Kapitel II. Schwache Lösungen elliptischer Probleme. Einleitung. Wir ordnen dem elliptischen RWP Lu = f, u ↾∂Ω = 0, in Ω ⊂⊂ RN die Gleichung B[u, ϕ] = hf , ϕi , ∀ϕ ∈ H̊ 1 (Ω), (∗) zu; dabei ist f ∈ L2 (Ω) gegeben und u ∈ H̊ 1 (Ω) gesucht. B[., .] ist eine Bilinearform des Typs N Z X (∂j u)aij (x)∂i vdx + Terme niederer Ordnung. B[u, v] = i,j=1 Ω Zunächst verschaffen wir uns (etwa mit Hilfe des Darstellungssatzes von Riesz oder des Lemmas von Lax-Milgram) eine Lsg. von (∗). (Existenz einer schwachen Lösung des RWPS). Anschließend untersuchen wir die Regularitätseigenschaften dieser schwachen Lsg. Bem.: In diesem Kapitel betrachten wir i.a. nur reellwertige Funktionen. 53 ¶6. Existenz schwacher Lösungen. In Ω ⊂⊂ RN suchen wir eine Lsg. des elliptischen RWPs Lu = f in Ω, u ↾∂Ω = 0; (6.1) hier ist f : Ω → R gegeben, u : Ω → R gesucht, und L bezeichnet einen Differentialoperator 2. Ordnung: N N X X bi (x)uxi + c(x)u, (6.2) (aij (x)uxi )xj + Lu := − i=1 i,j=1 oder ′ L u := − N X aij (x)uxi xj + i,j=1 N X b′i (x)uxi + c(x)u. (6.3) i=1 Die Koeffizienten aij , bi und c sind auf Ω definierte, reellwertige Funktionen. Wir nehmen aij (x) = aji (x), i, j = 1, . . . , N, x ∈ Ω, an. (Dies ist keine große Einschränkung, denn i.a. darf man uxi xj = uxj xi annehmen; dann können wir aber aij jeweils durch 21 (aij + aji ) ersetzen.) Bemerkung. Im Falle von (6.2) sagt man, daß L in Divergenz-Form vorliegt, Lu = −div(A(x) · ∇u) + lower order terms mit den Matrizen A(x) = (aij (x)). Wenn die aij ∈ C 1 sind und u ∈ C 2 ist, so kann man L leicht von der einen in die andere Form umschreiben (dabei ändern sich aber die Terme mit bi ). Die Divergenzform ist günstig für Hilbertraummethoden (FA und Variationsrechnung), während (6.3) für Maximumprinzipien geeigneter ist. Viele Probleme aus der Physik und anderen Naturwissenschaften sind von vornherein mit einer “natürlichen” Divergenzstruktur ausgestattet. 6.1. Definition. Der Differentialoperator L aus (6.2) heißt (gleichmäßig) elliptisch in Ω, wenn es eine Konstante m > 0 gibt mit N X aij (x)ξi ξj ≥ m|ξ|2 , ∀x ∈ Ω, ξ ∈ RN . i,j=1 Motivation zu den Bestandteilen von L: PN • − i,j=1 (aij (x)uxi )xj : Diffusion in anisotropen, heterogenen Medien; PN • i=1 bi (x)uxi : Transport, Drift in Ω; • c(x)u: Erzeugung und Vernichtung (Reaktionen), Einwirkung äußerer Felder. 