Marktbericht 07.07.2007 / warum so vorsichtig Gewalttätigkeit ist keine Stärke, sondern Schwäche, sie kann auch niemals Schöpferin irgendeiner Sache, sondern nur zerstörerisch sein. (Benedetto Croce) Kaum beängstigende Volatilität, die Schwankungen an den Märkten sind deutlich geringer als früher. Risikoprämien fallen immer weiter. Die Welt wird stabiler. Solches und Ähnliches wurde uns in den vergangenen Wochen und Monate eingetrichtert. Ist das sinnvoll? Der berühmte amerikanische Ökonom Irving Fisher behauptete im Sommer 1929, dass die Aktienmärkte ein neues, stabiles Plateau erreicht hätten. Anfang der 1970er-Jahre frohlockte US-Präsident Richard Nixon, der Konjunkturzyklus sei endgültig besiegt und wir seien nun alle Keynesianer. Und nach dem Mauerfall in Berlin rief der US-Denker Francis Fukuyama sogar das Ende der Geschichte aus. Solche Aussagen, so Andreas Höfert kürzlich im "UBS investor's guide", fielen, vorsichtig ausgedrückt, meistens zusammen mit dem Beginn verhältnismässig turbulenter Zeiten. Keine Frage, die führenden Wirtschaftsnationen geniessen den globalen Boom - und ignorieren gefährliche Ungleichgewichte. Um meine vorsichte, einige beklagen meine übervorsichtige Haltung an den internationalen Finanzmärkten zu erklären, versuche ich hier, einen Überblick der bedeutendsten Risiken zu anzubieten: Wie 1987 befindet sich die Weltwirtschaft auch 2007 in einer gefährlichen Schieflage! Damals konnte eine globale Rezession gerade noch abgewendet werden - dank massiver Zinssenkungen und Kapitalspritzen der wichtigsten Banken. Heute, so warnen Finanzmarktexperten, würde die Welt einen "Black Monday" nicht mehr so leicht wegstecken. Eine "toxische und explosive Mischung", die zu einem "finanziellen Zusammenbruch" führen könne, sieht Nouriel Roubini, Ökonom an der New York University. Wir alle sollten uns daran erinnern, dass es der schottische Moralphilosoph David Hume war, der uns bereits Ende des 18. Jahrhunderts mahnte: Entweder eine Nation zerstört die öffentliche Verschuldung, oder die öffentliche Verschuldung zerstört die Nation! KAPITAL: Amerika lebt auf Pump: Dies ist die Mutter aller Ungleichgewichte: Amerikas Hunger nach Kapital. Die USA kaufen so viele Waren im Ausland, dass sie täglich fast 2 Milliarden Dollar Kredit vom Rest der Welt benötigen - 23'000 Dollar pro Sekunde. Das US-Leistungsbilanzdefizit ist so hoch wie nie: rund 6.5 % des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die mächtigsten US-Gläubiger sind die asiatischen Länder, allen voran China und Japan, und die ölexportierenden Staaten. Damit gewinnen sie wirtschaftlichen Einfluss. Risiko: Verlieren die Gläubiger das Vertrauen und ziehen Kapital ab, schmiert der Dollar ab. Dann kaufen die USA weniger im Ausland ein. Besonders betroffen: Europa und Asien! China hortet Geld: Sie sind das Gegengewicht zu Amerikas riesigem Kapitalbedarf: Chinas Devisenreserven. Die Volksrepublik hortet den grössten Schatz der Welt - mehr als 1'200 Milliarden Dollar. Diese Geld bleibt der heimischen Wirtschaft entzogen. Stattdessen finanziert China den amerikanischen Konsum. Risiko: Bei einem Dollar-Crash sind die Devisenreserven plötzlich weit weniger wert. Gleichzeitig brechen die Exporte in die USA ein - das Ende des chinesischen Wirtschaftswunder. Weil China dann auch weniger Rohstoffe braucht, gehen rohstoffreichen Ländern und Ölstaaten wichtige Einnahmen verloren. Die Chinesen gieren nach Aktiengewinnen: Ganz gleich, ob Rentner, Hausfrau oder Parteifunktionär: Die Chinesen sind heiss auf Aktien - eine Folge des chinesischen Wirtschaftswunders und des riesigen Überschusses an Kapital. Geschätzte 100 Millionen Chinesen spekulieren an der Börse, täglich werden fast 