Vektoranalysis Vorlesungsskript Wintersemester 2010/11 Bernd Schmidt∗ Version vom 23. Dezember 2010 Zentrum Mathematik, Technische Universität München, Boltzmannstr. 3, 85747 Garching, [email protected] ∗ 1 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 2 1 Einleitung 3 2 Mannigfaltigkeiten 2.1 Definition und Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Tangential- und Normalraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 4 4 14 18 3 Oberflächenintegrale 3.1 Erinnerung: Lebesgue-Integration im Rn . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Beispiele & Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 21 23 28 Literaturverzeichnis 30 2 Kapitel 1 Einleitung 3 Kapitel 2 Mannigfaltigkeiten Zuallererst müssen wir natürlich den Hauptgegenstand unserer Untersuchungen, die Mannigfaltigkeiten mathematisch sauber einführen. Wir werden in dieser Vorlesung nur Untermannigfaltigkeiten des Rn betrachten. Das ist technisch einfacher, da man in diesem Fall einen “umgebenden Raum” zur Verfügung hat. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden wir allerdings kurz noch auf den allgemeinen Mannigfaltigkeitsbegriff eingehen. 2.1 Definition und Charakterisierung Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Untermannigfaltigkeiten des Rn zu definieren; der Leitgedanke ist aber immer der gleiche: Wenn die “geraden”, “nicht gekrümmten” Teilmengen, also die affinen Unterräume durch affine Funktionen beschrieben werden können, so müssen wir die Mannigfaltigkeiten mit Hilfe nichtlinearer Funktionen beschreiben. Indem wir differenzierbare Funktionen betrachten, erhalten wir allgemeine Teilmengen, auf denen sich eine “differenzierbare Struktur” definieren lassen wird. Im Wesentlichen gibt es drei äquivalente Charakterisierungen: • durch äußere Karten, • als Lösungsmenge von Gleichungen oder • durch Parametrisierungen bzw. innere Karten. Motiviert sind diese Darstellungen durch die Beschreibung von Unterräumen des Rn : V ⊂ Rn ist ein k-dimensionaler Unterraum genau dann, wenn eine der drei folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt ist: • Es gibt einen Isomorphismus Φ : Rn → Rn (eine “äußere Karte”), so dass Φ(V ) = Rk × {0} ⊂ Rn ist. 4 • Es gibt eine lineare Abbildung f : Rn → Rn−k mit vollem Rang (also Rang f = n − k), so dass V = Kern f = {x ∈ Rn : f (x) = 0} gilt. • Es gibt eine lineare Abbildung (eine “Parametrisierung”) Ψ : Rk → Rn mit Rang Ψ = k und V = Bild f = Ψ(Rk ). Für Mannigfaltigkeiten werden wir die entsprechenden Eigenschaften nur lokal fordern, d.h. auf kleinen Umgebungen ihrer Punkte. Eine globale Parametrisierung ist z.B. schon für die schöne runde Kugel nicht möglich, die sicherlich eines unserer Paradebeispiele einer Mannigfaltigkeit sein wird. Wir definieren also Objekte, die lokal wie ein verformter k-dimensionaler Teilraum im Rn liegen, k ∈ {0, 1, . . . , n}. Untermannigfaltigkeiten: Die Definition Wir wählen die Beschreibung als Lösungsmenge nichtlinearer Gleichungen als Definition, da sie am schnellsten zu interessanten Beispielen führt. Definition 2.1 Es seien n, k ∈ N0 , α ∈ N ∪ {∞}. M ⊂ Rn heißt k-dimensionale C α -Untermannigfaltigkeit des Rn , wenn es zu jedem p ∈ M eine offene Umgebung U ⊂ Rn und eine C α -glatte Funktion f : U → Rn−k mit Rang Df (p) = n − k gibt, so dass M ∩ U = {x ∈ U : f (x) = 0} gilt. Abbildung 2.1: M ∩ U als lokale Nullstellenmenge. Die Bedingung an den Rang der Ableitung Df (p) (bzw. nach Wahl von Koordinaten deren Jacobimatrix) ist offenbar das Analogon zur Bedingung in Punkt 2 im linearen Fall oben. Sie besagt, dass die lineare Abbildung Df (p) : Rn → Rn−k 5 surjektiv ist. Nach Verkleinerung von U kann man annehmen, dass diese Bedingung auf ganz U erfüllt ist. (Eine solche Abbildung nennt man auch Submersion). Schreibt man f = (f1 , . . . , fn−k ), so ist sie äquivalent dazu, dass die n − k Gradienten ∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p) linear unabhängig sind. Im Falle k = n − 1 spricht man auch von Hyperflächen. Wir werden auch einfach nur von “Mannigfaltigkeiten” sprechen und α sowie k nicht extra erwähnen. Mit Ausnahme von Abschnitt 2.3 sind aber immer Untermannigfaltigkeien im Rn gemeint, wie eben definiert. Beispiele: 1. Affine Unterräume sind C ∞ -Mannigfaltigkeiten. 2. Die n-dimensionale Sphäre S n = {x ∈ Rn+1 : |x| = 1} ⊂ Rn+1 ist eine ndimensionale C ∞ -Untermannigfaltigkeit des Rn+1 , denn S n = {x ∈ Rn+1 : f (x) = 0} für f (x) = |x|2 − 1 und ∇f (x) = 2x 6= 0 auf S n . 3. Das Hyperboloid Hc := {x ∈ R3 : x21 + x22 = x23 + c}, c 6= 0, ist eine zweidimensionale C ∞ -Mannigfaltigkeit im R3 . Übung: Zeigen Sie dies sowie, dass Hc für c = 0 keine Untermannigfaltigkeit des R3 ist. Welche geometrische Figur ist H0 ? ∼ 2 4. Wir bezeichnen mit Rn×n = Rn den Vektorraum der reellen n×n-Matrizen. Die Menge der orthogonalen Matrizen O(n) = {A ∈ Rn×n : AT A = Id} (Id die Einheitsmatrix) ist eine keit des Rn×n . n(n−1) -dimensionale 2 C ∞ -Untermannigfaltig- Um das einzusehen, bemerken wir zunächst, dass O(n) = {A ∈ Rn×n : n×n n×n f (A) = 0} für f : Rn×n → Rsym mit f (A) = AT A−Id} gilt, wobei Rsym den n(n+1) -dimensionalen Vektorraum der symmetrischen reellen n×n-Matrizen 2 bezeichnet. Offensichtlich ist f C ∞ -glatt. Die Ableitung Df (A) ist gegeben durch f (A + tH) − f (A) t→0 t (A + tH)T (A + tH) − AT A = lim t→0 t = lim H T A + AT H + tH T H Df (A)H = lim