Originalarbeiten Ambulante Entgiftung mit Carbamazepin und

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Ambulante Entgiftung
Originalarbeiten
Ambulante Entgiftung mit Carbamazepin und Tiapridex – medizinische Sicherheit
und Ergebnisse einer Follow-up-Untersuchung
Michael Soyka 1, Nikola Clausius 1,2, Gerrit Hohendorf 2, Michael Horak 1
1
2
Psychiatrische Klinik der Universität München, Nußbaumstr. 7, 80336 München
Klientenzentrierte Problemberatung, Fachambulanz für Suchterkrankungen, Münchenerstr. 33, 85221 Dachau
Korrespondenzautor: Prof. Dr. Michael Soyka; E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung. Berichtet wird über eine 1-Jahres-Katam-
nese bei 87 alkoholabhängigen Patienten, die im Rahmen eines
strukturierten Therapieprogrammes ab 01.02.2000 an einer ambulanten Entgiftung teilgenommen haben. Alle Patienten wurden mit einer Medikamentenkombination von Carbamazepin
und Tiapridex ambulant entzogen. Nur ein Patient brach die
Entgiftungsbehandlung ab. 86 Patienten wurden in eine weiterführende dreimonatige Motivationsphase übernommen, 48 (45%)
Patienten der Ausgangsstichprobe beendeten diese erfolgreich.
Von den 48 Patienten, die die weiterführende Rehabilitationsbehandlung antreten konnten, schlossen 44 Patienten (50% der
Ausgangsstichprobe) diese ab. Die Ergebnisse belegen einerseits
die medizinische Sicherheit der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker bei korrekter Berücksichtigung definierter Ein- und Ausschlusskriterien und andererseits die Effizienz des psychotherapeutischen Ansatzes hinsichtlich einer weiteren Motivation zu
einer Alkoholentwöhnungstherapie.
Abstract
Alcohol outpatient detoxification with acombination of carbamazepine and tiapride – medical safety and follow-up study
We report results of a 1-year follow-up study of 87 alcohol
dependent patients who had been detoxified in an standardized
outpatient treatment program using a combination of carbamazepine and tiapride. Only one patient dropped out of treatment. 86 patients entered the consecutive 3-month motivational
phase of this outpatient treatment model. 48 (45%) terminated
this phase succesfully. 44 out of the 48 patients completed the
following outpatient rehabilitation. These findings indicate the
relative medical safety of outpatient detoxification under defined
conditions and the efficacy of the concommitant "motivational"
psychotherapeutic approach.
Keywords: Alcohol; alcoholism; outpatient detoxification
Schlagwörter: Alkohol; Alkoholabhängigkeit; ambulante Ent-
giftung
1
Einleitung
Die Behandlung Alkoholkranker kann man nach Feuerlein et
al (1998) in die Kontaktphase, Entgiftungs- bzw. Entziehungsphase, Entwöhnungsphase (Rehabilitation) und Nachsorgephase unterteilen. Gerade in der Entgiftungsphase können
wichtige Weichenstellungen zur weiteren Therapie Alkoholkranker vorgenommen werden. Für Entgiftungsmaßnahmen,
die gleichzeitig psychotherapeutische/ motivationsfördernde
Elemente enthalten, hat sich in der deutschsprachigen Literatur der Begriff "qualifizierte Entgiftung" durchgesetzt. Ihre
Effizienz kann als gesichert angesehen werden (Übersicht in
Mann et al. 1995). Unter "qualifizierter Entgiftung" ist nicht
die Vorverlagerung von Elementen aus der Entwöhnung
bzw. Rehabilitation Alkoholkranker in die Entgiftungsphase
zu verstehen, sondern eine psychotherapeutische "motivierende" Vorbereitung Alkoholkranker auf weiterführende
Therapien. Hier können z.B. Elemente der "motivierenden
Gesprächsführung" zum Einsatz kommen (Miller und Rollnick 1991, 1999). Aspekte alkoholspezifischer, ärztlicher
Gesprächführung können während der Entgiftungsphase so
gestärkt werden, dass die betroffenen Patienten möglichst
Suchtmed 6 (4) 2004
307 – 311 (2004)
© ecomed Medizin, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Landsberg
wenig Widerstand entwickeln, sich mit ihrem problematischen Alkoholkonsum auseinandersetzen und nach Möglichkeit ein Höchstmaß an Veränderungsbereitschaft zeigen.