500'000 neue Aktiendepots eröffnet. Die Regierung müht sich, das Spekulationsfieber zu dämpfen Risiko: Ein dramatischer Kurseinsturz in China könnte zu einer Kettenreaktion an den weltweiten Börsen führen. Japan verleiht Geld fast ohne Zinsen: Aus japanischer Sicht ist die Sache vernünftig: Fast ohne Kosten kann man bei der Notenbank die Währung Yen erhalten. Dank dieser lockeren Geldpolitik kommt Japans Wirtschaft gerade wieder auf die Beine. Doch der Rest der Welt gerät dadurch aus dem Lot. Spekulanten borgen sich Geld in Japan und investieren es anderswo auf der Welt, wo Zinssätze und Renditen verlockender sind. Das sind die sogenannten "Carry-Trades". Risiko: Billiges Geld macht Investoren leichtsinnig. Sie riskieren viel, es bilden sich spekulative Blasen. Platzen sie, kann das dramatische Folgen für die Weltkonjunktur haben. Keiner kontrolliert die Spekulanten: Wer seinen Fonds oder seine Bank auf einer karibischen Insel ansiedelt, zahlt nicht nur weniger Steuern - er entzieht sich auch der Finanzaufsicht. Vor allem HedgeFonds nutzen dies. Mehr als 9'000 von ihnen gibt es, sie verwalten gigantische 1'400 Milliarden Dollar - 28mal mehr als noch vor zehn Jahren. Niemand kennt ihre Investitionsrisiken genau. Keiner kontrolliert, welche Geschäftsbanken oder Versicherungen ihnen Geld geliehen haben. Risiko: Wenn ein grosser Hedge-Fonds zusammenbricht, weil am Strand die Finanzaufsicht fehlt, kann die Weltkonjunktur baden gehen. Arme Länder finanzieren reiche Länder: Ein echtes Paradox: Damit die Welt gerechter wird, müssten Investoren aus den reichen Ländern ihr Geld eigentlich in armen Ländern anlegen. So würden sie dort das Wachstum befeuern. In Wirklichkeit ist es genau anders herum: Brasilien, Russland oder China verleihen wachsende Kapitalsummen an die USA und andere reiche Länder. Ihre eigenen Finanzmärkte sind nämlich noch zu instabil, um all dieses Kapital aufnehmen zu können. Risiko: Zu wenige Investitionen in Schwellenländer bedeuten zu wenig Wachstum dort. Doch auf dieses Wachstum ist die Weltwirtschaft angewiesen. Afrika versinkt in neuen Schulden: Kaum hat der Westen den afrikanischen Ländern einen Teil ihrer Schulden erlassen, droht eine neue Schuldenspirale. Mit massiven Investitionen und günstigen Krediten drängt China auf den Kontinent, um sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Das läuft westlicher Entwicklungspolitik zuwider, die ihre Hilfen mit Auflagen zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und solider Wirtschaftspolitik verbinden will. Risiko: Der Westen kommt schwerer an wichtige Rohstoffe. Afrikas Wachstum entpuppt sich als Scheinblüte, weil es auf wackligen Grundlagen fusst. MENSCHEN: Europas Rentner haben zu viel Geld: In den Industrieländern steigt die Zahl der Rentner, und die der Erwerbstätigen sinkt. Theoretisch ist das kein Problem: Europäer der Japaner können fürs Alter sparen, indem sie brasilianische oder thailändische Aktien kaufen. Weil dort die Gesellschaft wächst, kann auch die Wirtschaft weiter wachsen. In der Praxis aber versagen die Finanzmärkte: Geld in Schwellenländern anzulegen ist noch zu unsicher. Viel Kapital jagt da wenige gute Anlagemöglichkeiten. Risiko: Altersarmut in den Industrieländern - und zu wenig Wachstum in den Schwellenländern, weil Investitionen fehlen. