176/35 © 2001 Schattauer GmbH Akuter Myokardinfarkt bei Patienten mit Diabetes mellitus Pathophysiologie, Diagnostik und therapeutische Aspekte S. Szabo1, H. M. Hoffmeister2 Medizinische Klinik, Abteilung Innere Medizin III, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen 2 Städtisches Klinikum, Abteilung für Kardiologie und Allgemeine Innere Medizin, Solingen 1 Schlüsselwörter Keywords Diabetes mellitus, akuter Myokardinfarkt Diabetes mellitus, acute myocardial infarction Zusammenfassung Summary Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen bei Patienten mit Diabetes mellitus die wesentliche Ursache für Morbidität und Mortalität dar. Haupttodesursache bei Diabetikern ist der akute Myokardinfarkt. Auch nach diesem Ereignis bestehen erhöhte Mortalitätsraten und eine höhere Inzidenz für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz versus Patienten ohne Diabetes. Pathophysiologische Besonderheiten ergeben sich im Hinblick auf die Auswirkung des Diabetes auf die koronare Herzerkrankung mit einer myokardialen und einer vaskulären Komponente. Darüber hinaus bestehen bei Diabetikern häufig weitere Erkrankungen wie die arterielle Hypertonie, Veränderungen der Hämostase, der Fibrinolyse, korpuskulärer Blutbestandteile und der Inflammation. Nicht alle klassischen diagnostischen Kriterien des Myokardinfarkts können bei Diabetikern aufgrund der Begleiterkrankungen uneingeschränkt angewandt werden. Die Therapie hat die rasche und permanente Reperfusion der verschlossenen Koronararterie zum Ziel; dabei kommen verschiedene pharmakologische Thrombolyse-Regime und die perkutane transluminale Koronarangioplastie in Frage. Weitere Studien müssen abgewartet werden, um ein optimales Vorgehen zur Prognoseverbesserung dieser Patientenpopulation zu finden. The main cause for morbidity and mortality in patients with diabetes mellitus are cardiovascular diseases. Acute myocardial infarction in this group has a poorer outcome (death and development of heart failure) versus patients without diabetes. Preexisting myocardial, vascular, prothrombotic, antifibrinolytic alterations as well as an inflammatory state occur frequently in diabetic patients. Classical symptoms of acute myocardial infarction are often not present in patients with diabetes making the diagnosis more difficult. The aim of the therapy is to restore a prompt and permanent blood flow in the occluded coronary artery in order to preserve as much viable myocardium as possible. Different thrombolytic regimen are used nowadays, another option is the percutaneous coronary angioplasty. Further prospective studies are required to define optimal therapeutic strategies in this high risk population. D der Diabetiker sterben an kardiovaskulären Komplikationen (1). Dabei kann das Herz als Organ bei dieser Erkrankung auf vier unterschiedliche Arten mitbetroffen sein: 1. früher auftretende, ausgeprägtere koronare Herzerkrankung, 2. autonome Neuropathie, 3. diabetische Kardiomyopathie, 4. mikrovaskuläre Komponente (6). Bereits wiederholt konnte gezeigt werden, dass der Diabetes mellitus mit einem schlechteren »Outcome« bei Patienten mit verschiedenen Manifestationen der ischämischen Herzerkrankung assoziiert ist er akute Myokardinfarkt ist bei Patienten mit Diabetes mellitus eine der Haupttodesursachen und mit höheren Mortalitätsraten nach diesem Ereignis (7, 22, 25) versus Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung ohne Diabetes mellitus verbunden. Darüber hinaus ist der Diabetes mellitus per se ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung (7, 22, 25). Insgesamt bilden kardiovaskuläre Komplikationen beim Diabetes die wesentliche Ursache für Morbidität, mehr als 80% Acute myocardial infarction in patients with diabetes mellitus – pathophysiology, diagnosis and therapeutic aspects Hämostaseologie 2001; 21: 176–85 (14, 18, 31). Die American Heart Association (12) bezeichnet daher den Diabetes mellitus als eine kardiovaskuläre Erkrankung. Im folgenden Text soll orientierend auf wesentliche Aspekte der Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des akuten Myokardinfarkts eingegangen werden, hierbei finden die besonderen Gesichtspunkte des Patienten mit Diabetes mellitus spezielle Berücksichtigung. Da in vielen kardiologischen Publikationen nicht zwischen verschiedenen Gruppen des Diabetes mellitus unterschieden wird, wird in Analogie zum Statement der American Heart Association (12) auch im folgenden Text allgemein von Diabetes mellitus gesprochen, lediglich bei wesentlichen Besonderheiten wird auf einzelne Gruppen näher eingegangen. Pathophysiologie Als Myokardinfarkt wird die Entstehung einer irreversiblen, ischämisch bedingten Herzmuskelschädigung bezeichnet. Unterschieden wird hierbei zwischen einem transmuralen Myokardinfarkt und einem nicht transmuralen Myokardinfarkt (beides häufig gleichgesetzt mit der Bezeichnung »Q-Zacken-« und »Nicht-Q-ZackenInfarkt«). Nach neuester Definition der European Society of Cardiology (46) wird schon bei Freisetzung von messbaren Spiegeln an myokardialen Nekrosemarkern (z.B. Kreatinkinase-MB,Troponin I oder T) im Blut von einem, wenn auch kleinen, Myokardinfarkt ausgegangen, selbst wenn keine wesentlichen bleibenden EKG-Veränderungen entstehen (NSTEMI = non STsegment elevation myocardial infarction). Vom akuten Myokardinfarkt sind rever- Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 4/2001 177/36 Szabo, Hoffmeister sible ischämische myokardiale Schädigungsformen zu unterscheiden: das so genannte »Stunning« (= postischämische Dysfunktion) und das »Hibernating« (= »Myokard im Winterschlaf« bei chronischer Minderperfusion) (5, 34), darüber hinaus eine durch akute, noch reversible Ischämie verursachte Dysfunktion. So führen kurze repetitive Ischämien (19) ebenfalls zu einer länger anhaltenden myokardialen Funktionsstörung. Der akute