Positionspapier des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft ID-Nummer 6437280268-55 zu den Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen von Medizinprodukten besser gewährleisten (17/8920) der Fraktion der SPD Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten (17/9932) Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Tel.: +49 30 2020-5314 Fax: +49 30 2020-6314 51, rue Montoyer B - 1000 Brüssel Tel.: +32 2 28247-30 Fax: +32 2 28247-39 Ansprechpartner: Sabine Pareras Abteilung Haftpflicht-, Kredit-, Transportund Luftfahrtversicherung, Statistik E-Mail: [email protected] www.gdv.de Zusammenfassung 1. Die aktuellen Vorgänge haben gezeigt, dass es notwendig ist, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, die auf Medizinprodukte angewiesen sind, zu verbessern. Sichere Medizinprodukte sind auch ein besonderes Interesse der Versicherer. Entsprechende Maßnahmen werden von der Versicherungswirtschaft begrüßt. 2. Die Einführung einer Pflichtversicherung wird abgelehnt: • Eine auf freiwilliger Basis abgeschlossene Versicherung gehört schon heute zum Marktstandard. Die sehr hohe Dichte von Versicherungen für Schäden durch Medizinprodukte macht eine Pflichtversicherung entbehrlich. • Schäden durch kriminelle Machenschaften sind auch durch eine Pflichtversicherung nicht abzusichern. Ein Mangel an staatlicher Kontrolle kann daher auch nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden. • Eine Pflichtversicherung verhindert die Möglichkeit für den Versicherungsnehmer, den Versicherungsschutz konkret auf das individuelle Risiko seiner Produkte zuzuschneiden. Sie verteuert den Versicherungsschutz daher unnötig und kostet Geld, welches sinnvoller für Risikoprävention ausgegeben werden kann. 3. Ein von der Versicherungswirtschaft finanzierter Haftungsfonds ist abzulehnen. • Ein solcher Fonds würde einen massiven Eingriff darstellen, für den es keine rechtfertigende Grundlage gibt. • Entschädigungsfonds bürden die durch „Schwarze Schafe“ verursachten finanziellen Schäden denjenigen auf, die sich ordnungsgemäß verhalten und versichert haben. • Das Modell Verkehrsopferhilfefonds ist nicht übertragbar, da die Situation mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar ist. Seite 2 / 7 1. Gesetzgeberische Aktivitäten sollten sich auf Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Medizinprodukten konzentrieren. Medizinprodukte müssen sicher und funktionstüchtig sein. Die aktuellen Vorgänge haben gezeigt, dass es notwendig ist, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, die auf Medizinprodukte angewiesen sind, zu verbessern. Sichere Medizinprodukte sind auch ein besonderes Interesse der Versicherungswirtschaft. Geeignete Maßnahmen, die die Sicherheit von Medizinprodukten verbessern, sind zu begrüßen. Maßnahmen zur Regulierung des Marktzugangs, zur Überwachung des Herstellungsprozesses und der Anwendung sowie zur verbesserten Information der Patientinnen und Patienten halten wir hierfür grundsätzlich für geeignet. 2. Die Einführung einer Pflichtversicherung ist zur Verbesserung der Patientensicherheit nicht erforderlich, nicht geeignet und wirtschaftlich nicht sinnvoll und wird daher abgelehnt. 2.1. Eine Pflichtversicherung ist nicht erforderlich. Der Verband geht davon aus, dass so gut wie alle Betriebe, die für Risiken aus der Herstellung von Medizinprodukten haften, bereits auf freiwilliger Basis eine entsprechende risikoadäquate Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben. Um sich vor möglichen Ansprüchen Dritter zu schützen, schließen Hersteller schon im eigenen Interesse eine solche Versicherung ab. Gesundheits- bzw. Personenschäden durch fehlerhafte Medizinprodukte sind durch die „normale“ Betriebshaftpflichtversicherung gedeckt, denn diese gewährt auch Deckung für die Haftung aus fehlerhaften Produkten. Eine Betriebshaftpflichtversicherung gehört in Deutschland zum Versicherungsstandard. Diese Versicherung gewährt auch