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die NZZ am Freitag, den 8. Juni dieses Jahres, unter der Rubrik "Wirtschaft" eine Studie der OECD, die eine wachsende Altersarmut nicht mehr ausschliesst. Die Quintessenz der Studie lautet, dass in Zukunft länger gearbeitet werden muss für weniger Rente, und dass für ein ausreichendes Alterseinkommen mehr gespart werden muss. Für Ihren Artikel benutzte die NZZ offenbar die folgende Quelle: OECD: Pensions at a Glance 2007. Ein Kontinent verdorrt: Zuletzt mag das Wirtschaftswachstum in Afrika zugelegt haben. Doch die Menschen südlich der Sahara bleiben von Hungersnöten, Seuchen und Kriegen geplagt. Die Erwärmung der Erde, anderswo auf dem Planeten von den reichen Industrieländern ausgelöst, führt in Afrika zu Dürren. Die Menschen fliehen vom Land in die überfüllten Städte und weiter in den reichen Norden. In den kommenden fünf Jahren könnte es schätzungsweise 50 Millionen zusätzlicher Umweltflüchtlinge geben. Risiko: Die Antwort des Westens auf den zunehmenden Migrationsdruck: Abschottung. Die Reaktion des verzweifelten Südens: Terror und Gewalt. Westliche Jobs wandern nach Osten: Es ist eine Symbolfigur der Globalisierung: Der indische Callcenter-Angestellte, der aus der Ferne für die UBS oder die Deutsche Bank oder Microsoft arbeitet. Seine Kollegen sitzen in Russland oder Vietnam, das Internet macht's möglich. Theoretisch ist Jobverlagerung gut für alle: Inder und Russen werden wohlhabender und kaufen westliche Produkte, hiesige Kräfte schulen auf hochwertigere Jobs um. In der Praxis geht das für de alten Industriestaaten zu schnell - ihre Arbeitslosen finden nur langsam in neue Jobs. Risiko: Wenn der Westen als Reaktion die Jobverlagerung stoppt, nimmt er den aufstrebenden Staaten die Wachstumschancen. RESSOURCEN: Petrodollars überschwemmen die Welt: Der Öldurst der Welt und die steigenden Ölpreise: Diese Mischung beschert den Erdöl exportierenden Staaten Rekordgewinne. Zwischen 2002 und 2006 nahmen allein die Golfstaaten 1'550 Milliarden Dollar ein. Zwar investieren sie dieses Geld auch in der eigenen Region: Zuletzt entstanden zum Beispiel künstliche Inseln voller Luxushotels. Trotzdem bleiben zu viele Petrodollars übrig. Ein Drittel muss anderswo angelegt werden. Risiko: Der Kapitalüberschuss der ölreichen Länder heizt weltweit die Spekulation an - zum Beispiel in Russland. In Russland explodieren die Immobilienpreise: Der hohe Ölpreis beschert dem rohstoffreichen Russland Petrodollars, einen flotten Aufschwung - und einen sagenhaften Bauboom. Binnen sechs Jahren haben sich in Moskau die Immobilienpreise vervierfacht. Büroräume in guter Lage sind so teuer wie in London oder Paris. Zusätzlich drängen ausländische Investoren auf den Markt, die am Boom teilhaben wollen. Risiko: Brechen die Rohstoffpreise ein, etwa bei einer Krise in China, platzt Russlands Immobilienblase. Das Land stürzt in die Krise wie Japan in den Achtzigern. Internationale Investoren verlieren viel Geld. China verschmutzt die Welt: Die Kehrseite des chinesischen Rohstoffhungers ist der Raubbau an der Natur. Gemessen an ihrer Produktionsmenge, verbrauchen Chinas Fabriken dreimal mehr Rohstoffe und Energie als weltweit üblich. Nur die USA produzieren mehr klimaschädliches CO2. Die chinesische Umweltverschmutzung ist dramatisch: Der Grundwasserpegel sinkt, Flüsse versiegen. Weil die alten Industrieländer den Planeten bereits über Gebühr belastet haben, müsste China theoretisch - auf Wachstum verzichten. Risiko: Wenn es nicht rasch gelingt, China in den weltweiten Klimaschutz einzubinden, ist die Erderwärmung nicht zu stoppen. (Quelle: Die Zeit) Am vergangenen G-8 Gipfel in Heiligendamm fielen wieder einmal nur warme Worte über die Lage der Weltwirtschaft. In Europa scheint man auffallend bemüht, jede Gefahr herunterzuspielen. Gerade die USA hätten es doch immer wieder geschafft, mit Krisen in kurzer Zeit fertig zu werden, beschwichtigte der fürs Internationale zuständige Finanzstaatssekretär Thomas Mirow, wenige Tage vor Konferenzbeginn. Wenn er sich da mal nicht täuscht. In der Weltpolitik weht wieder ein rauerer Wind.