696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, , WS 2004/2005 Rath, Matthias Kultur und Kommunikation als „Medialität“ – Philosophische Überlegungen zum Verhältnis von Kultur- und Kommunikationswissenschaft in Karmasin, Matthias. Winter, Carsten (Hrsg.) : Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden 2003. Ebner, Sybille 9821029 Casanova, Stefan 0309757 -1- 1. Abstract Matthias Rath versucht im Text die Wechselwirkung zwischen Kultur- und Kommunikationswissenschaft, unter Einbeziehung der Philosophie zu erörtern. Dabei versucht er die Begriffe Kultur und Kommunikation, sowie teilweise auch die Philosophie, historisch und phänomenologisch herzuleiten, dem Menschen die Medialität als Orientierung im “Symbolchaos“ Welt zu Hilfe zu stellen und die Arbeitsfelder bzw. Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen zu klären. 2.Zusammenfassung Der Text fußt auf dem “alten“ Definitionsproblem der Kommunikations- und der Kulturwissenschaft. In den vergangenen hundert Jahren wurde versucht zu klären, wer die Definitionshoheit über den Begriff der Kulturwissenschaft hat. Weder die Geschichtswissenschaft, noch Soziologie, Volkskunde oder Philologie waren geeignet, um diese Stellung einzunehmen. „Die Philosophen, man mag das bedauern, haben ihren Status als epistemologische Experten mit Einfluss auf Fachentwicklungen dramatisch eingebüßt – und wollen zumeist gar nichts anderes als Fachwissenschaftler sein1." Auch die Bestimmung der Kommunikationswissenschaft ist nicht leicht – es sei denn, der Begriff wird medial oder journalistisch eingeengt. Aus diesem Grund versucht Matthias Rath Kommunikation und Kultur allgemeiner zu definieren und beide Disziplinen als solche zu verstehen, die sich mit ihrer wissenschaftlichen Reflexion beschäftigen. Zunächst geht er auf die Kommunikation ein und beschreibt diesen als Prozess des Austausches von Bedeutungen, weil dieser Austausch von Inhalten nicht unvermittelt abläuft, sondern in mehrfacher Weise gedeutet wird. Der Autor greift dabei auf Ernst Cassirer zurück und übernimmt seine These der SYMBOLISCHEN FORM. Bei der Kommunikation zweier Individuen vollzieht sich der Informationsaustausch in “verschlüsselter“ Form. Der Mitteilende prägt symbolisch seine Information, diese muss vom Empfänger erst verstanden werden, dann jedoch in sein eigenes 1 Seite 50, Zeile 3 -2- Symbolsystem integriert und somit verarbeitet werden. Erst dann kann er die Bedeutung dessen verstehen und auf die Information mit seinem eigenen Vorwissen reagieren. Zu wissen, dass der Kommunikationsprozess nicht rein auf der Basis von Sprache und Text abläuft, ermöglicht eine Abgrenzung von einer rein informationstheoretischen Sichtweise, ja ermöglicht sogar die Reflexion auf die grundsätzliche Symbolgebundenheit oder Medialität des Menschen als ANIMAL SYMBOLICUM. Schwieriger wird es beim Begriff Kultur, da neben diesem auch der Begriff der Zivilisation lange Zeit coexistierte – allerdings ursprünglich mit derselben Bedeutung, nämlich als Bezeichnung für die “Gesamtheit des menschlichen Wirkens an sich selbst, an anderen Menschen und an der umgebenden Natur.