Myokardinfarkt wird durch einen Koronararterienverschluss auf dem Boden einer akuten Plaqueruptur/-fissur mit konsekutiver Thrombusbildung hervorgerufen. Die Verschlussdauer muss dabei zumindest die Ischämietoleranz des abhängigen Myokards überschreiten und führt somit zur Nekrose. Pathophysiologisch ergeben sich daher zwei wesentliche Komponenten beim Myokardinfarkt: die vaskuläre und die myokardiale Ebene. Myokardiale Schädigung Der Übergang von der reversiblen in die irreversible Schädigung ist zeitabhängig. Da die Ischämie subendokardial am ausgeprägtesten ist, dehnt sich die Nekrosezone vom Zentrum des unterperfundierten Gebietes ausgehend zu den Seiten hin und von subendokardial transmural bis epikardial hin mit zunehmender Ischämiedauer aus. Kleine Infarkte sind auf das subendokardiale Gewebe beschränkt, ihre weitere Ausdehnung wird in Analogie zu den Wellen, die entstehen, wenn ein Stein ins Wasser geworfen worden ist, als »wave-front phenomenon« (35) bezeichnet. Determinanten des zeitlichen und räumlichen Fortschreitens der Infarktgröße sind die Faktoren, die das Versorgungsdefizit determinieren. Alle den myokardialen Sauerstoffbedarf erhöhenden Größen wie Herzfrequenz, Kontraktilität etc. wirken sich ebenso ungünstig aus wie das Fehlen von Kollateralen mit dadurch bedingtem besonders ausgeprägtem Perfusionsdefizit (38). Es konnte deshalb gezeigt werden, dass beispielsweise in Abhängigkeit von der Spezies-bedingten bereits vorhandenen Kollateralisierung ein mechanischer Koronarverschluss entweder zu einer sehr Hämostaseologie 4/2001 schnellen Infarktausbildung (Hausschwein) oder zu einer deutlich verzögerten Infarktentwicklung bzw. zum Ausbleiben einer Nekrotisierung bei sehr guten Kollateralen führen kann (Meerschweinchen) (12, 39). Klinisch ist die Variabilität des Vorhandenseins von Kollateralen beim Menschen bei der Entstehung eines Koronarverschlusses sehr groß; das Spektrum reicht von einer sehr schnellen Infarktentwicklung bei weitgehendem Fehlen von Kollateralgefäßen bis zum unbemerkt tolerierten Koronargefäßverschluss ohne Ausbildung einer Nekrose. Durch verschiedenste pharmakologische Interventionen auf myokardialer Ebene ist eine Limitation der Infarktgröße versucht worden. Klinisch gibt es bislang zur Begrenzung der definitiven, nach Stunden vorliegenden Infarktgröße keine pharmakologische Behandlung auf myokardialer Ebene, hingegen kann eine Vielzahl von Interventionen, welche das myokardiale Energiedefizit günstig beeinflussen, die zeitliche Entwicklung der Infarktentstehung/-ausdehnung deutlich verzögern und damit Möglichkeiten für eine Therapie auf vaskulärer Ebene (= Reperfusionstherapie) schaffen. Bei Patienten mit vorbestehendem Diabetes mellitus ist die pathophysiologische Situation auf myokardialer Ebene dadurch kompliziert, dass bei autonomer Neuropathie eine erhöhte Herzfrequenz unter Ruhebedingungen sowie eine erniedrigte Herzfrequenzvariabilität (diese korreliert mit der Mortalität und der Entwicklung einer Linksherzinsuffizienz) bestehen und dass durch die häufig gleichzeitig bei metabolischem Syndrom vorhandene arterielle Hypertonie eine linksventrikuläre Hypertrophie mit schlechterer Ischämietoleranz vorliegt; die linksventrikuläre Funktion ist aus verschiedenen Gründen bereits vorgeschädigt und eine weitere Einschränkung wird schlechter toleriert. Vaskuläre Schädigung Ursache des akuten Myokardinfarkts ist der plötzliche Verschluss einer Koronararterie. Hierfür ist überwiegend eine Ruptur oder eine Fissur einer atherosklerotischen Plaque mit konsekutiver Anlagerung eines okkludierenden Thrombus verantwortlich. Klinisch muss es sich deshalb keinesfalls immer um eine präformierte hochgradige Koronarstenose handeln, vielmehr entsteht die überwiegende Zahl der Myokardinfarkte durch einen Gefäßverschluss an der Stelle einer vormals nicht hochgradigen Stenose. Es wurde gezeigt, dass mindestens 4 von 5 Plaques, die ein akutes Koronarsyndrom verursachen, vor der Ruptur/Ulzeration mit Thrombusformation eine Stenose kleiner als 70% aufweisen (8). Dies ist zumindest auch statistisch zu erwarten, da geringere und mittelgradige Stenosen in einer sehr viel größeren Anzahl im Koronarsystem vorliegen als umschriebene hochgradige. Histopathologisch entsteht eine solche Plaqueruptur meistens im Bereich der mechanisch besonders belasteten Plaqueschulter, insbesondere bei Plaques mit einer dünnen Kappe und vermehrter entzündlicher Aktivität. Die Plaqueruptur führt zur plötzlichen Exposition des Plaqueinhalts. Dieser Lipidkern enthält in großer Menge den Gewebefaktor der Gerinnung, welcher im Kontakt mit Blut eine starke prothrombotische lokale Wirkung entwickelt. Durch die endotheliale Schädigung besteht außerdem eine ausgeprägte Aktivierung des atherosklerotischen Endothels mit zusätzlichen prothrombotischen Effekten, insbesondere auf korpuskuläre Blutbestandteile. Es kommt zunächst zur Ausbildung eines Plättchen-reichen Thrombus, welcher im Verlauf mit Fibrin vernetzt wird und sich zu einem typischen Infarktthrombus weiterentwickelt. Falls der Thrombus das Gefäßlumen nicht komplett verlegt, entsteht statt eines akuten Myokardinfarkts die Symptomatik einer instabilen Angina pectoris (= Angina pectoris in Ruhe), welche allerdings ein hohes Risiko des Übergangs in einen akuten Myokardinfarkt sowohl durch dann doch kompletten lokalen Gefäßverschluss oder aber durch Embolisation von stromabwärts gelegenen Gefäßarealen durch kleine, sich von der ursprünglichen Läsion ablösende, Thromben besitzt. Diese Situation wird als akutes Koronarsyndrom bezeichnet. Zwei Jahre nach einem akuten Koronarsyndrom wurden bei Diabetikern erhöhte Morbiditäts- Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 178/37 Akuter Myokardinfarkt bei Diabetes mellitus und Mortalitätsraten verglichen mit NichtDiabetikern von Malmberg et al. beschrieben (33). Pathophysiologisch kommt zusätzlich zur lokalen Gerinnungsaktivierung eine systemische Hyperkoagulabilität hinzu. (Interessanterweise ließ sich bei Diabetikern die Senkung einiger Parameter der Hyperkoagulabilität durch eine Insulintherapie [23] zeigen.) Hierbei ist eine systemisch gesteigerte Thrombingeneration und -aktivität ebenso nachweisbar wie Veränderungen des fibrinolytischen Systems mit erhöhter Gewebetyp-Plasminogenaktivator-(tPA-)Massenkonzentration und erhöhter PAI-Aktivität. Es resultiert eine erhöhte Plasminaktivierung (Plasmin-/Antiplasminkomplex); die D-Dimere als Spaltprodukte quervernetzten Fibrins sind ebenfalls erhöht. Neben dem lokalen Gewebefaktor ist der Kontaktphase-Faktor-XII-Kallikrein-Weg der Gerinnung vermehrt aktiviert. Insgesamt resultiert eine vermehrte Thrombinstimulation, bei gestörter Gerinnungsaktivierung kann die erhöhte Plasminaktivierung bei Patienten mit ablaufendem Myokardinfarkt die lokale Thrombusbildung nicht ausreichend verhindern. Die Plasminaktivierung erklärt allerdings, dass bei mehr als 20% der Patienten mit klinischem Myokardinfarkt bei späteren Koronarangiographien der thrombotische Verschluss aufgrund zwischenzeitlich erfolgter endogener Thrombolyse nicht mehr nachweisbar ist. Dennoch ist bei der weitaus größten Zahl der Patienten die Halbwertszeit der – wenn überhaupt erfolgreichen – endogenen Thrombolyse im Vergleich zur Halbwertszeit des Übergangs von der reversiblen in die irreversible Myokardschädigung zur Verhinderung einer Myokardnekrose nicht ausreichend. Eine weitere Ursache der prothrombotischen Konstellation ist die gesteigerte Thrombozytenaktivierung beim akuten koronaren Syndrom und Myokardinfarkt (48). Zusätzlich ließ sich zeigen, dass eine vermehrte Thrombozyten-/Leukozytenund speziell Monozytenadhäsion stattfindet. Diese kann über Aktivierung der Monozyten zusätzlich prothrombotische und proinflammatorische Mediatoren einschließlich Gewebefaktor freisetzen. Neben diesen Veränderungen im Bereich der Gerinnung, Fibrinolyse und Thrombo- zyten sowie des Endothels besteht eine ausgeprägte inflammatorische Komponente, die lokal neben der Progression der Atherosklerose per se an der Destabilisierung der Plaquekappe (Interferon hemmt Ausbildung stabiler Plaquekappe, MatrixMetalloproteinasen vermehrt vorhanden, insbesondere im Bereich der Plaqueschulter) beteiligt ist. Zusätzliche Komponenten sind das aktivierte Komplementsystem (mögliche Stimulation durch das erhöht nachweisbare C-reaktive Protein) sowie eine größere Anzahl derzeit untersuchter weiterer inflammatorischer Parameter wie z. B. der vermehrt expremierten Adhäsionsmoleküle wie P(platelet)-Selektin, E(endothelial)-Selektin, VCAM-1 (vascular cell adhesion molecule-1) und andere. Als eine mögliche (Mit-)Ursache der Inflammation wird eine Infektion durch unterschiedliche Keime (Chlamydien, Helicobacter, Cytomegalie-Virus) diskutiert, jedoch haben jüngste Daten hier keine sehr überzeugenden Ergebnisse erbracht. Die Inflammation beim akuten Myokardinfarkt lässt sich in mehrere Bereiche unterteilen: 1. eine niedrige basale inflammatorische Aktivität bei Atherosklerose, 2. eine lokale inflammatorische Reaktion im Bereich der rupturierten Plaque, 3. eine Akute-Phase-Reaktion (Abb. 1) mit erheblicher Produktion prothrombotischer sowie proinflammatorischer Mediatoren, 4. eine entzündliche Reaktion durch den Myokardzelluntergang in der Folge 5. und eine zusätzliche reperfusionsbedingte inflammatorische Reaktion. Hervorzuheben ist besonders, dass bei den aufgeführten Veränderungen nicht im Einzelnen bekannt ist, welche quantitative Bedeutung sie am pathophysiologischen Geschehen haben bzw. ob möglicherweise einzelne Reaktionen nur sekundäre Phänomene und nicht primär am Krankheitsgeschehen beteiligte Veränderungen sind. Es bleibt derzeit zu spekulieren, ob nicht auch ein Teil der aktivierten Wege redundant ist. Bei Diabetikern liegen die Besonderheiten auf der vaskulären Ebene darin, dass nahezu alle oben geschilderten Veränderungen bei diesem Krankheitsbild bereits in der Ausgangssituation vor Infarkt ausgeprägter vorhanden sind. Untersuchungsergebnisse (9, 16) deuten darauf hin, dass die mit der Atherosklerose einhergehenden Veränderungen bereits vor der klinischen Manifestation des Diabetes auftreten. Bei Patienten mit Diabetes mellitus ist die Atherosklerose alterskorrigiert stärker ausgeprägt. Die Koronararterien bei medikamentös behandelten Diabetikern neigen dazu, ein kleineres Kaliber aufzuweisen und diffuser beteiligt zu sein (pathophysiologisch: Basalmembranverdickung, Mikroaneurysmata, kapilläre Okklusionen [10]); eine Mehrgefäßbeteiligung wird verglichen mit Nicht-Diabetikern häufiger beobachtet (15, 28). Auch über eine ausgeprägtere Atherosklerose, vor allem des Ramus interventrikularis anterior und des Ramus circumflexus der linken Koronararterie, und häufigere Vorderwandinfarkte verglichen mit Nicht-Diabetikern wurden berichtet (36). Damit besteht schon vor dem Auftreten eines Myokardinfarkts eine endotheliale Dysfunktion in vielen Gefäßabschnitten. Eine derartige endotheliale Dysfunktion muss nicht nur die Vasoregulation, sondern kann auch die fibrinolytische endotheliale Funktion bei akuten koronaren Syndromen betreffen (20). Zudem bestehen im Rahmen des metabolischen Syndroms häufiger Erhöhungen inflammatorischer Marker wie des Fibrinogens, welches sich einerseits prothrombotisch und ungünstig auf die Viskosität auswirken kann, andererseits als Marker für eine latente Akute-Phase-Reaktion der Entzündung anzusehen ist. Gleichzeitig ist bei Diabetikern die Störung der Fibrinolyse ausgeprägter, was sich in höheren PAI-Spiegeln dokumentiert. PAI-Aktivität und PAI-Antigenkonzentrationen waren bei Diabetikern mit akutem Myokardinfarkt sowohl bei Aufnahme als auch bis zu einem Jahr nach diesem Ereignis versus Nicht-Diabetikern erhöht (11). Auch auf der Ebene der korpuskulären Blutbestandteile konnte gezeigt werden, dass bei Diabetes mellitus eine erhöhte Thrombozytenaktivierung und somit eine weitere prothrombotische Komponente vorliegt (49). Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 4/2001 179/38 Szabo, Hoffmeister Abb. 1 Pathophysiologische Situation beim akuten Myokardinfarkt Insgesamt bestehen also beim Diabetes auf nahezu allen an der Pathophysiologie des akuten Myokardinfarkts beteiligten Ebenen bereits Veränderungen, welche im Sinne einer Vorbahnung bzw. erleichterten Triggerung zu interpretieren sind. Hierzu zählen im Speziellen die Endothelschädigung, die Hyperkoagulabilität, reduzierte Inhibitoren der Gerinnung, die besonders gestörte Fibrinolyse mit erhöhtem PAI-1, die erhöhte Blutviskosität sowie die thrombozytäre Aktivierung, erhöhte Thromboxan-A2-Synthese, größere Plättchen (45), vermehrte Expression von P-Selektin (24) und eine höhere Oberflächendichte an GPIIb/IIIa-Rezeptoren (45, 49). Diese Faktoren begünstigen neben der lokalen Situation der Plaqueruptur selber in ungünstiger Weise die abhängige Gefäßperipherie, in dem eher ein sogenanntes »No-reflow«Phänomen nach erfolgreicher lokaler Beseitigung des Verschlusses eintritt, bedingt entweder durch die Endothelschädigung aufgrund der bis in periphere kleine Gefäße reichenden »diffusen« Atherosklerose bei Diabetes mellitus oder durch die aufgrund der prothrombotischen Situation begünstigten Embolisation in kleine stromabwärts gelegene Gefäßabschnitte, ausgehend vom okkludierenden Thrombus. Hämostaseologie 4/2001 Diese Kombination führt zu schlechteren Reperfusions- bzw. lokalen Flussergebnissen mit der Folge, dass der durch einen vergleichbaren Koronarverschluss hervorgerufene Myokardinfarkt bei Patienten mit Diabetes mellitus, bezogen auf die »area at risk«, größer ausfällt. Diagnostik Die klinische Diagnostik des akuten Myokardinfarkts basiert auf einem mindestens 20-30 Minuten anhaltenden thorakalen Schmerz sowie typischen persistierenden ST-Streckenhebungen im EKG. Diese Kombination, insbesondere wenn der Schmerzcharakter als »typisch« (linksseitig, gürtelförmig, ausstrahlend, Vernichtungsgefühl ...) eingestuft wird, ist für die Diagnose des Herzinfarkts ausreichend, um sofortige Therapieentscheidungen zu treffen. Die zusätzliche Bestimmung von Nekrosemarkern im Blut (CK, CK-MB, Troponin T, Troponin I, u. a.) kann bei der Erstdiagnose lediglich unterstützend sein, da diese Marker erst mehrere Stunden nach Infarktbeginn peripher im Blut nachweisbar sind und sowohl durch dieses Zeit- intervall als durch die Dauer der Bestimmung ein entscheidender Zeitverlust auftritt, falls für die Therapieentscheidung positive Marker abgewartet werden sollten. In der klinischen Praxis besitzen diese Marker daher beim akuten Infarkt nur bestätigenden Charakter bzw. können zur Abschätzung der Größe des Infarkts herangezogen werden. Zwei Sonderfälle sind zu berücksichtigen: Ein Myokardinfarkt kann statt des typischen ST-Streckenhebungsbildes im EKG bei Beteiligung des entsprechenden Ventrikelabschnittes und zumeist größerer Einschränkung der Pumpfunktion einen akuten Linksschenkelblock verursachen. Der akute Linksschenkelblock mit entsprechender klinischer Symptomatik stellt daher in gleicher Weise ein diagnostisches Kriterium für einen akuten Myokardinfarkt dar und erfordert mindestens ebenso eine aggressive Reperfusionstherapie, da ein akuter Myokardinfarkt mit neu aufgetretenem Linksschenkelblock eine besonders ungünstige Prognose besitzt. Der zweite Sonderfall ist der NSTEMI (non STsegment elevation myocardial infarction). Hierbei handelt es sich um Patienten mit linksthorakalen Beschwerden, die als akutes koronares Syndrom eingestuft werden Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 180/39 Akuter Myokardinfarkt bei Diabetes mellitus und – da keine ST-Segmenthebung vorliegt – weiter mittels Bestimmung der Nekrosemarker im peripheren Blut diagnostiziert werden. Wenn sich hierbei die Freisetzung von Troponinen eindeutig nachweisen lässt (bzw. ein pathologischer Anstieg der CK-Freisetzung), so wird abweichend von der früheren Bezeichnung »Troponin-positive instabile Angina pectoris« jetzt von einem »non ST-segment elevation acute myocardial infarction« ausgegangen. Bezüglich der Definition ist hierdurch der Begriff akuter Myokardinfarkt gegenüber früheren Statistiken deutlich erweitert worden. Dies ist bei der Interpretation bisheriger Studien mit akutem Koronarsyndrom/Myokardinfarkt zu berücksichtigen. Falls eine ST-Segmenthebung nur kurzzeitig vorhanden ist, kann differenzialdiagnostisch eine Prinzmetal-Angina im Sinne einer erheblichen vasospastischen Komponente als Auslöser diskutiert werden. Wenngleich man bei Vorliegen typischer Beschwerden und persistierenden STStreckenhebungen von einem akuten Myokardinfarkt (klinisch) spricht, so ist es bei frühem Eintreffen des Patienten und erfolgreicher sehr schneller Reperfusionstherapie dennoch in manchen Fällen möglich, den Eintritt einer Nekrose – soweit klinisch fassbar – zu verhindern. Semantisch korrekt müsste deshalb eigentlich von einem beginnenden Infarkt, der sich durch die frühen EKG-Veränderungen anzeigt, gesprochen werden. Bei über 90% der Patienten, die mit akutem Myokardinfarkt in eine Klinik aufgenommen werden, kann allerdings durch eine erfolgreiche Reperfusionstherapie der Myokardinfarkt nicht verhindert, sondern lediglich seine Größe im Vergleich zu der ohne Reperfusionstherapie zu erwartenden Ausdehnung limitiert werden. Das Ausmaß dieses Therapieerfolges hängt von der Geschwindigkeit der Reperfusion und dem bereits abgelaufenen Ausmaß der Infarzierung, bezogen auf die Größe des bedrohten Infarktareals, ab. Im Einzelfall lässt sich dies diagnostisch nicht festlegen. Indirekte Marker für einen Reperfusionserfolg sind die rasche Rückbildung der