t→0 T = H A + AT H. 6 Tatsächlich ist Df (A) für A ∈ O(n) surjektiv, denn zu gegebenem B ∈ n×n Rsym gilt Df (A)H = B etwa für H := 12 AB: Df (A)H = 1 1 (AB)T A + AT AB = B T AT A + AT AB = B. 2 2 In all diesen Beispielen ergab sich die Mannigfaltigkeit sogar als Lösungsmenge {x : f (x) = 0} einer einzigen Funktion f . Wir halten daher die folgende wichtige Beobachtung, die sich direkt aus unserer Definition ergibt, fest: Beobachtung: Ist U ⊂ Rn offen, f ∈ C α (U; Rn−k ) und c ein regulärer Wert von f , also Rang Df (p) = n − k für alle p ∈ M := f −1 ({c}), so ist M eine k-dimensionale C α -Untermannigfaltigkeit des Rn . Äußere Karten Zur theoretischen Untersuchung ist es oft nützlich, Untermannigfaltigkeiten im Rn auf eine alternative Art und Weise mittels äußerer Karten zu charakterisieren. Anschaulich besagt diese Charakterisierung, dass eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeiten – bis auf eine glatte Koordinatentransformation – lokal genau so ∼ im Rn liegt wie der Rk = {x ∈ Rn : xk+1 = . . . xn = 0} im Rn . Diese Charakterisierung hat außerdem den Vorteil, dass sie in natürlicher Weise zum allgemeinen Konzept der Untermannigfaltigkeit einer Mannigfaltigkeit führt. Mit Rk × {0} bezeichnen wir den Unterraum {x ∈ Rn : xk+1 = . . . = xn = 0} des Rn . Ist f : U → V , U, V ⊂ Rn offen, bijektiv und sind sowohl f als auch f −1 C α -glatt, α ∈ N ∪ {∞}, so nennt man f einen C α -Diffeomorphismus. Satz 2.2 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale C α -Mannigfaltigkeit, wenn es zu jedem p ∈ M eine offene Umgebung U ⊂ Rn , eine offene Menge V ⊂ Rn und einen C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V gibt, so dass ϕ(M ∩ U) = (Rk × {0}) ∩ V gilt. Eine solche Abbildung ϕ nennt man äußere Karte oder manchmal auch einen Flachmacher, da sie die Mannigfaltigkeit in U in den linearen Raum Rk × {0} “plattbügelt”, vgl. Abb. 2.2. Beweis. “⇒”: Sei p ∈ M, M k-dimensionale Mannigfaltigkeit. Wähle eine Umgebung Ũ von p und eine Funktion f ∈ C α (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) = n − k und M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0}. Durch Umnummerieren der Koordinaten können wir erreichen, dass die letzten n − k Spalten von Df (p) linear unabhängig sind.1 1 Genauer: Sind die letzten n − k Spalten von Df (p) linear unabhängig, so verfahren wir wie beschrieben. Der allgemeine Fall lässt sich durch Vorschalten einer linearen Abbildung, welche durch eine geignete Permutationsmatrix gegeben ist, darauf zurückführen. 7 Abbildung 2.2: Der Flachmacher. Schreibt man x = (ξ, η), ξ ∈ Rk , η ∈ Rn−k , so ist also Dη f (p) invertierbar und der Satz über implizite Funktionen liefert offene Mengen U1 und U2 in Rk bzw. Rn−k , so dass p ∈ U1 × U2 ⊂ Ũ gilt, sowie ein ψ ∈ C α (U1 ; Rn−k ) existiert mit M ∩ (U1 × U2 ) = {(ξ, ψ(ξ)) : ξ ∈ U1 }. Definiere nun ϕ : U := U1 × U2 → Rn durch ϕ(ξ, η) := (ξ, η − ψ(ξ)). Idk 0 Offenbar ist ϕ injektiv und Dϕ(ξ, η) = −D ψ Id invertierbar, so dass nach ξ n−k dem Satz über inverse Funktionen ϕ ein Diffeomorphismus von U nach V := ϕ(U) ist. Außerdem ist natürlich (ξ, η) ∈ M ∩ U ⇐⇒ ϕ(ξ, η) ∈ (Rk × {0}) ∩ V. “⇐”: Sind nun umgekehrt p ∈ M, eine offene Umgebung U ⊂ Rn , eine offene Menge V ⊂ Rn und ein C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V gegeben, so dass ϕ(M ∩ U) = (Rk × {0}) ∩ V gilt, so ist M ∩ U = ϕ−1 ((Rk × {0}) ∩ V ) = {x ∈ U : ϕk+1 (x) = . . . = ϕn (x) = 0}. Da Dϕ(x) für jedes x ∈ U vollen Rang n hat, sind die ∇ϕk+1 (x), . . . , ∇ϕn (x) in der Tat linear unabhängig. Topologie Da jede Mannigfaltigkeit im Rn insbesondere eine Teilmenge des Rn ist, “erbt” sie die Topologie des umgebenden Raums. Genauer: Durch Einschränkung der 8 üblichen Metrik des Rn auf eine beliebige Teilmenge M ⊂ Rn wird M zu einem metrischen Raum. Für Teilmengen von M sind also die Eigenschaften “offen”, “abgeschlossen” und “kompakt” wohldefiniert, wobei man – zumindest in den ersten beiden Fällen – der Genauigkeit halber lieber “offen in M” bzw. “abgeschlossen in M” sagen sollte, da dies nicht äqivalent dazu ist, dass sie als Teilmengen des Rn offen bzw. abgeschlossen sind. Nun ist jedoch die vom Rn geerbte Metrik oft nicht die “richtige” Metrik auf M. (Ein “besserer” Distanzbegriff zwischen zwei Punkten auf M wäre etwa durch die Länge eines minimalen, ganz in M verlaufenden Verbindungspfads gegeben.) Die topologischen Begriffe wie “offen” und “abgeschlossen” ergeben sich jedoch auch direkt aus den entsprechenden Begriffen im Rn ohne Rückgriff auf die metrische Struktur. Abstrakt definiert man: Definition 2.3 Ist T eine Menge und τ ⊂ P(T ) ein System von Teilmengen von T mit der Eigenschaft, dass (i) beliebige Vereinigungen von Mengen aus τ wieder in τ liegen, (ii) endliche Durchschnitte von Mengen aus τ wieder in τ liegen und (iii) ∅, T ∈ τ sind, so nennt man (T, τ ) einen topologischen Raum. Jede Menge U ∈ τ nennt man offen. Indem man in einem metrischen Raum T die Menge der (bzgl. der Metrik) offenen Mengen mit τ bezeichnet, wird (T, τ ) zu einem topologischen Raum. Das ergibt sich unmittelbar aus den bekannten Eigenschaften offener Mengen in metrischen Räumen. Der Begriff des topologischen Raumes verallgemeinert den Begriff des metrischen Raumes also in natürlicher Weise, genauso, wie der Begriff des metrischen Raumes eine natürliche Varallgemeinerung der normierten Räume darstellt. Definition 2.4 Eine Teilmenge Ω ⊂ M heißt offen/abgeschlossen in M, wenn es eine offene/abgeschlossene Menge Ω̃ ⊂ Rn gibt, so dass Ω = Ω̃ ∩ M ist. Übung: Überlegen Sie sich, dass (a) auf diese Weise M zu einem topologischen Raum wird und (b) diese Topologie mit der von der ererbten Metrik induzierten übereinstimmt. Der Begriff der Stetigkeit überträgt sich auf topologische Räume, indem man eine Abbildung zwischen zwei topologischen Räumen stetig nennt, wenn Urbilder offener Mengen offen sind. Für metrische Räume ist das ja eine bekannte äquivalente Charakterisierung der Stetigkeit. 