54 (6.4) Begriff der schwachen Lösung. Sei L wie in (6.2) mit aij , bi , c ∈ L∞ (Ω), 1 ≤ i, j ≤ N, (6.5a) und sei f ∈ L2 (Ω). (6.5b) Als Motivation für die nachfolgenden Definitionen 6.2 und 6.3 führen wir eine einfache (formale!) Rechnung durch, ohne auf die nötigen Voraussetzungen näher einzugehen: Wenn u das Problem (6.1) im klassischen Sinne löst, so folgt für alle ϕ ∈ Cc∞ (Ω) Z (Lu)ϕ = Ω Z f ϕ, Ω und, mit Gauß-Green, Z Ω N X aij (x)uxi ϕxj + i,j=1 N X i=1 bi (x)uxi ϕ + cuϕ dx = Z f ϕdx. (6.6) Ω (Die obige Rechnung ist sicher legal, wenn wir aij ∈ C 1 (Ω) und u ∈ C 2 (Ω) annehmen.) Man sieht leicht (Approximation), daß wir in (6.6) statt ϕ ∈ Cc∞ (Ω) auch beliebige v ∈ H̊ 1 (Ω) einsetzen dürfen, falls u ∈ H 1 (Ω) ist. Wir nehmen nun die (durch formale Rechnung erreichte) Gl. (6.6) als Grundlage für die beiden nachfolgenden Definitionen. 6.2. Definition. Seien aij , bi und c wie in (6.5) und sei L wie in (6.2). Die L zugeordnete Bilinearform B wird dann gegeben durch B[u, v] := N Z X i,j=1 Ω aij (x)uxi vxj dx + N Z X i=1 bi (x)uxi vdx + Ω Z c(x)uvdx, ∀u, v ∈ H 1 (Ω). Ω (6.7) In Def. 6.2 lassen wir noch alle u, v ∈ H 1 (Ω) zu, da wir hier noch keine Randbedingungen spezifiziert haben. 6.3. Definition. Wir nennen u ∈ H̊ 1 (Ω) eine schwache Lösung des ellipt. RWPs. (6.1), wenn B[u, v] = hf , vi , ∀v ∈ H̊ 1 (Ω), (6.8) gilt. Bemerkung. Die Forderung u ↾∂Ω = 0 aus (6.1) ist hier i.a. nur in einem schwachen Sinn erfüllt (u kann in der H 1 (Ω)-Norm beliebig genau durch Funktionen aus Cc∞ (Ω) approximiert werden). Wenn zusätzlich ∂Ω ∈ C 1 ist, so folgt nach dem Spur-Satz (Thm. 4.2), 55 daß u eine Spur u ↾∂Ω ∈ L2 (Ω) auf ∂Ω zugeordnet werden kann. Man zeigt leicht (ÜA), daß für u ∈ H̊ 1 (Ω) diese Spur Null sein muß. Wir betrachten zum “Aufwärmen” das Dirichletsche Randwertproblem (−∆ + 1)u = f in Ω, u = 0 auf ∂Ω. (6.9) für beliebiges Ω ⊂ RN offen. Die Bilinearform B[., .] zum Operator −∆ + 1 wird gemäß Definition 6.2 durch Z Z ∇u(x) · ∇v(x)dx + u(x)v(x)dx, u, v ∈ H̊ 1 (Ω), B[u, v] = Ω gegeben; insbesondere gilt Z Z 2 2 B[u, u] = |∇u(x)| dx + |u(x)|2 dx = ||u||H 1 (Ω) , Ω (6.10) Ω Ω u ∈ Cc∞ (Ω). (6.11) Im Hinblick auf die homogenen Randbedingungen wählen wir hier den Sobolevraum H̊ 1 (Ω). Jedes f ∈ L2 (Ω) erzeugt über das Skalarprodukt in L2 (Ω) ein stetiges lineares Funktional ℓ auf H = L2 (Ω), nämlich ℓ(v) := hf , viL2 (Ω) , v ∈ L2 (Ω). Die Einschränkung von ℓ auf H̊ 1 (Ω) ⊂→ L2 (Ω) ist dann ein stetiges lineares Funktional auf H̊ 1 (Ω), denn nach Cauchy-Schwarz gilt |ℓ(v)| = | hf , vi | ≤ ||f ||L2 ||v||L2 ≤ ||f ||L2 ||v||H 1 (Ω) , ∀v ∈ H̊ 1 (Ω). (6.12) Nach dem Rieszschen Darstellungssatz gibt es daher zu jedem f ∈ L2 (Ω) ein (eindeutig bestimmtes) u ∈ H̊ 1 (Ω) mit hf , vi = hu , viH 1 (Ω) , ∀v ∈ H̊ 1 (Ω), und daher B[u, v] = hu , viH 1 (Ω) = hf , vi , ∀v ∈ H̊ 1 (Ω); (6.13) (6.14) m.a.W.: u ist schwache Lösung des RWP (6.9). Wenn Ω beschränkt ist mit ∂Ω ∈ C 1 , so folgt auch u ↾∂Ω = 0 im L2 -Sinn. Wir wollen nun die “1” in der Gleichung (−∆ + 1)u = f loswerden. Dazu nehmen wir Ω beschränkt an und verwenden die (triviale) Poincarésche Ungleichung für den SobolevRaum H̊ 1 (Ω): 6.4. Lemma. (Poincarésche Ungleichung für H̊ 1 (Ω)). 56 Sei Ω ⊂ RN offen und beschränkt. Dann gibt es eine Konstante C = CΩ mit 2 2 ||u|| ≤ CΩ ||Du|| , ∀u ∈ H̊ 1 (Ω). Andere Formulierung von (6.16): Z Z 2 |u(x)| dx ≤ CΩ |∇u(x)|2 dx, Ω (6.16) ∀u ∈ H̊ 1 (Ω). Ω Bemerkungen: (a) (6.16) gilt i.a. nicht für unbeschränkte Gebiete. Für den Raum H 1 (Ω) kann eine Ungleichung wie (6.16) offensichtlich nicht wahr sein; hier gelten aber die Poincaréschen Ungleichungen aus Paragraph 5, Ende. (b) Die Ungleichung (6.16) folgt zum Beispiel aus der Gagliardo-Nirenberg-Sobolev Ungleichung und der Stetigkeit der Einbettung Lp∗ (Ω) ⊂→ L2 (Ω) für beschränktes Ω. Für einen einfachen Beweis, vgl. ÜA 38. 6.5. Lemma. Für Ω ⊂⊂ RN definieren wir Z ′ hu , vi1 := ∇u · ∇vdx, u, v ∈ H̊ 1 (Ω). (6.17) Ω Dann gilt: ′ (a) h. , .i1 ist ein Skalarprodukt auf H̊ 1 (Ω). ′ (b) Das Skalarprodukt h. , .i1 ist äquivalent zum Standard-Skalarprodukt h. , .iH 1 (Ω) auf H̊ 1 (Ω) und (H̊ 1 (Ω), h. , .i1 ) ist wieder ein Hilbertraum. ′ ′ Bemerkung. Wir nennen zwei Skalarprodukte h. , .i und h. , .i auf einem (prä-) Hilbert′ Raum H äquivalent, wenn die zugehörigen Normen ||.|| und ||.|| äquivalent sind, d.h., wenn es Konstanten c1 , c2 > 0 gibt mit ′ c1 ||u|| ≤ ||u|| ≤ c2 ||u|| , ∀u ∈ H. ′ (6.18) ′ Beweis. Offenbar ist h. , .i1 bilinear, symmetrisch und nicht-negativ. Weiter gilt hu , ui1 ≤ hu , uiH 1 (Ω) für alle u ∈ H̊ 1 (Ω). ′ Nach der Poincaré-Ungleichung aus Lemma 6.4 ist h. , .i1 positiv definit und es gilt sogar ′ hu , ui1 ≥ c hu , uiH 1 (Ω) , u ∈ H̊ 1 (Ω), (6.19) mit einer positiven Konstanten c. Daher sind die beiden Skalarprodukte äquivalent. Damit ′ ist offenbar H̊ 1 (Ω), versehen mit dem Skalarprodukt h. , .i1 , ein Hilbertraum. Mit Hilfe des Rieszschen Darstellungssatzes erhalten wir damit den folgenden Existenzsatz: 6.6. Theorem. Sei Ω ⊂⊂ RN und f ∈ L2 (Ω). Dann gibt es genau eine schwache Lösung u ∈ H̊ 1 (Ω) des Dirichletschen Randwertproblems −∆u = f in Ω, 57 u ↾∂Ω = 0. (6.20) Beweis. Wie zuvor ist h. , f i ein stetiges lineares Funktional auf dem Hilbertraum H̊ 1 (Ω), ′ versehen mit dem Skalarprodukt h. , .i1 . Behauptung folgt mit Riesz. Wir interessieren uns als nächstes für inhomogene Randdaten. 