unerzogen Magazin Heft 2/2012

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Eine Rose gegen Gewalt:
Stärke, Schönheit und Fragilität werdender Mütter
Nicht jede natürliche Geburt muss zwangsläufig eine Hausgeburt sein. Einer beglückenden Geburt steht theoretisch auch im Krankenhaus nichts im Wege. Mit Feingefühl, Wissen, Vertrauen und den nötigen strukturellen Freiräumen könnte auch in diesem künstlichen Rahmen eine
achtsame Geburt stattfinden. Die Realität sieht weltweit derzeit dramatisch anders aus. Gewalt
vor, während und nach der Geburt stehen auch hier an der Tagesordnung.
INTERVIEW MIT MASCHA GRIESCHAT, KOORDINATORIN VON ROSES REVOLUTION
M
ascha Grieschat – Doula, Mut- lich habe ich mich ohnmächtig ergeben.
ter und Betroffene – engagiert Es war definitiv das Schlimmste, was ich
sich für eine bessere Geburts- je erlebt bzw. überlebt habe. Die Geburt
hilfe in Deutschland. Mit ihrer Initiati- meines Sohnes beinhaltete Entmündive Gerechte Geburt und der Koordinati- gung, Erniedrigung, übergriffige Ärzte,
on des Projekts Roses Revolution setzt sie brüllende Rettungssanitäter, mangelnde
Hebammenbetreuung, fehlende Menschein starkes Zeichen für Veränderung.
lichkeit, Respektlosigkeit, verbale EntSeit Ihrem eigenen »gewaltvollen« gleisungen à la »Müssen Sie schon in die
Geburtserlebnis haben Sie es sich zur Tischkante beißen?«, »Guck dich mal an,
Aufgabe gemacht, die derzeitige Situati- Mädchen, du bist fertig« oder »Nein, Sie
on in der Geburtshilfe in Deutschland bekommen nichts zu trinken; Sie bekomzu verändern. Möchten Sie ihr persön- men einen Tropf«. Und schließlich einen
Notkaiserschnitt gegen meinen Willen
liches Erlebnis schildern?
Danke für diese erste Frage, die es in Vollnarkose (was man mir nicht einwirklich in sich hat. Es fällt mir nicht mal mitteilte), dessen tatsächliche Notleicht, sie zu beantworten; dennoch wendigkeit ich bis heute bezweifle. Was
möchte ich es tun, weil es mir wich- mir angetan wurde, hat mich für imtig erscheint zu definieren, was denn mer verändert. Gravierend außerdem:
überhaupt »Gewalt in der Geburtshil- der Mangel an guten und schnellen Hilfe« ist. In der Öffentlichkeit herrscht femöglichkeiten nach der Geburt, fehlennoch viel zu wenig Bewusstheit dar- de Entschuldigung und Entschädigung,
über, dass »Gewalt in der Geburtshil- mangelnde Akzeptanz, die stattgefundefe« tatsächlich existiert. Durch »Darü- ne Gewalt anzuerkennen. »Dumm gelauber-Reden« kann eine Sensibilisierung fen, aber freuen Sie sich an ihrem Kind«
stattfinden. Gleichzeitig möchte ich – das waren Standardsätze, auch von mebetonen: Keine betroffene Frau muss dizinischem Fachpersonal.
ihre Geschichte schildern, nur um BeSie haben daraufhin 2013 die Initiaweise und Rechtfertigung zu liefern!
Was ich persönlich erinnere, sind viele tive Gerechte Geburt gegründet. Was ist
Bilder, Geräusche, Gerüche, Gefühle, vor darunter zu verstehen? Und: Wie könallem Todesangst; aber ich weiß zum Bei- nen Sie damit zu einer Verbesserung
spiel nicht mehr genau, wie viele Men- der Geburtssituation beitragen?
schen mir in meine Vagina fassten, wie
Auf der Suche nach Hilfemöglichoft ich »Nein!« und »Hilfe!« schrie. Letzt- keiten nach traumatischen Geburtserwww.unerzogen-magazin.de
lebnissen fand ich 2011 fast nichts. Die
Angebote beschränkten sich auf Einzelgespräche mit Psychotherapeuten. Wobei
die »Therapie« meist in Medikamentengabe zur »Stabilisierung« bestand. Die
wenigen alternativen Angebote waren allesamt privat zu zahlen! Das wollte ich
ändern. Wichtiger Teil meines Heilungswegs war es, andere Frauen, Kinder und
Familien vor einer solchen Erfahrung
zu schützen. Ich wollte, ja musste, nachhaltig die Geburtskultur in Deutschland
verändern. Ich las meterweise Fachliteratur, um Antworten zu bekommen. Es
war erschreckend: Die Behandlung, die
mir und meinem Sohn zuteilgeworden
war, war das Gegenteil von dem, was Forschungsergebisse zeigen und Leitlinien
in der Geburtshilfe seit Jahrzehnten (!)
