Aus dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. habil. Axel Kramer) der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Wirksamkeit der silberhaltigen Biatain Wundauflage Ag im Objektträgertest mit einer Wundsekret nahe kommenden Belastung* Inaugural Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Zahnmedizin (Dr. med. dent.) der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Greifswald 2011 vorgelegt von: Martin Ebert geb. am: 21. 10. 1978 in: Greifswald *Die vorliegende Dissertation basiert auf folgender Veröffentlichung: Ebert M, Hübner NO, Assadian O, Kramer A. Antimicrobial efficacy of the silver wound dressing Biatain Ag in a disc carrier test simulating wound secretion. Skin Pharmacol Physiol; Accepted 20.05.2011 Dekan: Prof. Dr. Kroemer 1. Gutachter: Prof. Dr. A. Kramer 2. Gutachter: Prof. Dr. J. Lademann 3. Gutachter: Tag der Disputation: 22.11.2011 Ort, Raum: Greifswald, Hörsaal Zahnklinik 2 Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung AgNaCMC Natrium-Carboxymethylcellulose mit Silber CSA Casein–Pepton–Sojamehlpepton-Agar EN Europäische Norm EWZ Einwirkungszeit FBS englisch: Fetal Bovine Serum, fetales Kälberserum h Stunde KbE Koloniebildende Einheit log Logarithmus min Minute MRSA Methicillin resistenter Staphylococcus aureus P. aeruginosa Pseudomonas aeruginosa ppm englisch: parts per million, Teile von einer Million RCT englisch: randomized controlled trial, randomisierte kontrollierte Studie Tab. Tabelle S. aureus Staphylococcus aureus s. u. siehe unten VRE Vancomycin resistente Enterokokken z. T. zum Teil 3 INHALTSVERZEICHNIS Seite 1 Einleitung .................................................................................................... 5 1.1 Problemstellung ................................................................................... 5 1.2 Nutzen-Risiko-Bewertung von Silber bzw. Silberverbindungen im Rahmen der Wundbehandlung ....................................................................... 8 1.3 Stellenwert von Silber bzw. Silberverbindungen im Vergleich zu Octenidin und Polihexanid ............................................................................ 14 2 Eigene Untersuchung ............................................................................. 20 2.1 Material und Methoden ...................................................................... 20 2.2. Ergebnisse ............................................................................................. 23 2.3 Diskussion ......................................................................................... 26 2.3.1 Methode ...................................................................................... 26 2.3.2 Ergebnisse .................................................................................. 26 3 Weiterführende Gedanken und Schlussfolgerung ............................... 32 4 Zusammenfassung ................................................................................. 34 5 Summery.................................................................................................. 35 6 Literatur ................................................................................................... 36 Eidesstattliche Erklärung Danksagung 4 1 Einleitung 1.1 Problemstellung Derzeit gibt es eine Vielzahl von silberhaltigen Produkten, die für die Wundbehandlung genutzt werden können. Der Aufbau und die Zusammensetzung der silberhaltigen Wundauflagen können je nach Hersteller und Produkt sehr unterschiedlich sein. Sie sind in Form von Alginaten, Hydrofasern, Hydrokolloiden, Wunddistanzgitter, Schaumverbänden und Polyethylengeweben erhältlich. Die Wirkung von Silber wurde schon vor 7000 Jahren in China erkannt. Der Perserkönig Kyros transportierte auf seinen Kriegszügen abgekochtes Wasser in silbernen Behältern. Auch die Phönizier hielten ihre Wasservorräte in silbernen Gefäßen. Der Philosoph und Arzt Avicenna (980-1037) beschrieb die medizinische Wirkung von Silber und fand heraus, dass bei Überdosierung von Silber oder Silbersalzen eine toxische Wirkung in Form von bläulichen Verfärbungen von Haut und Organen entstehen kann (Guggenbichler et al. 2008). Der Leipziger Gynäkologe Karl Siegmund Franz Crede beschrieb 1881 die Prophylaxe der Ophtalmia gonorrhöica neonatorum mit 2 %igem Silbernitrat. Ihre Inzidenz konnte dadurch von 13,6 % auf 0,5 % gesenkt werden [Klasen 2000]. Die antimikrobielle Wirksamkeit von Silber beruht auf dem Silberkation (Ag+), das bei Feuchtigkeit durch einen Oxidationsprozess freigesetzt wird. Silberkationen können an Bakterienzellen bzw. an Bakterienproteinen andocken und somit die Struktur und die Funktion der Zelle verändern. Die Beeinflussung mikrobieller Proteine ist auf die hohe Affinität der Silberionen zu funktionellen Gruppen wie Hydroxyl-, Amino-, Carboxyl- und insbesondere Sulfhylgruppen der Enzyme in der Zellwand und Strukturproteine zurückzuführen. Bindet Ag + an einer Zellwand, wird die Zellwand aufgebrochen und der Zellinhalt fließt heraus, was zum Zelltod führt. Ag+ kann sich auch an bakterielle Enzyme binden (Cytochom a und b) und dadurch Prozesse der Atmungskette blockieren [Guggenbichler et al. 2008]. 5 Bei chronisch infizierten bzw. kritisch kolonisierten Wunden sollen die Erreger und ihre Toxine aus der Wunde eliminiert werden. Hierfür finden silberhaltige Wundauflagen breite Anwendung. Hierbei ist zwischen Auflagen mit deutlicher Silberfreisetzung und solchen zu unterscheiden, bei denen das nanokristalline Silber fest in der Matrix gebunden ist, wie z. B. Silber-Aktivkohle-Wundauflagen [Furr et al. 1994]. Bei letzteren beruht die Wirkungsweise auf der Ableitung von Wundsekret mit darin enthaltenen Mikroorganismen in die Wundauflage. Mikroorganismen und ihre Toxine werden durch die Silberionen in der Aktivkohle sowie an der Grenzfläche der Wundauflage inaktiviert [Rudolph et al. 2000]. Aber auch bei Wundauflagen mit nanokristallinem Silbereinbau kann es zur Hautverfärbung (Argyrose) kommen, wenn diese mit Wasser befeuchtet werden. Hierbei geht ein signifikant höherer Silberanteil in das Gewebe als bei Befeuchtung mit physiologischer Kochsalzlösung [Walker et al. 2006]. Die mikrobiozide Wirkung silberhaltiger Wundauflagen wird durch zahlreiche Arbeiten bestätigt [Dowsett 2004, Margaret et al. 2005]. Die Nutzen-RisikoBewertung bedarf jedoch einer kritischen Analyse [Burd et al. 2007, Cutting 2007], da Silberionen in Gegenwart von Eiweiß inaktiviert werden und dadurch ihre antimikrobielle Wirkung aufgehoben wird [Müller u. Kramer, 2008]. Außerdem sind konzentrationsabhängig zytotoxische Nebenwirkungen nachgewiesen, woraus eine maximale Anwendungskonzentration von 0,01 % abgeleitet wurde [Hidalgo et al. 1998]. Zur Wirksamkeitsprüfung von Wundantiseptika gibt es derzeit keine allgemein anerkannte Testhierarchie. Üblicherweise wird die mikrobiozide Wirksamkeit von Wundantiseptika im quantitativen Suspensionstest mit und ohne biotopangepasster Belastung geprüft [Pitten et al. 2003]. Voraussetzung hierfür ist die Ermittlung des geeigneten Neutralisationsmediums, um die Ergebnisse nicht durch in das Nährmedium verschleppte Wirkstoffspuren zu verfälschen. Andernfalls kann bei fehlender Neutralisierung durch Nachwirkung von Wirkstoffspuren im Testansatz eine höhere Wirksamkeit vorgetäuscht werden. Ohne Belastung wird für Wundantiseptika im quantitativen Suspensionstest 6 innerhalb der empfohlenen Einwirkungszeit eine Reduktion der Testorganismen ≥ 5 log, bei biotoptypischer Belastung ≥ 3 log gefordert [Pitten et al. 2003]. Während Haut- und Schleimhautantiseptika im nächsten Schritt üblicherweise an freiwilligen Probanden gegen einen Referenzstandard geprüft werden [Kramer 1999], ist das für Wundantiseptika nicht möglich, weil es bei gesunden Probanden kein Modell für eine infizierte Wunde gibt. An Probanden