1 Katzengeschichten Ein Plädoyer für Stubentiger Von Gudrun Dieckmann-Homberg Mal ehrlich: Kennen Sie ein Wesen, das den Sinn des Nichtnotwendigen besser verkörpert als eine Katze? Nämlich das Unvorhersehbare ihrer Entscheidungen über Liebe und Zuneigung oder Nichtbeachtung, vor allem aber auch über Selbstbestimmung statt Unterwürfigkeit oder Ablehnung? Sehen Sie! Und davon möchte ich erzählen. Vielleicht haben Sie auch eine Katze und können selbst vieles über die Einzigartigkeit Ihres Lieblings erzählen; die meisten könnten das, denn jede von ihnen ist einzigartig, unverwechselbar. Und ihre Besitzer, mich eingeschlossen, (eigentlich ein Paradoxon, denn wenn überhaupt, dann besitzen sie uns) werden als deren Angehörige von aller Welt als „ihre Besitzer“ bezeichnet, und sie sind es meistens ja auch. Eine Katze würde hier allerdings ein energisches Veto einlegen, entscheidet sie doch über solche Begrifflichkeiten, oder besser formuliert, über den Inhalt derselben. Das hängt von unserer Akzeptanz ihres Charakters ab. Und von der Selbstverständlichkeit ihres Aufenthaltes wo auch immer! Zudem ist es müßig, über die geheimnisvolle Tiefe des Vor-sich-hin-Sinnens einer Katze beispielsweise über das Mysterium des Nichts zu rätseln, sei es nun auf der Fensterbank mit Blick in den Garten oder eingekuschelt im Kissen unseres Sofas. Genauso, wie den Philosophen nach seinen Erkenntnissen zu fragen, dessen Gedanken dem Begreifen des Unbegreiflichen nachhängen. Aber genau das ist es, was mich an Katzen so fasziniert, unterliegen wir doch immer irgendwelchen Zwängen und sind nur in den seltensten Fällen in der glücklichen Lage zu derartigem In-uns Gehen, das die meisten unserer Spezies als nutzlosen Müßiggang abtun, der dennoch unserer Seele so wohltut. Um nun auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen: Es gibt die absoluten Hundefans, die möglicherweise auch ihrem Lebensgefährten philosophisch tiefe Gedanken nicht absprechen möchten, und eben die ausgesprochenen Katzenfreunde, zwei Parteien also, die sich aus unterschiedlichen Gründen oft nicht grün sind - wie deren Tiere bekanntermaßen auch. Und obiger Titel verrät es schon: Ich bin Katzenliebhaberin. Nicht, dass ich Hunde nicht leiden könnte. Ich habe sie auch gern und sie mich ebenfalls. Sogar zum Fressen gern! Denn als Kind bin ich dreimal von ihnen gebissen worden, ins Bein, das nackt war und deshalb wohl besonders appetitanregend. Heute würden Eltern die Hundebesitzer ja gleich verklagen, zumindest mit ihrem schreienden Sprössling zwecks Tollwut- oder sonstiger -spritze sofort zum Arzt rennen. Aber, als ich Kind war, da haben Väter und Mütter das nicht so eng gesehen, manchmal ungerechterweise sogar noch den Zeigefinger erhoben mit dem Vorwurf: „Du hast ihn wohl mit deinem Gehopse gereizt, oder???“ Doch das liegt nun schon lange zurück, und die Zeiten haben sich geändert. Früher hießen die Kinder auch Helmut und Ingrid, Helga und Klaus. Und manchmal auch Brunhild, Günter oder Siegfried, was eingedenk der germanischen Sagen Vorstellungen von 2 sturmerprobtem Heldentum evozierte. An dem man sich mal ein Beispiel nehmen sollte! Heute heißen sie Anna und Malte, Paula und Torben. Oder auch Chantal, Michelle und Pascal - je nach Bevorzugung bestimmter TV-Größen der aktuellen stürmischen oder rosigen Vormittags-Novelas. Aber sogar schon Maximilian und Justus habe ich in Geburtsanzeigen gelesen, ehrwürdige Namen, die einst meine Onkel zierten. Doch um auf die Tiere wieder zurückzukommen: Hunde finde ich auch sehr nett – wenn sie nicht gerade wütend bellen und kläffen. Katzen dagegen sind leise und diskret, lieb und sanft. Jedenfalls hat mich noch keine gebissen. Und Gassi gehen, selbst wenn es stürmt und schneit, muss man auch nicht mit ihnen; sie haben ja ihren Kasten. Sie erledigen ihr Geschäft leise und diskret. Es spricht also allein schon aus solch praktischen Erwägungen Vieles für sich, lieber eine Mieze als Hausgenossin zu wählen. Und für die ganz peniblen Rechner seien auch noch die Steuern erwähnt, die man bei einer Entscheidung für eine Samtpfote spart. Bestimmt zum Ärger des Finanzamtes! Denn Katzen sind ja heutzutage bei den nach neuesten Erkenntnissen ausgewogenen „Schmausili“ und strengwissenschaftlich geprüftem „Fressilein“ zu nichts nütze; sie brauchen keine Mäuse mehr zu fangen. Sie sind die reinsten Luxusgeschöpfe, wenn man so will. Aber was für welche! Meine oder besser gesagt, unsere sind die besten Beispiele dafür. Doch der Reihe nach! Denn wir hatten und haben jeweils immer nur ein Exemplar davon; das hat sich halt so ergeben. Unser erstes war ein hübsches schwarzweißes Katerchen, ein bedauernswertes Würstchen vom Bauernhof, das sich mit der Zeit zu einem ordentlichen Kaventsmann entwickelte. Wir nannten ihn „Mio“, weil mein Herz bei seinem ersten Anblick überfloss vor Mitleid und Rührung. Das ist meiner, dachte ich spontan, weil er so schüchtern war und mir die Bäuerin eigentlich ein anderes von seinen drei Geschwisterchen empfahl. Heute weiß ich, dass man das Kätzchen wählen sollte, das einem vertrauensvoll entgegen kommt. Der „Mio“ verkroch sich ängstlich unter einem Schrank, um hin und wieder vorsichtig darunter hervorzulugen. Ich holte das zitternde Etwas beim vierten Mal seiner ängstlichen Kontaktaufnahme hervor und barg es auf meinem mütterlichwarmen Schoß. Zuhause angekommen, änderte der Kleine bald sein scheues Verhalten: Er wurde unternehmungslustig. Anfangs waren wir hoch entzückt, dass er unseren Garten genau inspizieren wollte. Jeden Tag ein Stück weiter, bis er eines Tages verschwand und erst am nächsten Tag wieder auftauchte – mit einem kräftigen Hunger, versteht sich. Na, die ganze Familie freute sich, dass er wieder heimgefunden hatte. (Aber Katzen finden fast immer heim. Nichts Besonderes also!) Erst einmal auf den Geschmack von grenzenloser Freiheit gekommen, dehnte er seine Ausflüge immer weiter aus. Weiß der Himmel, was er des Nachts so trieb. An der Liebe kann es nicht gelegen haben; denn wir haben ihn bald kastrieren lassen – schon allein des Geruchs wegen. Doch auch dieses Unterfangen ist erwähnenswert. Beim Tierarzt sprang er als erstes vom Untersuchungstisch in den offen stehenden Schrank, sodass alle Medikamente und Instrumente durcheinander purzelten und auch der Schrank schon bedenklich wankte. „Hätte ich an seiner Stelle auch gemacht!