vorgeben. Das heißt: In der Theorie ist
das Wissen, wie gute Geburtshilfe abläuft, in vielen Bereichen vorhanden, in
der Praxis dagegen hapert es. Größtenteils strukturell bedingt (Personalschlüssel, faire Versicherung und Bezahlung).
Geburtshilfe muss insgesamt gerechter
werden – für alle Beteiligten: die Mutter, den Vater, das medizinische Personal,
das Ungeborene. Ich gründete die Initiative also vorrangig als Informationsplattform, zum Austausch und zur Projektbeteiligung. Außerdem machte ich die
Ausbildung zur Doula. Ich wollte einerseits Schwangere, andererseits medizinisches Personal und Hebammen sowie
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verletzung, denn: Vielleicht hätten Sie
lieber ein Antibiotikum genommen oder
zumindest gewusst, was gerade mit Ihnen und Ihrem Körper geschieht. Meiner
Meinung nach findet in den deutschen
Kreißsälen eine routinierte Patientinnen-Rechtsverletzung statt – stets unter dem Deckmantel, das Kind zu retten.
Dabei sind echte Notfälle sehr selten und
in den meisten Fällen durch Interventionskaskaden krankenhausgemacht.
Mascha Grieschat ist Koordinatorin des Projektes Roses Revolution.
Politiker erreichen und aufklären. Damit
Gewalt in der Geburtshilfe gar nicht erst
passiert. Denn eine gerechte Geburt ist
gewaltfrei, respekt- und würdevoll. Gerecht – das ist ein ehrliches und erreichbares Ziel! Ich kann keiner Schwangeren versprechen, dass sie eine schöne,
komplikationsfreie und natürliche Geburt haben wird. Aber ich kann alles dafür tun, dass sie gut und gerecht behandelt wird, sodass sie ihr Leben lang mit
einem Gefühl von Zufriedenheit auf die
Geburt zurückblicken kann.
Beim Thema »Gewalt« scheiden sich
die Geister. Es erhitzt die Gemüter.
Und zeigt einerseits, wie sensibel mit
dem Thema umzugehen ist, andererseits auch, wie unterschiedlich die Auffassungen von Gewalt und Toleranzgrenzen diesbezüglich sind. Was ist in
Ihren Augen Gewalt an schwangeren
und gebärenden Frauen?
Durch die fehlende Beachtung der individuellen Bedürfnisse, durch physische, psychische oder verbale Gewalt erleben Frauen und ihre (ungeborenen)
Kinder ungerechte Geburten. Dabei ist
alles, was die Schwangere oder gebärende Frau als Gewalt empfindet, Gewalt.
Mir ist wichtig zu betonen, dass Geburt
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an sich in jeder Hinsicht ein »gewaltiges« – sprich mächtiges – Erlebnis ist;
doch ist damit gewiss nicht die Respektlosigkeit gemeint, die täglich in der Geburtshilfe passiert. Anschreien, Erniedrigen, Erpressen etc. sind auf psychischer
Ebene sehr grausam, genauso wie körperliche Gewalt (Interventionen, unnötig schmerzhafte Untersuchungen, Festhalten, Schlagen). Hand in Hand gehend
mit fehlender Aufklärung und Einwilligung der Gebärenden.
Getrost kann man Sie als Expertin
bezeichnen, was Gewalterfahrungen in
der Geburtshilfe betrifft. Welche sind
die häufigsten Gewaltformen, die werdenden Müttern zuteilwerden?
Am häufigsten passiert wohl Entmündigung; gepaart mit nicht vorhandener
Aufklärung und Eingriffen, denen die
Frau nicht zugestimmt hat. In keinem
anderen medizinischen Bereich ist eine
derartige würde- und respektlose Behandlung denkbar. Stellen Sie sich zum
Beispiel vor: Sie gehen zum Zahnarzt, wo
Ihnen – ohne Vorwarnung – zwei Backenzähne gezogen werden. Mit der Begründung: »Das hat Ihr Leben gerettet;
eine Blutvergiftung drohte.« Tja, dann
handelte es sich eindeutig um Körper-
Warum ist es also sinnvoll, das Thema »Gewalt rund um die Geburt« nicht
länger zu tabuisieren, sondern öffentlich zu machen, zu thematisieren? Welche Auswirkungen kann eine Gewalterfahrung unter der Geburt für Frau und
Kind haben?
