Was ist rechtsextreme Einstellung, und woraus

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Was ist rechtsextreme Einstellung, und woraus besteht sie?
Johannes Kiess
Johannes Kiess ist Politikwissenschaftler und
Soziologe. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Soziologie der Universität Leipzig und am
Lehrstuhl Vergleichende Kultursoziologie und
politische Soziologie Europas der Universität Siegen.
2008 bis 2010 war er Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe
Rechtsextremismus unter der Leitung von Prof. Dr.
Elmar Brähler und Prof. Dr. Oliver Decker.
Johannes Kiess, Oliver
Decker, Elmar Brähler
13.1.2015
Oliver Decker
Oliver Decker, PD Dr. phil. habil., ist Professor für
Sozialpsychologe. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit
liegt auf der Rechtsextremismusforschung. Seit 2002
leitet er die "Mitte"-Studien der Universität Leipzig.
2013 ernannte ihn die Universität Leipzig zum
Vorstandssprecher des Kompetenzzentrums für
Rechtsextremismus- und Demokratieforschung.
Elmar Brähler
Elmar Brähler war bis 2013 Professor für
Medizinische Psychologie und Medizinische
Soziologie an der Universität Leipzig. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten zählten rechtsextreme
Einstellungen in Deutschland. Gemeinsam mit Oliver
Decker leitete er die "Mitte"-Studien der Universität
Leipzig.
Wenn vor Flüchtlingsunterkünften gehetzt wird, wenn auf Demonstrationen gegen "Überfremdung", den Islam oder
Arbeitsmigration aus Osteuropa Parolen gebrüllt werden, dann schreibt man diesen Leuten oft ein "rechtsextremes
Weltbild" zu. Was aber genau ist das? Was macht eine rechtsextreme Einstellung aus, was gehört dazu und was nicht?
Neben der Beschäftigung mit Strukturen und Ideologien rechtsextremer Organisationen sowie der Beobachtung und Erklärung
rechtsextremer Gewalt ist auch die Einstellungsebene ein wichtiger Gegenstand der Forschung zum Rechtsextremismus.
Insbesondere in der quantitativen Einstellungsforschung geht es außerdem um die Frage, wie weit rechtsextreme Weltbilder in
der Gesellschaft verbreitet sind, und darum zu erklären, was diese Verbreitung fördert oder verhindern könnte. Die qualitative
Forschung versucht darüber hinaus konkrete Ursachenzusammenhänge und Ausprägungen zu verstehen. Was genau also
gehört zu einem rechtsextremen Weltbild?
In den Sozialwissenschaften wie auch in der Öffentlichkeit wird der Begriff "Rechtsextremismus" oft ganz selbstverständlich
benutzt, um eine bestimmte Menge von Phänomenen, sowohl Einstellungen als auch Handlungen, zu charakterisieren. Diese
Sammelbezeichnung hat sich erst allmählich gegen oft synonym gebrauchte Begriffe wie (Neo-)Faschismus, (Neo-)Nazismus,
Autoritarismus, Rechtsradikalismus etc. durchgesetzt und ist dennoch weiterhin umstritten. Es ist häufig unklar, welche Elemente
und Denkmuster zum Rechtsextremismus gehören und welche nicht. Für die Einstellungsforschung stellt sich damit das Problem,
was eigentlich – zum Beispiel in Meinungsumfragen – erfasst werden soll.
