ZUSAMMENFASSUNG 5 Zusammenfassung Ziel der vorliegenden Arbeit war es, während der Bildung funktioneller Synapsen auftretende prä- und postsynaptische Differenzierungsprozesse exemplarisch zu analysieren. Es konnte gezeigt werden, daß glutamaterge Synapsen zwischen kultivierten neocortikalen Neuronen einem funktionellen präsynaptischen Reifungsprozeß unterworfen sind, der wahrscheinlich auf einer entwicklungsabhängigen Vergrößerung des „reserve pools“ synaptischer Vesikel beruht. Bei einer sättigenden Anfärbung präsynaptischer Vesikelakkumulationen in verschieden stark differenzierten Terminalien mittels FM1-43 konnte eine deutlich geringere Farbstoffanreicherung an unreifen Synapsen nach 5-7DIV festgestellt werden. Dies spricht, unter Annahme einer vergleichbaren vesikulären Inkorporation des Farbstoffs, in beiden Entwicklungsstadien für eine reduzierte Anzahl aktiver, präsynaptisch akkumulierter Vesikel in unreifen Terminalien. Eine Untersuchung der funktionellen Eigenschaften ausgereifter und unreifer glutamaterger Synapsen zeigte weiterhin, daß wenig differenzierte Synapsen unter Bedingungen starker Aktivierung gegenüber reiferen Freisetzungsstellen eine signifikant geringere Erholung ihrer Freisetzungsfähigkeit aufweisen: Bei wiederholter Depletion des „readily releasable pool“ durch Stimulation der Freisetzung gedockter Vesikel mit hypertoner Lösung konnte eine signifikant erniedrigte „refill“-Rate der aktiven Zone festgestellt werden. Nach den allgemein akzeptierten Vorstellungen über den Aufbau und die Interaktion präsynaptischer Vesikelpools spricht dieser Befund in erster Linie für eine reduzierte Zahl an Reservevesikeln. Bei einer „physiologischen“ Aktivierung unreifer Synapsen durch wiederholte, hochfrequente elektrische Stimulation (50 Stimuli, 20 Hz, 3x) konnte festgestellt werden, daß die erhaltenen synaptischen Antwortmuster deutlich weniger gut reproduzierbar waren als bei ausgereiften Synapsen. Dies zeigt, daß die entwicklungsabhängige Reifung glutamaterger präsynaptischer Terminalien die neuronalen Aktivitätsmuster während der Entstehung synaptischer Verschaltungsmuster determinieren könnte. Interessanterweise konnten bei der Untersuchung GABAerger Terminalien keine Hinweise auf einen ausgeprägten, längerfristigen präsynaptischen Reifungsprozeß gefunden werden. Dies legt nahe, daß der Bildung GABAerger und glutamaterger präsynaptischer Terminalien unterschiedliche Mechanismen zugrundeliegen. Neben präsynaptischen Reifungsprozessen wurden in der vorliegenden Arbeit auch verschiedene Aspekte der postsynaptischen Differenzierung untersucht. Die Akkumulation von NMDA-Rezeptoren in der postsynaptischen Dichte stellt einen der wichtigsten postsynaptischen Differenzierungsprozesse an glutamatergen Synapsen dar. Auf dem postsynaptischen Neuron sind allerdings bereits vor dem Auftreten der ersten Synapsen nicht111 ZUSAMMENFASSUNG synaptische bzw. extrasynaptische NMDA-Rezeptoren anzutreffen. Die entwicklungsabhängigen Veränderungen dieser Population von NMDA-Rezeptoren wurden im Vergleich zu synaptischen Rezeptoren untersucht. Dazu wurden nicht-synaptische NMDA-Rezeptoren durch gebrauchsabhängige, irreversible Blockade der synaptischen Rezeptoren pharmakologisch mit MK-801 isoliert, und die funktionellen Eigenschaften L-Glutamat-induzierter Ionenströme, die durch nicht-synaptische NMDA-Rezeptoren vermittelt wurden, wurden