visionen im arbeitsrecht

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Interview
VISIONEN IM
ARBEITSRECHT
EIN INTERVIEW MIT
DR. GERLIND
WISSKIRCHEN,
FACHANWÄLTIN FÜR
ARBEITSRECHT BEI
CMS HASCHE SIGLE
WILLKOMMEN
ZUKUNFT.
20 Jahre Haufe Personal Office.
© 2017 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG · Munzinger Straße 9 · 79111 Freiburg · www.haufe.de
„Der Trend der Zukunft ist: beauftragen statt einstellen.“
INTERVIEW. Die Digitalisierung wird unsere heutige Arbeitswelt weiter und rasant verändern - auch im
Bereich des Arbeitsrechts. Einen Ausblick, wie sich Beschäftigungsformen, Arbeitszeitmodelle oder arbeitsgesetzliche Anknüpfungspunkte ändern werden, gibt Dr. Gerlind Wisskirchen, Fachanwältin für Arbeitsrecht
bei CMS Hasche Sigle.
Zur Person: Dr. Gerlind Wisskirchen ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und
Partnerin bei CMS Hasche Sigle in Deutschland. Sie berät multinationale Konzerne, insbesondere zu Fragen der Umstrukturierung sowie des nationalen und internationalen Arbeitsrechts. Frau Dr. Wisskirchen ist Expertin für das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt und
Mit-Herausgeberin des Reports „Artificial Intelligence and Robotics and their impact on the
workplace“ für das Global Employment Institute.
Haufe-Redaktion: Gerade durch die Digitalisierung hat zuletzt der Wandel der Arbeitswelt an Fahrt aufgenommen.
Beim Blick in die Zukunft scheint deshalb das Arbeitsverhältnis in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen
Beschäftigungsformen zu stehen. Wohin wird sich das Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis künftig entwickeln?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Der Trend der Zukunft ist: beauftragen statt einstellen. Die Tendenz geht also vom klassischen Arbeitsverhältnis hin zur Selbstständigkeit. Unternehmen nutzen dies, indem sie verstärkt Projekte auf
internationalen Plattformen outsourcen, statt Arbeitnehmer eigens dafür einzustellen. Crowdworking steht dabei
sinnbildlich für diese geänderten Beschäftigungsformen im sogenannten White-Collar-Bereich, also grob im Bereich
der Büroarbeiter oder auch Handels- sowie Dienstleistungsberufe.
Haufe-Redaktion: Die Arbeit verschiebt sich also auf Selbstständige. Werden die Jobs der Stammbelegschaft
konsequenterweise gestrichen?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Ja. Aber auch durch den Einsatz intelligenter Algorithmen werden insbesondere im
White-Collar-Bereich zahlreiche Jobs entfallen. Jede Bürotätigkeit, die einen hohen Routinegrad aufweist, kann von
einem intelligenten Algorithmus übernommen werden. Beispiele dafür sind die Tätigkeiten des Buchhalters, der
kaufmännischen Angestellten oder von Mitarbeitern im Kundenservice.
Durch Crowdworking wird die Reduzierung der Stammbelegschaft noch forciert – auch wenn diese Beschäftigungsform in Deutschland noch nicht so verbreitet ist wie in den USA. Dort sind derzeit 34 Prozent der arbeitenden Bevölkerung als Freelancer tätig, Tendenz steigend. Lediglich drei Prozent der deutschen Unternehmen haben bereits
einen Auftrag über eine Online-Plattform ausgeschrieben. Dennoch bin ich überzeugt: Der Trend der sogenannten
Gig-Economy wird sich auch in Deutschland verbreiten.
Haufe-Redaktion: Wird das Unternehmen der Zukunft alleine mit intelligenter Technik und externen Beschäftigten –
also ohne eigene Mitarbeiter – auskommen?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Der Trend im Blue-Collar-Sektor, also in dem Bereich der Industriearbeiter und Handwerker, geht ganz klar in die Richtung der sogenannten „Smart Factory“. Das ist insbesondere in China zu beobachten,
wo beispielsweise Foxconn jedes Jahr 10.000 intelligente Produktionsroboter, sogenannte Foxbots, einstellt, um
menschliche Arbeiter zu ersetzen. Ganz ohne festen Mitarbeiterstamm kann aber aus meiner Sicht weder im Bluenoch im White-Collar-Sektor ein Unternehmen geführt werden.