Rechtsextremismus: diverse Konzepte ohne gemeinsamen Nenner
Der Begriff "Rechtsextremismus" kommt aus der politischen und verfassungsrechtlichen Praxis. Zuerst hat ihn der
Verfassungsschutz in seinem Bericht 1974 verwendet. Als rechtsextrem werden demnach Bestrebungen bezeichnet, die sich
gegen die Demokratie wenden und Nation und Rasse als entscheidend für den Wert von Menschen ansehen. Der
Verfassungsschutz beschäftigt sich jedoch nur mit Handlungen von Personen und Organisationen und erforscht nicht ihre
Einstellungen. Erst mit der SINUS-Studie[1] von 1981 – der ersten Studie, die das Phänomen rechtsextremer Einstellung explizit
als solches untersuchte – wurde der Begriffsgebrauch von der Handlungs- auf die Einstellungsebene ausgedehnt.[2]
Mit der Herkunft des Begriffes ist ein Bestandteil rechtsextremer Ideologie schon angedeutet, aber auch die Problematik des
Begriffs gekennzeichnet. Auf der einen Seite ist die Ablehnung der (pluralistischen) Demokratie ein relativ unumstrittenes Element
rechtsextremer Einstellung, andererseits wird dieser Befund je nach Demokratieverständnis der Protagonisten unterschiedlich
betont. Es stehen sich hauptsächlich zwei Positionen gegenüber: Die VerfechterInnen eines an die Totalitarismustheorien
angelehnten Extremismusmodells sehen die Gefahr für die Demokratie von Extremisten an den linken und rechten politischen
Rändern ausgehen, die "Mitte" aber als Garant der Demokratie. Auf der anderen Seite finden sich BefürworterInnen eines
dichotomen Konzepts, welche unabhängig von der sozialen Position zwischen demokratischen und
undemokratischen/rechtsextremen Einstellungen unterscheiden. Die prinzipiellen Kritikpunkte am Extremismusmodell sind dabei
vor allem, dass "a) diese Konstruktion [des Extremismusmodells] die politische Struktur nur bedingt abbildet, b) sie der
Komplexität der Gesellschaft nicht gerecht wird, c) sie den Extremismus nicht in die Mitte der Gesellschaft stellt, sondern ihn als
Randphänomen verortet und schließlich d) sie die – tatsächliche oder vermeintliche – von ihm ausgehende Bedrohung für den
Kern der Verfassungsordnung zu seinem Alleinstellungsmerkmal macht".[3]
Eine allgemeine, weit akzeptierte Definition des Rechtsextremismus, die hier als erster Ausgangspunkt dienen soll, liefert der
Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke: "Unter 'Rechtsextremismus' verstehen wir die Gesamtheit von Einstellungen,
Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der
Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der MenschenrechtsDeklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter
die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig
machen wollen".[4]
Rechtsextreme Ideologie besteht aus …?
Seit den 1980er Jahren, beginnend mit der SINUS-Studie – also auffallend spät –, gibt es Versuche, auf der Einstellungsebene
die Verbreitung des Rechtsextremismus zu messen. Allerdings fanden sich lange Zeit meist Einzelstudien mit oft abweichenden
Rechtsextremismuskonzepten und Messmethoden. Einflussreich war unter anderem Wilhelm Heitmeyers Konzeption, derzufolge
das "schillernde Spektrum" rechtsextremer Ideologie zwei Grundelemente aufweise, nämlich eine Ideologie der Ungleichheit
(inklusive Nationalismus, Rassismus und natürliches Recht des Stärkeren) sowie Gewaltakzeptanz als Mittel politischer, aber
auch alltäglicher Auseinandersetzung[5]. Wolfgang Benz zählte Nationalismus (verbunden mit Ausländerfeindlichkeit und
großdeutschem, revisionistischem Gedankengut), Antisemitismus und Rassismus, Intoleranz (und Recht des Stärkeren),
Militarismus und Führerkult, Verherrlichung des NS-Staates, Neigung zu Verschwörungstheorien und schließlich
Gewaltbereitschaft bzw. Akzeptanz zu den Kriterien[6]. Ein drittes Beispiel ist Richard Stöss' Konzept, das Autoritarismus
(Bereitschaft, Schwächere zu unterdrücken und sich selbst Stärkeren unterzuordnen), Fremdenfeindlichkeit (jeweils ethnisch und
sozioökonomisch motiviert), Antisemitismus und Pro-Nazismus[7] beinhaltet. Zur Frage, was denn eigentlich zum rechtsextremen
Weltbild dazugehört, kommt erschwerend hinzu, dass umstritten ist, wie diese Bestandteile gemessen werden sollen (mit welchen
und mit wie vielen Fragen), wie die Antworten zusammengefasst werden sollen und schließlich, ab wann ein Befragter oder eine
Befragte als rechtsextrem gilt.[8]
Die Definition der Konsensusgruppe
Das oben angesprochenen Extremismusmodell hat in der politischen Soziologie wenig Einfluss. Die Pluralität von
Rechtsextremismuskonzepten hatte die Konsequenz, dass sich schon bei nur leicht abweichenden Studien keine Vergleiche etwa
zwischen Regionen, Personengruppen oder gar über die Zeit hinweg anstellen ließen. Aus diesem Grunde fand im Jahr 2001 eine
Konsensuskonferenz von SozialwissenschaftlerInnen[9] statt, deren Ziel es war, einen gemeinsamen Fragebogen zu entwickeln.
