Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2000 7791 Dr. Heinrich L. Kolb (A) Ihre Forderung nach Erstellung eines solchen Berichtes anbelangt, sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Gestiegen sind auch meine Zweifel, dass es Ihnen gelingen könnte, in einem vertretbaren Zeitraum – zumindest nicht bis 2001 – zu einem aussagekräftigen Datenbestand zu kommen. Natürlich ist auch meine Skepsis bestätigt, was die Zielrichtung Ihres Wissensdranges anbelangt. Aber eines nach dem anderen. Die methodischen Fragen – Sie wollten ja konkrete Gründe für unsere Ablehnung – nehmen einen breiten Raum bei der Darstellung der Ergebnisse der Voruntersuchung anlässlich der Tagung „Armut und Reichtum“ ein. Bei der Beantwortung der Frage, was Armut ist, gibt es – so das Ergebnis der Voruntersuchung – zwei mögliche Ansätze, nämlich einen Ressourcenansatz und einen Lebenslagenansatz. Beim Ressourcenansatz geht es um die monetären Aspekte, beim Lebenslagenansatz um die nicht monetären Aspekte von Armut und Reichtum. Bei den monetären Ansätzen wird dann noch zwischen absoluter, relativer und politisch-normativer Armut unterschieden. Die Untersuchung der absoluten Armut in Deutschland wäre wenig ergiebig und ist wohl auch nicht das, was Sie von der Koalition anstreben. Auch Bundesminister Riester hat auf dem Forum am 7. Oktober 1999 gesagt – ich zitiere –: Von einer existenziellen, absoluten Armut, bei der die Mittel zum physischen Überleben fehlen, kann in Deutschland nur selten gesprochen werden. Relative Armut – ich muss das aus Zeitgründen hier (B) knapp halten – als Ansatz zu wählen und zu beschreiben, ist nicht unproblematisch. Darauf weisen Dietrich Engels und Christine Sellin von der ISG GmbH hin, die diese Voruntersuchung gemacht haben. Sie sagen – ich zitiere –: Genau genommen ist es ja so, dass eine solche relative Armutsmessung Ungleichheit misst, aber nicht das, was Armut im strengen Sinne ausmacht. Das heißt, wenn das Wohlstandsniveau insgesamt ansteigt und wenn es gleichmäßig ansteigt, wird auch die Armut faktisch zurückgehen, aber die relative Armut im Vergleich zu den Durchschnitten der Gesellschaft wird sich nicht unbedingt verändern. Das sind Gesichtspunkte, die man kritisch im Auge haben muss. Ich denke, das spricht für sich. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Was heißt das jetzt?) Schließlich, Herr Gilges, der Ansatz der politischnormativ definierten Armut: Als arm in diesem Sinne, so Engels/Sellin, würde man den bezeichnen, der auf Sozialhilfe angewiesen ist. Hier muss ich wiederholen, Herr Kollege Gilges, was ich bereits in der Debatte vom 30. September gesagt habe. Der Bezug von Sozialhilfe ist nicht der Beweis von Armut, sondern er ist der Beweis von verhinderter Armut. Ich sehe die Sozialhilfe nicht als eine Schande unseres Gemeinwesens, sondern als eine Errungenschaft der Sozialpolitik an, auf die wir stolz sein können. SEITE ZURÜCK (Beifall bei der F.D.P. – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Armut kann überhaupt keine Schande sein!) (C) Gleichwohl muss ich zugeben: Es gibt Probleme neben und über der Sozialhilfe, wobei „neben der Sozialhilfe“ den Sachverhalt der verdeckten Armut beschreibt. Dazu habe ich bereits in der Debatte vom 30. September das Wesentliche gesagt. „Über der Sozialhilfe“ beschreibt eine andere interessante Kategorie, der wir vielleicht seitens der Politik bis jetzt zu wenig Beachtung schenken. Das ist die Kategorie prekärer Wohlstand. Das heißt, von Armut gefährdet sind auch die Personengruppen, die knapp oberhalb der Armutsgrenze liegen: Sie werden zwar von der vollen Wucht unseres Steuersystems getroffen, kommen aber gerade nicht mehr in den Genuss der diversen Transfer- und Sozialleistungen. Nur der Vollständigkeit halber will ich noch die subjektive Armut erwähnen. Danach ist arm derjenige, der sich selbst als arm einschätzt. Ich glaube, wir sind uns einig, dass dies eher eine Anspruchsgrenze als eine Armutsgrenze beschreibt. So haben es auch Engels/Sellin in ihrer Untersuchung gesehen. Ich hätte mir schon gewünscht, Herr Kollege Spanier, dass Sie heute einmal gesagt hätten, welchen Armutsbegriff Sie zugrunde legen wollen. Erscheint das alles schon schwierig, so wird die Reichtumsberichterstattung unter dem monetären Gesichtspunkt noch schwieriger. Auch hier stellt sich die Frage: Gibt es eine absolute Reichtumsgrenze? Die befragten Experten plädieren dafür, ein Einkommen, das höher als 200 Prozent des durchschnittlichen Einkom- (D) mens liegt, als Indikator für Reichtum zu nehmen. (Peter Dreßen [SPD]: Reichtum verpflichtet, steht irgendwo!) Ich habe mir, Herr Kollege Dreßen, einmal die Mühe gemacht, aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik, die im Statistischen Jahrbuch 1999 veröffentlicht worden ist, den Median der Einkommensverteilung – das ist die von den Experten bevorzugte Methode – näherungsweise zu bestimmen. Das ist natürlich nur eine Tendenzaussage. Aber ich glaube, dass die Größenordnungen stimmen. Deswegen will ich das Ergebnis hier vortragen. In dieser Statistik sind 53,7 Millionen lohn- oder einkommensteuerpflichtige Einkommen nach Größenklassen aufgeführt. Man stellt fest, dass der Median im Bereich der Größenklasse zwischen 40 000 und 50 000 DM liegt. Armut, Herr Gilges, beginnt dann demzufolge in der Größenklasse 20 000 bis 25 000 DM, was ja durchaus noch einsichtig erscheint. Reichtum allerdings beginnt schon bei Einkommen von 80 000 bis 100 000 DM – wohlgemerkt: jeweils brutto. Da werden sich einige Menschen in der Bundesrepublik mit Recht schon bange fragen, was da möglicherweise auf sie zukommt. (Beifall bei der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt so nicht!) Herr Kollege Gilges, Ihre Haltung ist in dieser Frage wenigstens in sich stimmig. Wenn ich mich nämlich SEITE VOR