Versicherungsschutz, wenn der Hersteller für den Austausch von fehlerhaften Implantaten haftet. Der Abschluss einer zusätzlichen Versicherung ist nicht erforderlich. Dem Verband sind keine Schadenfälle bekannt, in denen keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen worden war. 2.2 Eine Pflichtversicherung ist zum Schutz vor kriminellen Machenschaften nicht geeignet. Sofern der Hersteller kriminell und vorsätzlich gehandelt hat, ist der Versicherungsschutz auch im Rahmen von Pflicht-Haftpflichtversicherungen grds. ausgeschlossen. Dies entspricht der Gesetzeslage: Nach dem Ver- Seite 3 / 7 sicherungsvertragsgesetz ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt hat. Schäden durch kriminelle Machenschaften sind also auch durch eine Pflichtversicherung nicht einzufangen. Gefragt ist hier vielmehr staatliche Kontrolle. Ein Mangel an staatlicher Kontrolle kann nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden. Im Übrigen ist folgendes zu berücksichtigen: Sofern ein Medizinprodukt zu einem Gesundheitsschaden führt, der auf andere Fehlerquellen zurückzuführen ist – z.B. Fehler des Arztes bei der Implantation oder bei der Aufklärung – haftet nicht der Produkthersteller sondern z.B. der Arzt. Für diesen gibt es bereits eine Pflichtversicherung. Tatsächlich ist ein guter Teil der Schadenfälle, die in der Öffentlichkeit als Schäden durch Medizinprodukte wahrgenommen werden, auf andere Fehler zurückzuführen. 2.3 Eine Pflicht-Haftpflichtversicherung ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Bei Medizinprodukten handelt es sich nicht um homogene Massenrisiken, sondern um sehr verschiedenartige Risiken. Denn die Höhe und Art des versicherten Risikos ist nicht nur beeinflusst von der Art des Medizinproduktes sondern z.B. von der Organisation des Herstellungsbetriebes, der Chargengröße und dem Kreis der jeweiligen Anwender (z.B. kranke oder gesunde, alte oder junge Empfänger). Die gesetzlichen Vorgaben für Pflichtversicherungen beinhalten hingegen einen starren Rahmen, der sich regelmäßig am größtmöglichen Risiko orientiert. Eine Pflichtversicherung verhindert damit die Möglichkeit für den Versicherungsnehmer, den Versicherungsschutz konkret auf das individuelle Risiko seiner Produkte zuzuschneiden. Hierdurch würde für alle Betriebe mit qualitativ und quantitativ geringeren Risiken die Versicherung unnötig – und z.T. erheblich – teurer, als wenn ihre Risiken entsprechend dem individuellen Bedarf sozusagen „maßgeschneidert“ versichert werden könnten. Durch eine Pflichtversicherung reduzieren sich daher die finanziellen Möglichkeiten zu aktivem Risikomanagement. Deutlich sinnvoller als eine Pflichtversicherung ist es, zusätzliche finanzielle Mittel für die geplanten Verbesserungen der Sicherheit der Produkte zu verwenden. Eine Pflichtversicherung würde sich hingegen in höheren Preisen niederschlagen – ohne dass der Patient hierfür ein qualitativ hochwertigeres Medizinprodukt erhalten würde. Seite 4 / 7 Außerdem müsste der Abschluss und die Aufrechterhaltung der Pflichtversicherungen staatlich laufend überwacht werden. Auch diese zusätzlichen Verwaltungsaufgaben ließen weitere öffentliche Kosten entstehen. 3. Ein von der Versicherungswirtschaft finanzierter Haftungsfonds würde einen massiven Eingriff darstellen, welcher abzulehnen ist. 3.1 Für diesen Eingriff sehen wir keine rechtfertigende Grundlage. Ein absoluter Ausnahmefall, der auf kriminelle Machenschaften und das Versagen sämtlicher Kontroll- und Überwachungsmechanismen zurückzuführen ist, kann nicht Anlass dafür sein, ein funktionierendes Haftungsund Versicherungssystem durch systemfremde Ergänzungen zu belasten und gerade diejenigen zur Verantwortung ziehen, die weder für die kriminellen Machenschaften noch für das staatliche Versagen verantwortlich sind. Ein Entschädigungsfonds für nicht versicherte Schäden würde zudem jeden Präventionsgedanken konterkarieren. Die Schaffung eines Haftungsfonds ist mit der Gefahr verbunden, dass