106 © Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 Unternehmensnetzwerke – revisited Corporate Networks – Revisited Hartmut Hirsch-Kreinsen* Universität Dortmund, Lehrstuhl Technik und Gesellschaft, D-44221 Dortmund Zusammenfassung: Der Beitrag resümiert die seit längerem laufende sozialwissenschaftliche Diskussion um Unternehmensnetzwerke, der zufolge es sich dabei um einen überaus bedeutsamen Entwicklungspfad von Unternehmensorganisationen handelt. Danach wird Netzwerkbildung als Reaktion vieler Unternehmen auf die krisenhaften sozio-ökonomischen Entwicklungstendenzen der letzten Jahre angesehen, die einzelne Unternehmen zunehmend überfordern. Weitgehend ausgeblendet bleibt dabei aber die Frage, warum Unternehmen oftmals kein Netzwerk mit anderen Firmen eingehen. An solche nicht sehr eindeutige empirische Befunde knüpft der Beitrag an und fragt nach den Konstitutionsund Funktionsbedingungen von Unternehmensnetzwerken. Die These ist, dass die turbulenten ökonomischen Anforderungen, die mit der Netzwerkbildung bewältigt werden sollen, auf diese in Form einer ganzen Reihe von Koordinationsproblemen zurückschlagen. Diese Koordinationsprobleme werden in Hinblick auf verschiedene Dimensionen – Aufbau von Vertrauen, organisatorische Komplexität, Wandlungsfähigkeit – präzisiert. Davon ausgehend werden abschließend die Funktionsbedingungen von Unternehmensnetzwerken genauer gefasst und der möglicherweise nur transitorische Charakter von Netzwerken angesprochen. 1. Zur sozialwissenschaftlichen Netzwerkdebatte In sozialwissenschaftlicher Perspektive ist es unstrittig, dass es zum Verständnis ökonomischer Austauschprozesse nicht ausreichend ist, auf die rationale Interessenverfolgung individueller Akteure und auf Marktfreiheit zu rekurrieren. Vielmehr müssen soziale, kulturelle und politische Bedingungen, in deren Rahmen wirtschaftliches Handeln stattfindet, in die Analyse einbezogen werden. Denn diese ermöglichen erst ökonomische Transaktionen. Mit dem bekannten Konzept der „Einbettung“ wird versucht, diesen Zusammenhängen Rechnung zu tragen. In Anschluss an Polanyi können darunter institutionelle Regeln, soziale Beziehungsstrukturen sowie Normen und Macht als regulative Voraussetzungen ökonomischer Prozesse verstanden werden. Dabei wird insbesondere darauf abgestellt, dass ökonomische Interaktionsprozesse nicht nur an soziale Voraussetzungen gebunden sind, sondern dass die einzelnen Interaktionspartner über die Phase eines konkreten Austausches hinaus zugleich dauerhaft an diese sozialen Bedingungen gebunden sind. Solchermaßen verstandene Einbettung ökonomischer Interaktionen kann sich auf sehr unterschiedlichem Wege rea* Für Kritik und Anregungen sei mehreren anonymen Gutachtern, den Herausgebern der ZfS und Eberhard Mühlich gedankt. lisieren. Allerdings betont die neuere sozialwissenschaftliche Debatte vor allem mit Bezug auf Granovetter (1973, 1985) die Relevanz sozialer Beziehungsnetzwerke, die das für ökonomische Austauschprozesse unverzichtbare Vertrauen zwischen den Akteuren generieren und Regelübertretungen verhindern. Angesprochen werden damit die Beziehungsgeschichte der Akteure, ihre gemeinsamen Erfahrungen und wechselseitigen Verpflichtungen sowie die davon geprägten Wert- und Verhaltensorientierungen. Es handelt sich dabei um Orientierungen, die innerhalb einer lokalen, ethnischen oder professionellen Kultur erworben worden sind und die gemeinsame ökonomische Handlungen sowohl ermöglichen als auch restringieren. Reziprozität, Interdependenz, die „Stärke schwacher Bindungen“ und Macht sind hierbei die zentralen Kategorien, mit denen als netzwerkförmig begriffene Einbettungsprozesse genauer charakterisiert werden (Mahnkopf 1994: 71). Damit avanciert der Netzwerkbegriff zum prominenten Konzept der Analyse ökonomischer Austauschprozesse auf den unterschiedlichsten Ebenen, ja er gewinnt einen überaus hohen Stellenwert für sozialwissenschaftliche Gegenwartsdiagnosen überhaupt. So wird in gesellschaftstheoretischer Perspektive davon ausgegangen, dass die verschiedenen Netzwerkformen Moment einer aufkommenden „Network Society“ seien und dass sie die Regulationsformen zukünftiger sozio-ökonomischer ProUnauthenticated zesse nachhaltig prägen B. Mayntz Download Date(z.| 11/2/17 5:471992, PM Castells Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited 2000). Allerdings verbindet sich mit dem Netzwerkbegriff ein breites Spektrum unterschiedlichster Konnotationen, Definitionen und Analysekonzepte (Wolf 2000). Folgt man vorliegenden Darstellungen des „state of the art“, so lassen sich grundlegende Konzepte der Netzwerkforschung unterscheiden:1 Auf der einen Seite finden sich Konzepte einer formal ausgerichteten Analyse sozialer Beziehungsgeflechte individueller und korporativer Akteure, die sich vornehmlich auf die Beschreibung und Klassifikation von Interaktionsmustern und deren Konstitutionsbedingungen richten. Diese Konzepte stellen die Formen der sozialen Beziehungen ins Zentrum ihrer Analyse, sie liefern ein mehr oder weniger statisches Abbild eines Zustandes und blenden Bedingungen und Einflussfaktoren weitgehend aus. Auf der anderen Seite werden Netzwerke als spezifische Form der Koordination sozialer und ökonomischer Austauschprozesse begriffen und untersucht. Netzwerke werden hierbei als das Resultat der zielgerichteten Kooperation von Akteuren verstanden, die damit bestimmte Interessen verfolgen. Typischerweise wird dabei eine interorganisatorische Perspektive verfolgt und im Zentrum des analytischen Interesses stehen die Strategien korporativer Akteure. Entsprechend werden im Anschluss an die politikwissenschaftliche Governancedebatte mit dem Begriff der Koordination die wechselseitige Abstimmung von Aktivitäten verschiedener Akteure und die Bewältigung damit verbundener Konflikte in vernetzten und arbeitsteiligen organisatorischen Arrangements angesprochen (Hollingsworth 1991). Im Folgenden soll diese letztgenannte Analyseperspektive im Vordergrund stehen. Abgestellt wird dabei auf Interorganisationsnetzwerke wie sie in der Organisations- und Innovationsforschung, in der regionalökonomischen Forschung über industrielle Distrikte, aber auch in der Forschung über Policy-Netzwerke untersucht werden (Weyer 2000: 18ff.). Es muss nicht betont werden, dass die dabei vorherrschende strukturelle bzw. institutionalistische Perspektive stets zu ergänzen ist durch eine prozessorientierte Sicht, um der grundlegenden Bedeutung sozialer Interaktionen für die Genese und Funktionsfähigkeit von Netzwerken Rechnung zu tragen (Pohlmann et al. 1995: 19 ff.). Konkret soll es um das Thema der Koordination von Unternehmensnetzwerken gehen, wie es in der Organisations- und Unternehmensforschung organisationsund industriesoziologischer, aber auch betriebswirt1 Vgl. zusammenfassend z. B. Powell/Smith-Doerr 1994: 368 ff., und Weyer 2000: 13 ff., sowie die jeweils dort angegebene Literatur. 107 schaftlicher Provenienz behandelt wird (zusammenfassend zuletzt Windeler 2001). Wie noch deutlich werden wird, sind dabei die Grenzen insbesondere zur sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung (z. B. Kowol/Krohn 1995) und zur Regionalökonomie (z. B. Grabher 1993) kaum eindeutig zu bestimmen. Im Mainstream dieser Debatte werden Unternehmensnetzwerke als ein seit längerem überaus bedeutsamer Entwicklungspfad der Unternehmensorganisation angesehen. Das zentrale Argument ist hier, dass es über die Bildung von Netzwerken Unternehmen möglich wird, Ressourcen zu bündeln, ihre Kapazitäten und ihr Leistungsspektrum zu erweitern und flexibler zu agieren als im Fall vertikal integrierter und hierarchisch koordinierter Unternehmen (z. B. Semlinger 1993, Sydow 1992, 1999).2 Danach ist die nur lose Kopplung unabhängiger Akteure die Voraussetzung nicht nur für die Koexistenz unterschiedlicher Interessen, Kompetenzen und Organisationslogiken, sondern auch für die besondere Flexibilität, die Wandlungs- und Lernfähigkeit von Netzwerken (Grabher 1994: 73 f.). Kooperation und Netzwerkbildung werden dabei als Reaktion vieler Unternehmen auf die krisenhaften sozio-ökonomischen Entwicklungstendenzen der letzten Jahre angesehen, von denen einzelne Unternehmen zunehmend überfordert sind. Zu nennen sind hier Tendenzen wie die steigender technologischer Komplexität von Innovations- und Produktionsprozessen, des wachsenden Produktivitätsund Kostendrucks sowie gleichzeitig die von den Märkten ausgehenden hohen Flexibilitätsanforderungen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen haben sich Netzwerkbildung und Kooperation in den 90er-Jahren zu einem Leitbild der Unternehmensrationalisierung entwickelt, das betriebliche Entscheidungsprozesse – oft auch ohne den genaueren Bezug auf die je konkrete Unternehmenssituation – nachhaltig prägt und Reorganisationsprozesse bestimmt (z. B. Malone/Laubacher 1999). So setzen Managementkonzepte wie die Reduktion von Unternehmen auf ihre sog. Kernkompetenzen, das „Outsourcing“ als nachrangig erachteter Funktionen und der Ausbau ausgefeilter Logistikkonzepte, realiter oft nicht-intendiert, auf eine wachsende Bedeutung und Leistungsfähigkeit unternehmensübergreifender Kooperationsbeziehungen. 