kommt die Verträglichkeitsprüfung an Mesh graft-Entnahmestellen nur dann in Betracht, wenn die Mesh graft-Entnahme klinisch indiziert sind. Diese Testung erlaubt allerdings kaum Rückschlüsse auf die antiseptische Wirksamkeit, weil nur die Kolonisation der Entnahmestellen durch Hautflora analysiert wird, was nicht der Situation einer Wundinfektion entspricht. Zur klinischen Wirkungsprüfung kommen nur klinische RCT-Studien, an möglichst gut miteinander vergleichbaren Wundtypen in Betracht. Ein Beispiel hierfür sind chronische infizierte Ulcera cruris. Voraussetzung für derartige Studien ist jedoch die vorher erfolgte möglichst weitgehende Erfassung der antiseptischen Wirksamkeit in vitro über die Aussagekraft von Suspensionstests hinaus, z. B. als Wirkungsprüfung in einem Keimträgertest zunächst ohne und bei nachgewiesener Wirksamkeit, nach vorheriger Modellierung eines Biofilms, mit Belastung auf einem Keimträger. Als zweite Voraussetzung muss die Verträglichkeit so umfassend wie möglich in vitro und semi in vivo abgeklärt sein. Da die Wirksamkeit silberhaltiger Wundauflagen im Schrifttum kontrovers diskutiert wird und bei Prüfung mit mildem Silberprotein, Silbersulfadiazin und Silbernitrat im quantitativen Suspensionstest bei Eiweißbelastung praktisch aufgehoben wird [Müller u. Kramer 2008], sollte überprüft werden, ob sich die Methode des Keimträgertests zur Wirksamkeitsprüfung einer Silber-haltigen im Vergleich zu einer Silber-freien Wundauflage bei Zusatz einer dem Wundsekret vergleichbaren Belastung eignet. Derartige Untersuchungen sind bisher nicht publiziert worden. 7 1.2 Nutzen-Risiko-Bewertung von Silber bzw. Silberverbindungen im Rahmen der Wundbehandlung Bevor es zur Anwendung von Wundantiseptika kommt, ist die Entfernung von abgestorbenem Gewebe die Voraussetzung für die Wundheilung. Selbst die perfekte Antiseptik ersetzt nicht die Kunst des chirurgischen Eingriffs, während ein perfekter chirurgischer Eingriff auch ein weniger geeignetes Antiseptikum ersetzen kann. Es sollte nicht der Fehler begangen werden, eine unsaubere, belegte Wunde antiseptisch zu behandeln oder Granulation und Epithelisierung pharmakologisch fördern zu wollen, ohne die Wunde zu debridieren [Kramer et al. 2004]. Der Erfolg der Wundantiseptik ist untrennbar mit der korrekten chirurgischen Wundversorgung [Eisenbeiß 2007] einschließlich der Wundnachsorge mit geeigneten Wundauflagen verbunden. Um eine Bewertung der Antiseptika vornehmen zu können, muss zunächst geklärt werden, wann Antiseptika zur Anwendung kommen und welche Anforderungen zu stellen sind. Wundantiseptika gelten als Arzneimittel und müssen definierte Anforderungen an Wirkungsspektrum, Wirksamkeit, Verträglichkeit und mikrobielle Reinheit erfüllen. Wundantiseptika sollten in die Wunde penetrieren und dort lokal ohne das Risiko systemischer Nebenwirkungen verbleiben. Sie sollten keine Resistenzen entwickeln, insbesondere keine Kreuzresistenzen mit Antibiotika. Das Risiko für toxische, allergische und anaphylaktische Nebenwirkungen einschließlich Langzeitnebenwirkungen soll so gering wie möglich sein. Ein wesentlicher Punkt ist das Verhältnis zwischen erwünschter mikrobiozider und unerwünschter Minimalanforderung zytotoxischer an Wirkung. Wundantiseptika ist Die mikrobiologische vereinbarungsgemäß eine Reduktion > 5 log, für Sprosspilze > 4 log bzw. unter Blut- oder Eiweißbelastung > 3 log-Stufen [Pitten et al. 2003]. Diese Grenzen sind im Sinne der Wundinfektionstherapie bzw. –prävention am Patienten nicht evidenzbasiert, sondern orientieren sich an internationalen Vereinbarungen. Handelt es sich um eine klinisch manifeste Infektion, die auf eine Wunde beschränkt ist und nicht hämatogen streut, ist die Anwendung von Wundantiseptika gegeben. Der Erfolg 8 der Wundantiseptik Wundversorgung ist untrennbar einschließlich mit der der korrekten Wundnachsorge mit chirurgischen geeigneten Wundauflagen verbunden. Für die Wirkstoffauswahl gilt die goldene Regel der Antiseptik: „Nicht das wirksamste Antiseptikum ist am geeignetsten, sondern das geeignetste Antiseptikum ist am besten“ [Kramer et al 2004]. Silberhaltige Wundauflagen werden bei chronisch infizierten, schlecht heilenden Wunden angewendet. Sie sind nur nach genauer Indikationsstellung anzuwenden. Das gleiche gilt auch für andere Antiseptika. Es wurde nachgewiesen, dass Silber eine antibakterielle Wirkung gegen gramnegative und grampositive Bakterien hat. Ebenfalls zeigt es eine Wirkung gegen Methicillin- und Vancomycin-resistente Bakterienstämme [Lansdown 2002]. Derzeit gibt es im Schrifttum unterschiedliche Auffassungen über die Interpretation von in vitro und in vivo Ergebnissen [Kramer et al. 2008] und damit verbunden unterschiedliche Bewertungen des Nutzens silberhaltiger Wundauflagen [Lo et al. 2008, Michaels et al. 2009; Muangman et al. 2009]. Auch Biatain Ag wurde in zahlreichen Studien untersucht. In einer kontrollierten, randomisierten Studie, in der Biatain Ag und eine Wundauflage ohne Silber verglichen wurden, haben die Autoren eine Überlegenheit von Biatain Ag festgestellt. Die Wundoberfläche wurde wesentlich schneller verkleinert und der Geruch konnte schon innerhalb der ersten Woche verringert werden. Ebenfalls zeichnete sich der Verband durch gutes Exsudatmanagment aus [Jorgensen et al. 2005]. Diese Studie wurde von anderen Autoren mit analoger Schlussfolgerung überprüft [Sibbald et al. 2005]. In einer anderen Studie ohne Vergleichsgruppe konnte bei der Auswertung der Ergebnisse keine Wundheilungshemmung festgestellt werden. Von 27 diabetischen Fußulcera wurde die Ulcusgröße um durchschnittlich 56% verringert und die Reduktion im Zentrum der Wunde ging um 86% zurück [Rayman et al. 2005]. In drei RCT Studien mit kurzem follow up wurden Silberwundauflagen mit Wundauflagen ohne Silber und Auflagen mit anderen Antiseptika verglichen. In der ersten Studie, in der Biatain Ag mit einem Verband ohne Silber verglichen wurde, 9 konnten keine Unterschiede bei Verheilung der Wunde und Reduktion der Wundfläche festgestellt werden. Die zweite Studie verglich einen Silberalginatverband mit einem Alginatverband ohne Silber. Hier konnten die Autoren ebenfalls keinen Unterscheid bei der Wundverheilung feststellen. In der dritten Studie wurde Biatain Ag mit unterschiedlichen Antiseptika verglichen. Die Autoren hielten bei der medianen Wundreduktion Biatain Ag für überlegen [Vermeulen et al. 2007]. In einer randomisierten Studie verglichen Caruso et al. (2006) Silbersulfadiazin (SSD) mit AgNaCMC. Die Anwendung der Wundauflage war mit weniger Schmerzen und Besorgnis der Patienten beim Verbandwechsel, einem weniger brennenden und stechenden Gefühl beim Tragen des Verbands, weniger häufigem Verbandwechsel sowie besserer Epithelisierung verbunden. Sibbald et al. (2001) untersuchten einen Polyethylensilberverband an 29 Patienten mit unterschiedlichen chronischen Wunden. Während der Behandlung kam es zur Abnahme der oberflächlichen Bakterienflora. Es konnte ebenfalls eine Abnahme an Exsudat und Schmerz festgestellt werden. Es gab aber keine Veränderung der Mikroorganismen in tieferen Gewebeabschnitten, weder in der Quantität noch in der Qualität, so dass die ursächlichen Pathogene mit Antibiotika behandelt werden mussten. In einer klinischen Studie mit silberhaltigem Textil im Jahre 2006 wurden 86 Patienten mit traumatischen nicht heilenden Wunden untersucht. Ziegler et al. (2006) gelangten zu der Schlussfolgerung, dass die silberhaltige Kleidung antimikrobiell wirksam war. Durch das Tragen der Kleidung wurden die Menge an Granulationsgewebe und die Epithelisierung nach dreimaligem Wechsel gefördert. Die genannten Studien zeigten einen positiven Nutzen silberhaltiger Antiseptika für die Wundheilung, ohne dass Nebenwirkungen einschließlich einer Wundheilungshemmung auffällig wurden. