Politische Kommunikation in der Mediendemokratie

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Fakultät für Gesellschaftswissenschaften
Zwischen Schmierenkomödie und Staatstheater:
Politische Kommunikation in der
Mediendemokratie
CDU-Spendenskandal, SPD-Flugaffäre, ein Verteidigungsminister mit
Gefährtin am Pool, andere Spitzenpolitiker im Big Brother-Container
oder am Fallschirm und viele kleine Flugmeilen-Sünder — das sind
negative Schlagzeilen aus den letzten Jahren und Monaten politischer
Berichterstattung in Deutschland, die noch vielen Bürgern in Erinnerung sind. Fast könnte man meinen, die Massenmedien, allen voran
Presse und Fernsehen, beschäftigen sich immer mehr mit den Fehltritten und Skandalen der „politischen Klasse“ und immer weniger mit
ihrer eigentlichen Aufgabe, „Medium und Faktor der öffentlichen
Meinungsbildung“ zu sein (so das Bundesverfassungsgericht 1961 in
seinem 1. Rundfunkurteil). Was ist dran an dieser Beobachtung?
Zunächst einmal ist festzuhalten:
Moderne Demokratien sind ohne die
vielfältigen Leistungen der Massenmedien schlechthin nicht funktionsfähig. Deshalb ist die Handlungs- und
Gestaltungsfreiheit der Medien in allen westlichen Verfassungen besonders geschützt, in Deutschland z. B. in
Artikel 5 des Grundgesetzes, der neben
der Informations- und Meinungsfreiheit des Bürgers die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film garantiert.
Gerade im politischen Bereich sind
die Massenmedien nicht nur passives
Transportmittel für den Informationsaustausch zwischen Bürger und Staat,
sondern selbständige Akteure im politischen Kommunikationsprozess. Zu
ihren Aufgaben gehören insbesondere:
• die Herstellung von Öffentlichkeit
für gesellschaftliche Problemlagen
und Missstände, die Artikulation
der Interessenlagen von Individuen
und Gruppen, die Berichterstattung
über politische Ziele und Aktivitäten von Verbänden, Parteien, Parlament, Regierung und Verwaltung;
• die Kritik und Kontrolle politischer
Machtträger auf allen staatlichen
Ebenen zur Gewährleistung ihrer
Gemeinwohlorientierung;
• die politische Sozialisation der Bürger durch Förderung von Integration und Identifikation mit dem demokratischen Gemeinwesen, die
Weckung von politischem Interesse
und Bereitschaft zur Beteiligung.
Diese durch Verfassung, Gesetze und Staatsverträge erfolgte Zuweisung politischer
Aufgaben an die Massenmedien wurde lange Zeit mit der
Annahme verbunden, die Medien seien auch Willens und
in der Lage, diese Aufgaben in
hinreichender Quantität und
Qualität wahrzunehmen. Ihre
wirtschaftlichen Eigeninteressen — vor allem bei Presse
und privatem Rundfunk —
galten als mit den Zielen
der Politik harmonisierbar;
es wurde ein „symbiotisches“ Verhältnis von Massenmedien und Politik
unterstellt.
Dieses recht idealistische Modell
politischer Kommunikation in der Demokratie wird seit einigen Jahren in
der kommunikations- und politikwissenschaftlichen Forschung zunehmend in Frage gestellt. Galt das politische System der Bundesrepublik
Deutschland bis dahin wegen der
starken Stellung der politischen Parteien im öffentlichen Leben als „Parteiendemokratie“, so spricht man
heute immer häufiger von einem
Strukturwandel hin zu einer „Mediendemokratie“. Mit diesem Begriff soll
eine Reihe von Veränderungen im
Wechselverhältnis von Politik und
Massenmedien bezeichnet werden,
die sich wie folgt zusammenfassen
lassen:
Gerhard-Mercator-Universität Duisburg
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Bild 1:
Homepages der
Parteien
• Die Massenmedien emanzipieren
sich von der Inpflichtnahme durch
die Politik und verfolgen verstärkt
kommerzielle Ziele, was sich in dem
Bestreben nach erhöhter Massenattraktivität äußert. Die intensivierte
Skandalberichterstattung ist ein Indikator für diese Tendenz.
• Die politischen Parteien, vor allem
ihre Führungseliten, versuchen, ihr
Handeln in zunehmendem Maße
durch Präsenz in den Massenmedien,
besonders im Fernsehen, zu legitimieren. Nicht-mediale, also persönliche Kommunikation innerhalb
der Parteiorganisationen und zwischen diesen und dem Bürger ist
entsprechend rückläufig, ebenso die
herkömmliche Legitimation durch
regelgebundenes (und effektives!)
politisches Handeln außerhalb des
Scheinwerferlichts der Medien.
