Hans Garten Lehrbuch Applied Kinesiology Reading excerpt Lehrbuch Applied Kinesiology of Hans Garten Publisher: Elsevier Urban&Fischer Verlag http://www.narayana-verlag.com/b11531 In the Narayana webshop you can find all english books on homeopathy, alternative medicine and a healthy life. Copying excerpts is not permitted. Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, D-79400 Kandern, Germany Tel. +49 7626 9749 700 Email [email protected] http://www.narayana-verlag.com 2. 2.1. Manuelle Muskeltestung die neuromuskuläre Spindelzelle kontrolliert und eine angemessene Umsetzung der Afferenz, die dem Zentralnervensystem von der Spindelzelle zugeht. Der manuelle Muskeltest ist so zu beschreiben, dass der Untersucher den Patienten auffordert, dem Testdruck des Untersuchers zu widerstehen. Wenn der Untersucher seinen Testdruck ausübt, wird ein „Sperren" des Muskels wahrgenommen. Wenn dieses Sperren auftritt, erhöht der Untersucher den Testdruck minimal über die isometrische Kontraktion des Patienten hinaus und führt so den Muskel in eine exzentrische Kontraktion über. D. h., der Muskel wird durch den Testdruck verlängert, während der Patient weiterhin versucht, dies zu verhindern. Es scheint bei dieser Art des Tests der entscheidende Faktor zu sein, ob das Nervensystem des Patienten den Muskel so steuern kann, dass er an die Veränderungen des Testdrucks angepasst werden kann und gegen diesen sperren kann." Allgemeine Vorbemerkungen Der manuelle Muskeltest soll hier so beschrieben werden, wie er in der Applied Kinesiology angewandt wird, da die Verwendung dort dem Konzept einer funktioneilen manuellen Medizin und darüber hinaus einer ganzheitlichen Diagnostik und Therapie im Sinne der „Triad of Health" (s. Kap. 1.4.) voll und ganz entspricht. Da die manuellen Muskeltests der Applied Kinesiology von GOODHEART und anderen jedoch vom manuellen Muskeltest nach KENDALL abgeleitet sind, soll zunächst eine vergleichende Betrachtung des Themas erfolgen, zumal das Buch von KENDALL & KENDALL (1983) gerade in der Beschreibung der Grundlagen des manuellen Muskeltests interessante Details vermittelt. Die erste Beschreibung dieser manuellen Muskeltests durch KENDALL & KENDALL geht auf das Jahr 1952 (KENDALL: Functional Muscle testing) zurück. Das Ehepaar KENDALL verweist im Vorwort zur ersten Auflage ihres Buches auf Dr. ROBERT LOVETT als Referenz für die Erstbeschreibung der heute gebräuchlichen Muskeltests. LOVETT veröffentlichte 1916 „Methodof Muscle Testing" (in KENDALL, 1983). Es geht beim Muskeltest in der Applied Kinesiology also keineswegs um die absolut entwickelte Kraft, sondern um die Adaptations- und Reaktionsfähigkeit des Muskels, d. h., um die Überprüfung der normalen Funktionsfähigkeit der sensomotorischen Einheit (s. Kap. 12.2). Um weiter WALTHER (1988) zu zitieren: & KENDALL entwickelten den manuellen Muskeltest zur Befunderhebung und Verlaufskontrolle bei der Behandlung von neuromuskulären Störungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch andere Autoren verfolgten dieses Konzept (COLE, 1988.JANDA, 1994, DANIELS u. WORTHINGHAM, 1986). KENDALL „In der Applied Kinesiology werden die Ergebnisse des manuellen Muskeltests als .Stärke' und .Schwäche' von Muskeln beschrieben. Der Begriff Schwäche impliziert, dass der Muskel unfähig ist, Kraft zu entwickeln. Unterschiedliche Arten von Muskelkrafttestung belegen, dass dies in einigen Fällen richtig ist, in anderen falsch. Die manuelle Muskeltestung, wie sie in der Applied Kinesiology praktiziert wird, erfordert die Kontraktion des getesteten Muskels gegen den Testdruck des Untersuchers. Der Untersucher erhöht den Testdruck, bis der Muskel von isometrischer in exzentrische Kontraktion übergeht. Eine exzentrische Kontraktion ist gekennzeichnet durch Kraftentwicklung des Muskels bei gleichzeitiger Verlängerung, da die Gegenkraft stärker ist als diejenige, die vom Muskel aufgebracht wird. Daher wird tatsächlich in der manuellen Muskeltestung der Applied Kinesiology die Fähigkeit eines Muskels, gegen den Testdruck zu .sperren', bestimmt. Wenn der Muskel eine schlechte Fähigkeit zu .sperren' hat, wird er vom Untersucher als schwach wahrgenommen. Daher wurde der Terminus .schwacher Muskel' in der Applied Kinesiology eingeführt. Manchmal ist der Muskel tatsächlich schwach; andere Testmethoden zeigen jedoch, dass der Muskel oft die Möglichkeit hat, normale Stärke zu entwickeln..." BeimTest nach KENDALL wird die Fähigkeit des Muskels bewertet, gegen die Schwerkraft und gegen den Widerstand eines Untersuchers Kraft zu entwickeln. Dabei wird die Muskelkraft in Prozent vom Normalen bewertet. 