9 Parametrisierungen Wir geben noch eine weitere Charakterisierung von Mannigfaltigkeiten mittels Parametrisierungen bzw. inneren Karten an. Diese Beschreibung wird uns später den Weg weisen, wie allgemeine Mannigfaltigkeiten auch ohne einen umgebenden Euklidischen Raum zu definieren sind. Man nennt eine Abbildung f zwischen metrischen Räumen (oder allgemeiner topologischen Räumen) einen Homöomorphismus, wenn sie bijektiv ist und wenn sowohl f als auch f −1 stetig sind.2 Satz 2.5 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale C α -Mannigfaltigkeit, wenn es zu jedem p ∈ M eine in M offene Umgebung U ⊂ M, eine offene Menge V ⊂ Rk und einen Homöomorphismus Φ : V → U gibt, so dass Φ ∈ C α (V ; Rn ) mit Rang DΦ(x) = k ∀x ∈ V gilt. Eine solche Abbildung Φ nennt man auch eine lokale Parametrisierung oder eine (innere) Karte3 von M. Abbildungen Ψ ∈ C α (V ; Rn ), V ⊂ Rk offen, mit Rang DΨ = k auf V , d.h. DΨ(x) : Rk → Rn injektiv für alle x ∈ V , nennt man Immersionen. Beweis. “⇒”: Ist M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit, so gibt es nach Satz 2.2 zu jedem p ∈ M eine Umgebung Ũ ⊂ Rn , eine offene Menge Ṽ ⊂ Rn und einen C α -Diffeomorphismus ϕ : Ũ → Ṽ , so dass ϕ(M ∩ Ũ) = (Rk × {0}) ∩ Ṽ gilt. Definieren wir nun V := {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ Ṽ } und Φ : V → M ∩ Ũ =: U durch Φ(ξ) = ϕ−1 (ξ, 0), so sind V und U offen in Rk bzw. M mit p ∈ U sowie Φ ein C α -glatter Homöomorphismus. Es gilt −1 Idk Idk −1 −1 = Dϕ(ϕ (ξ, 0)) DΦ(ξ) = Dϕ (ξ, 0) 0 0 nach der Kettenregel für Φ = ϕ−1 ◦ P mit P : Rk → Rn , P (ξ)= (ξ, 0). Da (Dϕ(ϕ−1 (ξ, 0)))−1 nicht singulär ist, folgt Rang DΦ(ξ) = Rang Id0k = k. 2 Ein Homöomorphismus f : T1 → T2 zwischen zwei topologoischen Räumen induziert eine Bijektion zwischen den offenen Mengen in T1 und T2 . Vom topologischen Standpunkt sind diese Räume nicht zu unterscheiden. 3 Achtung: Diese Bezeichnung ist zwar für Untermannigfaltigkeiten des Rn gebräuchlich. In der allgemeinen Theorie der Mannigfaltigkeiten bezeichnet man jedoch meist die Inverse Φ−1 , die von M in den Euklidischen Raum abbildet als Karte, s. Abschnitt 2.3. 10 “⇐”: Es seien p, U, V und Φ wie im Satz angegeben. Durch eventuelles Umnummerieren der Koordinaten dürfen wir annehmen, dass die ersten k Zeilen von DΦ(Φ−1 (p)) linear unabhängig sind. Betrachten wir die Abbildung Φ′ = (Φ1 , . . . , Φk ) : V → Rk , die sich durch Streichen der letzten n − k Einträge aus Φ ergibt, so ist dann DΦ′ (Φ−1 (p)) nicht singulär und nach dem Satz über inverse Funktionen gibt es eine Umgebung V ′ von Φ−1 (p) und eine offene Menge U ′ ⊂ Rk , so dass Φ′ : V ′ → U ′ ein C α -Diffeomorphismus ist. Definiere nun Ψ : V ′ × Rn−k → U ′ × Rn−k durch Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η). Abbildung 2.3: Φ, Φ′ und Ψ. Ψ ist bijektiv, denn für alle ξ, ξ˜ ∈ V ′ und η, η̃ ∈ Rn−k gilt ˜ η̃) ⇒ Φ′ (ξ) = Φ′ (ξ) ˜ ⇒ ξ = ξ˜ ⇒ η = η̃ Ψ(ξ, η) = Ψ(ξ, und für (ξ ′, η ′ ) ∈ U ′ × Rn−k ist ξ = (Φ′ )−1 (ξ ′) ∈ V ′ und Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η) = (ξ ′, η ′ ) für ein geeignetes η ∈ Rn−k . Des Weiteren ist DΦ′ (ξ) 0 DΨ(ξ, η) = ∗ Idn−k 11 invertierbar und, weil Ψ außerdem C α -glatt ist, ist Ψ nach dem Satz über inverse Funktionen ein C α -Diffeomorphismus. Da Φ ein Homöomorphismus ist, ist Φ(V ′ ) offen in M. Wählen wir Ũ ⊂ Rn offen mit Φ(V ′ ) = Ũ ∩ M und setzen Û = (U ′ × Rn−k ) ∩ Ũ , so ist Ψ−1 : Û → V̂ := Ψ−1 (Û ) ein C α -Diffeomorphismus mit Ψ(V̂ ∩ (Rk × {0})) = Ψ(V̂ ∩ (V ′ × Rn−k ) ∩ (Rk × {0})) = Ψ(V̂ ∩ (V ′ × {0})) = Ψ(V̂ ) ∩ Ψ(V ′ × {0}) = Û ∩ Φ(V ′ ) = Û ∩ Ũ ∩ M = Û ∩ M, wobei wir V̂ ⊂ (V ′ × Rn−k ) und Û ⊂ Ũ ausgenutzt haben, und damit V̂ ∩ (Rk × {0}) = Ψ−1 (Û ∩ M). Ψ−1 ist also ein Flachmacher für M in der Nähe von p, so dass die Behauptung aus Satz 2.2 folgt. Im Allgemeinen kann man eine Mannigfaltigkeit nicht mit einer einzigen Karte parametrisieren. Zur vollständigen Beschreibung benötigt man daher eine Sammlung von Karten, die ganz M überdecken: einen Atlas also. Definition 2.6 Eine Familie (Φj ) von Karten S Φj : Vj → Uj wie in Satz 2.5 definiert heißt ein Atlas von M, wenn M ⊂ j Uj gilt. Bei der Untersuchung von Mannigfaltigkeiten mit Hilfe von Karten ist es wichtig zu verstehen, inwiefern Eigenschaften der Mannigfaltigkeit von einer speziell gewählten Karte abhängen. Abbildung 2.4: Kartenwechsel. 