einzelne Versicherungsnehmer hinsichtlich ihrer Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung sowie hinsichtlich der Qualität ihrer Produkte und der diesbezüglichen Kontrollen nachlässiger werden. Denn sofern im Schadenfall Herstellern von Medizinprodukten ein Fonds zur Verfügung steht, könnte eine hinreichende eigene Absicherung sowie eine Schadenprävention von einzelnen Herstellern als nicht mehr ganz so elementar wie zuvor angesehen werden. Entschädigungsfonds bürden die durch „schwarze Schafe“ verursachten Schäden, denjenigen auf, die sich ordnungsgemäß verhalten und versichert haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn aus dem Fonds auch Schäden beglichen werden, die durch Exporte aus Ländern verursacht wurden, aus denen nicht in den Fonds eingezahlt würde (z.B. aus den USA). 3.2 Die Situation des Verkehrsopferhilfefonds ist nicht übertragbar. Der Verein Verkehrsopferhilfe hilft Verkehrsopfern, wenn das gegnerische Fahrzeug unbekannt oder unversichert ist oder vorsätzlich und widerrechtlich dazu benutzt wurde den Schaden herbeizuführen. Voraussetzung ist Seite 5 / 7 immer, dass grundsätzlich eine gesetzliche Haftung vorliegt und dass kein anderer für den Schaden eintritt (strenge Subsidiarität). Der Fonds wird von den Kfz Versicherern und damit letztlich von der Versichertengemeinschaft finanziert. Entscheidender Unterschied ist: Allein in Deutschland gibt es mehr als 50 Millionen Kfz-Haftpflichtversicherungsverträge. Praktisch kann jeder Einzelne dieser Versichertengemeinschaft einen Schaden erleiden und somit als Geschädigter Leistungen aus dem Fonds erhalten. Jeder Einzelne dieser Versichertengemeinschaft hat damit ein eigenes Interesse an dem Fonds. Das Risiko nicht versicherter Haftungsfälle wird also auf die Schultern derjenigen verteilt, die auch als potentielle Geschädigte grundsätzlich von den Fondsleistungen profitieren. Ein Fonds für Schäden aus nicht versicherten Medizinprodukten, in den die Haftpflichtversicherer einzahlen, würde am Ende durch die Versichertengemeinschaft, die Hersteller von Medizinprodukten, finanziert. Aber diese profitieren durch einen solchen Fonds nicht! Es profitieren die „schwarzen Schafe“, das heißt diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten: Hersteller, die keine geeignete Deckungsvorsorge für ihre Produkte treffen oder die durch kriminelle Betätigung anderen vorsätzlich schaden. Die besondere Situation, die dem Verkehrsopferhilfefonds zu Grunde liegt, ist mit der Situation des vorliegenden Vorschlages daher nicht vergleichbar. Das Modell ist nicht übertragbar. 4. Der Vorschlag, zu prüfen, wie Meldungen über Vorkommnisse verbessert werden können, ist zu begrüßen. Im Antrag der Fraktion der SPD wird eine bessere Überwachung der bestehenden Meldeverpflichtungen gefordert. Überdies soll bei unterlassenen Meldungen durch einen Arzt oder ein Krankenhaus eine Beweislastumkehr greifen, sodass Patientinnen und Patienten bei späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen besser gestellt werden. Eine Verbesserung des Meldesystems ist zu begrüßen. Die Frage, ob bzgl. der Haftung des Arztes ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht und insbesondere die Frage möglicher Auswirkungen auf das Gesamtgefüge des Haftungssystems wären hingegen genau zu untersuchen. Die vorgeschlagene Umkehr der Beweislast betrifft nicht die Haftung des Medizinprodukteherstellers sondern des Arztes bzw. Krankenhauses. Dieses Verhältnis (Arzt/Krankenhaus und Patient) ist Gegenstand des geSeite 6 / 7 planten Patientenrechtegesetzes und sollte – soweit notwendig – in diesem Rahmen diskutiert werden. Eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Arztes bei unterlassener Meldung wird, mangels eines direkten Zusammenhanges zwischen dem Sinn und Zweck der Meldepflicht und der Haftung des Arztes, von der Versicherungswirtschaft grundsätzlich kritisch gesehen. Hier sollte differenziert werden. Berlin, den 07.08.2012 Seite 7 / 7