100% ist die Fähigkeit, die Testposition gegen die Schwerkraft und maximalen Druck zu halten. Das Problematische dieser Bewertung ist augenscheinlich die Definition von „normal". KENDALL& KENDALL beziehen die Normalwerte auf die Norm Erwachsener. Das führt dazu, festzustellen, dass nach diesem Bezugssystem die ventralen Halsmuskeln bei einem dreijährigen Kind einen Wert von ca. 30%, bei einem fünfjährigen Kind einen Wert von ca. 50% erreichen, um im Alter von 10 bis 12 Jahren allmählich auf den Normwert von 100% anzusteigen (KENDALL, 1983). Im Gegensatz dazu ist für den manuellen Muskeltest in der Applied Kinesiology nicht die absolute Kraft das entscheidende Kriterium, sondern es handelt sich um eine Prüfung der normalen Funktion der neuromuskulären Rückkoppelung bzw. der Adaptationsfähigkeit des neuromuskulären Systems. Schon in der ersten Auflage der „Synopsis" schreibt WALTHER (1988): „Beim manuellen Muskeltest muss sich der Muskel an den sich verändernden Testdruck des Untersuchers anpassen. Dies erfordert effektive Funktion des Gammasystems, welches Ein Muskel, dessen Kontraktion nicht adäquat an die äußeren Erfordernisse angepasst werden kann, unterliegt meist inhibitorischen nozizeptiven Afferenzen. Diese störenden Impulse führen dazu, dass der Muskel die Fähigkeit verliert, zu „sperren". 13 Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 2. Manuelle Muskeltestung Die Klassifikation von .schwachen' und .starken' Muskeln ist in diesem Buch konsequenterweise verlassen worden, zumal eine dritte Qualität zu differenzieren ist: Der nicht inhibierbare Muskel (s. Kap. 2.3). In der Folge wird der Versuch unternommen, Erklärungsmodelle für die Muskeltestreaktionen zu liefern (s. u.). 2.2. Manueller Muskeltest in der Applied Kinesiology (AK) Definition Der Muskeltest der Applied Kinesiology ist ein vom Patienten gestarteter isometrischer Muskeltest, der für jeden Muskel in definierter Position durchgeführt wird. Diese ergibt sich daraus, dass der getestete Muskel gegenüber seinen Synergisten im Vorteil sein muss. Der diagnostische Testdruck wird bei Erreichen der Maximalkraft des Patienten ausgeübt. Er führt die isometrische Kontraktion in eine exzentrische über. Der Patient muss die Möglichkeit haben, seine Maximalkraft zu erreichen. Der Untersucher darf diese nur zeitgerecht und um ein minimales Maß beim Erbringen des diagnostischen Testdrucks überschreiten. Jeder Test bei nicht maximaler Kraft des Patienten ist nicht reproduzierbar. Der gesamte Test sollte nicht länger als drei Sekunden dauern, da die maximale isometrische Kraft nicht länger ohne Ermüdung gehalten werden kann. Ein Muskel, der der zunehmenden Kraft des Untersuchers widerstehen kann, d.h., die Testposition auch bei Ausübung der minimalen zusätzlichen Kraft des Untersuchers halten kann, wird als „stark" wahrgenommen. Ein Muskel, der zu irgendeinem Zeitpunkt bis zum Erreichen der potenziellen maximalen isometrischen Kontraktion oder nach Erreichen der maximalen isometrischen Kontraktion bei Ausübung des geringen zusätzlichen Testdrucks durch den Untersucher die Testposition nicht halten kann, wird als „schwach" wahrgenommen. Bedingungen, Fehlerquellen und Vorsichtsmaßnahmen des Muskeltests „Isolierung" des Hauptagonisten Die manuelle Muskeltestung verlangt ein umfassendes und detailliertes Wissen der Muskelfunktionen, d.h., die Kenntnis der Mechanik der Gelenke, die durch den Muskel bewegt werden, über Ursprung und Ansatz, über Synergisten und Antagonisten. Praktisch jede Bewegung wird durch einen Hauptagonisten und Synergisten desselben ausgeführt. Beim manuellen Muskeltest geht es darum, durch Positionierung des Körperteils, der vom Muskel bewegt wird, sowie Optimierung der Kontraktionsfähigkeit des Muskels durch optimale Wirklänge, den zu testenden Muskel von seinen Synergisten zu „isolieren" (s. auch Kap. 12.2.). Durchführung Die Extremität oder der Körperteil, der von dem zu testenden Muskel bewegt wird, wird in eine definierte Ausgangsposition gebracht, die in der Regel Ursprung und Ansatz des Muskels so weit annähert, dass dieser sich in einer Position maximalen Wirkungsgrades befindet (s. Kap. 12.2). Die Ausgangspositionen der einzelnen Muskeltests gehen meist auf KENDALL & KENDALL (1949) zurück, teilweise sind sie von Mitentwicklern der Applied Kinesiology beschrieben worden (BEARDALL, 1980,1985 und andere). Der Untersucher nimmt mit seiner Hand weichen Kontakt zum distalen Ende des Körperteils auf. Punktueller Kontakt besonders zu knöchernen Vorsprüngen muss vermieden werden, um zu verhindern, dass beim Test Schmerz ausgelöst wird. Dem Patienten wird die Richtung erklärt, in der er den Körperteil