Friedich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Pädagogisches Institut Seminar: Einführung in die Kulturpädagogik Semester: WS 2012/2013 Dozentin: Frau Sylke Hartmann Synchronisation - ein pädagogischer Fehlgriff, oder: Warum sprechen die Schweden so gut Englisch — Ein Essay — Verfasser Vor und Zuname: Paul Raab Matrikelnummer: 21494719 Studiengang: Bachelor Fächer/Semester: Nordische Philologie/6, Pädagogik/1 Postadresse: Mühläcker Straße 3 Emailadresse: [email protected] Abgabetermin: 02.04.2013 Auf meine Frage an einen guten Bekannten, warum er denn nicht mal Schwedisch lerne, fährt er doch jedes Jahr dorthin in Urlaub, erwiderte er: “Warum, dort sprechen ja sogar die Straßenkehrer englisch.” Er bezog sich auf eine tatsächliche Begegnung mit einem Straßenarbeiter, der ihm den gesuchten Weg in englisch erklärte. Diese Beobachtung, dass die Skandinavier im Allgemeinen flüssig englisch sprechen können, haben viele Urlauber aus hiesigem Lande gemacht. Und häufig hört man auch die Erklärung: In Skandinavien werden die Filme nicht synchronisiert, sondern untertitelt. Da liegt was dran. Aber nicht nur die Synchronisation von Filmen, sondern die ganze Art wie man in Deutschland mit fremdländischen Sprachen in Rundfunk und Fernsehen sowie in den Kinos und anderen öffentlichen Räumen umgeht, soll hier erörtert werden. Zudem werden noch andere pädagogische Vorteile der Ausstrahlung von Originalbeiträgen zur Sprache kommen. In Deutschland werden bekanntlich alle ausländischen Filme (es gibt nur sehr wenige Ausnahmen) mit einer deutschen Tonspur versehen und in dieser übersetzten Form in den Kinos gezeigt. Was dadurch dem Film und den Originalschauspielern künstlerisch angetan wird, ist jetzt nicht Thema dieser Zeilen, aber es sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben. Die Sprache berühmter ausländischer Schauspieler werden mit immer derselben Synchronstimme versehen, so dass Kinobesucher einen Schauspieler mit der falschen Stimme verknüpft. Nun aber eher zu der pädagogischen Sicht. Schon das Bewusstsein, dass es neben der deutsche Sprache auch andere Sprachen auf der Welt gibt, wird mit der Synchronisation unterdrückt. In einer globalisierten und internationalisierten Welt ist es von großem Vorteil, so früh wie möglich mit anderen Sprachen in Kontakt zu kommen. Originalfilme helfen dabei. Da die meisten Filme, die bei uns gezeigt werden nun mal aus England und Amerika kommen, wäre eine Vorführung dieser Filme mit Originalton sicher hilfreich für das Erlernen von Englisch. Man hat diese wohl als selbstverständlich zu betrachtende Aussage sogar versucht wissenschaftlich zu belegen. In einer Studie in Nijmegen wurden Probanden Filmausschnitte aus australischen und schottischen Sitcoms in 25 minütiger Länge gezeigt und zwar einem Teil mit englischen Untertiteln, einem Teil mit muttersprachlichen Untertiteln und einem Teil ohne Untertiteln. Bewusst wurden also für normale Englischlerner schwer zu verstehende Dialekte gewählt. Die Probanden hatten alle Grundkenntnisse der englischen Sprache. Das Resultat war nicht sehr überraschend. Diejenigen, die englische Untertitel mitlesen konnten lernten die Aussprache am schnellsten. Als Kontraproduk- 1 tiv in diesem Zusammenhang erwiesen sich die muttersprachlichen Untertitel. Das heißt natürlich nicht, dass das Ansehen von Originalfilmen mit muttersprachlichen Untertiteln schädlich für das Erlernen der Sprache wäre. Vielmehr ist es hinderlich, wenn es darum geht das Hörverstehen für ungewöhnliche Dialekte zu erlernen. Dass es für das Erlernen einer Sprache am besten ist Filme mit originalsprachlichen Untertitel zu sehen liegt auf der Hand. Nichts zum Erlernen der englischen Sprache trägt aber ein synchronisierter Film bei. Aber nicht nur Filme werden in Deutschland synchronisiert. Auch alle Fernsehsendungen aus dem Ausland. Diese sind dann in der Regel im Origial englischsprachlich. Gerade solche Serien erfreuen sich unter Jugendlichen, vor allem auch in bildungsfernen Schichten großer Beliebtheit. Hier wird durch die Synchronisation eine großflächig angelegte Gelegenheit der Volksbildung verpasst. Kinder und Heranwachsende würden in einer ganz anderen Art und Weise mit dem Englischen konfrontiert werden, sie würden die englische Sprache als etwas Lebendiges, Alltägliches erfahren und nicht nur als langweiliges Schulfach, dessen Erlernen als Qual