Originalarbeiten Ambulante Entgiftung Originalarbeiten Ambulante Entgiftung mit Carbamazepin und Tiapridex – medizinische Sicherheit und Ergebnisse einer Follow-up-Untersuchung Michael Soyka 1, Nikola Clausius 1,2, Gerrit Hohendorf 2, Michael Horak 1 1 2 Psychiatrische Klinik der Universität München, Nußbaumstr. 7, 80336 München Klientenzentrierte Problemberatung, Fachambulanz für Suchterkrankungen, Münchenerstr. 33, 85221 Dachau Korrespondenzautor: Prof. Dr. Michael Soyka; E-Mail: [email protected] Zusammenfassung. Berichtet wird über eine 1-Jahres-Katam- nese bei 87 alkoholabhängigen Patienten, die im Rahmen eines strukturierten Therapieprogrammes ab 01.02.2000 an einer ambulanten Entgiftung teilgenommen haben. Alle Patienten wurden mit einer Medikamentenkombination von Carbamazepin und Tiapridex ambulant entzogen. Nur ein Patient brach die Entgiftungsbehandlung ab. 86 Patienten wurden in eine weiterführende dreimonatige Motivationsphase übernommen, 48 (45%) Patienten der Ausgangsstichprobe beendeten diese erfolgreich. Von den 48 Patienten, die die weiterführende Rehabilitationsbehandlung antreten konnten, schlossen 44 Patienten (50% der Ausgangsstichprobe) diese ab. Die Ergebnisse belegen einerseits die medizinische Sicherheit der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker bei korrekter Berücksichtigung definierter Ein- und Ausschlusskriterien und andererseits die Effizienz des psychotherapeutischen Ansatzes hinsichtlich einer weiteren Motivation zu einer Alkoholentwöhnungstherapie. Abstract Alcohol outpatient detoxification with acombination of carbamazepine and tiapride – medical safety and follow-up study We report results of a 1-year follow-up study of 87 alcohol dependent patients who had been detoxified in an standardized outpatient treatment program using a combination of carbamazepine and tiapride. Only one patient dropped out of treatment. 86 patients entered the consecutive 3-month motivational phase of this outpatient treatment model. 48 (45%) terminated this phase succesfully. 44 out of the 48 patients completed the following outpatient rehabilitation. These findings indicate the relative medical safety of outpatient detoxification under defined conditions and the efficacy of the concommitant "motivational" psychotherapeutic approach. Keywords: Alcohol; alcoholism; outpatient detoxification Schlagwörter: Alkohol; Alkoholabhängigkeit; ambulante Ent- giftung 1 Einleitung Die Behandlung Alkoholkranker kann man nach Feuerlein et al (1998) in die Kontaktphase, Entgiftungs- bzw. Entziehungsphase, Entwöhnungsphase (Rehabilitation) und Nachsorgephase unterteilen. Gerade in der Entgiftungsphase können wichtige Weichenstellungen zur weiteren Therapie Alkoholkranker vorgenommen werden. Für Entgiftungsmaßnahmen, die gleichzeitig psychotherapeutische/ motivationsfördernde Elemente enthalten, hat sich in der deutschsprachigen Literatur der Begriff "qualifizierte Entgiftung" durchgesetzt. Ihre Effizienz kann als gesichert angesehen werden (Übersicht in Mann et al. 1995). Unter "qualifizierter Entgiftung" ist nicht die Vorverlagerung von Elementen aus der Entwöhnung bzw. Rehabilitation Alkoholkranker in die Entgiftungsphase zu verstehen, sondern eine psychotherapeutische "motivierende" Vorbereitung Alkoholkranker auf weiterführende Therapien. Hier können z.B. Elemente der "motivierenden Gesprächsführung" zum Einsatz kommen (Miller und Rollnick 1991, 1999). Aspekte alkoholspezifischer, ärztlicher Gesprächführung können während der Entgiftungsphase so gestärkt werden, dass die betroffenen Patienten möglichst Suchtmed 6 (4) 2004 307 – 311 (2004) © ecomed Medizin, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Landsberg wenig Widerstand entwickeln, sich mit ihrem problematischen Alkoholkonsum auseinandersetzen und nach Möglichkeit ein Höchstmaß an Veränderungsbereitschaft zeigen. Der Ausbau der ambulanten Versorgung Alkoholkranker wird seit langem gefordert (McCrady et al. 1996). Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde hat den Ausbau vor allem der ambulanten Versorgung bei Alkoholabhängigkeit angeregt (DGPPN 1997). Dies betrifft die ambulanten Entwöhnungstherapien, die etwa seit Anfang der 90er Jahre vermehrt angeboten werden (Soyka et al. 2002), aber auch die ambulante Entgiftung Alkoholkranker. In Skandinavien, Großbritannien und in den USA sind eine Reihe von Behandlungsmodellen zur ambulanten Entgiftung Alkoholkranker untersucht worden (Alterman et al. 1998, Björkquist et al. 1976, Fleeman 1997, O'Connor et al. 1991, Webb und Unwin 1988, Stockwell et al. 1986). Wiseman et al. (1998) berichteten eine Retentionsrate von 85%, d.h. dass nur 15% der Patienten die ambulante Entgiftung vor ihrer regulären Beendigung abbrachen. Positive Ergebnisse sind auch in anderen Studien berichtet worden (Collins et al. 1990, Alterman et al. 1998, O'Connor et al. 1991, Webb und Un- 307 Ambulante Entgiftung win 1988, Stockwell et al. 1986, Stinnet 1982, Feldman et al. 1995, Pettinati et al. 1993). Für die ambulante Entgiftung haben einige Studien eine etwas höhere Retentionsrate von stationären im Vergleich mit ambulanten Patienten berichtet (Hayashida et al. 1989, McKay et al. 1995, Alterman et al. 1995), aber die mittelfristigen Behandlungsergebnisse nach etwa 6 bis 12 Monaten waren gleich. Hier existieren aber noch erhebliche Forschungsdefizite. Collins et al. (1990) gingen davon aus, dass es keine Gründe gäbe, warum eine ambulante Entgiftung Alkoholkranker einen anderen Effekt auf die Langzeitprognose Alkoholkranker haben sollte als eine stationäre Behandlung. 2 Ambulante Entgiftung Alkoholkranker – Eigene Erfahrungen mit einem Modellprojekt Nach intensiven Verhandlungen mit den Krankenkassen konnte 1998 in einer im Großraum München (Dachau) gelegenen Therapieeinrichtung, die bislang auf die Durchführung ambulanter Entwöhnungstherapien bei Alkoholkranken spezialisiert war, ein Modellprojekt "qualifizierte ambulante Entgiftung" Alkoholkranker initiiert werden (Soyka et al. 1999, 2000). Ziel des Projektes war zum einen die Überprüfung der praktischen Handhabbarkeit, Sicherheit und Effizienz der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker; zum anderen sollte der Behandlungserfolg durch die weitere Therapie in der Einrichtung katamnestisch überprüft werden. Das Behandlungskonzept ist an anderer Stelle schon ausführlich dargestellt worden (Soyka et al. 1999, 2002). Die Fachambulanz zur Behandlung von Suchterkrankungen (auch Klientenzentrierte Problemberatung, KPB) ist eine fachärztlich geleitete Ambulanz und Rehabilitationseinrichtung, die seit mehr als 10 Jahren auf die Behandlung von Alkoholund Medikamentenabhängigen spezialisiert und von der Kassenärztlichen Vereinigung sowie allen gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungsträgern anerkannt ist. Sie befindet sich im Einzugsgebiet von München. Dort ist ein multiprofessionales Team mit im Moment vier Ärzten (Fachärzte für Neurologie bzw. Psychiatrie und Psychotherapie bzw. in Ausbildung befindlich), fünf vollapprobierte psychologische Psychotherapeuten, zwei Sozialpädagogen und einer Familientherapeutin tätig. Pro Jahr finden durchschnittlich 450 bis 500 Erstgespräche statt. Ca. 200 Patienten beginnen im laufenden Jahr die ambulante Entwöhnungsmaßnahme. In einem zweiphasigen Konzept, einer dreimonatigen Motivations- und einer achtmonatigen