Sprechstunde:

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Eltern fragen – Ärzte antworten
Schulsport: Ganz oder gar nicht?
Unser 9-jähriger Sohn Sebastian leidet an einem
kombinierten Aortenvitium mit mäßiger Stenose
und zweitgradiger Insuffizienz. Nun wurde uns
geraten, dass Sebastian nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen soll bzw. nur an wenig belastenden Übungen ohne Leistungsnachweis. Er nimmt
sehr gerne am Sportunterricht teil und möchte auch
in seiner Freizeit Fußball spielen. Das Spielen in
einer Vereinsmannschaft haben wir ihm auf ärztlichen Rat untersagt. Jedoch ist er nicht aufzuhalten, ab und zu mit seinen Freunden am Nachmittag am Bolzplatz zu spielen. Kann das für ihn
gefährlich sein?
Der Schulleiter will sich auf „eingeschränkten Sport“
nicht einlassen. Er will nicht die Verantwortung
übernehmen. Er sagt: „Ganz oder gar nicht!“ Jetzt
stellte mir die Kinderkardiologie ein Attest aus, dass
Sebastian ohne Leistungsdruck bis zu einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 140 am Sport teilnehmen darf. Die Schulleitung wiederum argumentiert, dass sie die Herzfrequenz nicht feststellen
kann. Deshalb haben wir jetzt für unseren Sohn
eine Herzfrequenz-Armbanduhr erworben. Wir
waren jedoch sehr überrascht, dass Sebastians Puls
schon im Ruhezustand (Fernsehen, Lesen) 95, beim
Radfahren, ganz gemütlich ohne Steigung rund
125, Treppen steigen 130 und eine kurze Steigung
im Gehen 150 Schläge/min. und mehr erreicht. Wir
fragen uns jetzt: Ist es gefährlich, wenn er kurzfristig über die durchschnittliche Frequenz von 140
kommt? Er geht gerne mit uns spazieren, wandern,
radfahren (leichte Strecken) und kegeln (einmal
wöchentlich in einem Verein, der Trainer achtet
sehr auf ihn). Müssen wir ihm das alles verbieten?
Ein gänzliches Verbot würde ihn psychisch sehr
belasten (es gab schon viele Tränen). Ist es ratsam,
bei all diesen Aktivitäten und im Sportunterricht
(4. Klasse, die Lehrerin achtet besonders auf ihn
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und gebietet ihm auch Einhalt) diese Messuhr zu tragen, damit er einschätzen kann, wann die Grenze
erreicht ist? Wir sind so verunsichert und möchten
nichts falsch machen. Bitte geben Sie uns Auskunft,
ob er die Aktivitäten weiter ausführen kann, auch
wenn sein Puls kurzfristig über die Frequenz von 140
geht. Kann er an Schulausflügen, Schullandaufenthalten verbunden mit Wanderungen und derartigen
Veranstaltungen bedenkenlos teilnehmen?
Andrea H., Zeil am Main
Kinder mit angeborenen Herzfehlern können in
der Regel sportlich so weit belastet werden, bis sie
selbst pausieren. Es gibt jedoch einige Herzfehler,
bei welchen die Kinder ihre Belastungsgrenze nicht
rechtzeitig selbst erkennen. Zu diesen wenigen
Ausnahmen zählen die Aortenklappenfehler. Wie ich
Ihrem Brief und den beigelegten Arztberichten entnehme, leidet Ihr Sohn an einer mäßiggradigen
valvulären Aortenstenose sowie an einer leichten Aortenklappeninsuffizienz. Diese Erkrankung kann bei
körperlicher Belastung heimtückisch sein. Bei schweren Formen kann es vorkommen, dass der Herzmuskel,
der von den Herzkranzarterien mit Sauerstoff und
Nährstoffen versorgt wird, plötzlich und ohne Vorwarnung einen Sauerstoff- und Nährstoffmangel
erleidet. Daher muss man Patienten mit schweren
Aortenklappenfehlern Sportverbot erteilen, Patienten mit mittelgradigen Aortenklappenfehlern dürfen eingeschränkt Sport betreiben. Wegen der oben
genannten Gefahr eines plötzlichen Sauerstoffmangels am Herzmuskel darf jedoch Leistungsund Wettkampfsport nicht erlaubt werden. Um diesen Kindern trotz ihrer Herzerkrankung eine normale körperliche und psychische Entwicklung zu
ermöglichen, sollten sie unbedingt am Schulsport
teilnehmen, um nicht aus dem Klassenverband ausgeschlossen zu sein. Ein gänzliches Sportverbot
wäre für diese Kinder besonders hart, da sie ja von
ihrem Herzfehler selbst nichts spüren, insbeson-
dere bei körperlicher Belastung nicht vorzeitig
kurzatmig werden, wie z. B. Kinder mit sogenannten
Shunt-Vitien. Sie dürfen normal am Schulsport teilnehmen, wenn sie bei wettkampfmäßigem Sport oder
leistungsbetonten Sportarten pausieren. Schwimmen sollten diese Kinder nur unter Aufsicht.