Der Ausbau der ambulanten Versorgung Alkoholkranker
wird seit langem gefordert (McCrady et al. 1996). Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde hat den Ausbau vor allem der ambulanten Versorgung bei Alkoholabhängigkeit angeregt (DGPPN 1997).
Dies betrifft die ambulanten Entwöhnungstherapien, die etwa
seit Anfang der 90er Jahre vermehrt angeboten werden (Soyka et al. 2002), aber auch die ambulante Entgiftung Alkoholkranker.
In Skandinavien, Großbritannien und in den USA sind eine
Reihe von Behandlungsmodellen zur ambulanten Entgiftung
Alkoholkranker untersucht worden (Alterman et al. 1998,
Björkquist et al. 1976, Fleeman 1997, O'Connor et al. 1991,
Webb und Unwin 1988, Stockwell et al. 1986). Wiseman et al.
(1998) berichteten eine Retentionsrate von 85%, d.h. dass
nur 15% der Patienten die ambulante Entgiftung vor ihrer regulären Beendigung abbrachen. Positive Ergebnisse sind auch
in anderen Studien berichtet worden (Collins et al. 1990,
Alterman et al. 1998, O'Connor et al. 1991, Webb und Un-
307
Ambulante Entgiftung
win 1988, Stockwell et al. 1986, Stinnet 1982, Feldman et al.
1995, Pettinati et al. 1993). Für die ambulante Entgiftung
haben einige Studien eine etwas höhere Retentionsrate von
stationären im Vergleich mit ambulanten Patienten berichtet
(Hayashida et al. 1989, McKay et al. 1995, Alterman et al.
1995), aber die mittelfristigen Behandlungsergebnisse nach
etwa 6 bis 12 Monaten waren gleich. Hier existieren aber
noch erhebliche Forschungsdefizite. Collins et al. (1990) gingen davon aus, dass es keine Gründe gäbe, warum eine ambulante Entgiftung Alkoholkranker einen anderen Effekt auf
die Langzeitprognose Alkoholkranker haben sollte als eine
stationäre Behandlung.
2
Ambulante Entgiftung Alkoholkranker –
Eigene Erfahrungen mit einem Modellprojekt
Nach intensiven Verhandlungen mit den Krankenkassen
konnte 1998 in einer im Großraum München (Dachau)
gelegenen Therapieeinrichtung, die bislang auf die Durchführung ambulanter Entwöhnungstherapien bei Alkoholkranken
spezialisiert war, ein Modellprojekt "qualifizierte ambulante
Entgiftung" Alkoholkranker initiiert werden (Soyka et al.
1999, 2000). Ziel des Projektes war zum einen die Überprüfung der praktischen Handhabbarkeit, Sicherheit und Effizienz der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker; zum anderen sollte der Behandlungserfolg durch die weitere Therapie
in der Einrichtung katamnestisch überprüft werden. Das
Behandlungskonzept ist an anderer Stelle schon ausführlich
dargestellt worden (Soyka et al. 1999, 2002).
Die Fachambulanz zur Behandlung von Suchterkrankungen
(auch Klientenzentrierte Problemberatung, KPB) ist eine fachärztlich geleitete Ambulanz und Rehabilitationseinrichtung,
die seit mehr als 10 Jahren auf die Behandlung von Alkoholund Medikamentenabhängigen spezialisiert und von der
Kassenärztlichen Vereinigung sowie allen gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungsträgern anerkannt ist. Sie befindet sich im Einzugsgebiet von München. Dort ist ein multiprofessionales Team mit im Moment vier Ärzten (Fachärzte
für Neurologie bzw. Psychiatrie und Psychotherapie bzw. in
Ausbildung befindlich), fünf vollapprobierte psychologische
Psychotherapeuten, zwei Sozialpädagogen und einer Familientherapeutin tätig. Pro Jahr finden durchschnittlich 450 bis
500 Erstgespräche statt. Ca. 200 Patienten beginnen im laufenden Jahr die ambulante Entwöhnungsmaßnahme. In einem zweiphasigen Konzept, einer dreimonatigen Motivations- und einer achtmonatigen Rehabilitationsphase, werden
ca. 120 Patienten über den einjährigen Therapiezeitraum
medizinisch und psychotherapeutisch behandelt.
