2 • 2016 Tagungsbericht Bakterien in allen Schichten Optimale Therapie bei Haut- und Weichgewebeinfektionen hängt von der Eindringtiefe ab Bakterielle Hautinfektionen umfassen verschiedene antimikrobielle Peptide dient, die in oder sogar wirksamer erwiesen, erhöht aber auch ein weites Spektrum an Erkrankungen, der Epidermis des Atopikers ebenfalls vermindert das Risiko einer Resistenzentwicklung (1). Insge- die unterschiedlich tief ins Gewebe rei- sind. Dennoch leiden auch Atopiker nicht perma- samt riet Sunderkötter zu einem sparsamen Um- chen können und dementsprechend nent unter bakteriellen Hautinfektionen, sondern gang mit Antibiotika auf der Haut, da dies die Ent- unterschiedliche therapeutische Strate- meist nur dann, wenn die oberste Hautschicht wicklung von Resistenzen fördert und solche gien erfordern. Den Griff zum Antibioti- beispielsweise durch Erosionen oder Kratzeffekte Wirkstoffe dann – auch bei schwerwiegenden In- kum sollte man sich für die schwerwie- beeinträchtigt ist. fektionen anderer Organsysteme – nicht mehr genderen Fälle aufsparen, wie auf einer Für Gesunde gilt dagegen: Solange die Epidermis systemisch gegeben werden können. Tagung der Arbeitsgemeinschaft für intakt ist, wird sie mit Bakterien problemlos fertig. Dermatologische Infektiologie und Tro- Ausnahmen sind: Zweite Abwehrbarriere: Phagozyten pendermatologie e.V. (ADI-TD) in Frank- • wenn die epidermale Schutzschicht noch sehr Doch selbst wenn die Epidermis als erste mikro- furt/Main zu hören war. bielle Schutzschicht überwunden wird, ist der dünn ist (z.B. bei Kindern) • wenn die Hornschicht sehr stark durchfeuchtet Mensch noch lange nicht hilflos den eindringen- Wir leben in einer Welt voller Bakterien. Dass un- ist (z.B. bei starkem Schwitzen oder wasserun- den Erregern ausgesetzt, denn er verfügt noch sere Haut nicht ständig mit Infektionen konfron- durchlässigem festem Schuhwerk) über weitere Abwehrmechanismen, die nun zum tiert ist, liegt an den guten Abwehrmechanismen, • oder wenn die Epidermis durch einen Vektor Einsatz kommen. Die nächste Barriere bilden die die wir als Reaktion auf diese mikrobielle Belas- überwunden wurde. Als Beispiel nannte Phagozyten, und hier in erster Linie die poly- tung im Laufe der Evolution entwickelt haben. Sunderkötter hier das Panton-Valentine-Leuko- morphkernigen Granulozyten, die bei der Penetra- Dieses mehrschichtige Abwehrsystem und die Er- cidin (PVL), ein porenbildendes, von manchen tion der Bakterien durch die Epidermis rekrutiert krankungen, die bei seinem Versagen entstehen Staphylococcus-aureus-Stämmen produziertes und aktiviert werden. Da aber unser Immunsystem können, erläuterte der Dermatologe Prof. Dr. med. Zytotoxin, das zu Gewebsnekrosen und zur Zer- nicht gegen jeden möglichen Fremdkörper über Cord Sunderkötter von der Klinik und Poliklinik für störung von Leukozyten führt. Betroffene, die eine spezifische Abwehr verfügt, kommt hier zu- Hautkrankheiten am Universitätsklinikum Müns- mit PVL-positiven Staphylokokken besiedelt nächst das unspezifische Abwehrsystem zum Ein- ter bei der Tagung der Arbeitsgemeinschaft für sind, leiden häufig unter Haut- und Weichteilin- satz. Dieses ist bereits in wenigen Stunden zu Dermatologische Infektiologie und Tropenderma- fektionen, da sich diese Bakterienstämme einer Immunreaktion in der Lage. Hierfür besitzen tologie e.V. (ADI-TD). die entsprechenden Phagozyten Rezeptoren, die quasi in die Haut graben. Als Beispiel für ein typisches Krankheitsbild, das in der Lage sind, spezifische Strukturen zu erken- Erste Abwehrbarriere: Epidermis entstehen kann, wenn die Epidermis als erste Ab- nen, die vielen Bakterien gemeinsam sind. Ein Die erste Schicht dieses Barrieresystems ist die wehrbarriere von Bakterien überwunden wird, wichtiger Stimulator für Granulozyten sind bei- Epidermis