Tagung: „Was bewegt Bewegte Schule?“ - 30.05.2006 Dr. D. Breithecker Lust auf Bewegung. Bewegte Kinder - Schlaue Köpfe Lernen und Bewegen in einer bewegungsfördernden Schule Kinder in der (Sitz-) Trägheitsfalle Spätestens mit Eintritt in das Schulleben wird aus dem bewegungsfreudigen Spielkind ein Sitzkind. Schon Grundschulkinder sitzen heutzutage durchschnittlich 10 Stunden täglich. Beim Frühstück, auf der Fahrt zur Schule, am langen Schultag und auch in der Freizeit vor TV, Spielkonsole und Computer. Mit jedem Schuljahr nimmt die Sitzzeit zu. Für ausreichende körperliche Aktivität bleibt immer weniger Zeit. Eine traditionelle Sitzerziehung wie „Sitz ruhig!“, „Sitz gerade!“ sowie „entwicklungsunangemessene“ (Schul-) Sitzmöbel, die fast ausschließlich ein statisch-passives Sitzverhalten zulassen, führen zum Verlust an wichtigen körperlich-sinnlichen Erfahrungen, die in diesem Alter für das „Heran-Wachsen“ unersetzlich sind. Haben sich Kinder erst einmal an ein solches passiv-rezeptives Körperverhalten gewöhnt, sitzen sie in der „Trägheitsfalle“. Dadurch droht ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung aus dem Gleichgewicht zu geraten. Vielfältige Entwicklungsstörungen wie Haltungs- und Bewegungsschwächen, Übergewicht, Verhaltensauffälligkeiten aber auch Lernschwierigkeiten in der Schule sind die Folge. Raus aus der Trägheitsfalle - Entwicklung braucht Bewegung Kinder brauchen Bewegung! Bewegung ist ein Grundbedürfnis und Ausdruck von Lebensfreude. Darüber hinaus ist der vitale Drang nach körperlicher Aktivität Voraussetzung für eine gesunde und leistungsfähige Entwicklung. Auch der Prozess des Lernens wird dadurch positiv beeinflusst. Schüler wollen in der Schule wirklich „gut“ sein. Um wach und konzentriert zu bleiben müssen sie sich auch im sitzen bewegen können. Ihre temporäre Unruhe, die sich in gesunden Tätigkeiten wie Kippeln oder Herumzappeln äußert, ist Ausdruck davon. Lernen hat nicht nur etwas mit dem Kopf, sondern auch viel mit körperlich-sinnlichen Erfahrungen zu tun. Lernen, Denken und Intelligenz basieren zwar auf komplexen Hinfunktionsleistungen, bedürfen aber der Mitwirkung des ganzen Körpers. Deshalb darf das natürliche Bedürfnis nach Bewegung nicht unterdrückt, sondern muss - und das betrifft ihr gesamtes Schulleben - im Sinne einer gesunden körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung sinnvoll in den Unterrichtsalltag integriert werden. Tagung: „Was bewegt Bewegte Schule?“ - 30.05.2006 Lernen und Bewegen am „Arbeitsplatz Schule“ Auf der Grundlage des pädagogischen Anspruchs, dass ganzheitliches Lernen Körper, Geist und Seele beanspruchen sollte und der Tatsache, dass nicht immer nur der Kopf des Kindes in die Schule kommt, sondern immer das ganze Kind, hat sich insbesondere in den Grundschulen das Konzept der „bewegungsfördernden Schule“ verbreitet. Die tragenden „Säulen“ einer bewegungsfördernden und damit auch gesunden Schule sind „bewegungs-ergonomische“ Verhältnisse sowie bewegungsgeleitete Unterrichtsmethoden und Organisationsformen. Sitzen in Bewegung / „aktiv-dynamisches Sitzen“ Neben der Forderung nach mitwachsenden, möglichst leichtgängigen, stufenlos höhenverstellbaren Schulmöbeln basiert eine schülergerechte Arbeitsplatzgestaltung auf der Erkenntnis, dass unser Körper nicht für das Stillsitzen sondern für die Bewegung geschaffen ist. Schulstühle müssen sich dem Bewegungsbedürfnis des Kindes anpassen und nicht umgekehrt. Erwachsene und insbesondere Kinder sollten nicht über einen längeren Zeitraum in ein und derselben Körperhaltung verharren. Der gleichmäßige und unbewusste Belastungswechsel zwischen Spielbein und Standbein bei einem frei stehenden Menschen macht dies deutlich. Der Körper braucht Bewegung, denn dabei werden Muskeln und Gehirn besser durchblutet. Ein Stuhl sollte folglich das vom Körper geäußerte Bedürfnis nach Bewegung auf keinen Fall einschränken. Diese Anforderung wird durch Roll-Drehstühle mit beweglichen Sitzflächen erfüllt (dreidimensionale Beweglichkeit). Der Sitz passt sich jeder unbewussten Lageveränderung des Körpers an, gleichzeitig animiert er diesen, sich zu verändern. Damit werden die natürlichen Bewegungsimpulse der Schüler nicht mehr gebremst, sondern gefördert – kontinuierlich und wirkungsvoll. So haben beispielsweise Stuhlrollen den Vorteil, dass die Schüler die erforderlichen dynamischen Wechsel von Ruhehaltung und aktiver Haltung und die dadurch bedingten unterschiedlichen Abstände zum Tisch wesentlich