untersucht. Die Untereinheitenzusammensetzung nicht- synaptischer NMDA-Rezeptoren wurde mittels des NR2B-spezifischen Antagonisten Ifenprodil analysiert. Dabei konnte gezeigt werden, daß entwicklungsabhängige Veränderungen der Untereinheitenzusammensetzung, die vermutlich auf die verstärkte Expression der NR2A-Untereinheit zurückzuführen sind, sowohl synaptische als auch nichtsynaptische Rezeptoren betreffen. Entwicklungsabhängig war für die durch die beiden Rezeptorpopulationen vermittelten Ionenströme eine charakteristische Verschnellerung der Abfallskinetiken feststellbar (vgl. Carmingnoto und Vicini, 1992; Lindlbauer et al., 1998). Eine Synapsen-spezifische Expression von Rezeptoren bestimmter Untereinheiten- zusammensetzung ist daher unter den gegebenen Bedingungen nicht nachweisbar. Um die molekularen Mechanismen zu untersuchen, die der synaptischen Lokalisation von NMDA-Rezeptoren zugrundeliegen, wurden kultivierte neocortikale Neurone aus genetisch modifizierten NR2B∆C-Mäusen (Sprengel et al., 1998) elektrophysiologisch untersucht. In diesen Tieren werden NR2B-Untereinheiten exprimiert, deren C-terminaler Anteil direkt nach der Transmembrandomäne M4 deletiert wurde. Auf diese Weise wird eine Reihe von Interaktionen zwischen C-terminalen Domänen der NR2B-Untereinheit und synaptisch lokalisierten, cytoplasmatischen Proteinen unterbrochen, die potentiell der synaptischen Verankerung des Gesamtrezeptorkomplexes dienen könnten. In Neuronen aus NR2B∆C/∆CMäusen konnte in einer frühen Phase der in vitro-Differenzierung (7-9DIV), in der fast ausschließlich NMDA-Rezeptoren des Typs NR1/NR2B exprimiert werden, eine drastische Reduktion der Amplituden NMDA-Rezeptor vermittelter EPSCs festgestellt werden, während die AMPA-Rezeptor vermittelte synaptische Transmission weitgehend unbeeinflußt war. Die beobachtete, starke Reduktion der NMDA-EPSC-Amplituden in Neuronen aus NR2B∆C/∆CMäusen war, wie Untersuchungen der Kanaleigenschaften zeigten, zum Teil auf eine geringe aber signifikante Reduktion der Offenwahrscheinlichkeit zurückzuführen. Eine Abschätzung des Anteils des synaptisch lokalisierten funktionellen NMDA-Rezeptoren an der Gesamtpopulation aktivierbarer NMDA-Rezeptoren eines jeweiligen Neurons zeigte darüberhinaus, daß in NR2B∆C/∆C-Mäusen die Population synaptischer Rezeptoren deutlich 112 ZUSAMMENFASSUNG unterrepäsentiert war. Diese Befunde sprechen für eine verminderte synaptische Lokalisation von Rezeptoren des Typs NR1/NR2B∆C und legen damit eine Beteiligung C-terminaler Domänen der NR2B-Untereinheit an der synaptischen Verankerung der NMDA-Rezeptoren nahe. In späten Kultivierungsphasen (14-16DIV), wenn zusätzlich die NR2A-Untereinheit verstärkt exprimiert wird, konnte eine deutliche Zunahme der Amplitude NMDA-Rezeptor vermittelter EPSCs festgestellt werden. Eine Analyse der Untereinheitenzusammensetzung synaptischer Rezeptoren mit dem NR2B-spezifischen Antagonisten Ifenprodil ergab, daß NMDARezeptoren an maturierten glutamatergen Synapsen zwischen Neuronen aus NR2B∆C/∆CMäusen auch die verkürzten NR2B∆C-Untereinheiten enthielten. Die Untereinheitenzusammensetzung war derjenigen in Neuronen aus Wildtyp-Mäusen vergleichbar. Dieses Ergebnis läßt sich am einfachsten unter Annahme heteromerer Rezeptoren des Typs NR1/NR2B∆C/NR2A erklären, deren synaptische Lokalisation über den inakten C-Terminus der NR2A-Untereinheit gesteuert wird. 113