empfunden wird. Sprachen in der Schule lernen ist immer mit vielen Mühen verbunden. Wenn es als “Belohnung” das Verstehen der geliebten Serie gäbe, wären diese Mühen sicherlich geringer. Aber anscheinend hat sich in den Unterhaltungsmedien genau das Gegenteil ereignet. Getragen vom vermeintlichen Erfolg der Synchronisation, werden mittlerweile auch alle gesprochenen Beiträge ausländisch sprechender Interviewpartner synchronisiert. Nach einem kurzen, etwa 1 Sekunde dauernden Vorspann, werden die englischen (dies betrifft natürlich auch alle anderen Fremdsprachen) Beiträge gnadenlos von einem Sprecher auf deutsch übertönt. Und in jüngster Zeit schafft man es sogar, dass Simultandolmetscher bei Liveauftritten die Beiträge eingeladener ausländischer Gäste übertönen. Die meisten höflichen Ausländer machen gute Miene zum bösen Spiel. Meiner persönlichen Meinung nach ist das ein höchst fragwürdiges Vorgehen, Gästen gegenüber. Heranwachsende bekommen auch den Eindruck, es sei gar nicht unhöflich Menschen nicht ausreden zu lassen. Die Synchrondolmetscher machen es ja vor. Es wäre ja auch möglich die fremdländischen Gäste erst ausreden zu lassen und danach eine kurze Zusammenfassung dessen, was der Gast gesagt hat anzubieten. So wird dies beispielsweise in Skandinavien gemacht. Bei dieser Vorgehensweise hat der Hörer die Möglichkeit mit zu hören, was der Gast sagt und er kann den Versuch unternehmen das Gesagte zu verstehen. Ein ganz un- 2 bewusster kognitiver Lernvorgang kommt in Gang, bei dem es sogar hinterher durch das Feedback des Übersetzers zu einem Erfolgserlebnis kommen kann. Das Ausbleiben des Originals in Deutschland heutzutage, führt dazu, dass sämtliche Fremdsprachen völlig ausgeblendet werden. Kinder und Jugendliche bekommen das Gefühl des Nichtexistierens von Fremdsprachen. Die Notwendigkeit fremde Sprachen zu erlernen wird dadurch nicht gefördert. Im Gegenteil. Da Sprache auch immer ein Zugang zur Kultur der Sprecher bedeutet, hat dieses Zurückdrängen der Fremdsprachen aus den Medien auch eine negative Auswirkung auf das Verständnis anderer Kulturen. Daher ist das oft gehörte Argument irrig, bei englischen Filmen könne es ja angehen, dass man sie in Original anhört. Ist die Originalsprache aber etwa japanisch oder chinesisch, dann seien Untertitel sinnlos. Auch wenn man die gesprochene Originalsprache überhaupt nicht versteht, gehört es zur Kultur jenes Landes. Die Zuschauer und Zuhörer lernen auch den besonderen Klang einer Sprache. Das kann sie neugierig machen und Interesse für diese Sprache und der Kultur, die dahinter steckt wecken. Dadurch kann es zur Beschäftigung mit anderen Sprachen und Kulturen kommen, ein Vorgang, der sicherlich zum Abbau von Vorurteilen führt. Zuweilen wird als Gegenargument zu den Untertiteln aufgeführt, man könne diese gar nicht so schnell lesen, dass man den Inhalt des Films versteht. Dies wird sicherlich der Fall sein, wenn Leute, die jahrelang Filme synchronisiert angesehen haben, plötzlich Filme mit Untertiteln sehen wollen. Aber das Verstehen des untertitelten Textes gehört mit zu einem Lernprozess. Kinder und Jugendliche müssen in Skandinavien auch erst lernen die Untertitel sehr schnell zu lesen, damit sie nichts verpassen. Zusätzlich aber wird die Lesekompetenz gefördert. Ganz ohne schulisches Zutun lernen die Kinder nicht nur schnell lesen, sonder auch das kognitiv zu erfassen, was sie gelesen haben. Nach kurzer Zeit, das lehren die Erfahrungen der Skandinavier1 können die meisten Jugendlichen die Untertitel problemlos mitlesen. Ja, es gibt nicht wenige Beobachter, die in dieser spielerisch erworbenen Lesekompetenz eine Ursache des Erfolgs von PISA etwa bei den Finnen sehen. So sagt beispielsweise die Finnlandexpertin Thelma von Freymann zu den Gründen des Erfolgs der Finnen bei den PISA-Untersuchungen:“Wer lieber fernsieht, schult aufgrund der Untertitelung ausländischer Filme ebenfalls nebenbei sein Lesevermögen. ” 1 Der Verfasser dieser Zeilen stammt selbst aus Skandinavien und verbrachte seine ersten 17 Jahre dort 3 Eine kleine Abhilfe schafft hier die Möglichkeit DVDs zu erwerben oder auszuleihen. Sie enthalten meistens neben der deutschen Synchronisation auch die Originalfassung mit deutschen und manchmal sogar mit originalsprachlichen Untertiteln. Wer sich allerdings daran gewöhnt hat die Filme in der Synchronfassung anzuschauen, wird schwerlich davon zu