Dialog aus szenische Lesung/Hörspiel

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Textauszug WEIT-ÜBER-LAND – eine szenische Lesung von Anja Manz und Ingrid Kaech
Textauszüge aus WEIT-ÜBER-LAND
Dialog Jenny/Mutter
(Jenny, 17, hat die Zusage für eine Lehrstelle in Süddeutschland bekommen)
Jenny: Du freust dich nicht.
Mutter: Soll wohl sein …
Jenny: Muss sein!
Mutter: So weit weg…
Jenny: Mandy hat´s gepackt – und Maya von Brehmkes musste noch weiter.
Mutter: Warum Bayern?
Jenny: Hier gibt´s nichts …
Mutter: Warum du? Warum nicht Robbie?
Jenny: Warumwarumwarum …
Mutter: Wenn Robbie sich angestrengt hätte ...
Jenny: Hat er aber nicht …
Mutter: Der hätte können … Wenn nur nicht diese Suffköppe … taugen nichts –
allesamt. Aber Robbie …
Jenny: Einer muss bleiben. Die Kneipe, die Tiere, der Wald. Denk an die schweren
Stämme. Papa kann nicht mehr.
Mutter: Kommt keiner her zum Arbeiten. Fünf haben hier früher mit angepackt.
Fünf Männer und noch zwei Frauen für die Spülküche.
Jenny: Früher …
Mutter: Hatten unser Auskommen hier. Man war doch wer.
Jenny: Hör auf damit.
Mutter: Sind alle zu uns gekommen, alle aus der LPG …
Jenny: Und die Ferienzimmer, der Streichelzoo, der Fahrradverleih? Konnste
früher bloß von träumen. Läuft doch alles.
Mutter: Und wer macht die ganze Arbeit?
Jenny: Du freust dich nicht.
Mutter: Und das Geld? Kostet doch alles da unten.
Jenny: Ich verdien doch. Abends geh ich jobben.
Kontakt: Anja Manz [email protected]
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Textauszug WEIT-ÜBER-LAND – eine szenische Lesung von Anja Manz und Ingrid Kaech
Mutter: Lernen hättste auch hier können.
Jenny: Dorfgasthof!
Mutter: Alles nicht gut genug. Dabei, der Robbie, der müsste …
Wenigstens den Abschluss noch … Der Robbie …
Jenny: Du freust dich nicht.
----------------------------------------------Stimme:
Aus dieser Langeweile entfliehen. Andere Menschen sehen. Nicht ständig
beobachtet werden. Nachts durch die Clubs ziehen, mit der U-Bahn zur Arbeit. Ins
Kino, Theater, Museum, in eine andere Kneipe gehen, tanzen lernen, spanisch ...
Unerkannt durch die Straßen ziehen, nichts mit seinen Nachbarn zu tun haben
müssen, sich anziehen, wie man will, aufstehen, wann man will, tun und lassen, was
man will. Aufregende Leute kennenlernen, Menschen, die etwas gesehen haben in
ihrem Leben, die etwas geleistet haben, nicht nur den Stall ausgemistet, die
Kartoffeln geerntet und die Wiesen gemäht.
----------------------------------------------Jenny:
Ist doch alles Zufall. Hier oder da. Muss man doch alles nicht mögen: Hof, Viecher,
die olle Kirche, Stoppelfelder, LPG, Speicher … bloß, weil man von da kommt. Auf
Bergen kann man rodeln, runter bis ins Tal, im Sommer oben sitzen, runtergucken,
unten sind alle winzigklein … Und rote Blumen vor den Fenstern. Könnten wir auch
machen, sag ich zu Mutter. Rote Blumen und Lavendelkübel auf die Treppe. Und wer
gießt? sagt Mutter.
Mandy geht´s gut da. Eigenes Zimmer im Schwesternwohnheim, Essen frei, gutes
Geld … abends mit der Clique weg, in die Wirtschaft. Wie schön die das da alles
machen … Warum nicht die Holzegge aus dem Schuppen bei uns in die Wirtsstube?
Oder das Butterfass, bepflanzt … und sonntags italienisches Büffet … Und was sagt
Mutter: „Mach die Betten. Red nicht. Du vergisst, wo wir sind.“ Kann man aber nicht:
Ikea auf Resopal, Formaldehyd, Seidenblumen: „Red nicht, träum nicht.
Mach.“ Immer das gleiche. Muss Robbie eben jetzt zupacken: Gläser spülen,
durchwischen, Tiere füttern. Schluss mit saufen und rumhängen. Nicht mein Problem.
Muss man doch alles nicht mögen … bloß, weil man von da kommt, oder?
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Kontakt: Anja Manz [email protected]
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Textauszug WEIT-ÜBER-LAND – eine szenische Lesung von Anja Manz und Ingrid Kaech
Stimme:
(Das Quaken der Frösche wird überblendet von Technobeat, der immer leiser bis
unhörbar wird)
Letzten Freitag, in der „Sonne“, da hab ich’s kapiert. Ich hab mich in der Runde
umgeschaut, noch voll im Beat drin, so mach ich das immer, wir treffen uns da jeden
Freitag, wirklich jeden. Ich also noch voll beschwingt und voller Elan, da kuck ich in
die Runde und schau so und denk mir, Mensch, ich sollt mir wieder mal was
anfangen mit einem, ist ja nicht so doll, so ohne, und schau mich so um, seh den
Sven mit seinen merkwürdig feinen Händen, wie er sich immer durchs Haar fährt, als
könnt er damit das Rot wegwischen, und den Patrick, der hat auch gleich breit
gegrinst, der Fabi, der schon wieder aussieht, als hätt er zwei Bier Vorsprung, und
dann macht’s rumms, ein Holterdipolter in mir drin, als wär ein ganzes Kellerregal
zusammengestürzt, weil ich jetzt begreife. So mit einem Mal und plötzlich begreife
ich, dass es ja gar keinen mehr gibt. Alle schon einmal durch. Echt jetzt. Und jetzt?
Alle noch mal von vorn? In der Hoffnung, dass es besser wird?
(Man hört wieder das Quaken der Frösche)
Und das, das ist auch unerträglich. Und nicht abzustellen. Hört man im ganzen Dorf.
Nein, das werd ich nicht vermissen. Nur weil die Städter das romantisch finden. Nein,
ich möchte lieber rasende Autos auf Kopfsteinpflaster, dröhnende Bässe,
quietschende Straßenbahnen. Das ist Leben.
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Kontakt: Anja Manz [email protected]
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