Rehabilitationsphase, werden ca. 120 Patienten über den einjährigen Therapiezeitraum medizinisch und psychotherapeutisch behandelt. Der größere Teil der Patienten wird nach stationärer Entgiftung oder selbstständigem ambulantem Entzug in das vorbereitende Motivationssetting der Entwöhnungstherapie aufgenommen. Im Durchschnitt werden, nach ärztlicher Untersuchung und Motivationsklärung, wöchentlich ca. vier bis fünf neue Patienten für die ambulante Langzeitentwöhnung rekrutiert. Ca. 30% der Patienten werden von Hausärzten zu einer Behandlung überwiesen, 20% von Krankenhäusern, ca. 13% von sozialen Diensten und Gesundheitsämtern. Weitere 15% 308 Originalarbeiten der Patienten kommen auf Grund einer Information aus den Medien und über 20% auf Empfehlung von ehemaligen Patienten oder Bekannten. Es werden Patienten aufgenommen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und einen festen Wohnsitz aufweisen. Ein relativ stabiles soziales Umfeld wird gewünscht, ist aber keine Grundvoraussetzung. Wichtig ist die Entwicklung einer intrinsischen Therapiemotivation, das Einhalten des Therapieplanes und die Bereitschaft zur Suchtmittelabstinenz. Der überwiegende Teil der Patienten kommt aus dem Raum München, die anderen Patienten aus der Umgebung von Dachau. Das durchschnittliche Alter der Patienten liegt bei ca. 44 Jahren, der Anteil von männlichen zu weiblichen Patienten liegt bei 2:1. Ca. 30% der Patienten sind zum Eintritt in die Therapie ohne Arbeit, und 40% leben gegenwärtig in keiner Partnerschaft. Mehr als 60% der Patienten haben keine therapeutische Vorerfahrung. Neben der psychiatrisch-neurologischen Diagnostik wird der Patient von seinem Hausarzt bzw. dem Konsiliararzt internistisch begleitet. Weiterführende neurologische Untersuchungen (EEG usw.) werden von niedergelassenen Kollegen übernommen. In der Motivationsphase finden pro Woche drei psychotherapeutische halbstündige Gespräche, eine 20-minütige ärztliche Untersuchungen und zwei psychotherapeutische Gruppengespräche sowie eine zusätzliche Gruppe für Nicht-Berufstätige statt. Dabei lernt der Patient die behandelnden Ärzte und Therapeuten kennen. In der Rehabilitationsphase reduziert sich das therapeutische Setting auf eine einstündige psychotherapeutische Sitzung mit einem festen Bezugstherapeuten und zwei psychotherapeutischen Gruppensitzungen pro Woche. Bis 1998 wurden Patienten, bei denen eine Entziehungsmaßnahme notwendig war, in eine geeignete Klinik eingewiesen. Optional kann seit 1998 jetzt auch eine ambulante Entgiftung erfolgen. Einschlusskriterien für die ambulante Entgiftung sind: • • • Alkoholabhängigkeit nach ICD-10-Kriterien Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit, Bereitschaft zur Abstinenz und Einhaltung des Therapieplans Unterstützende Bezugsperson im häuslichen Umfeld Ausschlusskriterien sind: • • • • • Missbrauch und Abhängigkeit von mehreren psychotropen Substanzen (Polytoxikomanie), relevante neuropsychiatrische Folgeschäden: epileptische Anfälle, Alkoholdelir, Alkoholhalluzinose Schwere psychische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie) Schwere kognitive Defizite Schwere medizinische Erkrankungen: Pneumonie, Tuberkulose, andere Infektionen, Z. n. Kopfverletzung, dekompensierte Leberzirrhose, erosive Gastritis, Pankreatitis, deutlich reduzierter Allgemeinzustand Schwere behandlungsbedürftige Herzkreislaufstörungen In der Regel dauert die ambulante Entgiftung Alkoholkranker 5 bis 7 (max. 10) Tage und beginnt üblicherweise am Suchtmed 6 (4) 2004 Originalarbeiten Wochenanfang. Davor erfolgt eine detaillierte Einschlussuntersuchung. Idealerweise werden dabei auch die die Therapie begleitenden, unterstützenden