mit maximaler Kraft gegen den gehaltenen Widerstand des Untersuchers drücken oder ziehen soll (Abb. 2.1). Der Untersucher passt seinen gehaltenen Widerstand der kontinuierlich zunehmenden Kraft des Patienten an und hält den Test damit isometrisch. Wenn er spürt, dass keine weitere Kraftzunahme erfolgt, d. h. der Patient seine maximale isometrische Kraft erreicht hat, erhöht der Untersucher allmählich während einer Zeit von maximal einer Sekunde seinen Druck geringfügig, was die isometrische Kontraktion in eine exzentrische (s. Kap. 12.2) überführt, wobei die Verlängerung des getesteten Muskels zu einer Gelenkbewegung von wenigen Grad führen soll. Der Druckvektor des Untersuchers muss genau der Tangente an den Kreisbogen folgen, den der Körperteil bei Kontraktion des Muskels beschreibt. Testvektor Dies geschieht in erster Linie dadurch, dass Ursprung und Ansatz des Muskels so eingestellt werden, dass der Testdruck genau senkrecht zum Hauptfaserverlauf des Muskels und entlang des Kreisbogens verläuft, der vom Abb. 2.1: Test des M. deltoideus: Vektor der Kontraktion, Vektor des Gegendrucks Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 2. Manuelle Muskeltestung distalen Anteil der Extremität, die vom Muskel bewegt wird, beschrieben wird. Da kein zweiter Muskel denselben maximalen Wirkvektor hat, wird hiermit eine Bevorzugung des getesteten Muskels erzielt. Der Testvektor wird durch den Kontakt der flachen Hand bestimmt, d. h. nie die Extremität umfassen. Der Auflagewinkel der Hand ist ein klares sensorisches Signal, das auch durch ein verbales Kommando wie „schräg nach oben", „zum Körper und etwas nach hinten" etc. niemals adäquat ersetzt werden kann. trem verschlechtert wird. Dies ist damit zu begründen, dass zweigelenkige Muskeln wie die Ischiokruralen und auch die Fingerflexoren nicht in der Lage sind, sich genügend zu verkürzen, um bei Ausschöpfung des Bewegungsausmaßes beider Gelenke effizient zu kontrahieren (aktive Insuffizienz, O'CONNELL u. GARDNER, 1972). Kontrolle der Testposition Der Körperteil, der vom zu testenden Muskel bewegt wird, muss vom Untersucher in die genau definierte Ausgangsposition gebracht werden, soweit dies immer Beispiel Der M. psoas ist Hauptflexor der Hüfte und wird in 30° Abduktion, 45° Flexion und maximaler Außenrotation der Hüfte getestet, was diesen Muskel gegenüber dem zweiten Hauptflexor M. rectus femoris in Vorteil bringt, der seinen maximalen Wirkungsgrad bei 90° Flexion in der Hüfte, 0° Abduktion und 0° Rotation hat (Abb. 2.2 und 2.3). Einstellung der optimalen Wirklänge Um die Funktion eines eingelenkigen Muskels von der eines mehrgelenkigen abzugrenzen, wird der mehrgelenkige Muskel in eine Stellung gebracht, die seine Kontraktionsfähigkeit erschwert. Am Beispiel hierfür ist die Testung des M. glutaeus maximus als Extensor der Hüfte (Abb. 2.4). Die kräftigen Synergisten mediale und laterale Hamstrings (ischiokrurale Muskulatur) werden durch Flexion im Kniegelenk aus dem Test herausgenommen, da durch die damit erreichte maximale Verkürzung der Wirkungsgrad dieser Muskelgruppe ex- Abb. 2.3: Test des M. rectus femoris im Sitzen l Abb. 2.2: Testung des M. psoas im Sitzen Abb. 2.4: Testung des M. gluteus maximus Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 2. Manuelle Muskeltestung möglich ist. Eine Ausnahme stellen Situationen dar, in denen durch muskuläre oder kapsuläre Einschränkungen der Gelenkfunktion das Einnehmen einer standardisierten Ausgangsposition nicht möglich ist. In dieser Situation muss ein annähernder Test durchgeführt werden und das Ergebnis entsprechend der Kenntnis der Funktion der Synergisten extrapoliert werden. Von einem Test zum nächsten darf die Position nicht verändert oder nur kontrolliert verändert werden, wenn der Einfluss einer bestimmten Körperposition auf die Muskelfunktion untersucht werden soll („Challenge" oder diagnostische Provokation, s. Kap. 3). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass bei bestimmten Fragestellungen spezifische Körperpositionen eingenommen werden müssen, die vom Standard abweichen, dass hierbei aber ganz besonders die Anatomie von Ursprung und Ansatz sowie der Wirkvektor der einzelnen Muskeln berücksichtigt werden muss. Sicherstellung der Stabilisierung Der Patient muss während des Muskeltests optimal stabilisiert werden, d. h. durch die Schwerkraft auf der Liege liegend, die Abstützung durch den Untersucher bzw. durch eine Stuhllehne oder dergleichen, da ansonsten während des Testens zu viele Muskeln zur Körperstabilisierung rekrutiert werden müssen. Ein Patient, der unbewusst das Gefühl hat, durch den Testdruck „vom Tisch zu fallen" oder „umgeschmissen zu werden" wird natürlich nicht die Bedingung erfüllen, seine maximale Kraft aufzubringen. Verhinderung von Rekrutierungen Bei Muskeldysfunktion im Sinne einer funktionellen Schwäche werden von dem Patienten unbewusst Ausweichbewegungen ausgeführt, die zu einer Abweichung vom optimalen Wirkvektor des zu testenden Muskels führen und den Wirkungsgrad synergistischer Muskeln verbessern. Beispielsweise wird bei einem funktionell schwachen Deltoideus vom Patienten im Sitzen gerne der Oberkörper zur Gegenseite des Tests geneigt, um damit einen verbesserten Wirkungsgrad des synergistischen M. supraspinatus, der bis 30° (Abb. 2.5) Abduktion der Hauptagonist ist, zu erreichen. Dasselbe geschieht bei Testung des M. glutaeus medius in Rückenlage: Wenn dieser funktioneil schwach ist, wird die kontralaterale Beckenseite angehoben, d. h. eine Innenrotation der getesteten Hüfte ausgeführt, welche den synergistischen M. tensor fasciae latae zu einem besseren Wirkungsgrad verhilft. Alle Ausweichbewegungen müssen durch entsprechende Stabilisierung des Patienten verhindert werden (Abb. 2.6). Zu den Rekrutierungen gehört auch das Abwinkein einer Extremität, die beim Test eigentlich gestreckt gehalten werden muss: Beispiele sind der Test des Latissimus dorsi, wo bei Schwäche der Bizeps rekrutiert wird, oder des M. pectoralis major, wo ebenfalls der Ellenbogen bei Schwäche gebeugt wird (Abb. 2.7). In diesen Fällen ist der Test nach erneuter Aufforderung des Patienten zu wiederholen. Bei der Beschreibung der einzelnen Muskeltests in Kap. 11. wird gesondert hierauf hingewiesen. Abb. 2.5: Rekrutierung beim Test des M. deltoideus durch Seitabweichung Abb. 2.6: Rekrutierung bei Test des M. glutaeus medius durch Beckenrotation Das „Timing" Am Beispiel des rechten Deltoideus: Nachdem der rechte Arm vom Behandler im Ellenbogen flektiert 90° abduziert in die richtige Ausgangsposition gebracht wurde, dort gehalten wurde und dem Patienten erklärt wur- Abb. 2.7: Leichte Beugung des Ellenbogens beim PectoralisTest führt zu Testverfälschung Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie (H. Garten) 10.1. stellt, die miteinander zusammenarbeiten und für eine optimale Gesamtfunktion sorgen. Wenn alle Funktionsaspekte, die mit einem Muskel assoziiert sind, vollständig untersucht werden, wird deutlich, dass der Muskel durch alle Systeme beeinflusst wird. Solche systemischen Einflüsse wurden in Kapitel 6 angerissen in GARTEN und Weiss (2007) ausführlich dargestellt. Allgemeines Die Applied Kinesiology wurde als primär manualmedizinische Methode entwickelt. Dies entspricht ihrem Ursprung im Berufsstand der Chiropraktoren. 1965 war das eigentlich Neue am Vorgehen von GEORGE GOODHEART, dass er sich die Frage stellte, mit welchen Mitteln die Funktion eines Muskels, der als funktionell schwach imponiert, verbessert werden kann. Hierzu gehört das Konzept, dass bei der Ausbildung von osteomuskulären Funktionsstörungen der inhibierte, funktionsgestörte Muskel die primäre Störung darstellt und der Hypertonus bzw. die Verkürzung ein Folgezustand der Antagonisten ist. Folglich hat sich nach diesem Konzept die primäre therapeutische Bemühung nicht auf den hypertonen bzw. verkürzten Muskel zu richten (durch Dehnung, Entspannung usw.). Vielmehr muss der Versuch gemacht werden, den inhibierten Muskel in seiner Funktion zu normalisieren. In der klinischen Praxis wird tatsächlich beides notwendig sein: Normalisierung der durch manuelle Testung definierten hyporeaktiven Muskeln und Entspannung, Dehnung und myofasziale Behandlung hypertoner Strukturen ergänzen sich entsprechend Indikation. Der Gegenstand dieses Buches ist es naturgemäß primär, die spezifischen Techniken der Applied Kinesiology zur „Stärkung" eines „schwachen" Muskels darzustellen. Die Techniken zur Entspannung und Dehnung von hypertonen, verkürzten Muskeln werden jedoch integrativ dargestellt und können in aller Ausführlichkeit in vielen anderen Büchern nachgelesen werden. Grundsätzlich kann man die möglichen Ursachen für Muskelfunktionsstörungen in „intramuskuläre Ursachen" und „extramuskuläre Ursachen" untergliedern, wie weiter vorn bereits angedeutet wurde (s. auch Abb. 4.1). l Extramuskuläre Ursachen für Muskeldysfunktion Die extramuskulären Ursachen sind alle diejenigen, die von außerhalb der anatomischen Einheit des Muskels und seiner Sehnenansätze auf den Muskel einwirken. • Systemische Ursachen Diese betreffen die chemische Seite und die emotionale Seite der Triad of Health (s. Kap. 6): Herd- und Störfeldbelastungen, Injury-Muster Allergischtoxische Belastungen inkl. Dysbiosen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes Emotionaler Stress Störungen der neurologischen Integration (s. Kap. 12). • Die sieben Faktoren des viszerosomatischen Sys tems Dies sind spezifische, dem Muskel zugeordnete extramuskuläre Faktoren, die in systematischer und vorhersehbarer Art die Muskelfunktion beeinflussen. Hierzu gehören: 1. Vertebrale Läsion assoziiertes motorisches Segment assoziiertes viszeroparietales Segment 2. Assoziierter Neurolymphatische Reflexzonen 3. Assoziierter Neurovaskuläre Reflexzonen 4. Spannungen der Dura mater/Störungen der Zirku lation des Liquor cerebrospinalis 5. Assoziierte Akupunktur-Leitbahn 6. Assoziiertes Organ 7. Assoziierter Nährstofffaktor Über die im vorhergehenden Absatz geschilderten manualmedizinischen Aspekte hinaus hat sich die Applied Kinesiology zu einem allgemeinmedizinisch diagnostischen und therapeutischen Werkzeug entwickelt. Es steht dann nicht mehr primär die Funktion des getesteten Muskels für die Bewegung und Stabilisierung von knöchernen Strukturen im Vordergrund, sondern der Muskel auf Grund seiner Funktionsbeziehungen zu Organen. Für Stoffwechselvorgänge und andere Körperfunktionen kann der Muskel sozusagen als äußerer Indikator innerer Prozesse verwendet werden. Das Verständnis für die tatsächliche Natur der Beziehungen zwischen physiologischen Prozessen und anatomischen Strukturen des menschlichen Körpers hat nicht nur in den etablierten Kenntnissen der Neurologie, Anatomie und Physiologie ihre Quellen, sondern muss auch in den Bereichen der Quantenphysik und verwandter Theorien aus der biologischen Medizin (PISCHINGER, NORDENSTROEM et al., siehe Kap. 3) gesucht werden. Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass der Muskeltest nur eine von verschiedenen Möglichkeiten des Zugangs zu dem Netzwerk von Strukturen und Systemen dar- • Rezeptorstörungen an den vom Muskel bewegten Gelenken • Spondylogenes Reflexgeschehen • Weitere Reflexbeziehungen Hautrezeptoren Kraniale Stressrezeptoren Fuß- und Hand-Reflexe 211 Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie l Intramuskuläre Ursachen für Muskeldysfunktion 10.2. Extramuskuläre Ursachen für muskuläre Funktionsstörungen Unter intramuskulären Ursachen kann man sämtliche Störungen der Struktur des Muskelsehnenapparates sowie der propriozeptiven Funktionen des Muskels subsummieren, ebenso wie Störungen des eigentlichen Muskelstoffwechsels. Im Einzelnen müssen folgende Störungen und therapeutische Techniken beachtet werden: • Muskel-Propriozeptoren-Störungen Golgi-Sehnenapparat: Ursprungs- und Ansatz-Tendinosen. Therapeutisch: Origin-Insertion-Technique Muskel-Spindel (inkl. „reaktive Muster") • Strain-Counterstrain-Läsion Rib-Pump-Technique • Myofasziale Störungen, muskulärer Hypertonus Trigger-Punkte und Faszienstörungen Myofasziale Gelose • Aerobe/anaerobe Dysfunktion • Repeated Muscle Activation Patient Induced (RMAPI) Beispiel orthopädische Anwendung Bei einer orthopädischen Erkrankung, wie einem Schulter-Arm-Syndrom, werden sämtliche Muskeln der Schulter getestet. Wenn der Pectoralis major sternalis hyporeaktiv ist, stellt er eine reproduzierbare Dysfunktionskomponente dieses Beschwerdebildes dar. Dann stellt sich primär die Frage, „was hilft dem Muskel": Die sieben Faktoren des viszerosomatischen Systems sind sämtliche zu testen und dann zu behandeln. Die in der Osteopathie bekannte Tatsache, dass Leberdysfunktionen zu Schulterbeschwerden führen können, findet hier ein testbares Korrelat. Daneben werden sämtliche „intramuskulären" Ursachen behandelt. Diese sind vor allem bei Sportverletzungen regelmäßig zu finden. Beispiel internistische Anwendung Die Funktionsbeziehungen können auch diagnostisch genutzt werden. So kann bei einer primär internistisch orientierten Behandlung z.B. zur Funktionsdiagnostik der Leber über die Erhebung von Laborbefunden hinaus die Testung des assoziierten M. pectoralis major sternalis (PMS) benutzt werden, dessen mögliche Dysfunktion mit der Leberdysfunktion korreliert. Die Korrektur der Wirbelsäulensegmente, die in viszerosomatischer Reflexbeziehung zur Leber stehen (Th 8 und andere) sowie die Behandlung kutaner Reflexzonen, die im viszerosomatischen Segment liegen (Neurolymphatische Reflexe, s.u.) werden die Leberfunktion verbessern. Ausgehend von der Dysreaktion des PMS können sehr spezifisch Lebertherapeutika getestet werden: Führen diese bei oraler Testung zur Normoreaktion des PMS, so ist vorhersehbar, dass das Mittel „nicht nur dem Muskel nutzt", sondern vor allem auch der Leber. Die Strategie bei der Anwendung der einzelnen Techniken wird am Ende dieses Kapitels zusammengefasst (Kap. 10.4). Muskeln haben Funktionsbeziehungen