Pia Heckel Institut für Psychotraumatologie in Hamburg Wie kommt es überhaupt zu der Annahme, dass ein Kind traumatisiert sein könnte? Diese Möglichkeit muss einfach immer mit einbezogen werden wenn ein Kind auffällig ist! Schwere Deprivation, Narkosezwischenfälle, sexueller Missbrauch oder schwere Misshandlung Unfälle und Naturkatastrophen können ursächlich sein Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 2 Was ist ein Trauma? Traumatogene Ereignisse sind für die Betroffenen Erlebnisse existentieller – todesnaher – äußerer oder innerer Bedrohung auf das Leben, den Körper und die emotionale oder soziale Existenz. Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 3 Flüchtender Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 4 Nicht jede starke emotionale Belastung ist ein Trauma! Der Verlust von Eltern, Kindern, Freunden oder eigenen Geschwistern, Schwere Unfälle Naturkatastrophen Können traumatisierend sein! Nicht das Ereignis definiert das Trauma, sondern die subjektive Reaktion darauf! Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 5 Typische Auslöser von Traumatisierungen Vergewaltigung(en) Schwere Misshandlung(en) Schwere Deprivation Folter Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 6 Wenn ein Trauma nicht innerhalb von 4 bis 6 Monaten verarbeitet ist, war das Soziale Unterstützungssystem überfordert In dieser Zeit werden 85 bis 90 % aller Monotraumata verarbeitet und integriert Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 7 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 8 Traumatypen: Typ I –Trauma Einzelnes, unerwartetes Ereignis von kurzer Dauer z.B. Unfälle, Naturkatastrophen, Opfer oder Zeuge von Gewalttaten Öffentlich, erzählbar Symptome: Meist klare und sehr lebendige Wiedererinnerungen. PTBS Hauptemotion: Angst Prognose: eher gut Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 9 Typ II – Trauma Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder langandauernde traumatische Erlebnisse Körperliche sexuelle Misshandlungen in der Kindheit zwischenmenschliche Gewalterfahrungen Nicht öffentlich Symptome: Nur diffuse Erinnerungen, keine zeitliche Einordnung, Dissoziationstendenzen, Bindungsstörungen Komplexe PTBS (oft verknüpft mit anderen Krh.) Emotion: Sekundäremotionen wie Scham o. Ekel Schwerer zu behandeln Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 10 Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung können z. B. sein Diffuse oder konkrete Ängste oder Panikattacken Depressive Verstimmungen mit oder ohne Selbstmordgefährdung Erhöhte Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 11 Symptome PTBS 2 Innerer Rückzug mit Gefühlsverarmung und Interessenverlust Schlafstörungen mit Alpträumen Eindringende (intrusive) Gedanken, Bilder, andere Erinnerungsfetzen bis zum Wiedererleben des Traumas im "Flashback", u.U. durch äußere Auslöser „getriggert" Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 12 Symptome PTBS 3 Diffuse oder umschriebene körperliche Störungen, häufig als Schmerzen Erinnerungslücken können für das Trauma im Ganzen oder in Teilen bestehen, wodurch die Betroffenen keine Verbindung herstellen können Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 13 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 14 Das Kindheitstrauma Nichtfamiliäre Traumata erschüttern das Weltbild des Kindes und sein Verständnis von der Sicherheit der Welt nicht fundamental, auch wenn mächtige Eltern in ihrer Schutzfunktion vorübergehend versagt haben Das familiäre Bindungs- und Sicherheitssystem bleibt erhalten Die Außenwelt ist bedrohlich – aber das familiäre Innensystem gibt Schutz Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 15 Das Kindheitstrauma durch familiäre Gewalt Durch sexuellen Missbrauch oder Misshandlung werden familiäre Bindungs- und Schutzfiguren zum traumatisierenden Aggressor Wer kann jetzt noch Schutz bieten? Wer ist feindlich? Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 16 Kindheitstrauma durch familiäre Gewalt Ist der missbrauchende Vater nur böse, so ist das Kind vollkommen schutzlos Ist er auch „gut“, hat das Kind nach eigenem Ermessen „seine Strafe verdient“ bleibt zumindest die idealisierte Elternfigur erhalten Dies kann dem Kind vor vermuteter gefährlicher Außenwelt ein Gefühl von Schutz geben Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 17 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 18 Traumatische Erfahrungen von Kindern Kinder verfügen ein Selbst- und Weltverständnis, das sich noch im Aufbau befindet Das Situationsverständnis ist vorwiegend personenbezogen Auch Naturkatastrophen werden „persönlich“ genommen Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 19 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 20 Traumatische Erfahrungen von Kindern II Vorstellung des Kindes: Übermächtige Eltern haben Ihren Schutz womöglich aufgrund von eigenem Fehlverhalten versagt Das Kind fühlt sich grundsätzlich verantwortlich (primär prozesshaftes Denken) Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 21 Sexueller Missbrauch bedeutet: Missbrauch der Zärtlichkeitsbedürfnisse des Kindes Missbrauch der Wünsche des Kindes nach dyadischer (Zweier-) Beziehung Missbrauch der Bereitschaft des Kindes zu ödipalen Phantasien Missbrauch der Bereitschaft des Kindes zum Gehorsam Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 22 Sexueller Missbrauch bedeutet: Missbrauch der Bereitschaft des Kindes zum Glauben an die Aussage der Eltern und der Unfähigkeit des Kindes, eine liebevolle zärtliche Annäherung von einer sexuellen Ausbeutung zu unterscheiden Missbrauch der Angst des Kindes vor Zerstörung der Familie (Schweigegebot) Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 23 Posttraumatische Belastungsstörung : Intrusion (Unfreiwillige Erinnerungsbilder) Konstriktion (Verleugnung und