selbst, die vor allem ein mechanisches nannte Sunderkötter die Impetigo contagiosa. Da spielsweise Lipopolysaccharide (LPS) als Bestand- Hindernis darstellt, aber auch antimikrobielle es sich hier um eine sehr oberflächliche Infektion teile der äusseren Membran von gramnegativen Peptide enthält. Solange sie äusserlich intakt ist, handelt, besteht eine angemessene Behandlung Bakterien. Es sind die verschiedenen Toll-like-Re- verhindert die Epidermis ein Eindringen der Bak- in der lokalen Applikation des topischen Antibio- zeptoren (TLR), die diese weitverbreiteten mole- ® terien. Störungen ihrer Zusammensetzung kön- tikums Retapamulin (Altargo ), von neueren kularen Muster, die sogenannten Pathogen Asso- nen jedoch eine pathologische Vermehrung von Antiseptika (Octenidin [Octeniderm®], Polihexa- ciated Molecular Patterns (PAMP), auf den Bakterien begünstigen. So ist die Hautoberfläche nid) oder Povidon-Jod. Wenn MRSA nachgewiesen Bakterien erkennen können. Der Rezeptor TLR-4 bei etwa 96 Prozent der Atopiker mit Staphylo- werden, können auch Mupirocin (Bactroban®) ist derjenige, der LPS erkennt, und TLR-2 erkennt coccus aureus kolonisiert. Die Epidermis von Ato- oder Fusidinsäure (Fucidin®) zur Anwendung die spezifischen Bestandteile von Staphylococcus pikern enthält weniger Filaggrin, eine Protein- kommen. Die lokale Anwendung dieser Antibio- aureus. Die TLR-Aktivierung bewirkt intrazellulär gruppe, die nicht nur für die Barrierefunktion tika hat sich zwar gegenüber einer oralen antibio- in Phagozyten die Aktivierung des Inflammasoms, wichtig ist, sondern auch als Ausgangsstoff für tischen Therapie bei Impetigo als gleichwertig eines Multiproteinkomplexes, der über mehrere – 31 – 2 • 2016 Tagungsbericht Reaktionsschritte letztlich zur Ausschüttung von plikationen zu befürchten, vor allem bei Verdacht Nekrotisierende Fasziitis – wenn Interleukin-1β führt. Dieses zählt wiederum zu den auf gramnegative Erreger, sollte Cefuroxim i.v. besondere Toxine hinzukommen wichtigsten Zytokinen der unspezifischen Entzün- (3 x 1500 mg) zur Anwendung kommen (1). Insbe- Noch dramatischer kann das Krankheitsbild aus- dungsreaktion. sondere bei gleichzeitig bestehenden Komorbidi- fallen, wenn die eingedrungenen Bakterien mit Die so rekrutierte und aktivierte Abwehrreihe der täten droht der Übergang in eine schwere Phleg- besonderen Toxinen ausgestattet sind. Ein glück- Granulozyten frisst und tötet die Bakterien. Zei- mone mit tiefen Infektionen, die oft bis an die licherweise seltenes Beispiel hierfür ist die nekro- chen einer wirksamen Auseinandersetzung dieser Faszie reichen und mit Nekrosen und Allgemein- tisierende Fasziitis, die «aus heiterem Himmel je- Abwehrzellen mit den Erregern sind lokal be- symptomen einhergehen. Sie bedürfen in der Re- den befallen kann», wie Sunderkötter betonte. grenzte Entzündungen, beispielsweise Furunkel: gel einer chirurgischen Versorgung (1). Darüber Hier ist mitnichten nur die Faszie betroffen, son- Das Entzündungsgeschehen ist hier abgekapselt hinaus kommen folgende Antibiotikaoptionen, dern alle Gewebeschichten. Eintrittspforten der und breitet sich nicht weiter aus. meist parenteral, zur Anwendung: Erreger sind neben der hämatogenen Streuung Auch bei einer infizierten Wunde wird anhand der • Amoxicillin/Clavulansäure meist Bagatelltraumen, infizierte Operationswun- Entzündungszeichen wie Rötung und Schwellung • Moxifloxacin (ggf. plus Clindamycin) den und Injektionsstellen (1). Die Patienten ent- das aktivierte Entzündungsgeschehen sichtbar. • Ceftarolinfosamil wickeln als Leitsymptom einen sehr heftigen Die Therapie findet hier topisch mit Antiseptika • Piperacillin/Tazobactam Ischämieschmerz, der in keinem offensichtlichen statt, eine Antibiotikagabe ist nicht notwendig. • Vancomycin und Aztreonam i.v. Verhältnis zum zunächst sichtbaren