“ kommentierte mein Mann das Geschehen verständnisvoll. Na ja, die beiden kleinen Troddeln waren unter Narkose bald entfernt, und am nächsten Tag konnte Mio wieder auf Streife gehen. Von unterwegs brachte er uns des Öfteren Geschenke mit in Form von Mäusen und Fröschen. Und einmal gar schleppte er sich mit einem erlegten Kaninchen ab bis auf die Terrasse. Unsere Freude darüber hielt sich in Grenzen. Manchmal kam er von seinen Ausflügen morgens total verdreckt nach Hause, was für Katzen eigentlich sehr selten ist, sind sie doch außerordentlich auf Sauberkeit bedacht. Aber solcherart Spuren nächtlicher Raufereien waren seiner rosa Zunge denn wohl doch zuwider, sodass er es lieber in Kauf nahm, gebadet zu werden. Derart genässt und eingeseift, erkannte man unseren Stromer kaum wieder. Da wurde aus 3 dem prachtvollen Kaventsmann ein armseliges, schmales Tierchen – das glaubt man kaum. Doch wann sieht man schon mal eine Katze im Bade! Er ließ es sogar geschehen, dass wir ihn mit vereinten Kräften trocken föhnten, nur um, wieder ansehnlich geworden, anschließend erneut auf die Pirsch gehen zu können. Kurz: Sehr viel hatten wir nicht von ihm. Eben ein Kater! Nur an unserer Tochter schien er einen Narren gefressen zu haben. Er holte sie fast jeden Tag vom Schulbus ab. Die Haltestelle befindet sich immerhin fast zwei Kilometer von unserem Haus entfernt. Klar, dass unsere Tochter darüber entzückt war. Deshalb duldete sie es (gegen meine ausdrückliche Anordnung!) auch, dass er gelegentlich in ihrem Bett übernachtete. Bis er eines Tages ihr Kissen voll kotzte. Da war es dann aus mit unserer überaus großen Liebe. Er erhielt striktes Bettverbot. Was ihn nicht besonders störte: Dann begab er sich eben wieder auf Tour! Inzwischen besaßen auch unsere Nachbarn einen Kater. Schwarzweiß wie unser Mio nur mit einem ausgeprägten schwarzen Fleck über dem einen Auge, sodass er uns fatal an den früheren israelischen Außenminister Moshe Dayan erinnerte und wir ihn auch „Moshe“ nannten. Unsere Nachbarn nannten ihn liebevoll „Peterle“. Der kleine Moshe liebte unseren mittlerweile beeindruckend großen Mio. Er folgte ihm auf Schritt und Tritt. Ob auch in der Nacht, entging unserer Beobachtung. Er durfte ihm aber nur bis zur Regentraufe am Ende unseres Hauses zurück begleiten. An der Stelle schnauzte ihn Mio kurz an, und Moshe wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Traurig blieb er stehen, und noch trauriger kehrte er um zu seinem Territorium. Das allerdings auch das unseres Katers war. Uns fiel nämlich auf, dass seit der Freundschaft zwischen den beiden unser Mio prächtig an Größe und Umfang gewann. Bis unser Nachbar uns eines Tages aufklärte: „Ja, Ihr Mio frisst unserem Peterle ja auch immer die Schüsseln leer.“ Der Ärmste! Zumindest musste er sich mit den Resten begnügen, die ihm sein „Chef“ übrig gelassen hatte. Er war schon ein arger Schlawiner, unser Mio! Was schließlich auch sein frühes Ableben verursachte; er wurde keine sechs Jahre alt. Wie eingangs schon angedeutet, gibt es ja die Hundeliebhaber und die Katzenfans. Und beide Parteien sind in der Regel nicht sehr gut aufeinander zu sprechen. Wir vermuten, es war der grantige Schäferhundbesitzer von gegenüber, der unserem Mio, weil er sich hin und wieder auf dessen Grundstück mit Sandkiste für seine Enkel gewagt hatte, eines schönen Tages ein ordentliches Stück Kaminholz hinterher geschmissen und ihm dabei das Rückgrat zertrümmert hat. Ich wurde eines Morgens von einer anderen Katzenliebhaberin angerufen: „Kommen Sie bloß! Ihr Mio liegt tot auf der Terrasse in einem unserer Liegestühle.“ Das war natürlich ein schrecklicher Anblick! Sogar die Totenstarre hatte eingesetzt bei ihm – wie bei einem Menschen. Und geweint und getrauert um ihn haben wir ebenso. Er bekam eine schöne Kiste mit seiner Lieblingsdecke und einen Platz unter unserer Efeuhecke hinten im Garten. Sogar eine kleine Marmorplatte trieben wir für ihn auf, in die ich seinen Namen ritzte und die Buchstaben – es sind ja nur drei – mit schwarzer Lackfarbe versah. Ganz zu Ende ist unsere Geschichte mit Mio dennoch nicht. Einige Monate später beschwerte sich bei uns ein Nachbar – offenbar auch eher ein Hundefreund –, unser Kater habe all seine Tulpenzwiebeln ausgegraben und aufgefressen. Da konnte ich aber im Nachhinein noch eine Lanze für unseren Liebling (de mortuis nil nisi bene!) brechen: „Hören Sie, unser Mio ist schon über ein Vierteljahr tot. Und ich habe auch noch nie davon gehört, dass Katzen Tulpenzwiebeln fressen!“ - Oder Sie vielleicht? Vier Monate nach diesem traurigen Ende waren wir immer noch nicht über Mios Tod hinweg, und mein Mann hatte sich bereits überall erkundigt, wo Katzennachwuchs zu erwarten sei. In sechs Wochen, dann die Auskunft, könnten wir eine neue kleine Katze bekommen, die aber vernünftigerweise jetzt noch etwas bei der Mutter bleiben sollte. Mein kleiner Sohn und ich waren inzwischen auch nicht untätig gewesen und hatten schon mal 4 einen geflochtenen Reisekorb gekauft, weil er uns so gut gefiel, und ihn mit einer rosa Babydecke ausstaffiert. Ich wollte diesmal lieber ein sanftes Weibchen haben. Von den félidinen Mannsbildern hatte ich trotz aller Trauer um unseren Wildfang erstmal genug. Und eines Abends war es soweit: Völlig überraschend kam unser Vater von einer Geschäftsreise zurück ins Wohnzimmer mit dem Reisekorb in der Hand (wir hatten das vorherige Fehlen gar nicht bemerkt), öffnete strahlend das Türchen, und heraus kam ein kleines schwarzes Etwas gesprungen direkt auf meinen Schoß. Dort blieb es liegen augenscheinlich, um sich von dem aufregenden Transport im Auto zu erholen. Ganz still musste ich sitzen, glückselig und das eine Stunde lang, bis sich das Kätzchen beruhigt hatte und nun herunter sprang, um das Haus zu erkunden (die Terrassentür ließen wir eingedenk unserer Erfahrungen mit Mio lieber geschlossen.) Es war eine kleine Schönheit, rabenschwarz mit seidigem Fell und goldenen Augen. Sie war die Tochter eines edlen Karthäusers und einer schwarzen Hauskatze. Und so etwas Schönes, quasi Aristokratisches, musste auch einen extravaganten Namen haben; wir