Vermeidung) Hyperarousal (Übererregung) Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 24 Merke: Bei der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung macht das „DarüberReden“ die Sache nicht besser, sondern ist ein Trigger für Zustände (States) U.Sachsse Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 25 Dissoziative Traumafolgen Amnesie Depersonalisiation Derealisation Fugue Identitätsstörung Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 26 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 27 Magisches Denken Kinder entwickeln als Bewältigungsstrategien Interventionsphantasien, die das Geschehene aufhalten und/oder im Nachhinein ungeschehen machen sollen Dissoziative Symptome können ebenfalls als traumakompensatorische Maßnahmen angesehen werden Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 28 Die Erinnerung Niemand speichert Informationen wie ein Videorekorder Kinder können zeitliche Abfolgen überhaupt erst etwa ab dem 10. Lj. genauer erinnern, dann ist der Hippokampus ausgereift. Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 29 Mögliche Symptome im Säuglingsalter: Schreien, vermehrte Schreckhaftigkeit Einschlaf- und Durchschlafstörungen Fütterstörungen Gedeihstörungen Entwicklungsstörungen Bindungsstörungen Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 30 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 31 Mögliche Symptome im 1. – 3. Lebensjahr Affektlabilität, Hyperaktivität, Hypervigilanz, frozen watchfulness Ängste ohne traumaspezifischen Bezug Kopfschlagen, Hospitalismuszeichen Entwicklungsverzögerung oder stillstand Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 32 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 33 Mögliche Symptome im 3. – 6. Lebensjahr Somatisierungen – Körperliche Symptome entwickeln Traumatisches Spiel Dissoziative Symptome Einnässen (Enuresis), Einkoten (Enkopresis) Verlust bereits erlangter Kompetenzen Dissoziales Verhalten Tic-Symptomatik Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 34 Mögliche Symptome im 6. – 10. Lebensjahr Zunehmende PTBS Symptomatik Schulleistungsstörung /ADHS Schuldgefühle Pessimistische Sicht, depressive Symptome Selbstverletzendes Verhalten (SVV) Risikoverhalten Zwangssymptome Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 35 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 36 Mögliche Symptome im 10.-14. Lebensjahr Klassische PTBS-Symptome Enactment Essstörungen SVV, Suizidalität Drogenkonsum Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 37 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 38 Wann ist Ansprache möglich? Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 39 Im Umgang mit den Kindern: Für Sicherheit im Gespräch sorgen (Sitzposition diskutieren, Grenzen erfragen, Erlaubnis einholen) Immer Bedanken. Stoppsignal vereinbaren Konsequent, vorhersehbar, wiederholend sein – je kleiner das Kind, desto wichtiger sind wiederholende Rituale Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 40 Fördern der Mentalisierung Entwicklung einer Theory of mind (des A.) Entwicklung von Selbstwirksamkeit Entwicklung von Reversibilität Entwicklung eines Übergangsraumes, eines Spielraumes, des Als-ob Metaebene Subjekt als Objekt der Selbstbeobachtung Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 41 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 42 Im Umgang… Keine Details zu Beginn erfragen Psychoedukation – Du bist/fühlst/ handelst so, weil… Körperkontakt immer erst erfragen! Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 43 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 44 Validieren heißt stabilisieren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus feindlichen Familiensituationen leiden oft darunter, dass ihre Wahrnehmungen abgestritten werden, dabei sind ihre Sensoren oft extrem ausgeprägt Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 45 Traumatisches Spiel Aus einer schrecklichen Erfahrung wird ein schreckliches Spiel (Streeck-Fischer, 1997) Auswege werden gesucht und Interventionen geprobt Kontrolle wird zurückgewonnen Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 46 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 47 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 48 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 49 Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 50 Traumatherapiemethoden I DBT – Dialektisch Behaviorale Therapie (nach M.Lineham) Die DBT wurde für Menschen entwickelt, deren Problematik als BorderlinePersönlichkeitsstörung oder als Komplextraumatisierung diagnostiziert wurde. Dialektisch ist die Methode, weil sie die große Not der PatientInnen sieht und gleichzeitig deren Bewältigungsstrategien (wie die z.B. die Selbstverletzung) anerkennt und auf der anderen Seite zu neuen Entwicklungsschritten ermutigt und diese positiv verstärkt. Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 51 Traumatherapiemethoden II PITT – Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (nach L.Reddemann) Imagination als heilsame Kraft Stabilisierung durch äußere und innere Sicherheit „Der sichere innere Ort“ Traumakonfrontation und Integration mit Hilfe von Bildschirmtechnik Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 52 Traumatherapiemethoden III EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing Siehe auch im Internet die EMDRIA-Seite Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 53 Literatur Fischer/Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie, 2009 Ernst Reinhardt Verlag Krüger, A. & Reddemann, L., Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie für Kinder und Jugendliche. 2007 Klett-Cotta. Sachsse, Traumazentrierte Psychotherapie, 2004 Schattauer Wöller, Trauma und Persönlichkeitsstörungen, 2006 Schattauer Pia Heckel - Institut für Psychotraumatologie in Hamburg 55