2 Verschiedentlich wird sogar die These vertreten, Unternehmensnetzwerke seien ein neuer „one-best-way“ zukünftiger Unternehmensstrukturen (z. B. Snow et al. 1992, Miles et al. 2000; auf dem Feld der Innovationsforschung Unauthenticated z. B. Rammert 1997). Date | 11/2/17 5:47 PM Download 108 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 Weitgehend ausgeblendet bleibt in der sozialwissenschaftlichen wie auch unternehmens-praktischen Debatte allerdings die Frage, warum Unternehmen – ceteris paribus – oftmals keine Netzwerke bilden (Podolny/Page 1998: 59). Beispielsweise liefern die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung einerseits Belege für die große Bedeutung von Netzwerkbeziehungen zwischen Unternehmen für den Erfolg von Innovationsmaßnahmen (z. B. DeBresson/Amesse 1991, Kowol/Krohn 1995, Weyer 1997). Andererseits sind Hinweise darauf unübersehbar, dass ein Großteil wichtiger und erfolgreicher Innovationen der letzten Jahre im Rahmen von „In-house“Aktivitäten etablierter und zumeist großer Unternehmen verlaufen sind (Valéry 1999: 12). Widersprüchliche Befunde finden sich auch, wenn man Untersuchungsergebnisse über einzelne Industriezweige und Technologiefelder resümiert. So lässt sich in den sog. alten Industriebranchen wie der Metallindustrie seit längerem ein nachhaltiger Reorganisationsprozess in Richtung von Unternehmensnetzwerke der verschiedensten Art beobachten (z. B. Deiß/Döhl 1992). Zugleich ist ein Wandel traditionell bestehender Unternehmensnetzwerke in Richtung marktförmig regulierter Interaktionsbeziehungen unübersehbar (z. B. Kalkowski et al. 1995; Schmierl 1997). Zudem zeigt das Management mittlerer und kleinerer Unternehmen dieser Sektoren trotz wachsender Konkurrenz- und Innovationsanforderungen bis heute eine sehr ausgeprägte Zurückhaltung in Hinblick auf Kooperation und Netzwerkbildung mit anderen Unternehmen. (z. B. Manz 1993: 171 ff., Hellmer et al. 1999: 161 ff.). Unternehmenspraktiker beklagen sogar die „Kooperationsphobie“, die bei solchen Unternehmen oft anzutreffen sei. Ähnliches zeigt sich vorliegenden Untersuchungen zufolge in den sog. neuen Industriebereichen: Zwar gilt der Bereich der Biotechnologie als besonders ausgeprägtes Beispiel für eine Branche mit vernetzten Unternehmensstrukturen, doch erkennt man bei genauerer Analyse eine große Varianz der Unternehmensstrukturen, die keineswegs zureichend in der Kategorie der Unternehmensnetzwerke aufgeht (z. B. Podolny/Page 1998: 66 ff.). Eine vergleichbare Situation findet sich auch in der Computer- und Mikroelektronikindustrie, der eine besondere Netzwerkorientierung attestiert wird. Hier ist zwar seit längerem beobachtbar, dass sich vertikal integrierte Großunternehmen zugunsten fragmentierter Wertschöpfungsketten auflösen. Doch ist es offen, welche neuen Muster von Austauschprozessen zwischen den jetzt mehr oder weniger unabhängigen Halbleiterherstellern und Systemherstellern sich einspielen. Einer neueren Untersuchung zufolge reichen diese, je nach Situation, von Formen loser marktförmiger Beziehungen bis hin zu längerfristig angelegten „strategischen Allianzen“ (Buss/Wittke 2000). Nun kann die gegenwärtig große Bedeutung von Netzwerken für die Regulation ökonomischer Austauschprozesse nicht grundsätzlich bestritten werden (z. B. Hage/Alter 1997). Doch werfen die angedeuteten empirischen Befunde zum wiederholten Male die Frage nach den Konstitutions- und Funktionsbedingungen sowie der Bedeutung von Unternehmensnetzwerken auf (Windeler 2001: 14 ff.). Insbesondere bleibt bislang die Frage nach Dysfunktionalitäten und möglichen Blockaden der Netzwerkkoordination, wie sie beispielsweise im Bereich der Regionalökonomie (Grabher 1993a, 1994), der Innovationsforschung (Kern 1996, Hirsch-Kreinsen 1997) und der Policyforschung (Messner 1995) behandelt werden, eigentümlich unterbelichtet (Heidling 2000). Zu nennen sind hier der widersprüchliche Zusammenhang zwischen ungleichen Machtbeziehungen und (formaler) Unabhängigkeit der Netzwerkpartner, ferner ihre divergierenden Interessen und das damit verbundene Wechselspiel von Konkurrenz und Kooperation. Die angesprochene Koexistenz unterschiedlicher Interessen, Kompetenzen und Organisationslogiken ist nicht nur Voraussetzung für besondere Leistungsfähigkeit, sondern auch Anlass für Dysfunktionalitäten und Koordinationsprobleme von Netzwerken. In der vielfältigen Literatur über das Management von Unternehmensnetzwerken wird zwar in dieser Hinsicht von „ausgeprägten Spannungsverhältnissen“ gesprochen, doch wird cum grano salis davon ausgegangen, dass sie bei entsprechender Managementkompetenz ausbalanciert werden könnten. Wenn schon nicht grundsätzlich lösbar, so seien sie faktisch jedoch bewältigbar (zusammenfassend Sydow 1999: 299 ff).3 Freilich darf dabei nicht in Vergessenheit geraten, dass es sich bei Unternehmensnetzwerken um eine Organisationsform ökonomischer Prozesse handelt. Dieser Umstand impliziert strukturelle Probleme der Netzwerkkoordination, die nicht ohne weiteres beherrschbar sind. Sie können als nicht-intendierte Konsequenzen der mit der Bildung von Unternehmensnetzwerken verfolgten ökonomischen Zielsetzungen angesehen werden. Anders formuliert: jene turbulenten und unkalkulierbaren ökonomischen Anforderungen, die mit der Netzwerkbildung bewältigt werden sollen, können in Form einer ganzen 3 Vgl. hierzu auch Powell, der, allerdings eher beiläufig, auf die Erfolgs- wie auch Misserfolgsbedingungen Unauthenticated von Unternehmensnetzen verweist 318). Download Date(1990: | 11/2/17 5:47 PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited Reihe von Koordinationsproblemen auf diese zurückwirken. Diese These soll im Folgenden in drei Argumentationsschritten ausgeführt werden: erstens wird der angesprochene Zusammenhang zwischen ökonomischen Zielen und der Bildung verschiedener Formen von Unternehmensnetzwerken in einer generellen Perspektive genauer behandelt. Zweitens geht es um die daraus erwachsenden Koordinationsprobleme von Unternehmensnetzwerken. Empirische Basis dieses Argumentationsschrittes ist neben der Durchsicht einer Reihe neuerer Netzwerkstudien vor allem die Reinterpretation eigener Untersuchungsergebnisse industrie- und techniksoziologischer Provenienz aus den letzten Jahren, die sich mit Prozessen der Netzwerkbildung oder Unternehmenskooperation von mittleren und größeren Unternehmen in sog. alten industriellen Sektoren wie dem Maschinenbau und der elektrotechnischen Industrie befassen.4 Wie schon angedeutet, handelt es sich dabei um jene Sektoren, die in den letzten Jahren einem nachhaltigen Reorganisierungsdruck ausgesetzt waren. Drittens soll die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Stellenwert von Unternehmensnetzwerken im gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandlungsprozess wieder aufgegriffen werden. Ergänzend und die Untersuchungsperspektive erweiternd wird in diesem dritten Argumentationsschritt auch auf die Ergebnisse einiger Untersuchungen über Unternehmensnetzwerke in den sog. neuen Branchen abgestellt, denen eine besondere Netzwerkorientierung zugeschrieben wird. 2. Unternehmensnetzwerke und ihre ökonomischen Ziele 2.1 Breites Spektrum verschiedener Netzwerkformen 109 petitive und relativ stabile Beziehungen miteinander verbindet (1992: 82 ff.). Damit sind alle jene Merkmale angesprochen, die in der sozialwissenschaftlichen Debatte mit dem Begriff der Netzwerke generell verbunden werden. Unisono werden die Informalität und Personengebundenheit der Beziehungen zwischen den Partnern sowie Vertrauen und Reziprozität als Besonderheit der Austauschbeziehungen hervorgehoben; sie konstituieren die „Stärke schwacher Bindungen“ in Netzwerken (Granovetter 1973). Zugleich aber wird damit insofern auf die Besonderheit von Unternehmensnetzwerken verwiesen, als ihre ökonomische Ausrichtung betont wird. In der vorliegenden Literatur finden sich eine ganze Reihe von begrifflichen Präzisierungen, die insgesamt auf die Bedeutung der je konkreten Koordinationsform eines Netzwerks für seine Struktur und Funktionsweise verweisen. Dabei muss vor allem auf den Prozesscharakter von Koordination abgestellt werden, der sowohl zielgerichtetes, intentionales Gestaltungshandeln als auch nicht-intendierte Konsequenzen bezüglich der Arbeitsteilung und Kooperation in Netzwerken umfasst (Hollingsworth 1991). Der obigen Definition weiter folgend können nun Unternehmensnetzwerke als „hybride“ Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie aufgefasst werden (Sydow 1992: 102). In dieser, letztlich institutionenökonomisch begründeten Perspektive wird der Koordinationsprozess durch ein je spezifisches Mischungsverhältnis hierarchischer und marktlicher Momente geprägt.5 Stellt man die so verstandene Koordinationsform ins Zentrum einer Unterscheidung verschiedener Netzwerktypen, so kann in Anschluss an Sydow (1999: 284 ff.) wie auch an Windeler (2001: 43 ff.) vereinfacht ein breites Spektrum verschiedener Netzwerktypen identifiziert werden, das von den folgenden Polen begrenzt wird: Folgt man der weithin bekannten Definition von Sydow, so handelt es sich bei Unternehmensnetzwerken um eine Organisationsform ökonomischer Aktivitäten, die formal selbständige, wirtschaftlich mehr oder weniger abhängige Unternehmen durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kom- Der eine Pol bezeichnet hierarchisch koordinierte Netzwerke, oftmals auch als „strategische Netzwerke“ charakterisiert. Dabei handelt es sich um interorganisationale Arrangements, die von einem oder mehreren dominanten, sog. fokalen, Unternehmen koordiniert werden. Die beteiligten Unternehmen können unterschiedlicher Größe sein. Das koordinierende Unternehmen ist in der Regel ein Groß- 4 Die Untersuchungsfragen richteten sich u. a. auf die Konstitutionsbedingungen und den Wandel von Innovationsnetzwerken (z. B. Bieber et al. 1997, Hirsch-Kreinsen 1997) und die Koordinationprobleme von Unternehmen im Zuge ihrer Dezentralisierung und dem Aufbau von Kooperationsbeziehungen auch in internationaler Perspektive (Hirsch-Kreinsen 1995, von Behr/Hirsch-Kreinsen 1998, Hirsch-Kreinsen/Schulte 2000). 