Der größere Teil der Patienten wird nach stationärer Entgiftung oder selbstständigem ambulantem Entzug in das vorbereitende Motivationssetting der Entwöhnungstherapie aufgenommen. Im Durchschnitt werden, nach ärztlicher Untersuchung und Motivationsklärung, wöchentlich ca. vier bis fünf
neue Patienten für die ambulante Langzeitentwöhnung rekrutiert. Ca. 30% der Patienten werden von Hausärzten zu einer
Behandlung überwiesen, 20% von Krankenhäusern, ca. 13%
von sozialen Diensten und Gesundheitsämtern. Weitere 15%
308
Originalarbeiten
der Patienten kommen auf Grund einer Information aus den
Medien und über 20% auf Empfehlung von ehemaligen
Patienten oder Bekannten.
Es werden Patienten aufgenommen, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben und einen festen Wohnsitz aufweisen. Ein
relativ stabiles soziales Umfeld wird gewünscht, ist aber keine
Grundvoraussetzung. Wichtig ist die Entwicklung einer intrinsischen Therapiemotivation, das Einhalten des Therapieplanes
und die Bereitschaft zur Suchtmittelabstinenz. Der überwiegende Teil der Patienten kommt aus dem Raum München, die
anderen Patienten aus der Umgebung von Dachau.
Das durchschnittliche Alter der Patienten liegt bei ca. 44 Jahren, der Anteil von männlichen zu weiblichen Patienten liegt
bei 2:1. Ca. 30% der Patienten sind zum Eintritt in die Therapie ohne Arbeit, und 40% leben gegenwärtig in keiner
Partnerschaft. Mehr als 60% der Patienten haben keine therapeutische Vorerfahrung. Neben der psychiatrisch-neurologischen Diagnostik wird der Patient von seinem Hausarzt
bzw. dem Konsiliararzt internistisch begleitet. Weiterführende
neurologische Untersuchungen (EEG usw.) werden von niedergelassenen Kollegen übernommen.
In der Motivationsphase finden pro Woche drei psychotherapeutische halbstündige Gespräche, eine 20-minütige ärztliche Untersuchungen und zwei psychotherapeutische Gruppengespräche sowie eine zusätzliche Gruppe für Nicht-Berufstätige statt. Dabei lernt der Patient die behandelnden
Ärzte und Therapeuten kennen. In der Rehabilitationsphase
reduziert sich das therapeutische Setting auf eine einstündige
psychotherapeutische Sitzung mit einem festen Bezugstherapeuten und zwei psychotherapeutischen Gruppensitzungen
pro Woche.
Bis 1998 wurden Patienten, bei denen eine Entziehungsmaßnahme notwendig war, in eine geeignete Klinik eingewiesen.
Optional kann seit 1998 jetzt auch eine ambulante Entgiftung erfolgen.
Einschlusskriterien für die ambulante Entgiftung sind:
•
•
•
Alkoholabhängigkeit nach ICD-10-Kriterien
Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit, Bereitschaft zur Abstinenz und Einhaltung des Therapieplans
Unterstützende Bezugsperson im häuslichen Umfeld
Ausschlusskriterien sind:
•
•
•
•
•
Missbrauch und Abhängigkeit von mehreren psychotropen Substanzen (Polytoxikomanie), relevante neuropsychiatrische Folgeschäden: epileptische Anfälle, Alkoholdelir, Alkoholhalluzinose
Schwere psychische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie)
Schwere kognitive Defizite
Schwere medizinische Erkrankungen: Pneumonie, Tuberkulose, andere Infektionen, Z. n. Kopfverletzung, dekompensierte Leberzirrhose, erosive Gastritis, Pankreatitis,
deutlich reduzierter Allgemeinzustand
Schwere behandlungsbedürftige Herzkreislaufstörungen
In der Regel dauert die ambulante Entgiftung Alkoholkranker 5 bis 7 (max. 10) Tage und beginnt üblicherweise am
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Originalarbeiten
Wochenanfang. Davor erfolgt eine detaillierte Einschlussuntersuchung. Idealerweise werden dabei auch die die Therapie begleitenden, unterstützenden Familienangehörigen
mit einbezogen. Die Entzugssymptomatik wird dabei mit
einer deutschen Fassung der von Sullivan et al. (1989) vorgeschlagenen CIWA-Skala sowie der Alkoholentzugsskala (AES)
von Wetterling et al (1995) erfasst. Die AES-Skala bewertet
psychische und vegetative Entzugssymptome nach einer vierteiligen Skalierung (0-3). Fünf psychische Symptome (Bewusstsein, Orientierung, Ablenkbarkeit, Halluzinationen,
Angst) und sechs vegetative Symptome (Pulsfrequenz, diastolischer Blutdruck, Temperatur, Atemfrequenz, Schwitzen,
Tremor) werden täglich im Entgiftungsverlauf erhoben. Eine
medikamentöse bzw. psychopharmakologische Behandlung
ist dabei nicht in jedem Einzelfall notwendig (siehe unten).