ST-Streckenhebung ohne entsprechenden R-Verlust oder neu ausgebildetes Q in den betreffenden Ableitungen bzw. die Zahl der beteiligten EKG-Ableitungen mit definitiven Infarktveränderungen im chronischen Stadium im Vergleich zu initial veränderten EKG-Ableitungen und der zeitliche Verlauf sowie die Höhe der Freisetzung von myokardialen Nekrosemarkern. In einem gewissen Prozentsatz der Patienten ist aber aufgrund des EKGs keine eindeutige diagnostische Festlegung zu treffen, entweder, weil der vermutete Myokardinfarkt in den entsprechenden Ableitungen nicht ausreichend gut repräsentiert wird (häufiger bei umschriebenen inferioren Infarkten), oder weil bereits andere Veränderungen des EKGs (vorbestehende Infarkte, vorbestehende Blockbilder, Schrittmacherstimulation) eine eindeutige Diagnostik verhindern. In diesen wie in allen anderen unklaren Fällen ist unbedingt, soweit klinisch indiziert, eine sofortige invasive Abklärung anzustreben. Diese ermöglicht nicht nur die Diagnostik, sondern in gleicher Sitzung eine effektive Reperfusionstherapie bzw. eine Stratifizierung zu verschiedenen therapeutischen Optionen einschließlich chirurgischer Reperfusionstherapie in Abhängigkeit vom Koronarstatus. Bei Patienten mit Diabetes mellitus gelten die gleichen diagnostischen Kriterien und Einteilungen wie oben angeführt und in Abbildung 2 gezeigt. Ein Problem stellt aber die Tatsache dar, dass bei Diabetikern akute Myokardinfarkte sehr viel häufiger aufgrund der autonomen Neuropathie als stumme Infarkte bzw. Infarkte mit minimaler Symptomatik ablaufen. Es muss deshalb in diesen Fällen auch schon bei geringer, nicht unbedingt das komplette klinische Bild eines akuten Infarkts bietender Symptomatik eine Diagnostik zum Infarktausschluss eingeleitet werden, auch wenn es über ein solches Vorgehen noch keine separaten prospektiven prognostischen Studien gibt. Da der akute Myokardinfarkt aber eine der Haupttodesursachen beim Diabetes mellitus darstellt, erscheint eine entsprechend aktive Diagnostik gerechtfertigt, um die große Zahl der übersehenen bzw. klinisch nicht aktiv behandelten akuten Myokardinfarkte bei Patienten mit Diabetes mellitus mit den Folgen des akuten oder protrahierten Herztodes oder der persistierenden linksventrikulären Schädigung zu reduzieren. Therapie Die Behandlung des akuten Myokardinfarkts zielt auf die rasche und dauerhafte Reperfusion des ischämischen Areals einerseits und auf die Verhinderung von Komplikationen (Arrhythmien, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, plötzlicher Herztod) ab. Während die Verhinderung von Komplikationen wie lebensbedrohliche Arrhythmien zwar einen ganz erheblichen Anteil an der verbesserten Abb. 2 Einteilung des akuten Koronarsyndroms; modifiziert nach (46). Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 4/2001 181/40 Szabo, Hoffmeister primären Mortalität des Herzinfarkts hat (ein Teil der Patienten erreicht wegen eines plötzlichen Herztodes allerdings nicht die Intensivstation), so stellt die Wiederdurchblutung des ischämischen Myokards die kausale Therapie dar. Da die Entwicklung des Myokardinfarkts innerhalb der ersten Stunden zeitabhängig fortschreitet, ist eine möglichst frühzeitige Reperfusion anzustreben. Innerhalb der ersten ein bis zwei Stunden hat sich beim Menschen nur in den wenigsten Fällen bereits ein kompletter (= vollständige Infarzierung des bedrohten Gebietes) Infarkt ausgebildet, während nach 4-6 und mehr Stunden zumindest ein großer Teil der area at risk irreversibel geschädigt ist und deshalb Reperfusionsmaßnahmen nur noch einen kleineren Teil Myokard retten können. Dies erklärt auch, warum sich in Mortalitätsstudien Reperfusionsmaßnahmen in den ersten Stunden als lebensrettend erweisen, sie in vielen Studien aber 6 Stunden nach Symptombeginn keinen Einfluss auf die Mortalität mehr besitzen. Die Ursache dafür ist auch, dass mit zunehmendem Abstand vom Schmerzbeginn die individuelle Variabilität immer stärker zum Tragen kommt, sodass bei einem Teil der Patienten nach 4 Stunden vermutlich kaum noch zu rettendes Myokardgewebe vorliegt, während bei anderen Patienten noch nach 8 bis 12 Stunden der Infarkt nicht komplett abgelaufen ist.Teilweise lassen sich aus dem EKG und dem Symptomverlauf Patienten der einen oder anderen Gruppe zuordnen. Die thrombolytische Therapie, die – unabhängig, ob nach einer oder nach 12 Stunden nach Symptombeginn eingesetzt – ein relativ konstantes Nebenwirkungsprofil für den jeweiligen Patienten besitzt, wird daher empirisch in großen Studien regelhaft bis 6 Stunden nach Schmerzbeginn eingesetzt, unabhängig von Studien häufig in individueller Risiko-/Nutzenabwägung auch noch bis 12 Stunden nach Schmerzbeginn. Einen Sonderfall stellt hierbei der schubweise (stotternd) ablaufende Myokardinfarkt dar, bei dem diese Zeitintervalle schlecht anzuwenden sind. Unabhängig von der in großen Studien als hartes Kriterium eingesetzten Mortalität ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Entwicklung einer Herzinsuffizienz auch bei einem jünHämostaseologie 4/2001 geren Patienten, welcher zwar an einem Infarkt nur selten akut verstirbt, im Verlauf über Monate/Jahre eine erheblich belastende Erkrankung und eine mittelfristige Minderung seiner Prognose darstellt. Ein solcher Nutzen, der sich nicht sofort in eine Mortalitätssenkung umsetzt, ist aufgrund der Auswertung der großen Mega-Trials vielfach in die Indikationskriterien nicht eingeschlossen worden. Ein anderer Aspekt ist die »Open-artery«-Theorie.Ausgehend von angiographischen Substudien, vor allem der GUSTO-Herzinfarktstudien (33, 52), ließ sich ableiten, dass das frühe Vorhandensein eines offenen Infarktgefäßes mit ungehindertem Fluss prognostisch günstig ist, auch wenn sich der Anteil des geretteten Myokards nicht eindeutig festlegen ließ. Prinzipiell stehen zwei Reperfusionstherapien zur Verfügung: die