“2 Beide Begriffe wurden in den großen europäischen Sprachen bis ins 18. Jahrhundert identisch verwendet. Im 19. Jahrhundert erfolgte im deutschen Sprachraum eine getrennte Entwicklung, die durch die Kriegserfahrungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts begünstigt wurde. Kultur wurde zu einem Begriff nationaler Größe, belegt mit Werten der Geistigkeit und der Moralität. Zivilisation hingegen, als Verfallsform der Kultur, stand für den technischen Entwicklungsstand aller menschlichen Lebensbereiche. Eine alternative Orientierung bietet die phänomenologische Deutung der Kultur. Zum einen ist Kultur ein Makrophänomen: Sie zieht sich durch die Jahrhunderte, integriert neue Strömungen und ist identitätsstiftend. Zum anderen ist Kultur aber auch ein Mesophänomen: Sie wirkt heimatbildend. Auf der Mesoebene lassen sich identitätsschaffende und identitätsstiftende Institutionen unterscheiden, wie zum Beispiel die Familie, die Kirche, die Politik und die Medien. Diese beiden Phänomene müssen vom Individuum, akzeptiert werden. Dieses Individuum, soziologisch das Mikrophänomen, kann jedoch in den verschiedenen kulturell vermittelten Handlungsfeldern ganz unterschiedlich benannt werden: z.B. Bürger, Rezipient oder auch Kunde. Der aktive Prozess der Selbstsozialisation ermöglicht es dem Individuum in der Kultur aufzugehen. Hier kommt der Autor zu einem ersten Fazit: „Ein kooperatives Verhältnis [...] von Kultur- und Kommunikationswissenschaft ist notwendiger denn je, da Kommunikation 2 Seite 51, Zeile 14 -3- Grundmoment der Kultur ist und Kultur nur in kommunikativen Prozessen verstanden werden kann.“3 Cassirer greift Kants Gedanken auf, dass das Erkennen der Welt prinzipiell vorgeprägt sei – und zwar nicht durch die zu erkennende Welt, sondern durch uns selbst bzw. unsere selbst geschaffenen intellektuellen Symbole. Die Vorprägung unterliegt einer Wandlung und ist somit als Ganzes die Kultur einer Zeit. Das Erfassen der Welt durch die Symbole ist nicht, im Sinne Kants, eine Gestaltung der Welt, sondern eine Gestaltung zur Welt. Die Symbole durch die man die Welt zur Kenntnis nimmt, sind jedoch nicht beliebig, sondern für die jeweilige Kulturstufe durch eine “Grundform des Geistes“ mit einem absoluten Anspruch geprägt. Diese Grundform nennt Cassirer die “symbolische Form“, also das von der Kultur geprägte Bild von Welt. Der Mensch ist in dieser symbolgeprägten Welt an die Medialität gebunden, das heißt er drückt sich durch diese in dem so genannten SYMBOLSYSTEM aus. „Der Mensch lebt nicht mehr [wie das Tier] in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum.“4 Der Mensch, als Animal symbolicum, erlernt im Zuge der Sozialisation die von seiner Kultur entwickelte und für seine Welterfassung ausschlaggebende Semiotik, die von anderen kulturellen Zeichensystemen auch in den Kategorien Kunst und Medien von einander zu unterscheiden ist. Das alles ist aber nicht ohne die Kommunikation beobachtbar. Um jetzt das animal symbolicum verstehen zu können, müssen seine grundsätzliche Medialität und Kommunikationsfähigkeit sowie seine Kulturabhängigkeit beachtet werden. Hier wäre eine Superdisziplin gefragt, welche sich aus einer engen Kooperation von Kommunikations- und Kulturwissenschaft ergeben würde. Die Philosophie sieht Rath als Grenzgängerin, weil ihre Themen in eben dieser Spannung von Kultur und Kommunikation stehen. Der kulturtheoretische Entwurf Cassirers kann nicht nur auf Primitiv- oder Hochkulturen reduziert werden, sondern ist auch für die moderne Gesellschaft mit all ihren Untergruppen von Belang. „Mit anderen Worten, die Kontextualität oder, was mir angesichts des Aktcharakters der Symbolisierung ein geeigneterer Ausdruck zu sein scheint, die Lebensweltgebundenheit der Symbolisierung von Welt und Selbst wird nicht nur, wie noch bei Cassirer, zum Objekt wissenschaftlicher Reflexion, 3 4 Seite 53, Zeile 8 Seite 54 Zeile 26 -4- sondern wird kulturell egalisiert.