Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft Themeninfo Finanzierung und Risikomanagement im Agrarsektor Hintergrund Agrarfinanzierung ist eine Grund-voraussetzung für ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung. Um die enormen Potentiale von Agrarproduktion, Verarbeitung und Handel für die Erreichung dieser Ziele zu nutzen, sind Investitionen in die Modernisierung der Agrarsektoren in Entwicklungsländern nötig. So können Produktion und Produktivität gesteigert und Risiken der Preisvolatilität bei Nahrungsmitteln reduziert werden. Die mehrjährigen Aktionspläne zur Entwicklungs-zusammenarbeit der G20 bestätigen diese wichtige Rolle der Agrarfinanzierung. Wachsende Agrar- und Lebensmittelmärkte sowie eine große Dynamik im Agrarhandel eröffnen neue Chancen für Unternehmen im ländlichen Raum. Eine wachsende urbane Mittelschicht mit verändertem Konsumverhalten bietet neue Absatzmärkte für lokal produzierte Lebensmittel. Sowohl Nahrungsmittelhersteller als auch Supermärkte müssen zunehmend die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte ermöglichen und führen daher Produkt- und Prozessstandards in ihren Lieferketten ein. Aufgrund steigender Rohstoffpreise und wachsender Bedeutung der Einhaltung sozialer und ökologischer Standards, z.B. bei Kakao und Palmöl, interessieren sich Unternehmen immer mehr für direkte Geschäftsbeziehungen mit Produzentinnen und Produzenten. Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Entwicklungsländern sind klein und zum großen Teil auf Subsistenz ausgerichtet. Dennoch sind viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gut an lokale und exportorientierte Märkte angebunden, z.B. bei Rohstoffen wie Baumwolle und Kaffee. Die typischen Bedarfe an Investitionen umfassen sowohl kurzfristige Inputfinanzierung für die Vegetationsperiode (z.B. Düngemittel), als auch mittel- und langfristige Investitionen, z.B. für Bauten, landwirtschaftliche Maschinen, Transport und Lagerung. Zudem besteht großer Bedarf an Investitionen von Unternehmen und bäuerlichen Organisationen entlang der Wertschöpfungskette in den Bereichen Verarbeitung, Lagerung und Handel. Mangelhafter Zugang zu bedarfsgerechten Finanzierungsmöglichkeiten und die unzureichende Nutzung von Instrumenten des Risikomanagements hemmen diese Investitionen. Agrarfinanzierung… … beinhaltet Finanzdienstleistungen für Produzentinnen und Produzenten und andere Akteure der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, z.B. kurz-, mittelund langfristige Kredite, Leasing, Ersparnisbildung sowie Ernte- und Nutztierversicherungen. Nur ein Bruchteil der Finanzierung im Agrarsektor findet im formellen Bereich statt. Vom Aufschwung der seit den 1980ern wachsenden Mikrofinanzinstitutionen konnte die Landwirtschaft kaum profitieren. Die Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe in Entwicklungsländern haben keinen Zugang zu formellen Finanzdienstleistungen, nutzen jedoch informelle Finanzierungsinstrumente, z.B. Spareinlagen, informelle Kredite und Geldsendungen von emigrierten Familienmitgliedern. Somit nimmt die Bedeutung von Wertschöpfungskettenfinanzierung für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu. Landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten werden durch formelle oder informelle Verträge geregelt zusammen und sind gekennzeichnet von internen und externen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalströmen. Diese Geschäftsbeziehungen erleichtern den Kreditzugang, wenn Sicherheiten, wie Abnahmegarantien und Lagerempfangs-scheine, von externen Finanzinstitutionen akzeptiert werden. Außerdem generieren Wertschöpfungsketten häufig effiziente interne Finanzierungsmechanismen, z.B. in Form von Vertragsanbau. Die meisten Bäuerinnen und Bauern generieren vergleichsweise geringe Einkommen aus der Landwirtschaft. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wählen statt Anbaupflanzen mit hohem Ertrag und Risiko meist risikoarme und weniger profitable Feldfrüchte. Investitionen erfordern daher entsprechendes Risikomanagement. Einige Faktoren sind für den geringen Zugang zu Finanzdienstleistungen mitverantwortlich: (1) Die meisten landwirtschaftlichen Aktivitäten sind durch saisonale Erträge und Cashflows gekennzeichnet. Zwischen einer Anfangsinvestition und generierten Einnahmen können einige Jahre liegen. (2) In vielen Ländern ist der formale Bankensektor weder auf die Bedürfnisse von Bäuerinnen und Bauern ausgelegt, noch an diesen interessiert. Landtitel als Sicherheiten sind kaum verbreitet. Große räumliche Distanzen verursachen hohe Transportkosten für regelmäßige Besuche. Entsprechend sind längerfristige Darlehen aus kommerziellen Quellen