12 Wir betrachten daher den Kartenwechsel ′ −1 ′ −1 Φ−1 2 ◦ Φ1 : V1 := Φ1 (U1 ∩ U2 ) → V2 := Φ2 (U1 ∩ U2 ) (2.1) für zwei sich überlappende Karten Φj : Vj → Uj , j = 1, 2, mit U1 ∩ U2 6= ∅. Satz 2.7 Sind Φ1 , Φ2 zwei sich überlappende Karten einer C α -Mannigfaltigkeit wie in (2.1), so sind V1′ und V2′ offen in Rk und der Kartenwechsel Φ−1 2 ◦ Φ1 : ′ ′ α V1 → V2 ist ein C -Diffeomorphismus. Beweis. Da U1 und U2 und damit auch U1 ∩U2 offen in M und Φ1 , Φ2 Homöomor′ ′ phismen sind, sind V1′ und V2′ offen. Offensichtlich ist Φ−1 2 ◦ Φ1 : V1 → V2 bijektiv. −1 −1 −1 α ′ ′ −1 Es genügt also, noch Φ2 ◦ Φ1 ∈ C (V1 ; V2 ) und (Φ2 ◦ Φ1 ) = Φ1 ◦ Φ2 ∈ C α (V2′ ; V1′ ) zu zeigen. Es sei p ∈ U1 ∩ U2 . Nach Satz 2.2 gibt es offene Mengen U ⊂ U1 ∩ U2 und V im Rn mit p ∈ U und einen C α -Diffeomorphismus ϕ : U → V , so dass ϕ(M ∩ U) = V ∩ (Rk × {0}) erfüllt ist. Wie oben sieht man, dass die Mengen k Wj := Φ−1 j (M ∩ U) ⊂ R , j = 1, 2, offen sind. Abbildung 2.5: Φ1 , Φ2 und ϕ. Die Bilder der C α -glatten und bijektiven Abbildungen ϕ ◦ Φj : Wj → ϕ(M ∩ U) 13 liegen in Rk × {0}, so dass wir ϕ ◦ Φj = (Ψj , 0) mit Ψj : Wj → Rk schreiben können, vgl. Abb. 2.5. Wegen Rang Dϕ = n und Rang DΦj = k ist dabei Rang DΨj = k. Der Satz über inverse Funktionen zeigt nun, dass die Ψj : Wj → Ψj (Wj ) = {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ ϕ(M ∩ U)} C α -Diffeomorphismen sind. Da nun −1 Φ−1 2 ◦ Φ1 = Ψ2 ◦ Ψ1 und −1 Φ−1 1 ◦ Φ2 = Ψ1 ◦ Ψ2 −1 auf W1 mit Φ−1 1 (p) ∈ W1 bzw. W2 mit Φ2 (p) ∈ W2 gilt, wobei p ∈ U1 ∩ U2 beliebig war, folgt die Behauptung. n α Beispiel: Ist γ : I → R , I ein Intervall, eine C -Kurve mit γ̇ 6= 0, so dass γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus ist, so ist γ(I) eine Mannigfaltigkeit mit Parametrisierung γ. Abbildung 2.6: Kurven im Rn . 2.2 Tangential- und Normalraum Wie man in der Analysis Funktionen durch ihre Ableitung, also durch lokale Linearisierungen, untersucht, werden wir nun k-dimensionale Mannigfaltigkeiten lokal durch k-dimensionale lineare Räume beschreiben. Die Grundidee ist hierbei, dass kleine Umgebungen U ⊂ M von Punkten p ∈ M bis auf kleine Fehler (“Terme höherer Ordnung”) in einem k-dimensionalen affinen Raum p + Tp M liegen, wobei Tp M ein k-dimensionaler Unterraum, der sogenannte Tangentialraum ist. p + Tp M liegt bei p tangential an M an. Mannigfaltigkeiten sind also “infinitesimal Euklidisch” und deshalb kann man Analysis auf ihnen betreiben. In diesem Abschnitt betrachten wir immer Mannigfaltigkeiten der Klasse C 1 . Die wesentliche Idee zur Definition des Tangentialraums ist, dass eine jede ganz in M verlaufende differenzierbare Kurve γ nur an M tangentiale Ableitungsvektoren (“Geschwindigkeiten”) γ̇ hat und umgekehrt jeder an M bei p 14 tangentiale Vektor als ein solcher Geschwindigkeitsvektor einer geeigneten Kurve in M durch p entsteht. Definition 2.8 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Ein Vektor v ∈ Rn heißt Tangentialvektor an M im Punkt p, wenn es eine stetig differenzierbare Kurve γ : (−ε, ε) → M für ein geeignetes ε > 0 gibt, so dass γ(0) = p und γ̇(0) = v gilt. Die Gesamtheit der Tangentialvektoren wird der Tangentialraum an M bei p genannt und mit Tp M bezeichnet. Abbildung 2.7: Der Tangentialraum. Oft denkt man sich den Tangentialraum bei p ∈ M angeheftet. Beachte aber, dass Tp M ein Vektorraum ist. Die Bezeichnung “Tangentialraum” wird durch Punkt (i) des folgenden Satzes gerechtfertigt. Dieser Satz gibt außerdem eine Charakterisierung des Tangentialraums durch Karten und durch die Abbildung, als deren Nullstellenmenge M lokal beschrieben wird. Satz 2.9 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. (i) Tp M ist ein k-dimensionaler Unterraum des Rn . (ii) Ist Φ : V → U eine (innere) Karte von M mit p ∈ U und a := Φ−1 (p), dann gilt Tp M = Bild DΦ(a). Insbesondere bilden die Vektoren ∂1 Φ(a), . . . , ∂k Φ(a) (also die Spaltenvektoren von DΦ(a)) eine Basis von Tp M. 15 (iii) Ist Ũ ⊂ Rn eine Umgebung von p und f ∈ C 1 (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) = n − k, so dass M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0} gilt, so ist Tp M = Kern Df (p). (iv) Ist ϕ : U ′ → V ′ eine äußere Karte von M mit p ∈ U ′ , dann ist Tp M = (Dϕ(p))−1 (Rk × {0}). Beweis. Wir werden Bild DΦ(a) ⊂ Tp M ⊂ Kern Df (p) (2.2) zeigen. Aus dim Bild DΦ(a) = Rang DΦ(a) = k = n − Rang Df (p) = dim Kern Df (p) folgt dann, dass diese Mengen sogar gleich sind, was alle Behauptungen in (i), (ii) und (iii) beweist. (iv) ergibt sich aus (ii), indem man wie im ersten Teil des Beweises von Satz 2.5 bemerkt, dass durch Φ : V → M, Φ(ξ) = ϕ−1 (ξ, 0) eine innere Karte auf V := {ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ V ′ } gegeben ist, für die mit a = Φ−1 (p) −1 Idk k −1 Rk = (Dϕ(p))−1 (Rk × {0}) Tp M = DΦ(a)R = Dϕ(ϕ (a, 0)) 0 gilt. Es bleibt (2.2) zu begründen. Sei also v ∈ Bild DΦ(a), etwa v = DΦ(a)w, w ∈ Rk . Für hinreichend kleines ε ist dann γ : (−ε, ε) → M, γ(t) = Φ(a + tw) eine stetig differenzierbar Kurve in M mit γ(0) = Φ(a) = p und γ̇(0) = DΦ(a)w = v (Kettenregel), was die erste Inklusion zeigt. Ist nun v ∈ Tp M vorgelegt, so wählen wir eine Kurve γ gemäß Definition 2.8. Für t genügend nahe bei 0 gilt dann γ(t) ∈ Ũ und somit f (γ(t)) = 0. Daraus ergibt sich aber direkt d 0 = f (γ(t)) = Df (a)γ̇(0) = Df (a)v, dt t=0 d.h. v ∈ Kern Df (a). 