Powered by Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/entstehung-vonnahrungsmittelallergien/ Entstehung von Nahrungsmittelallergien Bei allergischen Reaktionen gegen Nahrungsbestandteile kann es im Extremfall, vor allem bei Erdnussallergien, zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock kommen, sie können sich aber auch langsam zu chronischen Unverträglichkeiten wie der Zöliakie aufbauen. Die Entstehungsursache von Nahrungsmittelallergien liegt fast immer in der frühesten Kindheit. Nahrungsmittelallergien können durch viele ganz unterschiedliche Bestandteile der täglichen Nahrung hervorgerufen werden. Häufig sind Milchprodukte, Eier, Fisch und Schalentiere, Getreidearten wie zum Beispiel Weizen, Nüsse und Obstsorten die Auslöser für Überempfindlichkeitsreaktionen, die sich beispielsweise durch Schwellungen in Mund-und Rachenraum, durch Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, aber auch durch Hautjucken und Nesselsucht (Urtikaria) äußern können. Sie sind also keineswegs immer auf den Verdauungstrakt beschränkt. Im schlimmsten Fall kommt es zum anaphylaktischen Schock, einer lebensbedrohlichen systemischen Reaktion mit Versagen des Herz-Kreislauf-Systems, die eine sofortige Notfallbehandlung (Injektion von Adrenalin) erforderlich macht. Keine Peanuts Erdnüsse © Bundesministerium für Gesundheit Glücklicherweise sind solche Extremreaktionen selten; sie haben aber, wie epidemiologische Studien der letzten Jahre zeigten, besonders in Ländern wie USA, Großbritannien und Australien stark zugenommen. Hauptursache dafür sind Peanuts. Erdnüsse enthalten Allergene, darunter das sogenannte Ara h 2 Peptid (genannt nach dem 1 wissenschaftlichen Namen „Arachis hypogaea") und verwandte kleine Proteine , die, wenn sie beim Verzehr mit den dazu passenden IgE-Antikörpern zusammentreffen, bei manchen Menschen eine Sofortreaktion innerhalb von Sekunden oder Minuten auslösen: Die IgEAntikörper sind über einen Rezeptor (FcεRI) fest an die Oberfläche von Mastzellen (einer speziellen Form von Leukozyten, die besonders in den Schleimhäuten sitzen) gebunden und werden durch die passenden Allergene quervernetzt. Dadurch werden die Mastzellen aktiviert und schütten die in ihren Sekretvesikeln (Granula) gespeicherten Signalstoffe aus, darunter Histamin, das zu Niesanfällen, Juckreiz und einer akuten Entzündung führt. Die Gefäße werden stärker durchlässig, und die glatte Muskulatur kontrahiert sich, was zum Kreislaufkollaps führen kann. Elektronenmikroskopische Aufnahme einer menschlichen Mastzelle mit vielen Granula. © Anatomisches Institut der Universität Rostock Die nach acht bis zwölf Stunden einsetzende Spätreaktion ist weniger dramatisch. Sie entsteht durch die von den aktivierten Mastzellen induzierte Synthese von Zytokinen, Chemokinen und anderen Botenstoffen und geht mit einer erneuten Kontraktion der glatten Muskulatur und der Bildung von Ödemen einher. Sie kann aber auch eine Ursache für langfristige, schwerwiegende Krankheitsbilder wie chronische Darmerkrankungen oder chronisches Asthma sein. Durch die allergeninduzierte Mastzellreaktion werden während der Spätphase Entzündungszellen (eosinophile Leukozyten und T-Lymphozyten) an den Ort des Geschehens gelockt. Falls nun weiterhin das Antigen vorhanden ist, setzen allergenspezifische CD4-positive T-Helferzellen (T H2-Lymphozyten) Zytokine wie das Interleukin 5 frei, das unter anderem die Bildung von Eosinophilen stimuliert und eine chronische Entzündungsreaktion hervorrufen kann. 2 Therapie gegen Erdnuss-Allergie in Sicht Es muss betont werden, dass es auch bei Allergikern nur selten zu einer Anaphylaxie kommt. Die Gefahr ist aber groß genug (in den USA rechnet man mit 50 bis 100 durch Erdnussallergie hervorgerufenen Todesfällen im Jahr), dass empfindliche Menschen bei der Wahl ihrer Nahrung sorgsam sein müssen. An Schutzmöglichkeiten wird intensiv geforscht. Präventivbehandlungen sind bei Nahrungsmittelallergien bisher nicht bekannt. Während man Personen, die auf Insektenstiche (vor allem Bienen-und Wespenstiche) allergisch reagieren, „hyposensibilisieren“ oder „desensibilisieren“ kann, indem man in größeren Abständen immer höhere Dosen des Allergens unter die Haut spritzt, hat man eine derartige Immuntherapie bei Erdnussallergien wegen der Gefahren einer anaphylaktischen Reaktion bisher nicht angewendet. Eine im November 2010 veröffentlichte, viel beachtete Studie weckt nun die Hoffnung, dass in der Zukunft auch für diese schwerste Form der Nahrungsmittelallergien wirksame Schutzmaßnahmen möglich sein werden. Die australischen Wissenschaftler konnten auf dem wichtigsten Allergen Ara h 2 die für die Bindung an die