“5 Das heißt, dass jede Form der Weltvermittlung prinzipiell jeder anderen Form gleichgestellt ist. Deshalb muss die Philosophie mit der Kultur- und Kommunikationswissenschaft kooperieren, um ihre eigenen Themen bearbeiten zu können. Ein Thema, das sich für diese interdisziplinäre Zusammenarbeit eignen würde, wäre laut Rath die Untersuchung der Bedeutung medialer Kommunikation für Identitätsbildung und Realitätsbewusstsein, nämlich REALITÄT, VIRTUALITÄT und IDENTITÄT. Seit es die “virtuelle Realität“ gibt, sind Realität und Virtualität paradoxal miteinander verbunden. Denn die Existenz einer virtuellen, setzt die Existenz einer realen Realität voraus. Die zu stellenden Fragen wären dann: Was ist Realität (Existenz)? Was ist Virtualität (Möglichkeit, virtuelle Realität wäre dann “mögliche Existenz“)? Wenn wir dieses Paradoxon auf den Menschen anwenden, stellt sich die Frage nach dem wirklichen Existieren des Individuums. Gegenwärtig ist die soziale Realität des Individuums so gestaltet, das viele unterschiedliche Lebenswelten und soziale Realitäten heterogen und unverbunden nebeneinander stehen – die Identitätsarbeit des Individuums bringt somit ein multiples Ich hervor. Diese Fragen benötigen eine Superdisziplin über die drei bisher genannten hinaus, um dem Querschnittsphänomen Medialität gerecht zu werden. Matthias Rath hat versucht zu zeigen, dass alle kulturellen Phänomene kommunikativ vermittelt sind. Deshalb ist die kommunikationswissenschaftliche Betrachtung wichtig für kulturwissenschaftliche Forschung. Zugleich ist aber die kommunikationswissenschaftliche Forschung unvollständig, wenn sie nicht die Symbolgebundenheit menschlicher Weltdeutung berücksichtigt – z.B. im Rahmen der philosophischen Reflexion auf die grundsätzliche Medialität des animal symbolicum. 3. Auswertung und Besprechung Der Text, zuerst prekär dann immer klarer, behandelt ein viel diskutiertes Thema. Leider verzichtet der Autor nicht all zu selten auf Exkurse die den Leser verwirren. Dabei ist der an manchen Stellen zusammenhangslos wirkende Kontext gemeint. Die Formulierung verstärkt die Schwierigkeit noch, die Zusammenhänge klarer zu finden. Im Allgemeinen wird beim Leser der Eindruck erweckt als handle es sich im 5 Seite 56 Zeile 27 -5- Text um ein undurchsichtiges Thema, welches sich bei näherer Betrachtung aber auf einer Reflexionsebene befindet, das grundsätzlich für jeden (Medienwissenschaftler) zugänglich ist; wenige Informationen sehr kompliziert verpackt und oft wiederholt. Die Problematik ist klar nachvollziehbar und lässt sich auch beim gegenwärtigen Schulsystem beobachten. Es wird zwar seit Jahren versucht fächerübergreifend zu unterrichten, jedoch scheitert diese Methode an den Einzelnen Lehrkörpern und am gesamten Schulsystem. Doch vor allem in den täglichen Konflikten, wie die des Christentums und des Islams, lässt sich die Notwendigkeit solcher Fragestellungen feststellen. Die Kooperationen der Wissenschaften lassen sich mit denen der Religionen bzw. Kulturen gleichsetzen. Wenn sich die befremdeten Disziplinen oder Symbolträger zusammentun würden, um Fragen, welche Interdisziplinarität verlangen, anzugehen, würde eine Antwort bestimmt näher liegen. 4. Schlagwörter Medialität, Symbolhaftigkeit, animal symbolicum, Kultur, Zivilisation, Kommunikation, Realität, Virtualität, Identität -6-