einfacher und bequemer umsetzen können, als dies bei Stühlen ohne Rollen der Fall ist. Diese rhythmischen Haltungswechsel wiederum werden durch häufige Fuß- und Beinbewegungen ausgelöst, wodurch der venöse Rückstrom des Blutes aus den unteren Extremitäten aktiviert und die Blutzirkulation angeregt wird. Unterstützung findet diese Sitzdynamik noch dadurch, dass neben dem Wippen und Rollen auch ein bedarfabhängiges seitliches Hin- und Herdrehen möglich ist. All diese sitzdynamischen Aktivitäten haben einen rhythmisierenden Effekt und bewirken neben einer physiologischen Haltungsdynamik eine verbesserte Durchblutung sowie eine Aktivierung der Körpernahsinne. Dadurch werden die hirnphysiologischen Stoffwechselprozesse aktiviert, die Aufmerksamkeit erhöht und das Lernen unterstützt. Tagung: „Was bewegt Bewegte Schule?“ - 30.05.2006 Vom Sitzen zum Stehen Der Haltungs- und somit auch Belastungswechsel vom Sitzen zum Stehen und umgekehrt ist ein entscheidender Hebel zu mehr Dynamik und gesundem Körperverhalten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass pro Klassenzimmer ein mobiler (auf Rollen, aber auch fixierbar) und stufenlos höhenverstellbarer Steharbeitsplatz zu empfehlen ist. Die Tischfläche sollte groß genug sein, sodass vier bis fünf Schüler daran Platz finden können. Das Stehpult ist im Zuge seiner Mobilität als multifunktionaler Arbeitsplatz und als Informationsstation gedacht. Tätigkeiten wie Lesen und Schreiben im Stehen, Gespräche führen, Projektarbeiten zu zweit oder in Kleingruppen bewirken bei Schülern, dass deutlich weniger Arbeitszeit „abgesessen“ wird. Aber auch als Lehrerarbeitsplatz (auch Pult) findet das Stehpult wegen seiner Höhenverstellbarkeit seine Verwendung. Darüber hinaus kann es auch als zentrale Informationsstation fungieren, an der die Schüler die für sie bereitgestellten Arbeitsblätter oder sonstige Unterlagen abholen (Bewegung vom Sitzen zum Stehpult). Tipp: Wenn aus Kostengründen noch kein Stehpult angeschafft werden kann, ist auch ein Stehen an Sideboards möglich. Unter bestimmten Umständen wie Höhe und Tiefe, können auch Fensterbänke für stehende Tätigkeiten einbezogen werden. Liegefläche Jedes Klassenzimmer einer Grundschule sollte eine kleine „Liegeinsel“ aufweisen auf der bis zu drei Kinder Platz finden. Es entspricht ihren Bedürfnissen nach ständig wechselnden Körperhaltungen, wie auf dem Boden zu kauern oder andere für uns Erwachsene schon fremd gewordene Körperhaltungen. Die Liegefläche kann aus ausrangierten Turnmatten oder auch aus Teppichfliesen bestehen. Möbel auf Rollen wir empfehlen grundsätzlich die schwer beweglichen Möbelteile, wie Schultische, Sideboards, Stehpulte, Computerarbeitsplätze mit Rollen zu bestellen. Nur so sind arbeitsorganisatorische Veränderungen im Rahmen von Projektarbeit, Gruppenarbeit, freies Arbeiten, Wochenplanarbeit ohne größeren Aufwand bequem und mit den Kindern gemeinsam zu verändern und eröffnen in diesem Zusammenhang entstehende Räume für mehr Bewegung. Tagung: „Was bewegt Bewegte Schule?“ - 30.05.2006 Unterrichtsmethoden und Organisationsformen Für viele Lehrkräfte sind Wechsel von Unterrichtsmethoden und der Einsatz von Spiel- und Bewegungsaufgaben durchaus ein vertrautes Handeln. Diese Maßnahmen unterstützen die Förderung der kindlichen Entwicklung und bedeuten gleichzeitig Erfüllung ihrer Gegenwart. Es trägt vor allem dazu bei, die Lernfreude der Kinder in den notwendigen Übungsphasen zu steigern, das Üben abwechslungsreicher (Methodenwechsel, Gegensatzerfahrungen) und damit interessanter zu gestalten. Eine Rhythmisierung des Unterrichts durch Methodenwechsel führt zu einer Reduktion der motorischen Unruhe und zu einem besseren Lernverhalten der Kinder. Diese Wechsel tragen auch zur Motivation und Entlastung der Lehrkräfte bei. Die Verbindung von Lernen und Bewegung wird durch den Einsatz verschiedener Unterrichtsmethoden wie Freiarbeit, Wochenplanarbeit und Stationenlernen in besonderer Weise unterstützt. Hier beinhaltet bereits die Unterrichtsorganisation, dass die Kinder sich im Klassenraum, z. B. von Station zu Station bewegen und sich dadurch ihre Materialien selbst besorgen können. Räume bewegungsauffordernd gestalten Neben dem Klassenraum sollten darüber hinaus Flure und Schulhöfe so gestaltet werden, dass sie den vielfältigen individuellen Bewegungsbedürfnissen gerecht werden. Dr. Dieter Breithecker Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e. V. Wiesbaden, www.haltungundbewegung.de