zu weiteren Strukturen, die demselben „Segment" angehören. Der Begriff Segment ist in diesem Zusammenhang nicht als eine strenge anatomische Struktur anzusehen, sondern eher als eine Gruppe von anatomischen Entitäten, die miteinander in funktionellem Bezug stehen und ein „funktionelles Segment" oder ein „Funktionssystem" bilden. Die genannten Funktionsbeziehungen wurden in den Anfangsjahren der Applied Kinesiology von GOODHEART zum großen Teil durch systematische Untersuchungsreihen empirisch gefunden und untermauert. Die Faktoren segmentaler Nerv (motorisch und sympathisch), Neurolymphatischer Reflex, Neurovaskulärer Reflex, Dura mater und Akupunktur-Leitbahn wurden von GOODHEART als die „Fünf Faktoren des Intervertebralforamens" (WALTHER, 1981) bezeichnet. Angesichts der Tatsache, dass in den Anfangsjahren der Applied Kinesiology die meisten Anwender der Methode Chiropraktoren waren, ergab sich eine verständliche Tendenz, die Muskeltestbefunde mit der Wirbelsäulenmechanik und ihrer Neurologie in Verbindung zu bringen und die Nomenklatur entsprechend zu wählen. Dies entsprach der traditionellen chiropraktischen Vorstellung des „Nerve impingement" (PALMER, 1910) am Foramen intervertebrale (Abb. 10.2). Daneben gibt es, wie bereits erwähnt, zusätzliche Reflexmechanismen, die den Muskel von außerhalb seiner anatomischen Strukturen beeinflussen. 10.2.1. Die sieben Faktoren des viszerosomatischen Systems (Abb. 10.1. bis 10.3) 10.2.1.1. Störungen der segmentalen Innervation des Muskels Störung des motorischen Segments Die vertebrale Läsion ist sicher die bedeutendste Funktionsstörung, die zu muskulärer Dysfunktion führt. In Kap. 7.3.6. wurden verschiedene Modelle zum Charakter einer vertebralen Läsion und ihren Auswirkungen beschrieben. Danach liegt es nahe, dass ein Muskel, der seine motorische Innervation aus einem gestörten Wirbelsäulensegment erhält, eine Funktionsstörung aufweist. Diese Funktionsstörung imponiert praktisch immer als funktionelle Schwäche, d. h. als Hyporeaktion im manuellen Muskeltest. Dies steht nicht im Widerspruch zum palpatorisch feststellbaren Hypertonus der autochthonen (intrinsischen) Wirbelsäulenmuskulatur (s.u.), deren Ursprung bzw. unterhaltender Mechanismus ebenfalls die Nozireaktion im Segment sein dürfte. Auch schmerzhafte hypertone Reaktionen der langen, willkürlich innervierbaren Muskulatur und das spondylogene Reflexgeschehen mit seinem Hypertonus widersprechen dieser Erfahrung nicht, da zwischen muskulärer Hyporeaktion im manuellen Test der Applied Kinesiology und einem neuromuskulären Hypertonus zu unterscheiden ist (s. Kap. 2). Ein typischer Befund ist der schmerzhaft verspannte M. levator scapulae bei Funktionsstörungen der Segmente C l bis C4. Dieser Muskel bildet bei Persistieren Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldy Abb. 10.2: Die Fünf Faktoren des Intervertebralforamens nach GOODHEART: Segmentaler Nerv (motorische, ventrale und sensible, dorsale Wurzel) sowie Spinalganglion, begleitende Arterie und Vene, Dura-Ausstülpung. Lymphgefäße sind nicht gezeichnet. Der Assoziationspunkt (Zustimmungspunkt, Rücken-Shu-Punkt) der Akupunkturleitbahnen liegt in der Nähe des Foramens (s. Abb. 9.22). Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie dem viszeroparietalen oder viszerosomatischen Segment des Organs (der Ebene des sympathischen Grenzstranges). Im Beispiel ist die Lunge auf der Höhe Th3 mit dem sympathischen Grenzstrang verbunden, die Leber auf der Höhe Th 8. Benachbarte Segmente sind meist mit betroffen. Diese Beziehungen wurden von REES (in WALTHER, 2000) beschrieben, der die sog. Temporosphenoidal-Linie (TS-Line) als Korrelat von viszeraler Dysfunktion und vertebraler Dysfunktion beschrieb. GOODHEART stellte die Zusammenhänge zwischen Organdysfunktion und Muskeldysfunktion her, sodass die TSLine als Korrelat einer Muskeldysfunktion und vertebraler Dysfunktion uminterpretiert wurde (Abb. 10.3). der segmentalen Irritation häufig ein myofasziales Syndrom mit Triggerpunkten aus und ist beim Testen entsprechend schmerzhaft. Allein die Schmerzhaftigkeit macht anschaulich, warum eine segmentale Funktionsstörung bevorzugt mit Hyporeaktion (funktionelle Schwäche) des Muskels im Test assoziiert sein dürfte. Sollte ein Muskel, der segmental einer vertebralen Läsion zugeordnet ist, hyperreaktiv testen, so ist eine nicht strukturelle Stresskomponente zu vermuten, beispielsweise chemischer Stress, manchmal emotionaler Stress. Neben der mechanischen Störung durch Nozizeption auf der Ebene der motorischen Wurzel kann die Funktionsstörung des peripheren Muskels durch lymphatische Kongestion, zirkulatorische