7 Der Pietismus in der Stadt Peine – die Anfänge Wir verlassen jetzt Klein Ilsede und wenden uns Peine zu. Die Marschallin hatte das Schwicheldtsche Gut in Peine zu einem quasi autonomen Bezirk erklärt – was die kirchliche Betreuung betrifft. Da sie gleichzeitig die Patronin von Klein Ilsede war, konnte sie so den Einfluss der Peiner Pastoren fernhalten. Die pietistisch gesinnten Hauslehrer betreuten die „Hausgemeinde“ – das waren bis 1720 die adelige Familie, der Gerichtshalter, Förster, Schreiber und die in der Landwirtschaft Beschäftigten. Zweimal wöchentlich fanden die Hausandachten statt. Irgendwie drang das pietistische Gedankengut in die Stadt; es bildete sich eine kleine Gruppe, die sich selbst „fromme Brüderschaft“ nannte und sich in den Häusern der Mitglieder traf.1 Das war genau die Situation, die nicht mehr kontrollierbar war und die von manchen Obrigkeiten (z.B. dem Hannoverschen Königshaus), kritisch gesinnten Pastoren und Kirchenleitungen so gefürchtet war. Wer stand denn dafür ein, dass nicht Schwarmgeister und Irrlehrer hier eine Plattform fanden? „Unruhen“ konnte man nicht gebrauchen. Wehret den Anfängen! Die Peiner Kirchengemeinde war ohne „Hirten“. Im Jahr 1728 starb der Pastor der 2. Pfarrstelle. Der Magistrat der Stadt hatte das Patronat, war also für die Wiederbesetzung der vakanten Stelle zuständig. Einzelne Mitglieder des Rates ließen sich trotz ernster Ermahnungen der Kirchenleitung verleiten und nahmen Bestechungsgelder eines Kandidaten an.2 Die Untersuchungen zogen sich hin, der zu recht Beschuldigte wurde abgewiesen und das Besetzungsverfahren neu eröffnet. Und wieder stand der Vorwurf der „Simonie“ – des Ämterkaufs – im Raum. Charlotte Eleonore von Schwicheldt hatte sich öffentlich darüber beschwert. „Die Wahl wurde ... unter verstärktem Schutz der Ratswache wiederholt und Winkler wurde durch Hofrat Scheller unter militärischer Bedeckung (!) eingeführt; erst nach anderthalbjähriger ungesetzlicher Amtsführung wurde er von der Behörde bestätigt.“3 Der Vorwurf des Ämterkaufs erwies sich diesmal als unbegründet. Das alles war für Winkler ein ungünstiger Beginn! Im Jahr 1729 starb der Pastor der 1. Pfarrstelle. Dessen Schwiegersohn Die ersten Nachrichten von der „frommen Brüderschaft“ stammen aus dem Jahr 1731. Ausführlicher Bericht in: Nöthiger Unterricht von den Straffen der Simonie. 3 Lic. Friedrich Schultzen: Das Pfarrbesetzungsrecht der Stadt Peine. In: Die Feuersäule, Zeitschrift des Kirchenkreises Peine. März 1928. 1 2 52 Magister Gottfried Christian Götze trat die Nachfolge an. Damit waren zwei turbulente Jahre der Kirchengemeinde beendet. Ist es Zufall, dass in dieser Zeit (1729) in Peine Schriften von den überall bekannten Pietisten Eisler, Tennhardt und Engelbrecht auftauchten? Man wollte und konnte sie nicht dulden. Winkler erwirkte beim Rat der Stadt ein Verbot und die Konfiszierung. Der Pastor ist bei der späteren Beschreibung des Vorgangs auffällig ungenau. „Bei einigen Personen“ seien die Schriften aufgetaucht. Die Frage drängt sich auf, ob dies der schon erwähnte pietistische Zirkel gewesen sei. Spuren führen dahin, denn die verbotenen Schriften zeichnen sich durch heftige Kirchenkritik und ein Offenbarungssverständnis aus, das allen Bekenntnisschriften widersprach. Und gerade diese Inhalte wurden wenige Jahre später dem Peiner Konventikel nachgesagt und vorgeworfen. Winklers Position war durch das unglücklich verlaufene Besetzungsverfahren geschwächt. Pastor Götze galt als gebildet und war in der herkömmlichen Lehre verhaftet. Seine vielen vergeblichen Versuche, eine Pfarrstelle zu bekommen, lassen darauf schließen, dass er nicht volksnah war. Die Wiederbesetzung der beiden Pfarrstellen war noch gerade rechtzeitig vor einem festlichen