5 Zu unterscheiden ist bekanntlich davon die Annahme, wonach Netzwerke eine besondere Organisationsform ökonomischer Interaktionen jenseits von Markt und Hierarchie darstellen (z. B. Powell 1990, Teubner 1992, Semlinger 1993). Zur Diskussion der theoretischen und empirischen Probleme beider Netzwerkkonzepte vgl. Unauthenticated Krebs/Rock Download (1994). Date | 11/2/17 5:47 PM 110 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 unternehmen, es bestimmt strategische Ziele, Formen der netzwerkinternen Arbeitsteilung und die Muster der Austauschprozesse zwischen den Partnern. Hierfür sind etwa die viel diskutierten Zulieferpyramiden in der Automobilindustrie (z. B. Deiß/ Döhl 1992) oder Produktions- und FuE-Netzwerke in der Computerindustrie und Mikroelektronikbranche (z. B. Buss/Wittke 2000), aber auch Produktions- und Distributionsnetze im Handel (z. B. Dörrenbächer/Meißner 1991) typisch. Allerdings sind die Koordinationsprozesse in solchen Netzwerkbeziehungen nicht ausschließlich von den fokalen Unternehmen dominiert. Vielmehr bestehen durchaus wechselseitige Abhängigkeiten etwa in technologischer Hinsicht oder in Hinblick auf die Flexibilität und Beherrschbarkeit der hoch interdependenten logistischen Systeme, die den kleineren Partnern Einflussmöglichkeiten auf die Netzwerkkoordination eröffnen. Der andere Pol der Netzwerkkoordination betrifft Netzwerke unterschiedlich spezialisierter Unternehmen, die einen nur wenig strukturierten sachlich und zeitlich relativ begrenzten Charakter aufweisen. Entsprechend wenig geregelt verlaufen die Koordinationsprozesse. Sie basieren nur auf lockeren sozialen Beziehungen und weisen insofern tendenziell marktförmigen Charakter auf, als hier auch preisbestimmte Interaktionen eine Rolle spielen. Konkret handelt es sich dabei beispielsweise um „Projektnetzwerke“ oder um „virtuelle“ Netzwerke aus neuen Branchen wie der Software- und Multimediaindustrie (z. B. Reiß 2000, Windeler et al. 2000), aber auch aus traditionellen Branchen mit hohen Marktturbulenzen wie in der Bauindustrie oder sehr kurzen Produkt- und Innovationszyklen wie etwa der Bekleidungsindustrie.6 Offenbar werden diese Netzwerktypen durch ganz unterschiedliche Formen der Vertrauensbildung stabilisiert. Wie eine Reihe regionalwissenschaftlicher Studien zeigt (z. B. Storper 1997), sind dafür die „regional embeddedness“ und die von daher unproblematischen und leicht zu realisierenden Face-to-face Beziehungen im gleichen sozialen und kulturellen Umfeld unverzichtbar. Zugleich lassen sich aber auch virtuelle Netzwerke von großer geographischer Ausdehnung beobachten, bei denen der Einsatz von IuK6 US-amerikanische Sozialwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „Turn-key networks“, die durch hohe organisatorische Flexibilität, variable Kooperationsbeziehungen und räumliche Elastizität gekennzeichnet seien. Die innerhalb dieser Netzwerke entwickelten oder produzierten Produkte weisen dabei einen hohen Standardisierungsgrad auf, der marktähnliche Beziehungen erst ermöglicht (z. B. Sturgeon 1999). Technologien eine herausragende Rolle spielt und denen verschiedentlich ein hohes Koordinationspotenzial zugeschrieben wird (z. B. Sieber 1997). Als eine zwischen diesen beiden Polen anzusiedelnde Mischform lässt sich eine Form der Netzwerkkoordination fassen, die als heterarchische gekennzeichnet werden kann. Die Koordination der Austauschprozesse findet zwischen mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern im Rahmen verschiedenster Organisationsformen und Managementprozesse statt. Funktionsvoraussetzung dieser Netzwerke sind ausgeprägte Reziprozitätsbeziehungen, die sich über längere Zeit eingespielt haben und die beispielsweise durch ein hohes Maß an regionaler Einbettung stabilisiert werden. Beispiele sind die viel diskutierten regionalen Netzwerke zwischen kleineren und mittleren Unternehmen, die sich etwa auf gemeinsame Absatz- und Beschaffungsaktivitäten sowie auf Produktions- und FuEFunktionen richten. Solche Netzwerke finden sich im Einzelnen in unterschiedlichem Funktions- und Branchenzuschnitt in sehr verschiedenen Ländern und Regionen und schließlich auch mit je spezifischen Koordinationsmechanismen, über die sich bestimmte Formen des Austauschs und der Konfliktregulierung eingespielt haben. Greifbar wird die Spannbreite des hier angesprochenen Netzwerktypus etwa beim Vergleich zwischen den Zulieferbeziehungen des Maschinenbaus in Süddeutschland einerseits (z. B. Herrigel 1996) und andererseits den bekannten Produktionsnetzwerken des Dritten Italiens oder Jütlands (Braczyk et al. 1998). Während erstere sich durch stabile vertikale Kooperationsbeziehungen auszeichnen, handelt es sich im zweiten Fall um Kooperationsbeziehungen zwischen unmittelbaren Konkurrenten, wie sie in der deutschen Industrie nur selten anzutreffen sind (Reindl 1999). Realiter sind freilich die Übergänge vielfach fließend, überdies weisen die Koordinationsformen eine hohe Dynamik auf. Es muss daher zumeist der empirischen Analyse überlassen bleiben, überzeugende Unterscheidungen zu finden. 2.2 Widersprüchliche Verschränkung mit ökonomischen Zielen Die ökonomischen Ziele von Unternehmensnetzwerken lassen sich, folgt man Forschungsergebnissen aus der Industrie- und Techniksoziologie, in mehrfacher Hinsicht präzisieren: Zum einen können Netzwerke als das organisatorische Mittel für einen Rationalisierungszugriff auf die gesamte Wert- und Produktionskette und damit die Nutzung neuer PoUnauthenticated tenziale zurDownload Kostenminimierung der Date | 11/2/17und 5:47Steigerung PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited Produktivität angesehen werden. Möglich wird dies durch die Verknüpfung und Abstimmung der verschiedenen organisatorischen, technischen und arbeitskraftbezogenen Kompetenzen zuvor unabhängig voneinander agierender und unterschiedlich strukturierter Unternehmen. Unter der Dominanz eines fokalen Unternehmens wird dabei vor allem mittels IuK-gestützter Steuerungs- und Kontrollsysteme ein netzwerkübergreifendes Zielsystem durchgesetzt. Die geläufige industriesoziologische Rede von der „systemischen Rationalisierung“ stellt auf diesen ökonomischen Effekt der Netzwerkbildung ab, der je nach konkreter Netzwerkform einzelnen oder mehreren Netzwerkpartnern zu Gute kommt (Bieber 1992, Sauer/Döhl 1994). Zum anderen zielen Unternehmensnetzwerke auf die Bewältigung des schnellen und immer unüberschaubareren technologischen Wandels sowie auf die Verkürzung von Innovationszeiten. Das kollektive Interesse der Netzwerkpartner ist auf die Reduktion der oftmals hohen Unsicherheit und die Beherrschung der unkalkulierbaren Risiken von Innovationsvorhaben gerichtet. Erreicht werden sollen diese Ziele durch die enge Kopplung heterogener Akteure, durch gegenseitigen Know how-Transfer und die reziproke Bereitstellung unterschiedlicher Ressourcen. Die Flexibilität und Offenheit solcher auch als Innovationsnetzwerke bezeichneten organisatorischen Arrangements sollen darüber hinaus aber auch eine möglichst problemlose Integration neuer Partner und damit den Zugang zu neuem Wissen und Technologiefeldern erleichtern (Freeman 1991: 507 ff., Kowohl/Krohn 1995: 90 ff.). Weiterhin zielt Netzwerkbildung auf die Ausweitung der marktökonomischen Aktivitäten der beteiligten Unternehmen. Durch die Offenheit und Dynamik der Netzwerkbeziehungen soll eine Steigerung von Flexibilität und Marktnähe der Netzwerkpartner insgesamt erreicht werden. Dabei geht es um die Möglichkeit, jederzeit weitere Marktteilnehmer wie Kunden in die Netzwerke zu integrieren, um auf diese Weise wechselnden Kundeninteressen und Nachfragebedingungen Rechnung tragen zu können. Zugleich geht es auch um die Möglichkeit, mit Hilfe bestimmter Netzwerkpartner neue Marktsegmente zu erschließen und damit den Absatz zu sichern oder auszuweiten. Die Formel von der „grenzenlosen Unternehmung“ stellt auf dieses Phänomen einer ausgeprägten Dynamik von Unternehmens- und Netzwerkstrukturen ab.7 7 So Picot et al. 1996, in betriebswirtschaftlicher Perspektive; für die industriesoziologische Debatte vgl. zusammenfassend Minssen 2000. 111 Damit werden aber genau jene ökonomischen Anforderungen und Probleme, die mit Unternehmensnetzwerken beherrschbar gemacht werden sollen, verstärkt: Erfolgreiche Kostenminimierung, schnellere Innovationen sowie kunden- und marktnahe Absatzstrategien induzieren Reaktionen von Wettbewerbern, tragen zur Intensivierung von Konkurrenz und vor allem auch zur Beschleunigung des technologischen Wandels bei. Auf diese Weise kann ein sich selbst verstärkender Kreislauf zwischen den Effekten der Netzwerkbildung und den sich schnell verändernden Markt- und Konkurrenzbedingungen einspielen.8 Nicht-intendierte Folge sind Dauerprobleme der Netzwerkkoordination, die als paradoxal angesehen werden können:9 Die ökonomischen Zielsetzungen und der von den Akteuren angestrebte permanente Struktur-, Strategie- und Zielwandel kollidieren mit einer, nicht nur in Anschluss an Granovetter als zentral anzusehenden Funktionsbedingungen von Netzwerken, nämlich der Dauerhaftigkeit der in Frage stehenden sozialen Beziehungen. Kurz, in Frage gestellt ist das erforderliche Mindestmaß an sachlicher und zeitlicher Stabilität der netzwerkinternen Beziehungen, damit sich Kooperation und Vertrauen zwischen den Partnern überhaupt einspielen können. Festmachen lässt sich diese Situation besonders an den im Folgenden genauer diskutierten Koordinationsproblemen von Unternehmensnetzwerken. 3. Koordinationsprobleme 3.1 Sicherung von Vertrauen Fasst man Vertrauen zwischen den Netzwerkeinheiten als ein grundlegendes Merkmal von Unternehmensnetzwerken (z. B. Powell 1990, Kowol/Krohn 1995, Podolny/Page 1998), so wird damit zugleich das zentrale Koordinationsproblem von Netzwerken bezeichnet: Sollen vertrauensbasierte Beziehungen hergestellt werden, so ist ein „langer Atem“ erforderlich. Dieses Erfordernis ist nicht nur schwer 8 Hier ist vor allem auf neuere Thesen industriesoziologischer Provenienz zu verweisen, wonach Netzwerkbildung und eine intensivierte Ökonomisierung von Unternehmensaktivitäten als die zwei Seiten des gegenwärtigen Restrukturierungsprozesses von Unternehmen angesehen werden können (zuletzt Moldaschl/Sauer 2000). 