16 Beispiele: 1. Es sei γ(I) die am Ende von Abschnitt 2.1 diskutierte eindimensionale Mannigfaltigkeit, die durch eine C α -Kurve γ : I → Rn mit γ̇ 6= 0 und γ : I → γ(I) ein Homöomorphismus entsteht. Dann ist Tp γ(I) = Rγ̇(a) für γ(a) = p. 2. Nach Abschnitt 2.1 ist die Mannigfaltigkeit der orthogonalen Matrizen O(n) durch O(n) = {A ∈ Rn×n : f (A) = 0} mit f (A) = AT A−Id gegeben, wobei Df (A)H = AT H + H T A ist. Damit ist TA O(n) = Kern Df (A) = {H ∈ Rn×n : H T A + AT H = 0}. Speziell für A = Id ergibt sich n×n TId O(n) = {H ∈ Rn×n : H T = −H} =: Rantisym . Für allgemeine A ∈ O(n) erhält man gerade den entsprechend “gedrehten Raum”: TA O(n) = {H ∈ Rn×n : (AT H)T = −AT H} n×n n×n = {H ∈ Rn×n : AT H ∈ Rantisym } = A Rantisym . Die Normalenvektoren am Punkte p sind natürlich genau diejenigen Vektoren in Rn , die senkrecht auf Tp M stehen: Definition 2.10 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Np M := (Tp M)⊥ heißt der Normalenraum an M im Punkt p, seine Elemente Normalenvektoren an M bei p. Abbildung 2.8: Der Normalenraum. Unmittelbar aus Satz 2.9 ergibt sich das folgende 17 Korollar 2.11 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M. Ist Ũ ⊂ Rn eine Umgebung von p und f ∈ C 1 (Ũ ; Rn−k ) mit Rang Df (p) = n − k, so dass M ∩ Ũ = {x ∈ Ũ : f (x) = 0} gilt, so bilden die Vektoren ∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p) (also die Zeilenvektoren von Df (p)) eine Basis von Np M. Beweis. Da Tp M = Kern Df (p) k-dimensional ist, genügt es zu bemerken, dass Kern Df (p) = (span{∇f1 (p), . . . , ∇fn−k (p)})⊥ gilt. Beispiele: 1. Im letzten Abschnitt haben wir insbesondere gesehen, dass für U ⊂ Rn offen, f ∈ C 1 (U; R) mit regulärem Wert c, die Niveaufläche M = f −1 ({c}) eine C 1 -Hyperfläche im Rn ist. Korollar 2.11 zeigt, dass in diesem Fall ∇f (p) immer senkrecht auf Tp M, p ∈ M, steht. 2. Der Normalenraum an O(n) bei Id ist n×n NId O(n) = (TId O(n))⊥ = Rantisym 2.3 ⊥ n×n = Rsym . Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten Im letzten Abschnitt dieses Kapitels gehen wir kurz auf die allgemeine Definition einer Mannigfaltigkeit ein. Dies dient lediglich Ihrer Allgemeinbildung; wir werden diesen allgemeinen Rahmen im Folgenden nicht weiter verwenden. Wir starten mit einem allgemeinen topologischen Raum M und nennen nun Homöomorphismen von offenen Teilmengen von M auf offene Teilmengen des Rk Karten4 . Eine Menge von Karten, deren Definitionsgebiete ganz M überdecken, nennt man wieder einen Atlas. Da wir nun aber keinen umgebenden Euklidischen Raum mehr voraussetzen, ist es zunächst nicht klar, wie man Differenzierbarkeit auf M definieren soll. Die wesentliche Idee hierzu ist nun, alles mittels Karten auf den Rk zurückzuspielen. Dazu muss man jetzt allerdings voraussetzen, dass die Kartenwechsel differenzierbar sind: Gilt für je zwei überlappende Karten Φ1 : U1 → V1 , Φ2 : U2 → V2 mit Uj offen in M, Vj offen in Rk , j = 1, 2, und U1 ∩ U2 6= ∅ eines Atlas, dass Φ2 ◦ Φ−1 1 : Φ1 (U1 ∩ U2 ) → Φ2 (U1 ∩ U2 ) ein C α -Diffeomorphismus ist, so nennen wir den Atlas (C α -)differenzierbar. 4 Vgl. die Definition der inneren Karten zuvor, wo die Karten in die andere Richtung gehen. 18 Nun kann man zu jedem Atlas A all jene Karten hinzunehmen, die mit allen Karten aus A differenzierbar wechseln. Die so gewonnene Menge von Karten bezeichent man mit D(A). Sie ist in der Tat wieder ein Atlas, sogar ein maximaler, was man wie folgt einsieht: Sind Φ1 : U1 → V1 , Φ2 : U2 → V2 überlappende Karten aus D(A), so kann man um jeden Punkt p ∈ U1 ∩ U2 eine Karte Φ aus A finden, so dass −1 Φ2 ◦ Φ−1 ◦ Φ ◦ Φ−1 1 = Φ2 ◦ Φ 1 −1 und Φ1 ◦ Φ−1 ◦ Φ ◦ Φ−1 2 = Φ1 ◦ Φ 2 −1 in entsperechend kleinen Umgebungen von Φ−1 1 (p) bzw. Φ2 (p) differenzierbar sind. Einen maximalen differenzierbaren Atlas D nennt man auch eine differenzierbare Struktur. Um Pathologien auszuschließen verlangt man noch, dass M ein Hausdorffraum mit einer abzählbaren Basis der Topologie ist. Motiviert durch Satz 2.5 definieren wir nun: Definition 2.12 Einen Hausdorffraum M, der dem zweiten Abzählbarkeitsaxiom genügt, zusammen mit einer differenzierbaren Struktur D nennt man eine kdimensionale Mannigfaltigkeit. Wie oben angedeutet werden nun typische Eigenschaften durch “Zurückholen mittels Karten” definiert. So nennt man eine Abbildung f : M → N zwischen zwei Mannigfaltigkeiten differenzierbar, wenn die Abbildung Ψ ◦ f ◦ Φ−1 für Karten Φ von M und Ψ von N mit geeignetem Definitionsbereich differenzierbar ist. (Beachte, dass dies unabhängig von der Wahl der Karten Φ und Ψ ist.) Der Tangentialraum muss nun auch ohne einen gegebenen Raum definiert werden. Eine Möglichkeit – in Anlehnung an Definition 2.8 – besteht darin, zu gegebenem p ∈ M alle Kurven Cp (M) = {γ ∈ C 1 ((−ε, ε); M) für ein ε > 0} zu betrachten und auf dieser Menge durch d d γ1 ∼ γ2 ⇐⇒ Φ ◦ γ1 = Φ ◦ γ2 dt t=0 dt t=0 für eine Karte Φ um p eine Äquivalenzrelation einzuführen. (Diese ist unabhängig von der Wahl der Karte Φ.) Die Äquivalenzklassen [γ] ∈ Cp (M)/ ∼ nennt man nun Tangentialvektoren und deren Gesamtheit wird wieder der Tangentialraum an M bei p genannt und mit Tp M bezeichnet. Mehr hierzu findet man etwa in [Jä]. 19 Zum Schluss dieses Ausflugs in die allgemeine Theorie der Mannigfaltigkeiten wollen wir noch zwei Punkte kurz anreißen. Erstens besagt der Whitneysche Einbettungssatz, dass wir, selbst wenn wir nur Untermannigfaltigkeiten des Rn betrachten, in gewisser Weise schon den allgemeinen Fall behandeln, denn jede k-dimensionale Mannigfaltigkeit M kann in den R2k+1 eingebettet werden: Es existiert eine Abbildung f : M → R2k+1 , so dass f (M) eine Untermannigfaltigkeit von R2k+1 und f : M → f (M) ein Diffeomorphismus ist. Das soll nun jedoch nicht heißen, dass die Beschäftigung mit allgemeinen Mannigfaltigkeiten überflüssig wäre. Allein schon deshalb, weil diese Einbettung nicht kanonisch gegeben ist und viele Konzepte in der “einbettungsfreien” Darstellung transparenter bleiben. Zweitens legt der topologische Raum M (in Dimensionen ≥ 4) die differenzierbare Struktur nicht eindeutig fest. Für Untermannigfaltigkeiten des Rn ergibt sich diese etwa durch die Differenzierbarkeit äußerer Karten als Abbilung des umgebenden Euklidischen Raums. Im Allgemeinen kann es jedoch auf M verschiedene differenzierbare Strukturen geben, so dass zwei Mannigfaltigkeiten, die nicht diffeomorph sind, dennoch homöomorph sein können. 