nannten sie „Minouche“. (Und beim Tierarzt ärgerte es mich später immer wieder, dass die Helferin diesen aparten Namen unter „Minusch“ in der Karteikarte eingetragen hatte. Na, nicht Jeder kann Französisch; man sollte dem Mädchen das nicht nachtragen.) Zunächst einmal genossen wir uneingeschränkt das putzige kleine Wesen, das mir auf Schritt und Tritt hinterher lief. Aber Minouche konnte es absolut nicht verstehen, dass wir des Abends, wenn wir ins Bett wollten, darüber nicht ebenso erfreut waren wie tagsüber. Wir zeigten ihr das Körbchen, kuschelten sie in die rosa Babydecke und schlossen die Schlafzimmertür. Sofort erhob sie ein jämmerliches Geschrei und begehrte Einlass. Mein Mann beruhigte meinen erregten Beschützerinstinkt, sie werde sich schon noch daran gewöhnen. Aber weit gefehlt! Sie protestierte aufs heftigste ob solcherart Lieblosigkeit und das stundenlang, bis der Morgen graute. Das ging drei Nächte so, und wir waren bereits total erschöpft durch diesen Schlafentzug. Es war einfach nicht auszuhalten. In der vierten Nacht holte ich völlig zermürbt das Körbchen herein und stellte es neben mein Bett. Flugs sprang die Kleine heraus und zu mir auf meinen Arm. Von da an war Ruhe. Sie legte sich brav neben meinen Kopf und schnurrte mich in den Schlaf. Ein Wiegenlied nach Katzen Art eben! Und ich muss sagen, es gibt nichts Schöneres und Beruhigendes als ein solches Geschnurre am Ohr: Zwei, drei Minuten, und man schläft. Seitdem kenne ich keine Schlaflosigkeit mehr. Solch eine Gemeinschaft setzt allerdings voraus, dass man seinen Bettgenossen möglichst im Hause behält. Erst auf Mäusefang gehen und dann zu mir aufs Laken, das kam für mich nicht infrage. Man kann nicht Alles haben. Das habe ich auch unserer Katze gesagt. Ob sie das genau verstanden hat, weiß ich nicht. Sie wollte schon auch gern unseren Garten erkunden. Das billigten wir ihr dann auch zu. Aber nur an langer Leine - nicht zuletzt deswegen, um ihr ein ähnliches Schicksal, wie Mio es hatte erfahren müssen, zu ersparen. Minouche war aber ein ganz gewieftes Kätzchen. Wenn ihr also das Halsband an der langen Leine umgelegt war, nahm sie erst einmal den Garten in Augenschein, beobachtete ein wenig die Vögel, Bienen und Schmetterlinge und begann dann laut zu miauen. Unsere Schlafzimmertüren gehen zum Garten hin auf. Auch das notierte sie mit Interesse, wie wir anhand ihres weiteren Vorgehens bemerkten. Wie gesagt, sie miaute und das immer lautstärker, ein Zeichen eigentlich, dass sie auf ihren Kasten wollte. (Unsere Katzen erledigen nie ihre Geschäfte im Garten; sie benutzen immer vorbildlich ihre Katzentoilette!) Gut, ich eilte dann auf die Terrasse, um sie ins Haus zu holen. Was tat anschließend unsere Madame? Sie tänzelte – nun gar nicht mehr so eilig – zu ihrem Kasten, der im Hauswirtschaftsraum steht, setzte sich anstandshalber und nur so zum Schein einige Sekunden darauf, um anschließend schnurstracks ins Schlafzimmer zu laufen und durch die zum Lüften offen stehenden Glastüren zu witschen. Ein paar Mal fiel ich auf diesen Trick herein, bis ich vorher die Schlafzimmertür zumachte. 5 „Siehste wohl!“ triumphierte ich. Aber das auch nur zwei, dreimal! Denn unsere kleine Intelligenzbestie sprang von da an immer auf die Türklinke, um ins Freie zu gelangen. Ich musste deshalb von jetzt an die Tür richtig abschließen. Na ja, an ihrer Leine konnte sie ja auch ihren Garten genießen. Apropos, auf die Art öffnete sie von nun an immer die Türen, die sie in geschlossenem Zustand nicht leiden konnte - wie übrigens ihre Nachfolgerin auch. Bei uns stehen deshalb grundsätzlich die Türen offen. „Alles wegen der Katzen!“ werden Sie sagen. „Ja!“ kann ich da nur antworten. „Katzen erziehen ihre Leute, nicht umgekehrt!“ Und - wie heißt es so schön? „Hunde haben ihre Herrschaft. Katzen ihr Personal!“ Das stimmt, aber wir sind gern Personal, weil, wenn wir schön folgsam sind, wir auch so viel Liebe von ihnen erfahren. Sie schnurren so herrlich, wie gesagt, sie schmeicheln um unsere Beine und reiben ihr Köpfchen an unseren Wangen. Gelegentlich geben sie uns auch kleine Küsschen, die aber trocken sind im Gegensatz zu den schlabberignassen, die der Herr von seinem ihm in Liebe ergebenen Hund empfängt. Katzen haben zudem einen unwiderstehlich sauberen Duft, wenn man die Nase in ihr Fell steckt, etwa wie ein frisch gebadetes Baby. Ein Hund dagegen muss, soll er diesbezüglich mit der Katze konkurrieren, immer sehr gepflegt, gestriegelt und gebadet werden. Ihre Körperpflege erledigt die Katze selbst und das mehrmals am Tage. Sie ist schon ein kleines Wunder. Aber wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen: sie haben auch ihre kleinen Fehler. Unsere Minouche zum Beispiel sprang mit Wonne immer in die Gardinen und das mit ausgefahrenen Krallen, um Halt darin zu finden und schaukeln zu können. Manche Katzen zerkratzen gern die Polstermöbel wie auch unsere jetzige, von der ich nachher erzählen werde. Minouche hat auch Kratzspuren in der Textiltapete unseres Wohnzimmers hinterlassen – und sonst – ach nein, da war sie eigentlich nur lieb. Unsere Gardinen haben ihre Turnkünste schließlich auch heil überstanden, weil sie zu groß wurde (und zu vernünftig wohl für solche törichten Späße). Dafür hat sie sich sprichwörtlich zur Naschkatze entwickelt. Tatar und ähnliches durfte man natürlich nicht stehen lassen. Wupps, und es war nur noch die Hälfte vorhanden. Mit Leidenschaft sprang sie auf meine Schulter, wenn wir Kekse oder Schokolade knabberten. Davon wollte sie selbstverständlich auch etwas abhaben. Eine Leidenschaft, die ihr letztlich zum Verhängnis wurde. Erst bekam sie Karies und dann einen Tumor. Doch davon später! Erstmal lebte sie noch siebzehn Jahre bei uns als gesundes Familienmitglied. Was das Essen betrifft, Mäuse fing sie nicht; es gibt ja, wie bereits erwähnt, die nach strengwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgewogene Katzenkost. Jedoch beim Mittagessen setzte sie sich grundsätzlich auf den neben mir freien Stuhl, um jeden Bissen, den ich mir in den Mund schob, genauestens zu verfolgen. Bis auf den letzten: den ließ ich ihr nämlich übrig. War der Teller bis auf diesen letzten geleert, sprang sie vom Stuhl und hin in die Küche zu ihrem Napf, weil sich das Procedere dergestalt entwickelt hatte, dass ich dann aufstand und mit dem letzten Happen – Fleisch zu meist – in die Küche kam, um ihn in ihren Napf zu tun. Manchmal handelte es sich auch um zwei Häppchen oder drei; so genau wollen wir es nicht nehmen. In jedem Fall nahm unsere Minouche auf diese Art immer an unseren Mahlzeiten teil. Aber wohlgemerkt: immer gesittet auf dem Stuhl in Warteposition, gegessen wurde in der Küche. Also doch nicht so ganz „Katze und Personal!