Die von der Konsensusgruppe zu Grunde gelegte Definition beschreibt das rechtsextreme Weltbild in sechs Dimensionen: "Der
Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen.
Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen [also
nationalistischen] Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind
sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.“[10]
Der auf Grundlage dieser Definition entwickelte Fragebogen wird unter anderem in der Langzeituntersuchung der Leipziger
"Mitte"-Studien seit 2002 eingesetzt[11]: Zu jeder der sechs Dimensionen werden Befragten drei Aussagen vorgelegt und um ihre
Einschätzung gebeten. Es zeigt sich beispielsweise, dass Personen, die der antisemitischen Aussage "Juden haben etwas
besonderes an sich und passen nicht so recht zu uns" zustimmen, auch dazu neigen, Aussagen der anderen Dimensionen
zuzustimmen. Diese empirisch vorfindbaren Zusammenhänge zwischen den Dimensionen werden als Bestätigung dafür
angesehen, dass die in der theoretischen Definition formulierten Einstellungsmuster tatsächlich und konstitutiv zum
Rechtsextremismus gehören.
Randeinstellungen der rechtsextremen Weltsicht
Zu den (Rand-)Phänomenen rechtsextremer Einstellung gehören, so argumentieren einzelne Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, aber auch fundamentale Kapitalismuskritik, Zustimmung zu Verschwörungstheorien, Gewaltbereitschaft sowie
gefühlte soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Ob diese Elemente als notwendiger oder gar hinreichender Bestandteil
rechtsextremer Einstellung gelten können, ist fraglich. Denn dann müsste sich in Studien ein starker Zusammenhang mit den
anderen Dimensionen nachweisen lassen. Gewaltbereitschaft und der Hang zu Verschwörungstheorien gehen zwar häufig einher
mit der Zustimmung zu anderen Dimensionen rechtsextremer Einstellung – diese Zusammenhänge sind aber bei weitem nicht so
stark wie zwischen den sechs Dimensionen der Konsensusgruppe[12]. Daher werden diese Einstellungen nicht zum
Kernrepertoire eines rechtsextremen Weltbildes gezählt.
Zudem stellt sich die Frage von Ursache und Wirkung. In der Forschung wird insbesondere wirtschaftliche Deprivation, also das
Gefühl, benachteiligt zu sein, als erklärender Faktor für politische Einstellungen betrachtet – und fällt damit als Bestandteil
rechtsextremer Einstellung aus. Wenn etwas Bestandteil eines Phänomens ist, kann es nicht mehr angeführt werden, um das
Phänomen zu erklären.
Seltener wird aus unterschiedlicher Richtung angenommen, zu einer (rechts-)extremen Einstellung gehörten bestimmte
Persönlichkeitseinstellungen. Auch hier droht ein Zirkelschluss: "Zählt man zum Beispiel eine dogmatische Persönlichkeitsstruktur
zu den Merkmalen des Rechtsextremismusbegriffes, kann sie nicht zugleich zur Erklärung des Rechtsextremismus herangezogen
werden. Ein Erkenntnisfortschritt ist damit ausgeschlossen. Vielmehr sind die Bedingungen zu untersuchen, die die Herausbildung
einer extremistischen Persönlichkeitsstruktur bewirken".[13] Auch das ist aber natürlich eine konzeptionelle Frage.