9 Vgl. beispielsweise Funder (1999: 146 f.), die widersprüchliche Reorganisationstendenzen von Unternehmen in Anschluss an Cameron undUnauthenticated Quinn (1988) als „organizational paradox“ begreift. Download Date | 11/2/17 5:47 PM 112 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 mit den ökonomischen Erfordernissen der Flexibilität zu vereinbaren, sondern es wird zugleich durch die Netzwerkbildung und die damit verbundene Dynamisierung der ökonomischen Prozesse untergraben. 3.1.1 Voraussetzungen von Vertrauen Folgt man der einschlägigen Literatur, so meint der Begriff Vertrauen: die Anbahnung und den Aufbau vor allem auch personell getragener Beziehungen, dann die Schaffung von Verlässlichkeit der Austauschprozesse zwischen den Partnern, die wechselseitige Kalkulierbarkeit ihrer Aktivitäten und schließlich die Etablierung dafür geeigneter formaler organisatorischer, rechtlicher etc. Regelungen, in deren Rahmen sich die erforderlichen sozialen Prozesse einspielen können.10 Grundlegend thematisiert wird damit die Einbettung der Netzwerkbeziehungen in ein Milieu gleicher Traditionen, Erfahrungen und Orientierungen, das durch Unsicherheiten und Risiken der Interaktionen entstehende Interessendivergenzen und Aversionen zwischen den Partnern nicht in Konflikte umschlagen lässt. Vertrauen bezeichnet langfristig angelegte – reziproke – Austauschbeziehungen zwischen den Akteuren, die den Charakter eines „generalized exchange“ haben. Es existiert keine strikte Relation von Leistung und Gegenleistung. Vielmehr haben die beteiligten Akteure die begründete Erwartung, dass auch bei temporärer „Mehrleistung“ oder „Vorleistung“ eines Partners auf längere Sicht auch der andere Kooperationspartner nicht nur die entsprechende Gegenleistung, sondern auch seinerseits eine Mehrleistung einbringen wird (Granovetter 1985: 490 ff., Mahnkopf 1994: 71 ff.). Voraussetzungen für diese Art der Kooperation sind persönliche Beziehungen, die von unternehmensindividuellen Traditionen getragen werden und dauerhaften Charakter haben; weiterhin ist Verlässlichkeit im Austausch unabdingbar, die sich ohne intensive persönliche Beziehungen nicht entwickeln kann. Schließlich sind – ex post – „Erfolg“ und „Bewährung“ der Kooperation erforderlich, an die man sich „erinnert“ und die Voraussetzung für zukünftige gemeinsame Aktivitäten sind (z. B. auch Sabel 1993). So verstanden, schließt Vertrauen in Netzwerkbeziehungen die Garantie ein, dass die Regeln ein10 Vgl. dazu auch die eher anwendungsorientierte Literatur über das Management von Unternehmensnetzwerken, wo die angesprochenen Zusammenhänge als zentrale Managementprobleme hervorgehoben werden (z. B. Brussig et al. 2001). gespielter Kooperation – also Information und Interaktion – nicht einseitig, ohne Vorabinformation aufgekündigt werden. Die Änderung dieser Regeln kann aus zwingenden Gründen für einen Akteur notwendig werden, aber den anderen Partnern muss die Chance der Umorientierung und Umstellung bleiben. Die Austauschbeziehungen müssen dabei nicht die Gleichgewichtigkeit, das heißt die gleiche ökonomische Potenz der Akteure, einschließen, wenn dies auch die Stabilität eines Netzwerks begünstigt. Denn für die schwächeren Partner kann die Verlässlichkeit des stärkeren eine wichtige Ressource, vielleicht eine Überlebensgarantie sein; in jedem Fall erspart sie ihm Kosten, die er unter Marktbedingungen aufzubringen hätte. Denkbar ist sogar ein Verhältnis, in dem es dem Großen risikolos möglich, ja sogar geraten ist, den Schwächeren zu stützen. Beispielsweise kann er ihm Hilfen zur Rationalisierung geben und Know how überlassen, die insgesamt den Schwächeren zu einem wertvollen Partner werden lassen. Instruktiv lässt sich dies am Fall von Kleinbetrieben aus dem Kfz-Gewerbe zeigen, die im Rahmen eines umfassenden Netzwerkes der Automobilproduktion mit den großen Automobilendproduzenten verbunden sind. Die Kleinbetriebe unterliegen dabei einerseits einer Einschränkung ihrer Autonomie durch die Dominanz der großen Endhersteller, andererseits aber können die Großhersteller ihren Bestand durch Maßnahmen wie Gebietsschutz und die Bereitstellung vielfältiger Unterstützungsleistungen sichern (Heidling 2000: 78 ff.). 3.1.2 Gegentendenzen Indes lassen die verschärften Konkurrenz- und Innovationsbedingungen zunehmend weniger Platz für solchermaßen verstandene kooperative und vertrauensbasierte Netzwerkbeziehungen. Denn Kostenminimierung, hoher Zeitdruck und steigende Flexibilitätsanforderungen drängen zu opportunistischem Verhalten einzelner Netzwerkpartner: schnelle Reaktionen und häufiger Strategiewechsel, um kurzfristig sich ergebende Absatzchancen auszunutzen oder um im Netzwerk gewonnenes Know-how im eigenen Interesse möglichst schnell zu nutzen. Besonders greifbar wird diese Entwicklung im Fall von Unternehmensnetzwerken, die sich auf technische Innovationen richten: Die Konkurrenz um erfolgreiche Innovationen entscheidet sich zunehmend über die „time to market“, das heißt die Schnelligkeit, mit der neue Produkte auf dem Markt gebracht werden, daUnauthenticated nur dann die Chance einer zureichenden gegeben DownloadProfitablität Date | 11/2/17 5:47 PMist. Hinzu Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited kommt, dass die Kapitalintensität für Innovationen in sehr vielen Fällen ständig steigt, die Kalkulationen unsicherer werden und Entwicklungszeiträume aufgrund steigender Komplexität der Entwicklungsvorhaben immer unüberschaubarer werden (z. B. Jürgens 2000). Diese Situation kann zu regelrechten Innovationsblockaden bzw. Fehlentwicklungen führen, die besonders in den letzten Jahren in den unterschiedlichsten Technikfeldern beobachtbar waren (Verbund 1997: 19 ff.). Die empirischen Beispiele hierfür sind vielfältig und betreffen die unterschiedlichsten Netzwerkformen. So wird über die hierarchischen Zuliefernetze etwa in der Automobilindustrie berichtet, dass von den Endherstellern und großen Zulieferunternehmen gemeinsam begonnene Entwicklungsvorhaben oftmals von dem wechselseitigen Misstrauen bezüglich eines Know how Verlustes an die Partner begleitet sind und daher die gemeinsamen Entwicklungsvorhaben oftmals von Anbeginn an gefährdet seien. Ähnliches ist im Werkzeugmaschinenbau beobachtbar, wo die seit vielen Jahren eingespielten vertikalen Innovationsbeziehungen zwischen Zulieferern, Herstellern und Kunden immer häufiger zeitlich begrenzten Charakter haben und sich nur noch an Kriterien wie Preis und möglichst kurzfristigem Liefertermin orientieren. Kooperationsbeziehungen werden in diesen Fällen eingegangen, um Entwicklungsprozesse zu beschleunigen und neues Know how zu gewinnen, ohne dass dabei langfristige Perspektiven verfolgt werden (z. B. Schmierl 1997, Lippert 1998). Ähnliche Tendenzen werden auch aus dem Bereich der Bahnindustrie berichtet (Hauber et al. 2000). Danach wurden bis zu Beginn der 90erJahre Entwicklungsvorhaben im Rahmen ausgesprochen langfristig angelegter System- und Entwicklungspartnerschaften durchgeführt, die nicht nach einer kurzfristig ausgerichteten ökonomischen Logik funktionierten. Seit der in diesem Wirtschaftsbereich politisch vorangetriebenen Deregulierung werden Innovationsvorhaben nun mehr verstärkt unter Kosten- und Zeitaspekten durchgeführt, dies mit der Folge zunehmender Konkurrenz und instabilen Kooperationsbeziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen. Vertrauensbasierte Netzwerkbeziehungen werden in solchen Fällen durch Kooperationsbeziehungen ersetzt, die von ökonomischem Druck geprägt sind und die ganz erhebliche Konsequenzen für den Verlauf und die Qualität von Innovationsvorhaben haben: Während zuvor im Kontext kooperativer Innovationsbeziehungen gezielt anwendungsspezifische technische Systeme teilweise über längere Zeitphasen hinweg entwickelt wurden, kommen jetzt oft- 113 mals nur unzureichend erprobte, mehr oder weniger standardisierte Techniken zum Einsatz, mit denen sich unter Umständen ganz erhebliche Anlaufprobleme und Kosten verbinden. Verlässlichkeit wird unter diesen Bedingungen immer weniger möglich, da eine kurzfristige und einseitige Aufkündigung der Kooperationsbeziehungen aus ökonomischen Gründen jederzeit notwendig werden kann und persönliche Beziehungen sich nur schwer einspielen und erhalten können. Zudem entfallen dadurch die koordinationserleichternden Effekte langfristig stabiler Beziehungen mit der Aussicht auf eine zukünftige Zusammenarbeit (Sydow 1999: 286). Die grundlegendere Frage ist aber, ob die notwendige Fairness im Umgang miteinander strukturell überhaupt noch möglich ist? Nicht zuletzt erschwert auch eine konkurrenzbedingt wachsende Furcht vor dem Verlust des immer spezialisierteren und daher kostbareren Know how an potenzielle Konkurrenten den Aufbau von Netzwerkbeziehungen sehr (z. B. Brussig et al. 2001: 60 f.). Damit tritt in vielen Fällen offen zu Tage, was die eigentlichen Antriebskräfte für die Bildung von Unternehmenskooperationen sind: nämlich ökonomisches Kalkül und der Druck mächtiger Partner, über die sich ausschließlich wirtschaftliche Abhängigkeiten konstituieren und Unternehmensnetzwerke zum Ausbau von Machtpositionen großer und zur Ausbeutung kleiner Unternehmen und ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit genutzt werden. Dass dies oft der Fall ist, belegen instruktiv empirische Befunde aus der Automobilzulieferindustrie (z. B. Bieber 1992, Gaitanides 1998). Diese Netzwerke umfassen vertrauensbasierte Beziehungen allenfalls zwischen den Endherstellern und den großen Systemlieferanten, nicht jedoch bei der Vielzahl der Beziehungen mit anderen Direktlieferanten und schon gar nicht zu peripheren Sublieferanten (Gaitanides 1998: 110). Macht ersetzt in diesen Fällen die durch Stabilität möglichen Verhandlungsprozesse (z. B. Schienstock 1994, Rölle/Blättl-Mink 1998), und Netzwerke werden insbesondere für kleinere Unternehmen zu einer risikoträchtigen und unkalkulierbaren Angelegenheit, die sie zu meiden trachten. Der Grat zwischen Erfolg und Dysfunktionalität wird vermutlich generell, insbesondere jedoch bei den erwähnten auf Kurzfristigkeit angelegten virtuellen Netzwerken schmal und immer schmaler werden. 