thrombolytische Behandlung durch i.v. Injektion eines Fibrinolytikums und die mechanische Rekanalisation durch perkutane Koronarangioplastie (PTCA), evtl. kombiniert mit Implantation eines Koronarstents. Thrombolyse Die thrombolytische Therapie besitzt den Vorteil, dass sie flächendeckend in allen Krankenhäusern angewendet werden kann. Hierdurch kann für die Bevölkerung eine effiziente Therapie ohne Zeitverzögerung angeboten werden; teilweise laufen derzeit Studien, in denen das Thrombolytikum prähospital vom Notarzt appliziert wird. Die ideale thrombolytische Therapie sollte sehr schnell eine Reperfusion erreichen, die Reperfusion sollte dauerhaft zu einer Gefäßoffenheit führen, die Blutungskomplikationen als Nebenwirkung sollten minimal sein, sonstige Nebenwirkungen (Kreislaufwirksamkeit, Antigenität etc.) sollten nicht auftreten. Das derzeit klinisch weltweit am häufigsten für die Behandlung des akuten Myokardinfarkts eingesetzte Thrombolytikum Streptokinase ist von einem solchen »idealen« Thrombolytikum noch deutlich entfernt: Die Reperfusionsrate nach 90 Minuten liegt bei 2/3 bis 3/4 der Patienten, und in weniger als 50% der behandelten Patienten wird ein ungehinder- ter Fluss (TIMI III) erreicht. Außerdem ist die Therapie durch eine nicht geringe Rate an Reokklusionen limitiert; dazu kommen initiale hypotensive Reaktionen. In der GUSTO-Studie (41) wurde Streptokinase mit dem akzelerierten Alteplase(rt-PA)Schema verglichen. Hierbei ergab sich ein Vorteil einer um ca. 1% niedrigeren Sterblichkeit zugunsten der Alteplase. Diese hatte auch in angiographischen Studien zu einer größeren Gefäßoffenheit als Streptokinase geführt. An diesem akzelerierten AlteplaseSchema als so genanntem Goldstandard wurden dann in der GUSTO-III-Studie (47) die Reteplase (r-PA, Doppelbolusgabe) und in der ASSENT-2-Studie (50) die Tenecteplase (TNK-tPA, 1 Bolusgabe gewichtsadaptiert) gemessen. Für die Gesamtmortalität ergaben sich bei diesen neueren Substanzen keine Unterschiede. Aus oben angeführten Gründen besitzen derartige Substanzen jedoch Vorteile, welche sich nicht zwangsläufig sofort in der 30Tage-Mortalität niederschlagen müssen: Die vereinfachte Handhabung gegenüber einer Anwendung mit zwei Perfusoren ermöglicht die Vorverlagerung des Thrombolysebeginns entweder in vorgeschaltete Notaufnahmeeinheiten oder in den Notarztbereich als so genannte Prähospitallyse. Eine größere Stabilität gegenüber PAI, wie für Tenecteplase gezeigt, dürfte günstigere kontinuierliche Offenheitsraten erreichen. Das Fehlen einer systemischen Thrombinaktivierung im Sinne einer paradoxen Thrombinstimulation, welche ausgeprägt für Streptokinase und im geringeren Maße auch für Alteplase gezeigt worden war (21), ermöglicht zukünftig eventuell für die neuere Tenecteplase eine Reduktion der begleitenden Heparindosierung, sodass die jetzt schon trendmäßig günstigere Blutungskomplikationsrate bei unveränderter hoher Gefäßoffenheitsrate weiter reduziert werden kann. Dies erscheint vor allem interessant, falls derzeitig laufende Studien (ASSENT III, GUSTO IV-AMI) einen Gewinn aus einer zusätzlichen Kombination mit einem Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten erkennen lassen. Der Vorteil der derzeitigen modernen Thrombolyseschemata unter Verwendung von Thrombolytika der zweiten und dritten Generation Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 182/41 Akuter Myokardinfarkt bei Diabetes mellitus ist vor allem die Möglichkeit des flächendeckenden Einsatzes. Hierbei ist auf eine möglichst zügige Anwendung (Optimierung der »Door-to-needle«-Zeit im Krankenhaus ≤20 Minuten, evtl. prähospitale Lyse) Gewicht zulegen. Dennoch sind die derzeitig erzielbaren Reperfusionsraten in den angiographischen Substudien etwas geringer als die mit der Angioplastie erreichbaren Reperfusionsergebnisse. Möglicherweise kann die zusätzliche Kombination mit einem GPIIb/IIIa-Antagonisten die Ergebnisse weiter verbessern. Perkutane Koronarangioplastie Die primäre PTCA beim akuten Myokardinfarkt bleibt Zentren vorbehalten, die eigene Herzkathetereinrichtungen besitzen. In größeren prospektiven wie auch z.T. retrospektiven Zusammenfassungen hatte sich im Unterschied zu optimistischen Berichten einzelner Zentren mittelfristig kein sehr großer Gewinn der primären PTCA gegenüber einer thrombolytischen Therapie z.B. in der GUSTO-IIb-Studie (17) zeigen lassen. Hierfür sind aber die Gegebenheiten der einzelnen Zentren mit zu berücksichtigen, denn Voraussetzung ist, dass eine entsprechende Erfahrung für derartige Eingriffe vorliegt (4). Nur von einem erfahrenen Team sind niedrige Komplikationsraten zu erwarten. Zum Zweiten sollten Zeiten von 90 Minuten und kürzer, optimalerweise ca. 60 Minuten vom Eintreffen des Patienten bis zur Katheterreperfusion, organisatorisch erreicht werden. Die durchschnittlichen Zeiten in bisherigen Studien waren teilweise aber deutlich länger. Zusätzlich ist zu bedenken, dass durch die Verbesserung der Kathetertechniken und der Einsatzmöglichkeit von Stents (primäres Stenting bei AMI bei Patienten mit und ohne Diabetes effektiv, jedoch Stent-Thrombose erhöht bei Diabetikern [40]) sowie eine mögliche zusätzliche periinterventionelle Medikation mit GPIIb/IIIa-Antagonisten die Ergebnisse im Katheterlabor gegenüber den früheren Kathetertechniken verbessert werden konnten. Randomisierte prospektive Vergleiche zwischen neuen Kathetertechniken und optimierten Thrombolyseschemata liegen derzeit aber nicht vor. Kritisch anzumerken ist, dass auch bei Katheterinterventionen eine Abschwemmung von thrombotischem Material in die Peripherie vorkommen kann. Dies kann dann trotz einer optimalen Behebung des lokalen Koronarverschlusses das Ergebnis durch die Embolisation der peripheren Gefäße in Frage stellen. Möglicherweise kann dieser Effekt durch adjuvante Therapien zukünftig beherrscht werden.Wenngleich