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass in zahlreichen anderen Artikeln Nebenwirkungen beschrieben werden, die auf Anwendungen silberhaltiger Wundauflagen zurückzuführen sind (s. u.). Dass Silber durch die Haut penetrieren und somit in den Blutkreislauf gelangen kann, beschrieben Walker et al. (2006). In dem gleichem Jahr, als Caruso et al. 10 über die positiven Eigenschaften von SSD mit AgNaCMC berichteten, informierten Trop et al. (2006) in einer klinischen Fallstudie über toxische Eigenschaften von Silber. Bei einem 17 jährigen männlichen Patienten mit bis zu 30% unterschiedlichsten Verbrennungen der Körperoberfläche wurden hepatotoxische und Argyrose ähnliche Symptome festgestellt. Die Symptome zeigten sich bei einer Silberpolyethylenauflage nach einer Woche Behandlung. Es wurden erhöhte Werte in Plasma und im Urin von 107 µg Ag+/kg und 28µg Ag+/kg sowie erhöhte Leberenzymwerte (Aspartat-Aminotransferase, AlaninAminotransferase und Gamma-Glutamat-Transpeptidase) gemessen. Die Symptome verschwanden, nachdem die Behandlung mit Silber unterbrochen wurde. Klinische Erfahrungen deuten darauf hin, dass Silberauflagen sicher sind, wenn sie nur für eine begrenzte Zeit genutzt werden, z.B. bis zu 4 Wochen. Wenn jedoch große Anteile (> 30%) des Körpers betroffen sind oder kleine Wunden über einen längeren Zeitraum (> 30 d) behandelt werden, können toxische Nebenwirkungen auftreten [Trop et al. 2006]. Zu erhöhten Nierenwerten kam es bei einer Behandlung mit SSD-Creme. Chaby et al. (2005) haben daraus geschlussfolgert, dass es nicht über einen längeren Zeitraum genutzt werden sollte. Ähnlich äußerten sich auch Lansdown und Williams (2004). Sie vertreten die Auffassung, dass Silber bei der Behandlung von Brandwunden und chronischen Ulcera systemisch aufgenommen werden kann und sich dann in Organe einlagert. Die Ergebnisse verschiedener Studien deuten darauf hin, dass nanokristallines Silber eine wichtige Rolle spielen könnte, Entzündungen in der Wunde einzudämmen und die Wundheilung in den frühen Phasen zu fördern. Durch die Nanotechnologie sollen Enzyme wie die Metalloproteinase gehemmt und das Absterben von Zellen vermieden werden. Wright et al. (2002) untersuchten nanokristallines Silber an einer kolonisierten Wunde beim Schwein. Die Menge an Metalloproteinase wurde reduziert, war aber mit einer hohen Absterberate von Zellen verbunden. Dennoch konnten Entzündungen unterbunden werden. Paddock et al. (2002) proinflammatorischen registrierten Cytokin einen hemmenden (Tumornekrosefaktor-α, Effekt TNF-α), am einem multifunktionalen Signalstoff, der bei lokalen und systemische Entzündungen beteiligt ist. Die Silbernanotechnologie zeigte auch Erfolge im klinischen 11 Gebrauch. In einer Studie wurden 70 Patienten mit Brandwunden mit nanokristallinem Silberwundauflage behandelt. Körperanteile mit Cellulitis und der Gebrauch von Antibiotika konnten verringert werden [Fong et al. 2005]. In anderen Studien ohne Vergleichsgruppe konnte als klinischer Nutzen von Silberwundauflagen weniger Schmerzempfindung bei Brandwunden festgestellt werden [Voigt u. Paul 2001, Rustogi et al. 2005]. Eine weitere Studie, bei der nanokristallines Silber im Vergleich zu Antibiotika an 20 Patienten mit MeshSkin-Grafts verglichen wurde, zeigte die Gruppe mit dem Silber eine bessere Epithelisierung [Demling u. Desanti 2002]. Varas et al. (2005) sowie Honari et al. (2001) kamen zum gleichen Ergebnis, als sie einen nanokristallinen Silberverband mit SSD verglichen, wobei in der Prävention einer MRSA Kolonisation nanokristallines Silber SSD überlegen war. In unterschiedlichen Studien haben 2007 u. a. Shahverdi et al., Pal et al., Shrivastava et al., Gong et al., Duran et al. und Chopra den Nutzen nanokristallinen Silbers bestätigt. Ihre Ergebnisse zeigten eine Wirkung gegenüber grampositiven und gramnegativen Bakterien als Alternative zu Antibiotika. Auch wenn die Erwartungen an die Nanosilbertechnologie für die Wundbehandlung hoch sind, gibt es auch hier Berichte über toxische Nebenwirkungen. Bei großen offenen Wunden wurden Silbereinlagerungen beobachtet (Argyrose). Berichte über Silberallergien gab es [Leaper 2006]. Rattenleberzellen Hussain et (BRL 3 al. A) (2005) untersuchten (ATCC, CRL-1422 bisher keine Nanopartikel an immortalisierte Rattenleberzellen) und fanden heraus, dass die Zellen innerhalb von 24 h eine abnormale Größe, Zellschrumpfung und irreguläre Formen aufwiesen. In einer weiteren Studie berichten Braydich-Stolle et al. (2005) über toxische Auswirkungen an C18-4 Zellen, die Spermatogonienstammzellen darstellen. Die Autoren schlussfolgerten, dass der Anstieg der Zytotoxizität durch Wirkung der Silbernanopartikel auf die Mitochondrien erklärbar ist, verbunden mit einem Konzentrationsanstieg der Silbernanopartikel. Klare Aussagen treffen Burd et al. (2007) nach vergleichender Testung von fünf kommerziell erhältlichen Silberwundauflagen. Unter den getesteten Wundverbänden befand sich auch Biatain Ag. Sie bewerteten die Zytotoxität anhand von Einschicht-Zellkulturen (Monolayer), Gewebeexplantaten und an einem Wundmodell der Maus. Die 12 Silberverbände Acticoat, Biatain Ag und Aquacel Ag waren hoch zytotoxisch für Keratinozyten und Fibroblasten, während PolyMem Silver und Urgotul SSD weniger zytotoxisch waren. Im Gewebeexplantat, in dem die epidermale Zellproliferation bewertet wurde, hatten alle Silberverbände zu einer signifikanten Verzögerung der Reepithelisierung geführt. Am Mausmodell kam es nach 7 d durch Acticoat und Biatain Ag zu starker Verzögerung der Wundepithelisation. Diese Resultate könnten zum Teil der Grund dafür sein, dass es zu Verzögerungen bei der Wundheilung und Reepithelisierung nach Gebrauch von Silberverbänden kommt [Burd et al. 2007]. Diese Ergebnisse wurden ein Jahr später durch van den Plas et al. bestätigt. Sie testeten in vitro vier silberhaltige Wundauflagen, darunter auch Biatain Ag. Es wurde gezeigt, dass die antibakterielle Wirkung mit zellulärer Zytotoxizität verbunden ist. Beim Vergleich einer Silber freisetzenden Wundauflage mit der silberfreien Kontrolle an Mesh-Graft-Entnahmestellen wurde das Eintreten > 90% Reepithelisierung durch die Silber abgebende Wundauflage verzögert. Es war kein Unterschied hinsichtlich positiver bakteriologischer Kulturen nachweisbar. Die Narbenqualität war bei der Silber freisetzenden Wundauflage nach 1 und 2 Monaten signifikant schlechter und hatte sich erst nach 3 Monaten angeglichen [Innes et al. 2001]. Wie schon Atiyah et al. (2007) berichteten, können silberhaltige Produkte nicht zwischen gesunden Zellen und Bakterien unterscheiden. Die Autoren sind der Meinung, dass Silberwundauflagen nur bei kritisch kolonisierten Wunden genutzt werden sollten und die Forschung nach Wundauflagen mit guter antimikrobieller Aktivität und geringer Toxizität fortgeführt werden sollten [van den Plas 2008]. Als aussichtsreiche Alternative zeichnen sich Wundauflagen mit Gehalt an Polihexanid ab (s.u.), weil dieser antiseptische Wirkstoff als einziger die Wundheilung fördert [Schmit-Neuerburg 2001, Kramer et al. 2004, Daeschlein et al. 2007, Wiegand et al. 2009, Roth et al. 2010], auch wenn der Mechanismus hierfür noch unbekannt ist. Gleichzeitig wird durch den Wirkstoff der Wundschmerz signifikant reduziert [Romanelli et al. 2010]. 