20 Kapitel 3 Oberflächenintegrale In diesem Kapitel führen wir die Integration von Funktionen über Mannigfaltigkeiten ein. Dabei müssen wir uns insbesondere überlegen, wie wir das kdimensionale Volumen (die Oberfläche) einer Mannigfaltigkeit zu messen haben. 3.1 Erinnerung: Lebesgue-Integration im Rn Wir tragen zunächst kurz die wesentlichen Begriffe und Tatsachen aus der Lebesgueschen Integrationstheorie im Rn zusammen. Wenn Sie das Lebesgue-Integral nicht kennen sollten, werden Sie hier alles, was wir brauchen werden, so zusammengestellt finden, dass Sie diese Lücke auch später noch schließen können. Für diese Vorlesung müssen Sie das Folgende dann einfach ohne Begründung akzeptieren. Das Mengensystem der (Lebesgue-)messbaren Mengen im Rn ist eine (sehr große) Klasse von Teilmengen des Rn , zu der insbesondere alle offenen und abgeschlossenen Mengen gehören sowie mit einer höchstens abzählbaren Familie von Mengen auch deren Vereinigung und Durchschnitt. (Merke: “So gut wie jede” Teilmenge ist messbar.1 ) Eine (große) Klasse von reellwertigen Funktionen auf einer messbaren Menge wird ebenfalls (Lebesgue-)messbar genannt. Z.B. ist jede stetige Funktion messbar und mit einer punktweise konvergenten Folge auch deren Grenzwert. (Merke: “So gut wie jede” Funktion ist messbar.2 ) Für eine positive messbare Funktion auf einer messbaren Menge ist das Lebesgue-Integral immer zumindest im uneigentlichen Sinne erklärt und man nennt f : U → R (Lebesgue-)integrierbar, wenn Z kf k1 := |f (x)| dx < ∞ U 1 Natürlich stimmt das nicht ganz. Ein Gegenbeispiel kann man mit dem Auswahlaxiom konstruieren. 2 Natürlich stimmt auch das nicht. 21 ist. Insbesondere ist jede stetige beschränkte Funktion über eine beschränkte offene Menge U integrierbar. Die Abbildung Z f 7→ f (x) dx U ist hierbei eine lineare Abbildung vom Vektorraum der integrierbaren Funktionen nach R. Diesen Raum bezeichnen wir im Folgenden mit L1 (U), wobei wir die üblichen Vorsichtsmaßnahmen beachten müssen, da es sich ja eigentlich um Äquivalenzklassen bezüglich “Übereinstimmung bis auf eine Nullmenge” handelt. (L1 (U), k · k1 ) ist ein Banachraum. (Nullmengen sind kleine Ausnahmemengen, die man in der Lebesgueschen Theorie getrost vernachlässigen darf. Wenn Sie die noch nicht kennen, so ignorieren Sie diese technische Feinheit hier und im Folgenden einfach. Üblicherweise gelten Eigenschaften von Lebesgue-integrierbaren Funktionen “fast überall (f.ü.)” bzw. “für fast alle x (f.f.a. x)”. Für stetige Funktionen kann man diese Einschränkung aber meist weglassen, d.h. die Ausnahmenullmenge N als leer annehmen.) Für das Lebesgue-Integral gelten starke Konvergenzsätze: Satz 3.1 (Satz von der monotonen Konvergenz) Es sei (fk ) ⊂ L1 (U) eine Folge mit f1 ≤ f2 ≤ . . . (f.ü.). Gilt Z fk (x) dx < ∞, lim k→∞ U so ist auch f mit f (x) := limk→∞ fk (x) (f.f.a. x) in L1 (U) und es ist Z Z fk (x) dx = f (x) dx. lim k→∞ U U Satz 3.2 (Satz von der majorisierten Konvergenz) Es sei (fk ) ⊂ L1 (U) eine Folge mit limk→∞ fk (x) = f (x) (f.f.a. x) und es existiere eine Funktion g ∈ L1 (U) mit |fk (x)| ≤ g(x) für (fast) alle x und alle k. Dann ist auch f in L1 (U) und es gilt Z Z fk (x) dx = lim k→∞ U f (x) dx. U Der nächste Satz zeigt, dass man n-dimensionale Integrale durch iterierte Integration berechnen darf. Satz 3.3 (Satz von Fubini) Ist f ∈ L1 (U × V ), U ⊂ Rk und V ⊂ Rm messbar (und damit U × V messbar in Rk × Rm ∼ = Rk+m), so gibt es eine Nullmenge N ⊂ U, so dass für jedes y ∈ U \ N die Abbildung f (·, y) : U → R, 22 x 7→ f (x, y) in L1 (U) liegt. Des weiteren gilt Z Z Z f (x, y) d(x, y) = f (x, y) dx dy, U ×V V U wobei das innere Integral für y ∈ N durch 0 ersetzt werde. Besonders wichtig für unsere Untersuchungen ist das Transformationsverhalten unter Änderungen des Integrationsbereichs. Satz 3.4 (Transformationssatz) Es seien U, Ũ ⊂ Rn offen und ϕ : Ũ → U ein C 1 -Diffeomorphismus. Ist nun f ∈ L1 (U), so ist f ◦ ϕ · | det Dϕ| ∈ L1 (Ũ ) und es gilt Z Z f (x) dx = f (ϕ(x))| det Dϕ(x)| dx. U 3.2 Ũ Die Definition Wir wollen nun Funktionen f über C 1 -Mannigfaltigkeiten integrieren. Heuristisch kann man sich dazu die Mannigfaltigkeit M in viele kleine “Maschen” Mi zerlegt denken und versuchen, eine zugehörige Riemannsumme zu berechnen: Z X f≈ f (pi) × k-dimensionales Volumen von Mi . M i∈I Ist z.B. M durch eine einzige Karte Φ : V → M parametrisiert, so könnte man V durch ein feines reguläres Gitter partitionieren und erhielte auf diese Weise eine Partitionierung von M aus den Bildern Mi von kleinen Quadern Qi in V unter Φ. Abbildung 3.1: Partitionierung von V und M. Doch was ist das k-dimensionale Volumen Volk (Mi ) von Mi ? Für immer feinere Zerteilungen ist ja Mi = Φ(Qi ) bis auf Translation approximativ durch 23 DΦ(Φ−1 (pi ))(Qi ) gegeben und wir müssen das k-dimensionale Volumen eines sogenannten k-Spates bzw. k-dimensionalen Parallelotops bestimmen. Genauer: Definition 