• Um trotz der neuen „Medienlogik“
weiterhin Zugang zur Öffentlichkeit
zu finden, professionalisieren politische Institutionen und Parteien
ihre Öffentlichkeitsarbeit und suchen neue Wege für ein „Going
public“, um die wachsende Gruppe
der politisch Uninteressierten oder
Resignierten („Politikverdrossenheit“) dennoch zu erreichen und
wieder in den politischen Kommunikationsprozess einzubinden.
Wie diese neue „Mediendemokratie“ in
der Praxis aussieht, lässt sich gut am
Beispiel der Behandlung des Zuwanderungsgesetzes in Bundestag und
Bundesrat sowie bei der abschließenden Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten veranschaulichen.
Beispiel Zuwanderungsgesetz
Die Zuwanderung von Ausländern
nach Deutschland hatte nach dem
Höhepunkt im Jahre 1992 (mit rund
600.000 Personen) in den letzten Jah-
20
ren stark nachgelassen (im Jahre
2000 noch rund 100.000 Personen),
war aber aus der Sicht von Politik und
Wirtschaft insofern unzureichend geregelt, als es keine zahlenmäßige Begrenzung für die Zuwanderung gab,
keine klare Unterscheidung zwischen
„Wirtschaftsflüchtlingen“ und „echten“ Asylsuchenden, keine Handhabe
zur Begünstigung der (gewünschten)
Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und keine zur Forcierung der
sprachlichen und kulturellen Integration bereits in Deutschland lebender
Ausländer.
Mit ihrem im Jahre 2001 vorgelegten
Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes
versuchte die rot-grüne Bundesregierung — nicht zuletzt durch weit gehende Zugeständnisse an die Opposition
im Deutschen Bundestag —, eine von
allen Parteien getragene Konsenslösung für die geschilderten Missstände
zu erreichen. Dies scheiterte jedoch,
weil die CDU/CSU vor allem aus parteipolitischen Überlegungen der amtierenden Regierung Schröder im Wahljahr 2002 nicht den Erfolg der Realisierung eines so wichtigen Gesetzes
gönnen wollte. So wurde das Gesetz
im Bundestag nur mit der so genannten „Kanzlermehrheit“ verabschiedet.
Die zusätzlich notwendige Zustimmung des Bundesrates sollte in dessen Sitzung am 22. März 2002 erfolgen. Die Voraussetzungen, dieses Ziel
zu erreichen, waren insofern schwierig, als die SPD-geführten Länder wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse darauf angewiesen waren, dass
das Land Brandenburg geschlossen
für die Gesetzesvorlage stimmte, das
Land aber andererseits von einer
Großen Koalition aus SPD (Ministerpräsident Manfred Stolpe) und CDU
(Innenminister Jörg Schönbohm) regiert wurde — und der Letztere unter
massivem Druck der CDU/CSU stand,
im Bundesrat nicht mit „ja“ zu stimmen.
Konflikt nach Drehbuch
Der weitere Verlauf ist bekannt. Wie
man nachträglich den Gazetten entnehmen konnte, haben sowohl die
Vertreter der SPD als auch die der
CDU/CSU am Vorabend der Bundesratssitzung ihr Verhalten für die Abstimmung am nächsten Tage exakt
geplant und mit verteilten Rollen und
festgelegten Texten durchgespielt —
wie man das eben bei einer Generalprobe macht, bevor man sich zur
Premiere auf der Vorderbühne dem
erwartungsvollen Publikum präsentiert. Die CDU/CSU-Vertreter wussten,
dass Berlins Regierender Bürgermeister
Klaus Wowereit als amtierender Bundesratspräsident versuchen würde,
die erwartet uneinheitliche Stimmabgabe des Landes Brandenburg unter
Mitwirkung von Stolpe in eine einheitliche Stimmabgabe umzuwandeln, und die SPD-Vertreter wussten,
dass die daraufhin unterliegenden
CDU/CSU-Vertreter den Vorgang aufs
Heftigste missbilligen würden. Beide
Seiten spekulierten aber auf einen
hohen, wahlkampfrelevanten Bonus
durch die Medienberichterstattung,
wenn sie ihre Rolle eben so spielten:
Wenn es der SPD gelang, das Gesetz
mit Mehrheit zu verabschieden, konnte sie sich in einer breiten Öffentlichkeit als Wohltäter für Wirtschaft und
Gesellschaft darstellen, wenn nicht,
konnte sie die CDU/CSU als „Blockierer“ einer so wichtigen Reform „vorführen“. Seitenverkehrt das Kalkül der
CDU/CSU: Wenn es ihr gelang, die
Stimmabgabe von Brandenburg zu
neutralisieren, konnte sie die SPD
als durchsetzungsschwach darstellen,
vor allem aber das Thema Zuwande-
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rung für ihren eigenen Bundestagswahlkampf „retten“, und wenn nicht,
konnte sie die „Kungelei“ der SPDSeite geißeln. Fazit: Beide Seiten fühlten sich in einer doppelt gesicherten
Gewinnsituation und sahen deshalb
keinen Anlass, auf den medienwirksamen „Show down“ im Bundesrat zu
verzichten.