Die Debatte, was wirklich zum Rechtsextremismus gehört, ist weiter offen. Andere Dimensionen, die mitunter zum rechtsextremen
Weltbild gezählt werden, sind beispielsweise soziale Dominanzorientierung, Sexismus, Autoritarismus und Gewaltbereitschaft. Die
Überschneidungsmenge der Personen, die sowohl eine dieser Einstellungen wie auch ein rechtsextremes Weltbild haben, ist
zwar groß, jedoch ist der Zusammenhang bei weitem nicht so stark wie bei den sechs von der Konsensgruppe definierten
Dimensionen.[14] Das Team des Thüringenmonitors, das ebenfalls den Rechtsextremismusfragebogen der Konsensusgruppe
verwendet, kommt auf Grundlage seiner Daten zu dem Schluss, dass "sich die Fragen [des verwendeten Fragebogens]
spätestens seit Mitte des letzten Jahrzehnts nicht mehr als Indikatoren eines homogenen Rechtsextremismusphänomens
begreifen lassen". Stattdessen seien es zwei Ebenen, die sich unterscheiden ließen: auf der einen Seite eine "neonationalsozialistische Ideologie", bestehend aus Verharmlosung Nazideutschlands, Sozialdarwinismus, Hang zu rechtsautoritärer
Diktatur sowie Rassismus und Antisemitismus; auf der anderen Seite der Ethnozentrismus, der sich in Chauvinismus und
Ausländerfeindlichkeit äußert.[15]
Hier wird ein weiteres Problem der Forschung deutlich: Zwar gab es einen relativen Konsens, was in etwa zur rechtsextremen
Einstellung gehören sollte. In der Folge wendeten die unterschiedlichen Studien aber unterschiedliche Messmethoden (z.B.
Telefoninterview und Selbstausfüllerfragebogen) und unterschiedliche Fragebogenkonstellationen (Abfrage im Block oder verteilt
zwischen anderen Fragen) an. Auch wenn es für eine ganze Reihe von theoretisch mehr oder weniger gut begründeten
Annahmen inzwischen Untersuchungen und damit Belege für bzw. gegen sie gibt, ist die Debatte, was genau zur rechtsextremen
Einstellung gehört, also nicht abgeschlossen.
Autoritarismus- und Vorurteilsforschung: Konzepte neben der rechtsextremen Einstellung
Insbesondere im angloamerikanischen Raum ist, zumindest bezogen auf die Einstellungsebene, selten von Rechtsextremismus
die Rede. Konzepte wie Autoritarismus, Ethnozentrismus, Rassismus und Vorurteile sind hier weiter verbreitet, und dies hat
natürlich auch Einfluss auf die deutsche Debatte. Allen voran hat die Studie zur "Autoritären Persönlichkeit" von Adorno et al.
(1950) wie kaum eine andere Arbeit die Debatte befruchtet. Die Forschergruppe, hauptsächlich wie Adorno nach 1933 in die USA
emigrierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wollten verstehen, warum "ganz normale Menschen" empfänglich für
antidemokratische Propaganda waren. Sie schlossen hierfür an die noch in Deutschland vor 1933 durchgeführte Studie "Autorität
und Familie" von Erich Fromm, Herbert Marcuse und Max Horkheimer an, welche auf Grundlage der Freudschen Psychoanalyse
einen Zusammenhang von Erziehung, Persönlichkeit und politischer Einstellung annahm.
Diese Erklärungsansätze werden heute noch aufgegriffen, etwa von Hopf & Hopf (1997) und in den Leipziger "Mitte"-Studien mit
dem Konzept des "sekundären Autoritarismus". Das noch ältere Ethnozentrismus-Konzept (Sumner 1906), wonach die eigene
Ethnie als zentral und überlegen gesetzt wird, bleibt ebenfalls bis heute relevant, insbesondere als erklärendes Moment für die
Abwertung von Fremdgruppen (Fritsche et al. 2013). Diese sogenannten sozialkognitiven Ansätze erklären die Entstehung der
politischen Einstellung als psychische Effekte von allgemeinen Prozessen des Denkens: Die Vielzahl der Eindrücke wird durch
Klassifikation reduziert, und Vorurteile sind Effekte dieser Schematisierung von Menschen in Gruppen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer und sein Team führten für ihre Langzeituntersuchung "Deutsche Zustände" von 2002 bis 2011
das Konzept Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) ein. Auch hier werden Dimensionen und Vorkommen einer
"Ideologie der Ungleichwertigkeit" gemessen. GMF umfasst mindestens sechs Elemente: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus, Heterophobie (Abneigung von Menschen, die als "anders" konstruiert werden, hier gemessen als Ablehnung von
Homosexuellen), Etabliertenvorrechte und Sexismus.[16] Dazu werden, insbesondere auf gesellschaftliche Entwicklungen
reagierend, weitere Dimensionen differenziert, z.B. werden Islamophobie und seit 2007 Heterophobie in den drei Dimensionen
Abwertung von Homosexuellen, Obdachlosen und Behinderten separat erhoben. Ein Jahr später kam noch die Kategorie
"Abwertung von Langzeitarbeitslosen" hinzu.[17] Zum Zweck der Studie heißt es: "Menschenfeindlichkeit beginnt unauffällig"[18],
sie kann also mitten unter uns entstehen, weshalb die detaillierte Beschreibung der GMF und die Ausarbeitung und Evaluation
von Interventionen wichtig sind.
Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit geht also detaillierter als die übliche Rechtsextremismusforschung
konkret auf die einzelnen, vorfindbaren Formen von Ungleichwertigkeitsvorstellungen ein. Dafür beziehen
Rechtsextremismusforscher (neben den konkreten Ungleichwertigkeitsvorstellungen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus)
auch weitere abstrakte (Teil-)Ideologien wie z.B. Chauvinismus oder Sozialdarwinismus sowie politische Agenden wie die
Verherrlichung des Nationalsozialismus und die Befürwortung rechtsautoritärer Diktaturen (bzw. die Einstellung zu diesen) mit ein.
Der Ansatz der klassischen Autoritarismusforschung wiederum zeichnet sich durch das Bemühen aus, das Zustandekommen der
politischen Einstellung als einen gesellschaftlichen Prozess zu verstehen.
Jede Strömung der Wissenschaft hat also einen besonderen Fokus – und damit in der Erkenntnisrichtung je eigene Stärken und
Schwächen: Will man rechtsextreme politische Einstellung untersuchen und auch anti-demokratisches Ressentiment in die
Betrachtung einbeziehen, so empfiehlt sich der Ansatz der Rechtsextremismusforschung. Er hat den Vorteil, dass er mit
unterschiedlichen theoretischen Erklärungsmodellen kombiniert werden kann. Zudem hat im Bereich der politischen Bildung auch
das Erlernen und Wertschätzen von Demokratie und Pluralismus einen hohen Stellenwert. Liegt der Schwerpunkt mehr auf einer
genaueren Untersuchung der Erscheinungsformen von Ungleichwertigkeitsvorstellungen als Abwertung von "Anderen", so bietet
der GMF-Ansatz ein differenzierteres Untersuchungsdesign, das auch die Abwertung von Gruppen integriert, die in der
Rechtsextremismusforschung nicht gesondert betrachtet werden. In der Arbeit gegen Vorurteile ist dieser Ansatz dann eventuell
passgenauer. Die Autoritarismusforschung wiederum ermöglicht die Kritik der gesellschaftlichen Bedingungen, die im Hintergrund
der Einstellungen stehen.
Ungelöste Debatten und ein begrenzter Konsens
Die Forschungen zu Autoritarismus, GMF sowie Ethnozentrismus und rechtsextremer Einstellung stehen trotz unterschiedlicher
empirischer und theoretischer Zugänge nicht nur in einem Konkurrenzverhältnis. Die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe
und Konzepte zeigt vielmehr, wie vielgestaltig der Untersuchungsgegenstand politischer Einstellung selbst ist. Zwar lassen sich
die verschiedenen Ansätze zur Entstehung politischer Einstellungen oder die unterschiedlichen Auffassungen über das Verhältnis
zwischen Individuum und Gesellschaft nicht zu einem Gesamtkonzept für die Erforschung des Phänomens Rechtsextremismus
zusammenfassen. Doch die unterschiedlichen theoretischen Erklärungsversuche helfen mindestens, jeweils einen Bereich des
Problems zu verstehen.
Einen Konsens, was genau nun zur rechtsextremen Einstellung gehört, sucht man aber vergeblich. Zu gern wird an den je
eigenen Konzepten und, auf einer zweiten Ebene, den eigenen erprobten methodischen Vorgehen festgehalten. Das eröffnet
natürlich auch unterschiedliche Perspektiven, die mal den einen, mal den anderen Aspekt stärker ins Licht rücken. Immerhin aber
lässt sich für die Bandbreite der Forschung feststellen: Dass das zentrale Element rechtsextremer Einstellungen die Ideologie der
Ungleichwertigkeit ist.