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Haufe-Redaktion: Der Trend zur Beauftragung kann aber auch Risiken für Unternehmen bergen. Beispielsweise
beklagen Kritiker schon heute, Crowdworker befänden sich im Graubereich zwischen Arbeitsverhältnis und
Selbstständigkeit. Wie würden Sie das aus rechtlicher Sicht beurteilen?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Crowdworking findet in der Regel außerhalb regulärer Beschäftigungsstrukturen statt,
denn: Sie sind grundsätzlich nicht in den Betrieb der Vermittlerplattform eingebunden und unterliegen weder den
Weisungen der Vermittlerplattform noch denen des Auftraggebers. Das hat selbst das BMAS im Weißbuch Ende letzten
Jahres festgestellt. Trotzdem ist immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Denn es kann ein Indiz für ein Weisungsrecht der Plattform sein, wenn diese beispielsweise den Crowdworkern in den AGBs gezielte Vorgaben dazu
macht, wie sie ihren Job auszufüllen haben. Auch wenn die Plattform Crowdworker dazu zwingt, alle vermittelten
Aufträge anzunehmen, kann dies ein Indiz für ein Weisungsrecht sein. Sofern aber eine hinreichende Abgrenzung
zur Stammbelegschaft gewährleistet wird und solange man den externen Dienstleistern möglichst wenige Vorgaben
hinsichtlich Arbeitsort und Arbeitszeit macht, halte ich das Risiko der Scheinselbstständigkeit für relativ gering.
Haufe-Redaktion: Da Crowdworker häufig von zuhause arbeiten: Besteht das Risiko, dass Crowdworker als
Heimarbeiter angesehen werden? Die Folge wäre ja, dass sie in Einzelfragen, zum Beispiel bei Urlaub oder Mutter
schutz, doch wie Arbeitnehmer zu behandeln wären?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Heimarbeiter ist kurz gesagt, wer im Auftrag eines Dritten von zuhause aus arbeitet und
das Ergebnis dem Auftraggeber überlässt. Aber selbst wenn eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Auftraggeber
im Einzelfall vorliegen sollte, tritt der Crowdworker unter eigenem Namen am Markt auf, indem er sich aktiv für
Aufträge bewirbt. Er ist also kein klassischer Heimarbeiter. Er ist darüber hinaus auch keine arbeitnehmerähnliche
Person, da nach dem BAG eine reine Verdienstmöglichkeit nicht ausreicht, eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu
begründen.
Haufe-Redaktion: Insbesondere Gewerkschaften fürchten Missbrauch und Ausbeutung im Zusammenhang mit
Crowdworking. Braucht es mehr Schutzvorschriften für Crowdworker, zum Beispiel, indem künftig der Arbeitnehmerbegriff auf Crowdworker ausgedehnt wird?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Nein, Crowdworker sind Solo-Selbstständige und damit selbst für ihre Absicherung verantwortlich. Man kann selbstverständlich überlegen, ihnen – ähnlich wie in Spanien – die Pflicht aufzuerlegen, in
die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme einzuzahlen. Auch über den Sinn eigener Tarifverträge – wie bei den
„Festen Freien“ im Rundfunkbereich – ließe sich nachdenken. Dies würde allerdings nach § 12a TVG erfordern, dass
es sich um arbeitnehmerähnliche Personen handelt.
Im Ergebnis halte ich all diese Überlegungen für nicht notwendig. Das Prinzip der Selbstständigkeit hat sich seit
etlichen Jahren bewährt. Crowdworking ist nur die Weiterentwicklung selbstständiger Tätigkeiten im digitalen Bereich.
Haufe-Redaktion: Apropos Weiterentwicklung im digitalen Bereich: Die bestehenden arbeitsrechtlichen Leitplanken basieren auf tradierten Kategorien und Leitbildern und sind daher bereits heute schwer mit dem rasanten
Wandel der Arbeitswelt zu vereinbaren. Wo muss sich das Arbeitsrecht konkret verändern oder öffnen?
Dr. Gerlind Wisskirchen: In Zukunft wird sich der „Betrieb“ als Referenzpunkt für viele arbeitsrechtliche Gesetze
in seiner Gesamtheit durch die Digitalisierung und Globalisierung auflösen. Auch das mobile Arbeiten stellt den
Betriebsbegriff als zentralen Anknüpfungspunkt betrieblicher Mitbestimmung vor neue Herausforderungen. Dazu
kommen eine zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Privatleben sowie geänderte Job-Strukturen. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht neben dem Thema der betrieblichen Mitbestimmung bei den Themen „Arbeitssicherheit“ und „Arbeitszeit“. Insbesondere beim Thema „Arbeitszeit“ fallen der gesetzgeberische Rahmen und die
Praxis weit auseinander.
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Haufe-Redaktion: Mehr Nähe zwischen Gesetz und Praxis könnte die Überlegung bringen, statt der täglichen
künftig eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festzulegen. Dadurch fürchten Kritiker jedoch weniger Gesundheitsschutz für Mitarbeiter. Wie kann dieser Sorge entgegengetreten werden?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Im physischen Bereich werden durch die Einführung von intelligenten Assistenzrobotern
körperliche Belastungen reduziert. Auf der anderen Seite werden im psychischen Bereich durch die ständige Erreichbarkeit der Arbeitnehmer höhere Belastungen befürchtet. Wichtig ist hier, eine Kultur der Begrenzung durch die
Führungskräfte einzuführen und zu pflegen. Weitere Regeln helfen da nicht, sodass eine Auflockerung des AchtStunden-Arbeitstags grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Außerdem wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt, selbst entscheiden zu können, wann und in welchem Umfang er sich am besten erholt.