Familienangehörigen mit einbezogen. Die Entzugssymptomatik wird dabei mit einer deutschen Fassung der von Sullivan et al. (1989) vorgeschlagenen CIWA-Skala sowie der Alkoholentzugsskala (AES) von Wetterling et al (1995) erfasst. Die AES-Skala bewertet psychische und vegetative Entzugssymptome nach einer vierteiligen Skalierung (0-3). Fünf psychische Symptome (Bewusstsein, Orientierung, Ablenkbarkeit, Halluzinationen, Angst) und sechs vegetative Symptome (Pulsfrequenz, diastolischer Blutdruck, Temperatur, Atemfrequenz, Schwitzen, Tremor) werden täglich im Entgiftungsverlauf erhoben. Eine medikamentöse bzw. psychopharmakologische Behandlung ist dabei nicht in jedem Einzelfall notwendig (siehe unten). Eine symptomorientierte Therapie wird angestrebt. Bei einem Summenwert in der AES-Skala von 6 bis 10 für psychische Symptome ist eine Pharmakotherapie indiziert, bei höheren Werten ist in der Regel eine stationäre Aufnahme des Patienten notwendig. Bislang liegen kaum kontrollierte Therapiestudien zur Frage des Einsatzes bestimmter Medikamente in der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker vor. In der Initialphase des Projektes wurde, ausgehend von Überlegungen zum Suchtverhalten der Patienten und zum Sucht- und Intoxikationspotenzial von Hypnotika, eine Behandlung mit Benzodiazepinen und insbesondere Chlomethiazol vermieden. Verschiedene Medikamente wie Doxepin und Clonidin wurden eingesetzt (Übersicht in Soyka 2002, siehe auch AWMFBehandlungsleitlinie, Mundle et al. 2003). Die ambulante Verschreibung von Chlomethiazol ist wegen des hohen Suchtpotenzials zu unterlassen (AKDÄ 2000). Basierend auf günstigen Therapieerfahrungen einer Kombination mit Carbamazepin und Tiapridex (Baltes et al. 1998) wurden in der Folgezeit diese Medikamentenkombinationen routinemäßig eingesetzt. Über erste Ergebnisse zur Dosierung an über 50 Patienten wurde bereits in einer früheren Publikation berichtet (Soyka et al. 2002). Die hier vorgestellte Auswertung bezieht sich auf die mittelfristigen Therapieergebnisse der ambulanten Entgiftung und der jetzt auch hinsichtlich der medikamentösen Behandlung standardisierten Bedingungen. Die individuelle Dosierung der Medikation war dabei abhängig vom Schweregrad der Störung; im Regelfall wurden 600 bis 800 mg Carbamazepin und 300 bis 400 mg Tiapridex eingesetzt und gegen Ende der Entgiftung ausgeschlichen. 2.1 Psychotherapeutisches Setting Wichtig ist die bereits während der ambulanten Entgiftung einsetzende begleitende, primär verhaltenstherapeutische Psychotherapie mit Elementen des "Motivational Interviewing" nach Miller und Rollnick (1991, 1999) (mindestens zwei bis drei psychotherapeutische Einzelgespräche und Teilnahme an gruppentherapeutischer Sitzung). Diese psychotherapeutischen Interventionen sollen für eine weitere, vorzugsweise ambulante, ggf. auch stationäre Entwöhnungstherapie moti- Suchtmed 6 (4) 2004 Ambulante Entgiftung vieren. Sie sind wichtig, da sich die Effizienz der ambulanten Entgiftung nicht alleine an der Haltequote bezüglich der Entgiftung, sondern vielmehr auch an der Effizienz hinsichtlich der Zuführung zu weiteren Therapien messen lassen muss. Anzustreben ist also eine "qualifizierte ambulante Entgiftung", in Anlehnung an "qualifizierte stationäre Entgiftungen" (Stetter et al 1995). Die Integration motivationsfördernder psychotharepeutischer Elemente ist dabei wichtige Aufgabe der Alkoholtherapie (John 1991, John et al 2000). Angestrebt wird eine Steigerung der Krankheitseinsicht, Therapiemotivation und Abstinenzbereitschaft. 