Ereignis in der lutherischen Kirche erfolgt: Am 25. Juni 1730 wurde das 200jährige Bestehen der Augsburgischen Konfession gefeiert. Die kleine Gruppe pietistisch gesinnter Frauen und Männer sorgte für Aufregungen, die sich schließlich zu einem anhaltenden Streit entwickelten.1 Die beiden Pastoren waren sich einig in ihrer öffentlichen Kritik an den Pietisten. Öffentlich – das heißt, in den Predigten – verurteilten sie deren Verhalten. Es ging schließlich um die Gesundheit des Gemeindelebens und um die reine Lehre. Pauschalurteile wechselten zwischen den beiden Parteien hin und her. Die einen meinten, nur in Klein Ilsede gäbe es wahre Christen, nur dort würde das Evangelium richtig verkündigt. Die Predigten in Peine seien die Schalen, die Predigten in Klein Ilsede die Kerne. Diese Wertung schuf großen Ärger. Und dann ging es noch weiter: „Der Weg nach Klein Ilsede ist der Weg der Wiedergeburt und Selbstverleugnung“ sollen sie gesagt haben. „Teufelsapostel“ wurden die Peiner Prediger, die sich kritisch über die „fromme Brüderschaft“ äußerten, genannt. Immer wieder wird ihre strenge Moral erwähnt: Tanzen bezeichnen sie als Sünde; weltliche Musik verwerfen sie. Das „Gesöff“ wird scharf verurteilt. Schließlich sollen sie gesagt haben: In Peine gibt es nur 6-8 Menschen, die selig 1 Die folgende Schilderung der Vorgänge beruht auf Scheffler (Arznei=Schatz) und Coler (fromme Brüderschaft). 53 Die gebräuchlichen Namen für die pietistischen Kreise Koventikel – dieser Name wurde häufig verwendet; mit „private religiöse Versammlung (z.B. im Pietistmus)“ erklärt ihn der Duden – Das Fremdwörterbuch. In diesem Sinne benutzt ihn auch Scheffler. Bei ihm beinhaltet der Begriff mit dem Adjektiv „privat“ einen Vorwurf. Martin H. Jung, Pietismus, erklärt: „Zusammenkunft zum Zwecke der Erbauung“ (S. 121). Das ist wertfrei. Eine ganz ähnliche Bedeutung hat der von Scheffler gebrauchte Begriff „Winkel-Betstunden“. Charlotte Eleonore von Schwicheldt bezeichnet die Andachten auf ihrem Gut in Peine als „Hauskirche“. Das erzeugt den Eindruck, als sei die Veranstaltung Bestandteil der kirchlichen Arbeit. „Hausandachten“ wurden in den Familien seit der Reformation gehalten. Das war auch erwünscht. „Zusammenkünfte“ gab es bei den Pastoren Schmidt und Liekefett in Klein Ilsede. Sie geschahen im Rahmen der pfarramtlichen Arbeit und dienten dem besseren Verständnis der Predigten. „Erweckungskreis“ nannte Pastor Winkler seine Gruppe. Man traf sich zu „Erweckungs-Stunden“. Damit wird das Ziel deutlich gemacht: Die Teilnehmer sollten und wollten aus dem Zustand der religiösen Trägheit geführt werden. Ecclesiola in ecclesia (die kleine Kirche innerhalb der Kirche) ist ein häufig angewandter Begriff. Für den Pietismus wird die übliche kirchliche Frömmigkeit den Erwartungen und Forderungen Gottes an den Menschen nicht gerecht. Die Teilnehmer wollen sich um einen ernsthafteren und lebendigeren Glauben bemühen. Im Peiner Pietismus kommt der Begriff „ecclesiola in ecclesia“ nicht vor. Für den Peiner Pietismus ist die Frage wichtig, ob der Kreis – wie er auch immer heißt – von einem Theologen geleitet wird. Nur sie konnten die „Kirchlichkeit“ der Gruppe garantieren und damit die obrigkeitliche Duldung erhalten. 54 werden.1 Wenn sie das als Regeln für sich selber angenommen hätten, wäre es ja in Ordnung gewesen. Dass aber alle anderen mit diesem Maßstab gemessen wurden, war vielen nicht recht. Von der Gegenseite wurde den Pietisten geistlicher Hochmut vorgeworfen. – Die Situation war aufgeheizt. Die „fromme Brüderschaft“ reichte bei der Kirchenleitung eine Beschwerde gegen die beiden eifrigen Pastoren ein. Götze wurde nach Hildesheim zitiert. Es war schon vorher deutlich geworden, dass die Kirchenleitung dem Pietismus nahe stand. 