Sportlich dick

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Wissenschaft
Sportlich dick
schoben hat. Unter dem Namen Scan
Pyramids will eine Gruppe Japaner, Kanadier und Ägypter mit zerstörungsfreien Techniken, welche die Steine intakt
lassen, das Innerste der Pyramiden durch- Gesundheit Wissenschaftler haben herausgefunden, warum
leuchten.
Die Japaner (von der Universität Na- Sport allein nicht hilft, um abzunehmen: Zum Ausgleich
goya) setzen dabei auf die sogenannte verbraucht der Körper weniger Kalorien in ruhigeren Phasen.
Myonen-Radiografie. Bei dieser Technik
illionen Deutsche joggen, radeln Neubildung von Nervenzellen im Hippowerden Teilchen gemessen, die entstehen,
oder gehen ins Fitnessstudio, weil campus, hellt die Stimmung auf und beugt
wenn kosmische Strahlung auf die oberen
sie rank und schlank werden wol- Alzheimer vor.
Schichten der Atmosphäre trifft. Pro MiSelbst für Menschen, die eine Diagnose
nute und Quadratmeter hageln rund 10 000 len. Ein Pfund Fettgewebe hat einen BrennMyonen auf die Erde – und durch sie hin- wert von 3750 Kilokalorien. Mit jeder für Brust- oder Darmkrebs haben, scheint
zusätzlichen Anstrengung, so ihr Kalkül, es das Beste zu sein, sich zu bewegen. Padurch.
Um die Partikel einzufangen, haben die verbrennen sie ein wenig mehr von der tienten, die sich regelmäßig trimmten, hatten in epidemiologischen Studien erhöhte
Forscher in den Gängen des Cheops- ungeliebten, schwabbeligen Masse.
Doch diese Rechnung geht nicht auf. Überlebensraten. Vorvergangene Woche
monuments Dutzende Fotoplatten ausgelegt. Sie sind mit einer Emulsion bestri- „Die Leute glauben, dass der Energiever- haben Wissenschaftler der Universität Kochen und dienen als Sensoren für den Teil- brauch linear mit der körperlichen Bewe- penhagen im Fachblatt „Cell Metabolism“
gung steigt“, sagt der Anthropologe Her- einen Hinweis geliefert, warum das so sein
chenschauer.
man Pontzer, 38, vom Hunter College in könnte: Die Aktivität regt die Entstehung
New York. Das sei allerdings ein Irrtum. von bestimmten Immunzellen an, die
Gemeinsam mit Kollegen hat der Forscher Krebszellen gezielt bekämpfen können.
Und doch bewegen sich die meisten
den Energieverbrauch von 332 Menschen
aus fünf verschiedenen Ländern in Ameri- Menschen, gerade jetzt im Spätwinter, eika und Afrika untersucht – und ist dabei gentlich nur aus einem Grund: um angeauf ein merkwürdiges Phänomen gestoßen: sammelte Speckpolster loszuwerden. Und
Je mehr Sport ein Mensch treibt, desto viele sind enttäuscht, dass die Pfunde nicht
weniger Energie verbraucht er dafür in der purzeln wollen.
Denn der Organismus scheint die zuübrigen, ruhigeren Zeit.
Dieser Spareffekt sei eine in der Evolu- sätzliche Bewegung durch geringeren Enertion entstandene Anpassung, sagt Pontzer. gieverbrauch in Ruhephasen weitgehend
Der Körper habe offenbar einen Trick ent- auszugleichen. In einer Studie absolvierten
wickelt, um seinen Energiebedarf in einem Frauen ein straffes Fitnessprogramm – die
Thermobild der Basis der Cheopspyramide
„vergleichsweise engen, physiologischen
Hinweis auf einen Hohlraum?
Bereich zu halten“.