2.2 Fragestellung Untersucht werden sollte die Frage der Sicherheit einer kombinierten Carbamazepin-/Tiapridex-Medikation bei Alkoholabhängigen nach erfolgter ambulanter Entgiftung im oben beschriebenen Setting. Die Evaluierung des Modellprojektes ist zweistufig angelegt: Erstens soll die Anzahl der Patienten, die die ambulante Entgiftung erfolgreich beenden können, erhoben werden; zweitens interessiert der die Therapie begleitende psychotherapeutische "motivationale" Ansatz und damit auch die Frage, wieviele Patienten in eine weiterführende (vorzugsweise ambulante) Therapie überführt und dort gehalten werden können. Dazu werden 6 und 12 Monate nach Abschluss der ambulanten Entgiftung katamnestische Erhebungen (persönliches Interview) durchgeführt. 2.3 Ergebnisse Stichprobe Eingeschlossen in die Untersuchung wurden 87 alkoholkranke Patienten (60 Männer, 27 Frauen) mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren (27-67 Jahre). Die mittlere Dauer der Alkoholabhängigkeit betrug 12 (1-34) Jahre. Von 87 Patienten hatten 2 (2%) keinen Schulabschluss, 40 (46%) hatten die Hauptschule abgeschlossen, 24 (27%) eine mittlere Reife abgelegt, 16 (18%) der Patienten Abitur oder Fachabitur, bei 5 (6%) der Patienten war der Schulabschluss nicht bekannt. 15 (17%) der Stichprobe hatten bereits einmal eine stationäre Entgiftung abgeschlossen, zwischen 2 und 4 Entgiftungen hatten 3 (3%) Patienten absolviert. Bei 69 (79%) der Patienten war bislang keine stationäre Entzugsbehandlung erfolgt. Effizienz der ambulanten Entwöhnungstherapie Nur einer der 87 Patienten brach die Behandlung während der ambulanten Entzugsbehandlung ab. Bei zwei Patienten traten relevante medizinische Komplikationen auf (eine Kreislaufdysregulation, eine fragliche Carbamazepinüberdosierung, die zu einer stationären Entzugsbehandlung führte). 86 Patienten (99%) wurden in die weiterführende Motivationszeit übernommen. 48 (45%) der Patienten beendeten die Motivationszeit erfolgreich, 30 (34%) brachen die Motivationszeit aus eigenem Antrieb ab, in 9 (10%) der Fälle erfolgte der Abbruch durch die behandelnde Einrichtung. Insgesamt traten also 48 (55%) die weitere Therapie an (siehe Tabelle 1). Die meisten Patienten waren während der Motivationszeit berufstätig (Tabelle 2). 309 Ambulante Entgiftung Originalarbeiten Tabelle 1: Behandlungsergebnisse Tabelle 3: Rückfälle nach 6 und 12 Monaten Weiterführende Therapie nach Motivationszeit Rückfall während Motivationszeit Angetreten 48 (55%) Kein Rückfall 66 (76%) Abgelehnt 39 (45%) Sicher Rückfall 16 (19%) Verdacht auf Rückfall Rückfallbedingter Abbruch während der Rehazeit 5 (6%) Kein Hinweis auf Rückfall 35 (40%) Anzahl der Rückfälle nach einem halben Jahr Sicherer Rückfall 10 (11%) Kein Rückfall 34 (39%) 3 (3%) Ein Rückfall 26 (30%) Kein Antritt der Rehaphase 39 (45%) Zwei Rückfälle 11 (12%) Regulärer Abschluss 44 (51%) Drei Rückfälle Verdacht auf Rückfall Wechsel in andere Therapie nach Reha 3 (3%) Unbekannt Insgesamt 87 (100%) Rückfälle nach einem Jahr Ambulante Reha regulär abgeschlossen 6 (7%) 10 (11%) 44 (50,6%) Kein Rückfall 21 (24%) Wechsel nach Rehabeginn 3 (3,4%) Ein Rückfall 4 (4,6%) Andere Therapie 6 (7%) Zwei Rückfälle 7 (8%) Keine Therapie 22 (25%) Drei Rückfälle 2 (2,3%) Unbekannt 12 (14%) Mehrere Rückfälle 87 (100%) Keine Reha 39 (45%) Unbekannt 12 (13,8%) Summe 87 (100%) Summe Tabelle 2: Berufstätigkeit während Motivationszeit Berufstätigkeit Unbekannt Azubi n (%) 3 (3,4%) 2 (2,3%) Angestellter/Beamter 43 (49,4%) Arbeiter 15 (17,2%) Selbständiger, Freiberufler Erwerbslos 4 (4,6%) 10 (11,5%) Schüler, Student 1 (1,1%) Hausfrau 3 (3,4%) Rentner 6 (6,9%) Summe 87 (100%) Ingesamt berufstätig während der Motivationszeit 62 (71,3%) 66 Patienten (76%) hatten während der Motivationszeit keinen Rückfall. Von den 48 Patienten, die die weiterführende Rehabilitationsbehandlung antreten konnten, schlossen 35 (40%) die Behandlung ohne Rückfall ab. 44 Patienten (50% der Ausgangsstichprobe) konnten die Rehabilitation regulär abschließen (Tabelle 3). 