Eine symptomorientierte Therapie wird angestrebt. Bei einem
Summenwert in der AES-Skala von 6 bis 10 für psychische
Symptome ist eine Pharmakotherapie indiziert, bei höheren
Werten ist in der Regel eine stationäre Aufnahme des Patienten notwendig.
Bislang liegen kaum kontrollierte Therapiestudien zur Frage
des Einsatzes bestimmter Medikamente in der ambulanten
Entgiftung Alkoholkranker vor. In der Initialphase des Projektes wurde, ausgehend von Überlegungen zum Suchtverhalten
der Patienten und zum Sucht- und Intoxikationspotenzial
von Hypnotika, eine Behandlung mit Benzodiazepinen und
insbesondere Chlomethiazol vermieden.
Verschiedene Medikamente wie Doxepin und Clonidin wurden eingesetzt (Übersicht in Soyka 2002, siehe auch AWMFBehandlungsleitlinie, Mundle et al. 2003). Die ambulante
Verschreibung von Chlomethiazol ist wegen des hohen Suchtpotenzials zu unterlassen (AKDÄ 2000).
Basierend auf günstigen Therapieerfahrungen einer Kombination mit Carbamazepin und Tiapridex (Baltes et al. 1998)
wurden in der Folgezeit diese Medikamentenkombinationen
routinemäßig eingesetzt. Über erste Ergebnisse zur Dosierung an über 50 Patienten wurde bereits in einer früheren
Publikation berichtet (Soyka et al. 2002). Die hier vorgestellte Auswertung bezieht sich auf die mittelfristigen Therapieergebnisse der ambulanten Entgiftung und der jetzt auch hinsichtlich der medikamentösen Behandlung standardisierten
Bedingungen.
Die individuelle Dosierung der Medikation war dabei abhängig vom Schweregrad der Störung; im Regelfall wurden 600
bis 800 mg Carbamazepin und 300 bis 400 mg Tiapridex eingesetzt und gegen Ende der Entgiftung ausgeschlichen.
2.1
Psychotherapeutisches Setting
Wichtig ist die bereits während der ambulanten Entgiftung
einsetzende begleitende, primär verhaltenstherapeutische Psychotherapie mit Elementen des "Motivational Interviewing"
nach Miller und Rollnick (1991, 1999) (mindestens zwei bis
drei psychotherapeutische Einzelgespräche und Teilnahme
an gruppentherapeutischer Sitzung). Diese psychotherapeutischen Interventionen sollen für eine weitere, vorzugsweise
ambulante, ggf. auch stationäre Entwöhnungstherapie moti-
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Ambulante Entgiftung
vieren. Sie sind wichtig, da sich die Effizienz der ambulanten
Entgiftung nicht alleine an der Haltequote bezüglich der
Entgiftung, sondern vielmehr auch an der Effizienz hinsichtlich der Zuführung zu weiteren Therapien messen lassen
muss. Anzustreben ist also eine "qualifizierte ambulante Entgiftung", in Anlehnung an "qualifizierte stationäre Entgiftungen" (Stetter et al 1995). Die Integration motivationsfördernder psychotharepeutischer Elemente ist dabei wichtige
Aufgabe der Alkoholtherapie (John 1991, John et al 2000).