Seine verblüffende Erkenntnis will der Modelle des Energieverbrauchs
Sollte es wirklich versteckte Hohlräume Anthropologe keinesfalls so verstanden Wie der Körper auf zusätzliche Aktivität reagiert
geben, müssten die darunter aufgestellten wissen, dass sich die ganzen Mühen der
EnergieFallen einem größeren Bombardement aus- Freizeitsportler gar nicht lohnten. Nieverbrauch
geliefert sein. Die Messungen sollen noch mand möge über aktive Füllige spotten,
Zusätzlicher Energiebis Ende des Jahres laufen.
die sich vergebens schinden. Pontzer: „Beverbrauch durch körperliche Aktivität
Die Infrarotabteilung des Scan-Teams wegung bringt viele, viele Vorteile für die
hat derweil schon Resultate geliefert. Es Gesundheit mit sich – nur nicht unbedingt
Anteil des Energieverbrauchs im Ruhezustand
wurde ein Wärmebild von der Außenhaut einen Gewichtsverlust.“
der Pyramide erstellt. Der mysteriöse
Tatsächlich hat sich die körperliche Bekörperliche Aktivität
Befund: An der Ostseite, direkt an der wegung in den vergangenen Jahren als ein
Fundamentkante, gibt es einige Quader- Zaubermittel gegen Leiden aller Art ent- Nach bisheriger Vorstellung steigt der Kaloriensteine, die bis zu sechs Grad Celsius puppt. Wer sich regelmäßig bewegt, der verbrauch linear mit der Bewegung. Die Energie
wärmer sind als die Blöcke daneben. Auf beugt vielen Krankheiten vor und kann im Ruhezustand wird u.a. für den Stoffwechsel,
dem Thermobild erscheinen sie feuerrot. sein Leben um einige Jahre verlängern. das Immunsystem und die Fortpflanzung (ProdukWomöglich existiert dahinter eine Höh- Der Grund: Die Bewegung führt in den tion der Sexualhormone) benötigt.
lung. Oder es zirkulieren dort heiße Luft- Zellen und Organen des Körpers zu messEnergieströme. Beides könnte in der Tat ein Hin- baren biochemischen Veränderungen, die
Quelle: Current Biology
verbrauch
weis auf verborgene Kammern sein. Aber pharmakologische Effekte haben. Diese
noch kennen die Forscher die Ursache wirken oftmals besser als Pillen und Openicht.
rationen, sie können mitunter KrankheitsEldamaty dürfte das gefallen. Von ratlos verläufe stoppen oder gar umkehren.
zu Rätsel ist ein kurzer Weg. Und mit dieDeshalb raten Ärzte vielen Patienten
sem Begriff lassen sich Gäste gut an den nicht mehr wie früher zur Bettruhe, sonkörperliche Aktivität
Nil locken.
Matthias Schulz dern verschreiben ihnen das Gegenteil.
Bewegung normalisiert den Zuckerhaus- Dem neuen Modell zufolge ist der Energieaufwand
Video: Die Geheimnisse der
halt und hilft gegen Typ-2-Diabetes. Sie des Ruhezustands bei besonders aktiven Menschen
Cheopspyramide
stärkt das Herz und lässt neue Gefäße verringert. Deshab steigt der Gesamtverbrauch
sprießen. Sie macht die Knochen fest und nicht linear, er ist „eingezwängt“ und erreicht ein
spiegel.de/sp102016pyramide
beugt Osteoporose vor. Sie fördert die Plateau.
oder in der App DER SPIEGEL
HIP INSTITUTE
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DER SPIEGEL 10 / 2016
GORDON WELTERS / LAIF
Jogger beim Waldlauf: Erbe der Urmenschen
einen aber nur zu 50 Prozent, die anderen
zu 150 Prozent. Am Ende waren die fleißigen Frauen zwar tatsächlich 1,5 Kilogramm
leichter – doch die bequemeren Frauen
hatten mit einem Gewichtsverlust von 1,4
Kilogramm fast ebenso viel abgenommen.
Wie kann das sein? Eigentlich würde
man erwarten, dass auch im menschlichen
Körper die Gesetze der Thermodynamik
gelten: Wer mehr Energie verbraucht, als
er zuführt, nimmt ab. Und in Diäten klappt
das anfangs auch ganz gut. Eine verminderte Kalorienzufuhr führt zunächst zu Erfolgen auf der Waage. Allerdings nimmt
mit der Zeit auch der Grundumsatz des
Körpers ab, insbesondere weil die energetisch aktive Muskelmasse abgebaut wird.
Wenn mehr als zehn Prozent des Körpergewichts futsch sind, dann ist der Energieumsatz zugleich um etwa 20 bis 25 Prozent
gesunken. Wer also dauerhaft abnehmen
will, der muss immer wieder nachjustieren
und die tägliche Kalorienzufuhr immer stärker begrenzen. Von einem bestimmten
Punkt an schafft das keiner mehr, es kommt
zu dem berüchtigten Jo-Jo-Effekt.