klinischen • Levofloxacin und Metronidazol. Befund steht (1). Hier ist nicht nur schnelle Anti- Handelt es sich bei den Eindringlingen allerdings biose, sondern auch eine sofortige chirurgische Indikation für systemische Antibiose um beta-hämolysierende Streptokokken, entwi- Sanierung mit nachfolgender intensivmedizini- Nimmt die Zahl der Erreger überhand, kann auch ckelt sich das typische Krankheitsbild eines scher Betreuung erforderlich. diese Abwehrreihe überwunden werden. Dann Erysipels. Dieses lässt sich klinisch durch die hell- Als Beispiel dafür, dass Bakterien auch ohne kommt es zur diffusen Weichgewebeinfektion. rote Färbung und die scharfe Begrenzung mit zun- Überwinden der Abwehrbarrieren, allein aufgrund Erst in solchen Fällen ist die systemische Antibio- genförmigen Ausläufern von der Phlegmone ihrer Toxine, zu erheblichen Problemen führen Weichgewebeinfektion: tikagabe indiziert. Welches Antibiotikum gegeben unterscheiden; zudem geht es immer mit beglei- können, nannte Sunderkötter das lebensbedroh- wird, hängt vom vermuteten Erreger ab. Die Dia- tenden Systemzeichen wie Fieber oder zumindest liche Staphylococcal Scalded Skin Syndrome gnose, also ob es sich um ein Erysipel oder eine Frösteln und einem allgemeinem Krankheitsge- (SSSS), das sich aufgrund eines von den Bakte- Phlegmone handelt, hat hier auch therapeutische fühl einher (1). «Hier ist Penicillin das Mittel der rien produzierten Exfoliativtoxins gegen das Konsequenzen. Wahl – es gibt nichts Besseres», betonte Sunder- Membranprotein Desmoglein 1 entwickelt. Es Typisch für eine begrenzte Phlegmone sind eine kötter. Denn es wirke gut gegen Streptokokken, sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie eine to- ödematöse, dunkle Rötung und eine teigige ohne dass Resistenzen beobachtet worden wä- xische epidermale Nekrolyse, bleibt jedoch ober- Schwellung, die sich mehr als 2 cm um die bakte- ren. Zudem habe es von allen möglichen Antibio- flächlicher. Allerdings, so das Fazit von Sunder- rielle Eintrittspforte herum ausdehnt. Die Patien- tika die wenigsten Nebenwirkungen. Liegt eine kötter, sind solche schweren Komplikationen ten geben nur leichte Schmerzen an und haben Penicillinallergie vor, werden Clarithromycin oder doch eher selten. Unser dermales Abwehrsystem macht also insgesamt betrachtet einen guten Job. meist kein Fieber. Bei Immunkompetenten han- Clindamycin empfohlen (1). delt es sich im Falle einer begrenzten Phlegmone Im schlimmsten Fall kann es bei allen Weichgewe- fast immer um einen Staphylococcus-aureus-In- beinfektionen letztlich auch zur Sepsis kommen, fekt. Die Standardtherapie bei begrenzter Phleg- die sich in Fieber, Tachykardie und Verhaltensauf- mone ist Cefadroxil oral (2 x 1 g/Tag). Sind Kom- fälligkeiten äussern kann. Tabelle: Klinische Unterschiede zwischen Erysipel und begrenzter Phlegmone Erysipel • hellrotes, glänzendes Erythem, scharf begrenzt mit zungenförmigen Ausläufern • kein Eiter • kleine Eintrittspforte • immer Systemzeichen mit Fieber oder Frösteln • Erreger: hämolysierende Streptokokken Begrenzte Phlegmone • ödematöse, dunkle Rötung bzw. teigige Schwellung > 2 cm um Eintrittspforte • Eiter (wenig bis mässig) • grössere Eintrittspforte (Ulkus) • Systemzeichen nicht obligat, keine ernste Komorbidität • Erreger: meist Staphylococcus aureus (nach Sunderkötter) – 32 – Dr. med. Adela Žatecky Referenzen: 1. Sunderkötter C, Becker K: Häufige bakterielle Infektionen der Haut- und Weichgewebe: Klinik, Diagnostik und Therapie. JDDG 2015; 13 (6): 501–527. Quelle: Vortrag «Bakterien in allen Schichten – von der Kolonisation über die Impetigo bis zur nekrotisierenden Fasziitis» an der 19. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Dermatologische Infektiologie und Tropendermatologie e.V. (ADI-TD), September 2015 in Frankfurt am Main.