Ihr Sohn wurde an einem großen Kinderherzzentrum mittels Spiroergometrie im Hinblick auf seine
Reaktion des Herzens und der Lunge auf körperliche Anstrengung getestet. Hierbei erreichte er
ohne Mühe bei belastungsgerechten Blutdruckwerten bei einer körperlichen Belastung von
2 Watt/kg Körpergewicht eine Herzfrequenz von
170/min. Es traten weder Sauerstoffmangelzeichen
am Herzmuskel noch Herzrhythmusstörungen auf.
Dieses Spiroergogramm ist als altersgerecht einzustufen. Die betreuenden Ärzte empfahlen eine sportliche Belastung unter Pulsuhr-Kontrolle bis hin zu
einer Herzfrequenz von 140/min. Mit dieser Empfehlung liegen sie eindeutig im sicheren Bereich. Diese Herzfrequenz erreicht Ihr Sohn als 9-jähriger
jedoch bereits beim Treppensteigen. Somit müssten Sie mit Ihrem betreuenden Zentrum Rücksprache halten, ob man in Anbetracht des jungen
Alters sowie des vorliegenden Spiroergogramms
diese obere Schwelle nicht etwas höher setzt, so dass
er am normalen Sportunterricht unter Vermeidung
von Leistungssport teilnehmen kann. Vielleicht
besteht für Sie auch die Möglichkeit, im Rahmen einer
Kinder-Herzsportgruppe unter Pulsuhren-Kontrolle und ärztlicher Aufsicht zu schauen, an welchen
sportlichen Übungen Ihr Sohn bei einer maximal
erlaubten Herzfrequenz von z. B. 160/min. teilnehmen kann. Diese Grenze peilen wir als Richtwert bei vergleichbaren Herzfehlern im Rahmen
unserer Herzsportgruppen-Aktivitäten an (Skilaufen,
Inlineskaten, Fußballspielen, Klettern, ErlebnisUrlaub in den Bergen).
Auf den von uns durchgeführten Sportfreizeiten
mit herzkranken Kindern und Jugendlichen liegen
die Herzfrequenzspitzen der Kinder selbst bei einfachen Betätigungen wie z.B. bei Suchspielen im und
um das Haus schon bei Frequenzen um und etwas
über 160/min. Wir sahen hierbei bisher nie Probleme, auch nicht bei Kindern mit mittelgradigen
Aortenklappenstenosen. Allerdings ist hier zu bedenken, dass diese Sportfreizeiten unter ärztlicher
Aufsicht durchgeführt werden.
Ihr Schulleiter sollte einer eingeschränkten Teilnahme am Sportunterricht zustimmen. Kinder mit
angeborenen Herzfehlern haben ohnehin Mühe,
sich bei ihren Altersgenossen in normaler Weise
in die Gemeinschaft einzugliedern. Wenn sie nun
auch noch von dem die Gemeinschaft fördernden
Schulsport ausgeschlossen werden, können sich
erhebliche soziale Defizite entwickeln. Um dieser
Entwicklung vorzubeugen, empfehlen wir bei unseren Patienten eine Teilnahme am Sport ohne Leistungs- und Wettkampfsport und ohne Benotung.
Außerdem sollte diesen Kindern jederzeit die Möglichkeit gegeben werden, bei körperlichen Belastungen zu pausieren. Ich habe mit entsprechenden Attesten hierbei noch nie Probleme – auch
nicht in Gymnasien – gesehen. Ich denke, der vom
Schulleiter ausgesprochene Satz „ganz oder gar
nicht“ kann hier mit Sicherheit nicht zutreffen und
ist „unpädagogisch“. Dies würde einem Ausschluss
eines Kindes mit angeborenem Herzfehler aus der
normalen gesellschaftlichen Entwicklung gleichkommen. Unsere Schulen sind genauso wie die Eltern
und die Ärzte gefordert, diesen Kindern zur Schulzeit ein möglichst normales Heranwachsen und
später normale Berufschancen zu gewährleisten.
Prof. Dr. med. Roland Hofstetter,
Frankfurt am Main
Marcumar in der Pubertät
Ich bin Mutter eines elfjährigen herzkranken
Mädchens. Meine Tochter hat einen künstlichen
Mitralklappenersatz und nimmt Marcumar. Der
INR-Wert liegt im Durchschnitt bei 3,5. Mit dem
CoaguChek kontrollieren wir den Wert selbst.
Meine Frage lautet: Wenn meine Tochter in die
Pubertät kommt und ihre Regel einsetzt, wirkt sich
dies dann auf den INR-Wert aus?