13 1.3 Stellenwert von Silber bzw. Silberverbindungen im Vergleich zu Octenidin und Polihexanid Silber Die antimikrobielle Wirkung von Silber tritt nur bei einer ausreichenden Konzentration von Silberionen in einem feuchten Milieu ein. Die erstmals beobachtete antimikrobielle Wirksamkeit von Silberionen in wässriger, 9 elektrolytfreier Lösung hatte eine Konzentration von 10 mol\l. Eine exakte Konzentrationsbestimmung der bakterioziden Wirksamkeit mit Absterbekinetik wurde von Wuhrmann und Zobrist im Jahre 1958 ermittelt. Eine langsame, stete Freisetzung von geringen Mengen Ag+ kann zur Ausbildung bakterieller Resistenzen führen [Percival et al. 2005]. Resistenzen von humanpathogenen Mikroorganismen gegen Silberionen wurden in seltenen Fällen als Einzelfallbeobachtungen beschrieben [Silver 2003, Kittleson et al. 2006]. Zum Einsatz kommt Silber zur Konservierung in pharmazeutischen Zubereitungen oder als Versilberung von Oberflächen auf Trägermaterialien, z. B. in Ionenaustauschern, Silberfiltern und keramischen Filterkörpern. In der Trinkwasserdesinfektion sind Silbersalze gemäß § 11 Trinkwasserverordnung 2001 nicht mehr zugelassen. Die WHO erlaubt Ag+ bis zu 0,1 mg\l zur Trinkwasserdesinfektion. Bei einem Experiment mit einer Maus kam es bei Exposition einer 3fach geringeren Konzentration von Silber für 1 oder 2 Wochen zur höchsten Konzentration in M. soleus, Zerebellum, Milz, Duodenum, und Myokard. Daher ist eine kritische Überprüfung der WHO- Empfehlung als erforderlich anzusehen [Pelkonen et al. 2003]. Das Problem bei der Entkeimung von Trinkwasser besteht darin, dass eine ausreichende Menge an Silberionen vorhanden sein muss. Die Menge an Mikroorganismen ist aber meistens nicht bekannt und Fehleinschätzungen können drastische Folgen haben. So kann die mikrobielle Belastung zu groß sein oder durch einen unbekannten Gehalt an Chloriden oder Sulfiden die Wirksamkeit neutralisiert werden. In der Wundantiseptik wird das Silber üblicherweise in Wundauflagen gebunden. Hierbei muss zwischen Auflagen unterschieden werden, die Silber in die Wunde abgeben und solche, bei denen das nanokristalline Silber fest in der Matrix gebunden sind. Ein Vorteil letztgenannter Wundauflagen ist, dass überschüssiges Wundexsudat aufgenommen, Toxine und Bakterien inaktiviert 14 werden und die Geruchsbildung eingeschränkt wird. Grundsätzlich sind Wundauflagen zu bevorzugen, die kein Silber in die Wunde abgeben, um die Wundheilung nicht zu beeinflussen. Zur Erreichung des antiseptischen Effekts auf infizierten Wunden ist die Applikation gut verträglicher Antiseptika als Methode der Wahl anzusehen [Kramer et al 2004]. Silbernanotechnologie Wenn ein erhöhtes Übertragungsrisiko unterbunden werden soll, kann das durch Inkorporierung von Nanosilber erreicht werden. Eine Möglichkeit ist die Beschichtung von Kunststoffkathetern. Hier werden die Hohlräume zwischen Polyurethan-(PU)-Molekülketten mit Milliarden von Nanopartikeln von metallischem Silber durchsetzt. Die Katheter, die mit einer solchen Technologie gefertigt wurden, sind nicht thrombogen, nicht zytotoxisch und weisen eine gute Hämokompatibilität auf. In einer verbesserten Methode durch Zusatz von Säuren und Elektrolyten auf den Silbernanopartikeln kommt es zur Bildung von schwer wasserlöslichen Silbersalzen. Diese reagieren wie eine Batterie mit dem Silber und setzen Silberionen frei. Die Wirkung ist gegenüber reinem Silber gesteigert. Zur weiteren Verbesserung der Freisetzung von Silberionen kann die Kombination von Nanosilber mit Platin genutzt werden. Das Problem hierbei ist, dass zwar eine ausreichend bakteriozide Wirkstoffkonzentration freigesetzt wird, aber die Katheter sehr steif und dadurch schlecht handhabbar sind. Erste Studienergebnisse bestätigen die infektionspräventive Wirkung von Silber imprägnierten Kathetern [Brosnahan et al. 2004, Rupp et al. 2004, Fraenkel et al. 2006].In der Mehrzahl der Studien konnte jedoch klinisch keine infektionspräventive Wirkung nachgewiesen werden [Alderman u. Sugarbaker 2005, Kalfon et al. 2007, Srinivasan et al. 2006]. Ferner kann die Imprägnierung mit Nanopartikeln bei Gefäßprothesen, chirurgischen Gesichtsmasken und Textilien angewendet werden. Durch silberbeschichtete Textilien kann die S. aureus Besiedlung einschließlich der Toxinbildung gehemmt werden. In kontrollierten Patientenstudien konnte die Symptombesserung durch Einfluss eines Silbertextils gesichert werden [Gauger et al. 2003, Jünger et al. 2006, Kramer et al. 2006]. Die Nanotechnologie wird derzeit auch in der Wundantiseptik genutzt. So sollen z.B. Silber - Aktivkohle – Wundauflagen vor allem in stark sezernierenden chronischen Wunden und chronischen Wunden 15 mit kritischer Kolonisation frei werdende Toxine binden und eine Umgebungskontamination mit Erregern verhindern. Das Wundsekret wird in die Wundauflage abgeleitet und Mikroorganismen und ihre Toxine werden durch die Silberionen in der Aktivkohle inaktiviert [Müller et al. 2003, Rudolph et al. 2000]. Silbernitrat (AgNO3) Silbernitrat bildet farblose, durchscheinende Kristalle. Es ist leicht löslich in Wasser und schwer löslich in Alkohol. In der Wundbehandlung wird 0,5 % AgNO3 z. B. bei Brandverletzungen eingesetzt. Eine Konzentration über 1 % wirkt toxisch auf das Gewebe [Bishara et al. 2006]. Hidalgo et al. empfahlen 1998 eine Anwendungskonzentration auf Wunden von 0,01 %. Da Silbernitrat als starke Säure äußerst aggressiv ist und laut Konsensusempfehlung [Kramer et al. 2004] als obsolet gilt, sollte es in der heutigen Therapie nicht mehr eingesetzt werden. Silbersulfadiazin (SSD) Silbersulfadizin ist ein Komplex aus Silber und Sulfadiazin. Es wird zum Teil noch zur Behandlung Nekroseabtragung von angewendet. Verbrennungswunden Es ist davon vor auszugehen, operativer dass bei mikrobiostatisch wirkenden Mitteln wie Silbersulfadiazin nur bei niedrigen Erregerbelastungen (< 105 KbE/g Gewebe) eine Wirksamkeit erwartet werden kann [Zapata-Sirvent u. Hansbrough 1993, Mc Cauly et al.1994]. Auf Wundoberflächen bildet sich ein schwer löslicher Salbe/Eiweiß-Komplex, der bei Verbrennungswunden eine optische Wundbeurteilung unmöglich macht. Dadurch ist die Verbrennungstiefe visuell nicht mehr erfassbar. Der Schorf bleibt für längere Zeit fest mit der Wundfläche verbacken und verursacht gerade bei kritischen zweitgradigen Verbrennungen häufig eine zu späte Indikationsstellung für die ggf. erforderliche operative Versorgung, was in der Folge entweder Narben hinterlässt oder, bedingt durch Exzision, mit einem höheren Verlust von noch vitalem Gewebe einschließlich eines höheren Blutverlusts verbunden ist. Grundsätzlich ist gerade im Bereich der Behandlung von Problemwunden, wie beispielsweise bei Brandverletzungen, eine eher kurzfristige Vorbehandlungsphase sinnvoll, unter der das Wundareal nach 16 Debridement lokal einerseits antiseptisch behandelt sein sollte, aber jederzeit beurteilungsfähig bleiben muss. Daher ist der Einsatz von Silbersulfadiazin behandlungstaktisch für den Heilungsverlauf eher von protrahierendem Charakter und mangels Beurteilungsfähigkeit von Wundareal unerwünscht. Bei Anwendungen auf Veränderungen im Brandwunden wurden Silberkonzentrationen im Blut und im Urin bestimmt, die toxische und allergische Reaktionen hervorrufen können [Maitre et al. 2002, Chaby et al. 2005]. Lansdown und Williams fanden heraus, dass die Anwendung bei Brandwunden und chronischen Ulcera sogar zu Silberablagerungen in Organen führen kann. Bei Niereninsuffizienz Patienten ist die mit Sulfonamid- Behandlung mit Überempfindlichkeit SDD obsolet. und Weitere Nebenwirkungen sind das allergische Kontaktekzem, Erythema multiforme und Argyrose [Fischer et al. 2003]. Aufgrund der geringen Wirksamkeit und des Risikos lokaler und systemischer Nebenwirkungen ist die Anwendung von SDD zumindest bei Verbrennungen entbehrlich, da es bessere Alternativen gibt [Kramer et al. 2004]. Polihexanid Die Anwendungskonzentration beträgt im Allgemeinen 0,02-0,04 %. Aufgrund der mikrobioziden Wirksamkeit, der Gewebeverträglichkeit und der Wundheilungsförderung ist Polihexanid als Mittel der 1. Wahl für schlecht heilende chronische Wunden bzw. sehr empfindliche Wunden einzuordnen (z. B. Verbrennungswunden Grad II) [Hübner u. Kramer 2010, Kramer et al. 2010.]