3.5 Sind v1 , . . . , vk ∈ Rn linear unabhängig, so heißt P (v1 , . . . , vk ) := {x ∈ Rn : ∃ λ1 , . . . , λk ∈ [0, 1] mit v = λ1 v1 + . . . λk vk } (k-)Spat oder (k-)Parallelotop. k Vektoren v1 , . . . , vk ∈ Rn sind genau dann linear unabhängig, wenn die n × kMatrix A = (v1 , . . . , vk ) vom Rang k ist. Offenbar ist P (v1 , . . . , vk ) = A([0, 1]k ). Für k = n ergibt sich daraus p Voln (P (v1 , . . . , vn )) = Voln (A[0, 1]n ) = | det A| = det(AT A). Es sei nun k < n. Sind alle vi von der Form vi = w0i ∈ Rk ×{0}, d.h. A = mit B = (w1 , . . . , wk ), so sollte sicherlich B 0 Volk (P (v1, . . . , vk )) = Volk (P (w1 , . . . , wk )) = | det B| gelten. Hier ist | det B| = p p det(B T B) = det(AT A). Im allgemeinen Fall betrachten wir eine orthogonale Matrix O ∈ Rn×n mit O span{v1 , . . . , vk } ⊂ Rk × {0}, so dass OA von der Form B0 ist. (Ergänze eine Orthonormalbasis (y1 , . . . yk ) von span{v1 , . . . , vk } zu einer Orthonormalbasis (y1 , . . . yn ) des Rn und wähle O linear mit Oyj = ej , j = 1, . . . n.) Da eine orthogonale Matrix eine starre Bewegung beschreibt, sollte eine solche Transformation das Volumen nicht ändern und wir erhalten Volk (P (v1 , . . . , vk )) = Volk (A[0, 1]k ) = Volk (OA[0, 1]k ) p p = det((OA)T (OA)) = det(AT A). Diese Vorüberlegungen führen zu folgender Definition. Definition 3.6 Es seien v1 , . . . , vk ∈ Rn . Das k-dimensionale Volumen des von ihnen aufgespannten Parallelotops ist p Volk (P (v1 , . . . , vk )) := det(AT A) für A = (v1 , . . . , vk ) ∈ Rn×k . 24 Beispiel: Für k = 2 ist A = (v1 , v2 ) und v1 · v1 v1 · v2 T = |v1 |2 |v2 |2 − (v1 · v2 )2 det(A A) = det v2 · v1 v2 · v2 (v1 · v2 )2 2 2 = |v1 |2 |v2 |2 1 − cos2 < ) (v1 , v2 ) = |v1 | |v2 | 1 − 2 2 |v1 | |v2 | 2 2 2 = |v1 | |v2 | sin < ) (v1 , v2 ), so dass Vol2 (P (v1 , v2 )) = |v1 ||v2 | | sin < ) (v1 , v2 )| gilt. Definition 3.7 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit und Φ : V → U eine (innere) Karte. Wir definieren den Maßtensor (oder auch metrischen Tensor) als die matrixwertige Abbildung G = (gij ) : V → Rk×k , G(x) = (DΦ(x))T DΦ(x). Ihre Determinante det G(x) heißt die Gramsche Determinante und wird oft mit g(x) bezeichnet. Nach unseren Vorüberlegungen ist nun die folgende Definition des Integrals über einem Kartenbereich sinnvoll. Definition 3.8 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit und Φ : V → U eine (innere) Karte. Ist f : M → R eine Funktion, so dass f auf M \ U verschwindet, so heißt f integrierbar, wenn die Abbildung p x 7→ f (Φ(x)) g(x) in L1 (V ) liegt. Man setzt dann Z Z p f (x) dS(x) := f (Φ(x)) g(x) dx. M V Hiebei steht dS(x) für das infinitesimale Oberflächenelement (engl. surface element), welches psich aus dem infinitesimalen Euklidischen Volumenelement dx gemäß dS(x) = g(x)dx ergibt. Dass dieses Integral wohldefiniert ist, ergibt sich direkt aus dem folgenden Lemma. Lemma 3.9 (i) Positivität: Die Gramsche Determinante g ist immer positiv. (ii) Sind Φ1 : V1 → U1 , Φ2 : V2 → U2 überlappende Karten mit U1 ∩ U2 6= ∅ ′ ′ und Gramscher Determinante g1 bzw. g2 , so ist ϕ = Φ−1 2 ◦ Φ1 : V1 → V2 , −1 ′ Vj := Φj (U1 ∩ U2 ), j = 1, 2, ein Diffeomorphismus (vgl. Satz 2.7) und es gilt g1 (x) = (det Dϕ(x))2 g2 (ϕ(x)) für x ∈ Φ−1 1 (U1 ∩ U2 ). 25 Sind also zwei Karten Φ1 : V1 → U1 und Φ2 : V2 → U2 gegeben, so dass f auf M \ U1 und M \ U2 verschwindet, so ist tatsächlich nach dem Transformationssatz √ 3.4 mit f ◦ Φ2 · g2 über V2′ auch f ◦ Φ2 ◦ ϕ · √ g2 ◦ ϕ| det Dϕ| = f ◦ Φ1 · √ g1 über V1′ integrierbar und es gilt Z Z p p f (Φ2 (x)) g2 (x) dx = f (Φ1 (x)) g1 (x) dx. V2 V1 Beweis von Lemma 3.9. (i) Wähle orthogonale Matrizen O(x) ∈ Rn×n , so dass ODΦ = B0 für die betrachtete Karte Φ gilt, wobei B ∈ Rk×k nicht singulär ist, da Rang B = Rang DΦ = k gilt. Dann ist g = det (DΦ)T DΦ = det (ODΦ)T ODΦ = det B T B = (det B)2 > 0. (ii) Dass ϕ ein Diffeomorphismus ist, haben wir schon in Satz 2.7 gesehen. Auf V1′ gilt außerdem g1 (x) = det (DΦ1 (x))T DΦ1 (x) = det (D(Φ2 ◦ ϕ)(x))T D(Φ2 ◦ ϕ)(x) = det (Dϕ(x))T (DΦ2 (ϕ(x)))T DΦ2 (ϕ(x))Dϕ(x) = det Dϕ(x) det (DΦ2 (ϕ(x)))T DΦ2 (ϕ(x)) det Dϕ(x) = (det Dϕ(x))2 g2 (ϕ(x)). Wir wenden uns nun der Definition des Oberflächenintegrals auf Mannigfaltigkeiten zu, die nicht notwendig durch eine einzige Karte parametrisiert werden. Dabei behandeln wir jedoch nicht den allgemeinsten Fall, sondern setzen voraus, dass es einen endlichen Atlas gibt. Das wird für die meisten interessanten Beispiele genügen. Beachten Sie, dass insbesondere jede kompakte Mannigfaltigkeit einen endlichen Atlas hat: Beobachtung: Ist M eine kompakte Mannigfaltigkeit in Rn , so hat M einen endlichen Atlas. Ist nämlich (Φj )j∈J , Φj : Vj → Uj , ein Atlas von M, so lässt sich S S aus M = j∈J Uj eine endliche Teilüberdeckung auswählen, etwa M = N m=1 Ujm , so dass also auch (Φjm )1≤m≤N ein Atlas ist. Um die Beiträge verschiedener Kartenbereiche “zusammenzustückeln” benötigen wir das folgende technische Hilfsmittel: Definition 3.10 Es sei (Uj )j=1,...,N eine Überdeckung von M ⊂ Rn , d.h. M = SN j=1 Uj . Eine Familie (αj )j=1,...,N von Funktionen αj : M → R heißt eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung (oder Teilung) der Eins, wenn 26 (i) 0 ≤ αj ≤ 1 für j = 1, . . . , N, (ii) αj ≡ 0 auf M \ Uj für j = 1, . . . , N und PN (iii) j=1 αj ≡ 1 auf M gilt. Es ist leicht zu sehen, dass für einen endlichen Atlas (Φj : Vj → Uj ) eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj ) existiert, so dass αj ◦ Φj messbar ist: Wähle etwa α2 = χU2 \U1 , . . . , α1 = χU1 , αj = χUj \(U1 ∪...