6.7. Definition. Es sei Ω ⊂⊂ RN , f ∈ L2 (Ω), und G ∈ H 1 (Ω). Wir nennen eine Funktion u ∈ H 1 (Ω) eine schwache Lösung des RWPs mit inhomogenen Randdaten −∆u = f in Ω, wenn u = G auf ∂Ω, ∀v ∈ H̊ 1 (Ω), B ′ [u, v] = hf , vi , u − G ∈ H̊ 1 (Ω). (6.21) (6.22) ′ Dabei ist B ′ [., .] = h. , .i1 wie in (6.17). Bemerkungen. (a) Wenn ∂Ω ∈ C 1 ist, so gilt im Sinne von L2 (∂Ω), daß u ↾∂Ω = G ↾∂Ω ist. (Verwende dazu das Extension Theorem und das Trace Theorem.) (b) Klassisch wird das RWP mit inhomogenen Randdaten so formuliert, daß das Randdatum g nur auf dem Rande von Ω vorliegt. Es erhebt sich also beim Übergang von einem klassischen RWP zur schwachen Formulierung die (nicht-triviale!) Frage, wann es zu einer Funktion g : ∂Ω → R eine Funktion G ∈ H 1 (Ω) gibt mit G ↾∂Ω = g. Für ∂Ω ∈ C 1 , g ∈ C 1 (∂Ω) gibt es aber stets eine Fortsetzung G ∈ Cc1 (RN ) (ÜA); statt C 1 reicht auch Lipschitz. Hingegen hat bereits Hadamard ein Beispiel angegeben, wo ∂Ω glatt ist, g : ∂Ω → R stetig ist und wo das Dirichlet-Integral der Lösung des Dirichletschen RWPs divergiert! vgl. auch W Arendt und D Daners, The Dirichlet problem by variational methods. Bull. Lond. Math. Soc. 40 (2008), 51—56. 6.8. Theorem. Unter den Bedingungen von Def. 6.7 gibt es eine eindeutig bestimmte schwache Lösung gemäß Gl. (6.22) des Dirichletschen RWPs. (6.21). Beweis. Es sei B ′ [., .] wie oben. Es ist H̊ 1 (Ω) ∋ v 7→ B ′ [G, v] ein stetiges lineares Funktional auf H̊ 1 (Ω), da |B ′ [G, v]| ≤ B ′ [G, G]1/2 · B ′ [v, v]1/2 ≤ c ||v||H 1 (Ω) . Wie zuvor ist auch v 7→ hf , vi ein stetiges lineares Funktional auf H̊ 1 (Ω). Nach Riesz gibt es daher ein (eindeutig bestimmtes) u0 ∈ H̊ 1 (Ω) mit B ′ [u0 , v] = hf , vi − B ′ [G, v], Wenn wir u := u0 + G 58 ∀v ∈ H̊ 1 (Ω). (6.23) definieren, so ist u ∈ H 1 (Ω), es ist u − G = u0 ∈ H̊ 1 (Ω) und schließlich gilt ∀v ∈ H̊ 1 (Ω). B ′ [u, v] = B ′ [u0 + G, v] = hf , vi , (6.24) Bemerkung. Allgemeiner muß auf der RS nicht unbedingt ein f ∈ L2 (Ω) stehen; das RWP ist lösbar, sofern die RS ein stetiges lineares Funktional auf H̊ 1 (Ω) ist. Wir wenden uns nun Problemen mit L wie in (6.2) zu. Dazu stellen wir zunächst Abschätzungen für die Bilinearform B[., .] auf dem Hilbertraum H̊ 1 (Ω) bereit: es geht um Abschätzungen nach oben (Beschränktheit) und um Abschätzungen nach unten (Positivität oder Halbbeschränktheit). 