. Weitere Anwendungsgebiete sind die Wundreinigung und -dekontamination sowie das Feuchthalten von Wunden. Polihexanid ist wegen der guten Verträglichkeit und des fehlenden irritativen Potentials auch als okklusive Abdeckung geeignet (insbesondere Alginate und Hydrofasern). Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass Polihexanid nicht resorbiert wird und ausschließlich am Applikationsort wirksam ist [Hübner u. Kramer 2010]. Kontraindikation ist die Anwendung bei bekannter Allergie und während der Schwangerschaft. Es wurde von zwei Fällen einer möglicherweise durch Polihexanid induzierten Anaphylaxie berichtet, die allerdings durch den Prick-Test nicht bestätigt werden konnten [Olivieri et al. 1998]. Polihexanid darf nicht in Kombination mit anionischen Tensiden und anderen wundreinigenden 17 Seifen, Salben, Ölen, Enzymen und ähnlichem angewendet werden [Kramer 2001]. Octenidindihydrochlorid Octenidindihydrochlorid führt zur Zerstörung der Zellfunktion, in dem es als kationaktive Substanz an der Zellmembran wirkt. Derzeit wird es als oberflächenaktiver (Octenisept®), Wirkstoff aber auch in als Kombination alleiniger mit 2% Phenoxyethanol Wirkstoff (Octenilin®) zur Wundantiseptik eingesetzt. Die Wirkung richtet sich gleichermaßen gegen grampositive und gramnegative Bakterien [Koburger et al. 2010]. Pilze und bestimmte Viren werden auch erfasst. [Harke u. Streek 1989, Kramer 2001, Hübner et al. 2010]. Ursprünglich wurde das Präparat als Schleimhautantiseptikum entwickelt. Die Verträglichkeit und Wirksamkeit wurden besonders in der Gynäkologie und Urologie genutzt. Seit 1995 ist Octenidin auch im Rahmen der Wundbehandlung zugelassen. Durch aktuelle In- vitro Befunde ist Octenidin bezüglich seiner therapeutischen Breite Polihexanid überlegen [Müller u. Kramer 2008], weil die Wirksamkeit von Octenidin deutlich höher ist, ohne dass die Zytotoxizität in gleichem Ausmaß vorhanden ist. Allerdings wird die Wundheilung nicht wie durch Polihexanid gefördert, sondern analog wie durch Ringer-Lösung nicht gehemmt [Kramer et al. 2004]. Aufgrund seiner Wirkungskinetik ist Octenidindihydrochlorid zur Anwendung auf akuten Wunden Polihexanid als überlegen einzustufen. Für chronische und empfindliche Wunden ist beim aktuellen Wissensstand dagegen Polihexanid zu bevorzugen [Hübner u. Kramer 2010]. Durch seine starken Bindungseigenschaften an Makromolekül- und Zellbestandteile wird die Zytotoxizität von Octenidindihydrochlorid gemindert, trotzdem bleibt eine ausreichende antiseptische Wirksamkeit erhalten [Müller u. Kramer 2007]. Diese In- vitro Befunde werden durch eine klinische Studie unterstützt, bei der durch Octenisept® im Vergleich zu Ringer-Lösung bei 43 Patienten mit chronischen Ulzera während der Behandlung (täglich über 4 Wochen) die Infektionszeichen gemindert und die Granulation signifikant verbessert wurden. Eine negative Beeinflussung wurde nicht beobachtet [Vanscheidt et al. 2005]. An Schürf-, Biss und Schnittwunden sowie bei der Anwendung von 1:1 verdünnten Lösungen bei Verbrennungswunden ist eine erfolgreiche 18 antiseptische Primärversorgung beschrieben worden [Schülke & Mayr 1997]. Präparate auf Basis von Octenidin in Kombination mit Phenoxyethanol sollten analog wie Polihexanid weder für Spülungen in der Bauchhöhle (z. B. intraoperativ) noch der Harnblase und auch nicht am Trommelfell angewendet werden. Sie sollten außerdem keinesfalls bei Unverträglichkeit gegen einen der Wirkstoffe oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels angewendet werden. Für Octenidin wurde die Kontraindikation „zur Anwendung bei Kindern unter 8 Jahren“ 2003 durch das BfArM gestrichen [Hübner et al. 2010], 19 2 Eigene Untersuchung 2.1 Material und Methoden Prüfsubstanzen: Getestet wurde Biatain Ag, ein Schaumverband mit ionischem Silber. Er basiert auf der 3-D-Polymerstruktur von Biatain und enthält zusätzlich homogen verteilte, antibakteriell wirksame Silberkomplexe. Zur Kontrolle diente der identische Schaumverband ohne Silbergehalt. Erreger: Als Testorganismen wurden S. aureus ATCC 6538, MRSA Norddeutscher Epidemiestamm und P. aeruginosa ATCC 15442 eingesetzt. Belastung: Als mit Wundflüssigkeit vergleichbare Belastung [Müller u. Kramer 2008] wurde Minimal Essential Medium Eagle (MEM) mit Earle`s salts und Lglutamine (PAA Laboratories, Germany), ergänzt mit 10 % FBS (Gibco), verwendet. Objektträger: Gemäß EN 10088-2 wurden kreisförmige Metallplättchen mit einem Durchmesser von 2 cm und einer Stärke von 1,5mm aus nichtrostendem Stahl (1.4301, Oberflächengüte der Qualität 2 B) verwendet. Neutralisierung: Durch vorherige separate Austestung wurde 0,1 % Thioglycolat in PBS (phosphate buffered saline) als wirksame Neutralisierung ermittelt und für die Testung eingesetzt. Herstellung der Erregersuspension und Kontrolle der Erregerzahl: Für die Herstellung der Stammkultur wurde der jeweilige Erregerstamm auf Blutagar aufgetragen und dieser für 24 h bei 36+1 °C bebrütet. Danach wurde aus dieser Stammkultur eine Kolonie abgenommen, erneut auf Blutagar aufgetragen und diese wiederum für 24 h bei 36+1 °C bebrütet. Die so entstandene Subkultur wurde als Arbeitskultur für den jeweiligen Versuchstag angelegt und verwendet. Vor dem Versuchsbeginn wurden die Suspensionen verdünnt, indem 1 ml der Erregerlösung in 9 ml Trypton-NaCl gegeben wurde. Um zu gewährleisten dass die Versuche mit der ausreichenden Erregerzahl von etwa 108 bis 109 KbE/ml durchgeführt wurden, erfolgte die Kontrolle mittels mehrfacher Verdünnungen in Trypton-NaCl. Jeweils 0,1ml der Verdünnungen 10-6, 10-7 und 10-8 wurden im Doppelverfahren auf Agar (CSA) ausgespatelt und für 48 h bei 36+1 °C bebrütet. Danach erfolgte die Kontrolle durch Auszählen der Kolonien. Für den Vergleich mit der Wirksamkeit der Wundauflagen wurden parallel kontaminierte Keimträger mitgeführt, die lediglich angetrocknet wurden, 20 wobei die Rückgewinnungsrate ohne Auflegen der Wundauflagen ermittelt wurde. Versuchsdurchführung und Auswertung: Die Metallplättchen wurden in sterile Petrischalen gelegt. Auf die Oberseite wurden 0,05 ml der Erregersuspension im Belastungsmedium auftragen und mit sterilem Glasspatel kreisförmig leicht verstrichen. Dabei wurde sorgfältig darauf geachtet, dass die Lösung 1-2 mm vor dem Außenrand der Metallplättchen endet, damit gewährleistet ist, dass die Wundauflagen die benetzte Fläche komplett bedecken (Abb. 1). Abb. 1 Auf Metallkeimträger angetrocknete Erregersuspension Danach wurden die aus der Wundauflage passend heraus geschnittenen sterilen Probekörper in sterile Petrischalen, in die zuvor die Belastungsflüssigkeit einpipettiert worden war, für die Dauer von 1 min so eingelegt, dass die Probekörper komplett mit der Lösung benetzt und durchtränkt wurden (nach 30 s wurden die Probekörper in der Lösung gewendet). Danach wurden die Probekörper auf die kontaminierten Keimträger aufgelegt, wobei sorgfältig darauf geachtet wurde, dass die Wundauflagen ohne Zwischenraum allseitig auf dem Keimträger auflagen. Um auch danach den Kontakt zur kontaminierten Keimträgerfläche zu gewährleisten, wurden die Probekörper von oben mit einem 2. Keimträger (Masse 3,8 g) für die Dauer der Einwirkungszeit beschwert (Abb. 2). 21 Abb. 2 Keimträger mit darauf befindlicher von oben mit einem nicht kontaminierten Keimträger beschwerter Wundauflage Nach Ablauf der Einwirkzeit (5 min, 30 min, 3 h, 10 h und 24 h) wurden die Plättchen in zuvor mit sterilen Glasperlen und 10 ml Neutralisationsmittel befüllte Greiner-Röhrchen überführt. Die Metallplättchen wurden so platziert, dass die kontaminierte Oberfläche nach unten zeigte und sich auf den Glasperlen frei in der Horizontalen bewegen konnte. Zur Ablösung der Erreger wurden die Röhrchen 2 min auf dem Vortexer geschüttelt. Nach einer Neutralisationszeit zwischen 5 min und max. 30 min wurden 1ml des PrüfNeutralisations-Gemischs entnommen, in 9 ml Trypton-NaCl überführt und hiervon je 0,1 ml bzw. weitere Verdünnungen parallel auf 2 Petrischalen mit CSA ausgestrichen. Nach 48 h Bebrütung bei 36+1 °C wurden die Kolonien ausgezählt. Generell wurden für die Versuche nur Agarplatten mit einer Anzahl koloniebildender Einheiten zwischen 15 und 300 bei der Auswertung berücksichtigt. Das gewichtete Mittel der aufeinanderfolgenden Verdünnungen wurde wie folgt bestimmt: Ĉ= c (n1 0,1n2 )d Ĉ gewichtetes Mittel c Summe der Kolonien auf allen ausgewerteten Nährböden n1 Anzahl der ausgewerteten Nährböden mit der ersten Verdünnung 22 n2 Anzahl der ausgewerteten Nährböden mit der zweiten Verdünnung d Verdünnungsfaktor der ersten ausgewerteten Verdünnung Jeder Erreger wurde dreimal an drei unterschiedlichen Tagen getestet. 