CD4-positiven T-Zellen dominanten Sequenzen lokalisieren. Diese sind für einen sicheren Impfstoff gegen Erdnussallergie geradezu prädestiniert, da sie nicht an die IgE-Antikörper binden und deshalb keine anaphylaktische Reaktion hervorrufen können. Man ist zuversichtlich, dass innerhalb der nächsten drei Jahre eine entsprechende klinische Studie durchgeführt werden kann. Die Frühentwicklung des Immunsystems Normalerweise verlaufen Nahrungsmittelallergien weniger dramatisch; oft bauen sie sich langsam aus leichten, zunächst kaum wahrgenommenen Symptomen auf. Es kommt zu verzögerten Spätreaktionen gegen anfangs noch verträgliche Komponenten. Weit verbreitete Beispiele dafür sind die Zöliakie, eine durch Gluten, (Eiweißkomponenten in Weizen und anderen Getreidesorten) ausgelöste chronische Verdauungsstörung, und die Allergie gegen Kuhmilcheiweiß. Wie entstehen diese Unverträglichkeiten gegen normalerweise harmlose Nahrungsmittel? Zwar sind viele Details dieser Frage umstritten, aber in den Grundzügen besteht heute weitgehend Einigkeit. Die entscheidenden Weichenstellungen, ob es zu einer Immuntoleranz oder Allergie gegenüber oral aufgenommenen Allergenen kommt, erfolgen in den allerersten Lebenstagen. Während das Baby im Mutterleib in einer keimfreien Umgebung heranwächst, tritt es schon beim Geburtsvorgang selbst in den ersten Kontakt mit Mikroorganismen und anderen Antigenen, die sein noch unreifes Immunsystem stimulieren. Die Reifung des kindlichen Immunsystems nach der Geburt ist eng mit der Entwicklung seines Verdauungssystems in stetiger Auseinandersetzung mit Umwelteinflüssen verknüpft. Von der Mutter hatte der Säugling einen Vorrat an Antikörpern (Immunglobuline der Klasse G, IgG) erhalten, um sich gegen potenziell gefährliche Fremdantigene während der ersten Lebensphase zu wappnen. Die IgG gelangten durch die Plazenta in den Blutkreislauf des Kindes. Im Darm, der durch die einsetzende orale Nahrungsaufnahme in weit höherem Maße dem Ansturm von Fremdantigenen ausgesetzt ist, sind spezielle sekretorische IgA-Antikörper (sIgA) der wichtigste Schutz. Diese sIgA werden von Immunzellen in den Brustdrüsen der Mutter erzeugt und über die 3 Muttermilch als sIgA-Quelle des Säuglings © Kinderheilkunde Heidelberg Muttermilch (vor allem das Kolostrum, die Milch der ersten Woche nach der Entbindung) in den Verdauungstrakt des Kindes transportiert, wo sie sich in der Darmschleimhaut festsetzen und Krankheitserreger oder gesundheitsschädliche Substanzen abfangen. Die sIgA (und in geringerem Maße auch sekretorische IgM, die vom Baby selbst produziert werden) dienen auch in der anfangs noch sehr durchlässigen Grenzschicht des Darmepithels als Barriere, um Bakterien und Nahrungsmittelantigen von den Immunzellen des Blut- und Lymphsystems zu trennen (sogenannter Immunausschluss; s. „Die Regulation des intestinalen Immunsystems" in diesem Dossier). In der Regel wird diese Barriere in den ersten Lebensmonaten durch vom Kind selbst produzierte sIgA abgedichtet. Erst in der zweiten Phase siedeln sich in größeren Mengen die Hauptkomponenten des reifen Immunsystems, B- und T-Lymphozyten und die sogenannten antigenpräsentierenden Zellen (Makrophagen, dendritische Zellen) im Bindegewebe unter dem Darmepithel, der sogenannten Lamina propria, an. Wenn es jedoch bei der Entwicklung von sIgA produzierenden Immunzellen zu Verzögerungen kommt und die Darmbarriere nicht vollständig ausreift, erhöht sich das Risiko für die Entstehung einer Nahrungsmittelallergie. Die Muttermilch hilft dem Säugling beim Aufbau einer Immuntoleranz im Darm gegenüber bestimmten Nahrungsmittelantigenen. Sie enthält unter anderem Antikörper gegen antigene Bestandteile von Gluten, den für Zöliakie verantwortlichen Getreideproteinen. Diese tritt bei Kindern, die gestillt werden, deutlich seltener auf. Offenbar hängt die Entwicklung der Immuntoleranz des Kindes auch von der mütterlichen Situation ab. So zeigten Studien, dass Kinder nach einigen Jahren häufiger eine Kuhmilchallergie entwickelten, wenn sie von Müttern gestillt wurden, bei denen man nur geringe Konzentrationen von Antikörpern gegen Rinderproteine finden konnte. 4 Fachbeitrag 28.02.2011 EJ BioRN © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Weitere Informationen Publikation:Prickett SR, Voskamp AL, Dacumos-Hill A, Symons K, Rolland JM, O'Hehir E: "Ara h 2 peptides containing dominant CD4+ T-cell epitopes: Candidates for a peanut allergy therapeutic". J Allergy Clin Immunol, publ online 19 Nov 2010. n:Dr. Ernst-Dieter JaraschBioRegion Rhein-Neckar-Dreieck e.V.E-Mail: jarasch(at)bioregion-rnd.de Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers Volksseuche Allergie 5