Haufe-Redaktion: Mehr Gestaltungsfreiheit für Mitarbeiter also: Wie können dann künftig Arbeitszeitmodelle
aussehen?
Dr. Gerlind Wisskirchen: In Zukunft wird das Arbeitsergebnis stärker als die reine Anwesenheitszeit im Betrieb
berücksichtigt werden. Damit entfällt der Zeitlohn als Anknüpfungspunkt der Lohnberechnung. Bereits heute ist in
den meisten Fällen ein unflexibler Arbeitstag von 9 Uhr bis 17 Uhr weder von Arbeitgebern noch von Arbeitnehmern
gewünscht. Flexible Arbeitszeiten, zum Beispiel durch Gleitzeit mit Arbeitszeitkonten, ist in den meisten großen
Unternehmen gängige Praxis. Gleiches gilt für gelegentliches Arbeiten von zu Hause. In anderen Branchen sind
Saisonarbeit und Abrufarbeit üblich, um dem Flexibilisierungsbedürfnis der Arbeitgeber gerecht zu werden. Weitere
flexible Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder „Job Sharing“ werden künftig verstärkt umgesetzt. Auch
über Opt-Out-Modelle wird diskutiert. Die Vertragsparteien können dann von einzelnen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen.
Haufe-Redaktion: Die skizzierte Entwicklung wird auch durch den Einsatz mobiler Endgeräte unterstützt, wobei
insbesondere die Ruhezeit gesetzliche Grenzen setzt. Muss hier die Ruhezeit anders definiert werden?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Eine klare Definition ist schwer zu finden, sodass sich eine gesetzliche Regelung verbietet. Man wird aber sagen können, dass beispielsweise das Antworten auf eine E-Mail nicht als Unterbrechung
der Ruhezeit gewertet werden darf. Alles andere wäre realitätsfern, zumal auch nicht immer erkennbar ist, ob eine
Whatsapp-Nachricht an den Kollegen privater oder beruflicher Natur ist. Eine Möglichkeit wäre das Einführen einer
zeitlichen Grenze – zum Beispiel von zehn Minuten wie es im amerikanischen Recht üblich ist.
Haufe-Redaktion: Stichwort „zeitliche Grenzen“: In Deutschland gilt grundsätzlich das Verbot der Arbeit an
Sonn- und Feiertagen. Ist dies auch in Zukunft noch zeitgemäß?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Eine Auflockerung des Verbots wäre in der Tat eine Überlegung wert. Bereits heute arbeiten
20-28 Prozent der Arbeitnehmer an Sonn- oder Feiertagen. Grund dafür sind die Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz und Verordnungen der einzelnen Bundesländer. Viele Feiertage beruhen auf traditionellen religiösen
Gegebenheiten, die dem Großteil der Bevölkerung nicht derart wichtig sind, dass sie sich diesen Tag unbedingt
freihalten möchten. Dazu sollte man Arbeitnehmer auch nicht zwingen. Insbesondere im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen wäre es daher wünschenswert, vom Sonn- und Feiertagsverbot
abzusehen.
Haufe-Redaktion: Werfen wir noch einen Blick auf den Arbeitsort: Wenn Arbeitszeitmodelle flexibler und Arbeitsergebnisse künftig wichtiger werden, ist dann ein genereller Anspruch auf Homeoffice nach niederländischem
Vorbild auch zukunftsträchtig?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Nein, aus meiner Sicht sollte es bei der grundsätzlichen Vertragsfreiheit der Parteien
bleiben. Es gibt nach wie vor viele Tätigkeiten, die nicht räumlich flexibel ausgeführt werden können. Zwar sieht das
niederländische Recht Ausnahmen vom Recht auf Homeoffice vor, doch muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die
Tätigkeit nicht von zu Hause aus ausgeführt werden kann. Das ist insbesondere unter Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht immer problemlos möglich und birgt Konfliktpotenzial.
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Haufe-Redaktion: Nach all den Chancen und Risiken durch den rasanten und digitalen Wandel der Arbeitswelt:
Sollten Unternehmen hoffnungsfroh oder eher skeptisch in die Zukunft blicken?
Dr. Gerlind Wisskirchen: Insgesamt würde ich sagen, dass der Wandel der Arbeitswelt positive Auswirkungen auf
die Arbeitsergebnisse hat. Schließlich fördert es die Motivation der Mitarbeiter zur Weiterbildung, um konkurrenzfähig zu Maschine oder intelligentem Algorithmus zu bleiben. Ungeliebte monotone Arbeiten können hingegen an
technische Hilfsmittel übertragen werden. Zudem darf man beim digitalen Wandel nicht unterschätzen, dass eine
gesunde Work-Life-Balance sich positiv auf die Arbeitsergebnisse auswirkt.
Das Interview führte Michael Miller, Haufe Online-Redaktion.
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