2.2. Ergebnisse Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Versuche an den drei Versuchstagen eine gute Übereinstimmung (Tab. 1-3). Das Maximum der Standardabweichung beträgt + 0,59. Bei Zugrundelegung des Gesamtmittelwerts aus allen Versuchen ergibt sich folgende Einschätzung. Während die Wirkung gegenüber beiden Staphylokokkenstämmen nach 3 h einsetzte (RF >1), wird eine vergleichbare Wirkung gegenüber P. aeruginosa schon nach 30 min erreicht. Im weiteren Verlauf steigt die Wirksamkeit weiter an und erreicht nach 24 h gegenüber S. aureus und P. aeruginosa einen Reduktionsfaktor von ca. 2 log und gegenüber dem MRSA-Stamm sogar einen Reduktionsfaktor von ca. 3 log. Dagegen ist die silberfreie Wundauflage nicht nur wirkungslos, sondern es setzt nach 10 min bzw. in jedem Fall nach 24 h aufgrund der Feuchtigkeit auf dem Objektträger eine deutliche Vermehrung der Testbakterien ein, die z. T. fast 2 log erreicht. 23 Tab. 1 Reduktionsfaktoren der silberhaltigen Wundauflage Biatain Ag im Vergleich zur identischen Wundauflage ohne Silber S. aureus (Keimträgerkontrolle 5,9 log) MRSA (Keimträgerkontrolle 5,9 log) P.aeruginosa (Keimträgerkontrolle 6,1 log) Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain 5 min 0,32 0,13 0,72 0,54 0,22 0,17 30 min 0,33 0,14 0,73 0,33 1,11 0,36 3h 1,35 0,0 2,02 0,61 1,28 -0,13 10 h 1,64 -0,11 2,25 -0,42 1,36 -0,92 24 h 1,91 -1,73 3,12 -1,14 2,12 -1,81 EWZ Versuchstag 1: Mittelwerte aus jeweils 3 Testansätzen mit Doppelbestimmung aus jedem Ansatz, d. h. aus insgesamt 6 Einzelwerten. Tab. 2 Reduktionsfaktoren der silberhaltigen Wundauflage Biatain Ag im Vergleich zu identischen Wundauflage ohne Silber S. aureus (Keimträgerkontrolle 5,99 log) MRSA (Keimträgerkontrolle 5,88 log) Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain 5 min 0,52 0,12 0,24 0,03 0,72 0,16 30 min 0,58 0,17 0,6 0,07 1,2 0,62 3h 1,56 -0,12 1,84 0,22 2,11 -0,04 10 h 1,63 -0,28 2,28 -0,5 0,77 -0,28 24 h 2,83 -1,21 3,54 -0,84 1,92 -2,04 EWZ P.aeruginosa (Keimträgerkontrolle 6 log) Versuchstag 2: Mittelwerte aus jeweils 3 Testansätzen mit Doppelbestimmung aus jedem Ansatz, d. h. aus insgesamt 6 Einzelwerten. 24 Tab. 3 Wirksamkeit der silberhaltigen Wundauflage Biatain Ag im Vergleich zur identischen Wundauflage ohne Silber S. aureus (Keimträgerkontrolle 5,9 log) MRSA (Keimträgerkontrolle 6,02 log) Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain 5 min 0,44 0,15 0,84 0,79 -0,24 -0,24 30 min 0,26 0,2 0,87 0,72 0,82 0,07 3h 1,29 -0,05 1,91 0,74 1,1 -0,18 10 h 1,5 0 2,62 -0,21 1,26 -0,18 24 h 1,98 -1,9 3,25 -0,94 1,98 -1,75 EWZ P.aeruginosa (Keimträgerkontrolle 6,02 log) Versuchstag 3: Mittelwerte aus jeweils 3 Testansätzen mit Doppelbestimmung aus jedem Ansatz, d. h. aus insgesamt 6 Einzelwerten. Tab. 4 Mittelwerte (± Standardabweichung) der Reduktionsfaktoren für Biatain Ag und Kontrollwundauflage ohne Silber aus den drei Einzelversuchen EWZ 5 min 30 min 3h 10 h 24 h S. aureus (Keimträgerkontrolle 5,93 log) MRSA (Keimträgerkontrolle 5,93 log) P.aeruginosa (Keimträgerkontrolle 6,04 log) Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain Biatain Ag Biatain 0,43 0,13 0,6 0,43 0,23 0,19 ± 0,1 ± 0,01 ± 0,32 ± 0,42 ± 0,48 ± 0,04 1,4 0,17 0,7 0,32 1,04 0,35 ± 0,16 ± 0,03 ± 0,19 ± 0,39 ± 0,19 ± 0,28 1,4 0,05 1,9 0,52 1,53 -0,11 ± 0,14 ± 0,06 ± 0,09 ± 0,27 ± 0,59 ± 0,07 1,59 -0,13 2,38 -0,37 1,13 -0,46 ± 0,08 ± 0,14 ± 0,2 ± 0,14 ± 0,32 ± 0,4 2,24 -1,61 3,3 -0,97 2,0 -1,86 ± 0,51 ± 0,36 ± 0,21 ± 0,15 ± 0,1 ± 0,15 25 2.3 Diskussion 2.3.1 Methode Da der quantitative Suspensionstest die Anwendungsbedingungen eines Wundantiseptikums nicht widerzuspiegeln vermag, wurde in der vorliegenden Studie erstmals untersucht, ob sich ein praxisnäherer Objektträgertest, also ein Test der Phase 2, Stufe 1 (Suspension test under practice-relevant conditions) zur Prüfung der mikrobioziden Wirksamkeit eignet. Dieses Modell entspricht insofern besser der Anwendungssituation eines Wundantiseptikums, weil das Antiseptikum nicht wie im Suspensionstest mit den in die Suspension eingebrachten Testmikroorganismen vermischt und in daraus entnommenen Proben die Zahl der abgetöteten Testorganismen durch Vergleich mit der Kontrolle ermittelt Objektträger wird, aufgebracht, sondern die Testmikroorganismen angetrocknet und erst danach auf mit einen dem Wundantiseptikum in flüssiger oder in Salbenform oder mit einer Wundauflage überschichtet werden. Nach Ablauf der Einwirkungszeit wird die Anzahl der überlebenden Testmikroorganismen ermittelt. Dieses Prüfmodell ermöglicht zugleich die Feststellung, inwieweit die Wirksamkeit durch mit einer der Wundflüssigkeit vergleichbare Belastung beeinflusst wird. 2.3.2 Ergebnisse Mit dem Objektträgertest konnte gezeigt werden, dass die silberhaltige Wundauflage eine antibakterielle Wirkung gegenüber den Erregern S. aureus, MRSA und P. aeruginosa aufweist. Bei Kontakt mit Wundexsudat werden Silberionen im Austausch gegen Natriumionen und in Abhängigkeit von der aufgenommenen Exsudatmenge kontrolliert freigesetzt. Aufgrund des multiplen Wirkansatzes ionischen Silbers auf die Bakterienzellen werden diese zerstört. Somit werden die bakterielle Belastung und die lokale Infektion reduziert. An jedem einzelnen Versuchstag konnte nach 24h Einwirkungszeit eine bakteriozide Wirkung bei den Staphylokokkenstämmen von ca. 2 log und bei P. aeruginosa von ca. 3 log festgestellt werden. Aus den Ergebnissen geht ferner hervor, dass P. aeruginosa schon nach 30 min einen RF- Wert von 1 log aufweist, wohingegen S. aureus und MRSA erst nach 3 h diesen Wert 26 erreichen. Da es sich bei diesem Versuch um einen biologischen Labortest handelt, kam es zu natürlichen Schwankungen bei den Ergebnissen. Wie zu erwarten war, zeigte der Schaumverband ohne Silber keine antiseptische Wirkung. Im Gegenteil, aufgrund der optimalen Bedingungen (Feuchtigkeit und 48 h im Brutschrank) konnten sich die Erreger nach 24 h um 2 log Stufen vermehren. Diese in vitro Ergebnisse werden durch andere Ergebnisse von in vitro Tests aus der Literatur bestätigt [Demling 2001, Burrell 2003, Thomas u. McCubbin 2003]. Biatain Ag Schaumverband zeigt in-vitro gegen die häufigsten Oberflächen- und Gewebebakterien in chronischen Wunden einen antibakteriellen Effekt. Der Verband wirkt auch gegen die Antibiotika-resistente Bakterien wie MRSA und VRE [Coloplast GmbH]. Aus den Testergebnissen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass silberhaltige Wundauflagen auch klinisch zum gewünschten Erfolg der verbesserten Heilung chronischer Wunden führen, weil mit dem in vitro Modell des Keimträgertests nicht die zytotoxische Wirkung auf Wunden erfasst werden kann. Hinzu kommt, dass im Keimträgertest immer nur die Wirksamkeit gegen eine einzelne Bakterienspecies geprüft werden kann, nicht aber gleichzeitig gegen mehrere Bakterienarten oder sogar gegen einen Biofilm, wie es für Wunden typisch ist. Bei einer einzelnen Bakterienart können keine bakteriellen Synergien wie Quorum sensing (die Fähigkeit, der Bakterien zu kommunizieren und sich an ihre Umwelt anzupassen) und polymikrobielle Biofilmformationen auftreten. Bei einer Wunde existieren viele Bakterien, die untereinander „kommunizieren“. Die in vitro Bedingungen schließen also keine komplizierten Faktoren ein, die mit dem antimikrobiellen Produkt interferieren oder dieses unterdrücken können. Hinzu kommt, dass die Wunde nicht nur die Bakterien als Target, sondern auch gewünschte Zellen wie Fibroblasten, Makrophagen und Epithelzellen sowie Matrixproteine, Blut und Serum enthält. Wenn die Wundumgebung als Ganzes betrachtet wird, ist eine erfolgreiche Antiseptik mit Sicherheit schwieriger 27 erreichbar als auf dem Keimträger. Für Silber, das eine unspezifische Wirkung hat, existiert eine Wundumgebung, die nicht in vitro nachvollzogen werden kann. Die in vitro Ergebnisse sagen also nichts über die potentielle Wirkung des Silbers auf andere Parameter in der Wundumgebung aus. Die in vitro Untersuchungen sind jedoch notwendig bzw. sinnvoll, um zu demonstrieren ob ein Antiseptikum überhaupt antibakteriell wirksam ist und welcher Erreger erfasst wird. In jedem Fall muss die nachgewiesene Wirkung tierexperimentell und letztlich am Patienten in klinischen Studien nachgewiesen werden. Bei Wundantiseptika ist das nicht ohne weiteres zu realisieren. Haut- und Schleimhautantiseptika können an freiwilligen Probanden gegen einen Referenzstandard geprüft werden; doch bei gesunden Probanden gibt es kein Modell für eine infizierte Wunde, an der Wundantiseptika getestet werden könnten. Das ist ein wesentlicher Grund für die kontroverse Beurteilung von Antiseptika in der Literatur. Aufgrund von Resistenzen gegen Antibiotika ist die Breitbandwirkung von Silber bei lokalen Wunden eine Alternative. Resistenzen bei Silber treten selten auf, sind aber kein unbekanntes Thema [Silver 2003, Kittleson et al. 2006]. Schon 1969 berichtete Jelenko von einer Silberresistenz bei E. coli. 1974 folgte ein Bericht von einer Resistenz gegen SSD [Rosenkrantz et al. 1974]. Da Ag + an mehreren Stellen der Bakterienzellwand andocken kann und somit eine Art Multi-Punkt-Angriff ausführt, sind im Gegensatz zu den meisten Antibiotika, die einen Einzel-Punkt-Angriff durchführen, mehrere Mutationen notwendig, um eine Resistenz gegenüber Silber zu entwickeln. Dennoch ist es wichtig, Silberresistenzen im Auge zu behalten, weil die Industrie immer mehr Produkte auf den Markt bringt, die die Breitbandwirkung von Silber ausnutzen [Gupta u. Silver 1998]. Die ausgedehnte Nutzung von Silber könnte u.U. auch in praxi Resistenzen induzieren, wie es bei den Antibiotika der Fall ist [Levry 1998]. Obwohl die Resistenz gegen Silberionen bis heute keine reale Gefahr darstellt, sollte ein unüberlegter und ungerechtfertigter Einsatz von silberimprägnierten Produkten vermieden werden [Sheldon 2005]. Es stellt sich die Frage, wie viel Silber in der Wundauflage benötigt wird, um einen ausreichenden antiseptischen Effekt zu haben bzw. wie viel Silber 28 freigesetzt werden sollte, um eine klinische Wirksamkeit zu erreichen. Da die Konzentration des Silbers zwischen einzelnen Wundauflagetypen beträchtlich variiert (Tab. 5), wird die Einschätzung der Produkte noch erschwert. Tab. 5 Silberkonzentration einiger Silberwundverbände [Thomas u. McCubbin 2003, Thomas 2004] Name of dressing Silver concentration (mg/100cm²) Thomas Thomas & McCubbin Acticoat 105 101-109 Contreet Foam 85 47* Contreet Hydrocolloid 32 31.2 - 32.4 Aquacel Ag 8.3 8.3 Actisorb silver 220 2.7 2.4-2.9 Avance Not stated 1.6 *Results recognised as inaccurate: Thomas & McCubbin Viele der kommerziell verfügbaren silberhaltigen Wundauflagen wurden in vitro getestet um festzustellen, wieviel Silber sie in einer simulierten Wundflüssigkeit freisetzen. Die Menge des Silbers, die notwendig ist, um antibakteriell wirksam zu sein, ist ebenfalls ein Diskussionsthema in der Literatur. Lansdown (2004) zitiert einen Autor, der behauptet, dass eine Konzentration von 1,43 ppm Bakterien abtötet oder wachstumshemmend auf eine Vielzahl von Bakterien wirkt. Burrell (2003) zitiert Shierholz et al., die angeben, dass die Abtötungsrate von Silber direkt proportional der Silberkonzentration ist und je höher die Silberkonzentration ist, umso höher ist die antibakterielle Aktivität. In jedem Fall wird nur ein geringer Anteil des Silbers von den Bakterien aufgenommen. Der größte Anteil wird von Sulphhydrylgruppen, Proteinen und dem umliegenden Gewebe gebundenen [Lansdown 2004]. In reinem Wasser genügt eine Konzentration < 1ppm, um antibakteriell wirksam zu sein. In Wundflüssigkeit ist die minimale antibakterielle Konzentration um ein Vielfaches höher [Demling u. DeSanti 2001, Thomas 2004]. Burrell (2003) behauptet, dass in einer Wunde eine Konzentration von 20-40 ppm erforderlich sei, um effektiv zu sein. Dagegen ist Thomas (2004) der Meinung, dass mindestens 50 ppm und 29 möglicherweise sogar bis 60,5 ppm notwendig seien. Auf Grund der unterschiedlichen Ansichten besteht eine heftige Debatte zwischen Anwendern und Konzernen. Selbst wenn im Labor die minimale Hemmkonzentration für Bakterien ermittelt wurde, sind das Laborergebnisse, die nicht die komplexen Faktoren einer Wunde widergeben. Wie Lansdown (2004) berichtete, bindet Silber an Proteine und umliegendes Gewebe, wodurch die Effektivität beeinträchtigt wird. Bezüglich der klinischen Bewertung silberhaltiger Wundauflagen zur Behandlung chronisch infizierter Wunden ist anzumerken, dass es sich vielfach nur um Einzelstudien ohne Vergleich oder um nicht kontrollierte Studien über einen kurzen Zeitraum mit einer geringen Anzahl von Patienten handelt. Ferner beinhalten die meisten Studien zu wenige Informationen über den genauen Einsatz der Silberwundauflage, über deren genaue Wirkungsweise und über Nebenwirkungen. Bergin und Wraight haben 2006 einen Artikel veröffentlicht, in dem sie Datenbanken wie The Cochrane Wounds, The Cochrane Wounds Group Specialised Register (August 2005), The Cochrane Central Register of Controlled Trials(CENTRAL), The Cochrane Library 2005, MEDLINE(1966 bis 2004), CINAHL (1982 bis 2004) und EMBASE GroupSp systematisch durchsuchten und alle relevanten Studien über Silberwundauflagen sammelten. Es wurden sogar Konzerne kontaktiert, um Informationen über Veröffentlichungen und noch nicht veröffentlichte Studien zu erhalten. Bei der Suche wurden exakte Schlagwörter benutzt, die zu detaillierten Informationen führen könnten. Im Ergebnis wurden keine relevanten Studien gefunden, die den Kriterien entsprachen. Weder RCT-Studien noch kontrollierte klinische Studien konnten ermittelt werden. Deshalb blieb offen, welche Vorteile oder Nachteile Silberwundauflagen mit sich bringen. Zwei Jahre später haben Lo et al. (2008) die Datenbanken PubMed, CINAHL, Cochrane, MEDLINE, British Nursing Index, EBSCO Host, OCLC, Proquest und PsychInfo durchsucht. Von den über 1957 analysierten Studien wurden 14 Artikel mit 1285 Teilnehmern als sachdienlich identifiziert. Fast alle Teilnehmer berichteten über ein oder mehrere statistisch relevante Ergebnisse. Das Ergebnis dieses reviews war, dass Silber-freisetzende Wundauflagen positive Effekte auf chronisch infizierte Wunden zeigen. Die Qualität der Untersuchungen (Experimente) wurde 30 allerdings limitiert durch die fehlende detaillierte Beschreibung der Ergebnisevaluation und der fehlenden Angaben zur Erkrankungsschwere. Darüber hinaus existierten in manchen Studien Probleme mit Confoundern [Lo et al 2008]. 