Angestrebt wird eine Steigerung der Krankheitseinsicht, Therapiemotivation und Abstinenzbereitschaft.
2.2
Fragestellung
Untersucht werden sollte die Frage der Sicherheit einer kombinierten Carbamazepin-/Tiapridex-Medikation bei Alkoholabhängigen nach erfolgter ambulanter Entgiftung im oben
beschriebenen Setting. Die Evaluierung des Modellprojektes
ist zweistufig angelegt: Erstens soll die Anzahl der Patienten, die die ambulante Entgiftung erfolgreich beenden können, erhoben werden; zweitens interessiert der die Therapie
begleitende psychotherapeutische "motivationale" Ansatz
und damit auch die Frage, wieviele Patienten in eine weiterführende (vorzugsweise ambulante) Therapie überführt und
dort gehalten werden können. Dazu werden 6 und 12 Monate nach Abschluss der ambulanten Entgiftung katamnestische Erhebungen (persönliches Interview) durchgeführt.
2.3
Ergebnisse
Stichprobe
Eingeschlossen in die Untersuchung wurden 87 alkoholkranke Patienten (60 Männer, 27 Frauen) mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren (27-67 Jahre). Die mittlere Dauer der
Alkoholabhängigkeit betrug 12 (1-34) Jahre. Von 87 Patienten hatten 2 (2%) keinen Schulabschluss, 40 (46%) hatten
die Hauptschule abgeschlossen, 24 (27%) eine mittlere Reife
abgelegt, 16 (18%) der Patienten Abitur oder Fachabitur, bei
5 (6%) der Patienten war der Schulabschluss nicht bekannt.
15 (17%) der Stichprobe hatten bereits einmal eine stationäre
Entgiftung abgeschlossen, zwischen 2 und 4 Entgiftungen
hatten 3 (3%) Patienten absolviert. Bei 69 (79%) der Patienten war bislang keine stationäre Entzugsbehandlung erfolgt.
Effizienz der ambulanten Entwöhnungstherapie
Nur einer der 87 Patienten brach die Behandlung während
der ambulanten Entzugsbehandlung ab. Bei zwei Patienten
traten relevante medizinische Komplikationen auf (eine Kreislaufdysregulation, eine fragliche Carbamazepinüberdosierung, die zu einer stationären Entzugsbehandlung führte).
86 Patienten (99%) wurden in die weiterführende Motivationszeit übernommen. 48 (45%) der Patienten beendeten die
Motivationszeit erfolgreich, 30 (34%) brachen die Motivationszeit aus eigenem Antrieb ab, in 9 (10%) der Fälle erfolgte
der Abbruch durch die behandelnde Einrichtung. Insgesamt
traten also 48 (55%) die weitere Therapie an (siehe Tabelle
1). Die meisten Patienten waren während der Motivationszeit berufstätig (Tabelle 2).
309
Ambulante Entgiftung
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Tabelle 1: Behandlungsergebnisse
Tabelle 3: Rückfälle nach 6 und 12 Monaten
Weiterführende Therapie nach Motivationszeit
Rückfall während Motivationszeit
Angetreten
48 (55%)
Kein Rückfall
66 (76%)
Abgelehnt
39 (45%)
Sicher Rückfall
16 (19%)
Verdacht auf Rückfall
Rückfallbedingter Abbruch während der Rehazeit
5 (6%)
Kein Hinweis auf Rückfall
35 (40%)
Anzahl der Rückfälle nach einem halben Jahr
Sicherer Rückfall
10 (11%)
Kein Rückfall
34 (39%)
3 (3%)
Ein Rückfall
26 (30%)
Kein Antritt der Rehaphase
39 (45%)
Zwei Rückfälle
11 (12%)
Regulärer Abschluss
44 (51%)
Drei Rückfälle
Verdacht auf Rückfall
Wechsel in andere Therapie nach Reha
3 (3%)
Unbekannt
Insgesamt
87 (100%)
Rückfälle nach einem Jahr
Ambulante Reha regulär abgeschlossen
6 (7%)
10 (11%)
44 (50,6%)
Kein Rückfall
21 (24%)
Wechsel nach Rehabeginn
3 (3,4%)
Ein Rückfall
4 (4,6%)
Andere Therapie
6 (7%)
Zwei Rückfälle
7 (8%)
Keine Therapie
22 (25%)
Drei Rückfälle
2 (2,3%)
Unbekannt
12 (14%)
Mehrere Rückfälle