In Schweden hat man bereits 2002
festgestellt, dass Frauen nach negativen
Geburtserlebnissen weniger oder erst
später Kinder zur Welt bringen. Ich bin
überzeugt, dass sich die Tabuisierung
ein Leben lang auf die Beziehung zum
Kind auswirkt sowie auch auf die Beziehungen zu Partner und Familie Einfluss nimmt. Die Folgen müssten noch
viel mehr erforscht werden – wie es die
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
seit 2015 fordert. Leider ignoriert dies
die deutsche Gesundheitspolitik. Die
jüngst veröffentlichten »Nationalen Gesundheitsziele: Gesundheit rund um
die Geburt« vergeben hier die wichtige
Chance, folgendes Ziel zu formulieren:
»Eine gewaltfreie, würde- und respektvolle Geburt wird ermöglicht.«
Um Frauen und Kinder zu schützen,
ist es wichtig, das Thema weiter öffentlich zu machen. Die Aktion Roses Revolution fordert zum Beispiel (auch im Logo):
»Name it!«. Wir müssen das Schweigen
brechen und die Gewalt beim Namen
nennen. Nur so kann sich etwas verändern; nur so erhalten Krankenhäuser die
Möglichkeit, Lösungswege und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln; nur so
kann sich jede einzelne Hebamme fragen: Was kann ich aktiv für eine würdeund respektvolle Geburt tun? Die Auswirkungen einer positiven Begleitung ins
Leben sind enorm.
Die eben erwähnte, weltweite Aktion Roses Revolution wird in Deutschunerzogen 1/2017
land von Ihnen – gemeinsam mit drei
weiteren Frauen – ehrenamtlich koordiniert und geführt. Können Sie ein
paar persönliche Worte zu dieser Initiative finden?
Wenn Frauen durch die Beteiligung
der Roses Revolution wieder ein Stück zu
sich selbst finden und den Mut aufbringen, eine Rose vor dem Kreißsaal, in dem
sie Gewalt erlebt haben, niederzulegen
und einen Brief zu schreiben, um das Erlebte zu betrauern … dann ist schon ein
großer Schritt in Richtung »Heilung« getan. Als deutsches Team der Roses Revolution bekommen wir immer wieder
Rückmeldungen, dass Frauen sich wieder trauen, erneut schwanger zu werden.
Dank des heilenden Austauschs mit anderen Betroffenen. Viele Mütter berichten, dass sie nach aktiver Teilnahme an
der Aktion endlich ehrliche Freude über
ihr Kind empfinden können; dass sie
endlich akzeptieren können, dass der
Weg zur Innigkeit schwierig war; dass
sie von der erlebten Gewalt wie betäubt
waren. Die Roses Revolution gibt den Betroffenen eine Stimme, um auszusprechen, was ihnen angetan wurde. Allein
unsere Dokumentation der Briefe von
2016 zeigt, dass in über 22 Prozent aller
deutschen Kliniken nachweislich Gewalt
in der Geburtshilfe ausgeübt wurde. Wir
können also nicht von traurigen Einzelfällen sprechen.
Wir sind ein starkes Team, kommen
aber – was Ressourcen betrifft – oft an
unsere Grenzen. Wir wünschen uns
dringend finanzielle, institutionelle und
personelle Unterstützung seitens des Gesundheits- und Familienministeriums;
bisher wurden allerdings sämtliche Förder- und Unterstützungsgesuche abgelehnt. Derzeit warten wir noch auf eine
Stellungnahme.
und flüchten sich in die WochenbettbeMehr Informationen
treuung. Wenige Rückmeldungen gibt
es von Kliniken, einige davon jedoch
www.gerechte-geburt.de
positiv und engagiert. Allerdings gibt es
www.facebook.com/RosesRevolutiauch Kliniken, welche betroffenen FrauonDeutschland
en ein Hausverbot auferlegen, weil sie
eine Rose und einen Brief niedergelegt
www.rosesrevolution.com
haben.
www.humanrightsinchildbirth.com
Ehrlich gesagt bin ich verärgert über
www.netzwerk-geburtskultur.de
die fehlende Kooperation des deutschen
Gesundheitsministers. Seit Jahren suimbco.weebly.com
che ich Kontakt zum Ministerium. Wieder und wieder wird von »Einzelfällen«
gesprochen. Meist werden wir mit Stan- Wahlprogrammen und auch konkret in
dard-Briefen in Bezug auf die Lösung der der politischen Umsetzung sehen …
Hebammen-Haftpflichtproblematik abWas können und möchten Sie Fraugespeist. Es geht aber um die traumatisierten Frauen und Familien! Hier kann en, die sich mit ihrem Geburtserlebnis
Roses Revolution endlich die nötige Platt- gewaltvoll belastet fühlen, mit auf den
Weg geben? Was wünschen Sie sich perform schaffen.
sönlich?