3.2 Bewältigung von Komplexität Unstrittig ist in der Debatte über UnternehmensUnauthenticated netzwerke,Download dass sie Date trotz| 11/2/17 aller Unterschiedlichkeit 5:47 PM 114 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 ein hohes Maß an organisatorischer Komplexität aufweisen: Wie angesprochen, gelten einerseits Unternehmensnetzwerke als Organisationsform, mit der die turbulenten Herausforderungen der Gegenwart weit besser bewältigt werden können als mit hierarchisch verfassten Unternehmen. Andererseits verbinden sich damit Folgeprobleme organisatorischer Intransparenz, Interdependenz und Komplexität (z. B. Sydow/Windeler 2000: 116 f.). Folgt man der eingangs formulierten These, so ist davon auszugehen, dass beide Momente miteinander verschränkt sind und Komplexitätsbewältigung in Netzwerken damit zum Dauerproblem wird. Dies schlägt sich in einer ganzen Reihe von Management- und Organisationsproblemen der Netzwerkkoordination nieder. Insbesondere lassen sich unter den zunehmend turbulenten Bedingungen realiter die verschiedenen Managementfunktionen eines Unternehmensnetzwerkes (z. B. Sydow 1999: 294 ff.) immer weniger eindeutig voneinander trennen. So sind die Anbahnung eines Netzwerkes und die Auswahl von Netzwerkpartnern keineswegs als einmaliger Prozess von begrenzter Dauer zu begreifen. Vielmehr drängen sich schnell verändernde Markt- und Konkurrenzverhältnisse, ständige Innovationsprozesse, rasanter technologischer Wandel und nicht zuletzt die „Virtualisierung“ von Netzwerken zu einem kontinuierlichen Prozess der Re-Konfiguration von Unternehmensnetzwerken; der Ausstieg ungeeigneter Partner und die Integration neuer Partner werden zu einem Dauerproblem. Dies bedeutet, dass die Funktionen der Allokation, d. h. der Verteilung von Aufgaben, Ressourcen und Zuständigkeiten zwischen den Partnern wie die der Regulation der Netzwerkprozesse kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind. Die Konsequenz davon ist, dass sich die ohnehin nur geringe Regelhaftigkeit netzwerkinterner Beziehungen kaum einspielen kann und permanente Abstimmungsprozesse über die verschiedensten Aspekte der Netzwerkkooperation erforderlich werden. Die Folgen dieser Situation können mehrfacher Art sein: 3.2.1 Wachsende Bedeutung von Grenzmanagement Die Funktion von „Grenzgängern“ oder auch „Boundary Spanners“ gewinnt eine wachsende Bedeutung für die Funktionsfähigkeit von Netzwerken. Es handelt sich dabei um Funktionen, die sich auf die Grenzziehung eines gesamten Netzwerkes gegenüber seiner Umwelt, die Definition von Grenzen zwischen den einzelnen Netzwerkpartnern und den Zuschnitt von Funktions- und Abtei- lungsgrenzen innerhalb eines einzelnen Netzwerkunternehmens richten (Ortmann et al. 1997: 32 f.). Die Frage ist, inwieweit diese Funktion als ausdifferenzierte von dafür spezialisierten Beschäftigtengruppen wahrgenommen werden kann oder ob sie gerade auch angesichts wachsender Turbulenzen tendenziell zum integralen Bestandteil von sehr vielen verschiedenen Funktionen innerhalb eines Unternehmensnetzwerkes werden muss. Empirisch zeigt sich dies beispielsweise daran, dass sich die interne Planung und Steuerung des Produktionsablaufs eines Netzwerkunternehmens oftmals kaum von der zugleich erforderlichen netzwerkübergreifenden Planung trennen lässt. Die traditionellen Planungs- und Steuerungsbereiche sehen sich mit völlig neuen und ungewohnten Aufgaben und Arbeitsanforderungen konfrontiert, was bei dem davon betroffenen Personal unter Umständen Aversionen und Widerstände gegen die Netzwerkbeziehungen hervorruft. Besonders erkennbar ist dies beispielsweise in der Automobilindustrie, wo sich Fragen des Qualitätsmanagements auf Grund der hohen Innovationsrate und eines schnellen Produktwechsels als netzwerkübergreifendes Managementproblem erweisen, das keinesfalls mehr wie im Falle der traditionellen Hersteller-Zulieferbeziehungen zeitlich und sachlich bloß punktuell angegangen werden kann (Endres/Wehner 1996: 95 ff.). Hervorzuheben ist zudem, dass die Aufgabe des Grenzmanagements den Managern wie auch den sonst damit befassten Belegschaftsmitgliedern eines Unternehmens zusätzliche und neue Qualifikationen und Kompetenzen abverlangt. Vorliegenden Befunden zufolge (z. B. Scherm/Süß 2000) handelt es sich dabei um Qualifikationen, die von einem hohen Maß methodischer und inhaltlicher Flexibilität bis hin zu ausgeprägten sozialen und kommunikativen Fähigkeiten reichen. Eine genauere Analyse steht hier allerdings noch aus, und nur wenige Informationen liegen darüber vor, wie Netzwerkunternehmen die Qualifizierung und Förderung der für Netzwerke erforderlichen Fachkräfte realisieren. Vermutet werden kann, dass solche hybriden Qualifikationsbündel weit über die in der Regel verfügbaren Qualifikationen hinausgehen und die Netzwerkunternehmen vor ganz erhebliche personalwirtschaftliche Engpässe stellen. Wie empirische Befunde aus dem unter beträchtlichen Konkurrenzzwängen stehenden Maschinenbau zeigen, werden die erforderlichen Qualifizierungs- und Reorganisationsmaßnahmen als sehr risikoreich und teuer angesehen und unterbleiben daher (Brussig et Unauthenticated al. 2001: 59 ff.). Download Date | 11/2/17 5:47 PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited 3.2.2 Verhandlungsprozesse und Machtbeziehungen Komplexität entsteht zudem dadurch, dass in einem Unternehmensnetzwerk die Interessen einer oft größeren Zahl von wechselseitig aufeinander angewiesenen Netzwerkpartnern koordiniert und aufeinander abgestimmt werden müssen. Auf Grund des immer nur begrenzten Formalisierungsgrades der Netzwerkbeziehungen müssen dabei die unterschiedlichsten „Unsicherheitszonen“ wie die Klärung von Schnittstellen und die Identifikation von Ansprechpartnern bewältigt werden (z. B. Rölle/ Blättel-Mink 1998: 76 ff.). Dies kann zu nicht enden wollenden Diskussionen und Verhandlungsprozessen führen, die zeit- und kostenträchtig sind und die die intendierten ökonomischen Ziele einer unternehmensübergreifenden Kooperation wie eine möglichst kostengünstige Nutzung spezieller Kompetenzen von Netzwerkpartnern11 nachhaltig konterkarieren können. Gerade bei virtuellen Netzwerken, die auf schnelle Ergebnisse und Wandlungsfähigkeit ausgelegt sind, dürfte diese Situation besonders schwierige Koordinationsprobleme nach sich ziehen. Auch im Fall relativ gleichberechtigter und machtsymmetrischer Beziehungen zwischen den Partnern eines Netzwerkes sind oft komplexe Verhandlungsund Abstimmungsprozesse für eine Neudefinition von Netzwerkzielen oder für die Abstimmung mit neuen Partnern notwendig. Die dabei in der Regel vorherrschenden Mechanismen der Kooperation und Konfliktregulation laufen auf Konfliktvermeidung hinaus und haben konservierende und strukturerhaltende Konsequenzen.12 Wie eine ganze Reihe von FuE-Netzwerken aus dem Maschinenbau zeigen, können Zielsetzungen wie die Steigerung von Flexibilität und Innovativität dadurch nachhaltig konterkariert werden (Hirsch-Kreinsen 1997). Angesichts hoher Turbulenzen auf Absatz- und Beschaffungsmärkten handeln sich die beteiligten Unternehmen damit unter Umständen fatale Konsequenzen ein, denen sie im Extremfall nur durch die „Exit“-Strategie entgehen können. 115 gestellt, woraus langwierige Auseinandersetzungen und für das gesamte Unternehmensnetzwerk wirtschaftlich problematische Folgen erwachsen können. Wie die schon erwähnten Befunde aus der Automobilzulieferindustrie zeigen, können Netzwerke zum Ausbau von Machtpositionen instrumentalisiert werden, indem sich Großunternehmen durch die Ausnutzung kleiner innovativer Firmen oder wissenschaftlicher Einrichtungen technologisches Know how verschaffen. Auch können Zulieferfirmen, wie es in der Automobilbranche ja nicht so ungewöhnlich ist, durch Preis- und Qualitätsdiktate an den Rand des Ruins gedrängt werden (z. B. Schienstock 1994: 259). Nach wie vor ist hier die Feststellung von Harrison (1994: 12) bedenkenswert, wonach Unternehmensnetzwerke oft wenig mehr seien als mächtige Großunternehmen „dressed in new costumes and armed with new techniques . . .“ 3.2.3 Widersprüchliche Anforderungen an das Management Mit dieser Situation verbinden sich eine Reihe recht widersprüchlicher Managementaufgaben, die im Einzelfall nur schwer zu bewältigen sind. So müssen die Manager der einzelnen Netzwerkunternehmen die Interessen des jeweils eigenen Unternehmens stets mit den Zielen und Erfordernissen des Unternehmensnetzwerks insgesamt abstimmen, wobei nicht immer eindeutig zu bestimmen ist, welchen Interessen dabei Priorität zukommen sollte. Zudem müssen sie dabei der oftmals vorhandenen latenten Konkurrenz zwischen den Partnern Rechnung tragen, was ein hohes Maß an Verhandlungsgeschick und -aufwand erfordert, die unter den ökonomischen Rahmenbedingungen wohl kaum immer durchgehalten werden können. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von mit Unternehmensnetzwerken vergleichbaren dezentralisierten Großunternehmen; hier sind infolge eines absichtsvoll in das Netzwerk eingebauten und durch verschiedene Formen indirekter Kontrolle stimulierten Konkurrenzmechanismus der Zusammenhalt und die Kooperation zwischen den einzelnen Netzwerkeinheiten dauerhaft gefährdet.13 Als ähnlich kann schließlich die Situation in machtasymmetrischen Netzwerken mit der Dominanz großer fokaler Unternehmen angesehen werden. Die Funktionsfähigkeit solcher Netzwerke wird oft durch ökonomisches Kalkül und durch Zwang her- In ähnlicher und wohl auch in verstärkter Form findet sich dieser Widerspruch bei räumlich weit verteilten, internationalisierten Unternehmensnetzwer- 11 Unter Umständen Kompetenzen, die zuvor im Zuge der „Verschlankung“ und der Reduktion auf sog. Kernkompetenzen im eigenen Unternehmen abgebaut worden sind. 12 Dies belegen instruktiv auch die Ergebnisse der Debatte um Policy-Networks (Mayntz 1993). 