2 Die beiden Peiner Pastoren wurden wegen ihrer Kritik an der „frommen Brüderschaft“ gerüffelt. Überraschend änderte Pastor Winkler im Frühjahr 1730 seine Meinung. Er habe sich geirrt. Die Pietisten seien ehrenwerte Menschen. Sie meinten es mit ihrem Glauben ernst. Ihre Einstellung sei von nun an auch die seinige. Trotz mehrerer Streitschriften in der Folgezeit bleibt unklar, wie sich das Verhältnis zwischen dem Pastor und der frommen Brüderschaft entwickelte. Über Winkler erfahren wir nur, er habe für seine Hausgenossen Andachten und Erbauungsstunden gehalten. Später seien andere dazu gekommen. Da dann immer nur ein Kreis erwähnt wird, ist wohl das ursprüngliche Konventikel in dem Kreis um Winkler aufgegangen. Damit war erreicht, was der Wernigeröder Pietismus als Grundgedanken vertrat: die Anbindung an Kirche und lutherisches Bekenntnis. Die Kirchenleitung in Hildesheim konnte nichts bemängeln. Die einflussreiche Hildesheimer Ritterschaft mit ihren überwiegend evangelischen Mitgliedern stand auch der neuen Frömmigkeit nahe3 und die Regierung verhielt sich neutral. Das Peiner Konventikel hatte eine gesicherte Position. In dieser Situation gab es mehrere Ereignisse, die nach einem Plan, nach einer Strategie aussehen. Die Klein Ilseder Pastoren hielten sich weiterhin von Peine fern. Das war auch notwendig, denn die Kirchenleitung musste auf die alleinige Zuständigkeit der Ortspastoren achten. Im Stammbuch des Erbgrafen Henrich Ernst zu Stolberg-Wernigerode gibt es in den Jahren 1731/32 fünf Eintragungen von Peiner Pietisten: Johann Andreas Liekefett, Martin Christian von Roden, Caspar Justus Diese Aussagen wurden von dem Arzt Scheffler in seiner Schrift „Alterir- und Lebensbalsam“ zusammengetragen. 2 Die Kirchenleitung hat nie Anstoß an den pietistisch gesinnten Pastoren im Amt Peine genommen. Siehe auch Rudolf Steinmetz: Die Generalsuperintendenten von Hildesheim. ZGnKG 1938 (43. Jg.). 3 Sie schlugen den Pietisten Gottfried Gruner vor, als die Stelle des Generalsuperintendenten von Alfeld bestzt werden musste. Im Amt Peine standen die von Schwicheldt, von Oberg und von Gadenstedt dem Pietismus nahe. 1 55 Baars, Gottfried Gruner (1731) und S. von Roden geb. Hübener (1732). Natürlich war die private Erbauung ein wichtiger Anlass für die Reisen, aber aus vielen Hinweisen ist bekannt, dass auch immer das Ganze, das „Wachsen des Reiches Gottes“ besprochen und bedacht wurde – in unserem Fall: die Situation in Peine. Ein weiterer Schritt war ein Brief von Pastor Winkler an seinen Kollegen Götze, in dem er am 28. Juli 1731 bittet, seine Kritik an den Pietisten einzustellen. In dieser Zeit kam ein junger Theologe namens Henning Christoph Ehrenpfort nach Peine und übernahm das Amt eines Hauslehrers. Welche Rolle er in dem Pietismusstreit spielte, lässt sich nicht beschreiben. In einigen Druckschriften (z.B. in „Gemüßigte Vertheidiegung …“) wird er als Drahtzieher im Peiner Streit gesehen. Winkler spricht dagegen von Ehrenpforts ruhiger Zeit in Peine. Hier erreichte ihn die Berufung auf die Pfarrstelle in Groß Methlingen (Mecklenburg). Den Dienst trat er am 26. April 1733 an. Ruprecht berichtet, von Wernigerode aus wäre die Versorgung Mecklenburgischer Pfarrstellen nach Ehrenpforts Plänen organisiert worden. Ehrenpfort war wie geschaffen für die neue Aufgabe. Der junge Theologe war ein Hitzkopf und scheute keinen Streit. Umso bemerkenswerter ist seine Zurückhaltung (nur nicht auffallen) in den Streitigkeiten in Peine. 