Allen betroffenen Frauen möchte ich
Die Zeitgeschichte hat gezeigt, welche Kraft in einer friedlichen Revolu- sagen: »Es tut mir leid, dass wir – also
tion steckt. Auch die Roses Revolution Aktivisten, Gesellschaft und Fachperist als friedenstiftende Aktion ange- sonal – Sie noch nicht besser schützen
legt: nicht verurteilen, sondern aufzei- konnten. Das hätte nicht passieren dürgen, hellhörig machen, verbinden. Kön- fen. Aber verzeihen Sie sich auch selbst;
nen Sie in der aktuellen Geburtshilfe Sie, Ihr Baby oder Partner tragen keine
in Deutschland einen sanften Wind of Schuld an den Geschehnissen. Sie haben Ihr Bestes gegeben; da bin ich mir
Change spüren?
Oh ja, gewiss! Es gibt ein paar vor- sicher. Es ist in Ordnung, die gewaltbildliche Kliniken, die durch verbes- vollen Umstände der Geburt zu bereuserte Betreuung die Zufriedenheit der en, wütend zu sein, das fehlende schöne
Mütter steigern und zum Beispiel ihre Geburtserlebnis zu betrauern. Tauschen
Kaiserschnittraten deutlich senken Sie sich mit anderen Betroffenen aus;
konnten. Immer mehr Kliniken welt- das hilft sehr.«
Ich selbst habe fünf Jahre gebraucht,
weit setzen die von der IMBCI (International MotherBaby Childbirth Ini- um mir selbst zu verzeihen, dass ich
tiative) entwickelten 10 Schritte zum mein Baby und mich in diese Situatioptimalen MutterBaby Geburtsservice on gebracht habe und mich nicht gegen
um. Dies muss allerdings noch deut- die Übergriffigkeit und Gewalt wehren
lich mehr werden. Der erste – eigent- konnte. Jetzt trage ich voller Zuversicht
lich selbstverständliche – Schritt hier- wieder ein Kind unter meinem Herzen.
zu lautet: »Jede Frau muss mit Respekt Ich wünsche mir natürlich eine gute, gebehandelt und in ihrer Würde geschützt rechte Geburt für uns. Ich wünsche mir
Wie ist die Resonanz auf die Roses werden.« Das Netzwerk der Elterniniti- außerdem, dass die Zahl der schlimmen
Revolution? Gibt es Beteiligung »nur« ativen für Geburtskultur bildet hierfür Geburtsgeschichten bei der Roses Revoseitens betroffener Frauen oder findet einen zukunftsweisenden Zusammen- lution jedes Jahr sinkt, dagegen jene der
die Aktion auch in Krankenhäusern, schluss. In einer Arbeitsgruppe haben heilsamen Berichte steigt. Für eine geunter Ärzten und Hebammen sowie in wir »Wahl-Prüfsteine« für die Bundes- rechte und würdevolle Geburtshilfe in
tagswahl 2017 erstellt, welche speziel- Deutschland und der ganzen Welt …
der politischen Diskussion Gehör?
Zunehmend positiv wird die Aktion le Fragestellungen zum Thema »Gewalt
Danke, Frau Grieschat. Für das Gevon Hebammenverbänden aufgenom- in der Geburtshilfe« beinhalten. Alle
men. Viele Hebammen kennen die Pro- großen Parteien sind aufgefordert, sie spräch. Und für Ihr unermüdliches,
blematik der Traumatisierung aus ihrer zu beantworten. Ich persönlich möch- »gewaltiges« Engagement!
Ausbildungszeit, sind co-traumatisiert te den Wind of Change in den einzelnen
Das Interview führte Mag. Susanne Sommer.
www.unerzogen-magazin.de
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Chefredakteurin: Sabine Reichelt (sr) (V.i.S.d.P.)
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Layout: Sören Kirchner
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