∪Uj−1 ) , ..., wobei χW die charakterstische Funktion einer Menge W bezeichnet. Dann ist αj ◦ Φj = χVj \Φ−1 (U1 ∪...∪Uj−1 ) . j Definition 3.11 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit mit eindlichem Atlas (Φj : Vj → Uj )j=1,...,N . Eine Funktion f : M → R heißt integrierbar, wenn χUj f im Sinne von Definition 3.8 integrierbar ist für alle j. Ist (αj ) eine der Überdeckung (Uj ) untergeordnete Zerlegung der Eins, so dass αj ◦ Φj messbar ist, so wird das Integral von f über M definiert durch Z f (x) dS(x) := M N Z X j=1 αj (x)f (x) dS(x), M wobei auf der rechten Seite die schon in Definition 3.8 erklärten Integrale stehen. Es ist also Z f (x) dS(x) := M N Z X j=1 αj (Φj (x))f (Φj (x)) Vj p g(x) dx. Wir müssen rechtfertigen, dass dies wohldefniert ist: Zunächst ist klar, dass wegen 0 ≤ αj ≤ 1 mit χUj f auch αj f integrierbar ist. Es seien nun (Φj : Vj → Uj )j=1,...,N und (Φ′j : Vj′ → Uj′ )j=1,...,N ′ Atlanten mit untergeordneten Zerlegungen der Eins (αj ) bzw. (αj′ ). Ist χUj f für alle j integrierbar, so auch χUi′ αj f für alle P i, j. Nach Definition 3.8 ist dann auchχUi′ f = j χUi′ αj f integrierbar und es gilt tatsächlich N X N′ Z N Z X X αj (x)f (x) dS(x) = αi′ (x)αj (x)f (x) dS(x) j=1 M j=1 i=1 M ′ = N Z X i=1 αi′ (x)f (x) dS(x). M Damit lässt sich nun auch der Begriff des k-dimensionalen Volumens auf allgemeine Mannigfaltigkeiten übertragen: 27 Definition 3.12 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C 1 -Mannigfaltigkeit mit eindlichem Atlas. Ist A ⊂ M eine Teilmenge, so dass χA integrierbar ist, so nennen wir A selbst integrierbar und definieren das k-dimensionale Volumen von A durch Z Volk (A) := χA (x) dS(x). M Ist Volk (A) = 0, so nennt man A eine k-dimensionale Nullmenge. Eine Funktion f : A → R heißt über A integrierbar, wenn χA f integrierbar ist. In diesem Falle setzt man Z Z f (x) dS(x) := χA (x)f (x) dS)(x). A M Überlegen Sie sich, dass für A ⊂ M offen, wenn also A selbst eine Mannigfaltigkeit ist, diese Definition mit dem Begriff der Integrierbarkeit über die Mannigfaltigkeit A gemäß Definition 3.11 übereinstimmt. Wir schließen diesen Abschnitt mit der folgenden Beobachtung: Es seien M ⊂ Rn eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit mit endlichem Atlas, f, f˜ : M → R mit f ≡ f˜ außerhalb einer k-dimensionalen R R Nullmenge. ˜ Ist f integrierbar, so ist auch f integrierbar und es gilt M f dS = M f˜ dS. Begründung: Ist A ⊂ M eine k-dimensionale Nullmenge, so gilt für jede Karte Φ : V → U mit Gramscher Determinante g Z Z Z p p g(x) dx. 0 = Volk (A) ≥ χA∩U dS = χA (Φ(x)) g(x) dx = M Φ−1 (A)∩V V Da g nach Lemma 3.9 positiv ist, folgt daraus |V ∩ Φ−1 (A)| = 0. Für jede Karte Φ ist also f˜ ◦ Φ = f ◦ Φ fast überall in V . Daraus folgt die Behauptung. 3.3 Beispiele & Anwendungen Kurvenintegrale Es sei M die eindimensionale Mannigfaltigkeit M = γ(I) für eine Kurve γ mit γ̇ 6= 0, die I homöomorph auf M abbildet. Wir haben schon gesehen, dass dann γ selbst eine Parametrisierung von M ist. Die zugehörige Gramsche Determinante ist gegeben durch g = det(γ̇ T γ̇) = γ̇ · γ̇ = |γ̇|2 . Für eine integrierbare Funktion f : M → R ist hier Z Z f (x) dS(x) = f (γ(t))|γ̇(t)| dt, M I ein Kurvenintegral. 28 Ist I endlich und etwa γ̇ beschränkt, so hat die Kurve die (endliche) Länge Z Vol1 (M) = |γ̇(t)| dt. I Wenn Sie aus früheren Vorlesungen schon eine andere Definition der Kurvenlänge kennen, dann überlegen Sie sich, dass diese mit der hier angegebenen übereinstimmt. Funktionsgraphen Eine wichtige Klasse von Mannigfaltigkeiten sind Hyperflächen, die durch Funktionsgraphen gegeben sind. Ist U ⊂ Rn−1 offen und h ∈ C α (U, R), so ist M = Graph h = {x ∈ Rn : x′ ∈ U, xn = h(x′ )}, wobei wir x′ = (x1 , . . . , xn−1 ) abgekürzt haben, eine (n − 1)-dimensionale C α n ′ ′ ′ Mannighaltigkeit im R mit Parametrisierung x 7→ (x , h(x )). Dies folgt daraus, dass Dh = rung Idn−1 Dx ′ h Rang n − 1 hat und die Umkehrabbildung der ParametrisieM ∋ x = (x′ , xn ) 7→ x′ offenbar auch stetig ist. Der zugehörige metrische Tensor ergibt sich zu T Idn−1 Idn−1 g= Dx ′ h Dx ′ h 1 0 ··· 0 1 0 · · · 0 ∂1 h .. .. . .. . 0 1 . . .. . . . . 0 1 . . = . . .. .. .. . 0 . .. .. 0 .. . . 0 ··· 0 1 0 · · · 0 1 ∂n−1 h ∂1 h · · · · · · ∂n−1 h = (δij + ∂i h ∂j h)1≤i,j≤n−1 = Idn−1 +(Dh)T Dh. Ist Dh(x′ ) 6= 0, so hat diese Matrix den einfachen Eigenwert 1 + |Dh(x′ )|2 (mit Eigenvektor (Dh(x′ ))T ) und den (n − 1)-fachen Eigenwert 1 (mit Eigenraum {(Dh(x′ ))T }⊥ ). Die Gramsche Determinante ist somit g(x′ ) = (1 + |Dh(x′ )|2 ) · 1 · . . . · 1 = 1 + |Dh(x′ )|2 , was auch für Dh(x′ ) = 0 richtig bleibt. Zusammengefasst zeigen diese Überlegungen: Proposition 3.13 Ist h ∈ C 1 (U, R), U ⊂ Rn−1 offen, und f eine integrierbare Funktion auf M = Graph h, so gilt Z Z p f (x) dS(x) = f (x′ , h(x′ )) 1 + |Dh(x′ )|2 dx. M U 29 Literaturverzeichnis [Br] M. Brokate: Vektoranalysis. Vorlesungsskript. München, 2008. http://wwwm6.ma.tum.de/∼brokate/vek ws08.pdf [For] O. Forster: Analysis 3. Vieweg Studium: Aufbaukurs Mathematik. Vieweg + Teubner, Wiesbaden, 2009. [Jä] K. Jänich: Vektoranalysis. : Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, 2005. [Kö] K. Königsberger: Analysis 2. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, 2004. 30