Susanne M., Waldbronn
Die Regel beeinflusst den INR-Wert nicht, allerdings kann es im Rahmen der normalen Regelblutungen zu einer Verstärkung der Blutung kommen, wenn der INR-Wert nicht in einem optimalen
Bereich, das heißt zu stark eingestellt ist. Bei INRWerten, die nicht über 3,5 liegen, kommt es für
gewöhnlich nicht zu einer Verstärkung der Regel7
blutung. Sie können also ohne besondere Befürchtungen der Pubertät und dem Beginn der Regelblutung Ihrer Tochter entgegensehen. Sie sollten besonders darauf achten, dass der INR-Wert Ihrer Tochter
nicht über 3,5 liegt. Die Stärke der Regelblutung
sollte genau beobachtet und mittels Blutbild der
Einfluss überprüft werden.
Dr. med. Christa Gohlke-Bärwolf,
Bad Krozingen
Was kommt auf uns zu?
Bei unserer Tochter Julia wurden im Alter von einem
Jahr nach einer Herzkatheteruntersuchung folgende Diagnosen gestellt: anatomisch korrigierte
Transposition der großen Gefäße, valvuläre und
subvalvuläre Pulmonalstenose, persistierendes Foramen ovale, perimembranöser Ventrikelseptumdefekt plus Septumaneurysma. Der Druckgradient zu
den Lungengefäßen gewährleistet normale pulmonalarterielle Drucke in der Lungenstrombahn.
Alle fünf bis sechs Monate gehen wir zur Kontrolluntersuchung und Julia, heute vier Jahre alt, geht
es weiterhin gut. Sie entwickelt sich normal und
benötigt keine Medikamente. Darüber sind wir sehr
glücklich. Dennoch drängen sich immer wieder
Fragen über die Zukunft auf. Kann man etwas
über den Verlauf der Krankheit sagen? Ist irgendwann eine Operation nötig, und wie würde die
aussehen? Die behandelnden Ärzte äußern sich
dazu nur zögerlich und meinen, man müsse abwarten. Trotzdem würden wir gerne wissen, was eventuell noch auf unsere Tochter zukommt. Können Sie
uns helfen?
Familie H., Neu-Isenburg
Die anatomisch korrigierte Transposition der großen
Gefäße mit VSD und Pulmonalstenose ist ein seltener,
sehr komplexer Herzfehler. Der natürliche Verlauf
der Erkrankung, um den Sie sich ja Gedanken
machen, ist höchst unterschiedlich und daher schwer
vorhersagbar. Deshalb die Zurückhaltung Ihrer Ärzte. Viele Kinder leben jahrelang gut, wie wohl auch
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Julia. Dennoch muss man damit rechnen, dass ein
Problem auftreten wird. Der Ausfluss in die Lungenstrombahn kann sich weiter verengen, so dass
zuwenig Blut in die Lungen gelangt. Die Klappe
zwischen linkem Herzvorhof und rechtem Ventrikel kann undicht werden. Ein sogenannter Herzblock
kann auftreten. Dementsprechend unterschiedlich
sind die dann notwendig werdenden Operationen.
Grundsätzlich kann man den VSD verschließen
und muss dann aus anatomischen Gründen die
Verbindung vom Herzen zur Lungenschlagader
durch eine klappentragende Gefäßprothese (z. B.
einen Homograft mit menschlicher Klappe) wiederherstellen.
Die am meisten anatomische Korrektur ist die sogenannte Doppelte-Switch-Operation. Dabei wird das
Blut auf der Vorhofebene auf die „richtigen“ VorhofKammer-Klappen geleitet, und die großen Gefäße
werden auf die „richtigen“ Herzkammern unter
Neueinpflanzung der Herzkranzgefäße umgesetzt.
Auch hier kann ein Homograft (siehe oben) notwendig werden. Dies ist eine der anspruchvollsten
Operationen, die die moderne Herzchirurgie heute anzubieten hat. Sie hat natürlich ein dementsprechendes Risiko, weshalb man Probleme hat,
sie für ein Kind zu empfehlen, dem es allem Anschein
nach gut geht. Leider wird das Risiko dann, wenn
es dem Kind nicht mehr „gut“ geht, noch viel höher.
Am anderen Ende der Möglichkeiten stehen mittlerweile Erwachsene, die nie operiert wurden, und
die erstaunlich leistungsfähig sind. Einige haben
nur einen dauerhaften Herzschrittmacher benötigt.
Einigen musste man die linksseitige Vorhof-KammerKlappe wegen Undichtigkeit ersetzen. Sie sehen, dass
es eine Menge Unwägbarkeiten gibt. Für Julias
Zukunft ist es vor allem wichtig, dass sie auch bei
scheinbarem Wohlergehen regelmäßig in kinderkardiologischer Kontrolle bleibt. Den Zeitpunkt,
wann etwas (was auch immer es sein mag) getan
werden sollte, muss der Arzt erkennen, bevor es das
Kind oder die Eltern merken.
Prof. Dr. med. Markus Heinemann,
Mainz
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