derzeit der Trend der Daten für eine primäre Angioplastie bei akutem Infarkt spricht, muss doch festgehalten werden, dass diese Methode nur einem geringeren Teil der Patienten in spezialisierten Zentren zur Verfügung steht. Möglicherweise werden neue kombinierte Verfahren einer primär thrombolytischen, niedriger dosierten Pharmakotherapie in Kombination mit GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten als Primärtherapie und in Abhängigkeit vom Erfolg eine danach durchgeführte frühe PTCA nicht nur zu einer Verbesserung von Einzelergebnissen, sondern auch zur Möglichkeit, für einen möglichst großen Anteil der Bevölkerung eine kathetergestützte frühe Reperfusion anzubieten, führen können. Unabhängig davon, ob eine thrombolytische oder kathetergestützte Reperfusionstherapie durchgeführt wird, werden Patienten mit akutem Myokardinfarkt mit Heparin antikoaguliert. Für Thrombolytika der zweiten Generation wird in den Therapieempfehlungen der American Heart Association eine systemische Heparinisierung empfohlen, für eine Therapie mit Streptokinase hingegen nicht. Obwohl die letztere Substanz zu einer erheblichen systemischen Thrombingeneration führt (36), waren andererseits auch die Blutungskomplikationen unter kombinierter Therapie erhöht. An vielen Institutionen wird deshalb als Kompromiss eine eher am unteren Bereich der PTT-Verlängerung orientierte Heparintherapie bei gleichzeitiger Durchführung einer Streptokinasetherapie angestrebt. Hier kann aber keine einheitliche Empfehlung gegeben werden. In der Entwicklung der großen Myokardinfarkt-Mega-Trials zur thrombolytischen Therapie hat sich gezeigt, dass vor allem mit einer Überdosierung des Heparins eine deutlich erhöhte Blutungs- neigung assoziiert war. Neuere Protokolle verwenden daher gewichtsadaptiert niedrigere primäre Bolusgaben und reduzieren auch primär vor der ersten Kontrolle der aPTT bereits die Menge des stündlich zugeführten Heparins. Gerade für Thrombolytika wie Tenecteplase, welches keine wesentliche Thrombinstimulation aufweist, kann möglicherweise die Heparindosis gesenkt und dadurch die Blutungskomplikationsrate weiter vermindert werden. Unabhängig von den dargelegten, an der Entwicklung des Myokardinfarkts orientierten Zeitintervallen, konnte gezeigt werden, dass eine spätere, aber dennoch innerhalb des ersten Tages durchgeführte PTCA Vorteile für den Patienten mit akutem Infarkt erbringen kann. Dies unterstützt die »Open-artery«-Theorie. Offensichtlich gibt es Randzonen um den Infarkt, welche vor einer sehr langsam fortschreitenden weiteren Infarzierung oder aber vor einem Stadium des Hibernatings bzw. Stunnings auch zu einem solchen späteren Zeitpunkt bewahrt werden können. Die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt noch günstige Ergebnisse erzielt werden können, kann aber nicht den Umkehrschluss (möglicherweise gestützt durch unzureichend gepowerte Statistik) zulassen, dass bei der PTCA der Zeitfaktor keine Rolle spielen würde: Ein möglicher späterer Nutzen einer Reperfusion, der für die Thrombolyse aufgrund des erheblichen Blutungsrisikos dann nicht mehr gegeben ist, darf keineswegs dazu verleiten, dass bei der PTCA nicht eine möglichst frühe und dadurch maximal wirksame Reperfusionstherapie angestrebt werden sollte. Die Zukunft für die Mehrheit der Patienten wird hier vermutlich dem kombinierten Einsatz pharmakologischer und katheterbasierter Ansätze gehören. Zur Therapie des akuten Myokardinfarkts zählt auch die Azetylsalizylsäure. Eine Metaanalyse zeigte, dass Diabetiker und Nicht-Diabetiker ähnlich gut von einer Sekundärprävention durch ASS profitierten (2). Die weitere Behandlung umfasst eine Analgo-Sedierung, die O2- und die -Blocker-Gabe, die sich sowohl antiarrhythmisch als auch durch Senkung des myokardialen O2-Bedarfs und damit verzögernd auf die Nekroseentwicklung mit Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Hämostaseologie 4/2001 183/42 Szabo, Hoffmeister eindeutigem Nutzen bei Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung erwiesen hat (13, 30). Die als bedenklich geäußerte verminderte Wahrnehmung der Zeichen einer Hypoglykämie ist wahrscheinlich bei neuen, 1-selektiven Blockern unbegründet (26). Besonders bei erhöhtem Blutdruck kommen kurzfristig Nitrate zur Anwendung. Kurzzeitig, nach der HOPE-Studie (53) längerfristig, sollte danach die Gabe von Angiotensin-Convertingenzym-Hemmern sowie möglicherweise auch von Statinen wegen der vaskulären Effekte im Sinne einer Plaquestabilisierung erwogen werden. Ein besonderer Nutzen der Statine konnte bei Patienten mit Diabetes mellitus bezüglich Primär- und Sekundärprävention tödlicher Koronarereignisse und nichttödlicher Myokardinfarkte in der CARE(mit Pravastatin [37])- und 4S(mit Simvastatin, [27])-Studie gezeigt werden. Speziell bei Patienten mit Diabetes mellitus wurde gezeigt, dass eine Glukose-/Insulin-Applikation beim akuten Myokardinfarkt (sobald als möglich nach Krankenhausaufnahme) die 1-Jahres- und Langzeit(3,4 Jahre followup)-Mortalität dieser Patienten reduziert. Dies gilt besonders bei denjenigen Patienten, die bis dahin keine Insulintherapie hatten (32).Antiinflammatorische Behandlungen stehen derzeit noch am Beginn ihrer Entwicklung. Besonderheiten beim Diabetes mellitus Der Diabetes mellitus wurde als negativer prognostischer Faktor bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt und Lysetherapie (entweder Streptokinase oder rt-PA) beschrieben (44). Eine thrombolytische Therapie wurde bei Patienten mit Diabetes mellitus seltener eingesetzt, da Blutungskomplikationen nicht zuletzt im Bereich des Auges befürchtet wurden. Eine hohe Inzidenz hämorrhagischer Komplikationen, einhergehend mit erhöhter Mortalität, beschrieben Lew et al. (29) bei Patienten älter als 75 Jahre mit akutem Myokardinfarkt, die Streptokinase erhielten. Neuere Daten von Ward und