“ Noch eine besondere Eigenart: ihr so genannter „Milchtritt“. Kaum lag ich im Bett, so sprang sie, bevor sie sich neben mich legte, erst einmal auf meinen Oberkörper und trat eifrig mit ihren Vorderpfötchen auf meine Brust und das einige Minuten lang, eine Verhaltensweise, mit der die Jungen bei ihrer Mutter den Milchfluss anregen wollen. (Na, da gab’s bei mir natürlich nichts zu hoffen.) Auf die gleiche Art verfuhr sie bei jeder unserer Neuanschaffungen, beispielsweise bei neuen Kissen oder Sesseln - und bei neu erworbenen Pullovern und Blusen, die ich zur Begutachtung für meinen Mann auf dem Bett ausgebreitet hatte. Es ging ihr darum, alles gewissermaßen in Besitz zu nehmen. 6 Natürlich musste auch eine Halbaristokratin wie sie auf Nachwuchs verzichten, weil keiner unserer Bekannten und Freunde für kleine Kätzchen zu begeistern gewesen wäre. Also mussten wir mit ihr zum Tierarzt, um sie von den Sehnsüchten nach einem Freier zu erlösen. (Rollige Katzen können einem wirklich leid tun. Sie rollen sich tatsächlich, begleitet von Gejammer und Gestöhne auf dem Fußboden.) Aber so leicht wie bei den Katern der Schöpfung geht das mit der Abhilfe nicht. Sie müssen regelrecht operiert und genäht werden, was auch eine wesentlich tiefere Narkose voraussetzt. Wir durften sie, derart betäubt noch von diesem Eingriff, gleich mit nach Hause nehmen, und es dauerte drei Stunden, ehe sie wieder erwachte. Auch ein gotterbärmlicher Anblick! Sie taumelte und wankte, um immer wieder umzufallen. Und dabei strebte sie doch zu ihrer Toilette! Schließlich trug ich sie dorthin und nach Erledigung ihres kleinen Bächleins wieder zurück in ihr Körbchen. Schön ist der Gedanke nicht, den man dabei hat: Ach, du armes Kätzchen! Was hat man mit dir gemacht? Und das alles ohne deine Einwilligung – wo du uns doch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bist! Folglich hatten wir ein ziemlich schlechtes Gewissen. Unser Vater war allerdings der Ansicht, das habe der Mio ja auch aushalten müssen. Typisch Mann! Als wenn man das vergleichen könnte! Nach einer kurzen und unruhigen Nacht mussten wir frühmorgens wieder mit ihr zum Tierarzt fahren. Er hatte wohl die Nähte nicht sorgfältig genug ausgeführt; denn Minouche blutete tüchtig aus der Wunde. Einer Katze kann man ja schlecht sagen, dass sie ganz still liegen muss nach einer OP. Sie musste also noch einmal narkotisiert und genäht werden. Danach heilte ihre Wunde zum Glück schnell zu, und die Welt war wieder in Ordnung. Ganz und gar nicht in Ordnung war die Welt, wenn wir mal verreisen wollten und unsere Oma das Haus hüten musste. Misstrauisch beobachtete Minouche unsere gepackten Koffer, die ich über Nacht offen ließ, damit man am Morgen noch schnell das Letzte darin verstauen konnte. Dann verbrachte sie die Nacht überhaupt nicht in meinem Bett. (Hygienefanatikern sei verraten, dass sie inzwischen auch ihre eigene Decke neben mir hatte.) Sondern sie legte sich in meinen Koffer mitten auf die Sachen (die ich sorgfältig zusammengelegt hatte, damit sie nicht kraus werden sollten), vielleicht in der Hoffnung, uns auf diese Weise von unserem Vorhaben noch abbringen zu können. Als das nicht half, versuchte sie es mit einem Bächlein. Von da an verschloss ich die Koffer! Wenn wir von unserer Reise zurückkehrten, war die Freude auf beiden Seiten groß, wie man sich denken kann. Katzen sind sensibler, als man es ihnen nachsagt. Von wegen: Hauptsache, sie bleiben in ihrem gewohnten Zuhause! Nein, sie hängen auch an ihrem „Personal“, und zwar in Liebe und Mitgefühl. Hat man mal Kummer, Schmerzen oder muss man wegen Krankheit das Bett hüten, kommen sie gleich, um einen zu trösten – mit Schnurren und Schmusen nach Katzenart. Als mein Mann nach einem – Gott sei Dank nicht allzu schweren – Schlaganfall wieder aus dem Krankenhaus kam und wegen seiner etwas gelähmten linken Hand sehr unglücklich war, sprang sie auch gleich auf seinen Schoß und leckte sie ausgiebig, als wollte sie damit sagen: „Sei man nicht traurig. Das wird schon wieder!“ Eine Geste, die mein Mann ihr niemals vergessen hat. Seitdem hat er sie auch nie wieder mit Mio verglichen (der mit Sicherheit nicht so zartfühlend gewesen wäre!) Sie war und blieb von da an sein absoluter Liebling. Bis an ihr trauriges Ende. Es war wieder einmal Ferienzeit, und wir hatten die Koffer gepackt (und sie auch geschlossen!). Wir saßen am Abend noch beisammen, selbstverständlich mit Minouche und allesamt traurig über den bevorstehenden Abschied am anderen Morgen. „Ach, meine Süße“, trösteten wir sie, „wir sind ja bald wieder da.“ Ob Sie es nun glauben oder nicht: Da bemerkten wir Tränen auf ihren Wangen. Der ganze Urlaub war nur noch halb so schön (obgleich es in Italien schön war wie immer) – wir mussten mehr denn ja an die arme Kleine zu Hause denken. Und das nicht ohne Grund: Als wir heimkehrten, war sie todkrank. Sprichwörtlich! Sie war matt und abgemagert. Ich fuhr sogleich mit ihr zum 7 Tierarzt (wir hatten längst einen anderen). Er bemerkte bei genauerer Untersuchung einen Mundgeruch. Sie hatte Karies. Das allein wäre nicht so schlimm gewesen. Aber beim Abtasten ihres Köpfchens stieß sie einen Schrei aus; sie hatte Schmerzen. Sie wurde geröntgt, die Diagnose: Ein Tumor! Sie können sich denken, wie bestürzt ich war. Jetzt liefen mir die Tränen über die Wangen. Auf meine Frage, was man da machen könne, oder ob nun alles aus sei, mochte der Veterinär mir wohl nicht die Wahrheit sagen. Man könne dies und das ausprobieren, meinte er, dreimal die Woche eine Infusion machen und ich ihr jeden Tag eine schmerzstillende Injektion geben. Wir probierten es vierzehn Tage lang – und ich lernte dabei sogar das Spritzegeben – es half nichts. Minouche wurde nicht wieder gesund. Der Arzt sagte, es