1Selbst Scheffler, der aktive Gegenpol der Pietisten, benennt ihn nur beiläufig. In Mecklenburg brach Ehrenpfort innerhalb kürzester Zeit einen gewaltigen Streit vom Zaun und brachte dabei das Peiner Konventikel ins Spiel, indem er es lobend erwähnte! Er war ein Typ, der in die Vollen ging. Diese Beobachtungen stützen die Annahme, der junge Theologe habe eine genau geplante Rolle bei der Etablierung der pietistischen Frömmigkeit in Peine übernommen. Pastor Götze verstärkte nach Winklers Ehrenrettung für die „fromme Brüderschaft“ seinen Kampf gegen den Pietismus. Er verlor dabei das vernünftige Maß. Das brachte ihm eine Anzeige beim Konsistorium ein. Trotz aller Pietistenerlasse in Hannover, trotz aller Schwierigkeiten mit der neuen Frömmigkeit, die besonders die orthodoxen Theologen damit hatten – die Kirchenleitung sah wohlwollend auf die Bestrebungen, das geistliche Leben in den Kirchengemeinden zu erneuern. Da war aber noch der praktische Arzt Heinrich Conrad Scheffler. Er wurde ein so eifriger Gegner der frommen Brüderschaft, dass man sich fragt, was ihn denn im Entscheidenden bewegte. Und in der Tat: Es gab 1 Pastor Winkler schreibt in seiner später noch vorzustellenden Verteidigungsschrift, Ehrenpfort habe „in seiner Information ruhig gelebt“. 56 emotionale Gründe. Seine Ehefrau war Mitglied im pietistischen Zirkel1 und kritisierte mit deren Maßstäben den Lebenswandel ihres Mannes. Es genügte ja, dass der Arzt sich hinein begab in das gesellschaftliche Leben und am Freischießen teilnahm. Die Kritik seiner Ehefrau brachte ihn derart auf, dass er im Jahr 1732 eine umfangreiche Schrift gegen die „fromme Brüderschaft zu Peine“ verfasste. Dieses Buch gab es nur in handschriftlicher Form – immerhin in drei Exemplaren, 76 Seiten stark in folio. Sein Titel ist „Praxis pietatis curiosa“. Dieses Buch wäre sehr wichtig für die Bearbeitung unseres Themas, zumal Scheffler darin Briefe und Berichte zitiert hat. Es ist aber nicht aufzufinden. Es könnte sein, dass es irgendwo steht und einmal entdeckt werden wird. Es gibt aber ein umfangreiches Exzerpt von diesem Buch, abgedruckt bei J. C. Coler in seiner „Auserlesenen theologischen Bibliothek“ von 1734. Das war eine theologische Literaturzeitschrift, die regelmäßig über Neuerscheinungen, aber auch über interessante Ereignisse berichtete. Coler beschreibt zunächst die Hintergründe des Streits, referiert dann Schefflers Buch, wobei man bei Coler eine gewisse Abneigung gegen den Pietismus erkennen kann, und gibt dann Scheffler und dem Pastor Winkler ungefragt „gute“ Ratschläge. Dem Pastor wird empfohlen, mehrere Stunden täglich gute Theologie zu lesen und er solle sich vom Arzt mehrere Aderlässe und eine ordentliche Abführung verordnen lassen. Ich nehme mal an, dass das im übertragenen Sinne gemeint ist. Dem Scheffler wird geraten, das bisher nur in Handschrift kursierende Buch nicht in den Druck zu geben. Als Anlage wird bei Coler noch ein Lied zitiert, das Scheffler verfasst hat und vor dem Pfarrhaus von Sängern aufführen ließ. Der verspottete Pastor Winkler zitierte den Chorleiter herbei, stellte ihn zur Rede und gab eine Beschwerde beim Rat der Stadt auf. Er bezeichnet dabei das Lied als Pasquill – als Spottlied. Das öffentliche Singen von Spottliedern wurde auch von anderen Bürgern gerne ausgeübt. Man bedenke, dass es keine Tageszeitung mit der Möglichkeit gab, Leserbriefe zu schreiben. Laut Peiner Polizeiordnung war das Absingen solcher Spottlieder bei Strafe verboten. Aber es war ja die Frage, ob es überhaupt ein Spottlied war. Der Rat schloss sich der Meinung des Pastors an und verhängte eine Strafe. Der Arzt übergab sein Werk dem damals bekannten Hamburger Theologen und Dozenten für Poesie Erdmann Neumeister2, der in dem Lied kein Pasquill erkennen konnte. Die Ratsherren werden sich gedacht haben: Wer ist dieser Herr aus Hamburg schon? Der Bußgeldbescheid wurde nicht zurückgenommen. Wie ernst diese 1 2 Coler, Fromme Brüderschaft, S. 1152. Er hat u.a. zahlreiche Kantatentexte für Telemann und J.S. Bach geschrieben. 