Störungen, Dysbalancen der Akupunktur-Leitbahn oder seine somatoviszeralen Bezüge und Nährstoffdysbalancen verursacht sein. Diese Effekte überlagern sich gegenseitig, sodass eine muskuläre Hyperreaktion auch bei vertebraler Läsion als Hauptursache auftreten kann. Praktische Anwendung der TS-Linie Der Patient liegt auf dem Rücken und der Untersucher palpiert mit kreisender, relativ fester Massage mit den Kuppen der Mittelfinger an beiden Schläfen des Patienten vergleichend die Punkte, wo eine TS-Linien-Reaktionsstelle zu vermuten wäre. Diese ist empfindlich bis schmerzhaft und etwa reiskorngrofs'. Wenn eine solche Stelle gefunden wurde, wird der vermutlich dazu assoziierte Muskel getestet. Ist dieser hyporeaktiv, führt der Patient eine Therapielokalisation zur Reaktionsstelle durch. Wenn diese mit der Muskeldysreaktion zusammenhängt, wird der Muskel bei TL normoreaktiv. Nach GOODHEART wird die TS-Line nur diagnostisch verwendet, um ein gestörtes Segment bzw. einen gestörten Muskel zu finden, eine Therapie dieser Punkte entsprechend Störung des viszeroparietalen Segments Wie in Kap. 9 und 12 beschrieben wird, kann es bei Organläsionen zu viszerosomatischen Begleitreaktionen an den zugeordneten Wirbelsegmenten kommen, die sich mittelbar auf die dem Organ assoziierten Muskeln im Sinne eine Dysfunktion auswirken können. Die vertebrale Läsionsebene entspricht in diesen Fällen jeweils 214 Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie tung, denn der Vektor des positiven Challenge ist genau entgegengesetzt dem Summenvektor der maximalen muskulären Spannung gerichtet, die die Läsion verursacht. Selbstverständlich sind hypomobile Funktionsstörungen in allen Richtungen des Raumes möglich und müssen entsprechend diagnostisch provoziert werden. Eine wichtige Hilfe für die Wahl des Challenge-Vektors ist die Palpation. Meist sind es paraspinöse Irritationszonen, die den hypertonen intrinsischen Muskeln entsprechen. Im Fall von Brust und Lendenwirbeln sowie Halswirbeln, deren Dornfortsatz leicht erreichbar sind, nimmt man am besten Kontakt zum Dornfortsatz. An der Halswirbelsäule ist auch ein Kontakt am Proc. mamillaris, d. h. an der Facette praktikabel. Bei anterioren Läsionen ist speziell der Dornfortsatz bei p. a.-Schub schmerzhaft. Für die Visualisierung der Schubrichtung in Bezug auf das mögliche muskuläre Korrelat wird die Anatomie der intrinsischen Muskulatur hier rekapituliert (Abb. 10.4 bis 10.8). der Yamamoto-Schädelakupunktur ist jedoch effektiv zur Korrektur vertebraler Läsionen und assoziierter Muskeldysfunktionen (s. Abs. 10.2.1.5). Zusammenfassend muss also als Ursache für eine muskuläre Dysfunktion jeweils die Wirbelebene der motorischen Wurzel(n) des Muskels sowie seiner assoziierten vegetativen Segmente des viszerosomatischen Reflexgeschehens (sofern vorhanden) untersucht werden. Vertebraler Challenge (GOODHEART, 1972; WALTHER, 1981, 2000; LEAF, 1996) 1972 wurde von GOODHEART der vertebrale Challenge beschrieben. Dabei handelte es sich um einen Probeschub an einem Wirbel mit dem jeweilig notwendigen bzw. praktikablen Kontakt in verschiedenen Richtungen. Am Ende des Schubs wird der Kontakt losgelassen, es handelt sich also um einen nicht gehaltenen Challenge. Bei Druck in einer und nur einer spezifischen Richtung und anschließendem Loslassen kommt es zur Reaktionsänderung eines vorher normoreaktiven Indikatormuskels. Als Erklärung für dieses Phänomen kann die KoRR'sche Hypothese der vertebralen Läsion herangezogen werden, nach der ein Muskel oder Muskelgruppe der intrinsischen Muskulatur der Wirbelsäule hyperton ist und damit den Wirbel in einer Richtung, die der Zugrichtung des Muskels (der Muskelgruppe) entspricht, hält. Die entsprechenden Antagonisten sind hypoton. Bei Kontakt und Schub in Richtung des positiven Challenge wird auch das Barrierephänomen gespürt, welches durch die verspannten Muskeln verursacht wird. Wird nun diese hypertone Muskelgruppe durch den Probeschub gedehnt und anschließend der Kontakt losgelassen, so kommt es zu einem Rückschnellen des Muskels in die Ausgangsposition und durch die vermehrte Spannung des intrinsischen Muskels (der Muskelgruppe) zu einer kurzfristigen Verstärkung der Läsion, zu einer Nozireaktion und in der Folge zu einer Dysreaktion des Indikatormuskels. Es versteht sich von selbst, dass die Richtung des positiven Challenge gleichzusetzen ist mit der Korrekturrich- Prinzipiell ist es auch möglich, einen gehaltenen Challenge auszuführen: Dabei wird der Wirbel in Korrekturrichtung gehalten, während ein Muskel, der durch die vertebrale Läsion funktionsgestört ist (beispielsweise ein hyporeaktiver M. deltoideus