wäre besser, auch angesichts ihrer immerhin siebzehn Jahre, sie nicht weiter zu quälen. Er empfehle daher die Euthanasie, die sei für sie eine Erlösung. Ich besprach die Sache mit meinem Mann. Es war ein warmer Sommerabend, wir saßen draußen auf der Terrasse am Kamin und unsere kleine Patientin dabei. Sie konnte auch schon nicht mehr richtig sehen und musste sich mithilfe ihrer Schnurrhaare orientieren, wenn sie auf ihren Kasten wollte. Es ist wirklich eine schlimme Sache, über Leben oder Tod entscheiden zu müssen, und das bei einem Tier, das einem ans Herz gewachsen ist. Grauenvoll! Schließlich rangen wir uns zu der Empfehlung des Tierarztes durch. Mein Mann nahm sich extra einen Tag frei, mein Sohn blieb ebenfalls zu Hause, und wir fuhren mit unserem armen Liebling in die Praxis. Sie war ganz lieb und ruhig während der Fahrt und auch beim Tierarzt. Ich will nicht zu genau ins Detail gehen, nur so viel: Eingeschläfert wurde sie in einem Extraraum, der mir mit seinen hellgrünen Kacheln und dem giftigen Geruch vorkam wie eine Todeskammer aus amerikanischen Filmen. Ich hoffe nur, dass ich das nie wieder erleben muss; es ist einfach zu und zu traurig – für die ganze Familie! Mein Mann schreinerte ihr einen richtig schönen Miniatursarg in weiß. Wir betteten sie darin auf ihre rosa Decke und deckten sie mit weißen Rosen zu. Wenn der Anlass nicht zu traurig gewesen wäre, hätte man sagen können: Sie sah darin wunderschön aus. Wir begruben sie neben Mio unter der Efeuhecke und pflanzten auch Blumen auf das kleine Grab. Selbstverständlich bekam auch sie eine weiße Marmorplatte mit ihrem Namen darauf (obgleich das Meißeln von „Minouche“ wegen der vielen Buchstaben ungleich länger dauerte als bei „Mio“) Aber was leisten unglückliche Hinterbliebene nicht alles an Mühe und Arbeit! Das ist nicht viel anders als bei Menschen. Und unsere Trauer war kaum beschreibbar: Es war plötzlich so still im Haus (obgleich Katzen doch so leise sind!) Keine morgendliche Begrüßung mit „Köpfchengeben“ und kein Geschnurre als Einschlafhilfe und vor allem keine liebevollsanfte Begrüßung beim Nachhausekommen! Unser Haus erschien uns leer und verlassen und war es letztlich ja auch. „Ich halte das nicht aus“, jammerte ich, und mein Mann startete wieder die Suche nach einem Ersatz, leider ergebnislos. Schließlich fuhren wir ins Tierheim – eine gute Lösung, wie ich dachte. Damit wäre uns und auch einem ausgesetzten Katzenkind geholfen. Aber weit gefehlt! Man musterte uns kritisch von oben bis unten, als wären wir Landstreicher (obgleich wir schon rein äußerlich, denke ich, einen durchaus bürgerlichen Eindruck machen). Man verlangte Auskünfte über unsere Familien- und Wohnsituation, über unsere Lebensgewohnheiten, Beruf, Einkommen und eventuelle chronische Krankheiten und sonstige Befindlichkeiten. Als wir dann auch noch unsere Personalausweise vorlegen sollten, platzte meinem Mann der Kragen: „Was glauben Sie eigentlich, was wir sind? Ich dachte, man wäre hier froh, ein armes Fresserchen loszuwerden. Und Sie veranstalten hier ein Kreuzverhör, als wären wir Verbrecher!“ Als ich, um die kritische Situation etwas zu entschärfen, die Dame besänftigen wollte, dass eine Katze es bei uns gut haben würde schon allein deswegen, weil wir seit Jahren Erfahrungen mit ihnen hätten, aber wir unsere letzte vor zwei Wochen 8 wegen eines Tumors hätten einschläfern lassen müssen und wir darüber todunglücklich seien, war es ganz aus: Die Frau zischte mich an: „Dann kriegen Sie erst recht keine von mir! Nur einen Ersatz für ein verstorbenes Tier! Was denken sie sich?“ „Komm“, sagte mein Mann, „wir holen uns woanders eine!“ Wir fuhren aufs Land zu einem Bauern, von dem wir des Öfteren Eier bezogen. Er bedauerte, er habe augenblicklich auch keinen Katzennachwuchs. Aber er empfahl uns die Adresse einer Frau, die Maine-Coons züchtete. Die habe welche zu verkaufen. Um es gleich richtig zu stellen: Es ging uns nicht um eine Rassekatze; Hauskatzen sind meines Erachtens genauso schön und anmutig. Es ging uns einzig und allein darum, die schmerzhafte Lücke, die Minouche hinterlassen hatte, wieder zu füllen. Nicht zuletzt auch, um etwas wieder gutzumachen, weil wir eingewilligt hatten, unseren Liebling einzuschläfern. Wir fuhren also zu der Adresse. Die Frau war nicht da, wohl aber ihre Kinder und ein riesiger und fürchterlich bellender Schäferhund. Wir versprachen, am Abend anzurufen. Ja, ein Kätzchen habe sie noch, die anderen seien schon alle verkauft, versicherte uns die Frau. Wir fuhren am nächsten Tag wieder hin, und da saßen die kleinen putzigen Geschöpfe auf einem großen Katzenbaum. Das heißt, sie schliefen alle bis auf eines. Es war das kleinste und magerste der Katzenschar. Es stellte sich sofort auf seine Beinchen und reckte uns schnüffelnd das Köpfchen entgegen. „Nehmt mich!“ schien es zu sagen. „ Meine Geschwister sind alle nicht mehr zu haben. Aber ich! Nehmt mich, ich bin auch ganz lieb!“ Die großen Augen schienen zu betteln, und mein Herz schmolz dahin. Ich nahm es und drückte es an meine Brust; ich hätte es nie wieder hergegeben, selbst, wenn mein Mann die Brieftasche nicht gezückt hätte! Denn auch er war sofort angetan von diesem wuscheligen Winzling, der zudem so dunkelbraunhaarig war wie seine Frau. Geld auf den Tisch gelegt und weg mit ihm! Das kleine Ding, saß während der Heimfahrt ohne einen Mucks auf meinem Schoß, wirklich ganz artig. Ich wunderte mich nur über seinen orangefarbenen Fleck auf dem Näschen. Beim genaueren Untersuchen stellten wir fest, dass es Blütenstaub war. Eine Tatsache, die wir uns später erst erklären konnten: Unser Neuerwerb liebt Blumen über alles und steckt bei jeder sein Näschen hinein, was bedeutet, dass wir ihm nie abgewöhnen konnten, auf den Tisch zu springen, sobald Blumen darauf stehen, und an ihnen herumzuschnuppern. Ja, und das so lange und ausgiebig, bis nicht ganz so standfeste Vasen umkippten und das Wasser auslief, woraufhin ich bald dicke Vasen anschaffte und der Spaß ein Ende nahm. Denn Spaß daran, auch an dem herauslaufenden Wasser, schien es dabei zu haben. Noch heute, wenn ich meine Blumensträuße ordne, springt sie – ja, es ist eine Sie – herbei und beobachtet mein Tun ganz genau und trinkt auch liebend gern das Blumenwasser. Aber sonst ist sie wirklich sehr artig, wie versprochen! Geradezu vorbildlich verhielt sie sich nach unserer Ankunft. Ich zeigte ihr alles in unserem Haus, ihren Kasten, ihre Näpfe. Sie schaute sich alles an, und nach einer Stunde hörten wir es im Kasten kratzen; sie war brav auf die Toilette gegangen. Ihren reichlich gefüllten Napf hatte sie in NullkommaNichts leer geputzt; sie war anfangs regelrecht gefräßig, gar nicht sehr vornehm, wie es ihrem edlen Stammbaum eigentlich angemessen gewesen wäre. Mein Mann hatte die einzig vernünftige Erklärung dafür: „Guck doch mal, wie klein und mager sie ist! Ihre Geschwister werden ihr immer alles weg gefressen haben! Und jetzt muss sie das wieder aufholen.