31 3 Weiterführende Gedanken und Schlussfolgerung Aktuell gibt es nur wenige klinische RCT-Studien, die über einen längeren Zeitraum durchgeführt wurden. Die Evidenz ist bisher unzureichend, um eine allgemeine Empfehlung für die Anwendung silberhaltiger Wundauflagen geben zu können [Mera 2001, 2006, European Wound Management Association 2006]. Viele Studien zeigen zwar den positiven Effekt silberhaltiger Wundauflagen bei chronisch infizierten Wunden, jedoch handelt es sich hierbei häufig um nicht kontrollierte Einzelversuche in einem kurzen Zeitraum. Detaillierte Informationen über den genauen Einsatz von Silberwundauflagen, über deren Wirkungsweise und deren Nebenwirkungen fehlen oftmals. In vitro Studien zeigen die antibakterielle Wirksamkeit gegen gramnegative und grampositive Bakterien, Pilze und auch Viren. Diese in-vitro Befunde sind gesichert. Im Gegensatz dazu wurden durch in vitro Studien jedoch auch toxische Eigenschaften an Keratozyten und Fibroblasten festgestellt. Studien an Patienten führten diesbezüglich zu unterschiedlichen Aussagen. So sind einige Autoren davon überzeugt, dass Silberwundauflagen die Wundheilung fördern und ein geeignetes Antiseptikum darstellen. Andere Studien widerlegen diese Aussage und berichten von keinem klinischen Nutzen und weisen auf toxische Nebenwirkungen hin. Diese kontroversen Meinungen deuten darauf hin, dass die Untersuchungen mit silberhaltigen Wundauflagen nicht aussagekräftig genug sind. Um Silberwundauflagen einschätzen zu können und zu vergleichen, müssen sie zunächst an infizierten Wunden im Tiermodell und dann an Patienten geprüft werden. In vitro Ergebnisse geben nur die antibakterielle Wirkung unter Laborbedingungen wider und berücksichtigen nicht die erschwerten Faktoren, die die Wirksamkeit beeinflussen können, wie z.B. Biofilme, gemischte Bakterienpopulationen und Anwesenheit von Gewebeproteinen. Die Auswahl der Silberwundauflagen sollte durch gesicherte in- vivo Studien erfolgen und nicht von in-vitro Daten abgeleitet werden. Als Schlussfolgerung werden randomisierte kontrollierte Studien mit längerem follow-up für erforderlich gehalten, um die geeignete Wundauflage zur Behandlung kontaminierter und infizierter akuter und chronischer Wunden identifizieren zu können. 32 Alternativ müssen moderne Wirkstoffe in die Auswahl gezogen werden. Bei der Behandlung von kolonisierten, infizierten, schlecht heilenden chronischen Wunden haben sich in den letzten Jahren Polihexanid und Octenidin bewährt. Die Gewebeverträglichkeit wurde an Tiermodellen, Gewebekulturen und standardisierten Wunden dokumentiert. Ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit macht sie unter Berücksichtigung des verfügbaren Kenntnisstandes in der heutigen Praxis zum Mittel der 1. Wahl [Kramer et al. 2004]. Für eine endgültige Bewertung wäre jedoch der direkte Vergleich mit silberhaltigen Wundauflagen in RCT-Studien erforderlich. 33 4 Zusammenfassung Bisher wird die Wirksamkeit von Wundantiseptika und antiseptischen Wundauflagen zunächst im quantitativen Suspensionstest ermittelt und bei in vitro nachgewiesener Wirksamkeit die klinische Prüfung unter der Voraussetzung der Zulassung durch eine Ethikkommission durchgeführt. Da jedoch der Suspensionstest den Anwendungsbedingungen eines Wundantiseptikums nicht gerecht wird, sollte untersucht werden, ob sich ein praxisnaher Objektträgertest als zweite Prüfstufe zur Prüfung der mikrobioziden Wirksamkeit von Wundantiseptika eignet. Als Keimträger wurden kreisförmige Metallplättchen mit einem Durchmesser von 2 cm und einer Stärke von 1,5 mm aus nichtrostendem Stahl mit der Suspension des Testorganismus kontaminiert, für 30 min angetrocknet, die zu testenden Wundauflagen für die Dauer der Einwirkungszeit aufgelegt und danach die Anzahl der rückgewinnbaren überlebenden Testorganismen bestimmt. Aus der Differenz der Ausgangskontamination und der Anzahl rückgewinnbarer kultivierter Testorganismen wird der logarithmische Reduktionsfaktor berechnet. Mit dem Keimträgertest ist es möglich, die Wirksamkeit praxisnäher und mit höheren Anforderungen an die Wirkungsentfaltung als im Suspensionstest zu ermitteln, weil der Kontakt zwischen Wundauflage und aufgetragener Suspension der Testorganismen weniger intensiv ist als bei Durchmischung einer Prüflösung mit Testorganismen im Suspensionstest . Zeitabhängig erwies sich der getestete silberhaltige Wundschaumverband Biatain Ag als mikrobiozid effektiv. Nach 24 h wurde gegenüber S. aureus und P. aeruginosa ein Reduktionsfaktor von 2 log, gegenüber einem MRSA Stamm von 3 log erreicht. Dagegen war die silberfreie Wundauflage nicht nur wirkungslos, sondern innerhalb von 24 h war eine deutliche Vermehrung der Testbakterien auf dem Keimträger feststellbar, die z. T. fast 2 log erreicht. 34 5 Summery The efficacy of wound antiseptics and antiseptic wound dressings has in the past initially been determined in the quantitative suspension test according to EN 13727. Products found to be effective in such in-vitro test have then undergone preclinical studies and clinical trials. However, as suspension tests are not an accurate reflection of the conditions under which wound antiseptics are used, it was decided to investigate whether a carrier test could simulate practical conditions of application and be a suitable second stage in the investigation of the microbicidal efficacy of wound antiseptics. The germ carriers consisted of circular stainless steel discs measuring 2cm in diameter and 1.5mm in thickness, complying with the requirements of EN 10088-2. They were contaminated with the test organism suspension and addition of artificial wound fluid and left to dry at room temperature for 30 minutes. The wound dressings being tested were placed on the discs for the length of the exposure time, and after neutralisation by thioglycolate in PBS the number of surviving test organisms that could be recovered was then counted. The logarithmic reduction factor was calculated from the difference between the initial contamination and the number of cultivated test organisms that could be recovered. The germ carrier test allows efficacy to be determined in a more realistic setting. It also imposes more stringent requirements on efficacy over time than the suspension test, because contact between the wound dressing and the test organism suspension to which the dressing is exposed is less intense than during a suspension test where the dressing is placed in a test solution containing test organisms that is kept in agitation. Biatain Ag, a foam wound dressing containing silver, was found to be an effective microbiocide, with a diminution of effect over time. The reduction factors against S. aureus and P. aeruginosa after 24 hours were 2 log and 3 log for MRSA strain respectively. The wound dressing which contained no silver was not only ineffective but, in fact, the number of test bacteria on the germ carrier increased sharply within 24 hours, almost reaching log 2 in some cases. 35 6 Literatur Beam JW. Topical silver for infected wounds. Athl Train 2009; 44(5): 531-3. Bergin SM, Wraight P. 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Skin Pharmacol Physiol 2006; 19: 140-146. 44 Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Dissertation ist bisher keiner anderen Fakultät und keiner anderen wissenschaftlichen Einrichtung vorgelegt worden. Ich erkläre, dass ich bisher kein Promotionsverfahren erfolglos beendet habe und dass eine Aberkennung eines bereits erworbenen Doktorgrades nicht vorliegt. Greifswald, den 10.07.2011 45 Danksagung Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Axel Kramer für die freundliche Überlassung des Themas, zahlreichen kompetenten Anregungen, Hinweisen und die jederzeit sehr gute Betreuung. Ein herzliches Dankeschön geht an Frau B. Sümnicht, die mir stets bei allen organisatorischen Fragen hilfreich zur Seite stand. Ich danke auch Frau G. Lindstedt, Frau K. Sümnicht aus dem Krankenhaushygienischen Labor sowie den Zivildienstleistenden, die mich mit großer Geduld bei der Herstellung der Erregersuspensionen und Agarplatten unterstützt haben. Herrn Dr. G. Müller möchte ich für die stets freundliche Beantwortung von manchmal kniffligen fachlichen Fragen danken. Ein großer Dank gilt meinen Eltern, die mir das Zahnmedizinstudium und somit die Voraussetzung für diese Doktorarbeit ermöglicht haben. 46