Symbolisches Heilen - Prof. Eigner/ Prof. Fleck - Wolfgang Schulz 0306114, Jänner, Wien The Sorcerer and His Magic Claude Lévi-Strauss Dieser Artikel ist quasi ein Klassiker und beschreibt anhand ausgewählter ethnographischer Beispiele die unglaubliche Wirksamkeit sozialer „Schauspiele” in einer Gemeinschaft. Die ursprüngliche Fassung mit dem Originaltitel Le sorcier et sa Magie stammt aus dem Jahre 1949, herausgegeben von Les Temps Modernes - übersetzt aus dem Französischen von Claire Jacobson. Diese Version wurde 1963 überarbeitet, auszugsmäßig kurz gefasst und erneut veröffentlicht in Structural Anthropology, New York: Basic Books, Inc., Chap. 9. Lévi-Strauss kümmert sich nicht soviel darum, wie Zauberei an sich funktioniert, sondern mehr um die Prozesse, durch die sie hervorgerufen, an sie geglaubt und durch die sie erhalten wird. Er sucht hier nach symbolischen Funktionen der Akteure im soziokulturellen Prozess und beruft sich dabei auf psychoanalytische und kulturlinguistische Konzepte. Eine Gretchenfrage der so genannten Magie hierbei wäre: „Wie kann ein Zauberer selbst trotz bewusst angewandter Taschenspielertricks an dieses System glauben?“ Lévi-Strauss nimmt an, der Zauberer sei neurotisch; später erkennt er diese Mutmaßung als einen Irrtum an und erwähnt dies zumindest in einer Fußnote. An manchen Beispielen bleibt kein Zweifel, dass bestimmte magische Praktiken funktionieren. Zur gleichen Zeit ist die Effizienz der Magie davon abhängig ob man an Magie glaubt. Eine kleine Drei-Stufen-Leiter dazu wäre: 1. Der Zauberer und sein eigener Glaube an seine magischen Fähigkeiten . 2. Der Patient und sein Glaube an die magischen Fähigkeiten des Zauberers. 3. Der Glaube und die Erwartungen der Gruppe, welche konstant als eine Art von Gravitationsfeld wirken, in dem das Gespann (Zauberer und Patient) agiert. Doch selbst diese These erweist sich nicht als vollständig haltbar wie wir noch sehen werden. Es ist das berühmte Problem der Objekivität - Diese ist nämlich relativ. Weit entfernt von Freud'schen Analysen ist die Erkenntnis, dass die Wirksamkeit von diesen Phänomen stark abhängig ist von der Dimension der Kultur. Subjekte, Objekte und Benutzer der Zauberei sind sich zumindest teilweise bewusst, dass sie das System der Magie benutzen, manipulieren, rationalisieren und es dabei bekräftigen, bestätigen und untermauern. Drei ethnographische Beispiele (inklusive jener von Lévi-Strauss aus Süd-Amerika) folgen: I. Zentral Brasilien, 1938: Wieviel Glaubwürdigkeit und aber auch Skepsis spielen eine Rolle in einer Gruppe gegenüber dem Zauberer und seinen außergewöhnlichen Kräften? Claude Lévi-Strauss campte gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Nambicuara Indianern (fusioniert aus zwei Lagern). Sie besaßen einen weltlichen Chief/Häuptling und einen spirituellen/religiösen Zauberer als Führer. Eines Tages verschwand der Zauberer und ward Stunden später zusammen gekauert und verstört wiedergefunden. Seinen Erzählungen nach wurde er vom Gewittersturm erfasst, zerfleddert und wieder zurückgebracht. Es war also eine indigene Gruppierung, bestehend aus zwei verschiedenen Lagern mit zwei verschiedenen Dialekten; es gab nur zwei oder drei Übersetzer innerhalb von ihnen. Es gab einen Chief und einen Schamanen. Eines Nachts kommt der Zauberer nicht heim und wird von einem Suchtrupp nur unweit entfernt gefunden. Zusammengekauert und nackt (ohne Schmuck etc.) und zitternd saß er da. Er