“ Ja, so war es auch, bis sie merkte, dass ihr niemand das Futter streitig machte. Von da an ließ sie sich genüsslich Zeit bei den Mahlzeiten. Nun musste sie ja auch einen Namen haben. Wir nannten sie „Mirella“ nach der italienischen Sängerin und langjährigen Opernpartnerin von Luciano Pavarotti: Mirella Freni. Warum „Mirella“? Nun, weil sie ein so melodisches Stimmchen hat (das mittlerweile auch mal recht energisch sein kann, wenn sie etwas will). Und weil Katzen auf Namen mit „Mi“ besser reagieren - vielleicht, weil sie sich hauptsächlich mit „Miau“ 9 verständlich machen. Es ist nicht besonders ratsam, seinen wohlgestalteten Kater nach dem griechischen Gott der Schönheit und des Lichts „Apollo“ zu nennen, oder die bildschöne Katze „Nofretete“, um an die Zeiten der Alten Ägypter zu erinnern, die ihre Katzen als Gottheiten verehrten. Namen, die mit „Mi“ beginnen, sind besser geeignet. Zumindest solche, die ein ausgeprägtes I beinhalten wie etwa „Pauline“ oder vielleicht auch „Fritzi“. „Mirella“ hielten wir für unsere Schöne genau angemessen (und sie vermutlich auch; sie schaut einen dann gleich an). „Mirella“ also! da waren wir uns rasch einig. Sie erkundete wie ihre Vorgängerin alles in den Zimmern, jede Ecke, jeden Sessel, jeden Schrank. Und als wir ins Bett gingen, versuchten wir gar nicht erst, sie aus dem Schlafzimmer fernzuhalten. Genauso selbstverständlich wie Minouche sprang sie mit ins Bett und schnurrte, was das Zeug hielt, um kundzutun, wie wohl sie sich bei uns fühle. Man kann sich nur wundern, wie laut ein so kleines Tierchen schnurren kann! So, wie ich auch immer staune, wie kleine Vögel so laut singen können. Und das sei an dieser Stelle gleich einmal klargestellt: Hauskatzen futtern lieber ihr bereitgestelltes und von Tierärzten empfohlenes „Schnuckilein“ als einen Vogel, dem sie erst umständlich hinterher jagen müssen. Trotzdem lieben sie es, Vögel und anderes kleines Getier zu beobachten und auch damit zu spielen; ihr noch verbliebener Jagdinstinkt treibt sie dazu. Vielleicht beißen sie einem kranken Tier auch ins Genick, sodass es sein Leben aushaucht. Doch gesunde Vögel sind ihnen gegenüber sowieso im Vorteil: sie fliegen ihnen schnellstens davon. So flink eine Katze auch ist, fliegen kann sie nun mal nicht. Weder Minouche noch Mirella haben je einen Vogel erlegt. Und auch kein Nest ausgeräubert! Dabei befinden sich in unseren Bäumen mehrere davon und sind jedes Frühjahr reich bestückt mit kleinen Piepslingen. Mirella durfte ebenfalls nur an langer Leine und unter unserer Aufsicht in den Garten. Sogar die Züchterin hält ihre Katzen im Haus. „Oder wollen Sie etwa, dass sich ein ordinärer Kater auf sie setzt?“ hatte sie ihre Empfehlung begründet. Und so sind auch wir mit ihr verfahren, und sie kennt es auch gar nicht anders. Geduldig hält sie still, wenn man ihr das Halsband umlegt. Unter Aufsicht muss allerdings schon deshalb sein, wenn sich ihre Leine in den Büschen mal verheddert. Sie miaut dann kräftig los, und wir müssen sie dann umständlich befreien, denn sie läuft immer nur in einer Richtung herum, um es selbst zu schaffen. Klar, dass sie sich in solchen Fällen mehrfach um Büsche und Bäume wickelt und es ordentlich Mühe kostet, das Leinenknäuel wieder zu entwirren. Vielleicht ist sie nicht ganz so gewitzt wie ihre Vorgängerin; Tricks, wie zum Schein dringend auf die Toilette müssen, um dann durchs Schlafzimmer zu entwischen, hat Mirella nicht drauf. Dafür so manches Andere: Besser als Mio oder Minouche es je vermochten, kann sie Gedanken lesen. Man braucht sich nur zu erheben mit der Absicht, sie zu kämmen – und das muss man regelmäßig bei den langhaarigen Maine-Coons und ihrem langen, üppig buschigen Schwanz – von „Schweif“ zu sprechen, wäre eigentlich angebrachter, da er noch eindrucksvoller ist als der eines Eichhörnchens. Also, wenn man auch nur die leiseste Absicht hegt, sie zwecks Fellpflege auf den Arm zu nehmen, dann läuft sie weg. Es sei denn, dass sich vielleicht ein Knüddelchen in dem üppigen Haar des Hinterteils verfangen hat, das sie selbst bei eifrigstem Bemühen nicht wegbekommt, dann hält sie still und lässt sich schön kämmen. Sobald das besagte Knüddelchen aber entfernt ist, strebt sie wieder weg vom Schoß. Es ist also angeraten, erst dem übrigen Fell mit Kamm und Bürste zu Leibe zu rücken, ehe man die langhaarigen Hosen säubert. Maine-Coons sehen überhaupt drollig aus. Sie sind ziemlich große Katzen, obgleich die unsere für ihre Rasse verhältnismäßig klein und schlank geblieben ist; offensichtlich hat sie nie den Mangel ihrer frühen Kindheit aufgeholt. Was nicht weiter schlimm ist, weil wir nie die Absicht hegten, sie auf einer Ausstellung zu präsentieren (und wir selbst auch keine Kaventsmänner sind!) Sie ist einfach schön - und lieb! das reicht uns. Und drollig, ja, „drollig!