3 Diskussion Die qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker umfasst die Diagnostik und Therapie der Alkoholintoxikation, mögliche Alkoholfolgestörungen sowie die Behandlung der Entzugserscheinungen. Die "qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker" wird heute als ein Kernstück evidenzbasierter Medizin in der Suchttherapie angesehen (Schmidt et al. 2002). Die von Schmidt et al. getroffene Feststellung "für die qualifizierte Entgiftung im ambulanten Rahmen gibt es noch keine allgemein akzeptierte Konzeption", kann nach den vorliegenden Therapieergebnissen als nicht mehr ganz aktuell angesehen werden. Die 310 2 (2,3%) Nachuntersuchung dieser und anderer Stichproben belegt auch die Effizienz des gewählten psychotherapeutischen Ansatzes. Auch internationale Studien belegen die relative Sicherheit der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker zumindest im strukturierten Rahmen. Wiseman et al (1998) legten vergleichbar günstige Ergebnisse vor. 85% von 108 Patienten wurden in einem ambulanten Entgiftungsprogramm erfolgreich ohne gravierende medizinische Komplikationen entgiftet. Im Gegensatz zur vorliegenden Studie wurden 38% der Patienten mit Chlordiazepoxid mediziert. Collins et al. (1990) berichteten von ähnlich günstigen Resultaten. 79% der 76 Patienten wurden nach einer Psychopharmakatherapie von anfänglich 30-40 mg Diazepam über 5-7 Tage von Alkohol entzogen. Die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen ambulanten Entgiftungen liegt nach unseren Ergebnissen, nach entsprechender Risikoabschätzung, bei über 90%. Kriterien für eine erfolgreiche Entgiftung sind kontinuierliche negative Werte in der Atemalkoholanalyse und eine deutliche Reduktion von Entzugserscheinungen (Summenwerte in der AES-Skala bei 0-2, CIWA-A-Summenwerte zwischen 11 und 13). Besonderes Forschungsinteresse verdient die Pharmakotherapie. Alternative Substanzen, die zur ambulanten Entzugsbehandlung möglicherweise besonders geeignet erscheinen, sind Carbamazepin oder Tiapridex, eventuell in Kombination (Baltes et al. 1998, Soyka et al. 2002), gegebenenfalls auch andere Medikamente, die ebenfalls kein Suchtpotenzial aufweisen dürften. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen für eine gute Wirksamkeit dieser Kombination, auch wenn kontrollierte klinische Prüfungen noch ausstehen. Darüber hinaus müssen die während der ambulanten Entgiftung notwendigen psychotherapeutischen Interventionen nä- Suchtmed 6 (4) 2004 Originalarbeiten her evaluiert werden. Die Effizienz der ambulanten Entgiftung muss durch weitere Katamnesen belegt werden. 4 Literatur Alterman AI, Hayashida M, O‘Brien CP (1998): Treatment response and safety of ambulatory medical detoxification. J Stud Alcohol 49, 160-166 AKDÄ, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2000): Arzneiverordnungen, 19. Auflage. Deutscher Ärzteverlag, Köln, S. 298-300 Baltes I, Gallhofer B, Leising H (1998): Neue Strategien für den akuten Alkoholentzug: Die Kombination von Carbamazepin und Tiaprid. Psycho 24 Sonderausgabe IV, 199-203 Bjorkquist SE, Isohanni M, Makela R, et al. (1976): Ambulant treatment of alcohol withdrawal symptoms with carbamazepine: a formal multicentre double-blind comparison with placebo. Acta Psychiatrica Scand 53, 333-342 Collins MN, Burns T, Van den Berk PAH, Tubman GF (1990) A Structured Programme for Out-patient Alcohol Detoxification. 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