Dass sie durch ihr Verhalten dem
öffentlichen Ansehen des Bundesrates Schaden zufügen und sich selber unglaubwürdig machen könnten,
kam ihnen entweder nicht in den Sinn
oder es erschien ihnen als ein hinzunehmender „Kollateralschaden“. Erst
recht hatte niemand an eine öffentliche Kritik des Verfahrens durch den
Bundespräsidenten gedacht — wohl
im Vertrauen darauf, dass dieser, wie
vor den Zeiten der „Mediendemokratie“
üblich, eventuelle Vorbehalte dezent
in der vertraulichen Atmosphäre des
Bundespräsidialamtes oder auf schriftlichem Wege äußern würde.
haben wir verabredet. Das war Theater,
aber legitimes Theater!“
Von den Massenmedien wurde
diese Inszenierung jedoch kritisch
aufgenommen und überwiegend als
„Schmierenkomödie“ bewertet, weil
sie nicht authentisch wirkte. Aus der
Kommunikationsforschung weiß man,
Theater im Theater
dass in solchen Fällen häufig ImageEs kam anders — und das nicht verluste entstehen, weil das Publikum
zuletzt, weil der saarländische Mini- — und zuvor die kritischen Journalisterpräsident Peter Müller nach der sten — durchschauen, dass die von
Bundesratssitzung im Saarbrücker den politischen Akteuren gezeigten
Staatstheater (!) zur allgemeinen Ver- Emotionen nicht echt und spontan
blüffung offen zugab: „Die im Bun- sind, sondern ihr Verhalten in manidesrat geäußerte Empörung (der pulativer Absicht allein auf die angeCDU/CSU-Ministerpräsidenten) ent- strebte Publikumswirkung abzielt.
stand nicht spontan. Die Empörung
Diese Fehleinschätzung der CDU/
CSU-Ministerpräsidenten und ihrer „Spin Doctors“ (so bezeichnet
man die modernen Kommunikationsberater, die den Reden der Politiker vor allem im Wahlkampf den
richtigen Dreh — amerikanisch:
„spin“ — geben sollen) löste drei
Monate später eine zweite politische Inszenierung aus, diesmal
jedoch auf hohem staatspolitischnormativen Niveau: ein „Going
Public“ von Bundespräsident
Johannes Rau als würdevolles
„Staatstheater“.
„Rau unterschreibt und rügt“
titelte die FAZ auf Seite 1 ihrer
Ausgabe vom 21. Juni 2002, nachdem der Bundespräsident am Vortrag nach gründlicher Prüfung der
verfassungsrechtlichen Implikationen das Zuwanderungsgesetz unterschrieben und dies vor den versammelten Berliner Fernseh- und
Pressejournalisten bekannt gegeben hatte. Rau verband diese Mitteilung mit einer in Tonlage und
Direktheit überraschenden Verurteilung der ausgeklügelten InsBild 2: Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.06.2002 zenierung der Bundesratssitzung
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vom 22. Februar: „Die Art und Weise,
wie einige der Beteiligten den Ablauf
der Sitzung abgesprochen und politisch inszeniert haben“, habe bei vielen Menschen „Unmut und Empörung“ ausgelöst und dem „Ansehen
von Staat und Politik Schaden zugefügt“. Um dieser „Schelte vom Patriarchen“ (Bild 2) den notwendigen
Nachdruck zu verleihen, griff Rau seinerseits zu Mitteln der politischen
Inszenierung, allerdings nicht mit der
Absicht der Vortäuschung falscher
Tatsachen — also inauthentischer Kommunikation —, sondern mit dem Ziel
der visuellen Verkörperung staatlicher
Autorität und der Würde seines Amtes: Das Foto des Vorgangs in der FAZ
zeigt ihn in konzentrierter, ernster
Haltung an dem von einem Bundesadler gezierten Rednerpult, im Hintergrund ein weiterer Bundesadler auf
einer Leinwand und zusätzlich die offizielle Flagge des Bundespräsidenten.
