Woher kommt die Energie beim Stoß?

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Woher kommt die Energie beim Stoß?
Th. Wilhelm, W. Reusch u. M. Hopf
1. Die Problemstellung
Das folgende Problem zu einem Stoß betrifft zwar in erster Linie die Inhalte des ersten Semesters des Physikstudiums und eher nicht die Schulphysik, aber man kann daraus auch eine
Menge für die Schule lernen. Denn kaum jemand kann die folgende qualitative Aufgabe spontan lösen. Die Aufgabe wurde u.a. auch Physikprofessoren und Physikdidaktikprofessoren
gestellt, die sich damit z.T. recht schwer taten. Dieses interessante Problem zeigt aber einige
wichtige Ideen der Mechanik auf.
Das Problem: „Auf einem Luftkissentisch liegt ein quaderförmiger Puck. Wird er so gestoßen,
dass die Wirkungslinie der Kraft horizontal durch den Schwerpunkt geht, erhält der Puck nur
eine Translation und eine Translationsenergie. Wird er aber seitlich mit gleicher Krafteinwirkung gestoßen, bekommt er die gleiche Translationsgeschwindigkeit, aber zusätzlich eine
Rotation. Woher kommt die zusätzliche Energie für die Rotation? Oder ist etwas an der Überlegung falsch?“ Vor dem Weiterlesen ist hier nachzudenken.
2. Die Lösung
Diese Situation soll nicht nur qualitativ diskutiert werden, sondern an einem konkreten
Beispiel durchgerechnet werden, da es damit
klarer wird. Unser Puck habe eine Masse
von m = 0,20 kg. Darauf wirkt eine konstante Kraft, deren Wirkungslinie durch den
Schwerpunkt geht, von F = 0,20 N über eine
Dauer von t = 0,10 s (siehe Abb. 1). In diesem Fall bekommt der Körper eine Beschleunigung von a = F/m =1,0 m/s², erreicht
ein Tempo von v = a∙t = 0,10 m/s und hat
damit eine kinetische Energie von Ekin = ½ m
v² = 1,0 mJ. Bis zum Ende der Krafteinwirkung hat er eine Strecke von x = ½ a (t)²
= 5,0 mm zurückgelegt. Die Arbeit, die an
dem Puck verrichtet wurde, ist damit W =
F∙x = 1,0 mJ und genau so groß, wie die
kinetische Energie, da keine Reibung vorAbb. 1: Zentraler Stoß auf den Puck: Die Wirkungsliegt.
linie der Kraft geht durch den Schwerpunkt
-2Bei einem Puck, der seitlich vom Schwerpunkt, also nicht zentral, gestoßen wird, können wir
zunächst die Translationsbewegung berechnen. Es gilt: Die Beschleunigung des Schwerpunktes eines ausgedehnten, starren Körpers, auf den mehrere Kräfte 𝐹⃗𝑖 an verschiedenen Stellen
in verschiedene Richtung einwirken, erhält man gemäß dem zweiten Newton‘schen Gesetz als
𝑎⃗ =
∑ 𝐹⃗𝑖
𝑚
. Man kann also so tun, als ob alle Kräfte im Schwerpunkt angreifen oder als ob der
Körper eine Punktmasse ist. Deshalb ist es ja auch nicht sinnvoll, in der Punktmechanik bzw.
bei Translationsbewegungen den Angriffspunkt einer Kraft zu betonen. Generell ist eine Kraft
durch Richtung und Betrag gekennzeichnet. Der Angriffspunkt oder genauer die Wirkungslinie der Kraft spielt erst bei Drehbewegungen eine Rolle, also bei Drehmomenten. Im Falle
des seitlichen Stoßes bekommt also der Schwerpunkt auch eine Beschleunigung von a = F/m
=1,0 m/s², erreicht ein Tempo von v = a∙t = 0,10 m/s und der Puck hat damit eine kinetische
Energie von ebenso Ekin = ½ m v² = 1,0 mJ.
Wir nehmen vereinfacht an, unser
Puck hätte eine quadratische Grundfläche mit der Seitenlänge l = b = 0,10 m,
so dass er ein Trägheitsmoment von J
1
= 12 𝑚 (𝑙 2 + 𝑏 2 ) =
1
3000
𝑘𝑔𝑚² hat. Au-
ßerdem nehmen wir an, dass nun beim
Stoß der Abstand der Wirkungslinie
vom Schwerpunkt (der Stoßparameter
r) ca. 82 % der halben Seitenlänge
beträgt: r =
𝑙
√6
𝑙
 0,82 ∙ 2 (siehe Abb. 2).
Die Drehung dieses freien Körpers
(ohne feste Achse) erfolgt um eine
Hauptträgheitsachse, also hier um eine
vertikale Achse durch den Schwerpunkt. Im diesem Fall bekommt der
Körper eine Winkelbeschleunigung
von α = M/J = F∙r/J  24,5 s-2, erreicht Abb. 2: Seitlicher Stoß auf den Puck: Die Wirkungslinie
eine Winkelgeschwindigkeit von  = der Kraft geht nicht durch den Schwerpunkt
α∙t  2,45 s-1 und hat damit eine Rotationsenergie von Erot = ½ J ² = 1,0 mJ. Die Werte wurden bewusst so gewählt, dass sich
die gleiche Rotationsenergie wie Translationsenergie ergibt. Das Verhältnis der Energien
hängt vom Trägheitsmoment J und vom Stoßparameter r ab. Der Körper hat in unserem Beispiel also eine doppelt so große Gesamtenergie wie im ersten Fall.