Yudkin (50) zeigten aber, dass zumindest keine vermehrten Hämostaseologie 4/2001 okulären Blutungen auftreten. Wenn insgesamt das Blutungsrisiko für Patienten mit Diabetes mellitus unter thrombolytischer Therapie etwas höher liegt, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Sterblichkeit dieser Patienten bei einem akuten Myokardinfarkt ebenfalls höher ist und somit das größere Risiko der Therapie rechtfertigt. Es konnte in einer Meta-Analyse gezeigt werden, dass die thrombolytische Therapie bei Diabetikern einen größeren absoluten Nutzen bezüglich geretteter Leben pro Behandlung bringt als bei NichtDiabetikern (51). Eine Limitation für die interventionelle Therapie stellt die Tatsache dar, dass bei Patienten mit Diabetes mellitus häufig eine ausgeprägtere diffuse Atherosklerose besteht, daher sind komplexere Koronarmorphologien mit nicht ganz so guten Angioplastieergebnissen in dieser Patientgruppe zu erwarten. Außerdem sind in der Regel die weiter peripher in den Koronargefäßen noch fortgeschrittene Atherosklerose sowie die häufig nicht gut ausgeprägte Kollateralisation dann ungünstig, wenn es im Rahmen von Angioplastien/Stentimplantationen zur Embolisation von thrombotischem Material in die Peripherie kommt. Wenngleich für neuere Stentgenerationen die zusätzliche Gabe von Abciximab als GPIIb/IIIa-Antagonisten beim akuten Infarkt keinen weiteren Vorteil erbracht hat (vorläufige Daten CADILLAC-Studie, AHA 2000 [43]), so stellt sich dies für Patienten mit Diabetes mellitus angesichts der insgesamt stärker vorhandenen prothrombotischen Konstellation anders dar. Zwar gibt es keinen umfangreichen prospektiven Vergleich zwischen PTCA und thrombolytischer Therapie bei Diabetikern, und die Daten sprechen bei stabiler Angina pectoris im Vergleich PTCA gegenüber Bypass-Operation angesichts der höheren Komplikationsrate im Bereich der PTCA (unter anderem höhere Restenoseraten bei Diabetikern nach Angioplastie [42], ein erhöhtes periinterventionelles Risiko bei Frauen mit Diabetes nach PTCA und der ungünstigere Langzeitverlauf) eher zugunsten einer BypassOperation bei Mehrgefäßerkrankung (5Jahres-Mortalität in der BARI-Studie bei Patienten mit Diabetes mellitus und Mehrgefäß-Herzerkrankung bei PTCA signifi- kant höher als bei denjenigen, die einer CABG unterzogen wurden [34,5% versus 19,4%, p = 0,003] [3]). Dennoch kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass angesichts der ebenfalls erhöhten Risiken der thrombolytischen Therapie bei Diabetikern eine mögliche Sofort-PTCA im akuten Infarkt weniger zu favorisieren ist. Vielmehr muss gerade bei diesen Patienten aufgrund der ungünstigeren Spontanprognose unter Verwendung neuer und adjuvanter Techniken im Katheterlabor der Versuch gemacht werden, die Erfolgsrate wie das Komplikationsrisiko in den Bereichen von NichtDiabetikern zu bringen. Spezielle Aspekte des Diabetes mellitus bei akutem Myokardinfarkt Mehr als 80% der Diabetiker sterben an kardiovaskulären Komplikationen (22). Diabetiker weisen höhere Mortalitätsraten nach diesem Ereignis (22, 25) und eine höhere Inzidenz bezüglich Entwicklung einer Herzinsuffizienz nach durchgemachtem Myokardinfarkt (31) versus Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung ohne Diabetes mellitus auf. Es zeigt sich, dass Diabetiker auch aufgrund ihrer multiplen weiteren Erkrankungen ein erhöhtes Risiko tragen und einen multimodalen Therapieansatz benötigen. Bereits wiederholt wurde berichtet, dass der Diabetes mellitus mit einem schlechteren Outcome bei Patienten mit verschiedenen Manifestationen der ischämischen Herzerkrankung assoziiert ist (14, 18, 31). Die Pathophysiologie der diabetischen Herzkrankheit ist komplex. Zu diesem klinischen Syndrom gehört die Interaktion verschiedener Manifestationen des Diabetes mellitus: Veränderungen an den Koronargefäßen (Makroangiopathie), strukturelle Veränderungen an den kleinen Gefäßen (Mikroangiopathie), Myokardstoffwechselstörungen, morphologische und funktionelle Veränderungen aufgrund einer arteriellen Hypertonie, die diabetische autonome Neuropathie sowie Alterationen Downloaded from www.haemostaseologie-online.com on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 184/43 Akuter Myokardinfarkt bei Diabetes mellitus des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems einschließlich der Gefäßendothel- und Thrombozytenfunktionen. Unterschiede des diabetischen Herzens bzw. der beim diabetischen Herz wesentlichen Anteile für einen Infarkt vs. NichtDiabetikern: ● Atherosklerotische Läsionen vulnerabler (z.B. dünnere Plaque-Decke bei Diabetikern) bzgl. koronarer Thrombose bei Diabetikern, signifikant erhöhter Lipidgehalt und Makrophageninfiltration ● Stärkerer Grad der Endothelschädigung, Hyperkoagulabilität (reduzierte Inhibitoren der Gerinnung), erhöhte Blutviskosität, gestörte Fibrinolyse (erhöhte PAI-1 sowie thrombozytäre Aktivierung), erhöhte Thromboxan-A2Synthese, größere Plättchen, vermehrte Expression von P-Selektin, höhere Oberflächendichte an GPIIb/IIIa-Rezeptoren ● Beeinträchtigte Monozytenreaktion auf VEGF-A (vascular endothelial growth factor-A), verminderte Bildung von Kollateralen im Myokard (Kollateralbildung abhängig von einer intakten Monozytenfunktion) ● Erhöhte Herzfrequenz unter Ruhebedingungen, erniedrigte Herzfrequenzvariabilität ● Häufiger Vorderwandinfarkte, Vorderwandruptur, kardiogener Schock ● Doppeltes Risiko eines wiederkehrenden Myokardinfarkts bei Frauen mit Diabetes mellitus vs. normoglykämischen Frauen und Männern mit Diabetes Insgesamt erklären die Besonderheiten bei Patienten mit Diabetes mellitus, vor allem unter Berücksichtigung der Komorbidität bei metabolischem Syndrom, den ungünstigen Verlauf von akuten Myokardinfarkten und bilden zugleich die Rationale für einen intensivierten multimodalen Therapieansatz. 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