Mediendemokratie im Medienland
Eine Schwalbe macht noch keinen
Sommer und ein Beispiel noch keinen
Trend. Beim gegenwärtigen Stand der
kommunikations- und politikwissenschaftlichen Erforschung der Erscheinungsformen, Ursachen und Wirkungen der „Mediendemokratie“ kann
man noch nicht von gesicherten Erkenntnissen zu diesen Zusammenhängen sprechen. Aber es verdichten
sich die Befunde, die auf einen wirklichen Trend deuten. Besonders die
politische Kommunikation in Wahlkampfzeiten auf Bundes- und zunehmend auch auf Landesebene zeigt in
den letzten Jahren verstärkt Merkmale
in Richtung „Mediendemokratie“. Einige dieser Befunde sollen abschließend
vorgestellt werden. Hauptbezugspunkt hierfür ist eine im vergangenen
Jahr vom Rhein-Ruhr-Institut für
Sozialforschung und Politikberatung
(RISP), einem An-Institut der Duisburger Universität, in Zusammenarbeit
auf die Qualität der Politikherstellung durchschlagen müsse („plebiszitärer Schulterschluss“ statt sachorientierte Politik);
• dass eine weitere „Mediatisierung“
des politischen Prozesses zu einem
verschärften Wettbewerb zwischen
den Parteien führen müsse („Amerikanisierung“ der Wahlkämpfe usw.)
mit einer entsprechenden Emotionalisierung der politischen Kommunikation und langfristig negativen
Auswirkungen auf die Stabilität der
Demokratie.
Amerikanisierung der Politik?
Die wichtigsten Ergebnisse dieser
Untersuchung waren:
• Es gibt auch in NRW deutliche
Anzeichen für eine systematische
Erhöhung der Professionalität des
Wahlkampfmanagements, im untersuchten Fall vor allem bei der
FDP. Von großer Bedeutung ist in
diesem Zusammenhang die inten-
Fotos: RTL, Köln
Bild 3:
Besuch des
FDP-Politikers
Westerwelle in
der umstrittenen
Container-Show
„Big Brother“
22
Logik der Medien
Aus dieser Inszenierung kann man
schließen, dass der Bundespräsident
und seine PR-Berater offensichtlich
sehr gut wissen, nach welcher Logik
die Medien arbeiten, das heißt welches die „Nachrichtenfaktoren“ sind,
die entscheiden, ob ein politisches Ereignis von den Medien aus der Masse
der Agenturmeldungen zur Berichterstattung ausgewählt wird oder nicht.
Im vorliegenden Falle waren es insbesondere die Faktoren „Prominenz“
(seiner Person wie die der Gescholtenen), „Konflikt“ (Parteienstreit und
Konflikt zwischen Staatsorganen),
„Schaden“ (Imageschaden der gerügten Parteipolitiker), „Überraschung“
(ungewöhnliche Art des öffentlichen
Auftritts des Bundespräsidenten) und
„gesellschaftliche Relevanz“ (des Zuwanderungsthemas).
mit einer Forschungsgruppe der Universität Landau durchgeführte Untersuchung im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW zum Thema
„Mediendemokratie im Medienland?
Inszenierungen und Themensetzungsstrategien im Spannungsfeld von Medien und Parteieliten am Beispiel der
nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2000“.
Ausgangspunkt der Studie war die
gemeinsame Sorge von Auftraggeber
und Auftragnehmern,
• dass der Wandel hin zur Mediendemokratie die ohnehin schon bestehenden Tendenzen zu einer „Topdown-Demokratie“ verstärken und
damit zu einer gesteigerten Politikbzw. Parteienverdrossenheit an der
Basis führen müsse;
• dass eine der „Medienlogik“ angepasste Form der Politikdarstellung
sivere Nutzung von Bevölkerungsumfragen, die — zeitlich immer
enger gestaffelt — jede Meinungsschwankung in der Wählerschaft
registrieren.
• Eine solche „Modernisierung“ der
Wahlkampfführung ist ferner zu
sehen in der von allen Parteien
bestätigten Bedeutung des Fernsehens als Leitmedium im Wahlkampf. Daneben versprechen sich
die Parteien aber auch vom zunehmenden Einsatz des Internet einen
Imagegewinn bezüglich der eigenen Modernität (Bild 1).
• Eine Anpassung der Wahlkampfkommunikation an die Medienlogik
ist auch in dem Versuch zu sehen,
vermehrt fernsehgerechte Ereignisse zu erzeugen („Event producing“).