Um die mechanische Arbeit zu berechnen, bestimmen wir den zurückgelegten Weg. Bis zum
Ende der Krafteinwirkung hat der Puck eine Translationstrecke von x= ½ a (t)² = 5,0 mm
-3zurückgelegt. Außerdem hat er sich um
 = ½ α (t)² = 0,12 rad ( 7°) gedreht. Dieser geringe Drehwinkel berechtigt zu der Annahme, dass die
Kraft immer senkrecht zum Dreharm
ausgerichtet war. An der Stoßstelle hat
er sich damit um weitere s = r∙ =
5,0 mm bewegt. Insgesamt hat sich der
Puck damit an der Stoßstelle um x +
s = 10 mm bewegt (siehe Abb. 3) und
dabei wurde eine Arbeit von W =
F∙(x + s) = 2,0 mJ verrichtet, also
doppelt so viel wie im ersten Fall.
Abb. 3: Ergebnis des seitlichen Stoßes auf den Puck: Translation um x und Rotation um 
3. Die Moral von der Geschichte
Es genügt beim Vergleich zweier Krafteinwirkungen nicht zu sagen, dass die wirkende Kraft
gleich groß war. Es ist zusätzlich anzugeben, ob sie auch zeitlich gleich lang oder über den
gleichen Weg gewirkt hat. Hätte man bei obigen Problem vorgegeben, dass die Kraft beim
seitlichen Stoß über die gleiche Strecke auf den Puck eingewirkt hat (und damit eine kürzere
Zeit), hätte er die gleiche Gesamtenergie, aber eine geringere Translationsgeschwindigkeit.
Da sich der Körper während der Krafteinwirkung weiterbewegt, ist es experimentell allerdings nicht so einfach, eine Kraft über eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Weg konstant wirken zu lassen.
Der Kraftstoß ∫ 𝐹⃗ 𝑑𝑡 = 𝐹⃗𝑀𝑖𝑡𝑡𝑒𝑙 𝑡 ergibt die Impulsänderung ∆𝑝⃗ und damit die Geschwindigkeitsänderung ∆𝑣⃗. Die große Bedeutung der Einwirkzeit kann schon bei der Einführung der
Mechanik in der Sekundarstufe I deutlich gemacht werden, wenn man das zweite
Newton’sche Gesetz in der elementarisierten Form 𝐹⃗ ∙ ∆𝑡 = 𝑚 ∙ ∆𝑣⃗ behandelt [1]. Die mechanische Arbeit ∫ 𝐹⃗ 𝑑𝑠⃗ bestimmt dagegen die übertragene Energie.
Wenn wir an eine Krafteinwirkung denken, dann denken wir daran, dass diese eine gewisse
Zeit wirkt, also an den Kraftstoß. Wir erwarten aber, dass das Ergebnis eine Energie ist, was
in diesem Beispiel zu Verwirrung führte.
Ein ähnliches Problem wird in [2] diskutiert. Ein Holzklotz wird von einer Gewehrkugel einmal mittig und einmal seitlich mit jeweils dem gleichen Tempo (dem gleichen Impuls und der
gleichen Energie) getroffen, so dass der Holzklotz einmal keine und einmal eine große Rotation erhält. Die Frage ist, wie es dann mit der Translationsbewegung aussieht. Da die Kugel
jeweils im Holz stecken bleibt, handelt es sich um einen vollkommen unelastischen Stoß und
der Holzklotz mit Kugel hat danach in beiden Fällen den Translationsimpuls, den davor nur
die Kugel hatte. In beiden Fällen ergeben sich somit die gleiche Translationsgeschwindigkeit
-4und die gleiche Translationsenergie. Wird der Holzklotz aber seitlich getroffen und dreht sich
damit schnell weg, kann die Kugel nicht ganz so tief eindringen, sie verformt das Holz etwas
weniger. Hier geht weniger Energie in die Verformung und Erwärmung, dafür aber noch
Energie in die Rotation.
Literatur:
[1] Zu einem entsprechenden Unterrichtskonzept sind zwei Lehrerhandbücher mit vielen Unterrichtsmaterialien erschienen:
- H. Wiesner, T. Wilhelm, C. Waltner, V. Tobias, A. Rachel & M. Hopf, Mechanik I: Kraft
und Geschwindigkeitsänderung, Reihe Unterricht Physik, Band 5, Aulis-Verlag, 2011
- T. Wilhelm, H. Wiesner, M. Hopf & A. Rachel, Dynamik, Erhaltungssätze, Kinematik, Reihe Unterricht Physik, Band 6, Aulis-Verlag, 2013
[2] Veritasium, Bullet Block Explained!, https://www.youtube.com/watch?v=BLYoyLcdGPc
Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. Thomas Wilhelm, Institut für Didaktik der Physik, Goethe-Universität Frankfurt am
Main, Max-von-Laue-Str. 1, 60438 Frankfurt am Main, [email protected];
AkDir. Wolfgang Reusch, Fakultät für Physik und Astronomie, Julius MaximiliansUniversität Würzburg, Am Hubland, 97074 Würzburg, [email protected];
Prof. Dr. Martin Hopf, Universität Wien, AECC Physik, Porzellangasse 4/2/2, 1090 Wien,
Österreich, [email protected].
Stichworte
Kraft, Stoß, Energie, Translation, Rotation
Kurzfassung
Gleiche Krafteinwirkungen bei Stößen können unterschiedliche Auswirkungen und Energieverteilungen hervorrufen. Bei ausgedehnten Körpern treten je nach Abstand der Wirkungslinie der Kraft vom Schwerpunkt (Stoßparameter) nur Translationen oder auch zusätzlich Rotationen auf. Außerdem ist von Bedeutung, ob die stoßende Kraft über das gleich Zeitintervall
(gleicher Kraftstoß) oder über den gleichen Weg (gleiche Arbeit) wirksam ist. An einem Beispiel wird das auch quantitativ aufgezeigt.
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