Fußnoten
1. Martin Greiffenhagen: 5 Millionen Deutsche: "Wir sollten wieder einen Führer haben ..." Die SINUS-Studie über
rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen, 1981.
2. Andreas Klärner/Michael Kohlstruck: Thema der Öffentlichkeit und Gegenstand der Forschung. In: dies. (Hrsg.): Moderner
Rechtsextremismus in Deutschland, 2006, S. 18f.
3. Gero Neugebauer: Der Fächer des Bösen – Was wir mit Extremismus alles zu meinen meinen. Eine kurze Befassung mit
Begriffen und Thesen. In: Hanneforth, Grit/Nattke, Michael/Schönfelder, Stefan (Hrsg.): Gibt es Extremismus?
Extremismusansatz und Extremismusbegriff in der Auseinandersetzung zwischen Neonazismus und (anti-)demokratischen
Einstellungen, 2010, S. 15.
4. Hans-Gerd Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder, 2001, S. 30. Jaschke
hat diese Definition ähnlich schon in den 1980er Jahren entwickelt.
5. Wilhelm Heitmeyer: Rechtsextremistisch motivierte Gewalt und Eskalation, in: ders./Möller, Kurt/Sünker, Heinz (Hg.):
Jugend – Gewalt – Staat. Politische Sozialisation von Jugendlichen, Jugendpolitik und politische Bildung, 1992, S. 206.
6. Wolfgang Benz: Die Opfer und die Täter. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, in: ders. (Hg.): Rechtsextremismus in
der Bundesrepublik. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, 1990, S.10.
7. Richard Stöss: Gewerkschaften und Rechtsextremismus in der Region Berlin – Brandenburg im Mai/Juni 2000, 2001, S. 21.
»http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/schriften/Arbeitshefte/ahosz4.pdf«
8. ebd. S. 20.
9. An dieser nahmen Elmar Brähler, Michael Edinger, Jürgen Falter, Andreas Hallermann, Joachim Kreis, Oskar Niedermayer,
Karl Schmitt, Siegfried Schumann, Richard Stöss, Bettina Westle und Jürgen Winker teil (zur Dokumentation auch der
Folgekonferenz siehe: Joachim Kreis: Zur Messung von rechtsextremer Einstellung: Probleme und Kontroversen am
Beispiel zweier Studien, Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum Nr. 12, 2007). Einige der Fragen auf die man sich
einigte, waren schon seit den 1980er Jahren (z.B. in der SINUS-Studie) in Gebrauch bzw. wurden in den 1990er Jahren
entwickelt und hier zusammengeführt.
10. genutzt u.a. von Decker, Kiess & Brähler: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014,
»http://www.uni-leipzig.de/~kredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf«; Richard Stöss: Rechtsextremismus im Wandel, 2005;
Thüringenmonitor 2013: "Wie leben wir? Wie wollen wir leben?" – Zufriedenheit, Werte und gesellschaftliche Orientierungen
der Thüringer Bevölkerung.
11. Decker et al.: Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung – Leipziger Form (FR-LF). In: Decker, Oliver/Kiess,
Johannes/Brähler, Elmar (Hg.): Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose, 2013, S.
197-212.
12. a.a.O.
Roland Imhoff/Oliver Decker: Verschwörungsmentalität als Weltbild. In: Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hg.).
Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose, 2013, S. 146-161.
13. Jürgen R. Winkler: Persönlichkeit und Rechtsextremismus. In: Persönlichkeit: Eine vergessene Größe der empirischen
Sozialforschung, hg. v. Siegfried Schumann, 2005, S. 224.
14. Decker et al.: Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung – Leipziger Form (FR-LF). In: Decker, Oliver/Kiess,
Johannes/Brähler, Elmar (Hg.). Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose, 2013.
15. vgl. Thüringenmonitor 2013: 105.
16. Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 1, 2002, S. 20.
17. Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 7, 2009.
18. Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 1, 2002; S. 21.
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