57 Heinrich Conrad Scheffler Laut Matrikel der Universität Helmstedt hat H.C. Scheffler am 21. April 1718 das Studium der Medizin begonnen. Er schrieb sich ein als „Peinensis“ – Peiner Einwohner. Anderswo wird auch gesagt, er sei in Peine geboren. Es gibt im Kirchenbuch der lutherischen Kirchengemeinde keine Eintragungen. Sehr merkwürdig ist der Umstand, dass in Peine kurzzeitig zwei Ärzte lebten. Oder hat Scheffler mehrere Jahre nicht praktiziert? Nachrichten über ihn gibt es nur im Zusammenhang mit dem Pietismusstreit. Er war recht ordentlich in der Theologie gebildet, wenngleich er einer damals schon veralteten Richtung der Orthodoxie anhing. Warum verstummte der aufgeregte Arzt plötzlich nach 1736? Zechel erwähnt in seiner Geschichte der Stadt Peine (Bd. II, S. 293f), der Arzt habe im Jahr 1750 mit einem jüdischen Einwohner über die Vermietung seines Hauses auf dem Damm verhandelt. Er wolle Peine verlassen. Der Begriff „Vermietung“ war eine Beschönigung. Es ging um einen Verkauf, was aber so nicht ge1 Melodie: Schwing dich auf zu deinem sagt wurde, weil Juden keine Häuser Gott kaufen durften. Begebenheit verfolgt wurde, ersieht man an dem Verhör von Schülern, die zum Chor gehörten. Einer der Sänger wurde der Schule verwiesen, weil er (Scheffler sagt: angeblich) eine Falschaussage gemacht hatte. Nachfolgend wird das fragliche Lied zitiert. Es hat offensichtlich zur Verschärfung der Situation beigetragen. Melodie: Schwing die auf zu deinem Gott 1. Sieh, mein Christ, dich ja nicht um Nach den neuen Grillen. Richte sonst dein Christenthum Nur nach Gottes Willen. Laß dich nicht durch Quäckerey In die Irre bringen, Noch durch stoltze Gleißnerey Gar ins Garn einschlingen. 58 2. Kan der Satan erst mit List Dein Vertrauen kürtzen: Kan er dich in kurtzer Frist Zur Verzweiflung stürtzen. Wem ist doch die Macht geschenkt Andre zu verdammen? Mancher liegt wohl selbst versenckt In der Bosheit Flammen. 3. Meynstu, daß der Christen Pflicht Blos darin bestehet, Wenn man bey die Leute nicht In Gesellschaft gehet? Wenn man ohne Unterscheid Alle Lust vermeidet, Und sich in die Heiligkeit Gantz subtil verkleidet? 4. Wenn man nicht mehr tantzen will, Und Music verfluchet? Alles hält für Teufels Spiel, Und nicht untersuchet, Ob man sonst auch nach Gebühr Frommer Christen lebe? Oder nicht noch für und für Voller Laster klebe? 5. Nein, das machts noch gar nicht aus. Aussen christlich gleissen, Und sich in ein Hinter=Haus Dann und wann entreissen. Rechte Christen sind, für wahr! Von gantz andern Proben, Drum kan man auch jene Schaar Keinesweges loben. 59 6. Christen sind an Sanftmuth reich, Schwerlich zu erbittern: Jene aber wollen gleich Fast für Zorn zersplittern, Wenn man nur ein Wörtgen spricht Von dem albern Wesen, Wovon biblische Geschicht Uns nichts gibt zu lesen. 7. Auch! Wie wenig trifft es ein, Was dort Paulus schreibet, 1. Cor. 13. Wie der muß beschaffen seyn, Der in Liebe bleibet. Wer nun nicht die Liebe hat, Was hilft dem sein Prahlen? All sein heilger Christen=Staat Sind nur pure Schalen. 8. Ach! Mein Gott! Entreisse mich Allen bösen Rotten; Laß mich nicht verstellentlich Deines Namens spotten. Denn ich weiß, die Heucheley Ist bey dir verfluchet. Wohl dem, der mit wahrer Treu Deine Gnade suchet! Pastor Winkler dachte nicht daran, sich öffentlich – etwa in einer Schrift – zu verteidigen. Das zeugt von einer gewissen Größe. Etwa zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Coler-Beitrages starb Pastor Götze im Alter von 38 Jahren. Sehr schnell wurde auf die vakante Pfarrstelle Pastor Marheineke eingeführt. Seine theologischen Einstellungen kennen wir nicht. Sein Name wird im Streit nicht erwähnt. Pastor Winkler betreute die „fromme Brüderschaft zu Peina“ weiter. 60