13 Deutschmann et al. (1995) sprechen vom „strukturellen Egoismus“ einzelner Unternehmenseinheiten infolge der konkurrenzbedingten Orientierung am eigenen Geschäftserfolg, der auf Kosten eines ganzen UnternehmensverbunUnauthenticated des gehen kann. Download Date | 11/2/17 5:47 PM 116 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 ken, wo das Management in besonderer Weise auf die lokalen Bedingungen einzelner Netzwerkeinheiten eingehen muss, um die Koordinierbarkeit des gesamten Arrangements zu gewährleisten. So müssen unterschiedliche Organisationsformen und -traditionen, Managementstandards und -erfahrungen oder auch länderspezifische Innovationsleitbilder und Entwicklungsmethoden aufeinander abgestimmt werden. Hinzu kommen nicht selten konkurrierende Interessen und Sichtweisen der verschiedenen internationalen Netzwerkpartner, die nur in langwierigen und aufwendigen Kommunikations- und Verhandlungsprozessen in Übereinstimmung gebracht werden können. Denn in internationaler Perspektive haben netzwerkübergreifende Koordinationsentscheidungen oftmals weitreichende Rückwirkungen auf die Auftragslage, auf die Beschäftigung und damit die Existenz eines einzelnen Partners.14 Solche Divergenzen sind zudem Ausdruck unterschiedlicher länderspezifischer und regionaler Faktoren, mit denen die einzelnen Netzwerkeinheiten vielfach eng verwoben sind. Auf Grund ihres strukturellen Charakters sind daraus resultierende Koordinationsprobleme im Grunde nicht lösbar, allenfalls temporär neutralisierbar.15 Insgesamt gesehen, ist die widersprüchliche Stabilität eines Unternehmensnetzwerks in hohem Maße von den Aktivitäten einiger weniger Personen in Schlüsselpositionen, den Promotoren eines Netzwerkes abhängig. Ihnen kann eine wichtige Initiativ- und Stabilisierungsfunktion insbesondere bei Netzwerken kleinerer Unternehmen zukommen. Es scheinen zwei Eigenschaften zu sein, die diese Promotoren mitbringen müssen: Zum einen müssen sie überzeugende fachliche Kenntnisse haben und in betriebswirtschaftlichen und strategischen Fragen entscheidungsfähig sein; zum anderen müssen sie einen Kooperationsverbund immer wieder stabilisieren und vorantreiben, ohne die Partner zu über14 Vgl. hierzu die Ergebnisse einer Reihe neuerer Studien über die Strukturen und Steuerungsprobleme internationaler Unternehmen (z. B. von Behr/Hirsch-Kreinsen 1998, Bélanger et al. 1999, Dörrenbacher 1999, Pries 1999). 15 Allerdings wird in der einschlägigen Netzwerkdebatte die Rolle, die räumliche Distanzen und damit verschränkte soziale, kulturelle oder kommunikative Divergenzen für die Koordinierbarkeit von Unternehmensnetzwerken spielen, bislang weitgehend ausgeblendet. Dies gilt besonders auch für den Forschungsbereich des internationalen Managements, demzufolge transnationale Netzwerkstrukturen eine zunehmende Bedeutung für international agierende Unternehmen gewinnen (z. B. Welge/Holtbrügge 2001: 152 f.). fordern und misstrauisch zu stimmen (Brussig 2000: 148 f.). Die Folgen für solche Netzwerkmanager sind Überforderungen und besondere Arbeitsbelastungen, überlange Arbeitszeiten, Stress und das Gefühl, nicht abschalten zu können. Angesichts sich schnell wandelnder Rahmenbedingungen werden sich hier stabile Verhältnisse wohl eher nicht einpendeln, vielmehr kommt den vermittelnden Managementfunktionen im Prozess der Netzwerkkoordination erkennbar eine wachsende Bedeutung zu (z. B. Mill/Weißbach 1992). Generell kann von einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen der Problemlösungsfähigkeit von Netzwerken einerseits und der Entstehung neuartiger komplexer Situationen der Vernetzung und Kopplung andererseits ausgegangen werden, letzteres mit einer Reihe nicht-intendierter Folgen für das Management und die Organisation. Deutlicher formuliert: ein Unternehmensnetzwerk ist nicht nur ein ressourcenreiches Gebilde, das helfen kann, Probleme kooperativ zu bewältigen. Es ist ebenso ein Arrangement, das auf Grund der wechselseitigen Kopplung der beteiligten Akteure und der damit verbundenen Eigendynamik viele neue Probleme erst erzeugt und Koordinationsmaßnahmen erforderlich werden lässt, die in Hinblick auf Art und Aufwand nur schwer vorhersehbar sind, ja die potenziellen Leistungsvorteile überkompensieren können (Kneißle/Zündorf 1995, Ebers et al. 2000). 3.3 Wandlungsfähigkeit Ein weiteres Koordinationsproblem stellt die Sicherung der Wandlungsfähigkeit von Unternehmensnetzwerken dar; es geht dabei um die Frage, in welchem Verhältnis die für ein Netzwerk notwendige Stabilität und die gleichzeitig erforderliche Dynamik stehen.16 Wie angesprochen, wird mit dem Modell der Unternehmensnetzwerke ein hohes Maß an Wandlungs- und Lernfähigkeit, mithin Dynamik verbunden. Doch kann dies nicht grundsätzlich angenommen werden, vielmehr lassen sich gerade auch in dieser Hinsicht nur wenig eindeutige und widersprüchliche Situationen ausmachen. 16 Dem damit angesprochenen Aspekt des Wandels von Unternehmensnetzwerken in der Dimension der Zeit wurde in der einschlägigen Forschung überraschenderweise bislang nur wenig Beachtung geschenkt (z. B. Snow et al. 1992, Powell/Smith-Doerr 1994, Sydow 1999, Staber Unauthenticated 2000). Download Date | 11/2/17 5:47 PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited 3.3.1 Blockaden Ein Fall der mangelnden Wandlungsfähigkeit von Unternehmensnetzwerken ist ihre ausgeprägte Stabilität infolge einer sehr engen Verschränkung der verschiedenen Netzwerkeinheiten. Diese Situation ist die Folge von über lange Zeit eingespielten und „resistenten“ Netzwerkstrukturen, die mit gewandelten Rahmenbedingungen konfrontiert werden. Eine solche endogene Blockade kann Resultat von zu engen funktionalen, kognitiven oder auch interessenbedingten und vor allem dauerhaften Verschränkungen zwischen den Netzwerkpartnern sein. Die „weak ties“ können sich, wie Grabher (1993) eindrucksvoll am Beispiel der vielfältig miteinander vernetzten Montanunternehmen und ihrer Zulieferer im Ruhrgebiet gezeigt hat, zu „strong ties“ wandeln und damit die ökonomische Entwicklungsfähigkeit ganzer Regionen gefährden. Ein weiteres instruktives Beispiel für Netzwerkversagen ist die frühere Schweizer Uhrenindustrie. Die engen eingespielten Beziehungen zwischen den Entwicklungs- und Produktionspartnern und die gemeinsame fest gefügte Orientierung an mechanischen Technologien machte sie offenbar unfähig, die in Südostasien zur Massenproduktion entwickelte Quarztechnologie zu übernehmen. Die bekannte Folge war ein schneller Niedergang dieser Branche in den 70er und 80er-Jahren (Glasmeier 1991). Auf ähnliche Ursachen lässt sich der Niedergang des Werkzeugmaschinenbaus der USA in der ersten Hälfte der 80er-Jahre zurückführen: mit der traditionell engen Bindung der Maschinenhersteller an einige wenige Großkunden besonders aus der Automobilindustrie verband sich eine über Jahrzehnte verfestigte Orientierung an den technologischen Konzepten einer konventionellen und starren Form der Maschinenautomation – auch als „Detroit Automation“ bezeichnet. Diese Situation hinderte die amerikanischen Maschinenhersteller, dem damals sich schnell durchsetzenden Wandel zur flexiblen Automatisierung zu folgen. Die Konsequenz war, dass westdeutsche wie vor allem japanische Hersteller mit ihren flexiblen und an die unterschiedlichsten Bedingungen anpassbaren Maschinenkonzepten den Markt für Werkzeugmaschinen in den USA gleichsam aufrollten (March et al. 1989). Wie verschiedene andere Studien über die Wandlungsprozesse von Unternehmensnetzwerken zeigen, können solche Blockadesituationen oftmals nur durch den bestimmenden Einfluss eines mächtigen Akteurs, etwa durch ein Großunternehmen aufgelöst werden. Mit dem Durchbruch zu neuen Innovationsaktivitäten sind dann ein nachhaltiger Wandel der bisherigen Akteurskonstellation und 117 die Entstehung neuer Formen von Unternehmensnetzwerken verbunden. Handelt es sich dabei um eingespielte und von daher nur schwer überwindbare Blockaden, so treten ähnliche Effekte auch infolge der erwähnten Rationalisierung von Netzwerkprozessen auf. Der wachsende ökonomische Druck kann in Bemühungen münden, die netzwerkinterne Kommunikationsund Kooperationsintensität zu vereinfachen und zu reduzieren, um auf diesem Wege Kosten und Zeit zu sparen. Hier besteht aber die Gefahr, dass kurzfristig gesehen, überschüssige Entscheidungs- und Handlungsspielräume abgebaut werden, diese aber langfristig als Ressourcenüberschuss Sicherheit und Anpassungsfähigkeit gewährleisten. Diese auch als „Slack“ und „Beziehungsredundanz“ bezeichneten Handlungspotenziale bilden die Grundlage für offene und nicht unmittelbare ökonomische Kalkül unterworfene Such- und Entscheidungsprozesse, sie sind mithin eine Voraussetzung für Innovationsfähigkeit (Grabher 1994: 51 ff.). Zwar wird diese nicht grundlegend eingeschränkt, jedoch legt die Reduktion brachliegender, im aktuellen Geschäftsbetrieb nicht genutzter Ressourcen den Verzicht auf risikoreiche Innovationen, wirkliche Technologiesprünge und Strategiewechsel nahe. Denn deren Risiken und mögliche Fehlschläge wären nur schwer im Rahmen eines durchrationalisierten Unternehmensnetzwerkes aufzufangen. 