6.9. Lemma. Seien aij , bi und c wie in (6.4), (6.5), und sei B[., .] wie in (6.7). Dann gibt es Konstanten α, β > 0 und γ ≥ 0 mit (i) und (ii) |B[u, v]| ≤ α ||u||H 1 (Ω) · ||v||H 1 (Ω) , 2 2 β ||u||H 1 (Ω) ≤ B[u, u] + γ ||u||L2 (Ω) , ∀u, v ∈ H̊ 1 (Ω), (6.25) ∀u ∈ H̊ 1 (Ω). (6.26) Beweis. Ad (i): Wir schätzen mit Cauchy-Schwarz ab |B[u, v]| ≤ N X Z ||aij ||∞ i,j=1 + N X |Du| |Dv|dx Ω ||bi ||∞ |Du| |v|dx Ω i=1 + ||c||∞ Z Z |u| |v|dx Ω ≤ α ||u||H 1 (Ω) · ||v||H 1 (Ω) , mit einem geeigneten α > 0. Ad (ii): Wegen der Elliptizitätsbedingung (6.4) gilt mit einem m > 0 m Z Ω 2 |Du| dx ≤ Z N X aij (x)uxi uxj dx Ω i,j=1 = B[u, u] − ≤ B[u, u] + Z Ω N X N X ! bi (x)uxi u + cu(x)2 dx i=1 ||bi ||∞ i=1 59 Z |Du| |u|dx + ||c||∞ Ω Z (6.27) u2 dx. Ω Nach Cauchy-Young gilt für alle ε > 0 Z 1 |Du| |u| dx ≤ ε |Du| dx + 4ε Ω Ω Z 2 Z u2 dx. Ω Wähle ε0 > 0 so klein, daß ε0 · N X ||bi ||∞ ≤ i=1 1 m; 2 dann folgt aus (6.27) 1 m· 2 Z 2 Ω |Du|2 dx ≤ B[u, u] + C ||u||L2 , ∀u ∈ H̊ 1 (Ω), (6.28) mit einer geeigneten Konstanten C = C(ε0 ). Es ist aber 2 ||u||H 1 (Ω) = 2 ||u||L2 (Ω) + Z |Du|2 dx, Ω und wir erhalten aus (6.28) 1 2 2 m · ||u||H 1 (Ω) ≤ B[u, u] + C ′ ||u||L2 (Ω) , 2 ∀u ∈ H̊ 1 (Ω), mit C ′ := C + m/2. Bemerkung. In manchen Situationen kann man die Zahl γ aus Lemma 6.9 negativ wählen (vgl. z.B. ÜA). Mit Hilfe von Lemma 6.9 können wir jetzt die Existenz schwacher Lösungen von RWPen des Typs N X ∂j (aij (x)∂i u) + (c(x) + µ)u = f, u ↾Ω = 0, (6.29) − i,j=1 zeigen (keine Terme bj ∂j ). 6.10. Theorem. Seien aij = aij (x) und c = c(x) wie in (6.4) und (6.5). Dann gibt es eine Zahl γ ∈ R mit der folgenden Eigenschaft: Zu µ ≥ γ und f ∈ L2 (Ω) gibt es genau eine schwache Lösung des RWPs (6.29). Beweis. Mit γ wie in Lemma 6.9 und µ ≥ γ liefert die Bilinearform Bµ [u, v] := N Z X i,j=1 Ω aij (x)uxi vxj dx + Z (c(x) + µ)uvdx, Ω 60 u, v ∈ H̊ 1 (Ω), (6.30) ein Skalarprodukt, das zum Standardskalarprodukt auf H̊ 1 (Ω) äquivalent ist; dies folgt direkt aus den Abschätzungen in Lemma 6.9. Wieder erzeugt f über hf , .i ein stetiges lineares Funktional auf dem Hilbertraum (H̊ 1 (Ω), Bµ [., .]) und die Behauptung folgt mit dem Darstellungssatz von Riesz. Bem.: Ein Abschätzung für die Zahl γ aus Theorem 6.10 wird in ÜA 43 gegeben. Wie können wir