernbegriffen (z.B. „Effizienz“,
„Partizipation“, „Kundenorientierung“)
-
ein Interesse am Konflikt zwischen herrschenden und unterdrückten Diskursen in
sozialen Systemen (Welche Sprachregelungen setzen sich durch? Welche wären
alternativ im Angebot?)
-
ein paralleles Interesse an subjektiven Perspektiven der Beteiligten und den
„harten Fakten der sozialen Wirklichkeit“ (Letzteres auch dort, wo diese den
Beteiligten gar nicht bewusst sein müssen)
4. Relevanzanspruch
Die Sektion forscht insofern „lösungsorientiert“ als sie sich besonders für realisierte
und noch nicht realisierte Möglichkeiten zur Lösung von Problemen in sozialen
Systemen interessiert. Die reine Beschreibung, Messung und Ursachenanalyse von
Problemen finden wir ohne eine solche Lösungsorientierung uninteressant.
5. Zweierlei Typen von Forschung: Die Sektion betreibt teilweise
Grundlagenforschung, teilweise Auftragsforschung.
Beides muß hinsichtlich der Zielsetzungen, der Freiheitsgrade, der Zeitperspektiven
gut voneinander unterschieden werden. Erstere ist stärker an ihren Beiträgen zur
Theoriebildung zu messen, freier und muß schneller geschehen. zweitere eher an
ihrem konkreten Nutzen für die Auftraggeber zu messen. Aber auch unsere
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Auftragsforschung sollte sozialkonstuktionistisch und idelogiekritisch sein, auch
unsere Grundlagenforschung lösungsorientiert.
6. Gedanken zu den Forschungsmethoden
6.1 Idelogie- und sprachkritische Auseinandersetzung
Zu Beginn sollte immer eine ideologie- und sprachkritische Auseinandersetzung mit
den Kernbegriffen unseres Themas und mit den Erkenntnis- und
Verwendungsinteressen unseres Projektes stehen. Methodisch bieten sich hierfür
Diskurs- und narrative Analysen an.
6.2 Multiperspektivität und Selbstreflexion
Die Methodik muß sich an den o.a. Prämissen orientieren. Das bedeutet
- Multiperspektivität: die Stimmen und Sichtweisen aller relevanten Stakeholder in und
um die Organisation (nicht nur einer dominanten Gruppe) sollen in der Forschung zu
Wort kommen. Multiperspektivität wird durch vergleichende Untersuchung der
Sichtweisen mehrerer Stakeholdergruppen derselben Organisation hergestellt.
Qualitativ-quantitative „mixed methods“ und Methodentrainagulation helfen dabei
methodisch.
- Selbstreflexion: Reflektion des speziellen Zeitpunktes, an dem wir Forscher das
beforschte soziale System kennenlernen und Reflexion unserer eigenen
(Wert)haltungen, Beziehungen und Interessen in diesem Forschungsfeld.
Bei der Selbstreflexion helfen Forschungstagebücher und deren autoethnografische
Selbstreflexion, am besten mit projektfernen Forscherkollegen.
6.3 Theorie-Empirie-Rückkopplung – Zug um Zug Fragestellung und Methodik
weiterentwickeln
Um nicht nur wiederholt herauszufinden, „was alle sowieso schon wissen“,
bevorzugen wir eine Forschung, die in möglichst engem Wechselspiel von Theorie
und Empirie voranschreitet (jeden Theorieschritt baldmöglichst empirisieren, alle
neuen empirischen Befunde baldmöglichst theoretisieren)
Diese kann durch ein Iteratives Vorgehen verwirklicht werden, bei dem
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Fragestellungen und Methoden „Zug um Zug“ zeitlich aufeinander aufbauen und
einander gegenseitig verändern weiterentwickeln, ohne dadurch aber den
ursprünglichen Faden aus dem Auge zu verlieren, und die dabei inhaltlich sukzessive
immer „tiefer geht“. Hier helfen Anregungen aus der Grounded Theory
6.4 Interesse am potentiell Möglichen und an interessanten Differenzen
Wir interessieren uns insbesondere auch für derzeit noch nicht verwirklichte, aber
mögliche und für wünschenswert gehaltene alternative Systemzuständen. Dabei
helfen Fragen nach Wünschen, unerfüllten Sehnsüchten und angedachten, aber
bislang noch nicht verwirklichten Reformvorstellungen. Methodisch können
hypothetisches Fragen und Zukunftsreisen hier sinnvoll sein.
Wir suchen immer nach interessanten Differenzen im Sinne Gregory Batesons: nach
„Unterschieden, die einen Unterschied machen“. Solche Unterschiede finden sich
meist im „Dazwischen“: im Vergleich zwischen verschiedenen Organisationen;
zwischen Akteursgruppen; zwischen früher, heute und künftig; zwischen dem was ist
und dem was sein könnte.
6.5 Methodenwahl - Dominanz der Fragestellung und des
Forschungsgegenstandes gegenüber der „Methodik als solcher“
Dabei sind wir offen gegenüber allen qualitativen und quantitativen Erhebungs- und
Auswertungsmethoden incl. ggf. neu zu erfindender. In der Organisationsforschung
sind das die Forschungsspektren zumindest der Psychologie, der Soziologie, der
Ethnologie und der Ökonomie. Die Eignung der Methoden für die Fragestellung („was
genau wollen wir untersuchen“?) und für den Gegenstand („wie lässt sich dies hier am
besten herausfinden“?) hat im Zweifelsfall für uns Vorrang vor der Rigorosität der
Methode und ihrer Etabliertheit in der Scientific Community. „Qualitativ oder
quantitativ“ ist für uns keine Glaubensfrage. Systemisch ist für uns eine Brille, die uns
Beobachtungs- und Beschreibungskategorien für die Auswahl der
Forschungsgegenstände, der Forschungsmethoden und insbesondere der
Interpretation bietet. Systemisch ist für uns kein eigenständiger, abgrenzbarer Koffer
von Forschungsmethoden
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