überzeugen sein, dass es aus pädagogischer Sicht besser wäre, die Filme in Originalfassung mit Untertiteln zu sehen. Dabei kann man sich das Anschauen von Originalfilmen richtig antrainieren. Wer sich das angewöhnt hat, merkt auch den künstlerischen Unterschied und wird die Synchronisation meistens lächerlich finden. So geht es fast jedem Skandinavier, der nach Deutschland kommt. Auch beispielsweise meine eigenen Kinder, mit denen ich prinzipiell nur Originalfilme angesehen habe, sehen sich heute, da sie erwachsen sind immernoch nur Filme in Originalfassung an. Dass sie beide, obwohl sie noch nie im englischsprachigen Ausland waren, diese Sprache vergleichsweise gut sprechen ist natürlich kein wissenschaftlicher Beweis für die pädagogische Richtigkeit meiner Thesen, Hinweise in diese Richtung geben sie dennoch. Oft wird den Untertiteln nachgesagt, sie wären verkürzt, da man nicht alles so schnell lesen kann wie der Text im Film gesprochen wird. Das will ich auch gar nicht bestreiten, ist aber aus pädagogischer Sicht nicht so relevant wie das Umgekehrte. Durch die Synchronisation vergeht übersetztungsbedingt jeder Sprachwitz und natürlich die sprachliche Prosodie. Da ja das Englische so weit in der Welt verbreitet ist, zerfällt es in viele, sehr verschiedene Dialekte. Wer also Englisch richtig verstehen und anwenden will, sollte diese Unterschiede zumindest erkennen und verstehen. Dabei helfen Filme und Serien in Originalsprache. Wie soll ein Schüler, der außer der Aussprache der Englischlehrerin nie gesprochenes Englisch gehört hat, den Unterschied zwischen inselenglischem und amerkianischem Akzent heraushören? Oder gar schottisches oder australisches Englisch verstehen? Das Synchronisieren von Filmen hat auch dazu geführt, dass im Ausland erworbene CDs viele Untertitel verschiedener Sprachen haben, nur keine Deutschen. Jedenfalls ist das in Schweden so. So kann ich Filme, die ich in Schweden erworben habe nicht mit Freunden und Bekannten ansehen und ihnen zeigen, dass man in Skandinavien durchaus auch anspruchsvolle Filme dreht, nicht nur die reißerischen Krimis, die nach Deutschland kommen und hier, natürlich synchronisiert werden. Um wieder einen pädagogischen Bezug herzustellen. 4 Dass man in Skandinavien die Filme nicht synchronisiert sondern mit Untertiteln versieht, hat natürlich keine pädagogischen Gründe. Vielmehr lohnt sich der riesige Aufwand der Synchronisation finanziell nicht. Es gibt wohl etwa 10 Mal so viele Sprecher deutscher Sprache als beispielsweise schwedischer, die noch die größte Sprache in Skandinavien ist. Aber die Konsequenzen für die Beherrschung des Englischen sind enorm. Sicherlich gibt es auch andere Gründe, warum “die Schweden so gut Englisch können”. Beispielsweise ist die Einsicht, dass die eigene Sprache in Skandinavien so klein ist, dass niemand erwartet außerhalb seiner eigenen Grenzen verstanden zu werden, wenn man nicht eine ausländische Sprache beherrscht, so ein Grund. Dass dieses Können aber zu einem großen Teil an dem Vorhandensein des Englischen in den Medien dort liegt, ist meine feste Überzeugung. Allerdings hat man auch hierzulande die Wichtigkeit des Erlernens von Fremdsprachen, insbesondere der englischen, erkannt. Da es sonst an Kontakt mit den Sprachen fehlt, werden immer mehr Schüler für eine Zeitlang ins Ausland geschickt, wo sie bei Gasteltern wohnen und dort auch zur Schule gehen. Das ist natürlich eine gute Sache, nicht nur um die jeweilige Sprache zu erlernen, aber dies ganz besonders. Leider sind solche pädagogisch sehr wertvolle Unternehmungen mit Kosten verbunden, so dass es für sozial schwächere sehr schwierig, bis unmöglich wird ihren Kindern solche Erfahrungen zu ermöglichen. Erfreulicherweise gibt es in einigen Großstädten (In Bayern meines Wissens in Nürnberg und München) Fremdsprachenkinos und manche Filme werden in kleinen Nebenräumen auch in der Originalfassung gezeigt. Inwiefern diese Angebote genutzt werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Bleibt zu hoffen, dass ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung dazu beiträgt, solche Angebote auszuweiten. Ansonsten kann ich nur an alle verantwortlichen Eltern und tätigen Pädagogen appellieren, den Kindern die Vorteile von Filmen in Originalsprache mit Untertiteln nahe zu bringen, damit auch hier im deutschsprachigen Raum sogar “der Straßenkehrer” Englisch beherrscht. 5