“ sagte ich, weil das 10 dichte Fell den Maine-Coons bis über ihre Knie fällt, so dass es aussieht, als hätten sie Knickerbockers an. Als unsere Mirella ins Haus kam, war sie gerade vier Monate alt und wie gesagt, klein und mager. Aber ihre Füße waren in etwa schon so groß, wie sie heute noch sind. Es sah also aus, als hätte sie große Filzpantoffeln an. Denn auch die Pfoten der Maine-Coons sind buschig behaart, die Waden dagegen relativ glatt bestrumpft. Dazu schmückt sie ein Pelzkragen, beinahe einer Löwenmähne ähnlich. Ansonsten sieht sie eben schön aus wie alle anderen Katzen auch, und wie diese ist sie von unnachahmlicher Eleganz in ihren Bewegungen. Sie besitzt kluge Augen, die je nach Lichteinfall vom Schwarzen ins Goldene wechseln, und weiche Schnurrhaare sowie spitze Öhrchen, die allerdings mit kleinen Büscheln versehen sind ähnlich wie bei einem Luchs. Es sind halt Waldkatzen, die deshalb auch über ein gewaltiges Springpotential verfügen. Mal eben eineinhalb Meter und mehr hochspringen, und zwar ohne Anlauf, das schaffen sie mit links. Wenn man diese Leistung auf menschliches Maß übertrüge, könnte unsereins auf sämtlichen Olympiaden die Goldmedaillen abräumen. Sie können sich ja mal die Höhe ausrechnen, wenn sie mir nicht glauben! Und über noch etwas werden Sie staunen: Katzen sind musikalisch. Tatsache! Jedenfalls lieben sie Musik, zumindest unsere beiden. Von Mio weiß ich es nicht so recht, weil er wie gesagt, so viel unterwegs war. Wenn ich zum Beispiel Klavier spiele, kommen sie angelaufen. Minouche pflegte sich dann einen der beiden zierlichen rosa gepolsterten Stühle auszusuchen, um sich darauf wirkungsvoll zu präsentieren (ich spiele jedoch nur Klassische Musik, keinen nervtötenden Rock oder lauten Jazz, was zu einem RokokoSitzmöbel auch deplaziert wäre. Außerdem bezweifle ich, dass sie Rock gemocht hätte, verabscheuen Katzen doch laute Geräusche). Gelegentlich sprang sie auch auf die Tasten, nachdem sie die ungewöhnlich in Bewegung sich befindlichen Finger beobachtet hatte, und probierte es ebenfalls aus. Ihren Pfötchen jedoch gelang nur die sprichwörtliche Katzenmusik, sodass sie es lieber mir überließ, weiterzuspielen. Mirella hingegen springt von Zeit zu Zeit auf die Saiten und zupft daran mit ihren Krallen, was ebenfalls Töne erzeugt, mich aber nicht unbedingt erfreut besonders, wenn der Flügel gerade neu gestimmt ist. Ich sage dann ziemlich ernst und nachdrücklich „Mirella!!!“ Dann hält sie es für ratsam, sich lieber unter das klingende Instrument zu legen. Oft genug muss ich auch ebenso ernst und nachdrücklich mahnen, wenn sie immer meine Sitzplätze belegt. Es herrscht ein ständiger Kampf um meinen geliebten Schaukelstuhl, der ihrer Meinung nach auch der ihre ist. Kaum habe ich mich daraus erhoben, nimmt sie darin Platz. Das würde ich ihr ja noch gönnen. Aber - ihre Gabe, Gedanken lesen zu können, habe ich ja schon erwähnt - wenn ich, weil ich müde bin, mich behaglich darin ausruhen möchte, flugs! eilt sie dahin, um sich darin breitzumachen. Worauf sie mich – triumphierend, wie mir scheint – mit funkelnden Augen anblickt. Dann erhebe ich schon mit Nachdruck meine Stimme. Manchmal hilft´s, manchmal nicht. Dann bleibt mir nur, sie heraus zu scheuchen oder mir ein anderes einigermaßen bequemes Sitzmöbel zu suchen wie etwa einen Sessel. Freilich bin ich mittlerweile doch schon so gut erzogen, dass ich seufzend aufgebe. Katzen haben zwar ebenfalls ein Recht auf Glück, doch übertreiben sollte man es wiederrum auch nicht. Inzwischen allerdings scheint sie ihrerseits auch schon Mitleid zu haben; denn meistens räumt sie nach einer gewissen Bedenkzeit jetzt doch das Feld. Worauf ich ihr, dankbar wie ich nun mal bin, viele Streicheleinheiten schenke, sodass wir am Ende beide zufrieden sind. Will ich lesen oder schreiben, dann legt sie sich mit Vorliebe auf die PC-Tastatur oder aber, wenn ich sie sanft beiseiteschiebe, auch nebenbei auf den Schreibtisch. Oder aber auch auf die Zeitung, auf dass man ihre Gegenwart nicht vergesse. Prosaischer veranlagte Leute meinen, dass Katzen allgemein gern auf Papier liegen, weil sich das Papier dann erwärme. Na, ich weiß nicht so recht; ich glaube, sie fürchten nur um den Verlust unserer Aufmerksamkeit, wenn wir uns allzu sehr in den ihrer Meinung nach banalen Lesestoff verlieren. 11 Unterdessen war auch der Zeitpunkt ihrer Fortpflanzungsfähigkeit gekommen. Wir hätten liebend gern einmal die hingebungsvolle Mutterschaft einer Katze miterlebt. Es bot sich aber kein passender Freier. Und wie gesagt, mit einem „ordinären Kater?“, um die Züchterin zu zitieren, das erschien uns auch irgendwie unpassend. Mirella musste also zum Tierarzt. (Aber keinesfalls zu dem, der unsere Minouche ins Jenseits befördert hatte; das hätte ich nicht ertragen!) Wir fanden einen sehr verständnisvollen Vertreter seiner Zunft, der meine Ängste ahnte und offenbar selbst Ästhet war: Einen nur talergroßen Bereich ihrer Haarpracht am Bauch hatte er abrasiert und einen so kleinen Schnitt gesetzt, dass er kaum zu sehen war. Mirella verbrachte dann auch wie in einem ordentlichen Krankenhaus eine Nacht in der Praxis, sodass wir sie nicht narkotisiert in Empfang nehmen mussten. Lediglich sediert hatte er sie noch reichlich, damit sie nicht umhertollen sollte. Alles in allem eine gelungene Sache, die bald vergessen war. Wann immer etwas anlag, wir fuhren mit ihr zu diesem Tierarzt. Und im Wartezimmer zu sitzen, ist an sich schon fast ein Vergnügen, kann man dort doch die schönsten Studien betreiben sowohl an den Tieren, als auch an ihren Besitzern. In der Regel verhalten sich die Tierpatienten sehr still, weil verängstigt. Da sitzt auch die gsrößte Dogge gehorsam bei ihrem sorgenvoll dreinschauenden Herrchen. Im Freien losgelassen, würde so ein beeindruckendes Exemplar seiner Spezies sich sofort über eine Katze hermachen. Beim Tierarzt aber schielt er nur ganz vorsichtig in Richtung einer Mieze – wenn er denn überhaupt ein Auge riskiert. Vögel zwitschern nicht, kein noch so bunter Papagei krächzt sein „Lora! Lora!“ Und die Katzen schnurren auch nicht mehr; sie ducken sich in ihren Transportkörben und blicken nur von Zeit zu Zeit scheu durch die Stäbe. Ihre Besitzer sitzen entweder stumm daneben oder säuseln hin und wieder zärtliche Koseworte. Was sich beispielsweise bei einem Schäferhund angesichts seiner Größe reichlich komisch ausnimmt, der, wenn er mit „Mein Süßer“ oder „Kleiner Liebling, gleich geht es dir wieder besser!