bei Läsion C 5/6) getestet wird. Während der Wirbel in die optimale Korrekturrichtung gehalten wird, testet dieser assoziierte Muskel normoreaktiv. FUCHS (mündl. Mitteilung) berichtet, dass bei anteriorer Facette ausschließlich der gehaltene Challenge positiv sein kann. Bei einem Palpationsund Funktionsbefund, der auf eine vertebrale Läsion hinweist, ist also dann bei negativem nicht gehaltenen Challenge ein gehaltener zu prüfen. Erklärungsmodell des vertebralen Challenge (WALTHER, 1981) Die Wirbelsäulensegmente unterliegen fortgesetzt funktionellen mechanischen Dysbalancen, die sich jedoch selbst korrigieren. Die autochthone Wirbelsäulenmuskulatur, die nicht willkürlich steuerbar ist (s. Kap. 12.) hat also eine korrektive Funktion. Bleibt die Selbstkorrektur aus, dann muss der Hintergrund eine muskuläre Balance-Störung sein, wie sie klinisch regelmäßig gefunden wird. Schon 1941 fanden DENSLOW und Abb. 10.5: Mm. rotatores longi Abb. 10.4: Mm. rotatores breves 215 Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 10. Muskeldysfunktion und ihre Therapie gestörten Segment mithilfe eines speziellen Druckstempels und fanden, dass die Erregungsschwelle für vermehrte elektromyographische Aktivität an den gestörten Segmenten signifikant niedriger lag als in ungestörten Segmenten. Um den Mechanismus der Hyperreflexivität zu klären, wurde die Haut der Kontaktstelle des Schuhes anästhesiert, was zu keiner Änderung der myographischen Befunde führte. Wenn das Periost des gestörten Segments anästhesiert wurde, wurde die erhöhte Reflexaktivität (Nozireaktion) eliminiert. Der vertebrale Challenge hat folgende praktische Vorzüge (WALTHER, 1981): • Er bestimmt nach funktioneilen Kriterien, welches Wirbelsäulensegment funktionsgestört ist. • Er ermöglicht, die exakte Korrekturrichtung zu be stimmen, unabhängig davon, ob die Korrektur in einer Ebene oder in mehreren erfolgen muss. • Nach Korrektur kann sofort der Erfolg (oder Misser folg) derselben überprüft werden. • Der Patient kann einfach nach oder während ver schiedener Aktivitäten, welche die Struktur belasten getestet werden: eine vertebrale Läsion ist u.U. nur im Stehen oder in einer bestimmten Arbeitshaltung relevant und auffindbar. • Posturales Fehlverhalten und andere stereotype Bewegungs- und Haltungsmuster ebenso wie der Ein fluss beispielsweise eines Fehlbisses können dem Patienten anschaulich gemacht werden. • Es kann die neurologische Konsequenz einer vertebralen Läsion, die Indikation und Kontraindikation einer manipulativen Korrektur nach neurofunktionellen Gesichtspunkten bestimmt werden. Diese Aspekte werden im Band „Chirotherapie und Osteopathie" beschrieben. Abb. 10.6: Mm. intertransversarii Abb. 10.7: Mm. interspinosi Korrektur einer vertebralen Läsion mit den Techniken der AK (Abb. 10.9) (1.) Zunächst sollte die in der Manualmedizin übliche Palpation und Funktionsprüfung durchgeführt werden: Bei der Befunderhebung sollten immer alle Untersuchungstechniken angewandt und in Korrelation gesetzt werden. (2.) Dann kann zur spezifischen AK-Diagnostik übergegangen werden: Der Patient führt mit einem Finger die Therapielokalisation an einer oberflächlich gelegenen Struktur des Wirbels durch (Dornfortsatz oder Processus articularis). Ein vorher normoreaktiver Indikatormuskel, der keine Beziehung zu dem Segment haben braucht, wird dysreaktiv. Positive Therapielokalisation sagt ausschließlich, dass sich an der berührten Region eine Abweichung von der Norm findet, nicht jedoch welcher Art diese Abweichung ist (es könnten dort auch Entzündungen, Tumoren, Triggerpunkte ect. vorliegen). Der therapielokalisierende Finger wird wieder entfernt. (3.) Zur Differenzialdiagnose wird ein Challenge durchgeführt. Da es sich am wahrscheinlichsten um eine vertebrale Läsion handelt, wird ein Probeschub am Wirbel wie oben dargestellt durchgeführt. Wiederum wird vom normoreaktiven Indikatormuskel ausgegangen. Ein x-beliebiger Muskel kann verwendet Abb. 10.8: Mm. costotransversales in elektromyographischen Untersuchungen, dass mit konzentrischen Elektroden in der reflektorisch hypertonen Muskulatur des gestörten Wirbelsäulensegments eine erhöhte elektrische Aktivität in Ruhe im Vergleich zu einer Kontrollregion gefunden werden kann. Sie induzierten Bewegungen am entsprechenden CLOUGH 216 Leseprobe von Hans Garten „Lehrbuch Applied Kinesiologie“ Herausgeber: Elsevier Urban & Fischer Leseprobe erstellt vom Narayana Verlag, 79400 Kandern, Tel: 0049 (0) 7626 974 970-0 Hans Garten Lehrbuch Applied Kinesiology 666 pages, hb publication 2011 More books on homeopathy, alternative medicine and a healthy life www.narayana-verlag.com