mit hohen Zinsen aufgrund hoher Ausfallrisiken verbunden. (3) Investitionen in die landwirtschaftliche Produktion gehen mit hohen Risiken einher. Ertrags- und Einkommensverluste werden hauptsächlich von Wetter und Schädlingen verursacht. Diese Faktoren werden durch den Klimawandel und den Verlust von Biodiversität weiter verstärkt. Bäuerinnen und Bauern sichern sich gegen solche Risiken häufig durch Investitionen in Nutztiere oder soziale Abfederungsmechanismen ab. Risikomanagement in der Agrarwirtschaft besteht aus mehreren Ebenen. Eine typische landwirtschaftliche Wertschöpfungskette umfasst eine große Bandbreite an Akteuren von Inputlieferanten und Bäuerinnen und Bauern über Verarbeiter bis hin zu Logistikfirmen. Diese Akteure sind durch physische, finanzielle und Informationsströme verbunden. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Risiken. Aufgrund unterschiedlicher Verderblichkeit, eingesetzter Technologien, Wetteranfälligkeit, Infrastruktur, politischen und regulatorischen Restriktionen sind Risiken für jede Wertschöpfungskette spezifisch zu betrachten. Weiterhin unterscheiden sich Risiken darin, ob nur ein Akteur der Wertschöpfungskette betroffen ist oder ob sie als systemische Risiken mehrere Akteure gefährden. Wertschöpfungskettenfinanzierung … ... umfasst eine Reihe unterschiedlicher Finanzierungsund Vermarktungsvereinbarungen. Sie variieren stark im Grad ihrer Formalisierung und in ihrer Ausgestaltung. Man unterscheidet zwischen internen und externen Finanzierungslösungen. Letztere beziehen sich auf solche Arrangements, die formelle Finanzinstitutionen oder externe Investoren einbeziehen Unsere Standpunkte Um den Beitrag der Landwirtschaft zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu erhöhen, ist ein Zugang zu bedarfsgerechten Finanzierungsinstrumenten nötig. Der Aufbau eines formellen Finanzdienstleistungssektors für die kleinbäuerliche Landwirtschaft befindet sich jedoch in vielen Ländern noch im Anfangsstadium. Daher ist es erforderlich, den Zugang sowohl zu formellen, als auch zu informellen Finanzierungsquellen zu verbessern. Vor diesem Hintergrund vertritt die GIZ die folgenden Standpunkte: 1. Investitionsförderung ist nur durch einen holistischen Ansatz möglich Strategien für die Entwicklung des ländlichen Finanzsystems sollten Teil der landwirtschaftlichen Sektorstrategie sein. Ein leistungsfähiger Agrarsektor mit förderlichen Rahmenbedingungen für die Agrarwirtschaft und im Handel, öffentliche Investitionen in Infrastruktur sowie starke bäuerliche Organisationen sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung eines formellen Finanzsektors. 2. Aus Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten entstehen rentable Investitionen Agrarfinanzierung muss Investitionen ermöglichen, die die Agrarproduktion steigern und dadurch höhere Einkommen generieren. Investitionen sind dann erfolgreich, wenn die Entwicklung einer marktorientierten Agrarproduktion mit der Entwicklung der Akteure der spezifischen Wertschöpfungsketten einhergeht. 3. Momentane Zinssätze sind zu hoch Die Hauptursachen für die hohen Zinssätze in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sind Transaktionskosten aufgrund großer räumlicher Distanzen und Risiken aufgrund hoher Unsicherheiten zu Rückzahlungsquoten. Hohe Zinssätze hemmen Investitionen in den Agrarsektor und beeinträchtigen wiederum Produktion und Ernährungssicherung. 4. Integriertes Risikomanagement beinhaltet Risikominimierung und Schadenersatz Risikomanagement sollte zu einer Einkommenssteigerung und Stabilisierung des Konsums in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft führen. Risikomanagement erhöht die Diversifizierung von Anbaupflanzen und Einkommensquellen, steigert technische und unternehmerische Fähigkeiten und verbessert die Anbindung an Absatzmärkte, z.B. über Vertragsanbau und andere inklusive Geschäftsmodelle. Bei Agrarversicherungen lassen die oft fehlende Infrastruktur und schlechte Datenlage sowie hohe Transaktionskosten die Versicherungsprämien in die Höhe schnellen, sodass diese für Bäuerinnen und Bauern zu selten genutzt werden können. 