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Fotos: Pressestelle der FDP des Landes NRW
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Bild 4:
Anderer
Wahlkampf —
ähnliches Muster:
Selbstinszenierung des FDPPolitikers
Möllemann im
Bundestagswahlkampf 2002
24
Selbstinszenierungen der eigenen Kampagne oder einzelner Bestandteile, Medienaufmerksamkeit auf sich
zu lenken (Bild 4). Die Wahlkampfführung wird damit zu
einem eigenständigen Medienthema.
• Auffallend war auch die medieninduzierte Tendenz zur Personalisierung des Wahlkampfs. Mit Ausnahme der PDS und etwas gedämpft
bei den Grünen stellten alle Parteien vor allem ihre Spitzenkandidaten in den Vordergrund.
• Als ein weiteres Merkmal der Modernität von Wahlkämpfen war die
„Entertainisierung“ der Politikvermittlung zu beobachten, das heißt
die zunehmend unterhaltsame Gestaltung der Selbstdarstellung von
Spitzenpolitikern und ihrer Parteien, z. B. durch Teilnahme an neuen
Formen und Orten von Gesprächssendungen. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Besuch des FDP-Politikers Westerwelle in der umstrittenen
Container-Show „Big Brother“ (Bild
3). Erwähnenswert ist in diesem
Zusammenhang auch, dass die
Auftritte in derartigen Sendeformaten, natürlich aber auch jene in
den eher politischen Talk-Shows
vor Publikum neuartige, hohe Anforderungen an die „Media-Fitness“
der Politiker stellen.
Während diese Befunde die These vom
Trend hin zur „Mediendemokratie“
deutlich unterstützen, deuten andere
Untersuchungsergebnisse darauf hin,
dass sich diese Entwicklung doch nicht
so reibungslos und geradlinig vollziehen wird, wie man annehmen könnte.
Misst man nämlich diesen Übergang
am so genannten „Agenda-SettingEffekt“, das heißt an dem Maß, in dem
die Themenstruktur der Presse- und
Fernsehberichterstattung mit der
Rangfolge der von der Wahlbevölkerung für wichtig gehaltenen Probleme übereinstimmt, so lässt sich —
jedenfalls für den NRW-Landtagswahlkampf — nur ein recht schwacher
Zusammenhang nachweisen. Hinzu
kommt, dass trotz einer gewissen
Vorrangstellung der Spitzenkandidaten in der Medienberichterstattung
die politischen Parteien insgesamt bei
weitem nicht so stark in den Hintergrund treten, wie man das von amerikanischen Wahlkämpfen inzwischen
kennt. Auch in dieser Hinsicht ist also
Vorsicht geboten gegenüber vorschnellen Behauptungen einer zunehmenden „Amerikanisierung“ der
Wahlkämpfe in der Bundesrepublik
Deutschland.
Kein Waschmittel-Wahlkampf
Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse muss man zu der Einschätzung kommen, dass das Land NRW
bisher allenfalls erste Schritte in Richtung auf eine „Mediendemokratie“
getan hat. Diese beziehen sich überwiegend auf die Angebotsseite des
politischen Kommunikationsprozesses, insbesondere auf das Wechselverhältnis von Parteieliten und Medien,
während die Rezeptionsseite, die Wahlbevölkerung also, mehrheitlich noch
von vielen „eigensinnigen“, eher traditionellen Orientierungen und Verhaltensmustern geprägt ist.
Aus demokratietheoretisch-normativer Sicht gibt das bisher in
NRW erreichte Stadium des
politisch-medialen Strukturwandels somit noch keinen Anlass zu ernsthaften
Sorgen im Hinblick auf die
eingangs genannten kritischen Bezugspunkte wie den
Verlust der Basisnähe der
Politik, eine fortschreitende
Politikverdrossenheit, die
Popularisierung und Veroberflächlichung der Politikherstellung sowie die
Emotionalisierung der politischen
Kommunikation — selbst in Wahlkampfzeiten. Insofern ist NordrheinWestfalen derzeit noch erfreulich weit
von einem Zustand entfernt, wie er
sich dank einer ungehemmten Kommerzialisierung der Wahlpropaganda
und des daraus resultierenden Stilwandels des politischen Journalismus
inzwischen in den USA entwickelt hat.
Aber man muss die weitere Entwicklung im Auge behalten.
Kontakt
Prof. Dr. Heribert Schatz
Rhein-Ruhr-Institut für
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Heinrich-Lersch-Str. 15
47057 Duisburg
☎ 02 03 / 28 09 90
[email protected]
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