sagte, der Donner und der Wind haben ihn fortgetragen, zerzaust, ausgezogen und letztendlich wieder hierhergebracht. Am nächsten Tag war alles wieder normal und selbst den Schmuck hatte wieder um - was niemanden zu irritieren schien. Es gibt zwei verschiedene Versionen zu der Geschichte von den Indianern. Da es sich um zwei frisch zusammen-fusionierte Stämme, bestehend aus 30 Leuten handelte (der Chief war von der einen, der Zauberer von der anderen Fraktion), meinte der Stamm des Chiefs - aber nur inoffiziell und nicht öffentlich - dass der Zauberer wahrscheinlich versucht hätte, mit seinem alten Stamm (man sah Tage zuvor „campfires“, die näher kamen und wieder verschwanden; unheimliche und potentielle Feinde im Dschungel) Kontakt auf zu nehmen um eventuell zurück zu kehren oder den neuen Stamm aus zu löschen. Jedenfalls wurde das Ereignis so akzeptiert und es ging normal weiter, bis Lévi-Strauss & Co sie verließen. II. New Mexico, USA, 1955 Wie kann ein unschuldiger, der Zauberei bezichtigter Bursche, seine Unschuld beweisen - obwohl die Anklage einstimmig und die Magie ein Phänomen der Übereinkunft im Glauben ist? M. C. Stevenson forschte bei den Zuni. Ein 12-jähriges Mädchen bekam einen epileptischen Anfall, nachdem ein jugendlicher Bursche ihre Hände berührt hatte. Er wurde der Zauberei beschuldigt. Nach anfänglicher Verneinung, erfand er Geschichten um seine Haut zu retten und sagte, er war tatsächlich Eingeweihter der Magie. Er brachte den Anklägern Beweise magischer Gegenstände (Federn) und heilte anschließend das Mädchen. Das Publikum war ergriffen und überzeugt und wollte ihn nun frei lassen. Da war also ein angeklagter Jugendlicher, ein Mädchen war am Arm verletzt. Die Todesstrafe drohte (für Magie) und er begann das anfangs natürlich zu verneinen (dass er okkulte Kräfte verfügte). Nach einer Stunde des Abstreitens gab er zu (erfand die Geschichte!), dass er eine Unterweisung hatte und von seinen Lehrern zwei Zaubermittel bekam: eines würde verrückt machen, das andere heile. Er riskierte mit der Geschichte sein Leben weil die Todesstrafe ja bevorstand. Er spielte eine Trance vor, nachdem er das eine Mittel einnahm, und als er das andere Mittel nahm, wurde er wieder normal. Er vollzog ein Ritual und das Mädchen erklärte sich als geheilt. Er erzählte von der magischen Feder, die die Zauberkraft verleiht, Zuhause in der Wand, die er schließlich vor allen Leuten suchen musste (es war Jahre her, als er sie angeblich platzierte) und als er sie fand (nach drei, vier Versuchen erschien sie plötzlich in den Trümmern der Mauer), waren alle erstaunt und überzeugt, dass er die Wahrheit sagte. Am Nächsten Tag des Prozesses erzählte er immer detailliertere Ausführungen und begeisterte die Leute mit seinen Erzählkünsten und Gesten bis die Krieger und Ankläger ihm glaubten. Die Gruppe ließ ihn frei. III. Vancouver-Region, Canada, 1930 Wie begründet sich ein Schamane selbst das Magie-Phänomen, zu behaupten er sauge eine Krankheit aus dem Körper, die er dann als blutiges Büschel präsentiert, das er zuvor in seinem Mund versteckt hielt? Franz Boas erhielt die Autobiographie eines Kwakiutl-Indianers. Quesalid (sein Zauberername) glaubte nicht daran und wollte mit der Zeit die Tricks der Schamanen aufdecken. Er begann jedoch erfolgreich mit dem Gelernten zu heilen. Er übertraf sogar Schamanen aus der gesamten Region, die sich messen wollten in der Heilkraft. Er beschritt seine weitere Karriere als