5. Agrarversicherungen und -kredite sind eng mit Ernährungssicherung verbunden Effektives Risikomanagement durch bessere landwirtschaftliche Anbaumethoden sowie maßgeschneiderte Risikomanagementlösungen steigert die Rückzahlungsfähigkeit und ermutigen so Finanzdienstleister, Kredite an Bäuerinnen und Bauern zu vergeben. Dies wirkt sich positiv auf bessere landwirtschaftliche Praktiken und gesteigerte Erträgen und damit auf eine stabilere ganzjährige Ernährungssicherung sowie auf die Gesundheit und Investitionen in die Bildung von Kindern aus. Unsere Handlungsempfehlungen Nach Ansicht der GIZ sind dies die wichtigsten Handlungsempfehlungen: 1. Bedarfsorientierte Finanzdienst-leistungen und Wertschöpfungsketten miteinander verknüpfen Parallel zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzierung müssen auch Anreize zum Sparen und zur Nutzung von Zahlungsdienstleistungen, z.B. durch die Vereinfachung von Rücküberweisungen, gesetzt werden. Ebenso nötig ist die Förderung sozialer Infrastruktur, z.B. von Genossenschaften sowie Spar- und Kreditgruppen. Andere Akteure wie Mikrofinanzinstitutionen und Anbieter mobiler Bankdienstleistungen müssen in einen stärkeren Wettbewerb um bessere Dienstleistungen treten. Ein ganzheitlicher Ansatz unterstützt diese Institutionen, indem Markteintrittsbarrieren, u.a. aufgrund fehlender Kenntnisse des Agrarsektors, gesenkt werden. Der Wertschöpfungskettenansatz senkt die Transaktionskosten von Finanzdienstleistern, indem Teile dieser Kosten von Stakeholdern getragen werden. Bei Versicherungen haben sich integrierte oder kombinierte Produkte, z.B. an Kredite oder Inputs gebundene Versicherungen bewährt (z.B. Kilimo Salama in Kenia). 2. IKT zur Dienstleistungserbringung nutzen Mittlerweile sind Mobilfunkgeräte stark verbreitet und Software-Lösungen ausreichend entwickelt, um Finanzdienstleistungen von Krediten über Rücküberweisen und Spareinlagen bis hin zu Versicherungen abzuwickeln. Dies reduziert Reise- und Transaktionskosten und beschleunigt Versicherungszahlungen, Kreditrückzahlungen und Transaktionen. Risiken der Korruption werden gesenkt. So ermöglichen Informations- und Kommunikationstechnologien bereits in vielen afrikanischen Ländern mobile Finanzdienstleistungen für Bäuerinnen und Bauern. 3. Zinssätze senken Hohe Unsicherheiten zu Rückzahlungsquoten sorgen für hohe Zinssätze für Bäuerinnen und Bauern. Ebenso sollte jedoch gutes Rückzahlungsverhalten honoriert werden. Funktionierende Ratingsysteme, die von allen Finanzinstitutionen entwickelt, geteilt und genutzt werden, können bei hoher Bonität Zinssätze senken. Den Staaten sollte eine zunehmend stärkere Rolle in der Förderung von Investitionen und Kreditbereitstellung zukommen. Wenn Marktverzerrungen ausgeschlossen sind, können z.B. Investitionsbeihilfen und bezuschusste Kreditgarantien zum Einsatz kommen. Wenn Staaten einen Teil des Risikos übernehmen, können Finanzinstitutionen teure marktbasierte Mechanismen vermeiden. 4. Integriertes Risikomanagement fördern und verbreiten Schulungen zu guter landwirtschaftlicher Praxis zu Unternehmertum, finanzielle Bildung, Marktanbindung, Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels, Investitionsförderung, sowie an bestimmte Bedingungen geknüpfte Förderprogramme (smart subsidies) Subventionen sind Beispiele für risikomindernde Maßnahmen. Weitere Strategien sind Diversifizierung der Feldfrüchte, integrierter Pflanzenschutz sowie Bewässerung und Management von Wassereinzugsgebieten. 5. Versicherungsprämien reduzieren In einem ersten Schritt sollten risikomindernde Maßnahmen auf Betriebsebene die Festsetzung von Versicherungsprämien beeinflussen. Zudem ist der Aufbau von Versicherungen auf höheren Aggregationsebenen wichtig. Für die Absicherung von Wetterrisiken haben sich binäre Versicherungsprodukte, z.B. zu Risiken von Dürren und Überschwemmungen, sind preiswerter als Indexversicherungen und weise eine hohe Korrelation zwischen Ausfall und Ausschüttung. Intelligente Subventionen, die Rückversicherungskosten, Erstverlusttranchen der Versicherer übernehmen oder den Aufbau von Impressum Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Sitz der Gesellschaft Bonn und Eschborn Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5 65760 Eschborn T +49 61 96 79-0 F +49 61 96 79-11 15 E [email protected] I www.giz.de Abteilung Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft / Mai 2015 Ausfall- und Schadensfonds bei Katastrophen unterstützen, sind effektiver als direkte Prämienbezuschussung. Beispiele hierfür liefert die African Risk Capacity der GIZ Nigeria im Rahmen von Making Finance Work for Africa (MFW4A). 6. Finanzielle Grund- und Ausbildung an die Bedürfnisse der Bauern anpassen Voraussetzungen für den Erfolg von Agrarfinanzierung sind technische Fähigkeiten, unternehmerische Kompetenzen und finanzielle Bildung. Daher müssen Bäuerinnen und Bauern unterstützt werden, agrarunternehmerische Kompetenzen zu entwickeln und das Betriebsmanagement zu verbessern. Somit werden sie befähigt, Investoren zu überzeugen oder Kredite zu beantragen. Ein Beispiel dafür ist der v.a. in Westafrika angewendete GIZ-Ansatz der Farmer Business Schools. Kontakt Dr. Herwig Hahn E [email protected] T +49 6196 79-1424 I www.giz.de