87 (100%)
Keine Reha
39 (45%)
Unbekannt
12 (13,8%)
Summe
87 (100%)
Summe
Tabelle 2: Berufstätigkeit während Motivationszeit
Berufstätigkeit
Unbekannt
Azubi
n (%)
3 (3,4%)
2 (2,3%)
Angestellter/Beamter
43 (49,4%)
Arbeiter
15 (17,2%)
Selbständiger, Freiberufler
Erwerbslos
4 (4,6%)
10 (11,5%)
Schüler, Student
1 (1,1%)
Hausfrau
3 (3,4%)
Rentner
6 (6,9%)
Summe
87 (100%)
Ingesamt berufstätig während der
Motivationszeit
62 (71,3%)
66 Patienten (76%) hatten während der Motivationszeit keinen Rückfall. Von den 48 Patienten, die die weiterführende
Rehabilitationsbehandlung antreten konnten, schlossen 35
(40%) die Behandlung ohne Rückfall ab. 44 Patienten (50%
der Ausgangsstichprobe) konnten die Rehabilitation regulär
abschließen (Tabelle 3).
3
Diskussion
Die qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker umfasst die Diagnostik und Therapie der Alkoholintoxikation, mögliche Alkoholfolgestörungen sowie die Behandlung der Entzugserscheinungen. Die "qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker" wird
heute als ein Kernstück evidenzbasierter Medizin in der Suchttherapie angesehen (Schmidt et al. 2002). Die von Schmidt et
al. getroffene Feststellung "für die qualifizierte Entgiftung im
ambulanten Rahmen gibt es noch keine allgemein akzeptierte
Konzeption", kann nach den vorliegenden Therapieergebnissen als nicht mehr ganz aktuell angesehen werden. Die
310
2 (2,3%)
Nachuntersuchung dieser und anderer Stichproben belegt auch
die Effizienz des gewählten psychotherapeutischen Ansatzes.
Auch internationale Studien belegen die relative Sicherheit
der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker zumindest im
strukturierten Rahmen. Wiseman et al (1998) legten vergleichbar günstige Ergebnisse vor. 85% von 108 Patienten wurden
in einem ambulanten Entgiftungsprogramm erfolgreich ohne
gravierende medizinische Komplikationen entgiftet. Im Gegensatz zur vorliegenden Studie wurden 38% der Patienten
mit Chlordiazepoxid mediziert. Collins et al. (1990) berichteten von ähnlich günstigen Resultaten. 79% der 76 Patienten
wurden nach einer Psychopharmakatherapie von anfänglich
30-40 mg Diazepam über 5-7 Tage von Alkohol entzogen.
Die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen ambulanten Entgiftungen liegt nach unseren Ergebnissen, nach entsprechender
Risikoabschätzung, bei über 90%. Kriterien für eine erfolgreiche Entgiftung sind kontinuierliche negative Werte in der
Atemalkoholanalyse und eine deutliche Reduktion von Entzugserscheinungen (Summenwerte in der AES-Skala bei 0-2,
CIWA-A-Summenwerte zwischen 11 und 13).
Besonderes Forschungsinteresse verdient die Pharmakotherapie. Alternative Substanzen, die zur ambulanten Entzugsbehandlung möglicherweise besonders geeignet erscheinen,
sind Carbamazepin oder Tiapridex, eventuell in Kombination (Baltes et al. 1998, Soyka et al. 2002), gegebenenfalls auch
andere Medikamente, die ebenfalls kein Suchtpotenzial aufweisen dürften.
Die vorliegenden Ergebnisse sprechen für eine gute Wirksamkeit dieser Kombination, auch wenn kontrollierte klinische Prüfungen noch ausstehen.
Darüber hinaus müssen die während der ambulanten Entgiftung notwendigen psychotherapeutischen Interventionen nä-
Suchtmed 6 (4) 2004
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her evaluiert werden. Die Effizienz der ambulanten Entgiftung
muss durch weitere Katamnesen belegt werden.
4
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