3.3.2 Instabilität Relevanter in der hier diskutierten Perspektive der engen Verschränkung von Netzwerkbildung mit turbulenten ökonomischen Bedingungen ist die Instabilität von Netzwerkstrukturen, als Folge eines wachsenden Zeitdrucks. Die paradoxe Konsequenz ist, dass Unternehmensnetzwerke einerseits durch das Poolen von Kompetenzen und das zeitparallele Abarbeiten bestimmter Aufgaben Möglichkeiten bieten, diesen Zeitdruck aufzufangen. FuE-Netzwerke der verschiedensten Art belegen diese Vorteile gegenüber alternativen Koordinationsformen. Andererseits aber besteht die Gefahr, dass die zeitliche Stabilität der Netzwerkbeziehungen und damit die Voraussetzung für die stets erforderlichen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse zwischen den Partnern verloren gehen (Jones et al. 1997: 921). Hiervon sind insbesondere die Prozesse des Wissenstransfers und der Wissensgenerierung betroffen, die die zentrale Voraussetzung der Wandlungsund Lernfähigkeit von Unternehmensnetzwerken sind. Denn diese Vorgänge sind in hohem Maße voraussetzungsvoll und benötigen Stabilität und Zeit. Unauthenticated Dies belegtDownload nicht zuletzt die neuere Debatte um Date | 11/2/17 5:47 PM 118 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 Wissensmanagement, der zufolge die organisationsübergreifende Nutzung von Wissen an gemeinsame Kontexte gebunden ist und die Generierung neuen Wissens oftmals routinisierte organisationale Prozesse erfordert (z. B. Nonaka 1994, Willke 1998). Beides ist unter den Bedingungen wie einer steigenden Flexibilität und einer möglichst kurzen „timeto-market“ von Innovationsvorhaben, wie wiederum Befunde aus dem Maschinenbau zeigen (z. B. Lippert 1998: 220 ff.), nur schwer möglich. Als nicht beabsichtigte Folgen drohen wachsende Unsicherheiten im Verhältnis der Netzwerkpartner und sich wechselseitig verstärkende Aversionen, die ihrerseits zu Blockaden, zum Unterlaufen der angestrebten Synergie- und Lerneffekte bis hin zum Ausscheren aus dem Unternehmensverbund führen können. Wie schon gezeigt: die erforderlichen Vertrauensbeziehungen können sich nicht einspielen oder erodieren. 4. Bedingungen und Einflussfaktoren Angesichts der skizzierten Koordinationsprobleme kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass Unternehmensnetzwerke über jenes große Problemlösungspotenzial verfügen, das ihnen oftmals zugeschrieben wird.17 Mangelndes Vertrauen zwischen den Partnern, große organisatorische Komplexität und nur schwer beherrschbare Zentrifugalkräfte lassen Unternehmensnetzwerke schnell zu einem schwer koordinierbaren organisatorischen Arrangement werden. Insofern ist das bekannte Diktum von Powell (1990: 303) zu bezweifeln, dass Netzwerke in jeden Fall „leichtfüßiger“ seien als Hierarchien (Reiß 1998). Ursache ist ihre widerspruchsvolle Verschränkung mit ökonomischen Zielsetzungen: einerseits zielen Unternehmensnetzwerke auf eine erweiterte und intensivierte Ökonomisierung der Unternehmensaktivitäten, andererseits gefährden sie dadurch ihre Funktions- und Existenzbedingungen, insbesondere die für die Beziehungen zwischen den Netzwerkpartnern erforderliche Stabilität.18 17 Vgl. hierzu auch die Kritik von Köhler (1999: 40 f.), der den sozialwissenschaftlichen Konzepten von Unternehmensnetzwerken eine „implizite Teleologie“ vorhält, da vielfach unkritisch entsprechende „best practice“ Modelle aus der Managementdebatte übernommen werden. 18 So auch systemtheoretisch begründete Überlegungen von Bechtle, wonach Prozesse systemischer Rationalisierung, organisatorisch eben Unternehmensnetzwerke, an die Transformation sachlicher Komplexität und zeitlicher Kontingenz in relativ stabile und invariante Relationen Die Bildung und die Existenz von Unternehmensnetzwerken sind offensichtlich nur innerhalb der Grenzen bestimmter Bedingungskonstellationen und Kontexte praktikabel und möglich. Versucht man solche genauer herauszuarbeiten, so ist man zunächst auf die schon diskutierten und in der Literatur häufig genannten Faktorenkomplexe verwiesen:19 die Unbestimmtheit und Turbulenz der technologischen und ökonomischen Entwicklung, die begrenzten Ressourcen einzelner Unternehmen, das verbundene ausgeprägte Risiko hinsichtlich der jeweils möglichen Wege ihrer Bewältigung und schließlich die wachsenden Interdependenzen zwischen einzelnen Unternehmen mit verschiedenen Kompetenzen aus teilweise unterschiedlichen Sektoren. Freilich bedürfen diese Faktoren der Präzisierung. Wichtige Hinweise dazu geben, trotz der vielfältigen Kritik an diesem Konzept (z. B. Lundvall 1993; Ortmann et al. 1997: 35 ff.), transaktionskostentheoretische Überlegungen zu den Konstitutionsbedingungen verschiedener Governancemuster ökonomischer Austauschprozesse (z. B. Picot et al. 1996: 41 ff., Sjurts 2000: 188 ff.). Danach ist der hier bestimmende Faktor die Spezifität einer ökonomischen Transaktion. Dieser Begriff umfasst die Besonderheiten der jeweiligen ökonomischen Interaktion, die im Zusammenspiel mit weiteren Einflussgrößen – wie Unsicherheit, der Möglichkeit opportunistischen Verhaltens und asymmetrischer Informationsverteilung zwischen den Interaktionspartnern – die Transaktionskosten beeinflussen. Ohne an dieser Stelle auf diese Zusammenhänge genauer eingehen zu können, wird nun davon ausgegangen, dass für ökonomische Leistungen geringer Spezifität Märkte, für Leistungen hohen Spezifitätsgrades dagegen eher hierarchische Koordinationsformen effizient sind. Netzwerke und Kooperationen sind demgegenüber für ökonomische Aktivitäten „mittlerer Spezifität“ auf Grund vergleichsweise begrenzter Transaktionskosten besonders geeignet. Anders formuliert: Risiken und Dynamik dürfen nicht zu groß sein, ebenso soll sich die strategische Bedeutung der in Frage stehenden Transaktion in Grenzen halten, da andernfalls integrierte Organisationslösungen als vorteilhafter gelten. Umgekehrt gilt der Markt bei vergleichsweise sicheren, unspezifischen, strategisch unbedeutenden zwischen den verschiedenen Teilen und Phasen des Wertschöpfungsprozesses gebunden sind (1994: 56). 19 Vgl. beispielsweise so unterschiedliche Autoren wie Powell 1990, Snow et al. 1992, Semlinger 1993, und Kowol/ Unauthenticated Krohn 1995.Download Date | 11/2/17 5:47 PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited und eher seltenen Transaktionen als angemessene Koordinationsform. Ähnliche Hinweise finden sich in innovationsökonomischen Studien, demzufolge, zusammenfassend formuliert, Innovationen von großer Komplexität, hohen Risikos und strategischer Bedeutung am kostengünstigsten und ohne Friktionen im Rahmen eines integrierten Unternehmens zu bewältigen seien. Bei leichter kalkulierbaren Innovationen mit begrenzter Komplexität und vor allem bei standardisierbaren Aufgaben und Komponenten finden sich auf Grund weit geringerer Abstimmungsnotwendigkeiten und Konfliktmöglichkeiten zwischen den Partnern hingegen eher vernetzte, ja virtuelle Koordinationslösungen.20 Fraglos sind mit diesen Zusammenhängen allenfalls notwendige, keineswegs jedoch hinreichende Bedingungen von Unternehmenskooperation und Netzwerkbildung bezeichnet. Folgt man entsprechenden organisationstheoretischen Überlegungen (zusammenfassend z. B. Windeler 2001: 53 ff.), so sind hier Merkmale der Netzwerkakteure wie ihre Ressourcen und Strategien, ihre jeweilige Konstellation und die Unterstützung durch regionale Institutionen von hinreichender Bedeutung. Erst im „koevolutionären“ Zusammenspiel aller Faktoren konstituieren sich Unternehmensnetzwerke. Empirisch bestehen hierbei allerdings „mehrere, wenn auch keinesfalls beliebig viele äquifinale Möglichkeiten der Netzwerkorganisation“ (Windeler 2001: 67). Diese Zusammenhänge implizieren, dass sich Unternehmensnetzwerke oftmals in vergleichsweise stabilen technologisch ausgereiften Industriesektoren finden, die zugleich aber schwer kalkulierbaren, neuartigen und risikoreichen Rationalisierungsund Innovationsanforderungen ausgesetzt sind (Miles/Snow 1992, Robertson/Langlois 1995). Hierher gehören die erwähnten Netzwerke in traditionellen Branchen mit hohen Marktturbulenzen wie in der Bauindustrie oder mit sehr kurzen Produkt- und Modezyklen wie in der Bekleidungsindustrie. Typisch hierfür sind aber auch die angesprochenen Entwicklungstendenzen in der Metallindustrie; dort geht es den Unternehmen mittels der Kooperation um die Erprobung neuer Rationalisierungsprinzipien und die Einführung neuer Produktionsstrukturen sowie die inkrementelle, aber möglichst schnelle Weiterentwicklung bestehender Technologien (Carson 1998). Netzwerkbildung eröffnet hier erweiterte und intensivierte Rationalisierungs- und Innova20 In diesem Sinn unterscheidet Teece (1986) zwischen systemischen und autonomen Innovationen (auch: Freeman 1991, Chesbrough/Teece 1996). 119 tionspotenziale. Sie ist einerseits als Reaktion auf den fortschreitenden Prozess der Differenzierung von Märkten und der Spezialisierung von Unternehmen zu begreifen. Andererseits wird damit dieser Prozess voran getrieben. Sofern, wie gezeigt, bestimmte Grenzen der Entwicklungsdynamik nicht überschritten werden, handelt es sich dabei wohl um einen relativ stabilen Pfad der Netzwerkbildung. Zudem schieben die schnelle Entwicklung der IuK-Technologien, neue Managementkonzepte und die wachsende Erfahrung vieler Unternehmen mit Vernetzungsprozessen die Grenzen für die Netzwerkbildung vermutlich hinaus. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass für die Konstitution von Unternehmensnetzwerken ein Set von Kontextbedingungen günstig ist, für das zwar eine recht hohe Dynamik und Unsicherheit, zugleich jedoch auch eine relative Stabilität in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht charakteristisch ist. 5. Netzwerke – ein transitorisches Phänomen? Aufgegriffen werden soll abschließend die eingangs aufgeworfene Frage nach der Bedeutung von Unternehmensnetzwerken für die Regulation ökonomischer Austauschprozesse generell. Vor dem Hintergrund der skizzierten Befunde ist zunächst einmal die Annahme plausibel, wonach Unternehmensnetzwerke als Moment einer generellen „Pluralisierung ökonomischer Regulation“ anzusehen seien.21 Dieser Annahme zufolge spielen neben den derzeit weit verbreiteten Formen der Netzwerkkooperation ungesteuerte Marktprozesse, die Alleingänge ressourcenstarker Großunternehmen und nicht zuletzt auch historische Zufälligkeiten für die sich jeweils durchsetzende Governanceform ökonomischer Austauschprozesse eine maßgebliche Rolle. Unternehmensnetzwerke sind dabei ein vielfach überschätztes Phänomen. Dies gilt zunächst einmal für die Konstellation „mittlerer Spezifität“. In diesem Rahmen ist die Bildung und dauerhafte Existenz von Netzwerken keineswegs zwangsläufig. Zum einen ist dies Folge der Tendenz, wonach die notwendigen Stabilitätsbedingungen durch den Netzwerkprozess selbst untergraben werden. Zum anderen ist Netzwerkbildung in diesem Kontext letztlich unbestimmt und dem kontingenten Zusammenspiel verschiedenster Einflussgrößen geschuldet. Eindeutige oder gar dominante 21 So zuletzt Windeler 2001: 342, mit Bezug auf die poliUnauthenticated tikwissenschaftliche Governance Debatte. Download Date | 11/2/17 5:47 PM 120 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 31, Heft 2, April 2002, S. 106–124 Entwicklungsmuster fehlen ganz offensichtlich (Powell 1990: 323). Weiterhin wird die wachsende Leistungsfähigkeit von Organisationen und Unternehmen unterschätzt, da im Zentrum der einschlägigen Debatte stets nur die „limits of organization“ in Hinblick auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit stehen (Lundvall 1993: 56). Denn IuK-Technologien, neue Organisations- und Managementkonzepte erweitern nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten und Leistungsfähigkeiten von Netzwerken, sondern ebenso auch die von hierarchisch gesteuerten Unternehmen. In einem solchen intern ausgerichteten Reorganisationsprozess von Unternehmen können Kooperationen mit anderen Unternehmen durchaus eine Durchgangsstation sein, um organisationsinterne Widerstände gegen Restrukturierungsmaßnahmen zu überwinden und neue Organisationslösungen zu finden (Grabher 1993: 14). Schließlich darf nicht übersehen werden, dass das Netzwerkmodell zwar derzeit ein prominentes Leitbild von Organisations- und Managementkonzepten darstellt, die Verbreitung solcher Leitbilder jedoch Mustern folgt, wie sie für das Auf und Ab von Moden typisch sind. Ihr schneller Niedergang ist nicht ausgeschlossen (z. B. Kieser 1996). Anders scheint hingegen die Situation bei Unternehmen aus den bislang nicht weiter betrachteten neuen Wirtschaftssektoren zu sein, denen eine besondere Neigung zur Netzwerkbildung unterstellt wird. Die genannten Stabilitätsbedingungen finden sich hier wohl kaum, vielmehr sind diese Sektoren von hoher technologischer und ökonomischer Dynamik gekennzeichnet. Vermutet werden kann, dass Netzwerkbildung in diesem Kontext vielfach ein transitorisches Phänomen darstellt.22 Gerade weil hier in der Regel die notwendige Stabilität fehlt, können Netzwerke in diesem Fall als Moment eines besonders in Krisen- und Umbruchphasen beobachtbaren Such- und Changierprozesses von Unternehmen begriffen werden, durch den sie versuchen, gegenläufige Anforderungen auszuloten und abzustimmen, ohne sich auf spätere Strategien und Strukturen festzulegen. Spezifität lässt sich für solche Situationen noch kaum definieren, die Strategien der beteiligten Akteure richten sich vielmehr auf die Klärung von zu bewältigenden Anforderungen und Problemen im Kontext des nachhaltigen Wandels eines Wirtschaftssektors in organisatorisch-institutioneller und technologischer Hinsicht.23 22 Vgl. hierzu wiederum Befunde aus der innovationsökonomischen Forschung (insbesondere Freeman 1991) sowie der Verweis bei Windeler auf ähnlich lautende institutionenökonomisch begründete Thesen (2001: 341). 23 Vgl. hierzu Überlegungen aus der sozialwissenschaftli- Dies lässt sich zunächst in historischer Perspektive zeigen, die in der einschlägigen Debatte um Unternehmensnetzwerke bislang eine sehr nachgeordnete Rolle spielt. Ein Beispiel hierfür sind die Frühformen von Unternehmensnetzwerken wie die verschiedenen Typen des Subcontractings und des Verlagssystems (Sydow 1992: 54 ff.). Sie gingen, wie die Geschichte der Textil- und Bekleidungsindustrie zeigt, mit der Konstituierung fest gefügter und betrieblich strukturierter Produktionsformen Hand in Hand und waren vielfach deren Voraussetzung. Weitere Hinweise auf frühe Formen industrieller Netzwerke beziehen sich auf Zulieferbeziehungen in der Automobilindustrie und auch auf die Ende des 19. Jahrhunderts entstehende Ölindustrie, die erst die industriestrukturelle Voraussetzung für die spätere Entstehung hochintegrierter Großunternehmen geschaffen haben (Silver 1984). Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der Maschinenbaubranche, die seit ihren Anfängen in der Mitte des 19. Jahrhunderts von mehr oder weniger ausgeprägten Kooperationsbeziehungen, an denen Unternehmen der verschiedensten Branchen beteiligt waren und noch sind, charakterisiert ist. Ausgeprägte Netzwerkstrukturen finden sich hier besonders in Phasen großer Technologieschübe, die jedes Mal die Branchenstruktur nachhaltig veränderten (Rosenberg 1975, Radkau 1989). Schließlich sei auf die schnell sich entwickelnde Computer- und Softwareindustrie verwiesen, die seit den 1970ern von einem Wechsel zwischen Phasen mit der Dominanz großer integrierter Unternehmen und solchen mit ausgeprägten Netzwerkstrukturen gekennzeichnet ist (Langlois/Robertson 1992, Buss/Wittke 2000).24 Konkret angesprochen sind damit jene erwähnten Netzwerkformen, die in der Netzwerkdebatte als „Projektnetzwerke“ (Windeler u. a. 2000) oder „virtuelle Kooperation“ (Voskamp/Wittke 1994) bezeichnet werden. Ihnen ist der zeitlich und sachlich begrenzte Charakter von Austauschbeziehungen gemeinsam, die unter ausgeprägtem Kosten-, Zeit- und Flexibilitätsdruck stehen. Es ist offen und bedarf noch der genaueren Untersuchung, ob und wie sich unter solchen Bechen Innovationsforschung, denen zufolge frühe Phasen der Technikentwicklung durch vergleichsweise unstrukturierte Akteurskonstellationen und ein hohes Maß informeller Kooperation und Kommunikation geprägt seien (Weyer 1997). 24 Auf häufig unübersehbare nationale Differenzen in Hinblick auf die Bedeutung von Unternehmensnetzwerken sei hier lediglich hingewiesen Unauthenticated (Hollingsworth 1991, Kern 1996). Download Date | 11/2/17 5:47 PM Hartmut Hirsch-Kreinsen: Unternehmensnetzwerke – revisited dingungen Netzwerkbeziehungen einspielen, durch welche konkreten Managementaktivitäten diese bewältigt werden können und ob die dabei herrschende Dynamik dauerhafte Beziehungen überhaupt zulässt (Windeler et al. 2000: 179). Die Funktion dieser Unternehmensnetzwerke – und darin dürfte ihre besondere wissenschaftliche und unternehmenspraktische Attraktivität begründet liegen – bezieht sich wohl primär darauf, dass sie sich mehr als andere Koordinationsformen für die „Sondierung des Feldes der gegebenen Möglichkeiten“ eignen. Denn sie erlauben die Entdeckung und ggf. Kreation von Handlungsoptionen, die unter anderen Bedingungen unzugänglich blieben (Wiesenthal 1998: 4). Konkreter, Netzwerkstrukturen können für Unternehmen Sondierungspotenziale in mehrfacher Hinsicht eröffnen: erstens das Erproben neuer Rationalisierungsmöglichkeiten durch die Restrukturierung der Wertschöpfungskette, insbesondere durch den Aufbau besonderer Zulieferbeziehungen; zweitens die Suche nach neuen Marktsegmenten und Absatzchancen im Rahmen einer Kooperation mit Partnern, die über spezifische Kompetenzen und Marktzugänge verfügen; drittens die Identifizierung neuer technologischer Potenziale, die die verfügbaren Kompetenzen eines einzelnen Unternehmens überschreiten, und viertens die Etablierung völlig neuer Geschäftsfelder, für die die Unterstützung seitens anderer Unternehmen und Organisationen erforderlich ist. Insgesamt handelt es sich dabei um Situationen, in denen einerseits eindeutige strategische Ziele nicht formulierbar sind; die dann aus Konkurrenzgründen als In-house Lösungen realisiert werden. Andererseits sind die Verhältnisse nicht hinreichend standardisierbar, dass marktnahe Lösungen verfolgt werden könnten. Nach der Stabilisierung dieser Situation ergeben sich dann freilich oft Schließungs- und Konsolidierungsprozesse. Sie führen zur Dominanz einzelner Unternehmen, der Rezentralisierung zuvor ausdifferenzierter Unternehmensstrukturen und dem Abbau von Kooperationsbeziehungen bis hin zu Fusionen früher unabhängiger Partner. Einen empirischen Hinweis hierauf gibt die Beobachtung, dass im Zuge der fortschreitenden „Reifung“ neuer Technologien wie Software, Telekommunikation und Internet in den betreffenden Sektoren ein sehr nachhaltiger Konzentrationsprozess in Richtung großer Unternehmen im Gange sei (The Economist 2001). Insgesamt, so bleibt zu resümieren, sind Unternehmensnetzwerke in vielen Fällen Moment des instabilen Entwicklungspfades der derzeitigen sozio-ökonomischen Entwicklung. Ob sich sie sich 121 dabei dauerhaft oder gar dominant etablieren, ist zumindest in Frage zu stellen. Literatur Bechtle, G., 1994: Systemische Rationalisierung als neues Paradigma industriesoziologischer Forschung? S. 45– 64 in: N. Beckenbach / W. v. Treeck (Hrsg.), Umbrüche gesellschaftlicher Arbeit. Soziale Welt Sonderband 9. Göttingen: Otto Schwarz & Co. Bélanger, J. / Berggren, C. / Björkman, T. / Köhler, C. (Hrsg.), Producing Beyond Frontiers – ABB and the Meaning of Being Local Worldwide. Ithaca/New York: Cornell University Press. Bieber, D., 1992: Systemische Rationalisierung und Produktionsnetzwerke. S. 271–294 in: T. Malsch / U. Mill (Hrsg.), ArByte. Modernisierung der Industriesoziologie? Berlin: edition sigma. Bieber, D. / Deiß, M. / Hirsch-Kreinsen, H. / Schmierl, K. 1997: Neue Strukturen des Technikmarktes, mimeo., ISF München. Braczyk, H.J. / Cooke, P. / Heidenreich, M. (Hrsg.), 1998: Regional Innovation Systems. The role of governances in a globalized world. 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The basic argument is that the turbulent economic challenges that networks are meant to cope with reappear in the form of various co-ordination problems. Such problems are discussed in a multi-dimensional approach, highlighting trust-building, organizational complexity, and capability for change. In conclusion, preconditions for establishing corporate networks are specified and the question is addressed as to whether networks may be merely transitory phenomena. Unauthenticated Download Date | 11/2/17 5:47 PM