Schamane und pries die Technik des „ars magna“ bzw. „bloody worm“ seiner Tradition an. Da war also Quesalid und er glaubte dem Ganzen „Zauber“ nicht und wollte den Humbug für sich und überhaupt aufklären. Er begann Lehre (4 Jahre insgesamt) und lernte und war gewiss diese Fingerfertigkeiten und Tricks und Methoden anzuwenden und tat es auch. Die Lehre bestand aus einem kuriosen Mix aus Pantomime, Fingerfertigkeiten, empirischem Wissen wie z.B. die Kunst einen Nervenanfall zu simulieren, Heiligen Liedern, die Technik Erbrechen hervorzurufen, den Körper abhorchen, Geburtshilfestellung, und den Gebrauch des „dreaming“ - das ausspionieren von Privatgesprächen um über gewissen Ursprünge von Symptomen herauszufinden; und zu guter letzt lernte er natürlich das “ ars magna“ aus der Tradition der Northwest-Coast, auch genannt die „bloody-worm“ -Technik: Der Schamane versteckt ein kleines Büschel in seinem Mund und wirft es aus, eingedeckt in Blut, im richtigen Moment - nachdem er sich auf die Zunge gebissen hatte oder sein Zahnfleisch zum bluten brachte - und präsentiert dies feierlich dem Patienten und den Zuschauern als der pathologische extrahierte Körper als Resultat seines Saugens und Bearbeitens. Er heilte eine Familie nachdem sie von ihm geträumt hatte (das galt für ihn anfangs als psychologischer Grund für die Heilung denn sie sahen ihn im Traum). Er kam zum Nachbardorf, wo ein dortiger Schamane mit seiner Technik versagte und er war erfolgreich mit der Zuhause gelernten Technik (bloody worm). Er wurde an einen geheimen Ort bei einer Höhle geladen um ihnen von seinem Können zu erzählen, doch er schwieg (weil er noch nicht lehren durfte in der vierjährigen Ausbildung). Zurück in seinem Dorf, gab es einen Wettbewerb von Heilern, die ihre Künste an den Heilerfolgen bei Patienten nachweisen wollten. Ein alter Schamane konnte den Patienten nicht Heilen, Quesalid jedoch mit seiner Performance und der herausgenommen Krankheit(bloody worm). Der alte zog mit seinen Töchtern weg und wurde verrückt weil er es einfach nicht glauben konnte. Quesalid blieb bis zum Schluss skeptisch über diese Techniken und die Zauberei, wobei er die bloody worm Technik seiner Tradition wärmstens anpries. Conclusio: Heiler, Patient und Gruppe sind in einem System eingebettet. Es gibt eine Performance. Der Schamane ist ein Meister des Abreagierens („professional abreactor“). „Quesalid wurde kein großer Schamane weil er heilte - er heilte weil er ein großer Schamane war.“ Bei der Psychotherapie ist es der Patient, der sich „abreagiert“ und von sich berichtet und es herauslässt; beim Schamanen verhält es sich umgekehrt, da er sich am Patienten auslässt. Der Patient mit seiner Störung ist nicht bei sich und zerstreut - der Schamane als „Neurotiker“ scheint sich hiermit zu ergänzen. Lévi-Strauss sieht das so: Wegen ihrer komplementären Unordnungen verkörpert in der Gruppe das Zweier-Gespann (Zauberer-Patient) ein ansehnliches konkretes Verfahren des inhärenten Gegensatzes: Der Patient ist passiv und selbst entfremdet (hat ein psychisches-/seelisches-/Gemüts/Geistes-/Verstandes-Leiden; „disease of the mind“); der Zauberer ist aktiv in seiner Selbstdarstellung. Die Heilung ist bedingt durch die gegenseitige Wechselbeziehung. Dies unterstützt und begünstigt den Durchgang/den Wandel von einem zum anderen durch die demonstrierte Erfahrung (peformance) - die Kohärenz des psychischen Universums als Projektion des sozialen Universums.