mit den Termen bj ∂j fertig werden? Wenn wir die entsprechenden Terme in die Bilinearform B[., .] aufnehmen, wird die Eigenschaft der Symmetrie zerstört, wir erhalten also kein Skalarprodukt mehr! (Es ist Z Z Z bj uxj vdx = − Ω bj uvxj − Ω (∂j bj )uvdx, ∀u, v ∈ H̊ 1 (Ω), Ω 1 falls bj ∈ W∞ . ) Einen Ausweg liefert das Lemma von Lax und Milgram: 6.11. Satz. (Lemma von Lax und Milgram) Es sei H ein (reeller) Hilbertraum und B : H × H → R sei bilinear. Weiter gebe es Konstanten α, β > 0 mit |B[u, v]| ≤ α ||u|| · ||v|| , und 2 B[u, u] ≥ β ||u|| , u, v ∈ H, u ∈ H. (6.31) (6.32) Dann gibt es einen (eind. bestimmten) beschränkten (linearen) Operator A : H → H mit B[u, v] = hAu , vi , u, v ∈ H. Weiter ist A bijektiv und A−1 ist stetig. Beweis. (i) Wegen (6.31) liefert die Abb. H ∋ v 7→ B[u, v] ∈ R für jedes feste u ∈ H ist ein beschr. lineares Funktional. Nach Riesz gibt es daher zu u ein (eindeutig bestimmtes) w ∈ H mit B[u, v] = hw , vi , ∀v ∈ H. Wir definieren nun einen Operator A : H → H durch Au := w; insbesondere gilt dann B[u, v] = hAu , vi , 61 u, v ∈ H. (6.33) (ii) Beh.: A ist linear und beschränkt. Linearität: einfach. A beschr.: Es gilt 2 ||Au|| = hAu , Aui = B[u, Au] ≤ α ||u|| ||Au|| , also ||Au|| ≤ α ||u|| , u ∈ H. (iii) Beh.: A injektiv. Nach Voraussetzung haben wir 2 β ||u|| ≤ B[u, u] =(6.33) hAu , ui ≤ ||Au|| ||u|| , mithin ||Au|| ≥ β ||u|| , u ∈ H, (6.34) mit β > 0 nach Voraussetzung. Also ist A injektiv. (iv) Beh.: Ran(A) abgeschlossen. Sei (vn ) ⊂ Ran(A) mit vn → v ∈ H. Zu vn gibt es jeweils un ∈ H mit Aun = vn . (vn ) CF + (6.34) =⇒ (un ) CF. H vollst. =⇒ ∃u ∈ H : un → u. A stetig =⇒ Aun → Au. Andrerseits wissen wir aber bereits Aun = vn → v, also muß Au = v sein, und es folgt v ∈ Ran(A). (v) Beh.: Ran(A) = H. Annahme: Ran(A) 6= H. Wegen Ran(A) abgeschlossen gibt es dann nach dem Projektionssatz ein 0 6= w ∈ H mit w ⊥ Ran(A). =⇒ 2 0 < β ||w|| ≤ B[w, w] = hAw , wi = 0, da Aw ∈ Ran(A), also Widerspruch! (vi) Wir wissen also, daß A : H → H eine stetige Bijektion ist. Daher ist A−1 : H → H wohldefiniert, linear und bijektiv. Aus Gl. (6.34) folgt die Abschätzung d.h., A−1 beschränkt. −1 A w ≤ 1 ||w|| , β ∀w ∈ H, Bem.: In Schritt (vi) des obigen Beweises könnte man sich auch auf den Satz von der inversen Abbildung aus der Funktionalanalysis berufen, einem Korollar zum Satz von der offenen Abbildung. 