“ beruhigt werden soll. Wir haben natürlich aller ausgesuchter Namensgebung zum Trotz auch unsere Koseworte für Mirella: „Schnuckelchen“ und „Pussilein“ zum Beispiel oder „Püppi“ - und für eine Katze gänzlich unpassend auch „mein Mäuschen“. Wir haben folglich kein Recht, uns über Leute zu amüsieren, die ihren ausgewachsenen Rottweiler mit „Schätzchen“ titulieren. Man kommt zudem leicht ins Gespräch, wenn man sich nach dem Leiden des oder der Ärmsten erkundigt oder überhaupt gern wissen möchte, wer oder was sich da in dem kleinen Pappkarton verbirgt. Es verstecken sich darin meist Meerschweinchen oder Hamster, manchmal auch Schildkröten oder gar Schlangen. Zu letzteren fällt mir dann nicht mehr viel ein. Ansonsten liebe ich die Gespräche in einem tierärztlichen Warteraum. – Im Gegensatz zu jenen im Wartezimmer eines Humanmediziners. Sie wissen schon: wegen all der ausführlichen Krankengeschichten von Oma, der Schwiegermutter und Tante Klara, die man sowieso nicht kennt. Doch solche von anwesenden Tieren sind immer interessant. Man erhält ganz nebenbei auch so manch nützlichen Tipp, den man, sollte der eigene Liebling ganz plötzlich mal Verstopfung haben, anwenden kann, ohne gleich den kostspieligen Tierarzt zu bemühen (ein Stück rohe Leber ist da sehr zu empfehlen, im umgekehrten Fall dagegen gekochte), was den Veterinär nicht unbedingt erfreuen dürfte, entgeht ihm doch auf diese Weise sein Honorar. Im Sprechzimmer haben die unterschiedlichen Patienten eines gemeinsam: Sie sind alle brav! Man hört jedenfalls keinen Mucks, und ich habe auch noch nie einen Tierarzt gesehen, der seine Sprechstunde wegen eines blutigen Kratzers oder einer ordentlichen Bisswunde hätte unterbrechen oder gar davonlaufen müssen. Seine Patienten überlassen sich gottergeben seinen segensreichen Händen und halten still. Unsere Mirella ist da keine Ausnahme. Zitternd zwar, aber ganz artig sitzt sie auf dem blanken Untersuchungstisch und lässt sich die Vorsorgespritzen geben und ins Mäulchen gucken. Nur an ihrem Wuschelbauch lässt sie sich ungern abtasten. Da ist sie äußerst empfindlich. „Kitzelig!“ sagt der Onkel Doktor. Und 12 angesprochen auf ihre ausgeprägte Vorliebe für Aprikosen, Pfirsiche, Kohlrabi und Tomaten (wirklich wahr!), meinte er: „Ungewöhnlich zwar, aber nicht schlimm! Vielleicht ist sie ja in ihrem vorigen Leben ein Kaninchen gewesen.“ Mag sein oder auch nicht, jedenfalls war ich beruhigt und belustigt zugleich. Auf der Heimfahrt, ach, wie ist sie da lieb und fromm! Im Gegensatz zur Hinfahrt: da weiß sie genau, wohin es geht. Da lamentiert sie ganz schön im Auto. Einen richtigen Transportkorb zum Schließen besitzen wir zwar auch, doch wir nehmen immer den offenen, weil sie im Wartezimmer sowieso am liebsten darin bleibt und nicht ausbüxt. Ich habe ihn extra schön ausstaffiert und gefüttert mit weißem katzengemusterten Stoff und grünen Paspeln an den Rüschen. Weiche Kissen gehören selbstverständlich auch dazu. Einen solchen Luxus hat noch nicht mal unsere Minouche genossen. Stimmt: Im Laufe der Zeit wird man immer verrückter mit seinen Lieblingen! Es geschah aber auch, weil wir die Absicht hatten, sie mit auf Reisen zu nehmen; unsere Oma war inzwischen verstorben. Wir versuchten es zunächst mit kleineren Ausflügen. Aber unserer Madame hat das nicht besonders gefallen. Wenn es denn unbedingt sein musste, dann wollte sie wenigstens auf meinem Schoß sitzen! (was sie zu Hause sonst nicht so gern tut, erinnert sie das doch an die lästige Haarpflege.) Was für längere Reisen bedeuten würde, dass ich meinen Mann beim Autofahren nicht hätte ablösen können. Schließlich gaben wir unser Vorhaben auf, und der Luxuskorb, der für Urlaubsfahrten gedacht war, dient nun dem Transport zum Tierarzt. Zum – vorläufigen – Glück wohnte unser Sohn noch bei uns im Haus, sodass er sich während unseres Urlaubs um Mirella kümmern konnte. Mittlerweile lebt er aus beruflichen Gründen in Hamburg, und wir sind seitdem tatsächlich nicht mehr in Urlaub gefahren, und das ist immerhin schon drei Jahre her. Wir brachten es einfach nicht übers Herz, sie in eine Katzenpension zu geben. Das ist Liebe, nicht wahr? Inzwischen ist es leider so, dass mein Mann ganz plötzlich gestorben ist. Da erübrigen sich Urlaubsreisen sowieso. Nach dem gemeinsamen Frühstück auf der Terrasse wollte ich mich von ihm verabschieden, weil ich einiges besorgen wollte. Auf einmal hörte ich Mirellas markerschütternden Schrei. Da habe ich meinen Mann tot im Bad vorgefunden. Plötzlicher Herzstillstand! Es war schrecklich, und ich wurde für Wochen sehr krank. Mein Sohn musste sie mit nach Hamburg nehmen. Es dauerte nach seinen Aussagen fast eine Woche, bis sie sich mit ihrer neuen Umgebung versöhnt hatte. Und das wohl auch nur, weil mein Sohn direkt an der Elbe wohnt, also mit Blick auf Wasser und Schiffe. Dieses zugegebenermaßen eindrucksvolle Schauspiel stundenlang vom Balkon aus zu beobachten, hat ihr dann wohl doch gefallen. Als ich sie endlich wieder abholen konnte, begrüßte sie mich zunächst freudig, um mir anschließend gleich ihre Lieblingsstelle zu zeigen. Wieder zu Hause, spürte ich doch ihre Erleichterung und ihr Glück, wieder bei mir schlafen zu können. Und wann immer ich traurig bin – und das ist verständlicherweise jetzt sehr oft der Fall – kommt sie sofort zu mir, um mich zu trösten. Das kann kein Pfarrer, kein Seelenklempner, kein Beruhigungstropfen, das vermag nur sie. Auf die vom Arzt verordneten Schlaftabletten kann ich ebenfalls gut verzichten: ich habe meine Katze, die das Lager mit mir teilt und mich in den Schlaf schnurrt. Und ich hoffe, dass das ewig so bleibt. Ps. Noch ein Nachtrag, für mich ein sehr trauriger: Inzwischen musste ich noch einen weiteren Todesfall hinnehmen; verkraftet habe ich ihn immer noch nicht. Es ist mein Sohn, der auf die gleiche Weise wie mein Mann für immer von mir gegangen ist: ebenfalls durch Herzstillstand. Und das mit fünfundvierzig Jahren! Der Schock war noch größer, einfach unvorstellbar für eine Mutter! Aber darüber will ich 13 nicht weiter reden. Nur so viel, dass ich mich nie wieder davon werde erholen können. Mirella scheint das genau zu spüren: wir sind einander noch näher gerückt. Und das schon dergestalt, dass sie morgens – das können Sie nun glauben oder nicht – mir beim Duschen sogar mit in die Badewanne springt. Dabei hat sie mittlerweile wohl entdeckt, dass man aus dem Wasserhahn auch wunderbar seinen Durst löschen kann; offenbar mundet es ihr besser als aus dem Wassernapf. Jedenfalls miaut sie alle naselang vor dem Badezimmer, bis ich ihr – seufzend zwar – den Hahn wieder etwas aufdrehe. Die Wasserrechnung wird auf diese Weise zwar höher ausfallen. Aber es ist ja für meinen einzigen mir noch verbliebenen Liebling.