Als Ausweg aus diesem Dilemma rieten
Mediziner bisher zu körperlicher Aktivität.
Dadurch könne man den Energieverbrauch gezielt steigern – und das Fett planmäßig verbrennen. Doch auch gegen diese
Abnehmstrategie setzt sich der Körper
offenbar erfolgreich zur Wehr.
Pontzers Studien führten ihn zunächst
nach Tansania, zum Volk der Hadza, dessen Mitglieder noch als Jäger und Sammler
leben. Der Anthropologe vermaß dort den
Energieverbrauch von 13 Männern und 17
Frauen und verglich deren Daten mit denen von Menschen aus Industriestaaten.
Pontzer: „Die Jäger und Sammler der Hadza haben eine sehr aktive Lebensweise –
aber ihr täglicher Energieverbrauch war
gar nicht anders als der von Erwachsenen
in den USA und in Europa.“
Als Pontzer über das erstaunliche Ergebnis nachdachte, kam er auf die Idee, dass
der Körper offenbar einen Kniff entwickelt
hat, den Grundumsatz zu beeinflussen. Im
Fachblatt „Current Biology“ stellen er und
seine Kollegen die neue Studie vor, an der
insgesamt 332 Menschen aus Amerika und
Afrika teilnahmen. Bei den besonders aktiven Menschen erreichte der Energiebedarf ein Plateau; am Ende verbrannten sie
pro Tag nicht mehr Kalorien als jene Personen, die nur mäßig aktiv waren.
Die Erklärung: Auf dem Laufband verbrauchen alle Menschen zwar gleich viel
Energie – aber in den Ruhestunden kommen die besonders sportlichen dann mit
weniger Energie aus. Ausgelöst wird diese
Anpassung möglicherweise durch sogenannte Myokine und andere Botenstoffe,
die von aktiven Muskeln abgegeben werden. Sie senden bei körperlicher Anstrengung das Signal aus: Energie sparen, wo
es nur geht!
Nach dem Verausgaben spüren Menschen eine wohlige Erschöpfung – sie zappeln weniger herum. Unbemerkt fahren
auch die Körperzellen die Lebensvorgänge
ein wenig nach unten. Dadurch sinkt der
tägliche Grundumsatz.
Insbesondere der Aufwand für die Fortpflanzung wird Pontzer zufolge verringert.
In der Tat ist von Läuferinnen bekannt,
dass ihre Periode mitunter aussetzt. Der
bewegte Leib schenkt es sich, Eizellen zu
produzieren. Eine Schwangerschaft, die
schätzungsweise 78 000 Kilokalorien kostet, will er sich ebenso wenig zumuten wie
die Produktion der Muttermilch (jeden Tag
bis zu 630 Kilokalorien).
Dass Aktivität den Körper knausern
lässt, ergibt aus Sicht der Evolution durchaus Sinn. Vor allem in Zeiten, in denen
das Essen knapp war, mussten die Urmenschen den ganzen Tag lang nach Nahrhaftem suchen. In solchen körperlich anstrengenden Phasen war jede Kalorie, die der
Organismus an anderer Stelle sparen konnte, überlebenswichtig.
Heute macht der archaische Mechanismus ausgerechnet bewegungsfreudigen
Menschen das Leben schwer. Wer über einen gesteigerten Energieverbrauch Kilos
loswerden möchte, müsste jeden Tag stundenlang trainieren, um seinen Körper zu
überlisten.
Die gute Nachricht zum Schluss: Niemand ist zum Dicksein verdammt, wenn
er die Erkenntnis der Evolutionsmedizin
richtig umsetzt. Zum Abnehmen gehören Bewegung und Ernährung gleichermaßen.
„Wer Gewicht verlieren will, muss vor
allem seine Ernährung umstellen“, sagt
Anthropologe Pontzer. „Anders essen ist
das beste Mittel, um abzunehmen – weniger Kalorien, vor allem aus energiedichten
und zuckerhaltigen Nahrungsmitteln.“
Jörg Blech
Mail: [email protected]
DER SPIEGEL 10 / 2016
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