62 6.12. Korollar. Sei B wie in Satz 6.11. Dann gibt es zu jedem stetigen lin. Funktional ℓ : H → R (genau) ein u ∈ H mit B[u, v] = ℓ(v), v ∈ H. (6.35) Beweis. Nach Riesz gibt es zu ℓ (genau) ein f ∈ H mit ℓ(v) = hf , vi , v ∈ H, während es nach Satz 6.11 zu f genau ein u ∈ H gibt mit Au = f , nämlich u := A−1 f . Damit folgt B[u, v] = hAu , vi = hf , vi = ℓ(v), v ∈ H. Die Lösung u von Gl. (6.35) ist eindeutig, denn aus B[u, v] = hf , vi = B[ũ, v], v ∈ H, folgt B[u − ũ, v] = hf − f , vi = 0, v ∈ H. Wenn wir speziell v := u − ũ einsetzen, ergibt sich 2 β ||u − ũ|| ≤ B[u − ũ, u − ũ] = 0. Damit können wir den folgenden allgemeinen Existenzsatz formulieren: 6.13. Theorem. Seien aij , bi und c wie in (6.4), (6.5) und sei L wie in (6.2). Dann gibt es eine Zahl γ ∈ R mit der folgenden Eigenschaft: Für jedes µ ≥ γ und jedes f ∈ L2 (Ω) besitzt das elliptische RWP Lu + µu = f in Ω, u ↾∂Ω = 0 (6.36) eine (eindeutig bestimmte) schwache Lösung u ∈ H̊ 1 (Ω). Bemerkung: Inhomogene Randdaten. Beweis. Sei B[., .] die zu L gehörige Bilinearform gemäß Definition 6.2, und sei γ ∈ R wie in Lemma 6.9. Für µ ≥ γ genügt die Bilinearform Bµ [u, v] := B[u, v] + µ hu , viL2 (Ω) , u, v ∈ H̊ 1 (Ω), den Voraussetzungen des Lemmas von Lax und Milgram (Satz 6.11). Für jedes f ∈ L2 (Ω) ist wieder H̊ 1 (Ω) ∋ v 7→ hf , viL2 (Ω) 63 ein stetiges lineares Funktional auf H̊ 1 (Ω). Korollar 6.12 liefert ein (eind. bestimmtes) u ∈ H̊ 1 (Ω) mit Bµ [u, v] = hf , viL2 (Ω) , v ∈ H̊ 1 (Ω); m.a.W., u ist schwache Lösung von (6.36). Bemerkung. Wenn wir den komplexen Hilbertraum L2 (Ω; C) zu Grunde legen, so können bestimmte algebraische Kombinationen aus bj -Termen doch zu einer symmetrischen Sesquilinearform führen. Ein wichtiges Beispiel liefern die Schrödinger-Operatoren mit Magnetter~ = (A1 (x), . . . , AN (x)) ein reelles magnetisches men aus der Quantenmechanik. Wenn A Vektorpotential bezeichnet, dann wird die Energie gegeben durch die Form Z Z 2 ~ V (x)|u|2 dx, B[u, u] := | − i∇u − Au| dx + RN RN für u ∈ H̊ 1 (RN ; C); dabei ist V : RN → R ein elektrostatisches Potential. Der Integrand mit den Magnettermen lautet ausgeschrieben ~ 2= | − i∇u − Au| N X | − i∂j u(x) − Aj (x)u(x)|2 . j=1 ~ erzeugt das Magnetfeld dA ~ (äußere Ableitung); für N = 3 und Das Vektorpotential A ~ In der QM beschreibt man auf N = 2 ist das Magnetfeld gleich der Rotation von A. diese Weise äußere Magnetfelder, aber auch das Magnetfeld, das von elektromagnetischer Strahlung erzeugt wird. Auf diese Weise kann man die Kopplung zwischen Elektronen und Photonen modellieren. 64